Deutscher Bundestag Zweitverwertungsrechte bei wissenschaftlichen Werken Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 7 – 3000 – 300/11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung 300/11 Seite 2 Zweitverwertungsrechte bei wissenschaftlichen Werken Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 300/11 Abschluss der Arbeit: 20. Januar 2012 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung 300/11 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Aktueller Sachstand im Urheberrecht 4 2. Wissenschaftliche Diskussion „Zweitverwertungsrecht von wissenschaftlichen Beiträgen“ 6 2.1. Kulturflatrate 6 2.2. Open-Access 8 2.3. Zweitveröffentlichungsrecht 9 3. Ergebnis 11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung 300/11 Seite 4 1. Aktueller Sachstand im Urheberrecht Mit der Verabschiedung des sogenannten „Zweiten Korbs1“ im Urheberrecht hatte der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages das Bundesministerium der Justiz (BMJ) per Beschlussempfehlung aufgefordert, einen entsprechenden Handlungsbedarf hinsichtlich noch weiterer Punkte im Urheberrecht zu prüfen und einen möglichen Entwurf für einen „Dritten Korb“ vorzulegen. Gegenstand der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses2 vom 4. Juli 2007 war ein Zweitverwertungsrecht für Urheber von wissenschaftlichen Beiträgen einzuführen. Sodann gibt es ein Konsultationspapier des BMJ vom 13. Februar 20093, das die Stellungnahme des Bundesrates4 zur Regelung des Zweitverwertungsrechts aufgreift, um verschiedene Fragen hinsichtlich der Ausgestaltung eines solchen Zweitverwertungsrechts konkreter zu bearbeiten. Vorschlag des Bundesrates war es mit Einführung der Sätze 3 und 4 in § 38 Abs. 1 Urheberrechtsgesetz (UrhG)5, dem Urheber von wissenschaftlichen Beiträgen einem halben Jahr nach Erstveröffentlichung (durch einen Verlag) dem Urheber das unabdingbare Recht zuzuschreiben, den Beitrag öffentlich zugänglich zu machen, „soweit dies zur Verfolgung nicht-kommerzieller Zwecke gerechtfertigt ist und nicht in der Formatierung der Erstveröffentlichung erfolgt“6. Am 14. Juni 2010 kündigte die Bundesjustizministerin Frau Leutheusser-Schnarrenberger in der sog. Berliner Rede zum Urheberrecht7 an, dass die „Erarbeitung eines Dritten Korbes“ nach Anhörung der beteiligten Kreise erfolge. Unter Hervorhebung des Kreativen, also des Urhebers, und dessen Bestimmungsrechts, wendet sie sich gegen eine sogenannte „Kulturflatrate“ als Zwangskollektivierung 8. Auf eine Zweitverwertung von wissenschaftlichen Beiträgen wird nicht explizit 1 Gesetz zur Neuregelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft vom 26. Juli 2007 (BGBl. I, 2513). 2 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss), Bundestagsdrucksache (BT-Drs.) 16/5939 vom 4. Juli 2007, S. 3. 3 Zu finden als Anlage der Ausschussdrucksache A-Drs. 17(18)58. 4 Stellungnahme des Bundesrates vom 19. Mai 2006 zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, Beschluss Drs. 257/06. Stellungnahme abrufbar unter: http://www.urheberrecht.org/topic/Korb-2/bmj/1249.pdf. 5 Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz) vom 9. September 1965 (BGBl. I S. 1273), zuletzt geändert durch Artikel 83 des Gesetzes vom 17. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2586). 6 Stellungnahme des Bundesrates vom 19. Mai 2006 zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, Beschluss Drs. 257/06 S. 6. Stellungnahme abrufbar unter: http://www.urheberrecht.org/topic/Korb-2/bmj/1249.pdf. Konsultationspapier S. 4, in der Anlage der Ausschussdrucksache A-Drs. 17(18)58. 7 Das Redemanuskript ist abrufbar unter: http://carta.info/28969/dokumentation-berliner-rede-zum-urheberrecht-von-sabine-leutheusserschnarrenberger /. 8 „Eine Kulturflatrate – die stellen sich einige offenbar so vor, wie eine Internet-GEZ. Dies wäre eine Zwangskollektivierung der Rechte, die einen gewaltigen Verteilungskampf der Urheber um die Einnahmen zur Folge hätte .“ Das Redemanuskript ist abrufbar unter: http://carta.info/28969/dokumentation-berliner-rede-zum-urheberrecht-von-sabine-leutheusserschnarrenberger /. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung 300/11 Seite 5 eingegangen. Allerdings „besteht zwischen Open Access und Urheberrecht kein Gegensatz, wenn das Recht die Selbstbestimmung des Kreativen sichert“9. Die angekündigte Anhörung zum Thema „Open Access“ findet im Bundesministerium für Justiz am 13. Juli 2010 statt10. Am 16. März 2011 legt die SPD-Fraktion ein Gesetzesentwurf dem Deutschen Bundestag vor, der die Einfügung eines neuen § 38a UrhG, also ein Zweitverwertungsrecht an wissenschaftlichen Beiträgen vorsieht, zumindest bei solchen, die mindestens zur Hälfte mit öffentlichen Mitteln finanziert worden sind11. Der Entwurf wurde am 24. März 2011 an die Ausschüsse überwiesen. Der Wortlaut des vorgeschlagenen Gesetzestextes lautet: „ § 38 a Zweitverwertungsrecht An wissenschaftlichen Beiträgen, die im Rahmen einer mindestens zur Hälfte mit öffentlichen Mitteln finanzierten Lehr- und Forschungstätigkeit entstanden sind und in Periodika oder Sammelwerken nach § 38 Absatz 2 erscheinen, hat der Urheber auch bei Einräumung eines ausschließlichen Nutzungsrechts das Recht, den Inhalt längstens nach Ablauf von sechs Monaten bei Periodika und von zwölf Monaten bei Sammelwerken seit der Erstveröffentlichung anderweitig nicht kommerziell öffentlich zugänglich zu machen. Die Zweitveröffentlichung ist in der Formatierung der Erstveröffentlichung zulässig; die Quelle der Erstveröffentlichung ist anzugeben. Ein dem Verleger eingeräumtes ausschließliches Nutzungsrecht bleibt im Übrigen unberührt. Eine zum Nachteil des Urhebers abweichende Vereinbarung ist unwirksam.“12 Am 26. Juli 2011 erfolgt eine Antwort der Bundesregierung13 auf die Kleine Anfrage der SPD- Fraktion, wobei das Bundesministerium der Justiz sich auf einen Referentenentwurf bezieht, der die Ergebnisse der Anhörungen (u.a. von der zum Thema Open Access) präsentieren soll. Der Referentenentwurf liegt – auch nach schriftlicher Anfrage des Fachbereichs WD 7 vom 2. Dezember 2011 – nicht vor. In der Zwischenzeit stellt die Fraktion DIE LINKE einen Antrag beim Deutschen Bundestag „die Ergebnisse öffentlicher Forschung für alle zugänglich zu machen – Open Access in der Wissenschaft zu unterstützen“14. Ebenso stellt die Fraktion BÜNDIS 90/DIE GRÜNEN einen Antrag15 zur Förderung von Open Access im Wissenschaftsbereich sowie eine Auflistung von weiterem Handlungsbedarf . 9 Das Redemanuskript ist abrufbar unter: http://carta.info/28969/dokumentation-berliner-rede-zum-urheberrecht-von-sabine-leutheusserschnarrenberger /. 10 Schreiben des Bundesministerium der Justiz, Dr. Max Stadler, MdB vom 2. Juni 2010 an die Vorsitzenden der Ausschüsse. 11 Bundestagsdrucksache 17/5053. 12 Bundestagsdrucksache 17/5053, S. 3. 13 Bundestagsdrucksache 17/6678. 14 Bundestagsdrucksache 17/7864 vom 22. November 2011. 15 Bundestagsdrucksache 17/7031 vom 21. September 2011. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung 300/11 Seite 6 2. Wissenschaftliche Diskussion „Zweitverwertungsrecht von wissenschaftlichen Beiträgen“ Hinsichtlich der “Nutzbarmachung“ von wissenschaftlichen Werken für die breit angelegte Wissens - und Informationsgesellschaft gibt es verschiedene Modelle, die teilweise schwer von einander abgrenzbar sind. Ausgangslage ist, dass alle Werke urheberrechtlich geschützt sind, also solche von literarischer, wissenschaftlicher und künstlerischer Natur, soweit sie persönliche geistige (kreative) Schöpfung darstellen (siehe §§ 1 und 2 Abs. 2 UrhG), „das heißt wenn das Werk eine Verkörperung menschlich-subjektiver und individueller Kreativität darstellt, die auf einer besonderen geistigen Leistung beruht“ 16. Typischerweise und kennzeichnend für die Problemlage ist, dass Wissenschaftler/Autoren einen Vertrag mit einem Verlag schließen, der dem Verlag die ausschließlichen Rechte an der Publikation einräumt. Sofern der Wissenschaftler weiterhin publizieren oder seinen Beitrag in einem Repositorium veröffentlichen will, ist er auf die Zustimmung des Verlags angewiesen. Umgekehrt sind die Werke für das Fachpublikum an die Preise, insbesondere Abonnements der Verlage gebunden, und damit nur „überteuert“ zugänglich 17. In der Diskussion gibt es mehrere Begriffe, also die sog. Zweitverwertungsrechte, die Open -Access-Idee (Prinzip des offenen Zugangs) und die Kulturflatrate. „Mit dem Zweitveröffentlichungsrecht für wissenschaftliche Autoren wurde eine vertragsrechtliche Regelung für Open Access vorgestellt, die der Gesetzgeber in das Urheberrecht aufnehmen könnte“18. Rechtlich ausschlaggebend ist die Unterscheidung zwischen Erst- und Zweitverwertung eines Werkes. 2.1. Kulturflatrate Mit dem Begriff „Kulturflatrate“ wird der Ansatz beschrieben, „die nichtkommerzielle Weitergabe und Vervielfältigung von digitalen, urheberrechtlich geschützten Werken, wie z.B. Musik, Filme, Software oder E-Books, über das Internet zu legalisieren und zum Ausgleich einen pauschalen Betrag zur Entschädigung der Rechtsinhaber zu erheben und an diese abzuführen“19, ähnlich wie es durch die GEMA und die GEZ geschieht. Die Bundesjustizministerin macht in der sog. Berliner Rede hinsichtlich solcher Ansätze auf folgende Kritik aufmerksam: Zum einen ziele „die Pauschalvergütung heutiger Art auf die sogenannte Zweitverwertung ab, aber wenn wir schon die primäre Verwertung pauschalieren und kollektivieren, dann trennen wir Werk und Autor und dann bleibt die Leistungsgerechtigkeit auf der Strecke“20. Zum anderen liege das „Defizit der Kulturflatrate auch in der Reduzierung des Urheberrechts auf den bloßen Vergütungsan- 16 Volker Haug, Internetrecht, 2. Auflage 2010, Rn. 444. 17 Reto M. Hilty, Renaissance der Zwangslizenzen im Urheberrecht? Gedanken zu Ungereimtheiten auf der urheberrechtlichen Wertschöpfungskette in: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR), 2009, 633-644 (634), „Lassen sich wissenschaftliche Informationen – wie bei den Naturwissenschaften häufig – nicht substituieren , führt der damit fehlende Wettbewerb auf der Anbieterseite nachweislich zu massiven Preissteigerungen“. 18 Eric W. Steinhauer, Das Recht auf Sichtbarkeit – Überlegungen zu Open Access und Wissenschaftsfreiheit, 2010, S. 24. 19 Alexander Roßnagel/Silke Jandt/Christoph Schnabel, Kulturflatrate – Ein verfassungsrechtlich zulässiges alternatives Modell zur Künstlervergütung? in: Multimedia und Recht (MMR) 2010, 8-12 (8). 20 Siehe Fußnote 9. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung 300/11 Seite 7 spruch. Gerade aber die Ausschließlichkeitsrechte des Urhebers gewähren ihm die Hoheit, darüber zu entscheiden, zu welchen Bedingungen und in welcher Weise sein Werk genutzt werden soll“21. Dahinter stecken zum einen verfassungsrechtliche Bedenken, da oft nach dem Konzept der Kulturflatrate die Erstveröffentlichung gemeint ist, die dann zumindest in dieser kollektivierten Form stattfinden soll und deshalb die Bedenken von Zwangslizensierungen hervorruft. So berührt der Zwang zur Publikation das verfassungsrechtlich gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht des Autors, aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG)22 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Weiterhin „umfasst die Wissenschaftsfreiheit nicht nur den Prozess wissenschaftlicher Tätigkeit, sowie die Erlangung wissenschaftlicher Erkenntnisse als objektiviertes Ergebnis, sondern auch die kommunikative Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse durch Verbreitung, insbesondere Publikation 23“. So wird befürchtet, dass „der Gedanke, da der Wissenschaftler mit öffentlichen Mitteln arbeitet, auch die Ergebnisse der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen muss, damit der Staat nicht zweimal bezahlen müsse, die Wissenschaft in staatliche Abhängigkeit führt“24. Zudem wird die Kulturflatrate wegen Art. 14 Abs. 1 GG als problematisch25 gesehen, da das Urheberrecht als Konkretisierung geistigen Eigentums gilt, andererseits wird auch die „Sozialpflichtigkeit des Art. 14 GG ins Feld geführt. Außerdem werden bei der Debatte das Recht der Öffentlichkeit, die Funktionsfähigkeit der wissenschaftlichen Fachkommunikation und der Bestand der Geschäftsmodelle auf den kommerziellen Informationsmärkten als verfassungsrechtlich relevant bezeichnet26. Die Stimmen der Befürworter von Kulturflatrate und Zwangslizenzen sind jedoch nicht wenig gewichtig: „Die Kriminalisierung der User hätte ein Ende, die neue Rechtssicherheit würde dem Abmahngeschäft einen Riegel vorschieben, und die Forderungen der Industrie nach einer lückenlosen Überwachung des Datenverkehrs verlören an Legitimation“27. „Dafür müssten Künstler / Urheber als Rechteinhaber mit der Einführung der Kulturflatrate allein die nicht-kommerzielle Werknutzung unter bestimmten Bedingungen erweitern und eine – durch die Kulturflatrate abge- 21 Siehe Fußnote 9. 22 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (BGBl. S. 1), zuletzt geändert durch Art. 1 Änderungsgesetz (Art. 91e) vom 27. Juli 2010 (BGBl. I S. 944). 23 Christian Berger, Urheberrechtliche Nutzungsrechte der Universität an Werken der bei ihr beschäftigten Wissenschaftler in: Zeitschrift für Geistiges Eigentum/Intellectual Property Journal (ZGE/IPJ) 2010, 398-412(400). 24 Christian Berger, Urheberrechtliche Nutzungsrechte der Universität an Werken der bei ihr beschäftigten Wissenschaftler in: ZGE/IPJ 2010, 398-412(400). 25 Prüfen die Verfassungsmäßigkeit einer Kulturflatrate vor Art. 14 Abs. 1 GG, kommen im Ergebnis zu einer Verhältnis - und Verfassungsmäßigkeit: Alexander Roßnagel/Silke Jandt/Christoph Schnabel, Kulturflatrate – Ein verfassungsrechtlich zulässiges alternatives Modell zur Künstlervergütung? in: MMR 2010, 8-12 (8). 26 Rainer Kuhlen, Der Streit um die Regelung des Zweitveröffentlichungsrechts im Urheberrecht in: Joachim Griesbaum/Thomas Mandl/Christa Womser-Hacker, „Information und Wissen: global, sozial und frei?“, Proceedings des 12. Internationalen Symposiums für Informationswissenschaft, S. 434-451 (436), der die verfassungsrechtliche Problematik gerade auch für das Zweitveröffentlichungsrecht sieht. 27 Daniel Leisegang, Kulturflatrate: Der neue Sozialvertrag in: Blätter für deutsche und internationale Politik 1/2011 S. 106-111 (109), im Ergebnis auch: Alexander Roßnagel/Silke Jandt/Christoph Schnabel, Kulturflatrate – Ein verfassungsrechtlich zulässiges alternatives Modell zur Künstlervergütung? in: MMR 2010, 8-12 (12). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung 300/11 Seite 8 goltene – Nutzung ihrer Werke erlauben“28. Nach einer Ansicht soll „die Wendung ‘Zwangslizenz ‘ einzig für jene Konstellation Anwendung finden, in welcher zwar bestimmte Verbotsrechte des Rechteinhabers eingeschränkt werden, nicht aber seine Befugnis, über die Gegenleistung für das (insoweit erzwingbare) Nutzungsrecht eines Dritten – des Zwangslizenznehmers – zu verhandeln 29. Damit bliebe dem Urheber zumindest noch seine Gestaltungsmöglichkeit hinsichtlich der Gegenleistung. Gleichzeitig wäre hiernach „die Wirkung der Zwangslizenz – anders als die urhebervertragsrechtliche Erlaubnis eines Zweitverwertungsrechts – nicht auf die Privilegierung des Kreativen beschränkt, vielmehr wirkt sie zu Gunsten eines jeden Dritten und damit auch zu Gunsten von kommerziellen Akteuren, welche dazu in der Lage sind, für Wettbewerb zu sorgen30. 2.2. Open-Access Eine aus verschiedenen Richtungen diskutierte Variante ist die Möglichkeit einer Open-Access Plattform. So werden in der Verbreitung wissenschaftlicher Materialien „Repositorien“31 von Universitäten als Katalysator der Open-Access-Bewegung angesehen. Grundsätzlich ist die Open- Access-Bewegung davon geprägt, dass der Urheber sein Werk der Allgemeinheit zur Verfügung stellt und die Bedingungen, unter denen jedermann dieses Werk nutzen kann, ergeben sich aus der vom Urheber gewählten Lizenz32. In der „Berliner Erklärung über den offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen“33 wurden bereits am 22. Oktober 2003 die beiden wichtigsten Kriterien zur Open-Access-Veröffentlichungen festgehalten: Zum einen „gewähren Urheber und Rechteinhaber allen Nutzern unwiderruflich das freie, weltweite Zugangsrecht zu diesen Veröffentlichungen und erlauben ihnen, diese Veröffentlichungen – in jedem beliebigen digitalen Medium und für jeden verantwortbaren Zweck – zu kopieren, zu nutzen, zu verbreiten und öffentlich wiederzugeben sowie Bearbeitungen davon zu erstellen und zu verbreiten, sofern die Urheberschaft korrekt angegeben wird“34. Angestrebt wird eine Freischaltung aller wissenschaftlichen Inhalte unter Einhaltung des Zitierrechts. Zum anderen wird verlangt, dass „eine vollständige Fassung der 28 Daniel Leisegang, Kulturflatrate: Der neue Sozialvertrag in: Blätter für deutsche und internationale Politik 1/2011 S. 106-111 (110). 29 Reto M. Hilty, Renaissance der Zwangslizenzen im Urheberrecht? Gedanken zu Ungereimtheiten auf der urheberrechtlichen Wertschöpfungskette in: GRUR, 2009, 633-644 (639). 30 Reto M. Hilty, Renaissance der Zwangslizenzen im Urheberrecht? Gedanken zu Ungereimtheiten auf der urheberrechtlichen Wertschöpfungskette in: GRUR, 2009, 633-644 (640). 31 So zumindest das Projekt iuwis (infrastruktur urheberrecht für wissenschaft und bildung), „Zur urheberrechtlichen Gestaltung von Repositorien“ S. 32, abrufbar unter: http://www.iuwis.de/sites/default/files/IUWIS Zur urheberrechtlichen Gestaltung von Repositorien.pdf. 32 Stellungnahme des Bundesrates vom 19. Mai 2006 zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, Beschluss Drs. 257/06 S. 3. Stellungnahme abrufbar unter: http://www.urheberrecht.org/topic/Korb-2/bmj/1249.pdf. 33 Erklärung, abrufbar unter: http://oa.mpg.de/files/2010/04/Berliner_Erklaerung_dt_Version_07-2006.pdf. 34 Berliner Erklärung über den offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen, abrufbar unter: http://oa.mpg.de/files/2010/04/Berliner_Erklaerung_dt_Version_07-2006.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung 300/11 Seite 9 Veröffentlichung sowie aller ergänzenden Materialien in einem geeigneten elektronischen Standardformat in mindestens einem Online-Archiv hinterlegt wird, dass von einer wissenschaftlichen Einrichtung gepflegt wird und die uneingeschränkte Verbreitung und die langfristige Archivierung ermöglicht“35. Hinsichtlich der Unterscheidung von der Bereitstellung von Erst- und Zweitveröffentlichungen wird unterschieden zwischen der „Green - “ und der „Golden Road“36. „Als Goldener Weg zum/des Open Access werden Geschäftsmodelle bezeichnet, die qualitätsgeprüfte und Open-Access-konforme Erstveröffentlichungen wissenschaftlicher Beiträge in einem elektronischen Medium (z.B. einer Zeitschrift) ermöglichen“37.Teilweise wird angeführt, dass die „sogenannte Golden Road – das heißt das vollständige Ausschalten kommerzieller Wissenschaftsverlage - deshalb als gangbarer Weg erscheint, weil die involvierten Urheberrechte damit überhaupt nicht in ‘falsche Hände‘ gelangen können, andererseits setze diese Freischaltung aber ein Umdenken in den Wissenschaftscommunities voraus“38. Repositorien werden überwiegend in Zusammenhang mit der Green Road betrachtet, dabei werden wissenschaftliche Inhalte neben der klassischen Verlagspublikation (Closed Access) auf der eigenen Homepage oder einem Repositorium frei zugänglich gemacht39. Der grüne Weg des Open Access schließt eine kommerzielle Erstverwertung des Urhebers nicht aus. 2.3. Zweitveröffentlichungsrecht Aufgrund der rasanten Entwicklung zur Wissensgesellschaft unter Einbeziehung der modernen Informationsmittel wird von verschiedenen Seiten verlangt, dass den Urhebern wissenschaftlicher Beiträge, die überwiegend mit öffentlichen Mitteln finanziert worden sind, also im Rahmen von Lehr- und Forschungstätigkeiten entstanden sind, auch bei Einräumung eines ausschließlichen Nutzungsrechts an einen Verlag, nach 6 Monaten seit Erstveröffentlichung ein Recht auf 35 Berliner Erklärung über den offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen, abrufbar unter: http://oa.mpg.de/files/2010/04/Berliner_Erklaerung_dt_Version_07-2006.pdf. 36 Projekt iuwis(infrastruktur urheberrecht für wissenschaft und bildung), „Zur urheberrechtlichen Gestaltung von Repositorien“ S. 32, abrufbar unter: http://www.iuwis.de/sites/default/files/IUWIS Zur urheberrechtlichen Gestaltung von Repositorien.pdf. 37 FAQ zu Open Access und Zweitveröffentlichungsrecht(Stand 30. Juni 2011), Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen S. 4 online abrufbar unter: http://www.allianzinitiative.de/fileadmin/user_upload/FAQ_Open_Access_Zweitveroeffentlichungsrecht.pdf. So auch: Projekt iuwis(infrastruktur urheberrecht für wissenschaft und bildung), „Zur urheberrechtlichen Gestaltung von Repositorien“ S. 32, abrufbar unter: http://www.iuwis.de/sites/default/files/IUWIS Zur urheberrechtlichen Gestaltung von Repositorien.pdf. 38 Reto M. Hilty, Renaissance der Zwangslizenzen im Urheberrecht? Gedanken zu Ungereimtheiten auf der urheberrechtlichen Wertschöpfungskette in: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR), 2009, 633-644 (640). 39 Projekt iuwis(infrastruktur urheberrecht für wissenschaft und bildung), „Zur urheberrechtlichen Gestaltung von Repositorien“ S. 32, abrufbar unter: http://www.iuwis.de/sites/default/files/IUWIS Zur urheberrechtlichen Gestaltung von Repositorien.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung 300/11 Seite 10 Zweitveröffentlichung eingeräumt wird. In der Regel sehen die Standardverträge für Zeitschriften die Einräumung der ausschließlichen, zeitlich unbegrenzten Online-Rechte an den Verlag vor40. Mit der Folge, dass „sich vor allem jüngere Wissenschaftler gegenüber den Verlagen für ein vertragliches Zweitveröffentlichungsrecht kaum durchsetzen“41. Eine – beispielsweise von der Kultusministerkonferenz geforderte – Neuregelung, die auf „einen verlässlichen rechtlichen Rahmen für ein Zweitveröffentlichungsrecht bei Wissenschaftspublikationen “42 abzielt, könnte sich „im Zuge der nächsten Urheberrechtreform („Dritter Korb“) in einer Änderung des § 38 UrhG realisieren“43. Die bisherige Formulierung des § 38 Abs. 1 Satz 1 UrhG sieht ein solches Zweitveröffentlichungsrecht mit einer Embargofrist von 12 Monaten bereits vor, allerdings nur, wenn nichts anderes vereinbart ist (§ 38 Abs. 1 Satz 2 UrhG). „Der Bundesrat hatte bereits 2007 vorgeschlagen das Gesetz dahingehend zu ändern, das zum einen die Frist, nach der dieses Recht dem Urheber wieder zufällt, in der Regel auf sechs Monate verkürzt wird und dass zum anderen dieses Zweitveröffentlichungsrecht nicht per Vertrag abbedungen werden kann“44. Formaljuristisch bestanden Überlegungen, dass der Vorschlag des Bundesrates 2007 möglicherweise als neuer Schrankenvorschlag zu sehen sei, weil ganz üblicherweise sich der kontinentaleuropäische Gesetzgeber dieses Instruments bedient, um überschießende Wirkungen des Urheberrechts zu korrigieren45. Allerdings ist nach der nach wie vor gültigen EU-Richtlinie von 2001 aufgrund der dort abschließend formulierten Schranken kein Spielraum46. Als ein weiterer Themenkomplex wird diskutiert, wie das Zweitveröffentlichungsrecht ausgestaltet sein sollte. Also, ob das Format der Zweitveröffentlichung dasselbe wie das der Erstveröffentlichung sein könne, oder ob es gerade ein anderes Format sein müsse. Zur Überlegung steht auch das Zweitveröffentlichungsrecht „um eine Zweitveröffentlichungspflicht zu erweitern, die für 40 Axel Metzger, Die urheberrechtliche Gestaltung von Open Access Repositorien, April 2011, S. 23. 41 Rainer Kuhlen, Der Streit um die Regelung des Zweitveröffentlichungsrechts im Urheberrecht in: Joachim Griesbaum/Thomas Mandl/Christa Womser-Hacker, „Information und Wissen: global, sozial und frei?“, Proceedings des 12. Internationalen Symposiums für Informationswissenschaft, S. 434-451 (436). 42 Thomas Pflüger, Positionen der Kultusministerkonferenz zum Dritten zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft – „Dritter Korb“ in: Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht (ZUM) 2010, 938-945 (940). 43 So Axel Metzger, Die urheberrechtliche Gestaltung von Open Access Repositorien, April 2011, S. 26. 44 Rainer Kuhlen, Der Streit um die Regelung des Zweitveröffentlichungsrechts im Urheberrecht in: Joachim Griesbaum/Thomas Mandl/Christa Womser-Hacker, „Information und Wissen: global, sozial und frei?“, Proceedings des 12. Internationalen Symposiums für Informationswissenschaft, S. 434-451 (437) mit Verweis auf die Stellungnahme des Bundesrates (BR-Drs. 257/06). 45 Reto M. Hilty, Renaissance der Zwangslizenzen im Urheberrecht? Gedanken zu Ungereimtheiten auf der urheberrechtlichen Wertschöpfungskette in: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR), 2009, 633-644 (636). 46 Rainer Kuhlen, Der Streit um die Regelung des Zweitveröffentlichungsrechts im Urheberrecht in: Joachim Griesbaum/Thomas Mandl/Christa Womser-Hacker, „Information und Wissen: global, sozial und frei?“, Proceedings des 12. Internationalen Symposiums für Informationswissenschaft, S. 434-451 (438). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung 300/11 Seite 11 den Rechteinhaber darin bestehen könnte, nach einer Zeitspanne von sechs Monaten jedermann ein unbeschränktes einfaches Nutzungsrecht einzuräumen“47, wobei hier die Problematik der Zwangslizensierung berührt wäre. 3. Ergebnis Ein Zweitverwertungsrecht reagiert auf die Situation, dass wissenschaftliche Autoren gehindert sind, die Sichtbarkeitschancen im Internet zu nutzen, allerdings bezieht sich das Zweitverwertungsrecht nur auf öffentlich alimentierte Forscher48. In der Literatur werden die praktischen Auswirkungen des Zweitverwertungsrechts in Kopplung an eine Verpflichtung unterschiedlich gesehen: Einerseits halten „die meisten Wissenschaftsorganisationen in Deutschland eine Zweitveröffentlichungsverpflichtung nicht für erforderlich, weil man davon ausgehen könne, dass die Autoren selbst die Vorteile von Open-Access-Publikationen erkennen49“, andererseits wird in der Motivationslage der betroffenen Wissenschaftler vermutet, „dass sie sich nur unter Druck dazu bewegen lassen, dass sie selbst dafür sorgen, dass die Open-Access-Idee verwirklicht werden kann50“. Unstreitig wird in dem Konflikt um das Zweitverwertungsrecht kein originärer Konflikt zwischen Autoren und Nutzern/Allgemeinheit gesehen. Vielmehr „wird von Seiten vieler Verlage zu bedenken gegeben, dass durch ein Zweitveröffentlichungsrecht die ökonomische Verwertung der Erstpublikation und damit die (verlegerische) Geschäftsgrundlage gefährdet werde“51. „Bei dem vom Bundesrat vorgeschlagenen Zweitveröffentlichungsrecht wird kein Eingriff in die Publikationsfreiheit der Wissenschaftler angenommen, da der Wissenschaftler das Entscheidungsrecht hat. Es wird eher eine Stärkung der Publikationsfreiheit erwartet, weil der Wissenschaftler das Ausmaß der von ihm gewünschten Öffentlichkeit bestimmen kann“52. Generell wird sowohl in der Fachöffentlichkeit als auch quer durch die politischen Parteien befürwortet, dass 47 Rainer Kuhlen, Der Streit um die Regelung des Zweitveröffentlichungsrechts im Urheberrecht in: Joachim Griesbaum/Thomas Mandl/Christa Womser-Hacker, „Information und Wissen: global, sozial und frei?“, Proceedings des 12. Internationalen Symposiums für Informationswissenschaft, S. 434-451 (439). 48 Eric W. Steinhauer, Das Recht auf Sichtbarkeit – Überlegungen zu Open Access und Wissenschaftsfreiheit, 2010, S. 63. 49 So der Überblick der Debatte bei Rainer Kuhlen, Der Streit um die Regelung des Zweitveröffentlichungsrechts im Urheberrecht in: Joachim Griesbaum/Thomas Mandl/Christa Womser-Hacker, „Information und Wissen: global , sozial und frei?“, Proceedings des 12. Internationalen Symposiums für Informationswissenschaft, S. 434- 451 (440). 50 Reto M. Hilty, Renaissance der Zwangslizenzen im Urheberrecht? Gedanken zu Ungereimtheiten auf der urheberrechtlichen Wertschöpfungskette in: GRUR, 2009, 633-644 (638), der eine Darstellung der dogmatischen Lösungsansätze des Problems aufzeigt, sich letztlich mit guten Gründen für ein „Zwangslizenzmodell“ ausspricht. 51 Rainer Kuhlen, Der Streit um die Regelung des Zweitveröffentlichungsrechts im Urheberrecht in: Joachim Griesbaum/Thomas Mandl/Christa Womser-Hacker, „Information und Wissen: global, sozial und frei?“, Proceedings des 12. Internationalen Symposiums für Informationswissenschaft, S. 434-451 (440), der sich auch mit den Stellungnahmen von der Allianz der Wissenschaftsorganisationen und dem Deutschen Hochschulverband auseinandersetzt. 52 Eric W. Steinhauer, Das Recht auf Sichtbarkeit – Überlegungen zu Open Access und Wissenschaftsfreiheit, 2010, S. 70 und 73. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung 300/11 Seite 12 ein Zweitverwertungsrecht im Gesetz verankert werden soll53. Mit Spannung abzuwarten bleibt demnach die Vorlage des Referentenentwurfs des Bundesjustizministeriums einschließlich der vorgenommen Anhörungen. 53 Rainer Kuhlen, Der Streit um die Regelung des Zweitveröffentlichungsrechts im Urheberrecht in: Joachim Griesbaum/Thomas Mandl/Christa Womser-Hacker, „Information und Wissen: global, sozial und frei?“, Proceedings des 12. Internationalen Symposiums für Informationswissenschaft, S. 434-451 (449/450), mit Verweis auf: CDU-Fraktion (http://bit.ly/aSF4Md), Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (http://bit.ly/9ydOzm), SPD-Fraktion (http://bit.ly/8X3oot).