© 2021 Deutscher Bundestag WD 8 - 3000 - 026/21 Frühkindliche Sprachförderung in Europa Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 026/21 Seite 2 Frühkindliche Sprachförderung in Europa Aktenzeichen: WD 8 - 3000 - 026/21 Abschluss der Arbeit: 19. April 2021 Fachbereich: WD 8: Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 026/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Frühkindliche Sprachförderung in Europa 4 3. Teilweiser Unterricht in den zu Hause gesprochen Sprachen 7 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 026/21 Seite 4 1. Einleitung Die nachfolgende Dokumentation beruht auf einem Auszug des Berichtes „Schlüsselzahlen zur frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung in Europa - Ausgabe 2019. Eurydice-Bericht“, der im Jahr 2019 vom Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union publiziert wurde. Die Dokumentation beschreibt die unterschiedlichen Ansätze und Maßnahmen der Sprachförderung in den europäischen Staaten im Rahmen der frühkindlichen Erziehung. Der Text wurde leicht gekürzt und mit einigen zusätzlichen Erläuterungen, die zum besseren Verständnis beitragen sollen , versehen.1 2. Frühkindliche Sprachförderung in Europa „Die Fähigkeit, wirksam zu kommunizieren, ist für den erfolgreichen Bildungsabschluss von Kindern entscheidend. Sprache und Kommunikation ist daher einer der wichtigsten Lern- und Entwicklungsbereiche für Kinder, der in den pädagogischen Leitlinien zur frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung (FBBE) behandelt wird. In den meisten europäischen Ländern gibt es zudem Empfehlungen der obersten Ebene für die Sprachförderung, um die sprachliche Entwicklung der einzelnen Kinder zu verbessern. In Abbildung D11 auf Seite 5 werden die beiden wichtigsten Ansätze für die Sprachförderung dargestellt. Sie wird Kindern angeboten, die a) zusätzlichen Förderbedarf beim Sprechen, der Sprache und Kommunikation in der Unterrichtssprache haben, unabhängig von der zu Hause gesprochenen Sprache, b) zu Hause eine (mehrere) andere Sprache(n) sprechen und ihre Fertigkeiten in der Unterrichtssprache verbessern müssen. Die meisten in den Leitlinien der obersten Ebene genannten Sprachfördermaßnahmen fallen unter die erste Kategorie, wobei viele Länder den FBBE-Einrichtungen empfehlen bzw. diese dazu auffordern, diesem zusätzlichen Bedarf durch das Angebot von Sprachtherapie oder anderen Formen von Unterstützung durch Spezialisten auf individueller Basis gerecht zu werden. In Portugal2 kann die Sprachtherapie im Rahmen des nationalen Systems zur Frühintervention angeboten werden. Sie zielt auf Kinder im Alter von 0 bis 6 Jahren, die dem Risiko schlechter Bildungsergebnisse ausgesetzt sind und zusätzliche Unterstützung benötigen, um ihr vollständiges Potential auszuschöpfen. Im Vereinigten Königreich (Wales und Nordirland) wird die Sprachförderung im Rahmen der Programme Flying Start (Wales) und Sure Start (Nordirland) für Kinder unter drei Jahren angeboten und ist speziell auf benachteiligte Kinder ausgerichtet. In Wales können die Sprachtherapeuten Mitglieder des Teams von Flying Start in den lokalen Behörden sein, wenn es einen zusätzlichen Bedarf im Bereich Sprechen, Sprache und Kommunikation gibt. Im Vereinigten Königreich 1 Europäische Kommission/EACEA/Eurydice (2019). Schlüsselzahlen zur frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung in Europa – Ausgabe 2019. Eurydice-Bericht. Luxemburg: Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union. https://op.europa.eu/en/publication-detail/-/publication/5816a817-b72a-11e9-9d01- 01aa75ed71a1/language-de/format-PDF (Seite 113ff.) 2 Hervorhebungen der Staaten durch den Verfasser. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 026/21 Seite 5 (Schottland) wird die zusätzliche Förderung im Bereich Lernen, Sprache und Sprachverzögerung in den pädagogischen Leitlinien der obersten Ebene als ein Bereich definiert, der Kindern einen Anspruch auf zusätzliche Förderung gewährt. Andere Maßnahmen, die sich mit den Sprech-, Sprach- und Kommunikationsanforderungen in der Unterrichtssprache befassen, können Fördermaßnahmen in Kleingruppen oder individualisierte Lernprogramme sein. In Frankreich beispielsweise wird für Kinder mit Schwierigkeiten beim Spracherwerb in der Vorschule Unterstützung von Lehrkräften im Vorschulbereich außerhalb des Kernstundenplans in kleinen Gruppen angeboten, in denen gespielt oder die Schriftsprache entdeckt wird. In Lettland wird der Förderbedarf von Kindern mit Entwicklungsverzögerungen beim Spracherwerb in der zu Hause gesprochenen Sprache durch ein angepasstes Vorbereitungsprogramm für die Primarschule gedeckt, das in den beiden letzten Jahren der FBBE durchgeführt wird. Der zweite Ansatz zur Bereitstellung von Sprachförderung, d. h. für Kinder, für die die Unterrichtssprache nicht die zu Hause gesprochene Sprache ist, wird in etwa der Hälfte der Bildungssysteme umgesetzt. Zu den von den obersten Bildungsbehörden empfohlenen Maßnahmen zählen Vorbereitungsklassen (z. B. in Belgien - Französische Gemeinschaft), der Unterricht in der Unterrichtssprache als Zweitsprache in zusätzlichen Klassen (z. B. Liechtenstein und Portugal) und die Verwendung spezieller Beurteilungsinstrumente. In Österreich beispielsweise hat die Bundesregierung im Rahmen einer verstärkten Ausrichtung auf früh erworbene Sprachkenntnisse seit 2005 spezifische Instrumente für die Sprachbeurteilung in den Kindergärten eingeführt. Durch die Beurteilung der Deutschkenntnisse (Sprachstandsfeststellung ) wird ein potentieller Sprachförderbedarf bei allen Kindern15 Monate vor Eintritt in die Primarschule ermittelt, um sicherzustellen, dass die Kinder entsprechende Unterstützung erhalten. Nach der neuen Vereinbarung von 2018-2022 zur Vorschulbildung zwischen der Bundesregierung und den Bundesländern wird ab dem Schuljahr 2019/2020 landesweit ein neues standardisiertes Instrument zur Sprachbeurteilung eingesetzt.3 3 Ebenda: Seite 113. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 026/21 Seite 6 Beide Ansätze können auch in umfassende Programme für die Sprachförderung eingebunden werden. In Deutschland gibt es ein Bundesprogramm (Sprach-Kitas – FBBE-Zentren zur Förderung der Sprachentwicklung von Kindern, 2016- 2019)4, durch das die Sprachkenntnisse der Kinder in der Unterrichtssprache verbessert werden sollen. Derzeit haben bis zu 3500 FBBE-Zentren Zugang zu einem speziellen Koordinator, der das Team der FBBE dabei unterstützt, die Spracherziehung in die tägliche pädagogische Praxis zu integrieren. Die teilnehmenden FBBE-Zentren erhalten zudem professionelle Beratung durch externe Unterstützungssysteme wie die Fachberatung. Ein Bestandteil des Programms ist auch die Zusammenarbeit mit den Eltern und die Arbeit mit geflüchteten Kindern, die ihr Heimatland verlassen mussten. Wenngleich viele europäische Länder angeben, dass Sprachförderung für den gesamten Zeitraum der FBBE zur Verfügung stehen sollte, nennen einige Länder ausdrücklich Kinder im Alter über drei Jahren als Zielgruppe (z. B. Belgien - Flämische Gemeinschaft, Griechenland, Frankreich, Italien, Ungarn, Polen und Rumänien). Für keine Altersgruppe ist eine zusätzliche Sprachförderung von den obersten Behörden in Irland, Kroatien, Zypern, Albanien, Island und der Türkei vorgesehen. In verschiedenen anderen Ländern wird die Sprachförderung von Kindern, bei denen die Unterrichtssprache nicht die zu Hause gesprochene Sprache ist, nicht festgelegt. Die Einrichtungen in diesen Ländern können jedoch auf der Grundlage von Entscheidungen auf der Ebene der Einrichtung oder der Kommune eine Sprachförderung anbieten. Beispiel: In Belgien (Flämische Gemeinschaft) sieht der pädagogische Rahmen für die Kinderbetreuung (unter Dreijährige ) vor, dass sich die Fachkräfte in einer Sprache an die Kinder wenden sollen, die ihrem Entwicklungsstand angemessen ist, die jedoch gleichzeitig fördernd sein und Rücksicht auf die zu Hause gesprochene Sprache des Kindes nehmen soll, obwohl keine spezielle zusätzliche Förderung genannt wird. In Litauen findet sich in den Vorschriften und Empfehlungen der obersten Ebene keine Förderung von Kindern, die zu Hause eine andere Sprache sprechen. Die Einrichtungen haben jedoch einen eigenen Lehrplan auszuarbeiten, der auch Sprachförderung umfassen kann. Im Vereinigten Königreich (England) wird im gesetzlichen Rahmen für „Early Years Foundation Stage“ (2017) Folgendes festgelegt: Bei Kindern, deren zu Hause gesprochene Sprache nicht Englisch ist, müssen die Anbieter auch dafür sorgen, dass diese Kinder ausreichend Möglichkeit er- 4 „Mit dem Bundesprogramm ‚Sprach-Kitas: Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist‘ fördert das BMFSFJ seit 2016 die sprachliche Bildung als Teil der Qualitätsentwicklung in der Kindertagesbetreuung. Das Bundesprogramm richtet sich vorwiegend an Kitas, die von einem überdurchschnittlich hohen Anteil von Kindern mit sprachlichem Förderbedarf besucht werden. Das Programm verbindet drei inhaltliche Schwerpunkte: alltagsintegrierte sprachliche Bildung, inklusive Pädagogik und die Zusammenarbeit mit Familien. Für jede Sprach-Kita stellt das Programm eine zusätzliche Fachkraft zur Verfügung. Die zusätzlichen Fachkräfte werden im Verbund von einer externen Fachberatung begleitet. Bundesweit ist etwa jede 10. Kita eine Sprach-Kita. Davon profitieren fast 500.000 Kinder und ihre Familien.“ Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2021). Bundesprogramm „Sprach-Kitas: Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist“. https://sprach-kitas.fruehe-chancen.de/programm/ueber-das-programm/ Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 026/21 Seite 7 halten, in der EYFS die englische Sprache zu erlernen und einen guten Kenntnisstand zu erreichen . Es ist sicherzustellen, dass diese Kinder von den Chancen profitieren können, die ihnen ab dem ersten Schuljahr zur Verfügung stehen. Im Vereinigten Königreich (Schottland) wird anerkannt, dass Kinder, die zwei oder mehrere Sprachen lernen, hierdurch nicht notwendigerweise benachteiligt sind. Die Förderung erfolgt bedarfsorientiert , um individuelle Lernhindernisse zu beseitigen und den Erfolg aller Kinder zu unterstützen . In Island wird die Sprachförderung in Vorschulen nicht ausdrücklich in den Rechtsvorschriften genannt. Es ist jedoch üblich, dass Vorschulen und/oder Kommunen ihre eigene Politik zur Aufnahme und Unterstützung von Kindern mit Isländisch als Zweitsprache gestalten.“5 3. Teilweiser Unterricht in den zu Hause gesprochen Sprachen Der Eurydice-Bericht dokumentiert das Bestreben einiger Staaten, nicht nur die offizielle Amtssprache , sondern auch die zu Hause gesprochenen Sprache sowie teilweise auch Regional- und Minderheitensprachen eines Landes zu fördern. „Die UNESCO befürwortet den Unterricht in der zu Hause gesprochenen Sprache (Muttersprache ) im Elementar- und Primarbereich seit 1953.6 Die Offenheit und Wertschätzung für die zu Hause gesprochene Sprache aller Kinder ist Teil der Empfehlungen für die Mitgliedstaaten im Rahmen der Empfehlungen des Rates zu hochwertiger frühkindlicher Betreuung, Bildung und Erziehung.7 Dennoch wird in der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung der Unterricht in der zu Hause gesprochenen Sprache nur in einer Minderheit der Bildungssysteme von den obersten Bildungsbehörden empfohlen. Unterricht in der zu Hause gesprochenen Sprache bezeichnet Maßnahmen zur Verbesserung der Kenntnisse in der von den Kindern zu Hause gesprochenen Sprache, wenn es sich hierbei nicht um die überwiegend in der FBBE-Einrichtung und Schule gesprochene Hauptsprache handelt. Es werden zwei unterschiedliche Formen der Sprachförderung angeboten: a) Förderung der Regional- oder Minderheitensprachen und b) Förderung der von Kindern mit Migrationshintergrund gesprochenen Sprachen (siehe Abbildung D12 auf Seite 9). Im ersten Fall wird der Unterricht in der zu Hause gesprochenen Sprache in den Regional- oder Minderheitensprachen des Landes angeboten. Ziel ist hierbei die Förderung der kulturellen Iden- 5 Europäische Kommission/EACEA/Eurydice 2019, Seite 114. 6 Siehe: https://unesdoc.unesco.org/ark:/48223/pf0000212270 7 Empfehlung des Rates vom 22. Mai 2019 zu hochwertiger frühkindlicher Betreuung, Bildung und Erziehung (ABl. C 189 vom 5.6.2019). EUR-Lex - 32019H0605(01) - EN - EUR-Lex (europa.eu) Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 026/21 Seite 8 tität dieser ethnischen oder nationalen Minderheiten. Diese Art der Förderung findet sich in verschiedenen mittel- und osteuropäischen Ländern (Tschechien, Estland, Kroatien, Ungarn, Österreich , Polen, Slowenien, Rumänien und Montenegro) sowie im Vereinigten Königreich (Wales und Nordirland). Beispiel: Das estnische Ministerium für Bildung und Forschung stellt Finanzmittel für Sonntagsschulen bereit, die Sprachunterricht in 17 unterschiedlichen Sprachen der ethnischen Minderheiten für Kinder im Alter von 3 bis 18 Jahren anbieten. In Polen sind die Schulleiter öffentlicher Einrichtungen auf Antrag der Eltern verpflichtet, Sprachunterricht in den Sprachen der nationalen oder ethnischen Minderheiten (z. B. Litauisch, Deutsch, Belarussisch, Ukrainisch und Kaschubisch) für Kinder im Alter von über drei Jahren zu organisieren. Slowenien bietet zweisprachige Einrichtungen in den Gebieten, die von italienischen und ungarischen Minderheiten bewohnt werden. In dem Gebiet, in dem die italienische Minderheit lebt, wird die frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung entweder in Einrichtungen angeboten, in denen die Unterrichtssprache Slowenisch ist, und die Kinder erlernen Italienisch als Zweitsprache oder umgekehrt in Einrichtungen mit der Unterrichtssprache Italienisch und der Zweitsprache Slowenisch. In den Gebieten, in denen die ungarische Minderheit lebt, wird der Unterricht in Slowenisch und Ungarisch angeboten. Die Bildungsbehörden haben eine Ergänzung zum Lehrplan für den Unterricht in ethnisch gemischten Gebieten herausgegeben. Zweisprachige Einrichtungen haben Anspruch auf zusätzliche Finanzmittel für spezielle Weiterbildungen. Zudem können diese Einrichtungen von weiteren Vorteilen profitieren wie geringeren Gruppenstärken, zusätzlichem Personal oder ein höheres Bildungsniveau des Personals. Im Vereinigten Königreich (Wales) sind einige FBBE-Einrichtungen Walisischsprachig. In Einrichtungen , in denen Englisch die Hauptunterrichtssprache ist, werden die Walisischkenntnisse der Kinder ab einem Alter von drei Jahren im Rahmen des Welsh Language Development Area of Learning des Bildungsprogramms der Foundation Phase entwickelt. Im Vereinigten Königreich (Nordirland) können Kinder irischsprachige Vorschuleinrichtungen besuchen. Montenegro verfügt in bestimmten Gebieten über Vorschulangebote in albanischer Sprache. Des Weiteren werden Romanes sprechende Fachkräfte beschäftigt, um die Sprachentwicklung der Roma-Kinder zu fördern. Die zweite Form des Angebots in der zu Hause gesprochen Sprache ist auf die Sprachen von Kindern mit Migrationshintergrund ausgerichtet. In Spanien, Portugal und der Schweiz wird der Unterricht in der zu Hause gesprochenen Sprache für die Sprachen angeboten, für die Vereinbarungen mit den Herkunftsländern oder mit den Gemeinschaften der Einwanderer bestehen. In Spanien und Portugal wurden die genannten bilateralen Vereinbarungen im Rahmen der Richtlinie des Rates von 1977 getroffen. Spanien hat bilaterale Vereinbarungen mit verschiedenen Ländern wie beispielsweise Portugal8 abgeschlossen, um die Kenntnisse der jeweiligen Sprache von 8 Siehe: https://www.educacionyfp.gob.es/educacion/mc/bilinguismo/lc-portuguesa.html Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 026/21 Seite 9 Schülern aus diesen Ländern zu fördern und so ihre Identität und Kultur zu bewahren. Die Autonome Gemeinschaft Extremadura9 beispielsweise führt das Programm für die portugiesische Sprache und Kultur in den FBBE Einrichtungen und Primarschulen durch. Das Programm ist Bestandteil aller Schulaktivitäten. Weitere Aktivitäten umfassen Schüleraustausche, Studienaufenthalte , Kulturwochen, usw.10 Portugal hat eine bilaterale Vereinbarung mit Rumänien zum Angebot von Unterricht in der rumänischen Sprache und Kultur für Kinder mit rumänischem Hintergrund im Alter ab drei Jahren getroffen. Ziel ist dabei die Entwicklung der Identität und des kulturellen Bewusstseins. Dieser Unterricht steht allen Kindern offen. In der Schweiz unterstützen die Kantone für Kinder mit Migrationshintergrund Kurse in den zu Hause gesprochenen Sprachen und der Kultur, die von den Herkunftsländern und den verschiedenen sprachlichen Gemeinschaften angeboten werden. In sechs Bildungssystemen sehen die Vorschriften und Empfehlungen der obersten Ebene den Unterricht in der zu Hause gesprochenen Sprache für alle Kinder mit Migrationshintergrund unabhängig von ihrer Herkunft vor. Dieser Ansatz findet sich in Belgien (Französische Gemeinschaft ), Luxemburg, Slowenien und drei nordischen Ländern (Finnland, Schweden und Norwegen ). 9 Siehe: http://www.educarex.es/pub/cont/com/0004/documentos/Ins_24_2013.pdf 10 Europäische Kommission/EACEA/Eurydice 2019, Seite 115. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 026/21 Seite 10 In einigen Fällen werden beide Ansätze für den Unterricht in der zu Hause gesprochenen Sprache unterstützt, d. h. es wird ein Förderrahmen für die Sprachen von Kindern mit Migrationshintergrund angeboten und es werden zusätzliche Finanzmittel für bestimmte Minderheitensprachen bereitgestellt. In Schweden beispielsweise sieht das Bildungsgesetz vor, dass die Vorschulen einen Beitrag dazu leisten, den Kindern, die zu Hause nicht Schwedisch sprechen, die Möglichkeit zu geben, sowohl die schwedische Sprache als auch ihre zu Hause gesprochene Sprache zu entwickeln.11 Zudem gelten in sogenannten „Verwaltungsbereichen“ (förvaltningsområden) besondere Minderheitenrechte für Samisch, Finnisch und Meänkieli. Dadurch haben Einzelpersonen das Recht, Samisch , Finnisch oder Meänkieli beim Umgang mit Behörden zu sprechen und die Vorschule ganz 11 Am 1. Juli 2009 trat in Schweden das Sprachgesetz in Kraft. Laut den Bestimmungen des Gesetzes sollte Schwedisch die Hauptsprache in Schweden sein. Finnisch, Jiddisch, Meänkieli, Romani Chib und Sami wurden als nationale Minderheitssprachen festgelegt. Außerdem wurde die Verantwortung für den Schutz und die Förderung der schwedischen Gebärdensprache betont. Vergleiche dazu: Kowal, Iwona (2013). Die Sprachsituation in Schweden. Linguistica Silesiana 34, 2013, S. 80. https://ruj.uj.edu.pl/xmlui/bitstream/handle/item/9437/kowal_die_sprachsituation_in_schweden_2013.pdf?sequence =1&isAllowed=y Siehe auch: http://www.riksdagen.se/sv/dokument-lagar/dokument/svensk-forfattningssamling/skollag- 2010800_sfs-2010-800#K8 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 026/21 Seite 11 oder teilweise in der Minderheitensprache abzuschließen. Den Kommunen innerhalb dieser Verwaltungsbereiche werden für die zusätzlichen Kosten staatliche Mittel zugewiesen. Nach den Vorschriften und Empfehlungen der obersten Ebene in den betreffenden Ländern können drei unterschiedliche Ziele des Unterrichts in der zu Hause gesprochenen Sprache für Kinder mit Migrationshintergrund ermittelt werden (siehe Abbildung D13).12 Das erste Ziel ist die Unterstützung von Kindern bei der Verbesserung ihrer Fertigkeiten in der Unterrichtssprache. Kenntnisse in der zu Hause gesprochenen Sprache werden im Allgemeinen als positiv für die kognitiven Fähigkeiten des Lernenden betrachtet, darunter auch die Fähigkeit für den Erwerb und die Beherrschung der Unterrichtssprache. In der Vorschulbildung in Luxemburg (éducation précoce, éducation préscolaire) bietet das Konzept der mehrsprachigen Bildung für Kinder im Alter von 3-6 Jahren ausdrücklich Raum für die zu Hause gesprochene Sprache als Grundlage für das Erlernen neuer Sprachen. Das zweite Ziel liegt in der Förderung der Kenntnisse in der zu Hause gesprochenen Sprache der Kinder und der kulturellen Identität. Dieser Schwerpunkt auf den Unterricht in der zu Hause gesprochenen Sprache zielt letztlich auf die Unterstützung dieser Kinder bei der Entwicklung einer multikulturellen Identität und damit auf die Unterstützung ihrer Integration. Sprachkompetenz in der zu Hause gesprochenen Sprache kann auch als eine Form betrachtet werden, die Vielfalt des sprachlichen Kapitals und den Wert des kulturellen Erbes anzuerkennen. In Belgien (Französische Gemeinschaft) empfiehlt die für die FBBE für Kinder im Alter unter drei Jahren zuständige Behörde in den neuen Leitlinien für die Sprachentwicklung von Kindern von 2018/201913 dem Personal der FBBE, Bücher und Lieder in anderen Sprachen einzusetzen und die Eltern, die kein Französisch sprechen, zu ermuntern, mit ihren Kindern in ihrer zu Hause gesprochenen Sprache zu sprechen. Ziel ist die Förderung der Herkunftskultur und kulturellen Identität, die Wertschätzung aller Sprachen und die Förderung des Erwerbs der Unterrichtssprache . 12 Europäische Kommission/EACEA/Eurydice 2019. Seite 116. 13 Siehe: https://www.one.be/public/brochures/brochuredetail/brochure/brochure-accompagner-le-developpement -du-langage/?L=0&cHash=0c80406ec734a47b1e54bd3a46bc3ada Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 026/21 Seite 12 In dem in Luxemburg im Oktober 2017 eingeführten Bildungsprogramm zur Mehrsprachigkeit für Kinder im Alter von einem Jahr bis vier Jahren in der nichtformalen Bildung (service d'éducation et d'accueil) wird empfohlen, alle Kinder aufzufordern, sich in ihrer eigenen Sprache auszudrücken , um ein starkes Identitätsbewusstsein zu entwickeln. Das dritte Ziel des Unterrichts in der zu Hause gesprochenen Sprache ist die Förderung der Mehrsprachigkeit von allen Lernenden. In Luxemburg wird die Mehrsprachigkeit als ein Wert betrachtet, der dazu eingesetzt werden sollte, den Spracherwerb und die Offenheit gegenüber der Vielfalt zu fördern. In Finnland werden alle an der Schule vertretenen Sprachen wertgeschätzt und verwendet; sie alle gehören zur Schulkultur. Der Lehrplan, in dem Mehrsprachigkeit gefördert wird, zielt darauf ab, das Sprachbewusstsein der Kinder zu entwickeln. In Norwegen soll das Fachpersonal des Kindergartens nach dem Rahmenplan dafür sorgen, dass die sprachliche Vielfalt für alle Kinder eine Bereicherung darstellt, und mehrsprachige Kinder sollen ermutigt werden, ihre zu Hause gesprochene Sprache zu verwenden.“14 *** 14 Europäische Kommission/EACEA/Eurydice 2019, Seite 117.