WD 8 - 3000 – 014/21 (25. März 2021) © 2021 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Der als Lex Asse bezeichnete § 57 b des Atomgesetzes (AtG) regelt Betrieb und Stilllegung der Schachtanlage Asse II. Diese ist unverzüglich stillzulegen (Absatz 2 Satz 1). Die Stilllegung soll nach Rückholung der radioaktiven Abfälle erfolgen (Absatz 2 Satz 3). Die Rückholung ist abzubrechen , wenn deren Durchführung für die Bevölkerung und die Beschäftigten aus radiologischen oder sonstigen sicherheitsrelevanten Gründen nicht vertretbar ist. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Dosisbegrenzung nach § 5 der Strahlenschutzverordnung vom 20. Juli 2001 (BGBl. I S. 1714; 2002 I S. 1459), die zuletzt durch Artikel 5 Absatz 7 des Gesetzes vom 24. Februar 2012 (BGBl. I S. 212) geändert worden ist, nicht eingehalten oder die bergtechnische Sicherheit nicht mehr gewährleistet werden kann (Absatz 2 Sätze 4 und 5). Die Rückholung der radioaktiven Abfälle aus der Schachtanlage Asse II ist somit als Vorzugsoption für die sichere Stilllegung der Anlage gesetzlich festgeschrieben. Mit dem Gesetz zur Neuordnung des Rechts zum Schutz vor der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlung vom 27. Juni 2017 (BGBl. I 2017 S. 1966) erfuhr das Strahlenschutzrecht eine umfassende Novellierung. So besteht in dem neu geschaffenen Strahlenschutzgesetz (StrlSchG) seither eine eigenständige formell-gesetzliche Grundlage für den Strahlenschutz, welche auch Grenzwerte für die Bevölkerung und die Beschäftigten umfasst (§§ 78, 80 StrlSchG). Mit der Verordnung der Bundesregierung zur weiteren Modernisierung des Strahlenschutzrechts vom 29. November 2018 (BGBl. I 2018 S. 2034) wurde die Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) neu gefasst. Eine neue Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Berechnung der Bevölkerungsdosis gilt für die prospektive Dosisermittlung und für die retrospektive Dosisermittlung. Die Auswirkung des novellierten Strahlenschutzrechts auf das Lex Asse gemäß § 57 b AtG im Hinblick auf die Rückholung der radioaktiven Abfälle aus der Schachtanlage Asse II hängt maßgeblich davon ab, ob § 57 b Absatz 2 Satz 5 AtG eine statische oder eine dynamische Verweisung auf die Strahlenschutzverordnung enthält. Bei einer statischen Verweisung macht der verweisende Gesetzgeber sich den Inhalt von Rechtsvorschriften des anderen Normgebers in der Fassung zu eigen, wie sie bei Erlass seines Gesetzesbeschlusses galt. Bei einer dynamischen Verweisung verweist ein Gesetzgeber auf andere Vorschriften in ihrer jeweils geltenden Fassung. § 57 b AtG wurde durch das Gesetz zur Beschleunigung der Rückholung radioaktiver Abfälle und der Stilllegung der Schachtanlage Asse II vom 20. April 2013 neu gefasst (BGBl. I 2013 S. 921). Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Novellierte Strahlenschutzverordnung und Schachtanlage Asse II Novellierte Strahlenschutzverordnung und Schachtanlage Asse II Fachbereich WD 8 (Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung) Wissenschaftliche Dienste Seite 2 Die Gesetzesbegründung zu den Sätzen 4 und 5 des Absatzes 2 entspricht dem Gesetzeswortlaut. Dieser dürfte auf eine statische Verweisung abzielen, denn es fehlt die für dynamische Verweisungen übliche Formulierung „in der jeweils geltenden Fassung“. Systematisch deutet auch auf eine statische Verweisung hin, dass der Gesetzgeber in § 57 b Absätze 3 und 5 AtG auf das erst im Jahr 2017 neu eingeführte Strahlenschutzgesetz hinweist, ohne aber den Absatz 2 hinsichtlich seiner Verweisung auf die alte Strahlenschutzverordnung angepasst zu haben. Nimmt man mit dieser Argumentation eine statische Verweisung an, so spielt das novellierte Strahlenschutzrecht hinsichtlich der Dosisbegrenzung und der Dosisgrenzwerte für das Lex Asse keine Rolle. Es bleibt insbesondere bei der Anwendung des § 5 der Strahlenschutzverordnung vom 20. Juli 2001, die zuletzt durch Gesetz vom 24. Februar 2012 geändert worden ist. Aus diesen Erwägungen dürfte sich auch die Rechtslage hinsichtlich des Verfahrens zur Berechnung der Strahlenexposition für das Lex Asse nicht geändert haben. § 5 StrlSchV a.F. verweist auf § 47 StrlSchV a.F., dessen Absatz 2 zu dem Erlass allgemeiner Verwaltungsvorschriften ermächtigt : „Bei der Planung von Anlagen oder Einrichtungen ist die Strahlenexposition nach Absatz 1 für eine Referenzperson an den ungünstigsten Einwirkungsstellen unter Berücksichtigung der in Anlage VII Teil A bis C genannten Expositionspfade, Lebensgewohnheiten der Referenzperson und übrigen Annahmen zu ermitteln; dabei sind die mittleren Verzehrsraten der Anlage VII Teil B Tabelle 1 multipliziert mit den Faktoren der Spalte 8 zu verwenden. Die Bundesregierung erlässt mit Zustimmung des Bundesrates allgemeine Verwaltungsvorschriften über die zu treffenden weiteren Annahmen. Die zuständige Behörde kann davon ausgehen, dass die Grenzwerte des Absatzes 1 eingehalten sind, wenn dies unter Zugrundelegung der allgemeinen Verwaltungsvorschriften nachgewiesen wird.“ Auf dieser Grundlage hat die Bundesregierung die „Allgemeine Verwaltungsvorschrift zu § 47 Strahlenschutzverordnung: Ermittlung der Strahlenexposition durch die Ableitung radioaktiver Stoffe aus Anlagen oder Einrichtungen“ vom 28. August 20121 erlassen. Diese enthält ausweislich des § 47 Absatz 2 StrlSchV a.F. „weitere Annahmen“ und kann daher nicht losgelöst von der alten Strahlenschutzverordnung betrachtet werden. Die neue „Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Ermittlung der Exposition von Einzelpersonen der Bevölkerung durch genehmigungs- oder anzeigebedürftige Tätigkeiten (AVV Tätigkeiten)“ vom 8. Juni 20202 beruht auf § 100 Absatz 3 und § 101 Absatz 1 der aktuellen StrlSchV. Auch die normative Grundlage zum Erlass allgemeiner Verwaltungsvorschriften wurde im Zuge der Strahlenschutznovelle geändert. Hieraus lässt sich schlussfolgern, dass die statische Verweisung in § 57 b Absatz 2 Satz 5 AtG auch das Berechnungsverfahren nach altem Recht miteinschließt. Darüber hinaus gelten hinsichtlich der Anwendung der neuen Verwaltungsvorschrift die Übergangsbestimmungen des § 193 StrlSchV. Eine Anwendbarkeit zur Ermittlung der für Einzelpersonen der Bevölkerung zu erwartenden Strahlenexposition besteht erst für Genehmigungsverfah- 1 Abrufbar unter: https://www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de/bsvwvbund_28082012_RSII.htm. 2 Abrufbar unter: http://www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de/bsvwvbund_08062020_SII51148301.htm. Novellierte Strahlenschutzverordnung und Schachtanlage Asse II Fachbereich WD 8 (Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung) Wissenschaftliche Dienste Seite 3 ren, für die ein Genehmigungsantrag 13 Monate nach Inkrafttreten der neuen Verwaltungsvorschrift gestellt wird. Somit gelten für bis zum 30. September 2021 gestellte Genehmigungsanträge die Regelungen der bisherigen Strahlenschutzverordnung fort. ***