© 2016 Deutscher Bundestag WD 8 - 3000 – 010/16 Zum Verhältnis von Demografie und Innovation Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundes-tages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigten Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 – 010/16 Seite 2 Zum Verhältnis von Demografie und Innovation Aktenzeichen: WD 8 - 3000 – 010/16 Abschluss der Arbeit: 2. März 2016 Fachbereich: WD 8: Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 – 010/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Begriffliche Abgrenzung 4 2.1. Demografie 4 2.2. Bruttoinlandsprodukt 4 2.3. Innovation 6 3. Demografie-Initiativen der Bundesregierung und der EU 7 4. Ausgewählte wissenschaftliche Studien zum Verhältnis von Demografie- und Innovationsindikatoren 8 4.1. Bestandsaufnahme Demografie-bezogener Innovationsindikatoren zur Untersuchung der Wechselwirkungen zwischen Demografie und Innovationen 9 4.2. Älter, weniger, vielfältiger – innovativer? 11 4.3. Demographic patterns and trends in patenting Gender, age, and education of inventors. 12 4.4. Demographic Change and New Zealand’s Economic Growth 12 4.5. Demographic Changes, Financial Markets, and the Economy 13 4.6. Cultural Innovations and Demographic Change 14 4.7. Emerging Economies: demographic Change 15 5. Zusammenfassung 15 6. Anlagen 17 7. Literaturverzeichnis 17 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 – 010/16 Seite 4 1. Einleitung Prognosen zufolge wird in den kommenden Jahrzehnten die Gesamtbevölkerungszahl in Deutschland deutlich abnehmen. Einen ähnlichen Wandel werden auch andere Industriestaaten durchlaufen. Die Auswirkungen dieses „demografischen Wandels“ werden seit Jahren diskutiert und unterschiedliche Szenarien prognostiziert. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) spricht in diesem Zusammenhang von „grundlegenden und dauerhaften Veränderungen“, die „in unserer Gesellschaft immer stärker spürbar“ seien. Der demografische Wandel stelle eine große Herausforderung für Politik, Verwaltung, Wirtschaft und jeden Einzelnen unserer Gesellschaft dar. Umso wichtiger sei es, diese Herausforderung anzugehen.1 Daher hat die Bundesregierung 2009 eine Demografie-Strategie erarbeiten lassen und am 2. September 2015 deren Weiterentwicklung beschlossen. In der vorliegenden Arbeit werden Bezüge der Kernbegriffe „Demografie“, „Bruttoinlandsprodukt“ und „Innovation“ untereinander dargestellt und auf Demografie-Initiativen der Bundesregierung und der EU eingegangen. Daran schließt sich eine Darstellung sieben ausgewählter Publikationen an, die sich mit den Zusammenhängen zwischen Demografie und Innovation beschäftigen. 2. Begriffliche Abgrenzung 2.1. Demografie Die Bezeichnung Demografie leitet sich aus dem altgriechischen démos für Volk und graphé für Schrift ab und bezeichnet die Wissenschaft von der Bevölkerung. Mit ihr werden Zustandsformen der Bevölkerung hinsichtlich ihrer Größe, Altersstruktur, Geburtenhäufigkeit, Zuwanderung, Bildungszusammensetzung etc. beschrieben. Auf dieser Basis werden Prognosen für die Zukunft abgeleitet, beispielsweise Bevölkerungszunahme oder –abnahme sowie der zukünftige Altersaufbau. Mit Hilfe dieser Daten und Prognosen arbeiten sowohl Politik als auch Wirtschaft, um frühzeitig auf zukünftige Herausforderungen reagieren zu können. Methodisch sind in der Demografie insbesondere fortgeschriebene Statistiken, Stichproben und Zählungen wichtig. Historisch sind besonders Kirchen- und Ortsfamilienbücher als Datengrundlage bedeutsam. 2.2. Bruttoinlandsprodukt „Das Bruttoinlandsprodukt (BIP, englisch: gross domestic product) misst die Produktion von Waren und Dienstleistungen im Inland nach Abzug aller Vorleistungen. Es ist in erster Linie ein Produktionsmaß. Das Bruttoinlandsprodukt errechnet sich als Summe der Bruttowertschöpfung aller Wirtschaftsbereiche zuzüglich des Saldos von Gütersteuern und Gütersubventionen.“2 Oftmals wird in direktem Zusammenhang mit demografischen Veränderungen und ihren Auswirkungen das Bruttoinlandsprodukt angeführt. Die Verwendung dieser Größe ist umstritten. 1 Im Internet abrufbar unter: http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/Familie/demografischer-wandel.html [zuletzt abgerufen am 29. Februar 2016]. 2 Im Internet abrufbar unter: http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/bruttoinlandsprodukt-bip.html [zuletzt abgerufen am 29. Februar 2016]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 – 010/16 Seite 5 Es messe zwar „Einkommen“ und „Wachstum“, nicht aber Gleichheit, Abbau, soziale Zusammenhänge und Umweltfaktoren.3 Zudem eigne es sich nicht als Indikator für Wohlstand und Wirtschaftswachstum, wie eine Studie im Auftrag des Bundesverbandes der Deutschen Industrie im Oktober 2012 feststellt.4 Der Projektleiter der Studie, Ulrich van Suntum, hat sich im Rahmen anderer Arbeiten eingehend mit der Problematik der „Wohlfahrtsmessung“5 beschäftigt. Dieses Thema wurde auch im Bericht der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft“ der 17. Wahlperiode des Deutschen Bundestages (BT-Drs. 17/13300) aufgegriffen.6 Die Ableitung eines geeigneten Wohlfahrtsindex war ein wesentlicher Diskussionsgegenstand in der Enquete-Diskussion. Verschiedene Leitindikatoren werden im Bericht vorgestellt,7 sich aber „entschieden, sowohl das BIP pro Kopf in absoluter Höhe (beispielsweise 31 000 Euro) als auch die Veränderungsrate des BIP pro Kopf gegenüber dem jeweiligen Vorjahr (beispielsweise 3,5 Prozent) als Leitindikator auszuweisen (beispielsweise so: 31 000 Euro/3,5 Prozent).“ In der Betrachtung des Zusammenhangs von demografischer Entwicklung und Wirtschaftswachstum wird „mit Hilfe eines aufwendigen Projektionsmodells [prognostiziert], dass die Zuwachsrate des (um Konjunktureinflüsse bereinigten) Bruttoinlandsprodukts – des sogenannten Produktionspotenzials – bis 2035 auf 0,5 Prozent pro Jahr sinken wird, bevor sie sich bis 2060 bei 0,7 Prozent einpendelt.“8 Besonders die Vernachlässigung umweltspezifischer Faktoren bei der Ableitung des BIP wurde vielfach kritisiert. Es wurde vor den Folgen einer vergleichsweise kritiklosen Verwendung des BIP als Indikatorgröße gewarnt.9 Allerdings scheint es an einer ebenso leicht verwendbaren, international vergleichbaren besseren Maßzahl zu mangeln, weshalb das BIP nach wie vor vielfach benutzt wird.10 3 Im Internet abrufbar unter: http://www.oecdobserver.org/news/archivestory.php/aid/1518/Is_GDP_a_satisfactory_measure_of_growth_.htm l [zuletzt abgerufen am 29. Februar 2016]. 4 Im Internet abrufbar unter: https://www.zu.de/daily-wAssets/pdf/Zur-Kritik-des-BIP-als-Indikator-fuer- Wohlstand-und-Wirtschaftswachstum.pdf [zuletzt abgerufen am 29. Februar 2016]. 5 Siehe beispielsweise: Van Suntum, Ulrich und Oliver Lerbs (2010), Theoretische Fundierung und Bewertung alternativer Methoden der Wohlfahrtsmessung, Studie im Auftrag der KfW, Münster. 6 Bericht der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft“ der 17. Wahlperiode des Deutschen Bundestages (BT-Drs. 17/13300), Seite 299 ff. 7 Ebd., Seite 238. 8 Ebd., Seite 96. 9 Im Internet abrufbar unter: http://www.nytimes.com/2010/05/16/magazine/16GDP-t.html?_r=1 zuletzt abgerufen am 29. Februar 2016]. 10 Im Internet abrufbar unter: http://www.iwkoeln.de/infodienste/iw-dossiers/kapitel/familienheute /beitrag/kritik-am-bip-ein-mass-mit-schwaechen-102067 [zuletzt abgerufen am 29. Februar 2016]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 – 010/16 Seite 6 2.3. Innovation Zumeist wird Innovation im Sinne der Wirtschaftswissenschaften gebraucht (z.B. Produkt-, Prozess-, Verfahrensinnovation) und bezeichnet die „mit technischem, sozialem und wirtschaftlichem Wandel einhergehenden (komplexen) Neuerungen“.11 Allerdings gibt es bis heute keine allgemein akzeptierte Begriffsdefinition. Den verschiedenen Definitionen gemein sind die Merkmale: (1) Neuheit oder (Er-)Neuerung eines Objekts oder einer sozialen Handlungsweise, mind. für das betrachtete System und (2) Veränderung bzw. Wechsel durch die Innovation in und durch die Unternehmung, d.h. Innovation muss entdeckt/ erfunden, eingeführt, genutzt, angewandt und institutionalisiert werden.12 Begründet wurde der Begriff Innovation (im wirtschaftswissenschaftlichen Sinn) durch Joseph Schumpeter.13 Aber auch in den Geisteswissenschaften und Kultur wird der Begriff verwendet und wird auch hier mit Neuem, Wechsel sowie Kreativität verbunden. Der US-amerikanische Ökonom Peter Ferdinand Drucker, bekannt als Wissenschaftler der Managementlehre, untersuchte Quellen und Auswirkungen von Innovation. Er postulierte, dass der Unternehmenssektor („business enterprise“) zwei Funktionen verfolge: Marketing und Innovation, die beide Resultate schafften, der gesamte Rest seien Kosten.14 Zu den Quellen von Innovation innerhalb von Unternehmen und Industrie gibt Drucker an: unerwartete Entdeckungen (unexpected occurrences), Nichtübereinstimmungen (incongruities), Prozessbedingte Anforderungen (process needs) sowie Industrie- und Marktveränderungen (industry and market changes). Drei weitere Quellen benennt er: demografische Veränderungen (demographic changes), Veränderungen der Wahrnehmung (changes in perception) und neue Erkenntnisse (new knowledge).15 Tatsächlich kennten Manager seit langem den Einfluss von Demografie auf Innovation, glaubten aber, dass sich populationsbedingte statistische Verschiebungen nur sehr langsam ergäben. Aber dies ändere sich gegenwärtig, Veränderungen 11 Gabler Wirtschaftslexikon, im Internet abrufbar unter: http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/innovation.html [zuletzt abgerufen am 29. Februar 2016]. 12 Ebd. 13 Im Internet abrufbar unter: http://www.wiwo.de/politik/konjunktur/grosse-oekonomen-und-ihre-ideenschumpeter -und-die-zivilisationsmaschine/5754644.html [zuletzt abgerufen am 29. Februar 2016]. 14 „Because the purpose of business is to create a customer, the business enterprise has two–and only two–basic functions: marketing and innovation. Marketing and innovation produce results; all the rest are costs. Marketing is the distinguishing, unique function of the business.“ Quelle: http://www.forbes.com/2006/06/30/jack-trouton -marketing-cx_jt_0703drucker.html [zuletzt abgerufen am 29. Februar 2016]. 15 Peter F. Drucker: The Discipline of Innovation, Artikel in Harvard Business Review vom August 2002, im internet abrufbar unter: https://hbr.org/2002/08/the-discipline-of-innovation [zuletzt abgerufen am 29. Februar 2016]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 – 010/16 Seite 7 ereigneten sich nicht mehr nur langsam. Daher könne man sagen, dass Innovationen infolge von demografischen Veränderungen zu den lohnenswertesten und risikoärmsten unternehmerischen Aktivitäten zählten.16 In der Vergangenheit sind eine ganze Reihe von Indices entwickelt worden, um eine einzige Maßzahl zur Ableitung der Innovationskraft eines Landes aufzustellen. Seit rund zehn Jahren wird jährlich im Auftrag der Deutschen Telekom Stiftung und des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) der Innovationsindex Deutschland erstellt. In die Berechnung eines Gesamtindikators fließen dabei mehr als 150 Einzelindikatoren zur Innovationsfähigkeit ein. Aktuelle Ergebnisse sind im Internet abrufbar.17 Von Seiten der Wissenschaft wird teilweise die Zusammenfassung in einen einzigen Indikatorwert kritisiert.18 3. Demografie-Initiativen der Bundesregierung und der EU Im Rahmen der Kabinettsklausurtagung in Meseberg im November 2009 hatte die damalige Bundesregierung den Bundesminister des Innern damit beauftragt, gemeinsam mit den anderen Ressorts eine Demografie-Strategie zu erarbeiten.19 Ein halbes Jahr später wurde im Juni 2010 durch Bundesinnenminister Thomas de Maizière der „Expertenrat Demografie“ eingerichtet.20 Dieser ist als informelle Runde konzipiert, in der sich Vertreter aus der Wissenschaft und den Medien im Bundesinnenministerium zum Meinungsaustausch treffen. Die letzte Sitzung fand am 11. November 2015 statt (dritte Sitzung des Expertenrats Demografie). Zentrales Thema war hier das Verhältnis der Generationen.21 Außerdem wurde 2011 vom Bundesinnenministerium ein Gesprächsforum eingerichtet („Wir haben die Zukunft in der Hand“), in dem neben Vertretern der verschiedenen Bundesministerien (Staatsekretäre, Abteilungs- und Referatsleiter) auch die Bevollmächtigten der Länder beim Bund, die Staatskanzleien der Neuen Bundesländer sowie Abgeordnete der Bundestagsfraktionen 16 ebd. 17 Im Internet abrufbar unter: http://www.innovationsindikator.de/2015/home/#!/Home [zuletzt abgerufen am 29. Februar 2016]. 18 Dönitz 2010: Ewa J. Dönitz: Bestandsaufnahme demografiebezogener Innovationsindikatoren zur Untersuchung der Wechselwirkungen zwischen Demografie und Innovationen, Arbeitspapier im Rahmen des Strategieprojektes“ Demografie und Innovation“, Fraunhofer-Institut für System- -und Innovationsforschung, Karlsruhe, Januar 2010, Seite 50. 19 Im Internet abrufbar unter: http://www.demografie-portal.de/ [zuletzt abgerufen am 29. Februar 2016]. 20 Im Internet abrufbar unter: http://www.demografie-portal.de/ [zuletzt abgerufen am 29. Februar 2016]. 21 Im Internet abrufbar unter: http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/2015/11/expertenratdemografie .html [zuletzt abgerufen am 29. Februar 2016]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 – 010/16 Seite 8 zusammenkommen. Im selben Jahr, 2011, wurde der Demografiebericht22 der Bundesregierung vorgelegt.23 Am 25. April 2012 legte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich die Demografiestrategie24 („Jedes Alter zählt“) vor. Seit 2014 gibt es die gemeinsame Programminitiative (The Joint Programming Initiative (JPI)) “More Years, Better Lives – The Potential and Challenges of Demographic Change”. Das Projekt wird im Rahmen des EU-Forschungsprogramms Horizon 2020 finanziert25. Hierdurch sollen die Koordination und Zusammenarbeit zwischen europäischen und nationalen Forschungsprogrammen zum Thema „Demografischer Wandel“ unterstützt werden. Derzeit nehmen 15 europäische Länder sowie Kanada und Israel teil. In der Forschungsagenda (Strategic Research Agenda, SRA26) werden die Ausgangslage, Zielsetzungen und Leitfragen formuliert. Es wurden vier Forschungsfelder festgelegt: Quality of life, health and wellbeing Economic and social production Governance and institutions Sustainable welfare. In den einzelnen Ansätzen wird von einem bestehenden demografischen Wandel ausgegangen. Es sollen die sich daraus ergebenden Implikationen untersucht werden und ggf. Handlungsempfehlungen abgeleitet werden. Deutschland hat derzeit noch keine Berichte eingestellt. 4. Ausgewählte wissenschaftliche Studien zum Verhältnis von Demografie- und Innovationsindikatoren Im Folgenden wird eine Auswahl wissenschaftlicher Publikationen und Arbeitspapiere vorgestellt, die sich mit verschiedenen Aspekten des Bezugs zwischen demografischen Größen und Innovationsfaktoren (ökonomisch sowie kulturell) befassen. 22 Im Internet abrufbar unter: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/2012/demografiebericht.pdf?__blob=public ationFile [zuletzt abgerufen am 29. Februar 2016]. 23 Am 26. Oktober 2011 brachte Bundesinnenminister Dr. Hans-Peter Friedrich den Demografiebericht der Bundesregierung ins Kabinett ein. 24 Im Internet abrufbar unter: http://www.demografie-portal.de/DE/Home/home_node.html [zuletzt abgerufen am 29. Februar 2016]. 25 Grant Agreement number 643850 26 Im Internet abrufbar unter: http://www.jp-demographic.eu/about-us/background-and-goals/strategic-researchagenda -sra/ [zuletzt abgerufen am 29. Februar 2016]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 – 010/16 Seite 9 4.1. Bestandsaufnahme Demografie-bezogener Innovationsindikatoren zur Untersuchung der Wechselwirkungen zwischen Demografie und Innovationen27 Ewa J. Dönitz geht in ihrem Arbeitspapier zum Verhältnis zwischen Demografie und Innovation der Frage der Auswirkungen von demografischen Entwicklungen auf Innovation nach. Dabei wird Innovation zunächst sehr allgemein gefasst als „Fähigkeit zur Schaffung und Verbreitung von Innovationen“28. Um dies analysieren zu können, muss definiert werden, inwiefern Innovationsfähigkeit messbar ist. Geeignete Indikatoren, die einzelne Aspekte der Innovationsfähigkeit abbilden, werden im Arbeitspapier zusammengestellt. Demgegenüber steht die Beschreibung von demografischen Entwicklungen, die die Autorin wie folgt definiert: „Die demografische Beschreibung der Bevölkerung, als die Gesamtheit von Personen in einem bestimmten, in der Regel abgegrenzten Raum, umfasst den Aufbau der Bevölkerung, d.h. die Größe und Verteilung, sowie ihre Veränderung. Der Aufbau wird hauptsächlich durch solche Merkmale beschrieben, wie Geschlecht, Alter, Familienstand, Konfession, Nationalität, regionale Einheiten und Ortsgrößen. Zur Beschreibung der Sozialstruktur werden zudem Einkommen, Vermögen, Erwerbstätigkeit und Stellung im Beruf einbezogen. Die Dynamik fokussiert hingegen auf die sog. „natürliche Bevölkerungsbewegung“, d.h. auf die biologische und geografische Seite der Bevölkerungsprozesse.“29 Im Arbeitspapier werden gemäß dieser Definitionen Innovationsindikatoren zusammengetragen, diese klassifiziert in die Themenkomplexe Bevölkerung, Bildung, Beschäftigung, Bevölkerungsgruppen, gesellschaftliches Innovationsklima eingeteilt, und sodann ihr Bezug zu Demografie untersucht. Die Gesamttabelle findet sich in Anlage 1. Zusammenfassend wurden folgende Zusammenhänge festgestellt: (a) Bevölkerung „Das junge Alter [wirkt sich] positiv auf die Innovationsfähigkeit aus. Die jungen Menschen schaffen grundsätzlich einen innovationsfreundlichen Markt. Die Gesamtleistung lässt jedoch ab einem gewissen Alter nach. Die älteren Mitarbeiter können sich schlechter neue Qualifikationen aneignen und haben weniger Zeit, um diese einzusetzen. […] [Es] lassen sich keine unmittelbaren Schlussfolgerungen aus dem Alter auf individuelle oder organisationale Innovationspotenziale ableiten, da die Effekte der Bevölkerungsalterung auf die Arbeitsproduktivität nicht zu belegen sind30. […] Ältere, als 27 Dönitz 2010: Ewa J. Dönitz: Bestandsaufnahme demografiebezogener Innovationsindikatoren zur Untersuchung der Wechselwirkungen zwischen Demografie und Innovationen, Arbeitspapier im Rahmen des Strategieprojektes“ Demografie und Innovation“, Fraunhofer-Institut für System-und Innovationsforschung, Karlsruhe, Januar 2010. 28 Dönitz2010, Seite 3, Absatz 3. 29 Dönitz2010, Seite 6, Abschnitt 1.2. 30 Fettung durch den Autor des Sachstandes. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 – 010/16 Seite 10 Nachfragende, [haben] immer größeren Einfluss auf die Innovationen im Sinne der Entwicklung und Vermarktung der neuen Produkte.“31 (b) Bildung Mit Innovationszuwachs positiv verbundene Faktoren sind: Anteil der Hochbegabten an allen Schulkindern, ein ausgeprägter tertiärer Bildungssektor in verschiedenen Altersgruppen, lebenslanges Lernen und Weiterbildung.32 (c) Beschäftigung Ein Schwerpunkt im Sektor wissensintensiver Dienstleistungen, Spitzentechnologien, hoher Anteil tertiär Gebildeter in Wissenschaft und Technik und die Anzahl von Forschern haben –so die Autorin- einen positiven Einfluss auf Innovationszuwachs.33 (d) Bevölkerungsgruppen Über 60-Jährige: Die Festlegung eines Altersproduktivitätsprofils kann unter bestimmten Umständen einen positiven Einfluss auf Innovationswachstum haben. Eine geeignete Alterszusammensetzung wirkt sich leistungssteigernd aus, beispielsweise in Hinblick darauf, dass junge Mitarbeiter im Entwicklungsbereich eingesetzt werden, während ältere Mitarbeiter in der Betreuung und Produktpflege arbeiten.34 Die Abschottung von Altersgruppen im Unternehmen sowie altershomogene Betriebsgemeinschaften hingegen blockiert den Transfer von Erfahrungswissen und führt zu mittelfristigen Nachteilen für die Innovationsfähigkeit.35 Frauen: Ein hoher Anteil hochqualifizierter Frauen, eine hohe Frauenerwerbsquote und tertiäre Bildung wirken sich positiv auf Innovationswachstum aus,36 ebenso eine ausgeprägte Doppelkarrierepraxis (Dual Career Praxis37).38 Migranten: Während für „Brain-Drain“ (d.h. Abwanderung Deutscher) eine negative Korrelation festgestellt wird, haben die Zuwanderung sowie der Anteil von Bildungsausländern39, die nach deutschem Abschluss in Deutschland erwerbstätig 31 Dönitz2010, Seite 11, Abschnitt 2.1. 32 Dönitz2010, Seite 16 ff. 33 Dönitz2010, Seite 23 ff. 34 Dönitz2010, Seite 27 ff. 35 Dönitz2010, Seite 48. 36 Dönitz2010, Seite 30 ff. 37 Hiermit wird eine Personalpraxis bezeichnet, bei der ein Paar (mit oder ohne Kinder) von Seiten des Arbeitgebers in seiner langfristigen Karriere- bzw. Laufbahnorientierung unterstützt wird. Dies kann sich klassischerweise darin niederschlagen, dass der Arbeitgeber bei Arbeitsplatzvergabe das Paar aktiv bei der Findung eines geeigneten Arbeitsplatzes auch für den Partner im gleichen oder einem anderen Unternehmen behilflich ist. 38 Dönitz2010, Seite 47. 39 Bildungsausländer/innen sind Personen, die nicht Deutsche sind und an einer ausländischen Schule in Deutschland oder im Ausland oder an einer deutschen Schule im Ausland eine nicht deutsche Hochschulzugangsberechtigung erworben haben. Quelle: http://www.studium.unimainz .de/bildungsauslaenderinnen/ [zuletzt abgerufen am 1. März 2016]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 – 010/16 Seite 11 werden, eine positiven Einfluss,40 der Anteil ausländischer Studierender und der Anteil der Ausländer an der erwerbstätigen Bevölkerung einen leicht positiven.41 (e) Gesellschaftliches Innovationsklima Der Indikatorkomplex „gesellschaftliches Innovationsklima“ ist sehr vielschichtig und umfasst eine offene Einstellung für Veränderungen sowie Partizipation (z.B. von Frauen und Älteren), Gründungsaktivitäten und Einkommensgleichheit. Negativ hingegen wirkt sich eine positive Einstellung zur Selbständigkeit und zu riskanten Unternehmensgründungen aus.42 Die Autorin weist abschließend darauf hin, dass die einzelnen Indikatoren nicht voneinander unabhängig seien und eine Korrelation der Indikatoren zu bestimmen sei. Zudem seien Rückkopplungseffekte zu berücksichtigen. Sie hält die Ableitung eines Gesamtindikators für die „Innovationspolitik nicht immer für sinnvoll, insbesondere wenn nicht eindeutig bestimmt werden kann, in welchen Bereichen Handlungsmaßnahmen notwendig sind“.43 4.2. Älter, weniger, vielfältiger – innovativer?44 Ausgehend von der verbreiteten Meinung, dass mit der Beschäftigung älterer Personen sowohl die Produktivität als auch die Innovationsfähigkeit sinke, führen die Autoren Wenke Apt und Marc Bovenschulte in ihrem Artikel „Älter, weniger, vielfältiger – innovativer?“ verschiedene Argumente an, warum sich die Schlussfolgerung in dieser Einfachheit empirisch nicht belegen lässt. Empirisch lässt sich ein direkter Zusammenhang zwischen Alter und einer Minderung der kognitiven Leistungsfähigkeit nicht belegen. Zudem sei gezeigt worden, dass sich „nur etwa zehn Prozent der individuellen Unterschiede in der Arbeitsleistung allein durch das Lebensalter erklären lassen, das heißt, dass der Einfluss des Alters auf die Produktivität – im Gegensatz zum Arbeitsumfeld – sehr gering ausfällt“45 „Zwar nehmen die Präzision wie auch die Lern- und Konzentrationsfähigkeit ab, und Denk- und Reaktionsprozesse werden langsamer, aber Fähigkeiten wie schlussfolgerndes Denken, welche auf der Verknüpfung von Wissen und Erfahrung basieren, bleiben bis ins späte Lebensalter erhalten oder verbessern sich sogar noch.“46 40 Hierbei ist zu beachten, dass ein hoher Anteil der Bildungsausländer technisch orientierte Fächer studiert, Quelle: Dönitz2010, Seite 38. 41 Dönitz2010, Seite 36 ff. 42 Dönitz2010, Seite 40 ff. 43 Dönitz2010, Seite 50. 44 Apt2013: Wenke Apt, Marc Bovenschulte: Älter, weniger, vielfältiger – innovativer? Working Paper des Instituts für Innovation und Technik (iit), Nr. 13, Mai 2013. 45 Apt2013, Seite 3. 46 Apt2013, Seite 3f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 – 010/16 Seite 12 Außerdem lasse sich ein Ansteigen des Alters von Gründern von Hochtechnologie-Start-ups in Deutschland feststellen (auf 40 Jahre). Zur Innovation seien verschiedene Komponenten wichtig, nicht nur die kognitive Leistung, sondern Methodik, praktische Arbeitserfahrung und kreative Kompetenz, so dass nicht notwendigerweise Alter ein Hindernis darstelle. Vielmehr liege ein schwerwiegendes Problem im deutschen Bildungssystem. 47 Die Autoren zitieren den Innovationsindikator 2012: „Um den Beitrag des deutschen Bildungssystems zur gesamten Innovationsleistung zu erhöhen, ist dringend eine Niveauverschiebung bei Qualität und Quantität von Bildung und Ausbildung notwendig.“48 Positiv auf die Patentintensität wirkte sich nachweislich zudem kulturelle Vielfalt aus. Dabei habe der Anteil Hochqualifizierter den stärksten Einfluss auf das Innovationsergebnis. 4.3. Demographic patterns and trends in patenting Gender, age, and education of inventors.49 In einer wissenschaftlichen Publikation analysieren Taehyun Jung und Olof Ejermo anhand von schwedischen Patentanmeldungen im Zeitraum 2005-2007 im Vergleich zur Zeit davor den Zusammenhang von demografischem Wandel unter schwedischen Erfindern und Patentierungsverhalten. Die Autoren kommen zum Schluss, dass unter den Patent-anmeldenden Personen der Ausbildungsstand angestiegen sei, das Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen sich verbessert habe –allerdings in vergleichsweise geringem Ausmaß - und das durchschnittliche Alter in allen Gebieten gesunken sei. Tatsächlich sei zu beachten, dass zwar die Partizipation von Hochqualifizierten und Frauen gestiegen sei, wenn man dies aber vergleiche mit anderen Lebensbereichen, stelle sich heraus, dass dieser Zuwachs entweder geringer oder vergleichbar und somit nicht patentierungsspezifisch sei. 4.4. Demographic Change and New Zealand’s Economic Growth50 Im Vergleich zu anderen OECD-Ländern zeichnet sich Neuseeland durch eine relativ hohe Geburtenrate aus. In einer Studie analysiert John Bryant die Entwicklungen der Populationsgröße und Altersstruktur in Neuseeland und untersucht den Einfluss auf die Wirtschaft. Er stellt folgende Zusammenhänge zwischen demografischen Größen und ihrer Auswirkung auf das BIP her: (a) Der Anteil der arbeitenden Bevölkerung nimmt in Neuseeland vergleichsweise weniger ab. Dies wirkt sich im Vergleich zu anderen OECD-Ländern leicht positiv aus. 47 Apt2013, Seite 4. 48 Im Internet abrufbar unter: https://www.telekom-stiftung.de//sites/default/files/dtslibrary /materialien/pdf/innovationsindikator_2012.pdf [zuletzt abgerufen am 1. März 2016]. 49 Taehyun2014: Taehyun Jung, Olof Ejermo: Demographic patterns and trends in patenting Gender, age, and education of inventors, Technological Forecasting& Social Change 86 (2014): 110-124. 50 Bryant2003: John Bryant: Demographic Change and New Zealand’s Economic Growth, New Zealand Treasury Working Paper 03/04, Juni 2003. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 – 010/16 Seite 13 (b) Die arbeitende Bevölkerung nimmt in Neuseeland, Australien, Nordamerika und Schwellenländer (hier: Korea, Mexiko, Türkei) zu, während sie in Japan und Europa abnimmt. Dies kann durch Agglomeration positiven Einfluss haben und sich negativ auf Kapitalinvestments und Arbeitsersparnis-Technologien auswirken. (c) Die Fruchtbarkeitsrate ist in Neuseeland, Australien, Nordamerika und den Schwellenländer (hier: Korea, Mexiko, Türkei) höher als in Europa und Japan. Der Effekt wird als sehr gering eingeschätzt. (d) Das Durchschnittsalter der arbeitenden Bevölkerung ist in Neuseeland, Australien, Nordamerika und den Schwellenländer (hier: Korea, Mexiko, Türkei) niedriger als in Europa und Japan. Aufgrund der geringen Veränderung in der Altersstruktur an sich erweist sich der Effekt als sehr gering. (e) Das Verhältnis der Anzahl älterer Menschen zur Anzahl jüngerer Menschen ist niedrig und das Verhältnis der Anzahl jüngerer Menschen zur Anzahl älterer Menschen ist hoch in Neuseeland, Australien, Nordamerika und den Schwellenländer (hier: Korea, Mexiko, Türkei). Dies ist in Europa und Japan nicht der Fall. Der steuerliche Druck und die Wahrscheinlichkeit, dass Steuern angehoben oder Ausgaben gekürzt werden, sind daher in Europa und Japan höher (aufgrund eines erhöhten Bedarfs an sozialen Absicherungen, der durch einen vergleichsweise geringeren Anteil Arbeitender nicht gedeckt ist).51 Dies ist allerdings ein sehr schwer zu prognostizierender Einflussfaktor.52 Bryant kommt zum Schluss, dass der kombinierte Effekt der demografischen Trends sich wahrscheinlich positiv auf die Entwicklung des Bruttoinlandprodukts in Neuseeland auswirken werde, man aber keine Vorhersagen über das Ausmaß machen könne.53 4.5. Demographic Changes, Financial Markets, and the Economy54 In einer Publikation aus dem Jahr 2012 gehen Robert D. Arnott und Denis B. Chaves der Frage der Beziehung zwischen demografischem Wandel und dem Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts mit besonderer Berücksichtigung von Kapitalmarktrenditen nach. Tatsächlich sei der Beitrag eines Arbeitenden in Hinblick auf die Messung seines Outputs besonders hoch, wenn er über viel Erfahrung verfüge. Der Beitrag zur „Wachstumsrate“ des Outputs sei aber besonders hoch, wenn er Erfahrung sammele. Zudem konstatieren die Autoren, dass Kinder sich nicht positiv auf die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts/Aktien- und Anleihenmarkt auswirkten. Die trügen nicht aktiv dazu bei und ihre Eltern würden eher in deren 51 Bryant2003, Seite 18: „Governments of countries where a shift towards old-age dependency is creating pressure for increased social expenditures face unpalatable choices: holding expenditure down regardless, cutting other areas of government expenditure, raising taxes, building up debt, or doing some combination of the above.“ 52 Bryant2003, Seite 19. 53 Bryant2003, Seite 19. 54 Arnott2012: Robert D. Arnott und Denis B. Chaves: Demographic Changes, Financial Markets, and the Economy, Financial Analysts Journal, Volume 68, Number1, Seiten 23- 46. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 – 010/16 Seite 14 Unterstützung investieren. Ebenso wirkten sich Senioren nicht positiv aus, da diese ihr Geld anderweitig investierten.55 Die Autoren führen in ihrer Analyse auch Ergebnisse anderer Wissenschaftler an: So sei 2003 veröffentlicht worden, dass die Produktivität von Wissenschaftlern, Musikern und Malern zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr besonders hoch sei, allerdings für Schriftsteller zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr.56 1989 seien die ersten Studien durchgeführt worden, in denen eine Beziehung zwischen Demografie- und Finanzmarktgrößen hergestellt wurde. Hierin sei gezeigt worden, dass der Baby-Boom in den USA und somit der zu erwartende Mehrbedarf an Wohnungen in den frühen 1970er Jahren mit der Wohnungsmarktentwicklung 20 Jahre später zusammenhing.57 2003 wurde der Zusammenhang zwischen Aktienrendite und verschiedenen altersbedingten demografischen Variablen untersucht. Ein negativer Zusammenhang wurde für die über 65-Jährigen festgestellt. Dabei sei der Effekt stärker in Ländern mit einem gutentwickelten sozialen Sicherheitssystem und wenig entwickelten Finanzmarktstrukturen.58 4.6. Cultural Innovations and Demographic Change Peter J. Richerson, Robert Boyd und Robert L. Bettinger untersuchen den Zusammenhang zwischen kultureller Innovation und Demografie.59 Demografie spielt in der kulturellen Evolution in Hinblick auf die Innovationsrate innerhalb der Gesellschaft eine wichtige Rolle. Isolierte Gesellschaften zeigten dabei eine geringe Innovationsrate. Wenn diese Populationen zudem klein seien, gebe es die Tendenz, dass einmal entwickelte Technologien wieder untergingen. Große Gesellschaften hingegen seien resistenter gegenüber dieser Art des „Verlustes“.60 Auf der anderen Seite stellen die Autoren fest, dass zwischen 250.000 und 75.000 Jahren vor unserer Zeit die Innovationsraten relativ klein waren und gleichzeitig humane Populationen klein blieben.61 Danach sei es zu signifikanten Modernisierungen gekommen. Als Erklärung für eine begrenzte kulturelle Innovation und Evolution vor 50.000 Jahren wiederum führen die Autoren die Möglichkeit genetischer Faktoren an, die kognitive Innovationen, Sprache und weitere Fortschritte einschränkten. Außerdem könnten aber auch klimatische Faktoren ausschlaggebend 55 Arnott2012, Seite 42. 56 Satoshi Kanazawa 2003. “Why Productivity Fades with Age: The Crime–Genius Connection.” Journal of Research in Personality, vol. 37, no. 4 (August):257–272. 57 N. Gregory Mankiw und David N. Weil. 1989. “The Baby Boom, the Baby Bust, and the Housing Market.” Regional Science and Urban Economics, vol. 19, no. 2 (May):235–258. 58 Andrew Ang und Angela Maddaloni. 2003. “Do Demographic Changes Affect Risk Premiums? Evidence from International Data.” NBER Working Paper 9677 (May). Und: Ang, Andrew, Monika Piazzesi, and Min Wei. 2006. “What Does the Yield Curve Tell Us about GDP Growth?” Journal of Econometrics, vol. 131, no. 1–2 (March– April): 359–403. 59 Richerson2009: Peter J. Richerson, Robert Boyd und Robert L. Bettinger: Cultural Innovations and Demographic Change, Human Biology, 81(3); August 2009, Seiten 211-235. 60 Richerson2009, Seite 211. 61 Richerson2009, Seite 230. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 – 010/16 Seite 15 gewesen sein. Schließlich habe die kulturelle Innovationsrate einen Punkt erreicht, an dem der technologische Fortschritt ein Wachstum der menschlichen Population zuließ.62 4.7. Emerging Economies: demographic Change63 Die Publikation: Emerging Economies: demographic Change basiert auf einer Maßnahme der britischen „Clinical and Scientific Advisory Group (CSAG)“, in der der Frage nachgegangen werden sollte, wie die britische Regierung den Einfluss des demografischen Wandels auf verschiedene Schwellenländer und ihre Entwicklung einschätzt. Es werden Faktoren identifiziert, die einen Einfluss auf den demografischen Wandel in Schwellenländer haben oder korreliert mit diesem auftreten. Zunächst wird hier der Zusammenhang zwischen arbeitender Bevölkerung und Bruttoinlandsprodukt genannt. Außerdem wirke sich ein bislang steigendes Arbeitsangebot (in den meisten Ländern) positiv auf die wirtschaftliche Entwicklung (gemessen am Bruttoinlandsprodukt) aus. Da die Wachstumsrate in den meisten Schwellenländer nur moderat sei, ergäben sich wirtschaftliche Vorteile eher durch Kapital-Investments und durch die Steigerung der Produktivität. Soziale Faktoren, die sich wirtschaftlich positiv auswirken könnten, sind Maßnahmen im Bildungssektor, die zudem zu einer geringeren Arbeitslosigkeitsrate führten. In einer Grafik werden das prognostizierte Wachstum der Bevölkerung und des Bruttoinlandsprodukts gegeneinander abgetragen.64 Daraus geht hervor, dass die meisten Schwellenländer nur ein geringes Populationswachstum zeigen, sich aber der Zuwachs im Bruttoinlandsprodukt zwischen den Länder massiv unterscheidet. Dies wird damit begründet, dass sich die Kapital- und Produktivitäts-Fortschritte zwischen den Ländern deutlich unterschieden. 5. Zusammenfassung Wissenschaftler und Akteure aus Politik und Wirtschaft halten den demografischen Wandel in Form einer Verlängerung der Lebensspanne, der Alterung der Bevölkerung und einem Rückgang der Geburtenrate in vielen Regionen für vergleichsweise stark fortgeschritten (Bevölkerungsstrukturwandel). Auswirkungen dieses Wandels werden intensiv untersucht und die derzeit verwendeten Indikatoren zur Messung und insbesondere zum länderübergreifenden Vergleich von Fortschritt, Innovation und Bevölkerungsstruktur infrage gestellt. Hierbei kommt der „Innovationsfähigkeit“ als Indikator für Wohlstand und Fortschritt eines Landes eine besondere Bedeutung zu. Es ist aber nicht eindeutig definiert, welche Größen das Innovationspotenzial eines Landes bestmöglich abbilden. Verschiedene Wissenschaftler sind der Meinung, dass die Gesamtbevölkerungszahl oder auch nur der Anteil einer bestimmten Altersgruppe (nur arbeitende Bevölkerung, oder nur „Ältere“) eine vollkommen unzureichende 62 Richerson2009, Seite 231. 63 HM Government Horizon Scanning Programme: Emerging Economies: Demographic Change. A Horizon Scanning Research Paper by the emerging economies community of interest. Dezember 2014, im Internet abrufbar unter: https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/389107/Horizon_Scanning_- _Emerging_Economies_Demographic_Change_report.pdf [zuletzt abgerufen am 29. Februar 2016]. 64 Seite 6, ebd. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 – 010/16 Seite 16 Beschreibung für Innovationspotenzial ist. Auch die Verwendung des BIP-Zuwachses als „Innovationsindikator“ wird vielfach kritisiert. Verschiedene statistische Gegebenheiten sind bei der Betrachtung der Zusammenhänge zwischen Demografie und Innovation wichtig. Statistische Analysen messen das gemeinsame Auftreten von einzelnen demografischen Größen und Innovationsfaktoren. Beispielsweise ist –wie hier dargestellt – der Bildungsstand der Patentanmeldenden Personen gestiegen. Dies ist allerdings zunächst die Feststellung eines gehäuften Auftretens (im Vergleich zu einem früheren Zeitraum), gibt aber nicht notwendigerweise eine kausale Erklärung. Wird eine Korrelation zwischen zwei Größen festgestellt, ist es wichtig zu berücksichtigen, dass im selben Zeitraum ebenfalls allgemeine gesellschaftliche Veränderungen eingetreten sind. Unter Umständen lässt sich der vermutete Einfluss hierdurch relativieren. Stellt man beispielsweise einen gestiegenen Anteil hochqualifizierter Frauen unter Patentanmeldern fest, muss man beachten, dass insgesamt das Ausmaß der Partizipation von Frauen in den vergangenen Jahrzehnten gestiegen ist. Zudem sind komplexere Zusammenhangsstrukturen, die erst bei der gleichzeitigen Betrachtung verschiedener Indikatoren für Demografie und Innovationen sichtbar würden, wenig erforscht (multivariate Analysen65). Es besteht das Problem, dass die einzelnen Indikatoren möglicherweise ein unterschiedliches Skalenniveau haben.66 Festzuhalten ist, dass zwischen Demographie und Innovation eine enge Verbindung besteht. Allerdings sind die Untersuchung kausaler Zusammenhänge und die Beschreibung bestmöglicher Indikatoren sowohl für demografische Entwicklungen als auch für Innovation weder in der Wissenschaft noch in Politik und Wirtschaft abgeschlossen. - Ende der Bearbeitung – 65 Bei multivariaten Analysen werden gleichzeitig mehrere statistische Variablen untersucht; in einer univariaten Analyse hingegen nur eine einzelne Variable. 66 Das „Geschlecht“ hat beispielsweise eine Nominalskala: männlich/weiblich, während das Alter eine Kardinal/Verhältnisskala hat: 0 Jahre – maximales Alter (ganze Zahlen), Einkommen hingegen misst sich in ganzrationalen Zahlen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 – 010/16 Seite 17 6. Anlagen Literaturüberblick über Demografie-spezifische Indikatoren und ihren Zusammenhang auf den Zuwachs auf Innovation: Seiten: 12-15, 17-22, 24-26, 28-29, 31-35, 37-39, 41-45, 47-48 aus: Dönitz, Ewa J.: Bestandsaufnahme demografiebezogener Innovationsindikatoren zur Untersuchung der Wechselwirkungen zwischen Demografie und Innovationen, Arbeitspapier im Rahmen des Strategieprojektes“ Demografie und Innovation“, Fraunhofer-Institut für System. Und Innovationsforschung, Karlsruhe, Januar 2010. Anlage 1 7. Literaturverzeichnis Ang, Andrew und Angela Maddaloni. 2003. “Do Demographic Changes Affect Risk Premiums? Evidence from International Data.” NBER Working Paper 9677 (May). Ang, Andrew und Monika Piazzesi, and Min Wei. 2006. “What Does the Yield Curve Tell Us about GDP Growth?” Journal of Econometrics, vol. 131, no. 1–2 (March–April): 359–403. Apt, Wenke und Marc Bovenschulte: Älter, weniger, vielfältiger – innovativer? Working Paper des Instituts für Innovation und Technik (iit), Nr. 13, Mai 2013 Arnott, Robert D. und Denis B. Chaves: Demographic Changes, Financial Markets, and the Economy, Financial Analysts Journal, Volume 68, Number1, 23- 46. Bryant, John: Demographic Change and New Zealnd’s Economic Growth, New Zealand Treasury Working Paper 03/04, Juni 2003. Centrum für angewandte Wirtschaftsforschung Münster: Zur Kritik des BIP als Indikator für Wohlstand und Wirtschaftswachstum, Studie im Auftrag des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Münster, Oktober 2012. Im Internet abrufbar unter: https://www.zu.de/dailyw Assets/pdf/Zur-Kritik-des-BIP-als-Indikator-fuer-Wohlstand-und-Wirtschaftswachstum.pdf [zuletzt abgerufen am 29. Februar 2016]. 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