Deutscher Bundestag Abstandsflächenregelungen für Windenergieanlagen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 7 - 3000 - 264/12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 264/12 Seite 2 Abstandsflächenregelungen für Windenergieanlagen Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 264/12 Abschluss der Arbeit: 23. Oktober 2012 Fachbereich: WD 7: Zivil-,Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutz, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 264/12 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Infraschallbelastung durch Windenergieanlagen 6 3. Immissionsrechtliche- und planungsrechtliche Abstandsvorgaben 8 3.1. Immissionsschutzrechtliche Voraussetzungen 11 3.2. Zwischenergebnis 13 3.3. Raumordnungs- und planungsrechtliche Voraussetzungen 14 3.3.1. Planungsebenen 14 3.3.2. Raumordnungsplanung 14 3.3.3. Windenergieerlasse der Bundesländer 16 3.3.4. Regionalpläne 17 3.3.5. Flächennutzungsplanung 18 3.3.6. Bebauungsplanung 19 3.3.7. bauplanungsrechtliche Genehmigung 20 3.3.8. Zwischenergebnis 21 4. Naturschutzrecht 21 5. Bauordnungsrechtliche Abstandsvorgaben 22 6. Windkraft in Europa 23 7. Fazit 24 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 264/12 Seite 4 1. Einleitung Als Reaktion der Bundesregierung auf die Reaktorkatastrophe im japanischen Kernkraftwerk Fukushima erhielt der Atomausstieg mit dem Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes vom 31. Juli 2011 (BGBl. I S. 1704) seine gesetzliche Grundlage. Bis zum Jahr 2022 soll nach § 7 Abs. 1a) des Atomgesetztes1 das letzte Kernkraftwerk vom Netz genommen werden und damit der endgültige Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie in Deutschland vollzogen sein. Der Atomstrom soll hierbei schrittweise vor allem durch die Erneuerbaren Energien ersetzt werden .2 Derzeit steht die Auflösung des EURATOM-Vertrages3 und die Begründung einer alternativen Europäischen Gemeinschaft zur Förderung von Erneuerbaren Energien in der politischen Diskussion .4 Eine gesetzliche Definition der Erneuerbaren Energien ist gegenwärtig noch nicht vorhanden. Mit § 3 Nr. 3 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG)5 nimmt der Gesetzgeber allerdings enumerativ eine Aufzählung der regenerativen Energieträger vor. § 1 Abs. 2 des EEG sieht hierbei spiegelbildlich zum Atomausstieg, einen erheblichen Ausbau des Anteils der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung vor. Dieses Ziel wird auch durch die Windenergienutzung an Land angestrebt. Hierzu ist neben dem Austausch alter Anlagen durch leistungsstärkere - dem sog. Repoweringdie Ausweisung neuer Flächen für weitere Windenergieanlagen erforderlich. Zunehmend rückt dabei in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion, dass die Nutzung der Windenergie Immissions-Belastungen für bereits erschlossene und entsprechend genutzte Plangebiete bedeuten kann. Daneben finden zunehmend Umweltbeeinträchtigungen, wie die „Verspargelung “ der Landschaft und die Einschnitte in den Naturschutz Erwähnung.6 1 Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz) in der Fassung der Bekanntmachung v. 15.07.1985 (BGBl. I S. 1565), zuletzt geändert durch Art. 5 Abs. 6 des Gesetzes zur Neuordnung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallrechts v. 24.02.2012 (BGBl. I S. 212). 2 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, im Internet abrufbar: http://www.bmu.de/atomenergie_ver_und_entsorgung/stilllegung/aktuelles/doc/40321.php [Stand: 05.10.2012]. 3 Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) vom 25.03.1957 (BGBl. II S. 1014, ber. S. 1678; ber. BGBl. 1999 II S. 1024), zuletzt geändert durch Art. 11, 14 Abs. 2 EU-Beitrittsakte 2013 vom 9. 12. 2011 (ABl. 2012 Nr. L 112 vom 24.04.2012, S. 21). 4 Vgl. Arbeitsprogramm der Internationalen Organisation für Erneuerbare Energien (IRENA); abrufbar im Internet: http://www.erneuerbare-energien.de/erneuerbare_energien/international/irena/doc/42082.php [Stand: 22.10.2012]; Vgl. auch Antrag der Fraktion DIE LINKE, Eine Europäische Gemeinschaft für die Förderung erneuerbarer Energien gründen – EURATOM auflösen, BT-Drucks. 17/6151. 5 Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) v. 25.10.2008 (BGBl. I S. 2074), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Rechtsrahmens für Strom aus solarer Strahlungsenergie und zu weiteren Änderung im Recht der Erneuerbaren Energien vom 17.08. 2012. 6 Vgl. hierzu Stüer, Handbuch des Bau-und Fachplanungsrechts, 4. Auflage 2009, C. Planungsrechtliche Vorhaben , Rn. 2691 - 2701, mit weiteren negativen Auswirkungen von Windkraftanlagen; siehe auch Positionspapier „Naturverträglicher Ausbau der Windenergie in Deutschland“ des NABU-Bundesverbands, Fachbereich Umweltpolitik und Naturschutz. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 264/12 Seite 5 Dies führt zu dem Erfordernis einer vorausschauenden und nachhaltigen Planung, die den Anforderungen des Immissionsschutz-, Bauplanungs- und Raumordungsrechts gerecht wird. Zur Gewährleistung eines stimmigen Gefüges von umweltfreundlicher Energiegewinnung durch Windkraftanlagen und den tatsächlichen Gegebenheiten des jeweiligen Plangebiets sind die einzuhaltenden Abstandsflächen von Windenergieanlagen zu Wohngebieten sowie zu Natur-und Erholungsgebieten eine bedeutsame regulative Maßnahme. In der Umsetzung des Trennungsgebotes7 durch § 50 Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG)8 haben einige Bundesländer bereits im Jahr 1998 versucht, durch sogenannte Abstandserlasse Hinweise zu geben, welche Abstände zwischen störenden und schutzbedürftigen Gebieten unter dem Aspekt des Immissionsschutzes keinen Widerspruch gegen die planerische Zuordnung mit sich ziehen. Zu nennen ist der detaillierte Abstandserlass von Nordrhein-Westfahlen9, der bundesweite Bedeutung erlangte. Dort waren speziell für die konservativen Formen der Energiegewinnung , wie die fossilen und nuklearen Energiequellen, konkrete Abstandsflächen in Maßeinheiten (Metern) vorgesehen. Als Verwaltungsvorschriften10 entfalten die Maßangaben in den Abstandserlassen allerdings keine unmittelbare Rechtsverbindlichkeit nach außen, sondern binden lediglich behördenintern die staatlichen Umweltämter.11 Aktuell wird aufgrund der europarechtlichen Anforderungen der „Seveso-II-Richtlinie“12, durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gemahnt, dass das Abstandsgebot des Art. 12 Abs. 1 Unterabsatz 2 dieser Richtlinie in § 50 BImSchG nur unzureichend umgesetzt wurde. Hiernach haben Betriebe in denen gefährliche Stoffe im Sinne der Richtlinie in gewissen Mengen vorhanden sind (sog. Störfallbetriebe) einen „Achtungsabstand“ zu Wohngebieten, gemischten Bauflächen und Grünflächen zu wahren. Konkrete Maßzahlen enthält jedoch weder die Richtline, noch die aufgrund der Richtline erlassene 12. BImSchV13.14 7 Dieses Gebot verpflichtet die jeweiligen Planungsträger, die sich gegenseitig ausschließenden Nutzungenformen (bspw. Wohn- und Gewerbegebiete) räumlich voneinander zu trennen, um schädlichen Umwelteinwirkungen auf schutzwürdige Nutzungen präventiv entgegenzuwirken. 8 Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) in der Fassung der Bekanntmachung v. 26.09.2002 (BGBl. I S. 3830), zuletzt geändert durch Art. 2 Siebtes Gesetz zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften v. 27.06.2012 (BGBl. I S. 1421). 9 Hansmann, in: Landmann/Rohmer (Hrsg.), Umweltrecht, 30. Ergänzungslieferung 1998, § 50 Rn. 52. 10 Eine Verwaltungsvorschrift ist eine Anordnung, die innerhalb einer Verwaltungseinheit von einem übergeordneten Verwaltungsorgan an nachgeordnete Verwaltungsbehörden ergeht. Ihr Wirkungsbereich beschränkt sich in der Regel auf das Innenrecht der Verwaltung. Mangels Außenwirkung sind sie keine unmittelbar verbindlichen Rechtsnormen. 11 Hansmann, in: Landmann/Rohmer (Hrsg.), Umweltrecht, 30. Ergänzungslieferung 1998, § 50 Rn. 51 ff. 12 Richtlinie 2003/105/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2003 zur Änderung der RL 96/82/EG des Rates zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen, (ABl. L 345 vom 31.12.2003, S. 97). 13 12. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Störfall-Verordnung - 12. BImSchV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 08.06.2005 (BGBl. I S. 1598), zuletzt geändert durch Art. 5 Absatz 4 der Verordnung vom 26.11.2010 (BGBl. I S. 1643. 1691). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 264/12 Seite 6 2. Infraschallbelastung durch Windenergieanlagen Eine zunehmend breitere Öffentlichkeit befasst sich mit dem unstreitig15 von den Windkraftanlagen ausgehendenden tieffrequenten Schall und dessen - unterschiedlich bewerteten16- gesundheitsschädlichen Auswirkungen und fordert infolge dieses Parameters die Normierung und Einhaltung fester Abstandsflächen.17 Als tieffrequente Geräusche werden in Nummer 7. 3 der TA Lärm Geräusche bezeichnet, die überwiegende Energieanteile im Frequenzbereich unter 90 Herz besitzen.18 Dieser tieffrequente Bereich kann in den Infraschall und den tieffrequenten Hörschall unterteilt werden. Infraschall ist ein tieffrequenter Schall unterhalb der Frequenz von 20 Herz. In diesem Bereich kann der Mensch keine Töne mehr über das Sinnesorgan Ohr wahrnehmen. Diese tieffrequenten Schallereignisse können vom Menschen am Körper gefühlt werden, wenn der Schalldruckpegel d.h. die Lautstärke (dB) entsprechend hoch ist. Je tiefer die Frequenz ist, um so höher muss der Schalldruckpegel sein, um vom Menschen wahrgenommen zu werden. Der tieffrequente Hörschall liegt demzufolge im Bereich zwischen ca. 20 und 90 Herz. Auch in diesem Bereich besteht allerdings keine ausgeprägte Ton- und Tonhöhenempfindung. Akustisch vernehmbar sind Schallwellen mit 14 Vgl. hierzu Kukk, Erhöhte Verantwortung von Genehmigungsbehörden für empfohlene „Achtungsabstände“ aufgrund der „Seveso II“-Richtlinie - EuGH sieht eingeschränkte Bindungswirkung auch im Genehmigungsverfahren -, Zeitschrift für deutsches und internationales Bau-und Vergaberecht (ZfBR) 2012, S. 219 - 221. 15 So auch: Bayerisches Landesamt für Umwelt, Windkraftanlagen - beeinträchtigt Infraschall die Gesundheit?, S. 6, im Internet abrufbar: www.lfu.bayern.de/umweltwissen/doc/uw_117_windkraftanlagen_infraschall_gesundheit.pdf [Stand: 11.10.2012]. 16 Bundesverband WindEnergie, A bis Z Fakten zur Windenergie, S. 23; Landesumweltamt NRW, Windenergieanlagen und Immissionsschutz, Materialien, Nr. 63, 2002, S. 15 ff., im Internet abrufbar: http://www.lanuv.nrw.de/veroeffentlichungen/materialien/mat63/mat63_web.pdf [Stand: 15.10.2012] ; Bayerisches Landesamt für Umwelt, Windkraftanlagen- beeinträchtigt Infraschall die Gesundheit?, S. 8 [Fn. 15], wonach durch Windkraftanlagen beim Menschen keine schädlichen Infraschallwirkungen hervorgerufen werden. 17 Bürgerinitiativen Ottensoos, Windkraftanlagen - nur wenn der Abstand stimmt, im Internet abrufbar: www.Ottensoos-gegen-Windkraftpark.de [Stand: 11.10.2012]; Petition an den Deutschen Bundestag über den Landtag in Düsseldorf in Nordrhein-Westfalen, Mindestabstand von Windkrafträdern zur Wohnbebauung, eingereicht am 04.11.2010 (aktiv bis 03.02.2011), im Internet abrufbar : https://www.openpetition.de/petition/online/mindestabstand-von-windkraftraeder-zur-wohnbebauung [Stand: 11.10.2012]; Neumann, Lärm von Windkraftanlagen, Autobahnen und Flugplätzen, Vortrag vor den Ausschüssen des Bandenburger Landtags v. 08.06.2009, im Internet abrufbar: http://www.wolfgang-neumanngmm .de/Windkraftanlagen---Autobahnen.html [Stand: 11.10.2012]. 18 Hansmann, in: Landmann/Rohmer (Hrsg.), Umweltrecht, 50. Ergänzungslieferung 2006, 3.1 TA Lärm Nr. 7, Rn. 30. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 264/12 Seite 7 Frequenzen zwischen 20 und 20.000 Herz. Dieser Frequenzbereich wird auch als Hörschall bezeichnet .19 Die belästigende Wirkung von Geräuschen hängt nicht nur vom Schalldruck (dB), sondern auch von der Frequenz (Herz) der Schallwellen ab. Nummer 2.6 der TA Lärm schreibt vor, dass wesentliche Grundgröße für die Pegelbestimmung der mit der Frequenzbewertung A gebildete Schalldruckpegel ist. Mit dieser Frequenzbewertung wird die Störwirkung von tieffrequenten Geräuschen noch nicht zutreffend erfasst.20 Die Norm DIN 45680 und dessen Beiblatt 1 enthalten neben Nr. 7.3 der TA Lärm in Verbindung mit Nr. A.1.5 Abs. 3 Satz 2 ihres Anhangs deshalb besondere Hinweise zum Verfahren und zur Messung tieffrequenter Geräusche. Ebenfalls bestimmt die TA Lärm an der vorgenannten Stelle im Anhang, dass im Allgemeinen von schädlichen Umwelteinwirkungen auszugehen ist, wenn die im Beiblatt der Norm DIN 45680 genannten Richtwerte überschritten werden.21 Die Richtwerte des Beiblatts sollen derzeit, anlässlich einer Überarbeitung der DIN 45680, geändert werden. Der Entwurf der DIN 45680 (E-DIN 45680:2011-02) sieht die Fassung eines breiteren Frequenzbereichs von 8 bis 140 Herz vor. Der Entwurf trägt damit der besonderen Lästigkeit tieffrequenter Geräusche durch die Berücksichtigung einer niedrigeren Wahrnehmungsschwelle anstelle der Hörschwelle Rechnung.22 Die Diskussion in der Bevölkerung konzentriert sich im Wesentlichen auf die gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Schädigungen durch ein Übermaß an Schall, der je nach Beständigkeit und Intensität differiert. Tieffrequenter Schall kann Symptome wie Kopfschmerzen und Schlafstörungen hervorrufen, sowie das Bluthochdruck- und das Herzinfarktrisiko steigern.23 Die Leidtragenden spüren einen Ohrendruck und äußern wiederholt Unsicherheits- und Angstgefühle. Als spezielle Wirkung ist bei Infraschall eine Herabsetzung der Atemfrequenz bekannt. Sekundäreffekte durch Rütteln von Fenstern und Türen, spürbare Vibrationen von Gebäudeteilen und Gegenständen sind häufig Folgen von Infraschall.24 19 Bayerisches Landesamt für Umwelt, Windkraftanlagen - beeinträchtigt Infraschall die Gesundheit?, S. 2 [Fn.15]; Müller-Wiesenhacken/Kubicek, Tieffrequenter Schall als zu bewältigender Konflikt u.a. bei der Genehmigung von Biogasanlagen und Blockheizkraftwerken in der Nachbarschaft zur Wohnbebauung, Zeitschrift für deutsches und internationales Bau-und Vergaberecht (ZfBR) 2012, S. 217-227 [217]. 20 vgl. VGH Mannheim, Urteil v. 28. 7. 1998, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 1999, S. 85. 21 Hansmann, in: Landmann/Rohmer (Hrsg.), Umweltrecht 64. Ergänzungslieferung 2012, Rn. 29 ff.. 22 Bundesministerium für Umweltschutz, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Schriftlicher Bericht für die 77. Umweltministerkonferenz vom 2. bis 4.11.2011, Verbesserung des Lärmschutzes bei stationären Geräten in Wohngebieten, Bonn den 12.10.2011, S. 9, im Internet abrufbar: www.bmu.de/files/pdfs/allgemein/application/pdf/bericht_laermschutz_geraete_wohngebiet_bf.pdf [Stand: 11.10.2012]. 23 Bundesumweltamt, Lärmwirkungen- Stressreaktionen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, im Internet abrufbar: www.umweltbundesamt.de/laermprobleme/laerwirkungen /index.htm [Stand: 11.10.2012]; Interdisziplinärer Forschungsverbund „Lärm & Gesundheit“, Einfluss von Lärm auf das Schlaf-, Wachverhalten, im Internet abrufbar : http://www.charite.de/dgsm/dgsm/downloads/patienteninformationen/maschke-laerm-schlaf.pdf [Stand: 11.10.2012]. 24 Hansmann, in: Landmann/Rohmer (Hrsg.), Umweltrecht, 64. Ergänzungslieferung 2012, 3.1 TA Lärm, Anhang, A.1.5 Hinweise zur Berücksichtigung tieffrequenter Geräusche. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 264/12 Seite 8 Nach der World Health Organisation (WHO) sollte aus diesen Gründen ein nächtlicher Schalldruckpegel von 40 dB nicht überschritten werden.25 Die Organisation weist zudem darauf hin, dass der Infraschall einen immissions- und gesundheitsrechtlich zu berücksichtigenden Faktor darstellt.26 Kritisiert wird, dass die TA Lärm in Nummer 6.1 nur Grenzwerte für den hörbaren mittel- und hochfrequenten Bereich aufstellt und in Deutschland weitere Schallnormen nicht existieren. Die Verwaltungsvorschrift erfasse die wesensimmanenten Eigenschaften des unhörbaren Infraschalls bezüglich des (Mess-)Verfahrens nicht ausreichend, obwohl die immissionsrechtliche Genehmigungsfähigkeit sich im wesentlichen auf die Voraussetzungen der TA-Lärm stützt.27 Die gesundheitliche Belastung, die vom tieffrequenten Schall ausgehe, würden demnach bei der Genehmigung von Windkraftanlagen vernachlässigt. Zu berücksichtigen sei insbesondere, dass die ansonsten anzulegende Hörbarkeit als Parameter für die Abstandsflächenbemessung infolge Lärms auf Infraschall nicht anwendbar sei. Aus der fehlenden Hörbarkeit könne jedoch nicht auf eine ebenso nicht vorhandene Wahrnehmbarkeit und dementsprechende unschädliche Wirkung geschlossen werden. Die Abstandsflächenbestimmung müsse zukünftig unter Einbeziehung des tieffrequenten Schalls als immissionsrechtliche Komponente vorgenommen und fortentwickelt werden.28 3. Immissionsrechtliche- und planungsrechtliche Abstandsvorgaben Der Bundesgesetzgeber hat weder im Baugesetzbuch (BauGB)29, noch im BImSchG konkrete Maßzahlen normiert, die aus planungsrechtlichen-oder immissionsrechtlichen Gründen bei dem Bau von Windkraftanlagen pauschal einzuhalten sind. Bundesministerium für Umweltschutz, Naturschutz und Reaktorsicherheit, schriftlicher Bericht für die 77.Umweltministerkonferenz vom 2. bis 4.11.2011, Verbesserung des Lärmschutzes bei stationären Geräten in Wohngebieten, Bonn den 12.10.2011, S. 9 [Fn. 22]. 25 dpa, WHO: Nächtlicher Lärm macht krank, v. 08.10.2009, im Internet abrufbar: http://www.kleinezeitung.at/magazin/wellness/2159120/jeder-fuenfte-europaeer-schlaeft-bei-zu-viellaerm .story [Stand: 11.10.2012]- Richtwertempfehlung der WHO von 40 dB. 26 World Health Organization, Health in the green economy, S. 8, im Internet abrufbar: http://www.who.int/hia/green_economy/hgebrief_occ.pdf [Stand: 11.10.2012]. 27 Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil v. 29.08.2007 – 4 C 2.07, Recht der Landwirtschaft (RdL) 2008, S. 34 ff., wurde eine allein an der TA Lärm orientierte Betrachtungsweise eingeschränkt und zugleich die Möglichkeit eröffnet die Prüfung der schädlichen Umwelteinwirkungen anhand der tatsächlichen örtlichen Faktoren vorzunehmen. 28 Quambusch/Lauffer, Infraschall von Windkraftanlagen als Gesundheitsgefahr, Zeitschrift für die sozialrechtliche Praxis (ZFSH SGB), 08/2008, S. 451- 455, im Internet abrufbar: http://www.trimmpfadwald.de/attachments/File/WKA_Infraschall_Gesundheitsgefahr.pdf [Stand: 11.10.2012]. 29 Baugesetzbuch (BauGB) in der Fassung der Bekanntmachung v. 23.09.2004 (BGBl. I S. 2414), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Förderung des Klimaschutzes bei der Entwicklung in den Städten und Gemeinden v. 22.07.2011 (BGBl. I S. 1509). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 264/12 Seite 9 Eine starre Regelung auf Bundeseben wäre zudem nicht haltbar. Seit der Föderalismusreform ist die Raumordnung und das Bauplanungsrecht gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 und 31 Grundgesetz (GG) Bestandteil der konkurrierenden Gesetzgebung. Die Länder können demzufolge aufgrund des Art. 72 Abs. 3 Nr. 2 und 4 GG von den Regelungen die der Bund in den Rechtsgebieten des Raumordnungsrechtes, sowie des Naturschutzrechtes infolge seiner Gesetzgebungszuständigkeit nach Art. 72 Abs.2 GG getroffen hat, wieder abweichen. Darüber hinaus würde in erheblicher Weise in die Planungshoheit der Kommunen eingegriffen werden. Der Bundesgesetzgeber hat von seiner Kompetenz im Wesentlichen durch das Raumordnungsgesetz (ROG)30 und das BauGB Gebrauch gemacht. Um Abweichungen vorzubeugen und die größere Fachkompetenz der Länder und Gemeinden für ihre Gebiete zu nutzen, sehen das ROG und das BauGB zudem vor, dass die Durchführung der Planung grundsätzlich den Ländern und Gemeinden obliegt. Hinsichtlich der Möglichkeit der länderübergreifenden Raumplanung im Gesamtstaat ergibt sich die Vollkompetenz des Bundes aus der Natur der Sache.31 Aus der bundesrechtlich vorgeschriebenen Genehmigungsbedürftigkeit von Windenergieanlagen ergeben sich, abhängig von dem einschlägigen Genehmigungsverfahren, die im Einzelfall immissions - und planungsrechtlich einzuhaltenden Abstände der Anlagen zu Wohngebieten und weiteren schutzbedürftigen Planbereichen. Der Rahmen für das Genehmigungsverfahren ist dabei abhängig von der Höhe der Windkraftanlagen. In Betracht kommen ein Baugenehmigungsverfahren und ein immissionsschutzrechtliches Genehmigungsverfahren. Seit dem 01. Juli 2005 bedürfen Windkraftanlagen mit einer Gesamthöhe von mehr als 50 m gemäß Nr. 1.6 (Spalte 2) des Anhangs der 4. BImSchV32 einer Genehmigung nach dem BImSchG.33 Da Windkraftanlagen mit einer Gesamthöhe von unter 50 m nur noch äußerst selten errichtet werden34, wird zuerst auf Windkraftanlagen Bezug genommen, die einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bedürfen. Das Gesetz kennt zwei Arten immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren: das förmliche Verfahren gemäß §§ 10 ff. des BImSchG und das vereinfachte Verfahren gemäß § 19 BIm- SchG. Die Verfahren unterscheiden sich hauptsächlich in der Beteiligung der Öffentlichkeit und 30 Raumordnungsgesetz (ROG) v. 22.12.2008 (BGBl. I S. 2986), zuletzt geändert durch Art. 9 des Gesetzes zur Neuregelung des Wasserrechts v. 31.07.2009 (BGBl. I S. 2585). 31 Stüer (Fn. 6), Rn. 141. 32 Vierte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen - 4. BImSchV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 14.03.1997 (BGBl. I S. 504), zuletzt geändert durch Art. 7 des Gesetzes zur Demonstration und Anwendung von Technologien zur Abscheidung, zum Transport und zur dauerhaften Speicherung von Kohlendioxid vom 17.08.2012 (BGBl. I S. 1726). „Windkraftanlagen mit einer Gesamthöhe von mehr als 50 Metern“ eingeführt durch Art. 1 Nr. 3 lit. b) der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen und zur Änderung der Anlage 1 des Gesetztes über die Umweltverträglichkeitsprüfung v. 20.06.2005 (BGBl. I S. 1687). 33 Art. 1 der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen zur Änderung der Anlage 1 des Gesetztes über die Umweltverträglichkeitsprüfung v. 20.06.2005, BGBl. I S. 1687. 34 Regenfus, Rechtsprobleme bei der Errichtung von Windkraftanlagen, Juristische Ausbildung (JURA) 2007, S. 279. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 264/12 Seite 10 der Ausschlusswirkung von Rechtschutzmöglichkeiten Dritter.35 Grundsätzlich genügt für Windkraftanlagen das vereinfachte Verfahren.36 Das förmliche Verfahren ist freilich immer dann zwingend notwendig, wenn eine Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG)37 durchzuführen ist. Das Erfordernis der Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung folgt wiederum aus § 3b i.V.m. Anlage 1 Nr. 1.6 UVPG. Maßgeblich ist danach die Anzahl der zu errichtenden Windkraftanlagen mit einer Höhe von über 50 m. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung ist des Weiteren durchzuführen: bei Windfarmen38 mit mehr als 20 Windenergieanlagen, bei einer Anzahl von 6 bis 20 Windkraftanlagen, wenn sich ihre Erforderlichkeit aus einer allgemeinen Vorprüfung gemäß § 3c Satz 1 UVPG39 ergibt, bei 3 bis 6 Windkraftanlagen, wenn die Notwendigkeit ihrer Durchführung sich als Ergebnis einer standortbezogene Vorprüfung gemäß § 3c Satz 2 UVPG40 darstellt. Sowohl der Genehmigung im förmlichen Verfahren als auch derjenigen im vereinfachten Verfahren kommt die sogenannte Konzentrationswirkung gemäß § 13 BImSchG41 zu.42 Die Anforderun- 35 Regenfus (Fn. 34), S. 280. 36 Siehe § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 c) i.V.m. Anlage 1 Nr. 1.6 der 4. BImSchV. Nach § 19 Abs. 3 BImSchG kann der Antragsteller aber auch die Durchführung eines förmlichen Verfahrens beantragen. 37 Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) in der Fassung der Bekanntmachung v. 24.02.2010 (BGBl. I S. 94), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes zur Demonstration und Anwendung von Technologien zur Abscheidung, zum Transport und zur dauerhaften Speicherung von Kohlendioxid v. 17.08.2012 (BGBl. I S. 1726). 38 Der Begriff der Windfarm bezeichnet drei oder mehr Windkraftanlagen, die einander räumlich so zugeordnet werden, dass sich ihre Einwirkungsbereiche überschneiden oder wenigstens berühren, vgl. Stüer (Fn. 6), Rn. 2708. 39 Siehe § 3 c Satz 1 UVPG: „Sofern in der Anlage 1 für ein Vorhaben eine allgemeine Vorprüfung des Einzelfalls vorgesehen ist, ist eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, wenn das Vorhaben nach Einschätzung der zuständigen Behörde aufgrund überschlägiger Prüfung unter Berücksichtigung der in der Anlage 2 aufgeführten Kriterien erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen haben kann, die nach § 12 zu berücksichtigen wären“. 40 Siehe § 3 c Satz 2 UVPG: „Sofern für ein Vorhaben mit geringer Größe oder Leistung eine standortbezogene Vorprüfung des Einzelfalls vorgesehen ist, gilt Gleiches, wenn trotz der geringen Größe oder Leistung des Vorhabens nur aufgrund besonderer örtlicher Gegebenheiten gemäß den in der Anlage 2 Nr. 2 aufgeführten Schutzkriterien erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen zu erwarten sind“. 41 Siehe § 13 BImSchG: „Die Genehmigung schließt andere die Anlage betreffende behördliche Entscheidungen ein, insbesondere öffentlich-rechtliche Genehmigungen, Zulassungen, Verleihungen, Erlaubnisse und Bewilligungen , mit Ausnahme von Planfeststellungen, Zulassungen bergrechtlicher Betriebspläne, behördlichen Entscheidungen auf Grund atomrechtlicher Vorschriften und wasserrechtlichen Erlaubnissen und Bewilligungen nach den §§ 7 und 8 des Wasserhaushaltsgesetzes“. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 264/12 Seite 11 gen des materiellen Rechts der von der Konzentration erfassten Genehmigungen43 werden nicht durch die Konzentrationswirkung verdrängt oder abgeschwächt, sondern sind in vollem Umfang einzuhalten.44 Daher werden neben den Vorschriften des Immissionsschutzrechtes ebenso die baurechtlichen und die naturschutzrechtlichen Genehmigungsvoraussetzungen überprüft.45 Für Windkraftanlagen mit einer niedrigeren Gesamthöhe ist eine baurechtliche Genehmigung erforderlich. Windenergieanlagen sind bauliche Anlagen im Sinne des § 29 BauGB und des § 2 Abs. 1 der Brandenburgischen Bauordnung (BbgBO)46. Gemäß § 67 BbgBO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen. Den genaueren Prüfungsumfang bestimmt § 56 BbgBO. Da es sich bei Windkraftanlagen um Anlagen im Sinne des § 3 Abs. 5 BImSchG handelt, unterliegen diese, sofern keine immissionsschutzrechtliche Genehmigung erforderlich ist, den Anforderungen des § 22 BImSchG. 3.1. Immissionsschutzrechtliche Voraussetzungen Wichtigste immissionsschutzrechtliche Voraussetzung ist, dass von den Windkraftanlagen keine schädlichen Umwelteinwirkungen47 ausgehen. Bedarf die Windanlage einer Genehmigung nach dem BImSchG, ist diese gemäß § 6 BImSchG zu erteilen, wenn sichergestellt ist, dass die aus § 5 BImSchG folgenden Pflichten erfüllt sind. Nach § 5 Abs. 1 S.1 Nr.1 BImSchG sind die Anlagen so zu errichten und zu betreiben, dass Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen getroffen wird. Windkraftanlagen, welche einer baurechtlichen Genehmigung bedürfen sind gemäß § 22 Abs.1 S.1 Nr.1 und 2 BImSchG so zu errichten und zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen, die vermeidbar sind, verhindert und gegenwärtig unvermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen auf ein Mindestmaß reduziert werden. 42 Giesberts/Reinhardt, in: Beck’scher Onlinekommentar zum Umweltrecht, BImSchG, Stand: 01.07.2012, § 19, Rn. 6. 43 Die Konzentrationswirkung führt dazu, dass die eingeschlossenen Genehmigungen nicht erteilt werden dürfen. So ist beispielsweise einer Baugenehmigungsbehörde verwehrt, eine Baugenehmigung für eine Anlage zu erteilen , die einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bedarf. Wird dennoch eine solche Genehmigung erteilt , so ist sie mangels sachlicher Zuständigkeit rechtswidrig, vgl. Giesberts/Reinhardt (Fn. 37), § 13, Rn. 6. 44 Giesberts /Reinhardt (Fn. 42), § 13, Rn. 5. 45 Regenfus (Fn. 34), S. 280. 46 Brandenburgische Bauordnung (BbgBO) in der Fassung der Bekanntmachung v. 17.09.2008 (GVBl. I/08, [Nr. 14], S. 226), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes v. 29.11.2010 (GVBl. I/10, Nr. 39). 47 Siehe die Legaldefinition des § 3 Abs. 1 BImSchG: „Schädliche Umwelteinwirkungen im sine dieses Gesetzes sind Immissionen, die nach Art , Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen“. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 264/12 Seite 12 Für die Beurteilung, ob die Lärmimmission einer Windkraftanlage als schädliche Umwelteinwirkung eingeordnet werden muss, ist die TA Lärm heranzuziehen. Die TA Lärm ist eine Verwaltungsvorschrift . Demzufolge kommt ihr im Grunde keine Außenwirkung zu. Es handelt sich jedoch um eine normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift. Solche sind ausnahmsweise auch von der Judikative bei der Anwendung und Auslegung von Gesetzen zu berücksichtigen.48 Aus Nummer 6 der TA Lärm und ihrem Anhang unter A 1.1 –A 1.5 in Verbindung mit der DIN 456890 und dem Beilblatt 1 ergeben sich Grenzwerte der zulässigen Schallimmission durch Messung des Schalldruckpegels (dB). Anhand dieser Vorgaben sind die Abstände zu Wohn- Naturschutz - und weiteren schutzrelevanten Gebieten zu ziehen. Die Anforderungen der TA Lärm sind erfüllt, wenn die Risiken, die schädliche Umwelteinwirkungen implizieren oder herbeiführen, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit ausgeschlossen sind.49 Die Überschreitung dieser Richtwerte führt zu einer absoluten „Tabuzone“ für die Errichtung von Windenergieanlagen. Der Schattenwurf durch die Windkraftanlagen ist ein weiterer Aspekt der immissionsschutzrechtlich zu dem Erfordernis einer Abstandsfläche führt. Der Schattenwurf ist als eine „ähnliche Umwelteinwirkung“ im Sinne des § 3 Abs. 3 BImSchG einzuordnen. Für den periodischen Schattenwurf existieren keine festen Werte, die Gegenstand einer Normierung geworden sind.50 Wissenschaftliche Untersuchungen zu dem von Windenergieanlagen verursachten periodischen Schattenwurf sollen ergeben haben, dass dieser unter bestimmten Voraussetzungen nicht zu schädlichen Umwelteinwirkungen führt. Dies soll dann nicht der Fall sein, „wenn die astronomisch höchst mögliche Gesamtbelastung durch Schattenwurf am jeweiligen Immissionsort einen Richtwert von 30 Stunden pro Jahr, parallel zu einer Begrenzung der ‚realen‘, d. h. im langjährigen Mittel für hiesige Standorte zu erwartenden Einwirkungsdauer von maximal acht Stunden pro Jahr nicht überschritten wird, und des Weiteren die Belastung nicht mehr als 30 Minuten pro Tag beträgt, wobei die Umstände des Einzelfalls in die Bewertung mit einzustellen sind.51 Diese Formel legt die Rechtsprechung seit 1999 bei der Ermittlung des Vorliegens von schädlichen Umwelteinwirkungen zugrunde. Zugleich wird darauf hingewiesen, dass zum Schutz vor den Einwirkungen durch periodischen Schattenwurf die zu wahrende Entfernung und demzufolge die ausreichende Einhaltung von Abständen eine wesentliche Maßnahme darstellt.52 48 BVerwG, Urteil v. 29.08.2007 – 4 C 2.07, Recht der Landwirtschaft (RdL) 2008, S. 34 ff.. 49 BVerwG, Urteil v. 17.02.1978 – 1 C 102/76, Entscheidungssammlung des Bundesverwaltungsgerichtes (BVerw- GE) 55, S. 250, 254. 50 OVG Lüneburg, Beschluss v. 15.03.2004 - 1 ME 45/04, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 2005, 233- 234; VG Düsseldorf, Urteil v. 28.10.2010 – 11 k 2909/09, BeckRS 2011, 45262. 51 Vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 28. Oktober 2010 - Az. 11 K 2863/09 -, mit weiteren Nachweisen, abrufbar im Internet: http://openjur.de/u/144099.html [Stand: 23.10.2012]; siehe auch Landesumweltamt Nordrhein- Westfalen, Sachinformation Optische Immissionen von Windenergieanlagen, März 2002, im Internet abrufbar: http://www.lanuv.nrw.de/licht/weabeitrag.pdf [Stand: 12.10.2012]. 52 OVG Greifswald, Beschluss v. 08.03.1999 - 3 M 85/98, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 1999, 1238; OVG Lüneburg, Beschluss v. 15.03.2004 – 1 ME 45/04, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 2005, 233-234. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 264/12 Seite 13 Ebenfalls als eine „ähnliche Umwelteinwirkung“ im Sinne des § 3 Abs. 3 BImSchG einzuordnend ist der sogenannte „Disco- Effekt“. Hierbei besteht die Belästigung in der periodischen Reflektion des Sonnenlichts, welches auf die Rotorblätter einstrahlt. Der Diskoeffekt tritt vor allem bei älteren Anlagen auf, da deren Rotorblätter noch glänzend lackiert wurden. Die Oberflächen der neuen Windkraftanlagengeneration werden mit matten, nicht reflektierenden Beschichtungen versehen. Demzufolge spielt der Discoeffekt bei der Begutachtung von schädlichen Umwelteinwirkungen infolge der Modernisierung und des Repowerings eine zunehmend untergeordnete Rolle.53 3.2. Zwischenergebnis Greifbare Mindestabstandsvorgaben für Windkraftanlagen wurden seitens des Bundesgesetzgebers im Bereich des Immissionsschutzrechtes nicht geschaffen. Der zu wahrende Abstand folgt aus der Prüfung der tatsächlich vorhandenen und demnach in die Prüfung einzubeziehenden örtlichen Faktoren, die als schädliche Umwelteinwirkungen von immissionsschutzrechtlicher Relevanz sind. Von Bedeutung sind insbesondere die in der TA Lärm zu findenden Grenzwerte zulässiger Schallimmission, welche gegenwärtig nahezu ausschließlich anhand des Schalldruckpegels bestimmt werden. Anhand dieser Einzelfallprüfung ist die Entscheidung über die Abstandsflächenbestimmung zu dem jeweiligen schutzwürdigen Gebiet zu treffen. Das Landesimmissionsschutzgesetz Brandenburg (LImschG)54 trifft ebenfalls keine konkrete Aussage über die Einhaltung bestimmter Abstände. Mit dem BImSchG und den darauf beruhenden Verordnungen hat der Bund von seiner Regelungsbefugnis insoweit Gebrauch gemacht, als er ausdrücklich Regelungen zum Schutz vor Umweltbelastungen durch die Errichtung und den Betrieb von gewerblichen Anlagen getroffen hat. Die Länder sind demzufolge innerhalb dieses Kompetenzbereiches von einer eigenen Gesetzgebung ausgeschlossen. Weiterhin ist festzustellen, dass seit der Föderalismusreform der Schutz vor verhaltensbezogenem Lärm wiederum von der Regelungsbefugnis des Bundes ausgenommen ist und in den originären Zuständigkeitsbereich der Länder fällt.55 Die verhaltensbezogenen Normen lassen allerdings ebenso eine Regelung bestimmter Abstandswahrungen, die dem Rechtsanwender zumindest einen Anhaltspunkt an die Hand geben würden, vermissen. 53 Zweckverband Großraum Braunschweig, Windenergieanlagen in der Raumordnung und Bauleitplanung, Stand: 17.02.2012, S. 5, im Internet abrufbar: http://www.zgb.de/barrierefrei/content/regionalplanung/pdf/RROP_Aend/2012_0210_Glossar_Windenergieanla gen.pdf [Stand: 12.10.2012]. 54 Landesimmissionsschutzgesetz (LImschG) in der Fassung der Bekanntmachung v. 22.07.1999 (GVBl. I/99, [Nr. 17], S.386), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes v. 15.07.2010 (GVBl. I/10, [Nr. 28]). 55 Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein- Westfalen, Immissionsschutzrecht, Landes- Immissionsschutzgesetz, im Internet abrufbar: http://www.umwelt.nrw.de/umwelt/immissionsschutz/immissionsschutzgesetz/index.php [Stand: 16.10.2012]. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 264/12 Seite 14 3.3. Raumordnungs- und planungsrechtliche Voraussetzungen 3.3.1. Planungsebenen Die Raumplanung der Bundesrepublik Deutschland findet hauptsächlich auf drei Ebenen statt, die sowohl in der Bindungswirkung als auch im Umfang und in der Detailliertheit des Planungsgebietes in einem Stufenverhältnis zueinander stehen. Die erfahrungsgemäß gröbste Ebene ist die Raumordnung durch Raumordnungspläne. Präziser und auf kleinere Teilgebiete beschränkt ist die vorbereitende Bauleitplanung durch Flächennutzungspläne und schließlich die Feinsteuerung durch die verbindliche Bauleitplanung mittels Bebauungsplänen. Zur Steuerung der Errichtung einer Vielzahl an Windkraftanlagen in Form eines Gesamtprojektes muss sich die Planung auf alle drei Ebenen erstrecken. Zudem macht bereits die Verzahnung der einzelnen Planungsebenen eine Gesamtplanung notwendig. 3.3.2. Raumordnungsplanung Raumordnung ist eine übergeordnete, überörtliche und zusammenfassende Gesamtplanung mit integrierender Perspektive und einem belangübergreifenden Abstimmungs- und Abwägungsauftrag .56 Raumordnungspläne werden gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 ROG in der Regel für das Gebiet eines Bundeslandes aufgestellt.57 Aus ihnen sind gemäß § 8 Abs. 2 ROG regionale Raumordnungspläne zu entwickeln. Für die überörtliche räumliche Steuerung der Windenergieerzeugung ist die Raumordnungsplanung das wichtigste Steuerungselement.58 Zwar sieht § 17 ROG59 auch die Möglichkeit eines durch den Bund geschaffenen Raumordnungsplanes für den Gesamtraum der Bundesrepublik Deutschland vor.60 Inhalt eines solchen Planes können gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 ROG aber nur Konkretisierungen von Grundsätzen61 der Raumordnung nach § 2 Abs. 2 ROG sein. Im Gegensatz zu Zielen62 der Raumordnung sind solche Grundsätze jedoch nicht unmittelbar bindend, sondern lediglich bei nachfolgenden Abwägungs- 56 Vgl. das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, im Internet abrufbar: http://www.bbr.bund.de/cln_007/ nn_21970/DE/ForschenBeraten/Raumordnung/RaumentwicklungDeutschland/raumentwicklungdeutschland__n ode.html?__nnn=true [Stand: 15. 10. 2012]. 57 Gemäß § 8 Abs. 1 ROG sind die Länder verpflichtet, Raumordnungspläne aufzustellen. 58 Köck/Bovet, Windenergieanlagen und Freiraumschutz, Natur und Recht (NuR) 2008, S. 531. 59 Diese Möglichkeit enthielt das ROG in der bis zum 30. Juni 2009 geltenden Fassung nicht. Früher war es dem Bund nur möglich, Raumordnungspläne für die Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) nach Art. 55 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen zu erstellen. Ansonsten war der Bund nur gehalten, auf die Verwirklichung der Leitvorstellungen und Grundsätze der Raumordnung hinzuwirken. 60 Zuständig ist dann gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 ROG das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung. 61 Grundsätze der Raumordnung sind gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 3 ROG Aussagen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raumes als Vorgaben für nachfolgende Abwägungs- oder Ermessensentscheidungen. 62 Ziele der Raumordnung sind gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG verbindliche Vorgaben in Form von räumlichen und sachlich bestimmten oder bestimmbaren abschließend abgewogene textliche oder zeichnerische Festlegungen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 264/12 Seite 15 und Ermessensentscheidungen zu berücksichtigen.63 Eine verbindliche Raumordnungsplanung durch einen Raumordnungsplan des Bundes ist jedoch nicht möglich. Lediglich auf der Ebene landesweiter Raumordnungspläne können verbindliche Vorgaben festgelegt werden. Dabei unterliegt die Erstellung solcher Raumordnungspläne grundsätzlich einem umfangreichen Abwägungs- und Abstimmungsprozess, bei dem sowohl öffentliche als auch private Belange zu berücksichtigen sind64 und überdies eine Umweltprüfung gemäß § 9 ROG vorzunehmen ist.65 Aufgrund der Funktion der Raumordnung ist bei dem Abwägungs- und Abstimmungsprozess insbesondere die horizontale Abstimmung von Plänen, d.h. nebeneinander stehender Planungsräume ,66 als auch deren vertikale Abstimmung, d.h. diejenige der verschiedenen Planungsebenen untereinander, von großer Bedeutung. Demnach müssen bereits bestehende Flächennutzungspläne und Bebauungspläne bei der Aufstellung eines übergeordneten Raumordnungsplanes berücksichtigt werden und können nicht ohne weiteres überplant werden. Inhalt eines solchen Raumordnungsplanes sind gemäß § 7 Abs. 1 ROG auch Ziele der Raumordnung . Diese sind bei nachfolgenden Planungen und Maßnahmen sowie bei deren Genehmigung gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 ROG verbindlich. Die Qualifizierung als Ziel fordert von der planerischen Festlegung materielle Voraussetzungen.67 Es muss erkennbar eine überörtliche und überfachliche gesamtplanerische Interessenabwägung und Konfliktklärung stattgefunden haben68, die Letztentscheidungscharakter hat.69 Ein weiteres planerisches Werkzeug sind gebietliche Festlegungen. Sie können gemäß § 8 Abs. 7 ROG in Form von Vorrang-, Vorbehalts- oder Eignungsgebieten erfolgen70. Zudem kann ein Vorranggebiet geschaffen werden, das mit der Wirkung eines Eignungsgebietes versehen ist. Will der Planungsträger sicherstellen, dass sich Windkraftanlagen in einem bestimmten Raum konzentrieren, so empfiehlt sich in der Regel die Festlegung als Vorranggebiet mit Wirkung eines 63 Vgl. auch die Begründung des Gesetzesentwurfes der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/10292 zu § 17 ROG, S. 27/28. 64 Siehe § 7 Abs. 2 ROG. 65 Die Umweltprüfung ist in Art und Umfang davon abhängig, auf welchen Ebenen bereits welche Auswirkungen überprüft wurden oder überprüft werden sollen, vgl. §§ 9 Abs. 1 Satz 3, Abs. 3 ROG sowie § 14f Abs. 3 UVPG. 66 Siehe § 7 Abs. 3 ROG. 67 Siehe § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG. 68 BVerwG, BVerwGE 90, S. 333. 69 Köck/Bovet (Fn. 58), S. 532. 70 Während in Vorbehaltsgebieten die festgelegte Nutzung bei Abwägungen besonderes Gewicht genießt, schließen Vorranggebiete Nutzungen aus, die den festgelegten Nutzungen oder Funktionen des Gebietes widersprechen. Eignungsgebiete schließen die festgelegten Maßnahmen und Nutzungen in allen anderen Gebieten aus, sofern sie nach den städtebaulichen Regeln des Außenbereiches gemäß § 35 BauGB zu beurteilen sind. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 264/12 Seite 16 Eignungsgebietes.71 Während Vorranggebieten ohne diese Zusatzwirkung die außergebietliche Ausschlusswirkung fehlt, fehlen Vorbehaltsgebieten der Zielcharakter und damit die Verbindlichkeit . Eignungsgebiete wiederum beziehen sich expressis verbis nur auf Maßnahmen im Außenbereich gemäß § 35 BauGB, deren Anwendbarkeit im Innenbereich umstritten ist.72 Damit ist es landesweiter Raumordnungsplanung grundsätzlich möglich, Gebiete für die Errichtung von Windkraftanlagen als Ziele der Raumordnung verbindlich festzulegen. Gegenwärtig liegt ein Antrag dem Deutschen Bundestages vor, nach dem die Bundesregierung aufgefordert werden soll, einerseits auf der Grundlage des § 17 ROG, einen Bundesraumordnungsplan für erneuerbare Energien zu erstellen. Dieser soll Transparenz schaffen und den nachfolgenden Ebenen eine Orientierung bieten. Hierdurch werde auch ein Beitrag zur sachgerechten Verteilung Erneuerbarer Energien im Raum geleistet. Es soll auch erreicht werden, dass die regionalen Raumordnungspläne um Flächen für erneuerbare Energien ergänzt werden.73 3.3.3. Windenergieerlasse der Bundesländer Für die Beurteilung von Windenergieanlagen bei Planungs- und Genehmigungsverfahren haben sich die einzelnen Bundesländer Verwaltungsvorschriften in Form von Windenergieerlassen gegeben . Diese Erlasse sollen sämtlichen Beteiligten Leitlinien und Hinweise in abstrakt-genereller Weise für das gesamte Verfahren liefern. Es handelt sich um norminterpretierende Verwaltungsvorschriften . Anders als die normkonkretisierenden sind erstgenannte auch in der Rechtsanwendung durch die Gerichte nicht zu beachten und entfalten dementsprechend keine Außenwirkung. Die Windenergieerlasse sind folglich nur für die nachgeordneten Behörden auf der Ebene der landesweiten Raumordnung i.S.d. § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ROG verbindlich. Der Umfang der dienstrechtlichen Bindungswirkung bestimmt sich nach dem Regelungsgehalt und der Regelungsweise des einzelnen Erlasses. Die Bindungswirkung kann deshalb für die nachgeordneten Behörden in den einzelnen Bundesländen differieren. Für die Träger der regionalen Planungsgemeinschaften i.S.d. § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ROG und die Kommunen als Träger der Bauleitplanung sind sie eine unverbindliche Hilfestellung.74 In diesen Erlassen werden pauschale Richtwerte für die Einhaltung von Abstandsflächen gegenüber schützenswerter Wohnbebauung bzw. Siedlungsflächen aufgrund des vorbeugenden Immissionsschutzes empfohlen.75 Innerhalb der Länder variieren die jeweiligen Empfehlungen bezüg- 71 Köck/Bovet (Fn. 58), S. 532. 72 Köck/Bovet (Fn. 58), S. 532. 73 Antrag der der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Beitrag der Raumordnung zu Klimaschutz und Energiewende , BT-Drucks. 17/9583 v. 09.05.2012, der Antrag ist bisher noch nicht in erster Lesung beraten worden und deshalb auch noch nicht an die Ausschüsse überwiesen. 74 Parlamentarischer Beratungs- und Gutachtendienst des Landtags NRW, Gutachterliche Stellungnahme Aktuelle Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Planung und Genehmigung von Windkraftanlagen v. 09.11.2005, S. 6 ff., im Internet abrufbar: http://www.stoerwind.de/GutaWKE.pdf [Stand: 15.10.2012]. 75 Vgl. Gemeinsamer Erlass des Ministeriums für Infrastruktur und Raumordnung und des Ministeriums für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Verbraucherschutz v. 16. 06. 2009, S. 2, im Internet abrufbar: http://gl.berlinbrandenburg .de/imperia/md/content/bb-gl/regionalplanung/windkrafterlass2009.pdf [Stand: 12.10.2012]. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 264/12 Seite 17 lich der Abstandsflächen zu Siedlungsgebieten von 300 m bis zu 1.500 m.76 In Brandenburg wird ein Abstand von 1000 m zu allgemeinen und reinen Wohngebieten angeregt. Weitere Abstandswerte ergeben sich in Brandenburg aus Gründen des Natur und Landschaftsschutzes , welche artenabhängig von 500 m bis 6000 m reichen.77 Infolge der fehlenden Außenwirkung und Unverbindlichkeit der Abstandsempfehlungen für die Regional- und Bauleitplanung kann sich ein Anspruch auf die Einhaltung der Richtwertempfehlungen aus den Windenergieerlassen nur ergeben, wenn das nach außen gegenüber dem Bürger handelnde Organ im Rahmen der Genehmigungsverfahren regelmäßig die Empfehlungen berücksichtigt hat. In einem solchen Fall entsteht eine Selbstbindung der Verwaltung. Der Anspruch des Bürgers ergibt sich dann aus der Verwaltungspraxis in Verbindung mit Art. 3 I GG. 3.3.4. Regionalpläne Die Raumordnungspläne für die Teilräume der Länder (Regionalpläne) entsprechen dem Entwicklungsgebot des § 8 Abs. 2 ROG, wonach die Regionalpläne aus den landesweiten Raumordnungsplänen zu entwickeln sind. Die beiden Planungsebenen, landesweite Planung und Regionalplanung , betreffen zwar jeweils eigene Gebietskulissen und eine eigene sachliche Planungskompetenz sind aber, unabhängig von ihrer rechtlichen Über- und Unterordnung, Teile des Gesamtsystems der Landesplanung. Demnach hat die Regionalplanung im Sinne des „Fortentwicklungsgebots “ die landesweite Planung auf den übersichtlicheren Raum der Region zu übertragen, zu konkretisieren, sowie ortsnäher und problembezogener auszugestalten. Die Regionalplanung ist demnach ein wesentliches Instrument für die Umsetzung der übergeordneten landesplanerischen Festsetzung ohne jedoch in die rein örtlichen Entscheidungskompetenzen der Gemeinden einzugreifen. Die in den Regionalplänen verbindlich festgelegten Ziele der Raumordnung sind von allen öffentlichen Planungsträgern und von Personen des Privatrechts im Sinne des § 4 Abs. 3 ROG zu beachten. 78 Träger der Regionalplanung in Brandenburg sind die fünf räumlich-sektoral gegliederten Regionalen Planungsgemeinschaften. Durch diese erfolgt die Ausweisung von Eignungsgebieten für Windenergieanlagen in den Teil- Regionalplänen.79 Diese Regionalpläne entsprechen räumlich den ebenfalls örtlich gegliederten Planungsgemeinschaften. 76 Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Überblick zu den landesplanerischen Abstandsempfehlungen für die Regionalplanung zur Ausweisung von Windenergiegebieten, Tabelle S. 2, im Internet abrufbar: http://www.bmu.de/files/pdfs/allgemein/application/pdf/abstandempfehlungen_bf.pdf [Stand: 12.10.2012]. 77 Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Überblick zu den landesplanerischen Abstandsempfehlungen für die Regionalplanung zur Ausweisung von Windenergiegebieten, Tabelle S. 3 (Fn. 75). 78 Goppel, in: Spannowsky/Runkel/Goppel (Hrsg.), Raumordnungsgesetz, 1. Auflage 2010, § 8, Rn. 28 ff.. 79 Berlin-Brandenburg, Regionalplanung, im Internet abrufbar: http://gl.berlinbrandenburg .de/regionalplanung/index.html [Stand: 12.10.2012]. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 264/12 Seite 18 3.3.5. Flächennutzungsplanung Die Flächennutzungsplanung ist die nächste Steuerungsebene unterhalb der Raumordnungsplanung , als Teil der Bauleitplanung auf kommunaler Ebene. Sie hat gemäß § 1 Abs. 2 BauGB die Aufgabe der Vorbereitung der verbindlichen Bebauungsplanung. Durch die Einführung der § 1 Abs. 5 und § 1a Abs. 5 BauGB im Zuge der BauGB-Novelle 2011 sind neue Zielvorgaben, Planungsgrundsätze80 und Abwägungsbelange konzipiert worden. § 1 Abs. 5 BauGB schreibt nun verbindlich vor, dass die Bauleitpläne (Flächennutzungspläne und Bebauungspläne) dazu beitragen sollen, den Klimaschutz und die Klimaanpassung zu fördern. Diese beiden Aspekte werden somit zu neuen Planungsgrundsätzen und zugleich zu Zielen der Bauleitplanung. § 1a Abs. 5 S. 1 BauGB bestimmt die Anpassung der vorzunehmenden Maßnahmen an die Belange des Klimaschutzes und Klimawandels. Funktional wird mit § 1a Abs. 5 S. 2 BauGB die Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB um die Interessen des Klimaschutzes und der Klimaanpassung erweitert. Zu beachten sind weiterhin die Neuregelungen für den Flächennutzungsplan in § 5 Abs. 2 lit. b), c) und Abs. 2 b) BauGB und insbesondere der § 249 BauGB der die Ausweisung von Windenergie im Außenbereich betrifft.81 Die Darstellungsmöglichkeiten im Flächennutzungsplan nach § 5 Abs. 2 BauGB vermitteln die rechtlichen Grundlagen, bestimmte Festsetzungen vorzunehmen. Diese wurden um die Darstellungsoptionen „der Anlagen, Errichtungen und sonstigen Maßnahmen“ erweitert, worunter auch Windenergieanlagen fallen.82 Mit § 5 Abs. 2 b) BauGB wurde die Möglichkeit der Aufstellung eines sachlichen Teilflächennutzungsplans für einzelne Flächenabschnitte des Gemeindegebietes eingeführt. Die Regelung dient der Steuerung von privilegierten Vorhaben im Außenbereich i.S.d § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB. Die örtliche Orientierung der Anlagenbetreiber, im Außenbereich ihren Ausbau vorzunehmen , war Beweggrund für den Gesetzgeber83, den Gemeinden bereits auf der Ebene des Flächennutzungsplans über § 35 Abs. 3 Satz 3 i.V.m § 5 Abs. 2 b) BauGB eine Rechtsgrundlage zur frühzeitigen Steuerung zu schaffen.84 Dem Flächennutzungsplan kam aber bereits vor dieser Regelung eine Steuerungsfunktion für den Außenbereich gemäß § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB zu85, da die in Flächennutzungsplänen ausgewie- 80 Planungsgrundsätze erreichen eine rechtliche Bedeutung, indem sie generelle Leitlinien und Orientierungspunkte der Bauleitplanung umschreiben, welche innerhalb jeder Planung stehen und grundsätzlich in die Abwägung mit einzubeziehen sind. 81 Kment, Die Begleitung der Energiewende durch kommunale Bauleitplanung – Schafft das Gesetz zur Förderung des Klimaschutzes bei der Entwicklung in den Städten und Gemeinden neue Optionen?, Deutsches Verwaltungsblatt (DVBl) 2012, S. 1125 ff.. 82 Kment (Fn. 81), S. 1127. 83 Vgl. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 15/2250, S. 52. 84 Jaeger, in: Beck'scher Online-Kommentar, BauGB, Stand: 01.08.2012, § 5, Rn. 71 ff.; Vgl. insgesamt: Kment (Fn. 80), S. 1127. 85 Köck/Bovet (Fn. 57), S. 534. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 264/12 Seite 19 senen Flächen für Windkraftanlagen eine Ausschlusswirkung für andere Gebiete entfalten können . Somit entstanden durch die Gebietsausweisungen in den Flächennutzungsplänen frühzeitig Konzentrationszonen für die Windenergienutzung unter Ausschluss der übrigen Gebiete. Der neu etablierte § 249 Abs. 1 BauGB befasst sich mit den bereits nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB bestehenden Konzentrationszonen. Ausgangslage der Regelung des § 249 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist, dass ein Flächennutzungsplan bereits Darstellungen für die Nutzung von Windenergie enthält. Daran knüpft § 249 Abs. 1 Satz 1 BauGB an und trifft eine Regelung für den Fall, dass im Flächennutzungsplan zusätzliche Flächen für die Windenergie dargestellt werden. Zusätzliche Flächen bestehen in Ergänzung zu den sich aus den vorhandenen Darstellungen ergebenden Ausweisungen , wenn weitere Flächen für die Windenergie im Außenbereich dargestellt werden. Dies kann durch die Darstellung zusätzlicher Standorte oder durch eine Erweiterung bereits dargestellter Gebiete für die Windenergie realisiert werden. Als Rechtsfolge normiert § 249 Abs. 1 Satz 1 BauGB, dass aus der Darstellung zusätzlicher Flächen nicht geschlossen werden darf, dass die vorhandenen Darstellungen des Flächennutzungsplans nicht ausreichend sind. Im Hinblick auf die Voraussetzungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB bedeutet dies, dass aus der Ausweisung zusätzlicher Flächen nicht gefolgert werden kann, dass die bisherigen Darstellungen den Anforderungen des erforderlichen Plankonzeptes nicht entsprochen haben. Die Rechtmäßigkeit der vorhandenen Festsetzungen für die Steuerung der Errichtung von Windkraftanlagen wird damit durch die Ausweisung zusätzlicher Flächen nicht in Frage gestellt.86 § 1 Abs. 4 BauGB schreibt zudem für Bauleitpläne vor, dass diese den Zielen der Raumordnung anzupassen sind. Daher liegt die Aufgabe der Flächennutzungsplanung lediglich in der zusätzlichen Feinsteuerung, sofern das Projekt bereits durch die Raumordnung geplant ist. Eine Abänderung der in den Raumordnungsplänen als verbindliches Ziel festgelegten Gebiete für Windkraftanlagen ist rechtlich nicht zulässig. 3.3.6. Bebauungsplanung Eine weitere Feinsteuerung der Errichtung von Windkraftanlagen kann im Anschluss an die, außerhalb der Zielvorgaben, unverbindliche Flächennutzungsplanung des Gesamtgebietes durch verbindliche Bebauungspläne erfolgen, die von den zuständigen Gemeinden als Planungsträger für ihre Gemeindegebiete aufgestellt werden. Ein Abweichen von den Zielvorgaben der Raumordnung oder den Darstellungen im Flächennutzungsplan ist aber auch hier nicht möglich. Im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes sind Windkraftanlagen allenfalls aufgrund ausdrücklicher Ausweisung eines Sondergebietes für Anlagen für erneuerbare Energien nach § 11 Abs. 2 Satz 2 der Baunutzungsverordnung (BauNVO)87 bzw. als Nebenanlage gemäß § 14 BauNVO eingeschränkt zulässig.88 86 Kment (Fn. 81), S. 1128 ff.; Jaeger, in: Beck'scher Online-Kommentar, BauGB, Stand: 01.08.2012, § 249, Rn. 2 ff.. 87 Baunutzungsverordnung in der Fassung der Bekanntmachung v. 23. Januar 1990 (BGBl. I S. 132), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes v. 22. April 1993 (BGBl. I S. 466). 88 Vgl. BVerwGE 67, S. 30ff.; Roßnagel/Hentschel, Gewährleistung des Umweltschutzes bei erneuerbaren Energien, Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 2003, S. 334. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 264/12 Seite 20 3.3.7. bauplanungsrechtliche Genehmigung Windkraftanlagen sind bauplanungsrechtlich als Vorhaben im Sinne des § 29 Abs. 1 BauGB zu qualifizieren und unterliegen demzufolge den bauplanungsrechtlichen Zulassungsvoraussetzungen der §§ 30 ff. BauGB. Diese differieren wiederum in Anlehnung an die gesetzlich kategorisierten Plangebiete. Im unbeplanten89 Innenbereich richtet sich die Zulässigkeit nach § 34 BauGB. Im Bereich eines Bebauungsplanes ergeben sich die planungsrechtlichen Voraussetzungen aus § 30 Abs. 1 und 3 BauGB. Da Windkraftanlagen meist außerhalb erschlossener Ortsteile errichtet werden und keine Bebauungspläne für sie aufgestellt werden , beurteilt sich ihre Zulässigkeit ganz überwiegend nach § 35 BauGB. Dort ist deren Errichtung privilegiert. Um eine zu breite Streuung von Windkraftanlagen durch die Privilegierung im Außenbereich zu verhindern, ist das o.g. raumordnerische Korrektiv des Eignungsgebietes gemäß § 8 Abs. 7 Nr. 3 ROG geschaffen worden. Damit wurden die örtlichen und überörtlichen Planungsträger in die Lage versetzt, Eignungsflächen für besondere Vorhaben mit Ausschlusswirkung für andere Flächen auszuweisen. Der Ausschluss von Windkraftanlagen auf Teilen eines Plangebietes lässt sich nach der Wertung des Gesetzgebers allerdings nur rechtfertigen, wenn der Plan sicherstellt, dass sich die betroffenen Vorhaben an anderer Stelle über konkurrierende Nutzungen durchsetzen. Dem Plan muss daher ein schlüssiges gesamträumliches Planungskonzept zugrunde liegen, das den allgemeinen Anforderungen des planungsrechtlichen Abwägungsgebotes gerecht wird. Von den in § 35 Abs. 3 S. 1 BauGB genannten öffentlichen Belangen sind bei Windkraftanlagen vor allem die Belange des Landschaftsschutzes, der natürlichen Eigenart und des Erholungswertes der Landschaft und des Landschaftsbildes von großer Bedeutung und seit der Novelle 2011 auch die Belange des Klimaschutzes und des Klimawandels. Bei der Abwägung im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung ist jedoch zu beachten, dass der Gesetzgeber die privilegierten Vorhaben absichtlich dem Außenbereich zugeordnet hat, und damit zu erkennen gegeben hat, dass er die mit deren Errichtung notwendigen Beeinträchtigungen im Regelfall akzeptiert. Eine abstrakt bestimmbare Abstandsvorgabe folgt aus der Feinsteuerung aufgrund des Gebotes der Rücksichtnahme in Fällen, in denen von Windkraftanlagen eine optische bedrängende Wirkung ausgeht. Eine solche Situation liegt vor, wenn die Anlage gegenüber dem Nachbargrundstück eine erdrückende oder erschlagende Wirkung zukommt oder das Grundstück regelrecht abgeriegelt wird. Hierzu wurden rechnerische Anhaltswerte erarbeitet. Beträgt der Abstand zwischen einem Wohnhaus und einer Windkraftanlage mindestens das Dreifache der Gesamthöhe (Nabenhöhe + ½ Rotordurchmesser) der geplanten Anlage, dürfte von der Anlage keine optisch bedrängende Wirkung ausgehen. Ist der Abstand geringer als das Zweifache der Gesamthöhe der Anlage dürfte die Einzelfallprüfung überwiegend zu dem Ergebnis gelangen, dass eine optisch bedrängende Wirkung zu bejahen ist.90 89 D.h. im einen Gebiet, für das kein Bebauungsplan vorhanden ist, allerdings eine organische Siedlungsstruktur im Sinne eines zusammenhängend bebauten Ortsteils aufweist. 90 Stüer (Fn. 6), Rn. 2720; OVG Münster Urteil v. 09.08.2006 - 8 A 3726/05, BeckRS 2006, 25596. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 264/12 Seite 21 3.3.8. Zwischenergebnis Raumordnungsrechtlich, wie bauplanungsrechtlich liegen keine bundesrechtlich oder landesrechtlich durch Gesetz bestimmten Abstandsflächen für Windkraftanlagen vor, die von den Planungsträgern auf der jeweiligen Planungsebene umzusetzen sind. Einzuhaltende Abstände ergeben sich aus den Gebietsfestsetzungen (bspw. ein Gebiet als Eignungsgebiet für Windkraftanlagen ) in den Raumordnungsplänen und Bauleitplänen. Die Einhaltung bestimmter Abstände sind zum Teil das Ergebnis eines erforderlichen Abwägungsprozesses. Bei diesen fließen Faktoren, wie bereits bestehende Siedlungsgebiete, Naturschutzgebiete und eine ggf. gebotene Rücksichtnahme auf den Einzelnen im Rahmen der Gebietsfestsetzungen oder der Erteilung einer Genehmigung mit ein. Ausschließlich die Windenergieerlasse der Länder91 nennen Abstände in festen Maßeinheiten. Diese sind allerdings nicht unmittelbar verbindlich für die untergeordnete Ebene der kommunalen Bauleitplanung. 4. Naturschutzrecht Auch die Voraussetzungen eines Eingriffs in Natur und Landschaft im Sinne von § 18 Abs. 1 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG)92 können bei Windkraftanlagen vorliegen, weil durch deren Errichtung die Bodenfläche verändert wird (Verletzungstatbestand) und daraus eine Veränderung des Landschaftsbildes sowie eine Beeinträchtigung der Tierwelt resultieren können (Sachfolgentatbestand). In einem solchen Fall sind nachteilige Auswirkungen zu vermeiden93 und unvermeidbare Auswirkungen zu kompensieren94. Ist das nicht möglich, hat eine Abwägung zwischen dem Vorhaben und den Belangen von Natur und Landschaftsschutz zu erfolgen.95 Selbstverständlich sind naturschutzrechtliche Schutzgebietsfestsetzungen zu beachten.96 Hierbei sind Landschaftsschutzgebiete i.S.d § 26 BNatSchG, europarechtlich geschützte Fauna- Flora- Habitatgebiete (FFH- Gebiete) i.S.d. § 31 - 34 BNatSchG, sowie die aus artenschutzrechtlichen Gründen freizuhaltenden Gebiete nach §§ 44, 45 BNatSchG zu berücksichtigen. Grundsätzlich ist die Errichtung baulicher Anlagen in Landschaftsschutzgebieten erlaubnispflichtig . Nach § 22 Abs. 1 BNatSchG ist jedoch eine Gliederung in Zonen mit abgestuftem Schutzniveau möglich. Durch entsprechende Regelungen in den jeweiligen Landschaftschutzgebiets -Verordnung könnten diese Bereiche für Windenergieanlagen geöffnet werden. Unter Beibe- 91 Zusammenfassende Darstellung der Abstandsvorgaben der jeweiligen Erlasse, im Internet abrufbar: http://www.bmu.de/files/pdfs/allgemein/application/pdf/abstandempfehlungen_bf.pdf [Stand: 15.10.2012] 92 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) v. 29.07.2009 (BGBl. I S. 2542), zuletzt geändert durch Art. 5 Pflanzenschutz -Neuordnungsgesetz v. 06.02.2012 (BGBl. I S. 148). 93 Vgl. das Vermeidungsgebot welches normativ in § 19 Abs. 1 BNatSchG verankert ist. 94 Siehe § 19 Abs. 2 BNatSchG. 95 Regenfus (Fn. 34), S. 282. 96 Siehe § 29 Abs. 2 BNatSchG und die jeweiligen Landesnaturschutzgesetze. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 264/12 Seite 22 haltung des unter Schutz gestellten Gesamtgebietes können Gebietsteile festgelegt werden, in denen die Errichtung von Windenergieanlagen erlaubt werden kann. Je nach Ausgestaltung der Zonierung bestünden „harte“ Tabuzonen, in denen Windkraftanlagen nicht erbaut werden dürfen und Potentialflächen die der Windenergienutzung zur Verfügung stehen. Es steht dem Planungsträger ebenso offen, die Landschaftsschutzgebiete als „harte „Tabuzonen auszuweisen und in den angrenzenden Gebieten „weiche“ Tabuzonen zu etablieren. Die übrige Fläche stellt dann die Reservefläche für Konzentrationszonen für die Windkraftanlagen dar.97 Die FFH- Gebiete können ebenfalls eine Abstandseinhaltung erfordern, wenn die durchzuführende Verträglichkeitsprüfung innerhalb des Planaufstellungsverfahrens gem. § 1a Abs. 4 BauGB ergibt, dass die Aufstellung von Windenergieanlagen zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets führt. In diesem Fall scheidet das gesamte Gebiet als Standort für Windkraftanlagen aus. Ausnahmen bestehen in diesen Fällen allerdings gem. § 34 Abs. 3 und 4 BNatSchG weiterhin, wenn zwingende Gründe des öffentlichen Interesses vorliegen. Hier ist an den erzielbaren Stromertrag und an die Alternativlosigkeit infolge des Fehlens anderer geeigneter Flächen zu denken.98 Gebiete können als „harte“ Tabuzonen für die Windenergie ausscheiden, wenn in ihnen Windenergieanlagen aus artenschutzrechtlichen Gründen nicht errichtet werden dürfen. Für bestimmte Vogel- und Fledermausarten können artenschutzrechtlich Verstöße gegen das Tötungsund Verletzungsverbot (§ 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG) wegen Kollisionen mit den Rotoren zu besorgen sein. Weiterhin sind Verstöße gegen das Störungsverbot (§ 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG) wegen der „Scheuchwirkung“ von Windenergieanlagen zu beachten. Maßgeblich ist, ob durch die Scheuchwirkung eine erhebliche Störung in der Weise einritt, dass der Erhaltungszustand der lokalen Population einer geschützten Art verschlechtert wird. Auch dies ist jeweils nach den örtlichen Gegebenheiten an Hand der betroffenen störsensiblen Arten und der Lage der Windenergieanlagen nachzuweisen. Bezüglich der kollisionsgefährdeten Arten können Abstände der Windenergieanlagen zu den entsprechenden Aufenthaltsorten erforderlich sein.99 Hierzu existieren Abstandsempfehlungen in verschiedenen Veröffentlichungen.100 5. Bauordnungsrechtliche Abstandsvorgaben Die in den jeweiligen Landesbauordnungen101 vorgesehenen Abstandsflächenregelungen gelten auch für Windkraftanlagen.102 97 Kommunale Umwelt-AktioN U.A.N. e.V., Ausweisung von Flächen für die Windenergie– Behandlung der „harten Tabuzonen“ in Schutzgebieten, Stand: 04/06/2012, im Internet abrufbar: http://www.repoweringkommunal .de/uploads/tx_tcdownloadmngr/RIB_HarteTabuz_Schutzgebiete_06-12.pdf [Stand: 12.10.2012]. 98 Kommunale Umwelt-AktioN U.A.N. e.V. (Fn. 97). 99 Kommunale Umwelt-AktioN U.A.N. e.V. (Fn. 97) 100 Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Überblick zu den landesplanerischen Abstandsempfehlungen für die Regionalplanung zur Ausweisung von Windenergiegebieten, im Internet abrufbar : http://www.bmu.de/files/pdfs/allgemein/application/pdf/abstandempfehlungen_bf.pdf [Stand: 12.10.2012]. 101 Vgl. § 6 Landesbauordnung Brandenburg (BbgBO). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 264/12 Seite 23 Weitere gefahrenrechtlich erforderliche Abstandsvorkehrungen bestehen aufgrund des Eiswurfes, der in den Wintermonaten von den Windkraftanlagen ausgeht. Wegen dieser Gefahr sind Abstände zu Verkehrswegen, Erholungsgebieten und Gebäuden einzuhalten.103 Konkrete Messwerte und Abstandsvorgaben existieren nicht. Als Ergebnis einer durchgeführten Simulation kann als Erfahrungswert zugrundegelegt werden, dass an Standorten an denen an mehreren Tagen im Jahr mit Vereisung gerechnet werden muss ein Abstand von etwa dem 1,5 -fachen von Nabenhöhe plus Rotordurchmesser zu den nächsten Objekten eingehalten werden sollte.104 6. Windkraft in Europa Die Verbreitung und Akzeptanz der Stromerzeugung mittels Windkraft erfährt in Europa eine unterschiedliche Ausprägung. Ein West-Ost-Gefällt ist erkennbar. In Frankreich und Italien schreitet der Ausbau von Windenergieanlagen voran. In Frankreich entstehen neue Windparks in Küstenregionen wie der Bretagne, sowie im Binnenland, z.B. in Zentralfrankreich. Vor der französischen Küste sollen bereits bis 2015 insgesamt 600 neue Anlagen mit zusammen 3.000 MW Leistung installiert werden. Dabei erfährt die französische Regierung eine breite Unterstützung seitens der Bevölkerung. In Umfragen befürworten bis zu 95 Prozent der Franzosen den Umstieg auf regenerative Energieträger.105 In Italien sind seit 2009 die Kapazitäten der Windparks um 30% gewachsen und in den nächsten zehn Jahren wird sich die Stromerzeugung durch Windräder nach einer Studie des Industrieverbandes für Windenergie mehr als verdreifachen. Dies belegt, dass Italien den Weg bereitet, um in der Zukunft in wachsendem Maße Strom durch erneuerbare Energien zu erzeugen. Neben der Windenergie wird das meteorologische Potential der Sonnenstrahlung für die Photovoltaik und eine entsprechend positive Energiebilanz genutzt.106 Insbesondere Spanien gehört zusammen mit Deutschland international zu den führenden Ländern in der Nutzung der Windenergie.107 Andere europäischen Län- 102 VG Koblenz, Urteil v. 06.02.2003 – 7 K 3190/02.KO , becklink 87244; OVG Greifswald, Beschluss v. 30.05.2000 - 3 M 128/99, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 2001, 454-456. 103 OVG Koblenz, Urt. v. 12. 5. 2011 − 1 A 11186/08, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht- Rechtsprechungs Report (NVwZ-RR) 2011, S. 759-764, mit einem detaillierten Vorschlag zur Berechnung der erforderlichen bauordnungsrechtlichen Abstände. 104 Zweckverband Großraum Braunschweig, Windenergieanlagen in der Raumordnung und Bauleitplanung, Stand: 17.02.2012, S. 6, im Internet abrufbar: http://www.zgb.de/barrierefrei/content/regionalplanung/pdf/RROP_Aend/2012_0210_Glossar_Windenergieanla gen.pdf [Stand: 12.10.2012]. 105 Windpower GmbH, Windenergie in Frankreich - Aufbruchstimmung in der Windkraftbranche, im Internet abrufbar : http://www.windpower-gmbh.de/europa/windkraft-in-europa-frankreich.htm [Stand: 16.10.2012]. 106 Germany Trade & Invest, Ausbau der Windkraftkapazitäten in Italien schreitet voran v. 22.07.2010, im Internet abrufbar: http://www.gtai.de/GTAI/Navigation/DE/Trade/maerkte,did=69598.html [Stand: 16.10.2012]. 107 World Wind Energy Association (WWEA), world wind energie report, v. April 2011, S. 15 f., im Internet abrufbar : http://www.wwindea.org/home/images/stories/pdfs/worldwindenergyreport2010_s.pdf [Stand: 16.10.2012]. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 264/12 Seite 24 der, welche durch Windenergie erzeugten Strom in die Netze einspeisen, wie Frankreich, Italien, Großbritannien, Dänemark und Schweden produzieren im Verhältnis zu Deutschland und Spanien wesentlich weniger Windenergie. Das einzige osteuropäische Land, das einen nennenswerten Anteil von Windenergie erzeugt, ist Polen.108 Ein explizite Regelung zur Steuerung und Einhaltung von Abstandsflächen ist gegenwärtig nicht erkennbar. 7. Fazit Es ist zu feststellen, dass durch den Bundesgesetzgeber konkrete und verbindliche Maßangaben für einzuhaltende Abstände von Windkraftanlagen zu schutzwürdigen Gebieten de lege lata nicht existent sind. Auf landesrechtlicher Ebene liegen ebenfalls keine gesetzlich normierten Werte oder Maßeinheiten vor. Lediglich die Windenergieerlasse der Länder zeigen pauschale Grenzen auf. Diese entfalten allerdings keine umfassende Bindungswirkung, sondern gelten unmittelbar nur innerhalb der Stufe der landesweiten Raumordnungsplanung, mithin auf Ebene der Länder. Die Kommunen als Träger der Bauleitplanung können demzufolge die Hinweise in den Windenergieerlassen ihrer Planung zu Grunde legen und in den Flächennutzungsplänen und Bebauungsplänen entsprechende Festsetzungen treffen. Sie können jedoch auch abweichende Abstandsflächen in ihren Bebauungsplänen bestimmen, soweit diese mit den Zielen der Raumordnung und denen des Flächennutzungsplanes vereinbar sind. Abstandserfordernisse ergeben sich demzufolge lediglich mittelbar aus den Gebietsfestsetzungen in der Raumordnung und Regionalplanung sowie der Ausweisung von Konzentrationszonen für Windkraftanlagen unter Ausschluss dieser Vorhaben in den übrigen Gebieten (Ausschlussgebiete ). Auch die Werte der TA Lärm sowie die naturschutzrechtlichen Schutzgebietsfestsetzungen führen zu „harten“ Tabuzonen, in denen keine Windkraftanlagen erbaut werden dürfen. Die zukünftige Energiegewinnung durch erneuerbare Energien führt kraft Natur der Sache zu ihrem weitern Ausbau. Gegenwärtig noch unbekannte Konfliktsituationen oder Gefährdungen, wie die aktuell diskutierte unzureichende Berücksichtigung einer wissenschaftlich noch nicht gänzlich abgeklärten Infraschallbelastung durch Windenergieanlagen werden den Erneuerungsprozess begleiten. Die Gemengelage hinsichtlich der Abstandswahrungen von Windenergieanlagen infolge verschiedenster Komponenten wird zwiespältig betrachtet. Einerseits wird eine größtmögliche Einzelfallgerechtigkeit betont und die Gewährleistung der Rücksichtnahme auf die tatsächlichen Eigenschaften der konkreten Plangebiete betont. Andererseits wird zunehmend die verbindliche Festlegung ausreichender Mindestabstände gefordert . Gerade aus den Eingangs erwähnten Ereignissen der Energiewende und zukünftigen überwiegenden Nutzung von Windenergie an Land zur Stromerzeugung müssen nach Ansicht 108 World Wind Energy Association (WWEA), world wind energie report, v. April 2011, S. 15 f., im Internet abrufbar : http://www.wwindea.org/home/images/stories/pdfs/worldwindenergyreport2010_s.pdf [Stand: 16.10.2012]. Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 264/12 Seite 25 der Verfechter pauschaler und verbindlicher Mindestabstände109 solche auch aufgrund des vorbeugenden Immissionsschutzes und einer vorausschauenden Planung geschaffen werden. Eine zumindest landesweite, einheitliche und verbindliche Regelung von Abstandsflächen oder „Tabuzonen“ für Windkraftanlagen erscheint dringend geboten. Infolge der gesetzlich geforderten Vereinbarkeit mit zahlreichen Einzelfaktoren, vor allem den städtebaulichen und immissionsrechtlichen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen ist eine geordnete und gleichmäßige Planung anzustreben . 109 Stüer (Fn. 6), Rn. 2723 mit weiteren Nachweisen.