© 2020 Deutscher Bundestag WD 8 - 3000 - 002/20 Türkische Schulen in Deutschland Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 002/20 Seite 2 Türkische Schulen in Deutschland Aktenzeichen: WD 8 - 3000 - 002/20 Abschluss der Arbeit: 18.02.2020 Fachbereich: WD 8: Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 002/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Zur Rechtsform der „Ersatzschule“ 4 3. Türkische Schulen in Deutschland 6 4. Türkische Schulen in Berlin 7 5. Anlage 8 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 002/20 Seite 4 1. Einleitung Nach Presseberichten verhandelt die Bundesregierung derzeit mit der Türkei über ein Abkommen , das die Gründung von Auslandsschulen der Türkei in Deutschland regeln soll. Spiegelbildlich zu den drei bereits bestehenden deutschen Schulen in Ankara, Istanbul und Izmir werden als Standorte für diese Schulen Berlin, Frankfurt am Main und Köln genannt. An diesen Schulen sollen die Schülerinnen sowohl das Abitur als auch den entsprechenden türkischen Abschluss erwerben können. Betrieben werden sollen die türkischen Schulen in Form sogenannter Ersatzschulen , die von privaten Vereinen getragen werden.1 Von Beobachtern wird darauf hingewiesen, dass diese Bestrebungen nicht auf Deutschland beschränkt seien, sondern als Teil der türkischen auswärtigen Kulturpolitik im Nachgang zu dem gescheiterten Militärputsch des Jahres 2016 zu verstehen seien.2 2. Zur Rechtsform der „Ersatzschule“ Sogenannte Ersatzschulen sind eine besondere Form von Schulen in privater Trägerschaft. Sie dienen als Ersatz für die öffentlichen Schulen und bedürfen einer Genehmigung durch die Schulbehörden . An diesen Schulen kann die Schulpflicht erfüllt werden. Dabei können Ersatzschulen z. B. als konfessionelle Schulen, Reformschulen, Schulen mit bilingualem und internationalem Profil oder Internatsschulen einen eigenen Bildungsauftrag erfüllen. Zum Rechtsrahmen für diese Ersatzschulen wird in einer Publikation der Kultusministerkonferenz Folgendes ausgeführt: „Die Genehmigung wird von der zuständigen Schulbehörde des betreffenden Landes erteilt, wenn die Schule in freier Trägerschaft in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurücksteht und eine Sonderung der Schülerinnen und Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte nicht genügend gesichert ist. Die Schulaufsicht hat darüber zu wachen, dass diese Genehmigungsvoraussetzungen eingehalten werden und kann die Genehmigung wieder entziehen, wenn die Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind. Zu den genannten Voraussetzungen der staatlichen Genehmigung von Ersatzschulen gehören im Einzelnen: - Gleichwertigkeit der Lehrziele: Hinsichtlich der Gleichwertigkeit mit den Lehrzielen der entsprechenden Schulart des öffentlichen Schulwesens wird keine strikte Bindung an die Stundentafeln und Lehrpläne der öffentlichen Schulen verlangt. Die Schule in freier Trägerschaft kann religiöse oder weltanschauliche Erziehungsziele verfolgen sowie eigene Unterrichtsinhalte festsetzen und nach eigenen Unterrichtsmethoden vorgehen. 1 Süddeutsche Zeitung vom 10. Januar 2020, S. 1. Zum Verhandlungsstand siehe auch Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. Januar 2020, S. 2. Zu schulrechtlichen Fragen in diesem Zusammenhang siehe den Beitrag von Felix Hanschmann, Aufsichtssache, Verfassungsblog vom 24.1.2020, verfügbar unter: https://verfassungsblog.de/aufsichtssache/. 2 Stefanie Schoene, Der Kampf um die Köpfe, Süddeutsche Zeitung vom 20. Januar 2020, S. 24; Ulrich Schwerin u.a., Erdogans Feldzug gegen die Gülen-Schulen, Neue Zürcher Zeitung vom 15. Februar 2020, S. 7. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 002/20 Seite 5 - Gleichwertigkeit der Einrichtungen: Sie betrifft einerseits Aspekte der Schulausstattung, andererseits Fragen der Schulorganisation. Die Schulen müssen gleichwertige Gebäude und Ausstattungen haben, aber hinsichtlich der Schulorganisation sind auch Eigenheiten der Schulen in freier Trägerschaft zulässig (z. B. kollegiale Schulleitung, besondere Mitwirkungsrechte von Schülern und Eltern). - Gleichwertigkeit der Lehrkräfteausbildung: Das Lehrpersonal muss über eine wissenschaftliche Ausbildung und pädagogische Befähigung verfügen, die der staatlichen Lehrkräfteausbildung vergleichbar ist; in der Praxis hat ein großer Teil der Lehrkräfte eine staatliche Lehrkräfteausbildung absolviert. - Wirtschaftliche und rechtliche Sicherung der Lehrkräfte: Erforderlich ist hier ein schriftlicher Anstellungsvertrag, der die Tätigkeit, die Kündigungsmöglichkeiten, den Urlaubsumfang , ausreichende Bezüge und eine Anwartschaft auf Altersversorgung vorsieht. Dadurch sollen Lehrkräfte an Schulen in freier Trägerschaft im Hinblick auf ihre wirtschaftliche und rechtliche Sicherung nicht wesentlich schlechter gestellt sein als Lehrkräfte an öffentlichen Schulen - Keine Sonderung der Schülerinnen und Schüler nach den Besitzverhältnissen: Nach dem Grundgesetz (Art. 7 Abs. 4) sollen Schülerinnen und Schüler ohne Rücksicht auf ihre wirtschaftlichen Verhältnisse Ersatzschulen besuchen können. Ein Schulgeld kann erhoben werden , muss aber sozial ausgewogen sein. Die staatlich genehmigten Ersatzschulen erheben deshalb entweder nur ein mäßiges Schulgeld oder gewähren bei höherem Schulgeld Erleichterungen für Schülerinnen und Schüler, deren Eltern finanziell schwächer gestellt sind (Schulgeldnachlass, Geschwisterermäßigung u. ä.).“3 „Mit der Genehmigung als Ersatzschule durch die Schulbehörden wird in nahezu allen Ländern nicht automatisch das Recht erworben, Prüfungen abzuhalten und Abschlusszeugnisse zu erteilen , die den Berechtigungen der öffentlichen Schulen entsprechen. Diese können die betroffenen Schülerinnen und Schüler nur durch eine Externenprüfung erhalten, d. h. durch eine Prüfung vor einer Prüfungskommission an einer öffentlichen Schule. Erst die staatliche Anerkennung verleiht der Ersatzschule die Befugnis, nach den für öffentliche Schulen geltenden Vorschriften Prüfungen abzuhalten und Zeugnisse zu erteilen; damit werden ihr rechtliche Befugnisse der öffentlichen Schulen übertragen. Voraussetzung für die Anerkennung ist, dass die bereits für die Genehmigung geforderten Bedingungen dauerhaft gegeben sind (Schulbetrieb ohne Beanstandungen der Schulaufsicht) und dass für die Aufnahme und Versetzung der Schülerinnen und Schüler sowie bei der Abhaltung von Prüfungen die Regelungen für öffentliche Schulen des Landes Anwendung finden. Die Genehmigung bzw. die spätere Anerkennung bringt auch einige weitere Rechte und Pflichten für Schulträger, Lehrkräfte, Eltern und Schüler mit sich. So besteht grundsätzlich vom Zeitpunkt der Genehmigung einer freien Schule an ein Anspruch auf öffentliche Finanzhilfe der Länder für Ersatzschulen. Die finanziellen Hilfen für Schülerinnen und Schüler orientieren sich an denjenigen der öffentlichen Schulen. Lehrkräfte können zu Tätigkeiten an Ersatzschulen 3 KMK (2019). Das Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland 2016/2017. Darstellung der Kompetenzen, Strukturen und bildungspolitischen Entwicklungen für den Informationsaustausch in Europa, Seite 32 f. https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/Eurydice/Bildungswesen-dt-pdfs/dossier_de_ebook.pdf Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 002/20 Seite 6 unter Anrechnung der Dienstzeiten beurlaubt werden und Titel wie verbeamtete Lehrkräfte an öffentlichen Schulen führen. Die Schulen können Referendare ausbilden. Andererseits sind die anerkannten Ersatzschulen in einigen Ländern auch verpflichtet, Bestimmungen zu Schulordnung , Konferenzen und Mitwirkung, wie sie an öffentlichen Schulen gelten, zu übernehmen.“4 3. Türkische Schulen in Deutschland Eine umfassende, verlässliche und aktuelle Antwort auf die Frage, wie viele türkische Schulen derzeit in Deutschland existieren, kann nicht gegeben werden. Dies betrifft auch weitergehende Nachfragen zur Finanzierung, Trägerschaft und Herkunft des Lehrpersonals. Nach Information der zuständigen Fachabteilung verfügt auch das Sekretariat der Kultusministerkonferenz über keine entsprechenden Informationen.5 Anekdotische Hinweise auf die Existenz türkischer Schulen in Deutschland bieten einige ältere Presseartikel. So wird in einem Artikel von Thomas Vitzthum aus dem Jahr 2008 berichtet: „In den vergangenen fünf Jahren wurden in Deutschland viele türkische Gymnasien gegründet. Es gibt sie neben Berlin auch in Köln, Hannover, Mannheim und Paderborn.“6 Ein Artikel des Magazins „Der Spiegel“ aus dem Jahr 2008 berichtet von Schulinitiativen in Berlin , Köln, Mannheim, Stuttgart und Solingen und deren Hintergründen.7 Ein Fachartikel aus dem Jahr 2012 gibt einen kurzen Überblick über die bestehenden Schulen und ihre Profile und konstatiert einen dürftigen Forschungsstand.8 Danach konnten zum damaligen Zeitpunkt in Deutschland aufgrund einer Presse- und Internetrecherche insgesamt elf türkische Schulen identifiziert werden, mit Schwerpunkten in Baden-Württemberg, Berlin und Nordrhein -Westfalen (insgesamt 9 Schulen). Träger der Schulen seien überwiegend Elternvereine, deren Mitglieder vor allem einer türkischstämmigen, oftmals selbstständigen Mittelschicht entstammten . Berichtet wird zudem, dass jedenfalls einige der bestehenden türkischen Schulen in 4 Ebenda: Seite 33f. 5 Telefonische Auskunft vom 24. Januar 2020. 6 Thomas Sebastian Vitzthum (2008). Türkische Schulen in Deutschland? Gibt es längst! In: Welt vom 09.02.2008. https://www.welt.de/politik/article1653966/Tuerkische-Schulen-in-Deutschland-Gibt-es-laengst.html. 7 Lenz Jacobsen/Peter Wensierski (2008). Flucht vor dem Frust, verfügbar unter https://www.spiegel.de/spiegel /a-581126.html. 8 Yaliz Akbaba / Susanne Strunck (2012), Deutsch-türkische Schulen in Deutschland: Ein kontroverser Diskurs, in: Ullrich/Strunck, Private Schulen in Deutschland: Entwicklungen – Profile – Kontroversen, S. 131, 138 (aus dem Intranet des Bundestages verfügbar unter https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2F978-3-531-94247-6_9.pdf). Die einzige wissenschaftliche Publikation sei eine Bachelorarbeit, die als Fallbeispiel eine türkische Schule in Berlin behandelt. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 002/20 Seite 7 Deutschland von Trägervereinen betrieben werden, die der sogenannten Gülen-Bewegung nahe stehen.9 Die meisten der untersuchten Schulen würden von 150-300 Schülerinnen und Schülern besucht, wobei über die Zusammensetzung der Schülerschaft keine genauen Angaben existierten. Mit Blick auf die Zusammensetzung des Kollegiums bestünden erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Schulen. Teilweise unterrichteten vor allem deutschstämmige Lehrerinnen und Lehrer, teilweise mehrheitlich Lehrpersonal mit Migrationshintergrund. An den meisten Schulen werde Schulgeld verlangt, das die staatliche Finanzierung für Ersatzschulen ergänze.10 Eine Recherche in den jeweiligen Schuldatenbanken der Bundesländer für die oben genannten Standorte erbrachte nur im Fall von Berlin konkretere aktuelle Informationen. Zu berücksichtigen ist dabei, dass die Genehmigung von Ersatzschulen in den Bundesländern in der Regel dezentral erfolgt. 4. Türkische Schulen in Berlin Im Schulverzeichnis der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie sind insgesamt fünf allgemeinbildende türkische Schulen und eine mehrsprachige Wirtschaft- und Verwaltungsschule in freier Trägerschaft gelistet. Zusätzliche Informationen zu den einzelnen Schulen, wie Schülerschaft, Personal der Schule, sächliche Ressourcen, Schulprogramm, Modell- und Schulversuche, Schulinspektion, Prüfungsergebnisse , Management und Professionalität, sind auf den genannten Internetseiten jedoch nicht verfügbar.11 *** 9 Vgl. dazu allgemein Akbaba/Strunck (Anm. 8), S. 134 f. und die in Fn. 2 zitierten Berichte. Zu einem konkreten Fall einer Schule in Köln vgl. die Meldung des Portals Mühlheimer Freiheit (2016). Gülen-Schule in Not. 09.09.2016. https://koeln-muelheim.de/historie.php?ID=25&NID=11698 10 Akbaba/Strunck (Anm. 8), S. 132 f. 11 Die nachfolgenden Ausschnitte stammen von: Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie (2020). Schulverzeichnis . Suchergebnis (Fremdsprache: Türkisch Kategorie: Schulen in freier Trägerschaft). https://www.berlin.de/sen/bildung/schule/berliner-schulen/schulverzeichnis/SchulListe.aspx. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 002/20 Seite 8 5. Anlage Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 002/20 Seite 9 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 002/20 Seite 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 002/20 Seite 11 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 002/20 Seite 12 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 002/20 Seite 13 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 002/20 Seite 14