© 2021 Deutscher Bundestag WD 8 - 3000 - 032/21 Insektenschutz und Kategorisierung von Pflanzenschutzmitteln Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 – 3000 – 032/21 Seite 2 Insektenschutz und Kategorisierung von Pflanzenschutzmitteln Aktenzeichen: WD 8 - 3000 - 032/21 Abschluss der Arbeit: 26. März 2021 Fachbereich: WD 8: Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 – 3000 – 032/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Formulierungen zu Konkretisierung schädigender Wirkungen auf Insekten im Kontext 5 3. Begriffliche Abgrenzung 6 3.1. Pflanzenschutzmittel 6 3.2. Zulassung und Anwendung von Pflanzenschutzmitteln 7 3.3. Gefährlichkeitsstufen gemäß Bienenschutzverordnung 8 3.4. Gefahren für andere Bestäuber 9 4. Pflanzenschutzmittel verschiedener Kennzeichnungen 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 – 3000 – 032/21 Seite 4 1. Einleitung Insekten sind sowohl als Bestäuber als auch als Teil der natürlichen Nahrungskette essentiell. Ein fortschreitender Lebensraumverlust und der Einsatz sowohl von Pestiziden als auch von Dünger werden als Hauptfaktoren dafür diskutiert, dass verschiedene Insektenartenpopulationen in den vergangenen Jahren zurückgegangen sind. Vor diesem Hintergrund hat Deutschland erstmals ein spezielles Programm zum Schutz von Insekten beschlossen. Am 4. September 2019 wurde das „Aktionsprogramm Insektenschutz“1 vom Bundeskabinett verabschiedet. Zur konkreten Umsetzung von Maßnahmen sind einzelne Rechtsänderungen notwendig. Ein entsprechender Entwurf des „Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes“ liegt seit dem 10. Februar 2021 vor.2 Ebenfalls am 10. Februar 2021 wurde eine Änderung der Pflanzenschutz- Anwendungsverordnung (PflSchAnwVO) im Bundeskabinett beschlossen.3 Hiermit wird die „Anwendung bestimmter Pflanzenschutzmittel in Gebieten mit besonderer Bedeutung für den Insektenschutz und an Gewässern eingeschränkt.“4 Hinsichtlich der Kennzeichnung von Pestiziden werden im Aktionsprogramm Insektenschutz noch vergleichsweise allgemeine Bezeichnungen wie „biodiversitätsschädigende Insektizide“ verwendet. Das Aktionsprogramm ist kein Gesetz, sondern eine Zielvereinbarung der Bundesregierung , wie der Insektenschutz umgesetzt werden soll. Darum sind verschiedene Formulierungen in dem Programm offen gestaltet.5 So ist beispielsweise nicht durch eine Kennzeichnung festgelegt , welche Insektizide konkret als „biodiversitätsschädigend“ einzustufen sind.6 Diese Formulierungen müssen in der Gesetzesvorlage und in der Änderung der PflSchAnwVO konkretisiert werden. Dies erfolgte in der Weise, dass von „bienengefährlichen B1-B3“ Produkten, „bestäubergefährlichen NN410“ Produkten sowie von „Bioziden laut Anhang V der Verordnung (EU) Nr. 528/2012, Produktgruppe 18“ die Rede ist. Die vorliegende Arbeit befasst sich spezifisch mit der Frage veränderter Schutzmaßnahmen im Bereich der Anwendung von Pestiziden. Zunächst werden im Folgenden die Formulierungen zur Anwendung von Pestiziden in bestimmten Gebieten in der Weise, wie sie im Aktionsprogramm 1 Quelle: https://www.bmu.de/publikation/aktionsprogramm-insektenschutz/. 2 Quelle: https://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Gesetze/3_aenderung_bnatschg_bf.pdf. 3 Quelle: https://www.bmel.de/SharedDocs/Gesetzestexte/DE/5-aenderung-pflanzenschutz-anwendungs-vo.html. 4 Quelle: https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/Glaeserne-Gesetze/Kabinettfassung/5-aenderungpflanzenschutz -anwendungs-vo.pdf?__blob=publicationFile&v=1. 5 Vgl. hierzu Informationen des BMEL: https://www.bmel.de/SharedDocs/FAQs/DE/faq-aktionsprogramm-insektenschutz /FAQList.html. 6 Diese Bezeichnung wird in einer Bewertung des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) bereits zu einem Zeitpunkt, als die Konkretisierungen im Gesetzesentwurf und der Änderung der Pflanzenschutzverordnung noch nicht vorlagen (4. September 2019) als unscharf kritisiert: „Besser und leichter zu administrieren wäre jedoch ein grundsätzliches Verbot aller Pestizide in den aufgeführten Schutzgebieten gewesen. Denn der Nachweis, ob ein Insektizid biodiversitätsschädigend ist oder nicht, wird zu Kontroversen führen.“ https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/tiere_und_pflanzen/insektenaktionsplan _hintergrund.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 – 3000 – 032/21 Seite 5 Insektenschutz, im Entwurf des „Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes“ vom 10. Februar 2021 und in der Änderung der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung vom 10. Februar 2021 formuliert werden. 2. Formulierungen zu Konkretisierung schädigender Wirkungen auf Insekten im Kontext Im Folgenden werden die Kernstellen im Aktionsprogramm Insektenschutz, in der Änderung der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung sowie im Entwurf des „Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes“ im Kontext aufgeführt. Aktionsprogramm Insektenschutz: Im Aktionsprogramm wird im Handlungsbereich 4 auf konkrete Maßnahmen zur Anwendung von Pestiziden eingegangen. Insbesondere wird darauf hingewiesen, dass im Zuge einer Änderung der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung ein „Verbot der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln mit besonderer Relevanz für Insekten in ökologisch besonders schutzbedürftigen Bereichen“ notwendig sei.7 Des Weiteren heißt es im Handlungsbereich 4.1: „Verbot der Anwendung von Herbiziden sowie biodiversitätsschädigenden Insektiziden in FFH-Gebieten, Naturschutzgebieten , Nationalparks, Nationalen Naturmonumenten, Naturdenkmälern und gesetzlich geschützten Biotopen im Sinne des § 30 des Bundesnaturschutzgesetzes.“8 Änderung der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung: In der Änderung der Pflanzenschutzverordnung wird das Verbot der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln (§4 (1) PflSchAnwVO) wie folgt formuliert: „In Naturschutzgebieten, Nationalparken, Nationalen Naturmonumenten, Naturdenkmälern und gesetzlich geschützten Biotopen im Sinne des § 30 des Bundesnaturschutzgesetzes , ausgenommen Trockenmauern im Weinbau, dürfen Pflanzenschutzmittel nicht angewendet werden, die […] dazu bestimmt sind, Pflanzen oder Pflanzenteile vor Insekten zu schützen oder Insekten zu bekämpfen , und die durch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit mit der Auflage einer Kennzeichnung als bienengefährlich B1 bis B3 oder als bestäubergefährlich NN 410 zugelassen worden sind.“9 Entwurf des „Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes“: Zentral ist in Hinblick auf die genannte Fragestellung die Änderung von § 30 des Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes: 7 Seite 28 in: https://www.bmu.de/publikation/aktionsprogramm-insektenschutz/. 8 Seite 36 ebd. 9 Fettung durch den Autor der Arbeit; https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/Glaeserne-Gesetze/Kabinettfassung /5-aenderung-pflanzenschutz-anwendungs-vo.pdf?__blob=publicationFile&v=1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 – 3000 – 032/21 Seite 6 „§ 30a Ausbringung von Biozidprodukten Außerhalb geschlossener Räume ist in Naturschutzgebieten, Nationalparken, Nationalen Naturmonumenten, Naturdenkmälern sowie in gesetzlich geschützten Biotopen verboten: 1. der flächige Einsatz von Biozidprodukten der Produktart 18 (Insektizide, Akarizide und Produkte gegen andere Arthropoden)10 des Anhangs V11 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten (ABl. L 167 vom 27.6.2012, S. 1; L 303 vom 20.11.2015, S. 109; L 280 vom 28.10.2017, S. 57), die zuletzt durch die Delegierte Verordnung (EU) 2019/1825 (ABl. L 279 vom 31.10.2019, S. 19) geändert worden ist, 2. das Auftragen von Biozidprodukten der Produktart 8 (Holzschutzmittel) des Anhangs V der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 durch Spritzen oder Sprühen.“12 Ergänzend wird hierzu erklärt: „Die Vorschrift dient dem besseren Schutz der Insekten im Besonderen und der Biodiversität im Allgemeinen durch die Einschränkung der Anwendung bestimmter Biozide in bestimmten ökologisch besonders schutzbedürftigen Teilen von Natur und Landschaft.“ Im Folgenden werden zunächst Begriffe eingeführt, die für das Verständnis des Aktionsprogrammes Insektenschutz von grundlegender Bedeutung sind. Sodann wird auf die Frage eingegangen, ob durch die unterschiedlichen Bezeichnungen im Aktionsprogramm Insektenschutz, im Entwurf des „Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes“ und in der Änderung der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung möglicherweise verschiedene Pflanzenschutzmittel beschrieben bzw. verboten werden. 3. Begriffliche Abgrenzung 3.1. Pflanzenschutzmittel Pflanzenschutzmittel (PSM) sind chemische oder biologische Substanzen, die dazu bestimmt sind, Nutzpflanzen und deren Erzeugnisse vor Schadorganismen zu schützen oder vor deren Ein- 10 Zitat: „Produktart 18: Insektizide, Akarizide und Produkte gegen andere Arthropoden Produkte zur Bekämpfung von Arthropoden (z. B. Insekten, Spinnentiere und Schalentiere) durch andere Mittel als Fernhaltung oder Köderung .“ 11 Dieser ist im Internet unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32012R0528 abrufbar . 12 Fettung durch den Autor der Arbeit; https://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Gesetze/3_aenderung _bnatschg_bf.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 – 3000 – 032/21 Seite 7 wirkung vorzubeugen. Teilweise werden sie auch benutzt, um regulierend auf das Pflanzenwachstum zu wirken. Prinzipiell werden Pflanzenschutzmittel, je nach Wirkung, in verschiedene Gruppen eingeteilt: Herbizide sind Pflanzenschutzmittel, die gegen Unkräuter eingesetzt werden. Insektizide sind Pflanzenschutzmittel, die gegen den Befall durch Insekten eingesetzt werden. Fungizide sind Pflanzenschutzmittel, die Pilzerkrankungen verhindern sollen. Molluskizide sind Pflanzenschutzmittel, die gegen Schneckenbefall eingesetzt werden. Akarizide sind Pflanzenschutzmittel, die gegen Milben wirken. Rodentizide sind Pflanzenschutzmittel, die gegen schädliche Nagetiere benutzt werden. Pflanzenschutzmittel werden mit dem Ziel eingesetzt, Pflanzen gegen schädliche Organismen oder vor Unkraut zu schützen. Sie werden vorrangig in der Landwirtschaft eingesetzt. Biozide hingegen sind Produkte, die vorrangig im nicht-landwirtschaftlichen Sektor13 benutzt werden. Beispiele sind Desinfektionsmittel, Rattengifte oder Holzschutzmittel. Teilweise werden Bestandteile von Bioziden als Wirkstoffe in Pflanzenschutzmitteln verwendet. Allerdings besteht der wesentliche Unterschied darin, dass Biozide insgesamt mit dem Ziel eingesetzt werden, die Gesundheit und die Produkte des Menschen zu schützen. Pestizide sind eine Sammelbezeichnung für Pflanzenschutzmittel und Biozide und somit allgemein chemische Schädlingsbekämpfungsmittel, die Organismen (Tiere, Pilze, Pflanzen, Mikroorganismen , etc.) oder auch Viren entweder abtöten oder mindestens an ihrer Schadwirkung hindern ohne, dass das Anwendungsgebiet konkret bezeichnet wird. 3.2. Zulassung und Anwendung von Pflanzenschutzmitteln Die Zulassung und Anwendung von Pflanzenschutzmitteln ist in Deutschland durch das Pflanzenschutzgesetz (PflSchG)14 und die zugehörigen Verordnungen sowie europäischen Rechtsvorschriften , maßgeblich die Verordnung (EG) Nr. 1107/200915 geregelt. In Deutschland ist die im PflSchG festgelegte Zulassungsbehörde das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL). Durch sie werden Pflanzenschutzmittel für einen vorgesehenen Einsatzzweck 13 beispielsweise um Schädlinge im Haus zu bekämpfen: Ratten, Insekten, Pilze, Mikroben. 14 Quelle: https://www.gesetze-im-internet.de/pflschg_2012/. 15 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und zur Aufhebung der Richtlinien 79/117/EWG und 91/414/EWG des Rates: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A32009R1107. Zum Verfahrensablauf siehe: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/HIS/?uri=CELEX%3A32009R1107. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 – 3000 – 032/21 Seite 8 zugelassen. Des Weiteren wird im PflSchG festgelegt, dass das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), das Julius Kühn-Institut (JKI) und das Umweltbundesamt (UBA) an den Verfahren für Pflanzenschutzmittel zu beteiligen sind. Dahingegen ist für die Zulassung von Biozidprodukten die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) zuständig. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich allerdings auftragsgemäß mit Pflanzenschutzmitteln (landwirtschaftlicher Sektor). 3.3. Gefährlichkeitsstufen gemäß Bienenschutzverordnung Hinsichtlich der Gefährlichkeit von PSM auf verschiedene Lebewesen sind gemäß Bienenschutzverordnung 16 verschiedene Gefahrenschutzstufen für Bienen eingeführt worden: Gefahrenschutzstufe B1: Bienengefährlich „Das Mittel wird als bienengefährlich eingestuft (B1). Es darf nicht auf blühende oder von Bienen beflogene Pflanzen ausgebracht werden; dies gilt auch für Unkräuter. Die Bienenschutzverordnung vom 22. Juli 1992, BGBl. I S. 1410 ist zu beachten.“17 Die Bezeichnung „blühende oder von Bienen beflogene Pflanzen“ erstreckt sich auch auf blühende Randstreifen, Hecken und Nachbarkulturen sowie nicht blühende Pflanzen, die aufgrund von Honigtau beflogen werden. Gefahrenschutzstufe B2: Anwendung nach Bienenflug „Das Mittel wird als bienengefährlich, außer bei Anwendung nach dem Ende des täglichen Bienenfluges in dem zu behandelnden Bestand bis 23.00 Uhr, eingestuft (B2). Es darf außerhalb dieses Zeitraums nicht auf blühende oder von Bienen beflogene Pflanzen ausgebracht werden; dies gilt auch für Unkräuter. Die Bienenschutzverordnung vom 22. Juli 1992, BGBl. I S. 1410 ist zu beachten.“18 Diese Gefahrenstufe soll den direkten Kontakt der Bienen mit dem PSM verhindern. Es muss für diese Einstufung bekannt sein, dass der indirekte Kontakt kein Risiko für die Bienenvölker darstellt . 16 Quelle: https://www.gesetze-im-internet.de/bienschv_1992/BienSchV_1992.pdf. 17 Quelle: https://www.bvl.bund.de/DE/Arbeitsbereiche/04_Pflanzenschutzmittel/01_Aufgaben/09_GesundheitNaturhaushalt /02_SchutzNaturhaushalt/02_Bienenschutz/Bienenschutz_node.html. 18 Ebd. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 – 3000 – 032/21 Seite 9 Gefahrenschutzstufe B3: geringe Exposition „Aufgrund der durch die Zulassung festgelegten Anwendungen des Mittels werden Bienen nicht gefährdet (NB663).“19 In diese Gefahrenstufe fallen PSM, die für Bienen z.B. aufgrund der angewandten Technik (z.B. Saatgutbehandlungsmittel, Wühlmausköder) in der Praxis keine oder eine geringe Gefährdung bedeuten. Gefahrenschutzstufe B4: nicht bienengefährlich „Das Mittel wird bis zu der höchsten durch die Zulassung festgelegten Aufwandmenge oder Anwendungskonzentration , falls eine Aufwandmenge nicht vorgesehen ist, als nicht bienengefährlich eingestuft (NB6641).“20 Derartige PSM dürfen Bienen und Bienenvölker in zugelassener Aufwandmenge auch bei direktem Kontakt während der Anwendung nicht gefährden. „Die meisten als nicht bienengefährlich eingestuften Pflanzenschutzmittel haben in Laborversuchen, selbst in hohen praxisüblichen Dosierungen , keine schädigende Wirkung auf Honigbienen und können nach einer Risikoabschätzung als nicht bienengefährlich eingestuft werden. B4-Insektizide und andere Pflanzenschutzmittel , bei denen ein Risiko für Bienenvölker durch die Anwendung in blühenden Kulturen aufgrund von Laborversuchen grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden kann, müssen vor der Zulassung in umfangreichen Praxisversuchen geprüft werden.“21 3.4. Gefahren für andere Bestäuber Neben Bienen existieren eine Reihe weiterer Lebewesen, die für die Bestäubung von Pflanzen eine wichtige Rolle spielen, beispielsweise Fliegen, Mücken, Schmetterlinge, Käfer, Ameisen, Spinnen, Wespen, Hummeln etc. Tatsächlich können potenziell sämtliche Insekten, die auf Feldern leben, zur Bestäubung von Pflanzen auf dem Acker beitragen, so dass eine Einschränkung auf Gefahren für „Bestäuberinsekten“ im Allgemeinen eine weitreichende Bezeichnung darstellt. Insektizide können sich zwar als ungefährlich für Bienen erweisen, allerdings eine Gefahr für andere Lebewesen, die die Pflanzen besuchen (und bestäuben), bedeuten. Honigbienen werden gerne als Modellorganismus herangezogen, wenn es darum geht, Effekte von Pestiziden auf Bestäubergemeinschaften zu untersuchen. Diese Ergebnisse sind allerdings nicht geeignet, um Auswirkungen auf andere Bestäuber, auch auf andere Bienenarten, stellvertretend zeigen zu können. 19 Ebd. 20 Ebd. 21 Quelle: https://bienenuntersuchung.julius-kuehn.de/index.php?menuid=84. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 – 3000 – 032/21 Seite 10 Desneux et al. stellt in einer wissenschaftlichen Arbeit bereits 200722 hierzu fest: Bei Honigbienen können Pestizide die soziale Organisation beeinträchtigen (Verringerung der Nahrungsaufnahme oder Verringerung der Arbeiterinnen-/Brutpopulation), aber diese Auswirkungen können kompensiert werden, da die Königin sich nicht an der Futtersuche beteiligt und weniger wahrscheinlich exponiert ist als die Arbeiterinnen. Im Gegensatz dazu, muss bei anderen sozialen Bestäubern wie Hummeln die Königin im Frühjahr Nahrung finden, um die Kolonie zu gründen. In diesem Fall können die potenziellen negativen Effekte von Pestiziden die Koloniegründung erheblich beeinträchtigen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass soziale Bestäuber, die keine mehrjährige Kolonie und keine sozialen Bestäuber haben, mit größerer Wahrscheinlichkeit unter der Insektizidbelastung leiden.23 Andere Bestäuberarten können sensitiver als die Honigbiene auf Pflanzenschutzmittel reagieren. Daraus folgt, dass bienenungefährliche Mittel, die in die Blüte appliziert werden, für andere Bestäuber eine Gefahr bedeuten könnten. Daher hat das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) im Jahr 2012 eine zusätzliche Kennzeichnungsauflage eingeführt24: NN410: "Das Mittel wird als schädigend für Populationen von Bestäuberinsekten eingestuft. Anwendungen des Mittels in die Blüte sollten vermieden werden oder insbesondere zum Schutz von Wildbienen in den Abendstunden erfolgen." Es handelt sich hierbei um eine nicht bußgeldbewehrte Kennzeichnungsauflage. Anwendungen des Mittels in die Blüte sollten vermieden werden.25 4. Pflanzenschutzmittel verschiedener Kennzeichnungen Aus der Perspektive des Pflanzenschutzmittelrechts sind für den Aspekt des Insektenschutzes im landwirtschaftlichen Sektor die folgenden Bezeichnungen von zentraler Bedeutung: (1) bienengefährlich B1-B3, (2) bestäubergefährlich NN410. 22 Desneux, N., Decourtye, A. & Delpuech, J.-M. 2007. The sublethal effects of pesticides on beneficial arthropods. Annu. Rev. Entomol., 52: 81-106. 23 Übersetzung durch den Autor der Arbeit; Originalzitat: „In honey bees, pesticides may affect social organization (reduction of food uptake or reduction of worker/brood population), but these effects may be compensated for because the queen does not take part in foraging and is probably less likely to be exposed than workers. In contrast , in other social pollinators such as bumble bees, the queen must find food during spring in order to found the colony. In this case, the potential negative effects of pesticides may substantially affect colony establishment . In summary, social pollinators having no perennial colony and no social pollinators are more likely to suffer from insecticide exposure.“ 24 Quelle: https://www.bvl.bund.de/SharedDocs/Fachmeldungen/04_pflanzenschutzmittel/2012/Bestaeuberinsekten .html. 25 Ebd. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 – 3000 – 032/21 Seite 11 Die Benennung von Substanzen der Stufe „bienengefährlich B1-B3“ und „bestäubergefährlich NN410“ ist unproblematisch, da die Pflanzenschutzmittel laut Bienenschutzverordnung entsprechend gekennzeichnet sind. Diese sind im Verzeichnis zugelassener Pflanzenschutzmittel beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit recherchierbar.26 Auch eine tabellarische Übersicht stellt das BVL bereit, allerdings ohne Information zur Bienengefährlichkeit. Für diese Information muss in der angegebenen Datenbank jede Substanz einzeln aufgerufen werden . Eine Übersicht aller nationalen Datenbanken zugelassener Pflanzenschutzmittel in Europa findet sich auf den Internetseiten der „European and Mediterranean Plant Protection Organization “ (EPPO).27 Die im Entwurf des „Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes“ benannte Produktgruppe 18 im Anhang V der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 umfasst hingegen Insektizide, Akarizide und Produkte gegen andere Arthropoden. Auch diese Angabe findet sich in den Datenblättern des BVL. So wird das Pflanzenschutzmittel SINDOXA beispielsweise als „B1 bienengefährlich “ eingestuft und als Wirkungsbereich „Insektizid“ angegeben. Allerdings werden vom BVL Angaben „zur Produktart 18 von Biozidprodukten (Insektizide, Akarizide und Produkte gegen andere Arthropoden)“ keine näheren Informationen gegeben, da die Zulassung in den Zuständigkeitsbereich der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin fällt (nicht-landwirtschaftlicher Sektor) und wird im Folgenden nicht weiter untersucht. Nach Angaben des BVL werden die nachfolgend benannten Kennzeichnungen zur Unterscheidung verschiedenen Kategorien der Bienengefährlichkeit benutzt: NB506 Eine Anwendung weiterer als bienengefährlich eingestufter Pflanzenschutzmittel (B1 oder B2) auf der gleichen Fläche ist nur nach einer Mindestwartezeit von 7 Tagen nach der letzten Ausbringung dieses Pflanzenschutzmittels zulässig. NB6611 Das Mittel wird als bienengefährlich eingestuft (B1). Es darf nicht auf blühende oder von Bienen beflogene Pflanzen ausgebracht werden; dies gilt auch für Unkräuter . Bienenschutzverordnung vom 22. Juli 1992, BGBl. I S. 1410, beachten. NB6612 Das Mittel darf an blühenden Pflanzen und an Pflanzen, die von Bienen beflogen werden, nicht in Mischung mit Fungiziden aus der Gruppe der Ergosterol-Biosynthese -Hemmer angewendet werden. Mischungen des Mittels mit Ergosterol-Biosynthese -Hemmern müssen so angewendet werden, dass blühende Pflanzen nicht mitgetroffen werden. Bienenschutzverordnung vom 22. Juli 1992, BGBl. I S. 1410, beachten. NB6621 Das Mittel wird als bienengefährlich, außer bei Anwendung nach dem Ende des täglichen Bienenfluges in dem zu behandelnden Bestand bis 23.00 Uhr, eingestuft (B2). Es darf außerhalb dieses Zeitraums nicht auf blühende oder von Bienen beflogene Pflanzen ausgebracht werden; dies gilt auch für Unkräuter. Bienenschutzverordnung vom 22. Juli 1992, BGBl. I S. 1410, beachten. 26 Quelle: https://apps2.bvl.bund.de/psm/jsp/index.jsp?modul=form. 27 Quelle: https://www.eppo.int/ACTIVITIES/plant_protection_products/registered_products. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 – 3000 – 032/21 Seite 12 NB6623 Das Mittel darf in Mischung mit Fungiziden aus der Gruppe der Ergosterol-Biosynthese -Hemmer an blühenden Pflanzen und an Pflanzen, die von Bienen beflogen werden, nur abends nach dem täglichen Bienenflug bis 23:00 Uhr angewendet werden, es sei denn, die Anwendung dieser Mischung an blühenden Pflanzen und an Pflanzen, die von Bienen beflogen werden, ist ausweislich der Gebrauchsanleitung des Fungizids auch während des Bienenfluges ausdrücklich erlaubt. Bienenschutzverordnung vom 22. Juli 1992, BGBl.I S 1410, beachten. NB663 Aufgrund der durch die Zulassung festgelegten Anwendungen des Mittels werden Bienen nicht gefährdet (B3). NB6641 Das Mittel wird bis zu der höchsten durch die Zulassung festgelegten Aufwandmenge oder Anwendungskonzentration, falls eine Aufwandmenge nicht vorgesehen ist, als nicht bienengefährlich eingestuft (B4). NB6644 Die Anwendung in Mischung mit einem als nicht bienengefährlich eingestuften Insektizid aus der Gruppe der Pyrethroide ist auch während des Bienenfluges an blühenden Pflanzen und an Pflanzen, die von Bienen beflogen werden, erlaubt. NB6645 Das Mittel darf in Mischung mit einem als nicht bienengefährlich eingestuften Insektizid aus der Gruppe der Neonikotinoide an blühenden Pflanzen und an Pflanzen , die von Bienen beflogen werden, angewendet werden, sofern dies ausweislich der Gebrauchsanleitung des Insektizids erlaubt ist. Unter den derzeit in Deutschland zugelassenen Pflanzenschutzmitteln (1784) fallen insgesamt in die Kategorie NB506: 3 Pflanzenschutzmittel NB6612: 3 Pflanzenschutzmittel NB6621: 12 Pflanzenschutzmittel NB6623: 21 Pflanzenschutzmittel NB663: 242 Pflanzenschutzmittel NB6641: 1467 Pflanzenschutzmittel NB6644: 26 Pflanzenschutzmittel NB6645: 27 Pflanzenschutzmittel Pflanzenschutzmittel, wobei für verschiedene Mittel mehrere Gefahrenkennzeichnungen genannt werden. In der Anlage findet sich die Excel-Liste aller aktuell zugelassenen Pflanzenschutzmittel Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 – 3000 – 032/21 Seite 13 mit Angaben zum Wirkungsbereich, zur Einstufung der Bienengefährdung sowie zu Anwendungsbestimmungen und Auflagen in kodierter Form.28 Insgesamt 62 zugelassene Pflanzenschutzmittel tragen die Kennzeichnung NN41029 (und die Bienengefährdungsstufe B4) und werden somit als „schädigend für Populationen von Bestäuberinsekten “ eingestuft.30 *** 28 Anlage 1: Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit: Zugelassene Pflanzenschutzmittel mit Angaben zur Einstufung auf Bienengefährlichkeit und zu den Anwendungsbestimmungen und Auflagen (Stand: 3. März 2021). 29 „Das Mittel wird als schädigend für Populationen von Bestäuberinsekten eingestuft. Anwendungen des Mittels in die Blüte sollten vermieden werden oder insbesondere zum Schutz von Wildbienen in den Abendstunden erfolgen.“ 30 Vgl. Anlage 2: NN410 gekennzeichnete zugelassene Pflanzenschutzmittel (3. März 2021). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 – 3000 – 032/21 Seite 14 Anlagen: Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit: Zugelassene Pflanzenschutzmittel mit Angaben zur Einstufung auf Bienengefährlichkeit und zu den Anwendungsbestimmungen und Auflagen (Stand: 3. März 2021). Anlage 1 Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit: NN410 gekennzeichnete zugelassene Pflanzenschutzmittel (3. März 2021). Anlage 2