© 2018 Deutscher Bundestag WD 8 - 3000 - 015/18 Zum Meeresspiegelanstieg Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 015/18 Seite 2 Zum Meeresspiegelanstieg Aktenzeichen: WD 8 - 3000 - 015/18 Abschluss der Arbeit: 16. Februar 2018 Fachbereich: WD 8: Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 015/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Nerem et al.: Climate-change–driven accelerated sea-level rise detected in the altimeter era (PNAS 2018) 4 3. Zwischenbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) 5 4. Expertenstellungnahmen 5 5. Küstenregionen in Deutschland 6 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 015/18 Seite 4 1. Einleitung Am 12. Februar 2018 erschien ein wissenschaftlicher Artikel zum Meeresspiegelanstieg in der wissenschaftlichen Zeitschrift Proceedings oft he National Academy of Sciences of the United States of America.1 Hierauf reagierte die deutsche Presse mit zahlreichen Artikeln, in denen der schnelle Meeresanstieg thematisiert wurde.2 In der vorliegenden Dokumentation werden kurz der Inhalt der PNAS-Publikation dargestellt, die Projektionen des Fünften Sachstandsberichts des IPCC (2013/2014) beschrieben und sodann zwei Expertenaussagen zur Bewertung der Forschungsergebnisse wiedergegeben und auf die Auswirkungen auf Deutschland eingegangen. 2. Nerem et al.: Climate-change–driven accelerated sea-level rise detected in the altimeter era (PNAS 2018)3 Die Forscher verwendeten Daten aus Präzisionssatelliten-Höhenmessungen, die über 25 Jahre gesammelt worden waren. Aus diesen Daten leiten sie den globalen mittleren Meeresspiegel ab und extrapolieren, dass der (durch den Klimawandel verursachte) globale Meeresspiegelanstieg bei 65 ± 12 cm im Vergleich zu 2005 bis 2100 liegen könnte. Diese Ergebnisse stehen in Einklang mit denen im Zwischenbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) Fünfter Sachstandsbericht (AR5, 2013/2014). 1 R. S. Nerem, B. D. Beckley, J. T. Fasullo, B. D. Hamlington, D. Masters und G. T. Mitchum: Climate-change– driven accelerated sea-level rise detected in the altimeter era; PNAS2018; published ahead of print February 12, 2018, https://doi.org/10.1073/pnas.1717312115 [zuletzt abgerufen am 16.2.2018]. 2 Die Zeit vom 12.2.2018: http://www.zeit.de/wissen/umwelt/2018-02/klimawandel-meeresspiegel-anstieg-doppelt -schnell-prognosen-satellitendaten [zuletzt abgerufen am 16.2.2018] Welt vom 13.2.2018: https://www.welt.de/wissenschaft/article173477113/Klimawandel-Meeresspiegel-steigtschneller -als-gedacht.html [zuletzt abgerufen am 16.2.2018] Süddeutsche vom 13.2.2018: http://www.sueddeutsche.de/wissen/klimawandel-meeresspiegel-anstieg- 1.3865324 [zuletzt abgerufen am 16.2.2018] n-tv vom 12.2.2018: https://www.n-tv.de/wissen/Meeresspiegel-steigt-immer-schneller-article20281234.html [zuletzt abgerufen am 16.2.2018] inforadio vom 13.2.2018: https://www.inforadio.de/programm/schema/sendungen/int/201802/13/210290.html [zuletzt abgerufen am 16.2.2018] Deutsche Welle vom 12.2.2018: http://www.dw.com/de/meeresspiegel-steigt-noch-schneller-alsbef %C3%BCrchtet/a-42557469 [zuletzt abgerufen am 16.2.2018] Kölner Stadtanzeiger vom 14.2.2018: https://www.ksta.de/panorama/wissenschaftler-schlagen-alarm-meeresspiegel -steigt-schneller-als-erwartet-29700088 [zuletzt abgerufen am 16.2.2018] Deutschlandfunk vom 13.2.2018: http://www.deutschlandfunk.de/anstieg-des-meeresspiegels-manche-kuestenregionen -wird-man.697.de.html?dram:article_id=410663 [zuletzt abgerufen am 16.2.2018] 3 Nerem et al. 2018: https://doi.org/10.1073/pnas.1717312115 [zuletzt abgerufen am 16.2.2018]. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 015/18 Seite 5 3. Zwischenbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) In der Zusammenfassung des fünften Zwischenberichts des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC)4 heißt es zum Meeresspiegelanstieg: „Bis Ende des 21. Jahrhunderts sind Anstiege um weitere 26 bis 55 cm zu erwarten, auch wenn beträchtliche Klimaschutzanstrengungen unternommen werden (niedrigstes Emissionsszenario). Ohne Emissionsbeschränkungen wird der Meeresspiegel bis Ende des Jahrhunderts zwischen 45 und 82 cm ansteigen (höchstes Emissionsszenario ). Der IPCC schließt nicht aus, dass der Anstieg des Meeresspiegels auch deutlich höher ausfallen könnte. Für den Meeresspiegelanstieg liegen die neuen Projektionen höher als im AR4, weil der Beitrag der polaren Eisschilde besser berücksichtigt ist.“ 4. Expertenstellungnahmen Nach Aussage des Klimaforschers Stefan Rahmstorf5 beinhaltet die oben zitierte PNAS-Publikation (Nerem et al. 2018) „keine neue Meeresspiegelprojektion“ und Darstellungen, die von einer Berechnung eines höheren Anstiegs berichteten, seien falsch. Es werde vielmehr der „Nachweis der Beschleunigung des Anstiegs über die letzten 25 Jahre aus Satellitenmessungen“ erbracht. Rahmstorf weist darauf hin, dass es sich hier um eine Illustration handele, die voraussetzt, dass es mit konstanter Rate weitergehe. Hiermit steht der hypothetisch berechnete Anstieg vollkommen in Einklang mit den bisherigen IPCC-Projektionen (siehe Kapitel 3). Allerdings gebe es keinen Grund anzunehmen, dass wir eine bis 2100 konstante Rate erleben. „Die tatsächliche Rate hängt erstens vom weiteren Temperaturanstieg ab und damit von unseren Emissionen, und zweitens u.a. vom voraussichtlich stark nichtlinearen Verhalten der Eisschilde.“6 Die bisherigen IPCC-Projektionen schwanken je nach zugrunde gelegtem Szenario zwischen mittleren Werten von 44 bis 74 cm, allerdings relativ zum mittleren Wert von 1986-2005. Der Klimaforscher Ralf Weisse7 sieht die Neuheit in der vorliegenden PNAS-Publikation in der Erkenntnis, dass die Autoren angeben, dass man aus den relativ kurzen Satellitenzeitreihen eine 4 BMBF, BMUB, Deutsche IPCC Koordinierungsstelle, Umweltbundesamt: Kernbotschaften des Fünften Sachstandsberichts des IPCC Klimaänderung 2013: Naturwissenschaftliche Grundlagen (Teilbericht 1) Im Internet abrufbar unter: http://www.bmub.bund.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Klimaschutz/ipcc_sachstandsbericht _5_teil_1_bf.pdf [zuletzt abgerufen am 16.2.2018]. 5 Prof. Stefan Rahmstorf, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, Potsdam. 6 Als Kernzitat aus dem paper von Nerem et al 2018 verweist Rahmstorf hierbei auf folgende Stelle: „When taken with a rate of sea-level rise of 2.9 ± 0.4 mm/y (epoch 2005.0), the extrapolation of the quadratic gives 654 ± 119 mm of sea-level rise by 2100 relative to 2005, which is similar to the processed-based model projections of sea level for representative concentration pathways 8.5 in the IPCC Fifth Assessment Report. Stated alternatively, the observed acceleration will more than double the amount of sea-level rise by 2100 compared with the current rate of sea-level rise continuing unchanged. This projection of future sea-level rise is based only on the satellite observed changes over the last 25 y, assuming that sea level changes similarly in the future. If sea level begins changing more rapidly, for example due to rapid changes in ice sheet dynamics, then this simple extrapolation will likely represent a conservative lower bound on future sea-level change. In contrast, few potential processes exist to suggest that this estimate is too high.” 7 Dr. Ralk Weisse, Helmholtz-Zentrum Geesthacht, Zentrum für Material- und Küstenforschung. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 015/18 Seite 6 belastbare Aussage zur Beschleunigung des Meeresspiegelanstiegs treffen könne, die konsistent mit den Erwartungen des IPCC sei. Bisher wäre man bei einfacher linearer Interpolation der beobachteten Anstiegsraten nicht zu den für Ende des Jahrhunderts erwarteten Werten gekommen. 5. Küstenregionen in Deutschland Es stellt sich unmittelbar die Frage, welche Regionen weltweit besonders betroffen sein könnten. Für Deutschland ist die mögliche Betroffenheit auf den vom Helmholtz-Zentrum Geesthacht betriebenen Internetseiten des Norddeutschen Küsten- und Klimabüros direkt einsehbar8. Hier gibt es die Optionen, sich Küstenregionen in ihrem unterschiedlichen Schutzniveau anzeigen zu lassen : (a) heute durch Küstenschutz geschützte Gebiete (Referenz: normales Hochwasser 1.8.2003) (b) heute durch Küstenschutz geschützte Gebiete (Referenz: Sturmflut 1962) (c) bis 2100 vor Sturmfluten zu schützende Gebiete (Referenz: Sturmflut 1962 + 1,1 m, d.h. eine höhere Steigerungsrate als in der zitierten Publikation angegeben). Klickt man alle drei Optionen an, sieht man, dass die Bereiche, die allein durch den Anstieg zusätzlich gefährdet wären (dunkelgrün), verhältnismäßig gering sind im Vergleich zu den Flächen, die bereits jetzt durch normale Hochwasser oder Sturmfluten gefährdet sind. Hierzu bemerkt Ralf Weisse: „Die dunkelgrünen Gebiete sind recht klein, was bedeutet, dass der Großteil bereits heute gefährdet ist und durch einen Meeresspiegelanstieg (gleiche Deichsicherheit vorausgesetzt) nur wenig zusätzliche Regionen potentiell gefährdet sind. Das gilt wie gesagt nur, wenn die Deiche entsprechend dem Meeresspiegelanstieg angepasst werden.“9 *** 8 Quelle: http://www.kuestenschutzbedarf.de [zuletzt abgerufen am 16.2.2018]. 9 Dr. Ralk Weisse, Helmholtz-Zentrum Geesthacht, Zentrum für Material- und Küstenforschung.