© 2019 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 262/18 Die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Strafverfahrens zuungunsten des Angeklagten aufgrund neuer Erkenntnisse Überblick über die Rechtslage im Ausland Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. 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Länder, in denen eine Wiederaufnahme zuungunsten des Angeklagten wegen neuer Tatsachen nicht möglich ist 5 3.1.1. Belgien 5 3.1.2. Estland 5 3.1.3. Frankreich 5 3.1.4. Griechenland 6 3.1.5. Kroatien 6 3.1.6. Polen 6 3.1.7. Rumänien 7 3.1.8. Slowenien 7 3.1.9. Spanien 7 3.2. Länder, in denen eine Wiederaufnahme zuungunsten des Angeklagten wegen neuer Tatsachen möglich ist 7 3.2.1. Bulgarien 7 3.2.2. Dänemark 8 3.2.3. Finnland 8 3.2.4. Irland 8 3.2.5. Lettland 9 3.2.6. Litauen 9 3.2.7. Österreich 9 3.2.8. Schweden 10 3.2.9. Slowakei 10 3.2.10. Tschechische Republik 10 3.2.11. Ungarn 11 4. Reformpläne 11 5. Zusammenfassung 12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 262/18 Seite 4 1. Einleitung Die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Strafverfahrens zuungunsten des Angeklagten ist in Deutschland nur in wenigen Ausnahmefällen möglich. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens aufgrund neuer Ermittlungsergebnisse – etwa aufgrund neuer Untersuchungsmethoden – ist bisher nicht zulässig. Die Regierungskoalition hat in ihrem Koalitionsvertrag für die 19. Wahlperiode vereinbart, die Wiederaufnahmemöglichkeiten zuungunsten von freigesprochenen Angeklagten in Bezug auf die nicht verjährbaren Straftaten zu erweitern.1 Fraglich ist vor diesem Hintergrund, wie sich die einschlägige Rechtslage in anderen Staaten darstellt . Nachfolgend wird dies hinsichtlich ausgewählter Länder summarisch dargelegt.2 2. Rechtslage in Deutschland Die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenes Verfahren zuungunsten des Angeklagten ist in § 362 Strafprozessordnung3 (StPO) geregelt: „Die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens zuungunsten des Angeklagten ist zulässig, 1. wenn eine in der Hauptverhandlung zu seinen Gunsten als echt vorgebrachte Urkunde unecht oder verfälscht war; 2. wenn der Zeuge oder Sachverständige sich bei einem zugunsten des Angeklagten abgelegten Zeugnis oder abgegebenen Gutachten einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung der Eidespflicht oder einer vorsätzlichen falschen uneidlichen Aussage schuldig gemacht hat; 3. wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, der sich in Beziehung auf die Sache einer strafbaren Verletzung seiner Amtspflichten schuldig gemacht hat; 4. wenn von dem Freigesprochenen vor Gericht oder außergerichtlich ein glaubwürdiges Geständnis der Straftat abgelegt wird.“ Die Wiederaufnahme im Fall neuer Tatsachen oder Beweismittel ist nur zugunsten des Verurteilten vorgesehen (§ 359 Nr. 5 StPO). Eine Wiederaufnahme zuungunsten des Verurteilten ist damit mit Ausnahme des späteren Geständnisses nur für Fälle vorgesehen, in denen manipulativ auf das Urteil eingewirkt wurde. Eine 1 Ein neuer Aufbruch für Europa – Eine neue Dynamik für Deutschland – Ein neuer Zusammenhalt für unser Land: Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD – 19. Legislaturperiode, Rn. 5853 f., (abrufbar unter https://www.bundesregierung.de/resource/blob/975226/847984/5b8bc23590d4cb2892b31c987ad672b7/2018- 03-14-koalitionsvertrag-data.pdf?download=1 – Stand dieser und sämtlicher nachfolgender Online-Quellen: 31.01.2019). 2 Die Angaben basieren im Wesentlichen auf Auskünften der jeweiligen Parlamentsverwaltungen. 3 In der Fassung der Bekanntmachung vom 07. April 1987 (BGBl. I S. 1074), zuletzt geändert durch Art. 12 des Gesetzes zur Umsetzung des Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts vom 18.12.2018 (BGBl. S. 2639), abrufbar unter: http://www.gesetze-im-internet .de/stpo/BJNR006290950.html. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 262/18 Seite 5 Wiederaufnahme zulasten des Angeklagten wegen neuer Erkenntnisse aufgrund neuer Untersuchungsmethoden ist deshalb derzeit nach deutschem Recht nicht zulässig. 3. Rechtslage im Ausland 3.1. Länder, in denen eine Wiederaufnahme zuungunsten des Angeklagten wegen neuer Tatsachen nicht möglich ist 3.1.1. Belgien In Belgien ist in Übereinstimmung mit dem Grundsatz res judicata eine Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahrens zuungunsten des Verurteilten oder Freigesprochenen nicht möglich. Artikel 443 des Belgischen Strafprozessgesetzbuchs4 sieht ein Wiederaufnahmeverfahren nur zugunsten einer verurteilten Person vor. 3.1.2. Estland Das Estländische Strafprozessrecht sieht keine Möglichkeit vor, ein Strafverfahren aufgrund neuer Beweismittel wieder zu eröffnen, welches rechtskräftig abgeschlossen wurde. Dies ergibt sich auch aus der Estländischen Verfassung, wonach niemand ein zweites Mal für eine Tat, für die er rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen wurde, angeklagt oder bestraft werden darf (Artikel 23 Absatz 3 der Estländischen Verfassung). Ebenso sieht § 199 Absatz 1 der Estländischen Strafprozessordnung5 vor, dass die Strafverfolgung nicht eingeleitet werden darf, wenn eine Entscheidung , das Verfahren hinsichtlich derselben Tat einzustellen, rechtskräftig geworden ist. 3.1.3. Frankreich In Frankreich ist nach Artikel 622 des Strafprozessgesetzbuchs (Code de procédure pénale6) eine Wiederaufnahme des Verfahrens nur zugunsten des Verurteilten möglich für den Fall, dass neue Tatsachen Zweifel an der Schuld des Verurteilten hervorrufen. Vor 2014 sah Artikel 622 vier Möglichkeiten der Wiederaufnahme vor: 1. Wenn nach einer Verurteilung wegen Mord/Totschlags das vermeintliche Opfer noch leben könnte; 2. eine andere Person für dieselbe Straftat verurteilt wurde und damit die Unschuld des zuerst Verurteilten impliziert; 3. ein Zeuge wegen Falschaussage verurteilt wurde; schließlich nach einer Generalklausel, wenn neue oder unbekannte Tatsachen Zweifel an der Schuld des Verurteilten wecken. Seit einer Gesetzesreform 2014 sieht Artikel 622 nur noch die Generalklausel vor. 4 Deutsche Übersetzung abrufbar unter http://www.scta.be/MalmedyUebersetzungen/downloads/18081117_Code InstrCrim.doc. 5 https://www.riigiteataja.ee/en/eli/520122018002/consolide 6 Abrufbar unter https://www.legifrance.gouv.fr/affichCode.do;jsessionid =C78D7D40E58AFFB83B28AF12ED8F6F92.tplgfr24s_2?cidTexte=LEGITEXT000006071154&date- Texte=20190107. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 262/18 Seite 6 Somit ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens zuungunsten des Freigesprochenen nicht möglich . Eine Wiederaufnahmemöglichkeit aufgrund neuer Beweise wurde in Frankreich in jüngerer Vergangenheit im Zusammenhang mit einem Mordfall diskutiert: 2014 wurden 27 Jahre nach Freispruch des Hauptverdächtigten dessen DNA-Spuren auf dem Körper des Opfers gefunden. Die Unmöglichkeit, das Verfahren wieder zu eröffnen und den Freispruch zu ändern, gab in der Öffentlichkeit Anlass zu Unmutsäußerungen. Ein Parlamentsmitglied legte einen Entwurf für eine Gesetzesänderung vor, nach der die Wiedereröffnung aufgrund neuer Beweise möglich werden sollte. Der Entwurf wurde aber aufgrund des Grundsatzes res judicata nicht verabschiedet. 3.1.4. Griechenland Eine Wiederaufnahme eines Strafverfahrens nach einem Freispruch ist in Griechenland nicht aufgrund neuer Tatsachen möglich. Artikel 526 des Griechischen Strafprozessgesetzes sieht eine Wiederaufnahme nur dann vor, wenn ein schwerwiegender Verfahrensfehler wesentlich für den Freispruch war – etwa wenn verfälschte Dokumente genutzt wurden oder die Richter bestochen wurden oder sonstige Pflichten verletzt haben. 3.1.5. Kroatien Nach dem Kroatischen Strafprozessgesetz kann ein Verfahren gegen einen rechtskräftig Freigesprochenen grundsätzlich nicht wieder eröffnet werden. Artikel 12 Absatz 2 des Gesetzes verbietet die Wiedereröffnung eines Strafverfahrens gegen einen rechtskräftig Freigesprochenen. Nur in Ausnahmefällen kann das Verfahren nach Artikel 503 wieder aufgenommen werden. Dies ist nach Artikel 503 Absatz 1 aber nur dann der Fall, wenn das ursprüngliche Verfahren aufgrund der mangelnden Zuständigkeit des Gerichts oder des Staatsanwalts eingestellt wurde, wenn das Verfahren aufgrund von Amtsmissbrauch seitens der Staatsanwaltschaft eingestellt wurde oder wenn das Verfahren ursprünglich mangels notwendigem Antrag oder Genehmigung für die Anklage eingestellt wurde. 3.1.6. Polen Nach dem polnischen Strafgesetzbuch kann ein Verfahren zuungunsten des Verurteilten nur wieder aufgenommen werden, wenn der Verurteilte im Gegenzug zu einer Aussage eine Strafmilderung zugesprochen bekommen hat und sich seine Aussage nicht bestätigt hat oder wenn das Urteil durch eine Straftat beeinflusst wurde. Dies ist nur innerhalb eines Jahres nach Rechtskraft des Urteils möglich. Eine Wiederaufnahme wegen neuer tatsächlicher Erkenntnisse ist daneben nicht möglich. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 262/18 Seite 7 3.1.7. Rumänien Das Rumänische Strafprozessgesetz7 sieht gemäß Artikel 453 Absatz 1 lit. a die Möglichkeit der Wiederaufnahme für den Fall vor, dass Tatsachen oder Umstände entdeckt werden, die zum Zeitpunkt , als der Fall erledigt wurde, nicht bekannt waren und die beweisen, dass die damalige Entscheidung unbegründet war. Artikel 453 Absatz 3 legt jedoch ausdrücklich fest, dass eine hierauf gestützte Wiederaufnahme ausschließlich zugunsten der verurteilten Person zulässig ist. 3.1.8. Slowenien Nach slowenischem Recht kann ein rechtskräftig abgeschlossenes Strafverfahren nur zugunsten eines Verurteilten wieder aufgenommen werden. Nach Artikel 10 des Slowenischen Strafprozessgesetzes kann eine Person für eine Tat, von der sie freigesprochen oder für die sie rechtskräftig verurteilt wurde oder hinsichtlich der das Verfahren eingestellt wurde, nicht nochmals angeklagt und verurteilt werden. 3.1.9. Spanien Das Spanische Strafprozessgesetz sieht keine Wiederaufnahme eines Strafverfahrens zuungunsten eines Freigesprochenen vor. Die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens ist gemäß Artikel 954 nur zugunsten eines Verurteilten in folgenden Fällen möglich: eine Urkunde oder Aussage, die als Beweismittel im Prozess genutzt wurde, wird für falsch erklärt, das Geständnis des Schuldigen wurde durch Gewalt oder durch ein anderes Zwangsmittel erlangt oder es wurde eine andere Straftat von einem Dritten begangen; ein mitwirkender Richter wurde wegen Rechtsbeugung verurteilt, die er im Rahmen des ursprünglichen Verfahrens begangen hat; wenn bereits ein Strafverfahren gegen den Beschuldigten wegen derselben Tat geführt wurde; wenn neue Tatsachen oder Beweise, welche zu einem Freispruch oder einer geringeren Strafe führen, bekannt werden; und wenn nach einer Vorabentscheidung des Strafgerichts ein rechtskräftiges Urteil des zuständigen Nicht-Strafgerichts dem widerspricht, was in dem Strafverfahren ausgesagt wurde. Nur der Verurteilte selbst kann eine Wiederaufnahme verlangen (Artikel 955). 3.2. Länder, in denen eine Wiederaufnahme zuungunsten des Angeklagten wegen neuer Tatsachen möglich ist 3.2.1. Bulgarien Das Bulgarische Strafprozessgesetz sieht die Möglichkeit vor, das Verfahren zum Nachteil des Angeklagten wieder aufzunehmen. Nach Artikel 422 Absatz 1 Nr. 3 kann ein Strafverfahren wiedereröffnet werden, wenn neue Tatsachen oder Beweise in Erscheinung treten, die dem Gericht nicht bekannt waren und erhebliche Bedeutung für das Verfahren haben. Die Frist für die Wiederaufnahme beträgt sechs Monate nach Rechtskraft der Entscheidung oder ab Kenntniserlangung der neuen Tatsachen oder Beweise. 7 Englischsprachige Fassung abrufbar unter http://www.just.ro/wp-content/uploads/2016/01/Noul-cod-procedura -penala-EN.doc. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 262/18 Seite 8 Daneben sieht Artikel 422 Absatz 1 weitere Fälle vor, in denen das Verfahren wiedereröffnet werden kann. Ein Verbot, das Verfahren zum Nachteil des Angeklagten wieder zu eröffnen, besteht nicht. 3.2.2. Dänemark Nach § 976 Absatz 1 des Dänischen Verwaltungsjustizgesetzes kann die Leitung der Staatsanwaltschaft die Wiedereröffnung eines Verfahrens verlangen, wenn der Angeklagte die Tat gesteht oder andere neue Beweismittel vermuten lassen, dass der Angeklagte der freigesprochenen Tat schuldig ist. Das heißt, dass auch Beweise aufgrund neuer Ermittlungsverfahren zu einer Wiedereröffnung eines Verfahrens führen können. Gleiches gilt, wenn vermutet wird, dass der Verurteilte eine schwerere Straftat als die, für die er verurteilt wurde, begangen hat. Eine Wiederaufnahme ist nur möglich, solange die Straftat noch nicht verjährt ist. 3.2.3. Finnland Nach finnischem Recht kann ein rechtskräftiges Urteil zuungunsten des Angeklagten geändert werden, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Delikt ist, welches mit mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe bestraft ist oder welches zu einer Amtsenthebung führen kann und Bezug genommen wird auf eine Tatsache oder ein Beweisstück, welches im vorherigen Verfahren nicht eingebracht wurde und welches wahrscheinlich zu der Verurteilung des Angeklagten oder zu einer erheblich höheren Strafe geführt hätte (Kapitel 31 § 9 Absatz 1 Unterabsatz 2 des Finnischen Prozessgesetzbuchs 8). Voraussetzung hierfür ist, dass die Wahrscheinlichkeit dargelegt wird, dass die Partei vor der Urteilsverkündung oder im Berufungsverfahren die Tatsache oder das Beweismittel nicht hätte vortragen können oder sie einen berechtigten Grund hatte, dies nicht zu tun. Der Antrag, das Verfahren wieder zu eröffnen, muss innerhalb eines Jahres, nachdem der Antragsteller von der Tatsache erfahren hat, gestellt werden (Kapitel 31 § 10). Der Antrag muss schriftlich beim obersten Gericht gestellt und begründet werden. Insbesondere müssen die neuen Tatsachen/Beweise dargelegt und angegeben werden, warum sie nicht im ursprünglichen Verfahren vorgebracht wurden (Kapitel 31 § 12). 3.2.4. Irland Gemäß § 8 des Strafprozessgesetzes (Criminal Procedure Act 20109) kann der Oberste Staatsanwalt (Director of Public Prosecutions) bei Gericht eine Wiederaufnahme eines Verfahrens, in dem der Angeklagte freigesprochen wurde, beantragen. Voraussetzung hierfür ist, dass der Oberste Staatsanwalt der Auffassung ist, dass neue und zwingende Beweise zulasten des Angeklagten vorliegen und dass eine Wiederaufnahme im öffentlichen Interesse liegt. Ein entsprechender Antrag kann hinsichtlich einer Person nur einmal gestellt werden. 8 Englischsprachige Fassung abrufbar unter https://www.finlex.fi/fi/laki/kaannokset /1734/en17340004_20150732.pdf. 9 Abrufbar unter http://www.irishstatutebook.ie/eli/2010/act/27/enacted/en/print. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 262/18 Seite 9 3.2.5. Lettland Im Lettischen Strafprozessgesetz ist das Wiederaufnahmeverfahren aufgrund neuer Tatsachen in § 655 geregelt. Demnach kann ein rechtskräftiges Urteil abgeändert werden, wenn neue Tatsachen bekannt werden. Als „neu“ in diesem Sinne gelten Tatsachen, die dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft im Entscheidungszeitpunkt nicht bekannt waren und die belegen, dass eine freigesprochene Person oder eine Person, gegen die das Verfahren eingestellt wurde, schuldig ist (§ 655 Absatz 2 Ziffer 3). Diese Klausel wird nicht so interpretiert, dass sich die Tatsache aufgrund neuer Ermittlungsmethoden ergeben muss. Daneben sind als „neue Tatsachen“ nach § 655 Absatz 2 auch folgende Fälle anzusehen: Falschaussagen von Zeugen, falsche Angaben von Sachverständigen oder andere gefälschte Beweismittel die Grundlage für ein rechtswidriges Urteil waren; Straftaten eines Richters, Staatsanwalts oder Ermittlers, welche Grundlage für das rechtswidrige Urteil waren; wenn das Gesetz aufgrund dessen das Urteil ergangen wird vom Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt wird; wenn das Urteil von einem internationalen Gericht für nicht vereinbar mit internationalem Recht erklärt wurde. 3.2.6. Litauen Nach Artikel 444 des Litauischen Strafprozessgesetzes kann ein rechtskräftiges Urteil geändert werden und ein Strafverfahren wieder aufgenommen werden, wenn Tatsachen, die dem Gericht bei Urteilsfällung trotz ordnungsgemäßer Ermittlungen nicht bekannt waren oder hätten bekannt sein können, bekannt werden. Die neuen Tatsachen müssen beweisen, dass die verurteilte Person sich einer schwereren Straftat strafbar gemacht hat als der, für die sie verurteilt wurde, oder dass eine freigesprochene Person oder eine Person, gegen die das Verfahren eingestellt wurde, tatsächlich schuldig ist. 3.2.7. Österreich Die Wiederaufnahme eines Strafverfahrens aufgrund neuer Tatsachen oder Beweismittel zuungunsten des Angeklagten ist nach der Österreichischen Strafprozessordnung10 zulässig. § 352 Absatz 1 regelt die Wiederaufnahme eines Strafverfahrens nach Einstellung des Verfahrens. Demnach kann ein Strafverfahren, welches durch gerichtlichen Beschluss oder einen nicht bloß vorläufigen Rücktritt der Staatsanwaltschaft von der Verfolgung eingestellt wurde, zuungunsten des Beschuldigten auf Antrag der Staatsanwaltschaft wiedereröffnet werden, wenn die Tat noch nicht verjährt ist und die Einstellung durch Urkundenfälschung oder durch Falschaussage, Bestechung oder eine sonstige Straftat herbeigeführt worden ist oder der Beschuldigte später ein Geständnis der Tat ablegt oder sich andere neue Tatsachen oder Beweismittel ergeben, die geeignet erscheinen , die Verurteilung des Beschuldigten nahe zu legen. Als Beispiel für ein neues Beweismittel i.S.d. § 352 Absatz 1 wird in der Literatur die sich neu ergebende Möglichkeit einer wissenschaftlichen Überprüfung der Täterverantwortlichkeit gesehen. 10 Abrufbar unter https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer =10002326. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 262/18 Seite 10 § 355 regelt die Wiederaufnahme des Strafverfahrens nach einem rechtskräftigen Freispruch. In diesem Fall kann die Staatsanwaltschaft oder der Privatankläger die Wiederaufnahme aus den in § 352 Absatz 1 genannten Gründen beantragen. § 356 regelt die Wiederaufnahme des Strafverfahrens nach einer rechtskräftigen Verurteilung. Demnach kann das Verfahren zum Nachteil des Verurteilten auf Antrag der Staatsanwaltschaft mit dem Ziel wieder aufgenommen werden, dass der Angeklagte für dieselbe Handlung nach einem strengeren Strafgesetz verurteilt werde. Dafür müssen die in § 352 Absatz 1 normierten Voraussetzungen vorliegen und zusätzlich folgende Voraussetzungen gegeben sein: 1. die wirklich verübte Tat ist mit mindestens zehnjähriger Freiheitsstrafe bedroht, während nur wegen einer mit nicht mehr als zehn Jahren Freiheitsstrafe bedrohten Tat verurteilt wurde, oder 2. die wirklich verübte Tat ist mit mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht, während der Angeklagte nur wegen eines Vergehens verurteilt wurde, oder 3. die wirklich verübte Tat stellt ein Verbrechen dar, während der Angeklagte nur wegen eines mit nicht mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohten Vergehens verurteilt wurde (§ 356). 3.2.8. Schweden Nach Kapitel 58 § 3 des Schwedischen Gerichtsprozessgesetzbuchs kann ein rechtskräftiges Urteil zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn neue Tatsachen oder Beweise vorgebracht werden, die wahrscheinlich zur Verurteilung des Angeklagten wegen der Straftat oder zu einer wesentlich schwereren Strafe geführt hätten. Voraussetzung dafür ist, dass die Straftat mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bestraft wird und die Staatsanwaltschaft oder der Nebenkläger glaubhaft macht, dass es unmöglich war, die Tatsachen oder Beweise im ursprünglichen Verfahren vorzutragen. Der Antrag auf Wiederaufnahme muss innerhalb eines Jahres ab Kenntnis der neuen Tatsache/Beweise gestellt werden. 3.2.9. Slowakei Nach dem Slowakischen Strafprozessgesetz ist eine Wiedereröffnung des Strafverfahrens auch zu Lasten des Angeklagten möglich, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, welche zum Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht bekannt waren. Die Voraussetzungen regeln die §§ 393 ff. Demnach kann die Staatsanwaltschaft die Wiederaufnahme beantragen, wenn ein Strafverfahren mit einem rechtskräftigen Urteil oder Beschluss geendet hat, neue Tatsachen oder Beweise bekannt werden und diese eine andere Entscheidung rechtfertigen. Eine Wiederaufnahme ist nicht zulässig, wenn die einschlägige Tat nicht länger strafbar ist, die Strafe in den Anwendungsbereich einer Amnestie des Präsidenten fällt oder der Angeklagte verstorben ist. 3.2.10. Tschechische Republik Nach dem Tschechischen Strafprozessgesetzbuch kann ein Verfahren zuungunsten des Angeklagten wiederaufgenommen werden. § 278 Absatz 1 sieht eine solche Möglichkeit vor, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die dem Gericht zuvor unbekannt waren und alleine oder in der Zusammenschau mit bereits bekannten Tatsachen oder Beweismitteln eine andere Entscheidung bezüglich Schuld oder Strafe rechtfertigen. Nur die Staatsanwaltschaft kann beantragen, das Verfahren wieder zu eröffnen. Eine Wiedereröffnung ist allerdings unzulässig, wenn einer der in § 279 genannten Gründe vorliegt: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 262/18 Seite 11 – die Tat ist nicht mehr unter Strafe gestellt; – die Hälfte der Verjährungsfirst ist abgelaufen; – der Präsident der Republik hat die Einstellung des Verfahrens angeordnet; – der Angeklagte ist verstorben. 3.2.11. Ungarn Das Neue Ungarische Strafprozessgesetz, das seit dem 1. Juli 2018 in Kraft ist, sieht mehrere Möglichkeiten der Wiedereröffnung von Strafverfahren vor. Die Vorschriften über die Wiedereröffnung sind seit 1998 in Kraft und wurden seither nur minimal geändert. Demnach kann ein Verfahren in folgenden Fällen wiedereröffnet werden: – wenn neue Beweise gefunden wurden, welche wahrscheinlich erscheinen lassen, dass die Schuld des Angeklagten festgestellt werden kann, eine signifikant höhere Strafe verhängt werden kann, oder eine Strafe statt einer Maßnahme verhängt werden kann oder die Maßnahme verschärft werden soll; – wenn mehr als ein rechtskräftiges Urteil gegen den Angeklagten für dieselbe Tat ergangen ist; – wenn die rechtskräftige Entscheidung nicht die wirkliche Identität des Angeklagten enthielt ; – wenn falsche oder verfälschte Beweismittel im ursprünglichen Verfahren genutzt wurden; – wenn im ursprünglichen Verfahren das Gericht, die Staatsanwaltschaft oder die Ermittlungsbeamten ihre Pflichten verletzt haben, indem sie gegen das Strafgesetz verstoßen haben ; – wenn der Präsident das Verfahren im Wege der Begnadigung eingestellt hat; – wenn das ursprüngliche Verfahren in Abwesenheit des Angeklagten stattgefunden hat; – wenn die Aussage einer Person, die sich zuvor auf Immunität berufen hatte, genutzt werden soll. Keine Wiedereröffnung kann stattfinden, wenn das Gericht das Verfahren eingestellt hat, weil die Staatsanwaltschaft die Anklage hat fallen lassen. Eine Wiedereröffnung zum Nachteil kann nur zu Lebzeiten des Angeklagten stattfinden und nur bis zum Eintritt der Verjährung. Auch dass die Strafe eines Verurteilten bereits vollstreckt wurde, ist kein Hindernis für die Wiedereröffnung. 4. Reformpläne Aus keinem der unter Gliederungspunkt 3 aufgeführten Länder werden aktuelle Vorhaben berichtet , die einschlägige Gesetzeslage zu ändern. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 262/18 Seite 12 5. Zusammenfassung Die vorstehende Bestandsaufnahme hat ergeben, dass in elf von 21 dargestellten Staaten11 eine Wiederaufnahme eines abgeschlossenen Strafverfahrens zuungunsten eines Angeklagten aufgrund neuer Tatsachen, die eine Strafbarkeit nahelegen, möglich sein kann. In zehn Staaten ist eine solche Möglichkeit hingegen nicht gegeben. Während sämtliche dargestellten skandinavischen Länder (Dänemark, Finnland, Schweden) die Möglichkeit der Wiederaufnahme zuungunsten des Angeklagten wegen neuer Erkenntnisse vorsehen , ist dies in den dargestellten Ländern des Mittelmeerraums (Spanien, Frankreich, Slowenien , Kroatien) ausnahmslos nicht der Fall. Auch die Rechtslage in Belgien als in romanischer Rechtstradition stehendem Land fügt sich hier ein. In Mittel- und Osteuropa gibt es hingegen jeweils Länder, die eine Wiederaufnahme in besagter Form zulassen (Österreich, Bulgarien, Ungarn, Slowakei, Tschechische Republik), als auch solche , die eine solche nicht vorsehen (Deutschland, Polen, Rumänien). Von sämtlichen dargestellten Ländern gibt es derzeit offenbar nur in Deutschland rechtspolitische Bestrebungen, eine Änderung der einschlägigen Rechtslage, die oftmals auf langen und tief verwurzelten Rechtstraditionen beruht, herbeizuführen. * * * 11 Deutschland eingeschlossen.