© 2020 Deutscher Bundestag WD 8 - 3000 - 021/20 Zu Potentialen der Wasserstoffherstellung aus erneuerbaren Energien in Deutschland Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 021/20 Seite 2 Zu Potentialen der Wasserstoffherstellung aus erneuerbaren Energien in Deutschland Aktenzeichen: WD 8 - 3000 - 021/20 Abschluss der Arbeit: 3. April 2020 Fachbereich: WD 8: Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 021/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Potential in Deutschland für Wasserstoff aus erneuerbaren Energien 5 3. Technische Randbedingungen für einen Lastwechselbetrieb 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 021/20 Seite 4 1. Einleitung Für das Erreichen ambitionierter Klimaschutzziele stellt die Nutzung von Wasserstoff eine Schlüsseltechnologie dar. Als „grüner Wasserstoff“ wird dabei Wasserstoff bezeichnet, der mittels Elektrolyse unter Einsatz von erneuerbaren Energien hergestellt wird. Zu unterscheiden sind zunächst drei Arten der Elektrolyse, für die jeweils unterschiedliche technische Rahmenbedingungen gelten: die alkalische Elektrolyse die PEM-Elektrolyse die Hochtemperaturelektrolyse Dabei ist die Hochtemperaturelektrolyse das am wenigsten entwickelte System. Nach Angaben in einer umfragebasierten Studie der NOW GmbH waren mit Stand des Jahres 2018 kaum Komplettsysteme am Markt verfügbar.1 Zu den technischen Grundlagen der verschiedenen Anlagetypen führt eine Studie der Forschungsstelle für Energiewirtschaft aus: „Die alkalische Elektrolyse wird bereits seit über 100 Jahren eingesetzt und gilt als technisch ausgereift und zuverlässig. Es wird ein flüssiger basischer Elektrolyt (20-40 %ige Kalilauge KOH) verwendet. Das basische Milieu erhöht die Leitfähigkeit des Elektrolyten. Die Laugenkonzentration darf jedoch nicht zu hoch sein, da sonst Korrosionsprobleme auftreten. Die Membran ist mikroporös und Anionen leitend (Ladungsträger OH- ). Die Elektroden bestehen aus perforiertem Blech, das für eine große Oberfläche porös gestaltet ist. Bei alkalischen Druckelektrolyseuren wird die Zelle versiegelt. Die Entwicklung der PEM-Elektrolyse begann vor zwei Jahrzehnten. Sie verwendet einen polymeren Festelektrolyten, der protonenleitend ist und gleichzeitig als Diaphragma fungiert. Bei der PEM- Elektrolyse liegt ein saures Milieu vor. Durch den geringen elektrischen Widerstand der Membran können hohe Stromdichten erreicht werden. Gegenüber der alkalischen Elektrolyse ist die PEM-Elektrolyse kompakter und erreicht höhere Strom- und somit Leistungsdichten. Die Hochtemperatur-Elektrolyse befindet sich noch im Stadium der Grundlagenforschung und wird bei Temperaturen zwischen 800 und 1.000 °C betrieben. Als Elektrolyt dient ein Festoxid, die Membran ist O2- -leitfähig.“2 1 NOW GmbH, Industrialisierung der Wasserelektrolyse in Deutschland: Chancen und Herausforderungen für nachhaltigen Wasserstoff für Verkehr, Strom und Wärme, 2018, S. 34, verfügbar unter: https://www.now-gmbh.de/content/service/3-publikationen/1-nip-wasserstoff-und-brennstoffzellentechnologie /indwede-studie_v04.1.pdf (letzter Abruf der Links jeweils 3.4.2020). 2 Anika Regett / Sebastian Eller, Power to Gas (P2G), in: Forschungsstelle für Energiewirtschaft (Hrsg.), 2016, S. 265, 268, Merit Order der Energiespeicherung im Jahr 2030, Teil 2: Technoökonomische Analyse Funktionaler Energiespeicher, verfügbar unter: https://www.ffe.de/images/stories/Themen/414_MOS/20160728_MOS_Speichertechnologien.pdf Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 021/20 Seite 5 Seit einigen Jahren sind PEM-Elektrolyse-Anlagen der Megawattklasse in Betrieb.3 Kommerziell verfügbar sind bereits Anlagen im zweistelligen MW-Bereich. Anlagen mit 100 MW sind in der konkreten Entwicklung und sollen ab 2023 verfügbar sein. Perspektivisch werden ab dem Jahr 2030 Anlagen im Gigawattbereich angestrebt.4 Für die Hochtemperaturelektrolyse werden insbesondere Einsatzszenarien im Umfeld von Industrieanlagen vorausgesehen, da dort Dampf bzw. Hochtemperaturabwärme genutzt werden könnte.5 2. Potential in Deutschland für Wasserstoff aus erneuerbaren Energien Welche Menge an Wasserstoff in Deutschland aus Windkraft oder anderen regenerativen Energien erzeugt werden kann, hängt von zahlreichen Faktoren ab und kann daher nicht pauschaliert angegeben werden. Dazu gehören unter anderem die Menge an verfügbarem Strom aus erneuerbaren Energien, die installierte Elektrolyseleistung und die Effizienz der eingesetzten Systeme. Hinsichtlich der verfügbaren Windstromkapazitäten betrifft eine grundlegende Weichenstellung die Frage, ob lediglich der Strom genutzt werden soll, der als Überangebot nicht für andere Energieverbraucher genutzt werden kann.6 Alternativ könnten eigene Kapazitäten für die Elektrolyse aufgebaut werden. In der Fachdiskussion wird hierzu überwiegend ausgeführt, dass die hohen Investitionskosten für Elektrolyseanlagen für den Aufbau gesonderter Kapazitäten sprächen. Ein wirtschaftlicher Betrieb sei angesichts der hohen Investitionskosten abhängig von einer hohen Auslastung der Anlagen .7 Teilweise werden für die zukünftige Entwicklung Szenarien für möglich gehalten, in denen verstärkt Überschussstrom genutzt werden kann. Durch die Zwischenschaltung einer Batterie könne dabei eine Verstetigung des Betriebs erreicht werden.8 3 Zur einer Anlage in Mainz mit 1,3 MW Dauerleistung und 2 MW Spitzenleistung siehe http://www.bine.info/fileadmin/content/Publikationen/Projekt-Infos/2018/Projekt_05-2018/Projekt Info_0518_internetx.pdf 4 Ilona Dickschas / Tom Smolinka, Wasserelektrolyse an der Schwelle zur großskaligen Industrialisierung, Vortrag 2019, https://www.energietage.de/fileadmin/user_upload/2019/Vortraege/4.02_Smolinka_Dickschas_Wasserelektrolyse .pdf 5 NOW GmbH (Anm. 1), S. 83. 6 Dabei sind prinzipiell zwei Überlastszenarien denkbar: Zum einen ein Überangebot im Gesamtsystem, zum anderen ein regionales Überangebot, das aufgrund beschränkter Netzkapazitäten nicht genutzt werden kann. 7 Agora Verkehrswende/Agora Energiewende (Hrsg.), Die zukünftigen Kosten strombasierter synthetischer Brennstoffe , 2018, S. 16 ff., verfügbar unter: https://www.agora-energiewende.de/fileadmin2/Projekte/2017/Syn- Kost_2050/Agora_SynCost-Studie_WEB.pdf; NOW GmbH (Anm. 1), S. 86. 8 NOW GmbH (Anm. 1), S. 74. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 021/20 Seite 6 Eine Metastudie der Agora Energiewende / Agora Vekehrswende ermittelt für Europa einen Bedarf an Windstrom zur Elektrolysenutzung von ca. 500 GW im Jahr 2050.9 In Szenarien der Studie der NOW GmbH wird von rund 600 GW installierter Leistung von Photovoltaik- und Windkraftanlagen ausgegangen.10 Der Wirkungsgrad von alkalischer und PEM-Elektrolysesystemen bewegt sich derzeit im Bereich von 4,5 bis 5 kWh/Nm³(H2), wobei die alkalische Elektrolyse noch leichte Effizienzvorteile aufweist . Die Hochtemperaturelektrolyse ist mit Werten im Bereich von ca. 3,8 kWh/Nm³(H2) bereits heute effizienter.11 Die bereits erwähnte Studie der NOW GmbH analysiert verschiedene Szenarien für die Wasserstoffnutzung in Deutschland unter anderem mit Blick auf den Bedarf an Elektrolysekapazität in Deutschland. Sie kommt dabei auf Werte zwischen 137 und 275 GW im Jahr 2050.12 Die erforderliche Leistung hängt insbesondere vom prognostizierten Wasserstoffbedarf als auch vom Mix zwischen der Herstellung in Deutschland und dem Import von Wasserstoff ab.13 Dabei ist zu berücksichtigen , dass zum Beispiel hohe verfügbare Vollaststunden an erneuerbaren Energien in bestimmten Regionen der Erde die Produktionskosten möglicherweise erheblich senken können. 3. Technische Randbedingungen für einen Lastwechselbetrieb Die verfügbaren Elektrolyse-Systeme unterscheiden sich erheblich mit Blick auf die technischen Randbedingungen und Auswirkungen, die bei einem Lastwechselbetrieb zu beachten sind. Grundsätzlich wird ein intermittierender Betrieb bei der alkalischen Elektrolyse als erprobt und möglich bezeichnet. Die PEM-Elektrolyse gilt als besonders geeignet.14 Für die Teillastfähigkeit spielen insbesondere die Höhe der Mindestlast, die Startzeiten aus dem kalten bzw. warmen Stand-by-Betrieb und der Energieverbrauch während des Stand-by-Betriebes eine Rolle. 9 Agora Verkehrswende/ Agora Energiewende (Hrsg.), Making the Most of Offshore Wind, 2020, S. 11, verfügbar unter: https://www.agora-energiewende.de/fileadmin2/Projekte/2019/Offshore_Potentials/176_A-EW_A- VW_Offshore-Potentials_Publication_WEB.pdf 10 NOW GmbH (Anm. 1), S. 67 f. 11 NOW GmbH (Anm. 1), S. 35 f. 12 NOW GmbH (Anm. 1), S. 68 f. 13 Zusammenfassend zu Szenarien und Fachdiskussion NOW GmbH (Anm. 1), S. 87. Zur Notwendigkeit des Imports von Wasserstoff vgl. auch die Bundesregierung, Kurzpapier Wasserstoff und Energiewende, November 2019, S. 2, verfügbar unter: https://www.bmbf.de/files/Kurzpapier%20Wasserstoff.pdf 14 Regett/Eller (Anm. 2), S. 283. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 021/20 Seite 7 Die Höhe der Mindestlast wird derzeit bei der PEM-Elektrolyse im Bereich von 0-10 % der Nennleistung angegeben, bei der alkalischen Elektrolyse bei rund 17 -20 % und bei der Hochtemperaturelektrolyse bei rund 20 %. Es wird erwartet, dass bis zum Jahr 2030 noch erhebliche Reduzierungen der Mindestlast möglich sind, insbesondere bei der Hochtemperaturelektrolyse. Zudem kann ein modularer Aufbau von Anlagen die Variabilität des Gesamtsystems merklich erhöhen.15 Ein wichtiger Faktor für die Bestimmung der Mindestlast ist die Reinheit des Produktgases, da Verunreinigungen die Betriebssicherheit gefährden können. Dies wirkt sich insbesondere für die Teillastfähigkeit der alkalischen Elektrolyse aus.16 Die Startzeiten einer Anlage sind von besonderer Bedeutung, wenn diese zur Netzstabilisierung eingesetzt werden soll. Hier ist die PEM-Elektrolyse mit einer Startzeit von weniger als zwei Minuten im Stand-by-Betrieb bzw. rund 10-20 Minuten beim Kaltstart im Vorteil. Besonders lange Startzeiten weist derzeit die Hochtemperaturelektrolyse auf. Es wird allerdings erwartet, dass hier noch erheblicher Fortschritt erzielt werden kann.17 Auch die Leistungsgradienten, also die Veränderung der Leistung pro Zeit, sind bei der PEM-Elektrolyse höher. Die Anlagen können nicht nur in Teillast, sondern in gewissem Rahmen auch unter Überlast betrieben werden. Begrenzt wird ein solcher Überlastbetrieb durch die Gefahr einer höheren Materialabnutzung , die aufgrund höherer Zellspannungen und –stromdichten und der damit zusammenhängenden thermischen Beanspruchung auftreten kann.18 *** 15 NOW GmbH (Anm. 1), S. 37 sowie Anhang A.2 Abbildung A.1, S. 137. 16 Regett/Eller (Anm. 2), S. 282. 17 NOW GmbH (Anm. 1), S. 38 und 138. 18 Regett/Eller (Anm. 2), S. 282; Regett u.a., Power2Gas – Hype oder Schlüssel zur Energiewende?, Energiewirtschaftliche Tagesfragen 2014, Heft 10, S. 79, 80.