© 2021 Deutscher Bundestag WD 8 - 3000 - 016/21 Einzelfragen zu Auswirkungen von Unterwasserlärm auf Schweinswale Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsi chtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 016/21 Seite 2 Einzelfragen zu Auswirkungen von Unterwasserlärm auf Schweinswale Aktenzeichen: WD 8 - 3000 - 016/21 Abschluss der Arbeit: 10. Februar 2021 Fachbereich: WD 8: Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 016/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Zum Einsatz von Blasenschleiern zur Lärmreduzierung 6 2.1. Einsatz von Blasenschleiern beim Bau von Offshore-Anlagen 6 2.2. Beräumung von Munitionsaltlasten 8 3. Wissenschaftliche Studie zur Reaktion des Schweinswals auf den Einsatz von Airguns in der Nordsee 9 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 016/21 Seite 4 1. Einleitung Da zahlreiche Meerestiere, u.a. Wale, Schall verwenden, um miteinander zu kommunizieren, Partner zu suchen, Nahrung aufzufinden, Feinde zu umgehen oder zur Navigation einsetzen, ist es naheliegend, dass Unterwassergeräusche verschiedener Art sich negativ auf ihre Lebensbedingungen auswirken können. Ursachen für Hintergrundbelastungen mit Geräuschen im Meer sind beispielsweise der Schiffsverkehr , der Bau und Betrieb von Offshore-Anlagen, Sprengungen und wissenschaftliche Meereserkundungen . Dabei kann sich Unterwasserschall über große Distanzen ausbreiten. Für die Art der Effekte auf die Tierwelt spielt die Intensität, die Dauer und das Umfeld der Geräusche /Lärmquelle eine Rolle. Ein extremes Schallereignis, wie es bei Sprengungen auftritt, kann zu massiven Verletzungen und letztendlich zum Tod von Tieren führen.1 Hierbei wird eine temporäre (TTS) oder permanente (PTS) Hörschwellenverschiebung erzeugt („Schwerhörigkeit“). Es kommt zu einer Überstimulation der Haarzellen (sowie ihrer unterstützenden Strukturen) im Innenohr. Im Prinzip ist eine TTS reversibel. Allerdings kann es über längere Zeit zu einer neuronalen Rückbildung kommen und damit zur Schwerhörigkeit. Studien an Schweinswalen - der in Deutschland beheimateten Walart - haben ergeben, dass durch einen einzigen Schall-„Schuss“ mit einer Airgun2 eine TTS ausgelöst und hierbei ein Spitzenschalldruck von 194 dB re 1 µPa3 [entspricht einem Luft-Schallpegel von näherungsweise 97 dB re 20 µPa] direkt am Schweinswal gemessen worden ist.4 1 https://www.umweltbundesamt.de/themen/nachhaltigkeit-strategien-internationales/antarktis/das-umweltbundesamt -die-antarktis/unterwasserlaerm#larm-im-wasser-ein-menschgemachtes-problem. 2 Airgun: Bei der Erkundung von Meeresböden werden sog. Airguns eingesetzt. Hierbei handelt es sich um Metallzylinder , „in denen Luft mit hohem Druck komprimiert wird und dann explosionsartig austritt. Hierbei entsteht eine Gasblase, die beim Kollabieren ein sehr kurzes, aber sehr lautes Schallsignal erzeugt. Der größte Teil der von Airguns erzeugten Schallwellen stammt aus dem tiefen Frequenzbereich bis 300 Hz, so dass eine Überschneidung mit Lauten und Gesängen von Walen und Robben wahrscheinlich ist.“ (Quelle: https://www.umweltbundesamt .de/themen/nachhaltigkeit-strategien-internationales/antarktis/das-umweltbundesamt-die-antarktis /unterwasserlaerm/airguns-der-unterschaetzte-stoerfaktor.) 3 Schall breitet sich in unterschiedlichen Medien verschieden schnell aus. Die Schallgeschwindigkeit liegt in trockener Luft bei 20°C bei ca. 330 m/s. In Wasser beträgt die Schallgeschwindigkeit 1500 m/s, ist also um ein Vielfaches schneller. Um die Lautstärke zu beurteilen verwendet man den „Schalldruck“. Dabei liegt in der Luft der Hörbereich bei 20 µPa bis 200 Pa. Der Schalldruckpegel wird hieraus in eine Logarithmische Skala gebracht und gemessen an diesem Hörspektrum berechnet und in dB angegeben. Es ergibt sich ein Schalldruckpegelbereich zwischen 0 und 140 dB (Schmerzschwelle). Im Wasser besteht ein größerer akustischer Widerstand. Infolgedessen ist ein Schallpegel von 140 dB im Wasser kein starker Lärm [http://pub.dega-akustik.de/DAGA_1999- 2008/data/articles/000437.pdf]. Ein Wasserschalldruckpegel von 140 dB bedeutet dann einen Schallpegel von lediglich Luft-43 dB. 4 Ebd. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 016/21 Seite 5 „Für Schweinswale in Deutschland hat das BMUB5 ein Schallschutzkonzept veröffentlicht, das die Empfehlung des UBA6 für ein duales Lärmschutz-Kriteriums übernommen hat: Schweinswale sollen bei Rammarbeiten zu Offshore-Windkraftanlagen keinen Lärmpegeln ausgesetzt werden, die zu einer Beeinträchtigung des Gehörs im Sinne einer TTS führen können. In einer Entfernung von 750 Metern von der Schallquelle dürfen daher für ein Einzelereignis ein Schallexpositionspegel (SEL) von 160 dB [re 1 µPa2sec] und ein Spitzenschalldruckpegel (SPLp-p) von 190 dB [re 1 µPa] nicht überschritten werden, wenn Schäden an Schweinswalen nach derzeitigem Stand des Wissens ausgeschlossen werden sollen.“7 Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) ist zuständig für die Zulassung von Offshore Windparks und Netzanbindungen in der deutschen „Ausschließliche Wirtschaftszone“ (AWZ). Das BSH überwacht unter anderem den Schalleintrag, der bei Offshore-Bauvorhaben durch Rammarbeiten entsteht. Prinzipiell werden zur Schallminimierung bei der Errichtung von Offshore-Anlagen verschiedene Methoden eingesetzt: Blasenschleier (bubble curtain): „ein aus perforierten Schläuchen oder Röhren, die kreisförmig um die Rammstelle am Meeresboden ausgelegt werden, bestehendes System; austretende Luftbildet einen Vorhang aus aufsteigenden Blasen im Wasser, der den Schall reflektiert bzw. dämpft und somit den Lärm reduziert, der nach außen dringt.“8 HSD (Hydro Sound Damper): „luftgefüllte Ballons oder feste Elemente aus Schaumstoff, die in einem Netz um die Rammstelle herum vom Meeresboden bis zur Wasseroberfläche reichend angebracht werden, deren Anzahl und Größe je nach zu dämpfender Schallfrequenz beliebig verändert werden können; funktionieren im Prinzip wie ein Blasenschleier .“9 Kofferdamm: „z. B. ein Stahlzylinder, der während der Rammung über einen Fundamentpfahl gestülpt wird. Der Zwischenraum wird leergepumpt und der entstehende Luftspalt schwächt die Schallausbreitung beim Rammvorgang ab.“10 Bei der Erkundung von Meeresböden hingegen werden mithilfe sog. Airguns Schallereignisse erzeugt , die sich sowohl von Schallbelastungen durch Bauvorhaben als auch durch solche durch Sprengungen unterscheiden. Auch diese können zur Beeinträchtigung bei Meerestieren führen. 5 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit , BMUB, Bezeichnung von 2013 bis 2017. Gegenwärtig: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit . BMU. 6 Umweltbundesamt. 7 https://www.umweltbundesamt.de/themen/nachhaltigkeit-strategien-internationales/antarktis/das-umweltbundesamt -die-antarktis/unterwasserlaerm#larm-im-wasser-ein-menschgemachtes-problem. Siehe hierzu auch: https://www.bfn.de/themen/meeresnaturschutz/belastungen-im-meer/offshore-windkraft/minimierung-der-belastungen -durch-offshore-windparks.html. 8 https://www.bfn.de/themen/meeresnaturschutz/belastungen-im-meer/offshore-windkraft/minimierung-der-belastungen -durch-offshore-windparks.html. 9 Ebd. 10 Ebd. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 016/21 Seite 6 Es kann zu einer kurzfristigen oder dauerhaften Schädigung der Hörfähigkeit kommen. Wale verlassen entweder das betroffene Gebiet (Fluchtverhalten), rufen in einem lauten Umfeld selbst lauter oder verstummen ganz. Allerdings können sie auch abgelenkt werden, was Auswirkungen auf ihre Nahrungssuche oder ihr Verhalten als potenzielles Beutetier haben kann. In einer Studie des Umweltbundesamtes aus dem Jahr 2015 w gezeigt, dass „auch die mögliche Fernwirkung von Unterwasserlärm nicht unterschätzt werden sollte: In dieser Studie wurde die Wirkung von Airgunimpulsen auf Kommunikationsreichweiten von marinen Säugetieren analysiert: Kurze, tieffrequente Schallsignale können sich über große Entfernungen zu einem akustischen Dauersignal verlängern, dass ein hohes Störpotential für Blau- und Finnwale hat. In der Studie wurde die Schallausbreitung von Airgunsignalen für Entfernungen bis zu 2.000 km von der Quelle modelliert. Anschließend wurden die modellierten Störsignale der Airguns mit den Vokalisationen von Finnwal, Blauwal und Weddellrobbe überlagert, um die Distanzen zu berechnen in denen deren Kommunikation potentiell gestört oder verhindert wird. Das Modell demonstriert, dass Airgunsignale eine Fernwirkung bis mindestens 2.000 km haben können, so dass Tiere innerhalb des besonders geschützten Bereiches des Antarktis südlich von 60° S betroffen sein können, selbst wenn Forschungsschiffe nördlich des 60° S Breitengrades arbeiten. Schon in mittleren Entfernungen (500-1.000 km) wird das Airgunsignal zu einem intervallartigem Geräusch gedehnt, dass bereits ein hohes Maskierungspotential hat. In Entfernungen ab 1.000 km dehnen sich Airgunimpulse zu einem kontinuierlichen Geräusch aus, das den natürlichen Kommunikationsraum von Blau- und Finnwalen in der Antarktis bis auf 1 % schrumpfen lassen kann.“11 In der vorliegenden Dokumentation wird zunächst auf die Frage eingegangen, ob in der Vergangenheit trotz des Einsatzes von Blasenschleiern in Zusammenhang mit Sprengungen (Beräumung von Munitionsaltlasten) und Rammarbeiten (Bau von Offshore-Anlagen) nachweislich Schweinswale gestorben sind. Anschließend wird eine Zusammenfassung einer wissenschaftlichen Publikation gegeben, die im Januar 2020 in „Frontiers of Marine Science“ erschienen ist und sich mit der Frage der Auswirkungen von seismischen Airguns auf Schweinswale beschäftigt. 2. Zum Einsatz von Blasenschleiern zur Lärmreduzierung 2.1. Einsatz von Blasenschleiern beim Bau von Offshore-Anlagen Grundsätzlich ist der Einsatz von Blasenschleiern geeignet, um den Schall im Zusammenhang mit der Errichtung von Offshore-Anlagen zu vermindern (Rammschall). Dabei wird der sich in der Wassersäule ausbreitenden Schalldruck reduziert. Laut Informationen des Bundesamtes für 11 https://www.umweltbundesamt.de/themen/nachhaltigkeit-strategien-internationales/antarktis/das-umweltbundesamt -die-antarktis/unterwasserlaerm/airguns-der-unterschaetzte-stoerfaktor. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 016/21 Seite 7 Naturschutz (BfN) kann meist eine Dämpfung unter den für Schweinswale kritischen Wert von 160 dB SEL erzielt werden.12 Auch würden bei Unterwasser-Sprengungen durch den Einsatz eines Blasenschleiers die Wahrscheinlichkeit einer Tötung oder Verletzung von Schweinswalen deutlich gemindert, auch wenn hier der genannte Grenzwert oft erst nach mehreren Kilometern von der Schallquelle entfernt erreicht werde.13 Derzeit sind dem BfN keine dokumentierten Fälle bekannt, in denen es trotz Anwendung eines Blasenschleiers nachweislich zum Tod (oder zu einer Beeinträchtigung) von Schweinswalen gekommen ist. Daraus folge jedoch nicht, dass solche Todesfälle (gänzlich) ausgeschlossen werden könnten. Zum einen sei die kausale Zuordnung von Ursache und Wirkung (Schallereignis und beobachtete Verletzungen) sehr schwierig, teilweise unmöglich. Auch träten die Folgen einer Verletzung möglicherweise nicht unmittelbar auf, sondern erst in größeren zeitlichen Abständen zum Schallereignis. Dies erschwere den Nachweis eines kausalen Zusammenhangs zusätzlich. Hinzu komme außerdem die Tatsache, dass bei der Untersuchung von Todfunden - insbesondere ohne einen speziellen räumlichen und zeitlichen Bezug zu bspw. einer Sprengung - akustische Traumata nicht automatisch erfasst würden.14 Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) (Förderkennzeichen 0325309A/B/C) und das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) (Förderkennzeichen 0325645A/B/C/D) förderten (2012-2015) die Entwicklung, Erprobung und Optimierung von Blasenschleiern zur Minderung der Hydroschallemissionen bei Offshore-Rammarbeiten .15 Im Abschlussbericht zur „Weiterentwicklung und Optimierung des Großen Blasenschleiers im Projekt GT1“ wird hinsichtlich der Auswirkungen auf Schweinswale festgestellt: „Für die Messung der Reaktionen von Schweinswalen auf die Schallimmissionen wurde ein Netz aus bis zu 15 Messstationen, an denen teilweise zeitgleich Hydroschall und Schweinswalaktivitäten gemessen wurde, ausgebracht. So waren Messungen im Windparkgebiet sowie in kurzen und langen Distanzen (1°km bis zu 28 km) um den Windpark herum möglich. Diese Messungen fanden zwischen August 2012 und Februar 2014 statt. Aversive Reaktionen von Schweinswalen konnten bis zur zwölften Stunde nach der Rammung in Distanzen nachgewiesen werden, in denen noch 135-145 dB [re 1 µPa2sec] des SEL05 gemessen wurden . Für lautere Schallklassen über 145 dB [re 1 µPa2sec] waren Effekte auch noch ein bis zwei Tage nach der Rammung nachweisbar. Allerdings unterlagen die Daten einer starken Variabilität, da dieser Bereich der Nordsee zu keiner Jahreszeit hohe Schweinswaldichten aufweist und besonders im Spätsommer und Herbst geringe Abundanzen vorliegen. Eine dauerhafte Vertreibung von Schweinswalen oder eine Reduktion der Schweinswaldichte aufgrund der Rammarbeiten konnte nicht nachgewiesen werden. Durch den Einsatz des Blasenschleiers konnte eine Reduktion der gestörten Fläche zwischen 68% und 79% erreicht 12 Persönliche Auskunft des BfN vom 5.2.2021. 13 Ebd. 14 Ebd. 15 http://hydroschall.de/. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 016/21 Seite 8 werden (bei einer angenommenen Vertreibungswirkung ab 135-145 dB [re 1 µPa2sec] des SEL05). Dies entspricht einer ca. 11-22% geringeren Reduktion als beim Vorgängerprojekt Hydroschall Off BW II (FKZ 0325309ABC), was sowohl mit der leicht verminderten Dämmleistung des GBS bei GTI [große Blasenschleier] als auch mit Schallstärkeunterschieden erster Schweinswalreaktionen zu begründen ist.“16 Laut Auskunft des für die Zulassung von Offshore-Anlagen zuständigen BSH wurden bisher keine Beeinträchtigungen von Schweinswalen in Form von Verletzung oder gar Tötung in Zusammenhang mit dem Bau von Windenergieanlagen oder Plattformen für Umspannstationen oder Konverter festgestellt. Eine Verletzung oder Tötung von Meeressäugern werde durch eine Reihe von Maßnahmen, die vom BSH im Rahmen der Planfeststellungsbeschlüsse angeordnet werden, vermieden. Die wesentliche Maßnahme zum Schutz von Verletzung und Tötung stelle die Festlegung der verbindlich einzuhaltenden Lärmschutzwerte von 160 dB [re 1 µPa2sec] für den Einzelschallereignispegel und 190 dB [re 1 µPa] [entspricht einem Luft-Schallpegel von näherungsweise 97 dB re 20 µPa] für den Spitzenpegel in 750 m Entfernung zu der Rammstelle. Dazu habe die Offshore-Branche wirksame technische Schallminderungssysteme (insbesondere unter Verwendung des Blasenschleiers ) erfolgreich entwickelt und eingesetzt. Vor Beginn der Baumaßnahmen stelle die Vergrämung von Tieren eine weitere Maßnahme zur Vermeidung von Verletzung und Tötung dar. Die Vergrämungssysteme emittierten Warngeräusche, um den Meerestieren Gelegenheit zu geben, sich aus dem Gefährdungsbereich zu entfernen. Bei Beginn der Rammarbeiten sei der so genannten "Soft-Start" bei niedriger Energie mit einer anschließend langsam steigenden Rammenergie vorgeschrieben. Ferner sei die maximale Rammenergie begrenzt, um die Einhaltung der o.a. Grenzwerte sicherzustellen. Die Effektivität dieser Maßnahmen werde für jede Baustelle dokumentiert und vom BSH während der gesamten Bauphase überwacht. Darüber hinaus habe der Betreiber im Rahmen der Überwachung Messungen des Schalleintrags sowie akustische Erfassungen der Schweinswalaktivität in der Umgebung der jeweiligen Rammstelle durchzuführen. So würden bspw. die Rammereignisse mit detaillierten Dokumentation im nationalen Schallregister im BSH gespeichert sowie jährlich an das europäische Schallregister beim Internationalen Rat für Meeresforschung (ICES) gemeldet.17 2.2. Beräumung von Munitionsaltlasten Wie bereits im vorangegangenen Kapitel dargestellt, ist es in Hinblick auf Unterwasser-Lärmquellen teilweise schwer, einen direkten kausalen Zusammenhang zwischen dem Tod von Schweinswalen und der Sprengung herzustellen. Dies liegt unter anderem darin begründet, dass ein Tod infolge von Hörtraumata oder Hörschädigungen zeitlich deutlich verzögert auftreten kann. Da auch Sprengereignisse im Zusammenhang mit der Beräumung von Munitionsaltlasten über das 16 http://hydroschall.de/wp-content/uploads/2016/03/BMWi-FKZ0325645ABCD_Weiterentwicklung-und-Erprobung -des-gro%C3%9Fen-Blasenschleiers.pdf. 17 Persönliche Informationen des BSH vom 5.2.2021. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 016/21 Seite 9 Schallregister des BSH dokumentiert werden, wurde auch in Hinblick auf derartige Sprengungen das BSH angefragt. Dem BSH sind für Maßnahmen im Zusammenhang der Beräumung von Munitionsaltlasten, die Blasenschleier einsetzen, keine Fälle bekannt, in denen Schweinswale getötet wurden.18 Unmittelbar nach der Vergrämung der Meerestiere und vor Durchführung der Sprengung sei ein Blasenschleier in Betrieb zu nehmen, der ebenso wie im Fall von Rammarbeiten zu einer erheblichen Reduktion des durch die Sprengung verursachten Schalleintrags führe und die Störeffekte sehr effektiv reduziere. Die Sprengereignisse würden ebenfalls mit einer detaillierten Dokumentation im nationalen Schallregister im BSH gespeichert und jährlich an das europäische Schallregister beim Internationalen Rat für Meeresforschung (ICES) gemeldet.19 3. Wissenschaftliche Studie zur Reaktion des Schweinswals auf den Einsatz von Airguns in der Nordsee Am 17. Januar 2020 ist in der Fachzeitschrift „Frontiers in Marine Science“20 ein Artikel mit dem Titel „Harbor Porpoise (Phocoena phocoena) Reaction to a 3D Seismic Airgun Survey in the North Sea“21 einer dänischen Forschergruppe der Universität Aarhus in Zusammenarbeit mit der Abteilung für Gesundheit, Sicherheit und Umwelt des Total-Konzerns erschienen. Bislang lägen, so die Autoren, nur wenige feldbasierte Studien zu den Auswirkungen seismischer Aktivitäten auf kleine Zahnwale (Odontocetes)22 vor. In einer Studie aus dem Jahr 2006 sei gezeigt worden, dass in der Umgebung von seismischen Schiffen mit feuernden Airguns weniger Odontocetes auftraten. Allerdings war die Beobachtungszahl zu klein, um Aussagen spezifisch über Schweinswale zu treffen. Eine andere Studie zeigte bis zu einer Entfernung von 5-10 km vom Untersuchungsschiff kurzfristige Auswirkungen einer seismischen Untersuchung auf das Vorkommen von Schweinswalen. Es wurde eine Verringerung der akustischen Aktivität von Tieren innerhalb des untersuchten Bereichs festgestellt. Allerdings gab es keine langfristigen Auswirkungen auf die Schweinswalhäufigkeit. In einer Studie aus dem Jahr 2018 wurde gezeigt, dass bis zu 8 Stunden nach der Airgunaktivität variable Verhaltensreaktionen in Bezug auf Bewegung 18 Es seien bislang keine Beeinträchtigungen von Schweinswalen in Form von Verletzung oder gar Tötung in Zusammenhang mit der Sprengung von nicht transportfähiger Munition festgestellt, die im Rahmen der Räumung von Flächen für die Installation von Windenergieanlagen einschließlich der Trassen für stromabführenden Kabeln erforderlich waren. 19 Persönliche Informationen des BSH vom 5.2.2021. 20 Die Zeitschrift hat derzeit einen Impact Factor von 3,661. Es handelt sich um eine peer-reviewed (Publikation von doppelt-begutachteten Artikeln) Open Access Zeitschrift. Sie ist Teil verschiedener Frontiers-Zeitschriften, die 2007 von zwei Schweizer Neurowissenschaftlern gegründet wurden. Frontiers in Marine Science existiert seit 2014. 21 Sarnocińska J, Teilmann J, Balle JD, van Beest FM, Delefosse M and Tougaard J (2020) Harbor Porpoi se (Phocoena phocoena) Reaction to a 3D Seismic Airgun Survey in the North Sea. Front. Mar. Sci. 6:824. doi: 10.3389/fmars.2019.00824. https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fmars.2019.00824/full. 22 Schweinswale, die in Deutschland beheimatete Walart, gehört zu den „Zahnwalen“. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 016/21 Seite 10 und Tauchen festgestellt wurden, wenn einzelne markierte Schweinswale für 1 Minute einer einzelnen kleineren Airgunaktivität in einer Entfernung von etwa 1 km ausgesetzt wurden. Insgesamt seien Reaktionen von Schweinswalen auf Unterwasserlärm durch Rammarbeiten während der Installation von Offshore-Windparks besser untersucht als die Reaktion auf seismische Untersuchungen. Die Schallimpulse von Airguns und schlagenden Rammungen seien jedoch in verschiedenen Punkten unterschiedlich. Darum seien Erkenntnisse, die für Rammarbeiten bereits vorlägen, nicht ohne weiteres auf seismische Untersuchungen, die Airguns einsetzten, zu übertragen : 1. Rammimpulse seien mit mehr Energie und höheren Frequenzen als Airgun-Impulse verbunden . 2. Der Rammschall breite sich über die Länge des Pfahls aus, während der Airgun-Lärm eine Ansammlung von mehreren Schallquellen darstelle, die mehrere Meter voneinander entfernt lägen. 3. Große Airgun-Arrays feuerten typischerweise mit einer Pulsrate von einem Puls alle 5-10 Sekunden und arbeiteten über viele Tage; im Gegensatz dazu sei die Rammung eines Monopolpfahls intensiver, typischerweise ein Puls alle 1-2 Sekunden, dauerte aber nur 1-3 Stunden pro Pfahl. Zudem werde normalerweise nur ein Pfahl pro Tag fertiggestellt. 4. Schließlich sei die Schallquelle bei einer Rammung stationär, während sich die Schallquelle bei einer seismischen Untersuchung sich ständig bewege. Das bedeute, dass ein Schweinswal sich von Rammgeräuschen nur durch Wegschwimmen distanzieren könne, während ein Schweinswal, der einer seismischen Untersuchung ausgesetzt ist, erst eine sich nähernde und dann eine sich entfernende Schallquelle wahrnehme. Daher wurden in der Studie die Auswirkungen einer großen seismischen 3D-Untersuchung, die in der zentralen Nordsee durchgeführt wurde, auf die Echoortungsaktivität des Schweinswals untersucht . Dies sei - so die Autoren - das erste Mal, dass eine seismische Untersuchung in voller Größe in Bezug auf Schweinswale mit Hilfe von akustischen Datenloggern 23 untersucht wurde, die die empfangenen Schallpegel und das Echolotverhalten aufzeichneten. Innerhalb von 12 km um das Untersuchungsschiff wurde eine deutliche Auswirkung auf die Echoortungsaktivität festgestellt , während keine längerfristige Gesamtverschiebung beobachtet werden konnte. Für die Untersuchung wurden sog. Schweinswal-Klickdetektoren (C-PODs) und Schallrekorder sowohl innerhalb als auch in der Nähe des seismischen Untersuchungsgebietes vor, während und nach der Untersuchung über eine Gesamtdauer von neun Monaten eingesetzt. Dazu wurden verschiedene Parameter, die die Klick-Tätigkeit24 von Schweinswalen beschreiben, analysiert. Es wurden folgende Beobachtungen gemacht und Schlussfolgerungen gezogen: 23 Datenlogger sind elektronische Geräte, die Umweltparameter (in diesem Fall seismische Daten) automatisch überwachen und aufzeichnen. 24 Sonarlaute, die Wale erzeugen, beispielsweise, um ihre Beute zu orten. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 016/21 Seite 11 (1) Es zeigte sich ein Dosis-Wirkungs-Effekt: die geringste Aktivität (klickabhängige Parameter ) wurde in unmittelbarer Nähe des Quellschiffs (Airguns) festgestellt. Die Aktivität nahm bis zu einer Entfernung von 8-12 km zu, wonach die akustische Grundaktivität jenseits einer Entfernung von etwa 12 km erreicht wurde. Dies könnte auf eine vorübergehende Verdrängung der Schweinswale oder eine Änderung des Echoortungsverhaltens der Schweinswale hindeuten. Der beobachtete Effekt hatte eine kürzere Reichweite als die Reaktion , die auf die Rammung von Windparkfundamenten beobachtet wurde (20 km). Die Reaktionen von Schweinswalen auf seismische Untersuchungen seien laut dieser Beobachtungen vergleichbar mit den Reaktionen auf Rammarbeiten unter Verwendung von dämpfenden Blasenschleier. (2) Im Vergleich zu Referenzstationen, die 15 km von einer seismischen Aktivität entfernt waren , konnte keine generelle Verdrängung von Schweinswalen aus dem seismischen Untersuchungsgebiet festgestellt werden. Es wird allerdings zu bedenken gegeben, dass nicht untersucht worden sei, ob es sich um dieselben Tiere handelte, die während der Untersuchung in dem Gebiet blieben, oder ob verdrängte Tiere kontinuierlich durch neue Tiere ersetzt wurden, die während der seismischen Untersuchung in das Gebiet zogen. (3) Die Ergebnisse tragen zu dem Verständnis bei, dass Unterwasserlärm das Potenzial hat, die zeitweilige Effizienz der Nahrungssuche bei Schweinswalen zu beeinflussen. Insgesamt waren die Auswirkungen seismischer Untersuchungen auf das Verhalten von Schweinswalen geringer als die, die für Rammarbeiten gefunden wurden. Um Auswirkungen auf (Tier-)Populationen zu beschreiben, werden derzeit Modelle entwickelt . In diesen Modellen werden verschiedene Einflussquellen simuliert und ihre Konsequenzen auf Populationsebene untersucht. So kann ein Eindruck darüber gewonnen werden, welche kumulative Wirkung verschiedene anthropogener Einflüsse auf eine Population haben . ***