© 2019 Deutscher Bundestag WD 8 - 3000 - 013/19 Ausgewählte ethische Forschungsleitlinien auf nationaler und internationaler Ebene Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 013/19 Seite 2 Ausgewählte ethische Forschungsleitlinien auf nationaler und internationaler Ebene Aktenzeichen: WD 8 - 3000 - 013/19 Abschluss der Arbeit: 25.02.2019 Fachbereich: WD 8: Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 013/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Max-Planck-Gesellschaft 4 2.1. Forschungsfreiheit und Verantwortung des Wissenschaftlers 4 2.2. Grenzen der Forschung 5 2.3. Regeln zum verantwortlichen Umgang mit Forschungsfreiheit und Forschungsrisiken in der Max-Planck-Gesellschaft 6 2.3.1. Allgemeine Zielsetzung und Anwendungsbereich 6 2.3.2. Verhältnis der Regelungen zu anderen Vorschriften 7 2.4. Rechtliche Grenzen der Forschung 7 2.5. Grundsätze ethisch verantwortbarer Forschung 7 2.5.1. Allgemeiner Grundsatz 7 2.5.2. Risikoanalyse 8 2.5.3. Risikominimierung 8 2.5.4. Veröffentlichungen 9 2.5.5. Verzicht auf nicht verantwortbare Forschung als ultima ratio 9 2.5.6. Dokumentation und Mitteilung von Risiken 10 2.5.7. Schulung und Aufklärung 10 2.6. Organisatorische Zuständigkeiten 10 2.6.1. Verantwortliche Personen 10 2.6.2. Compliance im Hinblick auf Rechtsvorschriften 11 2.6.3. Ethikkommission 11 3. Der Deutsche Ethikrat 12 3.1. Interessenkonflikte 14 3.2. Themenbereiche 14 3.3. Internationale Initiativen und Kontakte 15 3.3.1. Treffen der Ethikräte Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens 15 3.3.2. Treffen der Ethikräte Deutschlands, Österreichs und der Schweiz 16 3.3.3. Treffen der nationalen Ethikräte auf europäischer Ebene 17 4. Der globale WHO-Gipfel nationaler Bioethik-Komitees 19 4.1. Historischer Hintergrund 19 4.2. Liste der globalen Gipfeltreffen der nationalen Bioethik-Komitees 20 5. Weiterführende Literatur 23 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 013/19 Seite 4 1. Einleitung Seit mehr als 30 Jahren sind im In- und Ausland in den verschiedensten Einrichtungen und Organisationen , die sich mit wissenschaftlicher Forschung und Entwicklung befassen, ethische Richtlinien verfasst und verabschiedet worden, deren Umsetzung und Einhaltung durch die Einsetzung sogenannter Ethikräte kontrolliert begleitet wird. Eine umfassende Darstellung aller dieser Ethikräte und ihrer Leitlinien ist, vor allem im Rahmen dieser Dokumentation, nicht möglich. Die nachfolgende Dokumentation bietet daher einen stichprobenartigen Überblick von ethischen Leitlinien im Forschungsbereich im nationalen und internationalen Raum. Eine Internet-Suche unter dem Stichwort „Ethische Leitlinien“ ergab insgesamt 17.600 Treffer. Ethische Leitlinien sind inzwischen nicht nur integraler Bestandteil der Arbeit von Universitäten , Hochschulen und einzelnen Fachbereichen sondern auch von wirtschaftlichen Unternehmen , öffentlichen Institutionen und privaten Organisationen. Die unterschiedliche Organisation, Zielrichtung und Arbeitsweise dieser Ethikräte erschwert zusätzlich auch den Vergleich dieser Einrichtungen. Allen Ethikräten oder ethischen Leitlinien gemeinsam ist jedoch das Ziel, umfassende Antworten auf gesellschaftlich relevante Fragestellungen geben zu können, auf welche Weise und welchen Wegen die Veränderungen, die durch den wissenschaftlich-technischen Fortschritt - vor allem, aber nicht nur im medizinisch-biologischen Bereich - erzielt werden, zu einer gesellschaftlich und ökologisch nachhaltigen positiven Entwicklung beitragen können und gesellschaftlich negative Auswirkungen begrenzt oder sogar vermieden werden können. Wegweiser und Ergebnisse der Veränderungen sind damit der Gegenstand der Betrachtung von Ethikräten oder ethischen Leitlinien von Forschungsinstitutionen. 2. Max-Planck-Gesellschaft 2.1. Forschungsfreiheit und Verantwortung des Wissenschaftlers Im Jahr 2010 verabschiedete die Max-Planck-Gesellschaft eine Direktive, die „Hinweise und Regeln der Max-Planck-Gesellschaft zum verantwortlichen Umgang mit Forschungsfreiheit und Forschungsrisiken “ vorschreibt. Dieser Kodex, der auch später in seinen wesentlichen Bestimmungen von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) in Zusammenarbeit mit der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina1 übernommen und entsprechend angepasst wurde, konstatiert , dass Forschungsfreiheit eine der wesentlichen Grundlagen für die Fortschritte der Menschheit ist. Sie sei durch das Grundgesetz besonders geschützt diene der Wissensvermehrung . Forschungsfreiheit fördere Gesundheit, Wohlstand und Sicherheit der Menschen und diene 1 Vergl.: DFG; Leopoldina (2014). Wissenschaftsfreiheit und Wissenschaftsverantwortung. Empfehlungen zum Umgang mit sicherheitsrelevanter Forschung.Bonn, 18.05.2014. https://www.dfg.de/download/pdf/dfg_im_profil /reden_stellungnahmen/2014/dfg-leopoldina_forschungsrisiken_de_en.pdf Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 013/19 Seite 5 dem Schutz der Umwelt. Eine erfolgreiche Grundlagenforschung erfordere Transparenz, den freien Informationsaustausch sowie die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen. Mit den Erfolgen einer freien und transparenten Forschung gingen jedoch auch Risiken einher, die nicht nur aus fahrlässigem oder vorsätzlichem Fehlverhalten von Wissenschaftlern resultierten.2 „Daneben besteht bei einzelnen Forschungen die mittelbare Gefahr, dass – für sich genommen neutrale oder nützliche – Ergebnisse durch andere Personen zu schädlichen Zwecken missbraucht werden. Diese Möglichkeit des ´Dual Use` erschwert oder verhindert heute in vielen Bereichen eine klare Unterscheidung von ´guter` und ´böser` Forschung, von Zivil- und Rüstungsforschung , von Verteidigungs- und Angriffsforschung sowie von Forschung für ´friedliche` und für ´terroristische` Anwendungen. Die ´Dual Use`-Problematik muss auch in der wissensgetriebenen Grundlagenforschung beachtet werden, deren Resultate oft nicht vorhersehbar sind und deren Ergebnisse deswegen per se nicht gut oder schlecht sind. In diesem komplexen Spannungsfeld von Nutzen und Risiken ist die Forschung in der Max- Planck-Gesellschaft dem Wohl der Menschheit und dem Schutz der Umwelt verpflichtet. Der Wissenschaftler muss deswegen eine – unmittelbare und mittelbare – Schädigung von Mensch und Umwelt so weit wie möglich vermeiden oder vermindern. Er soll deswegen neben der Machbarkeit der Forschung nach Möglichkeit auch deren Folgen und ihre Beherrschbarkeit berücksichtigen . Der Forschung in der Max-Planck-Gesellschaft sind damit nicht nur rechtliche, sondern auch ethische Grenzen gesetzt.“3 2.2. Grenzen der Forschung „Die Grenzen der Forschung werden zunächst durch rechtliche Normen bestimmt. (…) Die einschlägigen Bestimmungen haben dabei unterschiedliche Zielsetzungen und Ansatzpunkte: Sie können Forschungsziele ausschließen (z. B. die Entwicklung von Atom- und Biowaffen), Methoden reglementieren (z. B. für bestimmte Experimente am Menschen) oder den Export von Wissen, Dienstleistungen und Produkten in bestimmte Länder untersagen (z. B. im Rahmen des deutschen Außenwirtschaftsrechts oder der EG-Verordnung für die Ausfuhrkontrolle von Gütern und Technologien mit doppeltem Verwendungszweck). Diese Regelungen sind in der Max-Planck- Gesellschaft strikt einzuhalten. Verstöße gegen sie können zu erheblichen Sanktionen, langwierigen Verfahren sowie einem Reputationsverlust des Wissenschaftlers, seines Instituts und der Max-Planck-Gesellschaft führen. Das staatliche Recht ist jedoch nicht immer in der Lage, Risiken und Missbrauchsmöglichkeiten der Forschung vollständig und effektiv zu normieren. Der potentielle Missbrauch einzelner Forschungen kann insbesondere nicht dadurch verhindert werden, dass Forschung per se unter einen Generalverdacht gestellt und staatlich umfassend reguliert wird. Selbst detaillierte gesetzliche Regelungen würden den differenzierten und sich rasch ändernden globalen Problemen von 2 Vergl.: Max-Planck-Gesellschaft (2010). Hinweise und Regeln der Max-Planck-Gesellschaft zum verantwortlichen Umgang mit Forschungsfreiheit und Forschungsrisiken. https://www.mpikg.mpg.de/2441374/Regeln_Forschungsfreiheit .pdf, S. 4. 3 Ebenda: 4f. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 013/19 Seite 6 gebietsspezifischen Risiken nicht ausreichend Rechnung tragen und darüber hinaus leicht in Konflikt mit der verfassungsrechtlich garantierten Forschungsfreiheit geraten. Der einzelne Wissenschaftler darf sich daher aber auch nicht mit der Einhaltung der gesetzlichen Regelungen begnügen, sondern muss weitergehende ethische Grundsätze berücksichtigen. Er soll dabei sein Wissen, seine Erfahrung und seine Fähigkeiten einsetzen, um die einschlägigen Risiken einer Schädigung von Mensch und Umwelt zu erkennen und abzuschätzen. (…) Die nachfolgenden (..) Regeln unterstützen die in der Max-Planck-Gesellschaft tätigen Personen bei der Umsetzung dieser Grundsätze. Sie sind kein staatlich durchsetzbares Recht. Sie sollen vielmehr mit einer ethischen Leitlinie im Wege der Selbstregulierung Missbrauch der Forschung verhindern und Risiken vermeiden, gleichzeitig aber auch ein Verfahren zur Verfügung stellen, mit dem der Wissenschaftler ethische Zweifelsfragen besser lösen und dadurch auch dem Vorwurf unethischen Verhaltens vorbeugen kann. Die für die gesamte Max-Planck-Gesellschaft geltenden Regelungen sind dabei nicht abschließend, sondern werden durch weitere fachspezifische Maßnahmen der Selbstregulierung ergänzt. Die Max-Planck-Gesellschaft begrüßt es deswegen auch, wenn die Institute und ihre Mitarbeiter sich auf der Grundlage der vorliegenden Hinweise und Regeln auch außerhalb der Max-Planck-Gesellschaft an der Entwicklung von weiteren fachund berufsspezifischen Regelungen beteiligen, so dass Risiken in transparenter Weise diskutiert und vermieden werden können.“4 2.3. Regeln zum verantwortlichen Umgang mit Forschungsfreiheit und Forschungsrisiken in der Max-Planck-Gesellschaft 2.3.1. Allgemeine Zielsetzung und Anwendungsbereich Die vorliegenden Regeln sollen im Wege der Selbstregulierung mit einer ethischen Leitlinie Missbrauch der Forschung verhindern und Risiken vermeiden. Sie schaffen dazu auch ein Verfahren, mit dem der Forscher ethische Zweifelsfragen besser lösen und dadurch dem Vorwurf unethischen Verhaltens vorbeugen kann. Die Regeln gelten für alle, die in Einrichtungen der Max-Planck-Gesellschaft arbeiten oder mit deren Mitteln an anderer Stelle arbeiten. Sie sollen von den Forschern der Max-Planck-Gesellschaft auch bei ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit außerhalb dieser Gesellschaft berücksichtigt werden, z. B. im Rahmen ihrer beratenden Tätigkeit oder ihrer Mitverantwortung für Unternehmen oder Zeitschriften. Bei ihrer Anwendung auf die in der Max-Planck-Gesellschaft tätigen Personen ist der Status der verschiedenen Forscher (insb. Wissenschaftliche Mitglieder, Forschungsgruppenleiter , externe Wissenschaftliche Mitglieder, Wissenschaftliche Mitarbeiter, Doktoranden , Gastwissenschaftler) und der nichtwissenschaftlichen Mitarbeiter zu berücksichtigen. Der Status dieser Personen kann Einfluss auf deren Forschungsfreiheit und ein eventuelles Weisungsrecht der Max-Planck-Gesellschaft ihnen gegenüber haben. 4 Ebenda: 5f. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 013/19 Seite 7 2.3.2. Verhältnis der Regelungen zu anderen Vorschriften Die vorliegenden Regeln treten neben die ´Regeln zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis` der Max-Planck-Gesellschaft. Sie können als allgemeine Bestimmungen für alle Forschungsbereiche durch spezifische Maßnahmen der Selbstregulierung ergänzt werden, die von anderen Institutionen für spezielle Forschungsbereiche geschaffen wurden und geschaffen werden. (…) Rechtliche Bestimmungen gehen den vorliegenden Bestimmungen sowie anderen Maßnahmen der Selbstregulierung vor.“5 2.4. Rechtliche Grenzen der Forschung „Für die in Deutschland tätigen Forscher der Max-Planck-Gesellschaft gilt das deutsche Recht. Für Institute oder Partnerinstitute der Max-Planck-Gesellschaft im Ausland gilt grundsätzlich das am jeweiligen Ort geltende Recht. Im Ausland tätige Forscher können zusätzlich auch ihrem nationalen Recht unterliegen. Darüber hinaus ist das Völkerrecht zu beachten. Rechtsvorschriften gelten nur, wenn sie nicht gegen höherrangiges oder vorrangiges Recht (insb. international geltende Menschenrechte) verstoßen. Für die Einhaltung der geltenden rechtlichen Regelungen ist jeder Wissenschaftler selbst verantwortlich. Er hat sich über die für ihn und sein Forschungsgebiet geltenden Vorschriften zu vergewissern und für ihre Einhaltung im Rahmen seiner Zuständigkeit Sorge zu tragen. Eine Unkenntnis des geltenden Rechts entlastet ihn in aller Regel nicht. Die Generalverwaltung der Max-Planck-Gesellschaft unterstützt die Institute bei der Einhaltung der rechtlichen Vorschriften. Dadurch nimmt sie auch ihre gesetzliche Aufsichtspflicht wahr, die bei Rechtsverstößen innerhalb der Max-Planck-Gesellschaft ein Einschreiten gebieten kann. 2.5. Grundsätze ethisch verantwortbarer Forschung 2.5.1. Allgemeiner Grundsatz Die Forschung in der Max-Planck-Gesellschaft dient der Wissensvermehrung und ist dem Wohl der Menschheit und dem Schutz der Umwelt verpflichtet. Der Wissenschaftler hat deswegen eine - unmittelbare und mittelbare - Schädigung von Mensch und Umwelt so weit wie möglich zu vermeiden oder zu vermindern. Der Forscher darf sich bei einschlägigen Entscheidungen nicht mit der Einhaltung der rechtlichen Regeln begnügen, sondern er hat auch ethische Grundsätze zu beachten. Ihm muss die Gefahr des Missbrauchs von Forschung grundsätzlich bewusst sein. In kritischen Fällen muss er eine persönliche Entscheidung über das bei seiner Forschung Verantwortbare treffen. Ein verantwortlicher Umgang mit Forschung umfasst im Falle missbrauchsgefährdeter Forschung insbesondere die nachfolgend angesprochenen Maßnahmen: das Erkennen und Minimieren von Forschungsrisiken, den sorgfältigen Umgang mit Veröffentlichungen, die Dokumentation von Risiken sowie Maßnahmen der Aufklärung und Schulung. Diese Maßnahmen sollen die Forschung 5 Ebenda: 6f. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 013/19 Seite 8 allerdings nicht unzulässig behindern und stehen daher unter dem Vorbehalt ihrer Möglichkeit und Verhältnismäßigkeit.“6 2.5.2. Risikoanalyse „Die Kenntnis der möglichen Risiken ist die Voraussetzung dafür, dass Forschung verantwortlich erfolgen kann. Eine zentrale Voraussetzung für die Vermeidung oder zumindest die Kontrolle von Forschungsrisiken ist daher - sowohl in der grundlagenorientierten als auch in der angewandten Forschung - die Bewusstmachung der einschlägigen Gefahren. Der Forscher soll deswegen so weit wie möglich die Folgen sowie die Einsatz- und Missbrauchsmöglichkeiten seiner Arbeiten und deren Beherrschbarkeit mitbedenken. (…) Das Erkennen von Forschungsrisiken betrifft nicht nur die Risiken des eigenen Verhaltens. Der Forscher soll darüber hinaus bei missbrauchsgefährdeten Arbeiten auch die Folgen seiner Forschung berücksichtigen, die er zu neutralen oder nützlichen Zwecken durchführt, deren Ergebnisse dann jedoch von anderen Personen zu schädlichen Zwecken eingesetzt oder missbraucht werden können. (…) Für die Forscher kann es insbesondere angebracht sein, sich über den Kontext des Forschungsvorhabens oder über die Person eines Auftraggebers oder Kooperationspartners oder über deren Auftraggeber zu informieren. 2.5.3. Risikominimierung Der Forscher und alle anderen mitwirkenden Personen sollen die Risiken der Durchführung und der Verwendung ihrer Arbeiten (..) so weit wie möglich minimieren. Diese Maßnahmen zur Risikominimierung sollen sowohl vor Beginn als auch während eines laufenden Forschungsvorhabens geprüft und durchgeführt werden. Dies kann dazu führen, dass Sicherheitsmaßnahmen (z. B. gegen die Freisetzung oder den Diebstahl von gefährlichen Stoffen aus Laboren) durchgeführt oder dass die Vertraulichkeit der Forschungsergebnisse durch physische, organisatorische und personelle Schutzmaßnahmen sowie eine größere Rechnersicherheit verbessert werden. (…) Bei missbrauchsgefährdeter Forschung sind die Mitarbeiter und Kooperationspartner sorgfältig und auch unter Berücksichtigung ihrer Verlässlichkeit und ihres Verantwortungsbewusstseins auszuwählen. Soweit staatliche Stellen Aufgaben der Sicherheitsüberprüfung erfüllen, bietet sich etwa bei Risiken einer Proliferation von sicherheitsrelevanten Forschungsergebnissen eine entsprechende Zusammenarbeit an. Maßnahmen zur Risikominimierung können auch darin bestehen, dass einzelne Forschungen nur für oder nur mit bestimmten Kooperationspartnern durchgeführt werden. Auch wenn internationale Kooperation ein Grundprinzip erfolgreicher Forschung ist, kann sich unter dem Aspekt der Risikominimierung daher im Einzelfall eine Einschränkung der internationalen Zusammenarbeit oder ein Verzicht auf Partner oder Mitarbeiter aus bestimmten Staaten empfehlen. Anhaltspunkte 6 Ebenda: 7 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 013/19 Seite 9 für Staaten, bei denen ein Missbrauch bestimmter Forschungsergebnisse zu befürchten ist, können sich aus den nationalen und internationalen Vorschriften und Listen über Ausfuhrbeschränkungen ergeben.“7 2.5.4. Veröffentlichungen „Einer verantwortlichen und frühzeitigen Prüfung bedürfen - bereits vor Projektbeginn - in Bereichen von risikoreicher Forschung die möglichen Folgen einer Veröffentlichung der Ergebnisse. Dies gilt besonders dann, wenn leicht umsetzbare Forschungsergebnisse ohne zusätzliches Wissen und ohne aufwendige Umsetzungs- und Anwendungsprozesse zu spezifischen Gefahren oder großen Schäden führen können. In diesen Fällen kollidieren Sicherheitsinteressen mit den in der Max-Planck-Gesellschaft geltenden Grundsätzen der Transparenz, des freien Informationsaustauschs sowie insbesondere der Veröffentlichung von Forschungsergebnissen. (…) Die Gebote der Transparenz und der Kommunikation schließen nicht aus, dass der Wissenschaftler bestimmte Risiken seiner Forschung durch eine Modifikation der Kommunikation und der Veröffentlichung seiner Ergebnisse minimiert. Er kann die Ergebnisse seiner Arbeiten auch nicht sofort, sondern zeitlich verzögert publizieren. Bei Forschungsergebnissen mit einem hohen Missbrauchspotential können in speziellen Fällen die für einen Missbrauch besonders relevanten Teilergebnisse von der Publikation ausgenommen werden. Der Forscher kann einzelne Ergebnisse seiner Arbeiten in besonderen Fällen auch nur mit bestimmten Personen teilen. Ein völliger Verzicht auf Kommunikation und Veröffentlichung der Forschungsergebnisse kommt als ultima ratio in Betracht. Er ist nur in speziellen Einzelfällen - eventuell auf bestimmte Zeit - gerechtfertigt. Forschung, die von Anfang an unter dem Siegel gegenständlich umfassender und zeitlich unabsehbarer Geheimhaltung steht, ist mit dem Selbstverständnis der Max-Planck-Gesellschaft unvereinbar. Die vorgenannten Grundsätze gelten auch, wenn Angehörige der Max-Planck-Gesellschaft als Herausgeber von Zeitschriften oder Büchern tätig sind. Mitarbeiter in derartigen Positionen sollen in entsprechenden Risikobereichen darauf hinwirken, dass die Publikation von Forschungsergebnissen sowie die Politik der von ihnen unterstützten Verlage und anderen Institutionen mit den hier genannten Grundsätzen vereinbar ist.“8 2.5.5. Verzicht auf nicht verantwortbare Forschung als ultima ratio „Im Einzelfall kann die verantwortliche Entscheidung des Forschers allerdings als ultima ratio zur Folge haben, dass eine bestimmte Forschung mit einem nicht zu begrenzenden und unverhältnismäßigen Risikopotential nicht durchgeführt wird, selbst wenn ihr kein gesetzliches Verbot entgegensteht. Bei Arbeiten, die neben positiven auch schädliche Wirkungen haben können, sind 7 Ebenda: 7f. 8 Ebenda: 8 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 013/19 Seite 10 insbesondere im Bereich der Dual Use-Forschung, Kriterien für eventuelle Grenzen schwer zu bestimmen und anzuwenden. (…) Bei dieser Abwägung sind sowohl die Höhe des möglichen Schadens als auch das Risiko des Schadenseintritts zu berücksichtigen. In Fällen mit drohenden Gefahren sollte abgeschätzt werden , wie hoch ein eventueller Schaden wäre, wie wahrscheinlich das Schadensrisiko ist, ob die Forschungsergebnisse unmittelbar für schädliche Zwecke einsetzbar sind oder ob schwierige Umsetzungsprozesse erforderlich sind, und ob die Verwendung der Ergebnisse beherrschbar ist. Entscheidungserheblich kann auch sein, wer Kooperationspartner, Auftraggeber, Nutzer oder Finanzier der Forschung ist. Muss davon ausgegangen werden, dass bestimmte missbrauchsgefährdete Forschungsvorhaben von anderen Stellen ohne entsprechende Sicherheitsstandards oder zu missbräuchlichen Zwecken durchgeführt werden, kann Forschung mit dem Ziel der Abwehr solcher Gefahren bzw. der Minimierung von daraus drohenden Schäden akzeptabel sein.“9 2.5.6. Dokumentation und Mitteilung von Risiken „Wenn Forschungen zu Risiken (..) führen, so sollen diese Risiken, ihre Abwägung mit dem voraussichtlichen Nutzen und die zu ihrer Minimierung getroffenen Maßnahmen vor Beginn und bei Veränderungen auch während der Arbeiten dokumentiert werden. Bei entsprechenden Risiken sollte der Wissenschaftler die Dokumentation vor Beginn der Forschung der Ethikkommission oder dem zuständigen Vizepräsidenten zur Kenntnis bringen. In Forschungsanträgen an die Max-Planck-Gesellschaft und an andere Förderinstitutionen soll auf entsprechende Risiken und Maßnahmen zu ihrer Minimierung hingewiesen werden. Dabei sind die vorgesehenen Maßnahmen darzustellen. Auch der Fachbeirat des Instituts soll über besondere Risiken und Maßnahmen zu ihrer Verminderung möglichst frühzeitig informiert werden und dazu in seinem Bericht auch Stellung nehmen. 2.5.7. Schulung und Aufklärung Auf Institutsebene und vor allem in der Schulung des wissenschaftlichen Nachwuchses der Max- Planck-Gesellschaft sollen Grundsätze eines verantwortungsvollen Umgangs mit Forschungsrisiken vermittelt und vorgelebt werden. Dabei soll auch auf die fachspezifischen Regeln zur Risikominimierung im jeweiligen Forschungsgebiet eingegangen werden. Soweit Forscher der Max- Planck-Gesellschaft an Universitäten oder anderen Institutionen unterrichten, sollen sie auch dort dazu beitragen, das Bewusstsein für diese Fragen zu wecken und zu schärfen.“10 2.6. Organisatorische Zuständigkeiten 2.6.1. Verantwortliche Personen „Die Prüfung einer Vereinbarkeit der Forschung mit rechtlichen Vorschriften, Maßnahmen der Selbstregulierung und ethischen Grundsätzen obliegt zunächst den für das Projekt zuständigen 9 Ebenda: 8f. 10 Ebenda: 9 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 013/19 Seite 11 Wissenschaftlern. Letztlich sind – insbesondere im Rahmen der rechtlich gebotenen Aufsichtspflicht – die Vorgesetzten des Wissenschaftlers verantwortlich. Die beteiligten Wissenschaftler sollen primär den verantwortlichen Wissenschaftler, sofern im Einzelfall erforderlich aber auch den Leiter der Forschungsabteilung, den geschäftsführenden Direktor des jeweiligen Instituts sowie in besonderen Fällen die Leitung der Max-Planck-Gesellschaft auf geschehene oder bevorstehende Rechtsverstöße sowie auf ethische Bedenken hinweisen, ohne dass ihnen dadurch Nachteile entstehen dürfen. Die vorliegend genannten Grundsätze gelten entsprechend, wenn Wissenschaftler der Max- Planck-Gesellschaft als Gutachter bei der Evaluation von Projekten anderer Forscher tätig sind. Mitarbeiter in derartigen Positionen sollen in Risikobereichen darauf achten, dass Forschungsanträge eventuelle Risiken der Forschung erörtern und minimieren. Die wissenschaftlichen Mitglieder , Mitarbeiter und Doktoranden der Max-Planck-Gesellschaft können sich bei Fragen nach den rechtlichen Grenzen der Forschung an die Compliance-Stelle und die Rechtsabteilung der Generalverwaltung wenden, und bei Fragen nach ethischen Grenzen an die Ethikkommission der Max-Planck-Gesellschaft. Die auf Institutsebene gewählte Ombudsperson kann ebenfalls Ansprechpartner der Mitarbeiter für Fragen der Forschungsrisiken und der Forschungsethik sein.“11 2.6.2. Compliance im Hinblick auf Rechtsvorschriften „In der Generalverwaltung ist neben der Rechtsabteilung eine besondere Compliance-Stelle dafür zuständig, den Präsidenten und die Institute bei der Einhaltung der Rechtsvorschriften über die Grenzen der Forschung zu unterstützen. Diese Stelle berät den Präsidenten und die Institute, stellt die einschlägigen Regelwerke zur Verfügung und schult die an den Instituten Tätigen in einschlägigen Maßnahmen. Sie kann im erforderlichen Umfang Auskünfte von den Instituten einholen. Die Compliance-Stelle berichtet unmittelbar dem Präsidenten und dem zuständigen Vizepräsidenten. Die in der Max-Planck-Gesellschaft Tätigen können sich jederzeit an die Compliance -Stelle wenden. (…) Die Regularien zum Schutz der „Whistleblower“8 sind entsprechend anzuwenden. Verstößt Forschung gegen rechtlich verbindliche Vorschriften, so nehmen der Präsident oder der zuständige Institutsdirektor die erforderlichen rechtlichen und sonstigen Maßnahmen vor.“12 2.6.3. Ethikkommission „Zur Beratung von Angelegenheiten, die sich aus der Umsetzung dieser Regeln ergeben, wird eine Ethikkommission gebildet. Diese steht den in der Max-Planck-Gesellschaft tätigen Forschern bei Fragen der Forschungsethik zur Verfügung, vermittelt bei einschlägigen Meinungsverschiedenheiten zwischen Forschern und kann Empfehlungen zur Durchführung von Forschungsprojekten abgeben. Die Ethikkommission besteht aus drei permanenten Mitgliedern der Max-Planck- Gesellschaft (Stammkommission), die unterschiedlichen Sektionen angehören und zusammen mit ihren Vertretern auf Vorschlag ihrer Sektionen vom wissenschaftlichen Rat gewählt werden. 11 Ebenda: 10f. 12 Ebenda: 11 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 013/19 Seite 12 Die drei Mitglieder wählen den Vorsitzenden der Stammkommission. Ihre Amtszeit beträgt drei Jahre. In den einzelnen Verfahren zur Bewertung von Forschungsprojekten gehört der Ethikkommission auch der Vorsitzende der betroffenen Sektion an. Darüber hinaus können die Mitglieder der Stammkommission und der zuständige Sektionsvorsitzende bis zu zwei weitere stimmberechtigte Mitglieder in die für ein konkretes Verfahren zuständige Kommission wählen, die in Fragen der Forschungsethik, auf dem betroffenen Wissenschaftsgebiet oder in anderen entscheidungsrelevanten Bereichen besondere Fachkenntnisse haben. Die Kommission soll im Hinblick auf naturwissenschaftliche und geisteswissenschaftliche Mitglieder interdisziplinär besetzt sein. Sie kann für die einzelnen Verfahren einen Berichterstatter ernennen. „Bei Zweifeln über die Vereinbarkeit einer Forschung mit den vorliegenden Ethikregeln kann (die Ethikkommission; d.V.) auch vom Präsidenten sowie bei Vorliegen eines berechtigten Interesses von jedem wissenschaftlichen Mitglied, von jedem Mitarbeiter oder Doktoranden der Max-Planck-Gesellschaft sowie von externen Kooperationspartnern angerufen werden. (…) Jeder verantwortliche Forscher ist über Zweifel an der Vereinbarkeit seiner Forschungen mit den vorliegenden Regeln unverzüglich zu informieren und von der Ethikkommission anzuhören. Er hat das Recht, jederzeit eine schriftliche oder mündliche Stellungnahme abzugeben und die entsprechenden Unterlagen so weit wie möglich einzusehen. Er ist über die wesentlichen Verfahrensschritte der Kommission zu informieren und kann an Anhörungen und Befragungen teilnehmen . Über die abschließende Empfehlung der Ethikkommission und der sie tragenden Gründe ist er unverzüglich durch Übersendung der schriftlichen Stellungnahme der Kommission zu unterrichten . Die Ethikkommission kann (nicht stimmberechtigte) Sachverständige zu ihren Beratungen hinzuziehen . (…) Eine Empfehlung der Ethikkommission über die Vereinbarkeit oder Nichtvereinbarkeit von Forschung mit diesen Regeln bedarf einer Mehrheit ihrer Mitglieder. Bei Stimmengleichheit entscheidet in allen Abstimmungen die Stimme des Vorsitzenden. (…) Die Ethikkommission berichtet dem Wissenschaftlichen Rat regelmäßig über ihre Arbeit. Die Ethikkommission kann sich im Rahmen dieser Bestimmungen mit Zustimmung des Wissenschaftlichen Rats und des Senats eine eigene Verfahrensordnung zur Untersuchung des Umgangs mit Forschungsrisiken geben. Soweit für die Ethikkommission keine speziellen Regelungen anwendbar sind, gelten in Verfahren über die rechtlichen Grenzen der Forschung die Vorschriften über die förmliche Untersuchung der Verfahrensordnung bei Verdacht auf wissenschaftliches Fehlverhalten entsprechend.“13 3. Der Deutsche Ethikrat „Der Deutsche Ethikrat bearbeitet gemäß seinem gesetzlichen Auftrag ethische, gesellschaftliche, naturwissenschaftliche, medizinische und rechtliche Fragen sowie die voraussichtlichen Folgen für Individuum und Gesellschaft, die sich im Zusammenhang mit der Forschung und den Entwicklungen insbesondere auf dem Gebiet der Lebenswissenschaften und ihrer Anwendung auf 13 Ebenda: 11f. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 013/19 Seite 13 den Menschen ergeben. Zu seinen Aufgaben gehören insbesondere die Information der Öffentlichkeit und die Förderung der Diskussion in der Gesellschaft, die Erarbeitung von Stellungnahmen sowie von Empfehlungen für politisches und gesetzgeberisches Handeln für die Bundesregierung und den Deutschen Bundestag sowie die Zusammenarbeit mit nationalen Ethikräten und vergleichbaren Einrichtungen anderer Staaten und internationaler Organisationen. Der Deutsche Ethikrat ist in seiner Tätigkeit unabhängig und nur an den durch das Ethikratgesetz 14 begründeten Auftrag gebunden. Die 26 Mitglieder des Deutschen Ethikrates üben ihr Amt persönlich und unabhängig aus. Sie dürfen keine aktiven Mitglieder des Bundestages oder der Bundesregierung beziehungsweise eines Landtages oder einer Landesregierung sein. Die Ratsmitglieder sollen naturwissenschaftliche, medizinische, theologische, philosophische, ethische, soziale , ökonomische und rechtliche Belange in besonderer Weise repräsentieren sowie unterschiedliche ethische Ansätze und ein plurales Meinungsspektrum vertreten. Um die Öffentlichkeit zu informieren und die gesellschaftliche Diskussion zu fördern, führt der Ethikrat öffentliche Veranstaltungen durch und informiert regelmäßig auf seiner Internetseite sowie in seinen Infobriefen und Jahresberichten über seine Aktivitäten. Neben seinen in Berlin stattfindenden öffentlichen Abendveranstaltungen der Reihe „Forum Bioethik“ und seiner Jahrestagung führt der Deutsche Ethikrat auch außerhalb Berlins ganztägige öffentliche Veranstaltungen durch. Der Deutsche Ethikrat legt die Themen für seine inhaltliche Arbeit selbst fest, er kann aber auch von der Bundesregierung oder dem Deutschen Bundestag beauftragt werden, ein bestimmtes Thema zu bearbeiten. Bislang hat der Deutsche Ethikrat bereits dreimal von der Bundesregierung einen Auftrag erhalten, eine Stellungnahme zu erarbeiten. Das Plenum des Ethikrates tagt einmal im Monat in Berlin. Diese Sitzungen können öffentlich aber auch nichtöffentlich sein. Für die Erarbeitung von Stellungnahmen richtet der Ethikrat Arbeitsgruppen ein, die Textentwürfe erstellen und dem Plenum zur Diskussion und schließlich zur Verabschiedung vorlegen. Die Arbeitsgruppensitzungen sind grundsätzlich nicht öffentlich. Sofern erforderlich, kann der Ethikrat externe Experten in seine Arbeit einbinden. Diese Mitarbeit ist zeitlich begrenzt und nicht mit einer Mitgliedschaft gleichzusetzen. Nach der Veröffentlichung einer Stellungnahme endet daher auch die Mitwirkung des jeweiligen Experten an der Arbeit des Ethikrates. Stellungnahmen des Ethikrates werden veröffentlicht. Vertreten Mitglieder bei der Abfassung einer Stellungnahme eine abweichende Auffassung, so können sie diese in der Stellungnahme zum Ausdruck bringen. Gemäß Ethikratgesetz ist der Ethikrat gehalten, einmal jährlich gegenüber dem Deutschen Bundestag und der Bundesregierung über den Stand der gesellschaftlichen Debatte zu berichten und 14 Gesetz zur Einrichtung des Deutschen Ethikrats (Ethikratgesetz - EthRG) ausgefertigt am 16. Juli 2007 (BGBl. I S. 1385); in Kraft getreten am 1. August 2007 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 013/19 Seite 14 Rechenschaft über seine Tätigkeit abzulegen. Der Jahresbericht ist ebenso wie alle anderen Publikationen des Deutschen Ethikrates auf seiner Internetseite abrufbar.“15 3.1. Interessenkonflikte „Die Ratsmitglieder sollen dem Ethikratgesetz entsprechend (§ 4 Nr. 2 EthRG) unterschiedliche ethische Ansätze und ein plurales Meinungsspektrum widerspiegeln. Da es häufig gerade das Wissen aus verschiedenen Tätigkeitsfeldern ist, das die Ratsmitglieder für ihre Arbeit besonders qualifiziert, ist es nicht ausgeschlossen, dass angesichts der unterschiedlichen institutionellen Anbindungen auch Interessenkonflikte entstehen können. Daher sieht die Geschäftsordnung des Deutschen Ethikrates vor, dass die Ratsmitglieder mögliche Interessenkonflikte dem oder der Vorsitzenden anzeigen, damit entschieden werden kann, wie das Ratsmitglied in die weiteren Beratungen eingebunden werden kann oder ob es nicht an den Beratungen teilnimmt und sich bei Abstimmungen enthält (vgl. § 1 Nr. 2 Geschäftsordnung). Als weiteren Beitrag für einen transparenten Umgang mit möglichen Interessenkonflikten sieht der Ethikrat darüber hinaus die Lebensläufe der Ratsmitglieder, mit denen kenntlich gemacht werden soll, welche Expertise die Ratsmitglieder einbringen, aber auch in welchen anderen wissenschaftlichen , sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen oder weltanschaulichen Einrichtungen sie aktiv sind, um offenzulegen, vor welchem Hintergrund die Ratsmitglieder agieren. Durch die Mitgliedschaft in anderen Organisationen und Einrichtungen selbst ergeben sich aus Sicht des Ethikrates allerdings keine Interessenkonflikte. Die Empfehlungen des Ethikrates am Ende eines Beratungsprozesses (werden) immer von einer Mehrheit getragen, sodass die Haltungen einzelner Ratsmitglieder nicht ausschlaggebend für die Empfehlungen des Ethikrates an Politik und Öffentlichkeit sind.“16 3.2. Themenbereiche Seit seinem Bestehen hat sich der Deutsche Ethikrat mit folgende Themen befasst und dazu Berichte publiziert: Allokation im Gesundheitswesen, Altern, Anonyme Kindesabgabe, Antibiotikaresistenz, Arzneimittelforschung , Autonome Systeme, Behinderung, Beschneidung, Big Data, Biobanken, Biosicherheit , Demenz, Eingriffe in die menschliche Keimbahn, Ethikberatung, Fortpflanzungsmedizin , Gendiagnostik, Genomforschung/Gentechnik, Gesundheitsvorsorge, Hirnforschung, Intersexualität , Inzestverbot, Klonen, Migration und Gesundheit, Mischwesen, Organtransplantation, Patientenwohl, Pflege, Psychische Erkrankungen, Schwangerschaftsabbruch, Seltene Erkrankungen , Stammzellen, Sterbebegleitung/Suizidprävention, Synthetische Biologie, Tierethik, Welternährung und Wohltätiger Zwang.17 15 Deutscher Ethikrat (2019). Der Ethikrat. Gremium. https://www.ethikrat.org/der-ethikrat/#m-tab-0-gremium 16 Deutscher Ethikrat (2019). Der Ethikrat. Interessenkonflikte. https://www.ethikrat.org/der-ethikrat/#m-tab-0- interessenkonflikte 17 Vergl.: Deutscher Ethikrat (2019). Der Ethikrat. Alle Themen. https://www.ethikrat.org/themen/alle-themen/ Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 013/19 Seite 15 3.3. Internationale Initiativen und Kontakte „Im Mittelpunkt des internationalen Dialogs der Ethikräte standen im Jahr 2017 die Begegnungen des Deutschen Ethikrates mit Vertretern der Ethikräte aus Frankreich und Großbritannien sowie aus Österreich und der Schweiz. Außerdem nahm der Deutsche Ethikrat Anfang November am Treffen der nationalen Ethikräte der EU-Mitgliedstaaten in Tallinn (Estland) teil. 3.3.1. Treffen der Ethikräte Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens Das jährliche trilaterale Treffen des Deutschen Ethikrates mit dem französischen Comité Consultatif National d’Éthique (CCNE) und dem britischen Nuffield Council on Bioethics fand am 30. Juni 2017 in Paris statt. Es war das erste Mal, dass die drei Ethikräte in der Amtszeit der neuen Vorsitzenden des CCNE, JeanFrançois Delfraissy, und des Nuffield Councils, David Archard, zusammentrafen . Nach einem kurzen Austausch über die jeweils aktuellen Arbeitsprogramme und Veröffentlichungen standen die Themen Fortpflanzungsmedizin und Fragen des Alterns auf der Agenda des Treffens. Zum ersten Thema stellte Hugh Whittall vom britischen Nuffield Council on Bioethics zunächst die Arbeit des Nuffield Council an einer Stellungnahme zum Einsatz der Genom-Editierung an menschlichen Keimzellen vor. Einen Schwerpunkt bildeten dabei die ethischen Fragen, die sich aus dem gezielten Eingriff in die menschliche Keimbahn ergeben, sowie Überlegungen, wo die Grenze zwischen Selbstoptimierung und präventiven Eingriffen zur Krankheitsvermeidung zu ziehen sei. Frédéric Worms vom CCNE präsentierte anschließend die kurz vor dem Treffen veröffentlichte Stellungnahme des CCNE zu gesellschaftlichen Fragen der Reproduktionsmedizin, die sich mit dem sogenannten ´Social Freezing`, also dem Einfrieren von unbefruchteten Eizellen für eine spätere Verwendung, der Öffnung der Samenspende für lesbische Paare und Single-Frauen sowie mit Fragen der Leihmutterschaft beschäftigt. Claudia Wiesemann vom Deutschen Ethikrat stellte daraufhin die vom Deutschen Ethikrat im Jahr 2016 veröffentliche Stellungnahme zur Embryospende und Embryoadoption vor und forderte eine stärkere Orientierung des fortpflanzungsmedizinischen Diskurses am Kindeswohl. In der anschließenden Diskussion waren sich die Vertreter aller drei Ethikräte darin einig, dass die Entwicklungen im Bereich der Fortpflanzungsmedizin nur vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Veränderungen verstanden werden können und Antworten auf die sich daraus ergebenden Fragen neue Lebensmodelle und gesellschaftliche Entwicklungen berücksichtigen müssen. Im Themenblock zu den gesellschaftlichen Fragestellungen des Alterns präsentierte Gabriele Meyer vom Deutschen Ethikrat zunächst aktuelle Forschungsergebnisse zu Zwangsmaßnahmen in der Altenpflege in Deutschland und verknüpfte diese anschließend mit der laufenden Arbeit des Deutschen Ethikrates zum Thema ´wohltätiger Zwang`. Der Nuffield Council hingegen beschäftigt sich derzeit mit medizinischen Möglichkeiten, die eine Verlangsamung des biologischen Alterns ermöglichen. Gesellschaftliche, ökonomische und politische Auswirkungen einer in der Konsequenz zunehmenden Alterung der Gesellschaft stehen dabei im Vordergrund, wie Catherine Joynson in ihrer Präsentation darlegte. Cynthia Fleury vom CCNE stellte im Anschluss die bisherige Arbeit einer aktuellen Arbeitsgruppe des französischen Ethikrates zu diesem Thema vor, die das Ziel verfolge, ein besseres Verständnis der verschiedenen Aspekte des Alterns zu entwickeln und Alternativen zur institutionalisierten Pflege zu finden. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 013/19 Seite 16 Einigkeit herrschte in der nachfolgenden Diskussion darüber, dass Pflegemaßnahmen die Würde und Wünsche alter Menschen respektieren müssen. Mit den derzeitigen Strukturen sei eine bestmögliche Pflege jedoch nicht zu gewährleisten. Es kam aber auch die Frage auf, ob es überhaupt wünschenswert sei, Möglichkeiten zur Lebensverlängerung nutzen zu können, oder ob Endlichkeit bzw. Sterblichkeit nicht einen wichtigen Aspekt des menschlichen Lebens darstelle. Das nächste Treffen der drei Ethikräte findet 2018 in London statt.“18 3.3.2. Treffen der Ethikräte Deutschlands, Österreichs und der Schweiz „Am 15. Dezember 2017 kamen Vertreter des Deutschen Ethikrates, der österreichischen Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt und der schweizerischen Nationalen Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin in Berlin zusammen, um ethische, rechtliche und gesellschaftliche Fragen des Einsatzes von Big Data im Gesundheitsbereich zu diskutieren. Grundlage des Treffens bildete die wenige Wochen zuvor veröffentlichte Stellungnahme des Deutschen Ethikrates ´Big Data und Gesundheit – Datensouveränität als informationelle Freiheitsgestaltung `, die von Ratsmitglied Steffen Augsberg einführend vorgestellt wurde. Anschließend äußerte sich Markus Zimmermann, Stellvertretender Vorsitzender der Nationalen Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin, kritisch zu den Potenzialen von Big Data im Gesundheitsbereich. Er halte die Vorstellung für naiv, dass frei werdende Ressourcen in die sprechende und fürsorgliche Medizin investiert und nicht für die Reduzierung.von Kosten im Gesundheitswesen genutzt werden würden. Vielmehr könnten Big-Data-basierte Analysemethoden Entsolidarisierungstendenzen in der Gesellschaft befördern sowie Auswirkungen auf die Kriterien zur Zulassung von Therapien, auf die Preispolitik und die Allokation von Ressourcen haben. Er plädierte daher für eine gerechtere Gestaltung von Big-Data-Anwendungen im medizinischen Bereich. Trotz der vielen Potenziale von Big Data für die personalisierte und die Präzisionsmedizin unterstrich auch Barbara Prainsack, Mitglied der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt, die Naivität der Gesellschaft im Umgang mit neuen Machtasymmetrien, die sich im Kontext von Big Data herausbilden würden. Große IT-Konzerne seien nicht mehr bloße Marktteilnehmer, sondern würden durch die von ihnen zur Verfügung gestellten Algorithmen zu Regulierern. Der Datenschutz in seiner jetzigen Form greife daher nicht weit genug. Eine der größten Herausforderungen für den Einsatz von Big Data im Gesundheitsbereich sei zudem nicht die Gewinnung von Daten, sondern deren Interpretation. Eine entscheidende Rolle spiele dabei das Verständnis von Algorithmen und den ihnen zugrunde liegenden Entscheidungsvorgaben. Prainsack forderte daher ein wertebasiertes Design von Big Data. Die Stellungnahme des Deutschen Ethikrates liefere dafür einen wichtigen Baustein. Am Nachmittag beleuchteten Christiane Druml, Vorsitzende der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt , und Steffen Augsberg vom Deutschen Ethikrat die Herausforderungen für die 18 Deutscher Ethikrat (2018). Jahresbericht 2017. https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Jahresberichte /deutsch/jahresbericht-2017.pdf, S. 54f. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 013/19 Seite 17 Umsetzung der EU-Datenschutz-Grundverordnung in Österreich und in Deutschland. Druml verwies in diesem Zusammenhang auf die Sprachverwirrung um Begrifflichkeiten sowie die Vielfalt von Regelungen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Steffen Augsberg ergänzte, dass es zusätzlich bereits massive Interpretationsdivergenzen auf nationaler Ebene zwischen den verschiedenen Ministerien gebe. Zudem sei die Grundidee des Zweckbezugs, das heißt, für welchen Zweck die Daten erhoben werden, unter Big-Data-Bedingungen problematisch. Darüber hinaus müsse man sich fragen, ob es unter Big-Data-Bedingungen überhaupt noch Daten gebe, die nicht personenbezogen seien. Das vom Deutschen Ethikrat in seiner Stellungnahme formulierte Konzept der Datensouveränität sei daher nicht nur auf gesetzlicher Ebene umzusetzen, sondern müsse auf gesamtgesellschaftlicher Ebene verankert werden. Abschließend betrachtete Franz-Josef Bormann vom Deutschen Ethikrat die ethischen Fragen im Kontext von Big Data aus dem Blickwinkel des Philosophen Ludwig Wittgenstein. Drei wesentliche Elemente der Wittgensteinschen Philosophie seien demnach für eine Analyse von Big Data von Relevanz: Zum einen die notwendige Verknüpfung von technischer Innovation und philosophischer Reflexion, zum anderen der differenzierende Blick auf scheinbar ähnliche Abläufe und darüber hinaus die Bedeutung verschiedener Sprachformen für das praktische Leben von Menschen . Der Argumentation Wittgensteins folgend, arbeitete Bormann im Anschluss wesentliche ethische Problemstellungen heraus, die unter anderem die Objektivität und Validität der verwendeten Daten und Analyseverfahren sowie eine ergebnisoffene Gestaltung von Algorithmen beträfen. Darüber hinaus sei neben den individualethischen Problemen, die Fragen der Selbstbestimmung, Privatheit und Intimität berührten, auch verstärkt eine sozialethische Dimension in die Analyse einzubeziehen, die im konkreten Anwendungsbereich von Big Data die offene und verdeckte Einflussnahme von Nutzern digitaler Dienste, also Machtfragen thematisiere. Zusätzlich müsse man elementare Gerechtigkeitsfragen wie Zugangsmöglichkeiten und Solidaritätsaspekte in den Blick nehmen. In der abschließenden Diskussion wurde der Bezug zu Wittgenstein von den Gästen aus Österreich und der Schweiz aufgegriffen und am Konzept der Datensouveränität ausführlich diskutiert . Das nächste Treffen wird im Oktober 2018 in der Schweiz stattfinden.“ 19 3.3.3. Treffen der nationalen Ethikräte auf europäischer Ebene „Auf Einladung der estnischen EU-Ratspräsidentschaft kamen am 1. und 2. November 2017 in Tallinn (Estland) die Vertreter der nationalen Ethikräte der EU-Mitgliedstaaten zu ihrem 22. Treffen zusammen, um sich über aktuelle bioethische Themen auszutauschen. Zu Beginn des Treffens begrüßte der Vizepräsident des estnischen Parlaments, Hanno Pevkur, die Teilnehmer zusammen mit Hele Everaus, der Vorsitzenden des nationalen estnischen Bioethikrates . Im Fokus des Treffens standen im Anschluss drei Bereiche: die Rolle und Verantwortlichkei- 19 Ebenda: 56f. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 013/19 Seite 18 ten von nationalen Ethikräten, die Integrität von Forschern und Forschung sowie bioethische Fragen im Zusammenhang mit neuen Entwicklungen in der Medizin und der Gesundheitsversorgung . In die Thematik zur Rolle und den Verantwortlichkeiten von nationalen Ethikräten führte zunächst Harald Schmidt (Department of Medical Ethics, Center for Health Incentives and Behavioral Economics, Perelman School of Medicine, University of Pennsylvania) mit einem Vortrag über die Rolle von impliziten und expliziten ethischen Rahmenbedingungen für bioethische Beratung ein. Die weiteren Vorträge befassten sich mit der Bedeutung der Einrichtung eines estnischen Ethikrates (Arvo Tikk, Mitglied des estnischen Bioethikrates), den Erfahrungen bei der Einrichtung einer gemeinsamen Kommission für sicherheitsrelevante Forschung durch die Leopoldina und die Deutsche Forschungsgemeinschaft in Deutschland (Johannes Fritsch, Leopoldina) sowie einem Bericht über die aktuelle Arbeit der Europäischen Gruppe für Ethik in der Wissenschaft und Neuen Technologien (EGE) durch deren Vorsitzende, Christiane Woopen. Zum Abschluss der Session berichteten Andreas Reis (WHO, Global Health Ethics) und Joachim Vetter (Deutscher Ethikrat, Leiter der Geschäftsstelle) über die Durchführung und Ergebnisse des globalen Treffens der nationalen Ethikräte, das im März 2016 in Berlin stattgefunden und der Deutsche Ethikrat zusammen mit der WHO und unterstützt von der UNESCO vorbereitet hatte. Im zweiten Teil der Veranstaltung befassten sich die Teilnehmer mit der Problematik der Integrität von Forschern und von Forschung. Hierzu berichteten Hub Zwart über die Ergebnisse des EU- Projektes PRINTEGER und Laura Qualkenbusch (Office of Research Integrity, Northwestern University , USA) von ihren Erfahrungen aus diesem Bereich. Im Anschluss an eine Podiumsdiskussion über die Bedeutung eines Ethikkodex für Forscher unterzeichneten Mitglieder des estnischen Forschungsrates feierlich einen Kodex für Forschungsintegrität und forderten die Forscher in Estland auf, den Kodex ebenfalls zur unterzeichnen. Im letzten Teil der Veranstaltung berichteten Mitglieder von anderen Ethikräten aus der EU von ihren aktuellen Projekten. So stellte Peter Dabrock, der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, in Grundzügen die Stellungnahme des Deutschen Ethikrates zum Thema Big Data im Gesundheitswesen vor, die zu diesem Zeitpunkt kurz vor der Veröffentlichung stand. Peter Achard, der Vorsitzende des britischen Nuffield Council, präsentierte anschließend die Überlegungen des Nuffield Council zur Anwendung von Verfahren zur Genom-Editierung am Menschen. Um Forschungsethik und die Integrität von Forschern ging es anschließend erneut im Bericht von Kjell Asplund, dem Vorsitzenden des schwedischen Ethikrates, der im Auftrag der schwedischen Regierung die Untersuchungen im Zusammenhang mit den Vorfällen um den italienischen Chirurgen Paolo Macchiarini an der Universitätsklinik des Karolinska-Institutes geleitet hatte. Macchiarini hatte zwischen 2011 und 2013 unter grober Missachtung medizinischer und ethischer Standards drei Transplantationen von künstlichen Luftröhren durchgeführt, die letztlich zum Tode der Patienten führten. Im Zuge der Aufdeckung des Skandals wurde nicht nur Macchiarini entlassen , sondern auch der Vize-Kanzler der Klinik musste von seinem Posten zurücktreten. Er hatte trotz offensichtlicher Belege für ein wissenschaftliches Fehlverhalten Macchiarinis dafür gesorgt, dass die Untersuchung gegen diesen zunächst eingestellt wurde. Den Abschluss der Session bildet die Vorstellung der jüngsten Stellungnahme des luxemburgischen Ethikrates zum Thema Intersexualität, die von Ratsmitglied Christel Baltes-Löhr vorgestellt wurde. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 013/19 Seite 19 Hele Everaus dankte den Teilnehmern zum Abschluss der Veranstaltung für die intensiven Debatten und die Beiträge zu den unterschiedlichen Themen, die nicht nur die Diskussionen in Estland , sondern auch in den anderen Ländern befruchten würden. Auch Isidoros Karatzas von der EU-Kommission, deren finanzielle Unterstützung das Treffen der Ethikräte auf europäischer Ebene überhaupt erst ermöglicht, dankte den Teilnehmern für ihre Beiträge, die auch für die Weiterentwicklung der Debatten auf der europäischen Ebene wichtig seien. Das nächste Treffen im Rahmen des NEC-Forums wird voraussichtlich im zweiten Halbjahr 2018 unter der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft in Wien stattfinden.“20 4. Der globale WHO-Gipfel nationaler Bioethik-Komitees Die Abteilung für globale Gesundheitsethik der World Health Organization (WHO) stellt das ständige Sekretariat für den Weltgipfel bereit und organisiert ein alle zwei Jahre stattfindendes Forum für nationale Vertreter der Bioethik, um Informationen und Erfahrungen zu ethischen Fragen im Bereich der öffentlichen Gesundheit auszutauschen. Es ist eine Diskussionsplattform und formuliert einen Konsens über eine breite Palette prominenter ethischer Themen. Der 12. Weltgipfel der nationalen Ethik- / Bioethik-Komitees fand vom 22. bis 24. März 2018 in Dakar, Senegal statt. An dem Gipfeltreffen waren Teilnehmer aus 71 Ländern anwesend. Der nächste globale Gipfel wird 2020 in Portugal stattfinden.21 4.1. Historischer Hintergrund „Immer mehr Nationen haben offizielle Gremien geschaffen, die ihre Exekutive, ihre Legislative und oft auch die breite Öffentlichkeit über Bioethik beraten. Sie werden als "Nationale Kommissionen ", "Beratende Ausschüsse" und dergleichen bezeichnet. Sie werden von leitenden Angestellten , Gesundheitsministern und Gesetzgebern ernannt, um zu analysieren und Schlussfolgerungen und Empfehlungen zu aktuellen Fragen der Bioethik und allgemein zur Gesundheitsethik abzugeben. zumal sich diese Fragen auf das potenzielle Bedürfnis auswirken, um nationale Politiken zu entwickeln und Rechtsvorschriften zu erlassen. In einigen Ländern werden die Gremien, die diese Funktion ausüben, außerhalb formaler Regierungsstrukturen ernannt und setzen sich manchmal aus mehreren Beratergruppen zusammen. Im November 1996 trafen sich die damaligen nationalen Bioethikkommissionen auf Einladung eines zweitägigen "International Summit" in San Francisco, Kalifornien, USA, auf Einladung der amerikanischen "National Bioethics Advisory Commission" und des französischen "Comité Consultatif National d'Ethique pour les Sciences de la Vie et de la Santé". Nachfolgende Treffen des 20 Ebenda: 57f. 21 Vergl.: WHO (2019). The Global Summit of National Bioethics Committees. https://www.who.int/ethics/partnerships /globalsummit/en/ Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 013/19 Seite 20 Globalen Gipfels der nationalen Bioethik-Beratungsgremien, an denen immer mehr nationale Komitees und internationale Organisationen vertreten waren, fanden an folgenden Orten statt:“22 4.2. Liste der globalen Gipfeltreffen der nationalen Bioethik-Komitees „12. Weltgipfel, Dakar, Senegal, 22.-24. März 2018 Unter dem Motto „Bioethik, nachhaltige Entwicklung und Gesellschaften“ konzentrierte sich dieser Gipfel auf folgende Themen: Bioethik, soziale Gerechtigkeit und Zivilgesellschaft, Bioethik im Zeitalter der elektronischen Daten, Bioethik, gesundheitliche Notfälle und Resilienz. Es waren Teilnehmer aus 71 Ländern. Die Teilnehmer des 12. Globalen Gipfeltreffens der nationalen Ethik- / Bioethik-Komitees einigten sich auf einen gemeinsamen "Aufruf zum Handeln". Die WHO begrüßt diese Erklärung. Elfter globaler Gipfel. Berlin, 16.-18. März 2016 An dem zweijährlich stattfindenden Forum nahmen 125 Teilnehmer teil und brachten Vertreter der Nationalen Ethikkommissionen aus 83 Ländern zusammen. Das Gipfelthema, Globale Gesundheit , Globale Ethik, Globale Gerechtigkeit, bildet die Bühne für Diskussionen im Plenum über aufkommende und konvergierende Technologien. Epidemien und Ausbrüche - Einführung des WHO-Richtlinienentwurfs; bioethische Politik und bioethisches Recht; Aufklärung über bioethische Themen wie Bildung, Medien und Kommunikation. Zehnter globaler Gipfel. Mexiko, 22. bis 24. Juni 2014 An dem 10. Weltgipfel, der vom 22. bis 24. Juni 2014 in Mexiko stattfand, nahmen mehr als 50 Vertreter aus über 30 Ländern teil. Auf der Tagesordnung standen neue Gesundheitstechnologien und eine allgemeine Gesundheitsversorgung. Die WHO ist das ständige Sekretariat des Gipfels und hat diese Veranstaltung in Zusammenarbeit mit dem mexikanischen Gesundheitsministerium organisiert. Neunter globaler Gipfel. Karthago, 26.-28. September 2012 Auf dem neunten Weltgipfel, der von der tunesischen Nationalen Ethikkommission ausgerichtet wurde, wurden verschiedene ethische Themen angesprochen. Auf der Tagesordnung standen Forschungsethik, Biobanken, ethische Fragen bei der Organ-, Gewebe- und Zelltransplantation sowie die Ethik der Pflege und Bekämpfung von Infektionskrankheiten. Achter Weltgipfel. Singapur, 26.-27. Juli 2010 Vertreter aus 33 Ländern und 4 regionalen und internationalen Organisationen wurden zusammengebracht , um über ethische Fragen bei der Organ-, Gewebe- und Zelltransplantation, For- 22 Ebenda. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 013/19 Seite 21 schungsethikkommissionen und Tuberkulose (TB) -Kontrolle, Biobanken und synthetische Biologie zu diskutieren. Um die Kontinuität zwischen den Weltgipfeln sicherzustellen, wurde beschlossen , vier Arbeitsgruppen zu vorrangigen Themen einzusetzen. Siebter globaler Gipfel. Paris, 1-2 September 2008 Der Siebte Weltgipfel, der vom Nationalen Beratenden Ethikausschuss für Gesundheit und Lebenswissenschaften in Frankreich veranstaltet wurde, befasste sich mit zehn verschiedenen Themen , darunter Ethik und kulturelle Vielfalt. Transplantation von Organen und Gewebe; digitale Gesundheitsakten; Ethikkommissionen und öffentliche Politik. Vertreter aus 33 teilnehmenden Ländern präsentierten die Arbeit ihrer Ausschüsse, gefolgt von einer Plenardiskussion. Sechster globaler Gipfel. Peking, 4.-5. August 2006 Der sechste globale Gipfel wurde in Verbindung mit dem achten Weltkongress für Bioethik abgehalten . Vertreter aus 18 verschiedenen Ländern nahmen teil und kommentierten eine Vielzahl von ethischen Themen. In Plenarsitzungen erörterten die Delegierten Neuroethik und die ethischen Bedenken hinsichtlich des Verständnisses und der Manipulation des menschlichen Geistes sowie der Ethik von Katastrophen. Die Beratungen in weiteren Plenarsitzungen konzentrierten sich auf Datenbanken und persönliche Gesundheitsinformationen sowie auf die Horizontthemen der nationalen Bioethik-Beratungsgremien. Die Teilnehmer hörten Präsentationen von nationalen Bioethik-Komitees aus verschiedenen Ländern . 14 Länder konnten sich zu vergangenen oder laufenden Projekten präsentieren. Mehrere Teilnehmer betonten, wie wichtig es ist, aus anderen Ländern über gemeinsame Probleme zu lernen und zu versuchen, sie anzugehen. Diese Möglichkeiten sind von zentraler Bedeutung, um die nationalen Bioethikkommissionen zusammenzuführen. Fünfter globaler Gipfel. Canberra, 7.-9. November 2004 Der fünfte Gipfel wurde vom Australian Health Ethics Committee (AHEC) in Verbindung mit dem Weltkongress für Bioethik (9. bis 12. November 2004 in Sydney) organisiert. Wie die vorangegangenen Treffen bestand dieser Gipfel sowohl aus Berichten nationaler Komitees über ihre Arbeit als auch aus Diskussionen zu ausgewählten bioethischen Themen von großem Interesse. Es fanden zwei Workshops statt, an denen insgesamt 36 Delegierte teilnahmen. Vierter globaler Gipfel. Brasilia, 3.-4. November 2002 Teilnehmer aus 27 Nationen diskutierten ein breites Spektrum von Fragen, die sich bei ihren nationalen Beratungen ergeben hatten. Neben einer Plenardiskussion über die Ethik und die politischen Optionen im Bereich der Forschung an menschlichen Stammzellen führten sie Breakout- Sitzungen zum Einsatz biologischer Proben für Forschung, Pharmakogenetik, das Patentieren von DNA, die Rolle der Medien, Zell- und DNA-Datenbanken (Zusammenfassung des Brasilia Global Summit). Am Ende des Weltgipfels verabschiedeten die Teilnehmer das Brasilia Communiqué, in dem ihre gemeinsame Entschlossenheit zum Ausdruck gebracht wurde, das Feld voranzutreiben und sich für einen weiteren Meinungsaustausch und eine Zusammenarbeit wieder zusammenzubringen . Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 013/19 Seite 22 Dritter globaler Gipfel. London, 20.-21. September 2000 Das dritte Treffen des Weltgipfels fand auf Einladung des Nuffield Council on Bioethics und des britischen Gesundheitsministeriums zusammen mit den nationalen Kommissionen der USA und Frankreichs statt. 36 Nationen waren vertreten (der größte Zuwachs kam von den neu gegründeten europäischen Nationalkommissionen) sowie ein Dutzend internationaler Organisationen. Zweiter globaler Gipfel. Tokio, 3.-4. November 1998 Harold T. Shapiro, Vorsitzender der National Bioethics Advisory Commission, und Dr. Jean- Pierre Changeux, Vorsitzender des französischen Comité Consultatif National d'Ethique, zusammen mit dem Vorsitzenden Dr. Hiroo Imura der japanischen Bioethikkommission ein zweitägiges Treffen in Tokio ein, bei dem Delegierte und Beobachter aus mehr als 30 Ländern und 6 internationale Organisationen zusammenkamen. Wie das erste Treffen wurde der Zweite Internationale Gipfel in Verbindung mit einem Weltkongress für Bioethik abgehalten. Am Ende der lebhaften Diskussionsrunden beschlossen die Teilnehmer , den "Globalen Gipfel der Nationalen Bioethikkommissionen" als fortlaufende Organisation zu etablieren, um den Fortschritt bei Themen zu fördern, die für die nationalen Bioethik-Beratungsgremien von gemeinsamem Interesse sind. Sie identifizierten auch eine Reihe von Fragen von gemeinsamem Interesse (Tokyo Communiqué). Erster globaler Gipfel. San Francisco, 1996. Im Sommer 1996 forderte der kürzlich von Präsident Clinton ernannte National Bioethics Advisory Commission den Nationalen Ethikausschuss für Ethik auf, die anderen nationalen Bioethik ausschüsse mit einzuladen, um Delegierte zu einem internationalen Gipfeltreffen in San Francisco zusammen mit San Francisco zu entsenden der III. Weltkongress für Bioethik Ende November 1996. Delegierte aus 18 Nationen sowie Beobachter von sechs internationalen Gremien nahmen an diesem ersten globalen Treffen teil. Einige Länder hatten spezialisierte nationale Kommissionen, andere waren durch eine Ethikgruppe eines Berufsverbandes und einige durch einen Beamten des Gesundheitsministeriums vertreten. Die Delegierten aus Amerika, Asien, Australien und Europa diskutierten ihre Unterschiede in Bezug auf Umfang, Sponsoring und nationale Kulturen, fanden jedoch viele Bereiche von gemeinsamem Interesse in der Bioethik und beschlossen, ihren Dialog fortzusetzen.“23 23 WHO (2019). Past Global Summits of National Bioethics Committees. https://www.who.int/ethics/globalsummit /summits/en/ Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 013/19 Seite 23 5. Weiterführende Literatur Der Autor Michael Fuchs veröffentlichte im Jahr 2005 eine umfassende Darstellung der bis dato existierenden Ethikräte in der Welt. Sie umfasst die Staaten in Europa, Nordamerika, Süd- und Mittelamerika, im Nahen Osten und Nordafrika, in Asien sowie in Australien und Neuseeland.24 Die Untersuchung versucht Besonderheiten und Gemeinsamkeiten dieser nationalen Ethikkommissionen herauszuarbeiten. Obschon ein Schwerpunkt der Untersuchung auf Europa liegt, werden auch Beispiele für alle Kontinente vorgestellt. „Sodann werden einige wichtige Gesichtspunkte wie thematische Zuständigkeit, Zusammensetzung , Transparenz und Einbindung der Öffentlichkeit sowie rechtliche und institutionelle Zuordnung in einem Querschnittvergleich erörtert. Der Kontaktaufnahme zwischen den nationalen Ethikgremien ist ein eigener systematischer Abschnitt gewidmet. Dem liegt die Einschätzung zugrunde , dass solche Kontakte für die Urteilsbildung in den einzelnen Ländern von zunehmender Bedeutung sind. Bilaterale und internationale Treffen stellen zudem ein wichtiges Element in dem weltweiten Versuch der Konsensfindung im Bereich der ethischen Fragen der Biomedizin dar.“25 *** 24 Fuchs, Michael (2005). Nationale Ethikräte. Hintergründe, Funktionen und Arbeitsweisen im Vergleich. https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Studien/Fuchs_Nationale-Ethikraete.pdf 25 Ebenda: 11