© 2021 Deutscher Bundestag WD 8 - 3000 - 003/21 Einzelfrage zu Gesundheitsgefahren durch Altmunition in Nord- und Ostsee Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 003/21 Seite 2 Einzelfrage zu Gesundheitsgefahren durch Altmunition in Nord- und Ostsee Aktenzeichen: WD 8 - 3000 - 003/21 Abschluss der Arbeit: 20. Januar 2021 Fachbereich: WD 8: Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 003/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Munitionsaltlasten in Nord- und Ostsee 4 2.1. Konventionelle Munitionsaltlasten 4 2.2. Chemische Munitionsaltlasten 8 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 003/21 Seite 4 1. Einleitung Altmunition, die in Meeren versenkt wurde, stellt in der deutschen Nord- und Ostsee eine Verschmutzungs - und Gefahrenquelle da. Sie beginnt im Laufe der Jahre zu korrodieren und zu lecken , wodurch Schadstoffe austreten. Die Auswirkungen dieser Schadstoffe sowohl auf die Umwelt als auch auf die menschliche Gesundheit genauer zu verstehen, ist Gegenstand wissenschaftlicher Forschung.1 In einer 2018 in „Frontiers in Marine Science“ veröffentlichten Studie, die am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und an der Christian-Albrechts Universität Kiel entstanden ist, wird gezeigt, dass dieses Problem nicht nur die Nord- und Ostsee betrifft.2 Es handelt sich tatsächlich um ein globales Problem, da Küstenregionen fast aller Kontinente von Unterwassermunition betroffen seien, so der Leitautor Aaron Beck vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel.3 Im Folgenden werden mit Schwerpunkt auf die gesundheitlichen Auswirkungen durch Schadstofffreisetzung aus Munitionsaltlasten in der deutschen Nord- und Ostsee verschiedene aktuelle wissenschaftliche Ergebnisse aufgelistet. 2. Munitionsaltlasten in Nord- und Ostsee Unmittelbare Gefahren im Meer versenkter Munition ergeben sich durch kontrollierte wie auch unkontrollierte Explosionen; durch mit der Zeit auch ohne Explosion austretende Chemikalien ergeben sich neben Umweltverschmutzungsgefahren auch gesundheitliche Gefahren für Menschen und Meerestiere. Laut Angaben des Umweltbundesamtes lagern derzeit in der deutschen Nord- und Ostsee Altlasten von ca. 1,6 Millionen Tonnen konventioneller Munition und 5.000 Tonnen chemischer Kampfstoffe, die im Zweiten Weltkrieg durch Militäroperationen oder danach durch Verklappung versenkt wurden.4 2.1. Konventionelle Munitionsaltlasten In Hinblick auf konventionelle Munition sind folgende (ggf. austretende) Schadstoffe von Bedeutung : 1 Als Einstieg in die Problematik wurden im Rahmen einer arte-Dokumentation verschiedene Wissenschaftler zur Situation von Munitionsaltlasten in Meeren befragt und ihre Arbeit von der Datensammlung bis zur Analyse im Labor nachgezeichnet. Die Dokumentation ist auf den Seiten des Senders arte vom 16.1.2021 bis 18.4.2021 verfügbar : https://www.arte.tv/de/videos/093707-011-A/re-zeitbomben-am-meeresgrund/. 2 A.J. Beck et al.: Spread, Behavior, and Ecosystem Consequences of Conventional Munitions Compounds in Coastal Marine Waters; Front. Mar. Sci., 30 April 2018 | https://doi.org/10.3389/fmars.2018.00141; https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fmars.2018.00141/full. 3 Pressemitteilung des GEOMAR vom 30.04.2018: Munition im Meer: Auswirkungen nur lückenhaft bekannt; https://idw-online.de/de/news693468. 4 Informationsseite des Umweltbundesamtes: Schadstoffbelastung durch konventionelle Munition; Letzte Aktualisierung vom 16.09.2020; https://www.umweltbundesamt.de/themen/wasser/meere/nutzung-belastungen/munition-im-meer#schadstoffbelastung -durch-konventionelle-munition. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 003/21 Seite 5 2,4,6-Trinitrotoluol (TNT), weitere Nitroaromaten, Hexahydro-1,3,5-trinitro-1,3,5-triazin (RDX), Octahydro-1,3,5,7-tetranitro-1,3,5,7-tetrazocine (HMX), Schwermetalle wie Quecksilber. Dabei sind insbesondere TNT und seine Metabolite5 als Nitroaromate giftig, krebserzeugend und/oder erbgutverändernd.6 Am Institut für Toxikologie und Pharmakologie der Christian-Albrechts Universität Kiel (CAU) wird anhand von Muscheln7, die sich in der Nähe von Munitionsaltlasten befinden, untersucht, inwieweit Organismen direkt von den Chemikalien betroffen sind. Im Rahmen eines durch das Umweltbundesamt beauftragten Projekts sollen Daten zur räumlichen Verbreitung und zeitlichen Entwicklung der munitionsspezifischen Schadstoffe in marinen Organismen gesammelt und toxikologisch bewertet werden. Die Ergebnisse der Studie werden voraussichtlich Anfang 2023 veröffentlicht .8 In der deutschsprachigen Wissenschaftszeitschrift, BioSpektrum9, erschien 2019 ein allgemeinverständlicher Übersichtsartikel von drei Wissenschaftlern des Instituts für Toxikologie und Pharmakologie der CAU zu „Monitoring von Giftstoffen im Meer“.10 Hinsichtlich der toxikologischen Wirkungen von Schadstoffen in Altmunition beim Menschen wird in dem Artikel besonders auf TNT hingewiesen. Hierzu heißt es: „Es konnten bereits unterschiedliche toxikologische Auswirkungen auf verschiedenste Wasserorganismen , wie z. B. Seeigel (Arbacia punctulata), Höhere Krebse (Schwebegarnelen Americamysis bahia), Knochenfische (Roter Trommler Sciaenops ocellatus) oder Grünalgen (Seetang Ulva fasciata) nachgewiesen werden. Für den Blauen Sonnenbarsch Lepomis macrochirus wurde beispielsweise eine mittlere letale Konzentration (LD50) von 0,8–3,7 mg/l gefunden. 5 Zwischenprodukt/Abbauprodukt bei Stoffwechselvorgängen. 6 Informationsseite des Umweltbundesamtes: Schadstoffbelastung durch konventionelle Munition ; letzte Aktualisierung vom 16.09.2020; https://www.umweltbundesamt.de/themen/wasser/meere/nutzung-belastungen/munition -im-meer#schadstoffbelastung-durch-konventionelle-munition. 7 Vorteilhaft bei Muscheln ist, dass sie weitgehend in einem Gebiet verbleiben und nicht wie etwa Fische sich über weite Strecken bewegen. 8 Informationsseite des Umweltbundesamtes: Schadstoffbelastung durch konventionelle Munition ; letzte Aktualisierung vom 16.09.2020; https://www.umweltbundesamt.de/themen/wasser/meere/nutzung-belastungen/munition -im-meer#schadstoffbelastung-durch-konventionelle-munition. 9 Magazin für Biowissenschaften, eine Mitgliederzeitschrift der Fachgesellschaften: Gesellschaft für Biochemie und Molekularbiologie (GBM, vormals noch GBCh), Vereinigung für Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie Vereinigung für Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie (VAAM), Gesellschaft für Genetik Gesellschaft für Genetik (GfG), Deutsche Gesellschaft für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie Deutsche Gesellschaft für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT). 10 Strehse, J.S., Baas, J. & Maser, E. Monitoring von Giftstoffen im Meer. Biospektrum 25, 26–28 (2019). https://link.springer.com/article/10.1007%2Fs12268-019-0998-x. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 003/21 Seite 6 Eine Anreicherung in der Nahrungskette durch Bioakkumulation wäre auch für den Menschen gefährlich, da TNT sowohl akut als auch chronisch toxisch wirkt. Akut kann TNT beim Menschen Gelbsucht, Anämie und eine Schädigung des zentralen Nervensystems bewirken, wobei es als Blutgift vor allem den Sauerstofftransport vermindert, da es Hämoglobin zu Methämoglobin umsetzt. Jedoch ist die akute Toxizität mit einem LD50-Wert für Ratten von 795 mg/kg gering, wobei Ratten Symptome wie Benommenheit, Zittern, Krämpfe oder Anfälle zeigten. Bei Hunden (Beagle) konnte eine chronische Toxizität bereits bei 0,5 mg/kg Körpergewicht pro Tag nach 26 Wochen festgestellt werden, welche vor allem Schäden der Leber einschließt. Außerdem konnte gezeigt werden, dass TNT sowohl kanzerogen als auch mutagen wirkt. Die MAK- Kommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) hat für die krebserzeugende Wirkung von TNT Kategorie 2 und für die keimzellmutagene Wirkung Kategorie 3B festgelegt.“ Zur aktuellen Forschungssituation bemerken die Autoren: „Obwohl in der Vergangenheit bereits gezeigt wurde, dass TNT und seine Abbauprodukte negative Effekte auf Flora, Fauna und den Menschen haben, ist trotzdem noch sehr wenig über die direkten Auswirkungen von Altmunition in den Meeren auf das Ökosystem bekannt. Auch sind die Pfade der Aufnahme in die marine und humane Nahrungskette bisher nahezu nicht untersucht worden. Ebenfalls ist bisher wenig darüber bekannt, ob und wenn ja, in welchen Mengen Sprengstoffe aus versenkter Munition aus ihren Metallumhüllungen in das sie umgebende Wasser und Sediment gelangen.“11 Im Mai 2020 wurde ein Übersichtsartikel zweier Wissenschaftler des Instituts für Toxikologie und Pharmakologie der CAU, Edmund Maser und Jennifer Strehse, unter dem Titel „Marine bivalves as bioindicators for environmental pollutants with focus on dumped munitions in the sea: A review“ veröffentlicht.12 Hierin wird ein Literaturüberblick zu Muscheln als Bioindikator für Schadstoffe aus Munitionsaltlasten im Meer gegeben. Ihnen komme eine besondere Bedeutung bei der Detektion von austretenden Schadstoffen zu. Dies belegten zahlreiche weltweite Studien sowie Daten aus Überwachungsprogrammen. Monitoring-Experimente mit Muscheln seien in der Lage, große Datensätze zu generieren, die als Basis für Entscheidungen für das weitere Vorgehen genutzt werden sollten. Die Nützlichkeit von Muscheln im Hinblick auf verklappte Munition sei in den letzten Jahren eindeutig dokumentiert worden. Im April 2020 haben dieselben Autoren einen Artikel zu Sprengungen von versenkter Weltkriegsmunition in den Ozeanen in Hinblick auf Gefahren für die Umwelt und den menschlichen Verzehr von Meeresfrüchten13 veröffentlicht. Um nicht den Schiffsverkehr oder den Bau von Pipelines und Offshore-Anlagen durch unkontrollierte Explosionen zu gefährden, würden immer wieder kontrollierte Sprengungen (sog. BiPs) durchgeführt. Allerdings seien Sprengungen vor Ort 11 Ebd. 12 J.S. Strehse und E. Maser: Marine bivalves as bioindicators for environmental pollutants with focus on dumped munitions in the sea: A review; Marine Environmental Research; Volume 158, Juni 2020, 105006; https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S014111362030146X?via%3Dihub#!. 13 Maser E, Strehse JS. "Don't Blast": blast-in-place (BiP) operations of dumped World War munitions in the oceans significantly increase hazards to the environment and the human seafood consumer. Arch Toxicol. 2020 Jun;94(6):1941-1953. https://link.springer.com/article/10.1007%2Fs00204-020-02743-0; PMID: 32303806. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 003/21 Seite 7 zum einen häufig mit unvollständigen Detonationen verbunden, zum anderen würden hierdurch kurzfristig erhebliche Mengen des explosiven Materials in die Umwelt freigesetzt. Im Rahmen einer Freifelduntersuchung wurden Muscheln als Biomonitoring-System in der Ostsee in BiP- Operationsbereichen untersucht. Sie wurden auf TNT und seine Derivate hin untersucht. Dabei belegen die Daten, dass BiP-Operationen dieser untersuchten Form zu einem mehrfachen Anstieg der Konzentration von TNT und seinen Metaboliten in den Muscheln im Vergleich zu ähnlichen Untersuchungen an korrodierenden, aber noch eingeschlossenen Minen führten. Sie weisen darauf hin, dass letztlich auch menschliche Konsumenten von Meeresfrüchten unter bestimmten Umständen gefährdet sein könnten. In der Studie wird eine Risikoanalyse hinsichtlich des menschlichen Konsums von Meeresfrüchten vorgenommen. Die Wissenschaftler verweisen darauf, dass bislang nur zwei zuverlässige Studien zur Kanzerogenität von TNT im Tierversuch vorlägen.14 Unter ihren Modellannahmen - beispielsweise zur Fischkonsum-Menge - kommen sie zum Schluss, dass in Bezug auf Muscheln, die direkt an den korrodierenden Minen verpflanzt wurden, das karzinogene Risiko für den menschlichen Meeresfrüchtekonsumenten gering sei. Der Verzehr dieser Muscheln sei wahrscheinlich nicht gesundheitsgefährdend. Im Gegensatz dazu enthielten Miesmuscheln, die in unmittelbarer Nähe zu größeren Brocken oder kleineren Stücken frei liegender Sprengstoffe innerhalb oder in der Nähe von Kratern verpflanzt wurden (nach Sprengung), signifikant höhere Konzentrationen von TNT und einigen Metaboliten. Hier deuteten die Ergebnisse bei regelmäßigem Verzehr dieser Muscheln auf ein Krebsrisiko hin. Allerdings betonen die Autoren, dass die Krebsrisikoberechnung für menschliche Konsumenten von Meeresfrüchten auf einem „Worst-Case-Szenario“ beruhe. In einem Forschungsartikel derselben Wissenschaftlergruppe, die im Dezember 2020 in „Archives of Toxicology“ erschienen ist,15 wird auf den toxikologischen Prozess von TNT und seiner Derivate eingegangen. TNT wirkt toxisch, indem oxidativer Stress ausgelöst wird.16 Daher untersuchten die Wissenschaftler in ihrer Arbeit, ob TNT die Genexpression17 der sog. Carbonylreduk- 14 Furedi EM, Levine BS, Gordon DE, Rac VS, Lish PM (1984a) Determination of the chronic mammalian toxicological effects of TNT (twenty-four month chronic toxicity/carcinogenicity study of trinitrotoluene (TNT) in the Fischer 344 rat). Final report: Phase III. Contract No. DAMD17-79-C-9120. US Army Medical Research and Development Command, Frederick, MD, Fort Detrick, Document No. AD-Al68 637. https://www.dtic.mil/dtic/; Furedi EM, Levine BS, Sagartz JW, Rac VS, Lish PM (1984b) Determination of the chronic mammalian toxicological effects of TNT (twenty-four month chronic toxicity/carcinogenicity study of trinitrotoluene (TNT) in the B6C3F1 hybrid mouse). Final report: Phase IV. Contract No. DAMD17-79-C-9120. US Army Medical Research and Development Command, Frederick, MD, Fort Detrick, Document No. AD-Al68 754. https://www.dtic.mil/dtic/. 15 Strehse, J.S., Brenner, M., Kisiela, M. et al. The explosive trinitrotoluene (TNT) induces gene expression of carbonyl reductase in the blue mussel (Mytilus spp.): a new promising biomarker for sea dumped war relicts?. Arch Toxicol 94, 4043–4054 (2020). https://doi.org/10.1007/s00204-020-02931-y. 16 Oxidativer Stress entsteht, wenn zu viele reaktive Sauerstoffverbindungen (ROS) und reaktive Stickstoffspezies (RNS) gebildet werden oder vorliegen. Prinzipiell ist der Mensch dauernd oxidativem Stress ausgesetzt. Verschiedene Daten weisen darauf hin, dass die Bildung von ROS/RNS mit verschiedenen Erkrankungen (Krebs-, Herz-/Kreislauf-, neurodegenerative Erkrankungen, sowie Diabetes mellitus, altersbedingte Makuladegeneration der Netzhaut) in Zusammenhang gebracht werden könnte. 17 Umsetzung genetischer Information in für die Zelle nutzbarer Form. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 003/21 Seite 8 tase in Miesmuscheln induzieren kann. Carbonylreduktasen spielen für den Abwehrmechanismus gegen oxidativen Stress und reaktive Sauerstoffspezies (ROS) eine Rolle. In der Studie zeigt sich, dass TNT in Abhängigkeit von seiner Konzentration zur Genexpression der Carbonylreduktase in der Miesmuschel führt. Carbonylreduktase könne somit als Biomarker für TNT-Exposition auf molekularer Ebene dienen, der nützlich ist, um TNT-Kontaminationen in der Umwelt zu erkennen und eine Risikobewertung sowohl für die Ökosphäre als auch für den menschlichen Meeresfrüchtekonsumenten durchzuführen. Im Rahmen des DAIMON - Projekts18 wird die Auswirkung von TNT auf Fische am Thünen- Institut untersucht.19 Die Forscher untersuchen als Indikator-Fisch den standorttreuen Plattfisch Kliesche (Limanda limanda), der am Meeresboden lebt und dadurch den dort verstreuten Sprengstoffen nahe kommt. Die Forschungsergebnisse belegen, dass sich im Untersuchungsgebiet bereits zahlreiche Substanzen aus der Munition im Sediment und Wasser großflächig verbreitet haben. Hinsichtlich des Erkrankungsbildes konstatieren die Wissenschaftler: „Während sich im Befall mit Krankheiten und Parasiten sowie im Blutbild keine Unterschiede zeigten, ergab die Untersuchung der Leber deutliche Auffälligkeiten: Bei 25 % der Klieschen aus dem Versenkungsgebiet traten Lebertumore auf, während die Tumorrate bei Klieschen aus unbelasteten Gebieten nur bei knapp 5 % lag; ein statistisch signifikanter Unterschied. In welchem Maße bei diesem Befund das krebserregende TNT und seine Abbauprodukte eine Rolle gespielt haben, ist noch nicht eindeutig geklärt, ein Zusammenhang lässt sich aber nicht ausschließen.“20 2.2. Chemische Munitionsaltlasten In Hinblick auf chemische Munition ist zunächst einmal zu beachten, dass wesentlich mehr Munition , etwa 55mal mehr, in der Ostsee als in der Nordsee versenkt wurde. Diese wurden im Ersten Weltkrieg eingesetzt, im Zweiten Weltkrieg lediglich produziert. Hierbei handelt es sich um folgende Stoffe: S-Lost (Hautkampfstoff), Tabun (Nervenkampfstoff), Phosgen (Lungenkampfstoff), Chloracetophen (Augenreizstoff), Clark I, Clark II, Adamsit, Arsinöl (Nasen- und Rachenreizstoffe). 18 Das Projekt DAIMON 1 lief von 2016-2019, derzeit läuft die zweite Phase DAIMON 2 (2019-2021). Gefördert wird das Projekt durch Interreg Baltic Sea, einer Gemeinschaftsinitiative des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung 2014-2020 (Interreg Baltic Sea Region (interreg-baltic.eu). 19 https://www.thuenen.de/de/fi/arbeitsbereiche/meeresumwelt/munition-im-meer/zeitbomben-im-meer. 20 Ebd. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 003/21 Seite 9 Bereits in einer Publikation aus dem Jahr 2011 werden die Gefahren für die Meeresumwelt, die von diesen versenkten Kampfstoffen ausgehen, beschrieben.21 Abgesehen von Tabun sind alle oben aufgeführten Kampfstoffe schwerer als Meerwasser oder zersetzen sich im Wasser. Daher findet man sie nicht an der Meeresoberfläche. Reagieren die Kampfstoffe mit Wasser, entstehen weniger toxische Stoffe. Dies gilt allerdings nicht für eine Mischung von S-Lost mit Verdickungsmitteln und arsenhaltigen Verbindungen. Erstere Mischung kann auch nach längerer Zeit noch seine Wirksamkeit als Hautkampfstoff zeigen. Beispielsweise kann dies geschehen, wenn es in Fischernetzen hängenbleibt (Klumpenbildung) und so an die Meeresoberfläche gelangt (und dort mit der Haut in Berührung kommt). Clark I, Clark II und Adamsit sind beständig. Man findet sie über lange Zeit in marinen Milieus und im Sediment. *** 21 Böttcher, Claus; Tobias Knobloch; Niels-Peter Rühl; Jens Sternheim; Uwe Wichert; Joachim Wöhler (2011): Munitionsbelastung der deutschen Meeresgewässer – Bestandsaufnahme und Empfehlungen; ARGE BLMP Nordund Ostsee, 172 S