Vergaberechtliche Grenzen des Ausschlusses von Atomstrom produzierenden Energieversorgungsunternehmen bei der Vergabe von Stromlieferverträgen - Ausarbeitung - © 2007 Deutscher Bundestag WD 7 - 242/07 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Vergaberechtliche Grenzen des Ausschlusses von Atomstrom produzierenden Energieversorgungsunternehmen bei der Vergabe von Stromlieferverträgen Ausarbeitung WD 7 - 242/07 Abschluss der Arbeit: 12. Oktober 2007 Fachbereich WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - Zusammenfassung - Der Ausschluss von Atomstrom produzierenden Energieversorgungsunternehmen von der Vergabeentscheidung ist weder im Rahmen der Leistungsbestimmung noch innerhalb der Zuschlagskriterien zulässig. Die Formulierung „Ausschluss von Strom aus kerntechnischen Anlagen“ stellt sich im Gegensatz zu der Formulierung „Ausschluss von Atomstrom produzierenden Unternehmen “ als zulässige Konkretisierung des Auftragsgegenstandes dar. Letztere Formulierung dagegen knüpft in unzulässiger Weise an ein unternehmensbezogenes Umweltkriterium an. Strom aus regenerativen Energiequellen kann als solcher Gegenstand der Leistungsbeschreibung sein. Allein das konkrete Herstellungsverfahren (z.B. Energie nur aus Wind) darf aus Gründen der Gleichbehandlung nicht bestimmt werden. Die Rechtsprechung des EuGH zu diesem Thema erstreckt sich vom Beentjes-Urteil aus dem Jahre 1995 über die Evans-Entscheidung, dem Concordia Bus-Fall bis hin zum EVN und Wienstrom-Urteil im Jahre 2003. Inhalt 1. Einleitung 4 2. Allgemeine Vorbemerkungen 4 2.1. Umweltgesichtspunkte als Kriterium der Leistungsbeschreibung 4 2.2. Umweltgesichtspunkte als Zuschlagskriterium 5 2.3. Ausschlussgründe 6 3. Frage 1: Zulässigkeit des Ausschlusses von Atomstrom produzierenden Energieversorgungsunternehmen 6 4. Frage 2: Vergaberechtlicher Unterschied zwischen den Formulierungen „Ausschluss des Bezuges von Strom aus kerntechnischen Anlagen“ und „Ausschluss von Atomstrom produzierenden Energieversorgungsunternehmen“ 7 5. Frage 3: Festlegung von Mindestanteilen erneuerbarer Energien bei der Vergabe von Stromlieferverträgen 8 6. Frage 4: Präzedenzfälle der vergaberechtlichen Rechtsprechung 9 6.1. Beentjes-Entscheidung, Nord-Pas-de-Calais-Entscheidung 9 6.2. Evans – Entscheidung 9 6.3. Concordia Bus-Entscheidung 9 6.4. EVN und Wienstrom 10 - 4 - 1. Einleitung Dem Abschluss von Stromlieferverträgen und dem Bezug elektrischer Energie durch die öffentliche Hand geht ein transparentes Vergabeverfahren voraus. In diesem Verfahren wird dem Bewerber der Zuschlag erteilt, der sowohl die Anforderungen der Leistungsbeschreibung erfüllt als auch das wirtschaftlich günstigste Angebot abgibt. Insbesondere wenn umweltrelevante Kriterien in dieses Verfahren einfließen sollen, ergeben sich vergaberechtliche Besonderheiten. Im vorliegenden Gutachten wird untersucht, ob von einem Verfahren über die Vergabe von Stromlieferverträgen, Energieversorgungsunternehmen ausgeschlossen werden können, die Strom im Wege atomarer Energiegewinnung herstellen. Weiterhin wird die Frage beantwortet, ob das Verfahren, in dem der zu beziehende Strom hergestellt werden soll, vom Auftraggeber bestimmt werden kann. 2. Allgemeine Vorbemerkungen Die öffentliche Hand legt die Kriterien, unter denen ein bestimmter Stromlieferungsvertrag abgeschlossen werden soll, im Rahmen der Ausschreibung selbst fest. Dabei können umweltrelevante Gesichtspunkte an verschiedenen Ansatzpunkten einfließen. Zum einen können sie Teil der Leistungsbeschreibung sein, zum anderen können sie als Zuschlagskriterium formuliert werden. An den jeweiligen Teil der Ausschreibungsunterlagen und ihren Inhalt sind unterschiedliche Anforderungen zu stellen. 2.1. Umweltgesichtspunkte als Kriterium der Leistungsbeschreibung Die Leistungsbeschreibung i.S.v. § 8 Verdingungsordnung für Leistungen Teil A (VOL/A)1 beschreibt, was der Auftraggeber beschaffen will. Der Gegenstand des Auftrages muss so eindeutig und erschöpfend definiert sein, dass alle die Preisermittlung beeinflussenden Umstände festgestellt werden und die Angebote miteinander verglichen werden können. Zu den erforderlichen Kriterien gehören beispielsweise die Funktion des Auftragsgegenstandes, Menge, Qualität, technische Merkmale oder die Art der Ausführung einer Leistung.2 Grundsätzlich hat der Auftraggeber bei der Festlegung des Auftraggegenstandes bereits einen weiten Spielraum und es liegt am Umweltbewusstsein oder dem Kenntnisstand des Beschaffers, inwiefern die Einbeziehung von Umweltschutzanforderungen Einfluss auf die Definition des Auftragsgegenstands haben. Allerdings ist dieser Spielraum durch das europäische Primärrecht, insbesondere das Diskriminierungsverbot , begrenzt. 1 Verdingungsordnung für Leistungen Teil A in der Bekanntmachung der Neufassung vom 6. April 2006, BAnz. Jahrg. 58, Nr. 100a vom 30. Mai 2006. 2 Zdzieblo in Daub/ Eberstein, Kommentar zur VOL/A, 5. Auflage, 2000, § 8 Rn. 30. - 5 - Art. 23 Abs. 3 lit. b der Vergabekoordinierungsrichtlinie (VKR)3 lässt zudem die Formulierung von technischen Spezifikationen des Auftragsgegenstandes zu. Diese können ausdrücklich auch Umwelteigenschaften umfassen. Damit sind neben Produktspezifikationen auch konkrete Anforderungen an ein umweltschonendes Verfahren gemeint.4 Gerade im Hinblick auf die Vergabe von Stromlieferverträgen kann daher auch das Verfahren , in dem der Strom hergestellt werden soll (z.B. aus regenerativen Energien), definiert werden. Auch wenn diese Anforderungen an den Auftragsgegenstand nicht sichtbar sind, so stellen sie gleichwohl ein Merkmal der unmittelbaren Leistung dar.5 Es besteht daher die Möglichkeit, innerhalb der Leistungsbestimmung, „Ökostrom“ als Auftragsgegenstand zu definieren. 2.2. Umweltgesichtspunkte als Zuschlagskriterium Weiterhin könnten Umweltgesichtspunkte auch auf der Ebene der Zuschlagskriterien (§ 97 Abs. 4, 5 GWB6) Einfluss finden. Dies sind Kriterien, die in den Verdingungsunterlagen mitgeteilt werden müssen und die Auskunft darüber geben, anhand welcher Anforderungen der Auftraggeber das wirtschaftlich günstigste Angebot ermittelt. Grundsätzlich gehören zu diesen Merkmalen die Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit des Bewerbers.7 Weiterführende Kriterien, die keinen Bezug zum Auftragsgegenstand aufweisen, sind grundsätzlich vergabefremd und daher unzulässig. Neben den beschriebenen Kriterien dürfen nach § 97 Abs. 4 GWB weiterführende Anforderungen an den Bewerber nur gestellt werden, sofern dies durch ein Bundes- oder Landesgesetz vorgesehen ist. Darüber hinaus ergeben sich aus Art. 53 VKR weitere Anhaltspunkte, die zur Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots herangezogen werden können. Diese sind nicht abschließend. Bei Erfüllung der folgenden Anforderungen können nach Auffassung des EuGH8 auch Aspekte des Umweltschutzes als Zuschlagskriterium herangezogen werden. 3 Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge , ABl. 2004 L 134 S. 114. 4 So die Interpretierende Mitteilung der Europäischen Kommission über das auf das Öffentliche Auftragswesen anwendbare Gemeinschaftsrecht und die Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Umweltbelangen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vom 4. Juli 2001, KOM (2001) 274 endgültig, S. 12. 5 Arbeitshilfe des Bundesumweltamtes zur Beschaffung von Ökostrom http://www.bmu.de/files/pdfs/allgemein/application/pdf/oekostrombroschuere.pdf . 6 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Juli 2005 (BGBl. I S. 2114), zuletzt geändert durch Artikel 7 Abs. 11 des Gesetzes vom 26. März 2007 (BGBl. I S. 358). 7 Hailbronner in Byok/ Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2. Auflage, 2005, § 97 Rn 227. 8 EuGH Slg. 2002, I – 7213 ff. (Concordia Bus-Entscheidung). - 6 - Umwelteigenschaften als Zuschlagskriterien: - müssen mit dem Gegenstand des Auftrages zusammenhängen, - dürfen dem Auftraggeber keine unbeschränkte Entscheidungsfreiheit einräumen, - müssen ausdrücklich in der Vergabebekanntmachung genannt sein, - dürfen nicht zur Diskriminierung von Bietern führen. Die vom EuGH zur Vergabe von Dienstleistungen entwickelte Rechtsprechung ist ebenso auf die Vergabe von Lieferverträgen anwendbar. 2.3. Ausschlussgründe Der explizite Ausschluss von Bewerbern von einem Vergabeverfahren kann nur aus den in § 7 Nr. 5 a – e VOL/A aufgeführten Gründen erfolgen. Die Ausschlussgründe betreffen im Kern Fälle teils fehlender wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit der Bieter, teils Fälle fehlender Zuverlässigkeit. Umweltrelevante Ausschlussgründe sind beispielsweise die rechtskräftige Bestrafung oder nachweislich schwere Verfehlungen, die die berufliche Zuverlässigkeit des Bewerbers in Frage stellen. 3. Frage 1: Zulässigkeit des Ausschlusses von Atomstrom produzierenden Energieversorgungsunternehmen Es stellt sich die Frage, ob und auf welcher der genannten Ebenen ein Ausschluss bestimmter Unternehmen von der Vergabeentscheidung stattfinden darf. Im Rahmen der Leistungsbeschreibung werden lediglich Aspekte, die unmittelbar mit der Leistung, deren Herstellungsverfahren und Preisbildung zu tun haben, aufgeführt. An dieser Stelle ist daher kein Raum für den Ausschluss einzelner Bewerber, der an unternehmensbezogene Merkmale anknüpft. Sollen Energieversorgungsunternehmen, die Atomstrom produzieren von vornherein von der Vergabe ausgeschlossen werden, so fehlt es an der direkten Verbindung zwischen dem eigentlichen Auftragsgegenstand „Stromlieferung“ und der Umweltanforderung an das Unternehmen, im Übrigen keinen Atomstrom zu produzieren. Unternehmensbezogene Umweltanforderungen sind aber auch im Rahmen der Zuschlagskriterien weitestgehend vergabefremd und damit unzulässig.9 Kriterien, die das umweltpolitische Ziel zum Gegenstand haben, Unternehmen zum Zuschlag zu verhelfen , die umweltgerechte Leistungen anbieten, sind grundsätzlich unzulässig. Es handelt sich nicht um auftragsbezogene Kriterien, sie fallen unter die Gruppe der vergabefremden Kriterien. Umweltkriterien können ausnahmsweise nur dann als Kriterien zur An- 9 So die herrschende Ansicht im Schrifttum und auch die EG-Kommission: Grünbuch „Das öffentliche Auftragswesen in der Europäischen Union: Überlegungen für die Zukunft“ vom 27.11.1996; Krohn, Wolfram, „Öffentliche Auftragsvergabe und Umweltschutz“ m. w. N. S. 309. - 7 - gebotswertung herangezogen werden, wenn sie direkt mit dem Leistungsprodukt zusammenhängen , sich auf den Wert der Leistung auswirken und die Werterhöhung unmittelbar dem Auftraggeber zugute kommt.10 Diese Ansicht wird vor allem darauf gestützt , dass sich Eigenschaften oder das allgemeine Verhalten der Bieter – wie z. B. ihr Umweltverhalten – im Gegensatz zu den Umweltmerkmalen der Leistung oder ihres Herstellungsverfahren nicht auf das Angebot bezieht und daher nicht seine Wirtschaftlichkeit betrifft. Die Zuschlagskriterien sollen das wirtschaftlichste Angebot ermitteln. Dies ist nur dann der Fall, wenn sich bei Erfüllung des Kriteriums ein reeller, wirtschaftlicher Vorteil für den Auftraggeber bzw. das konkrete Angebot nachweisen lässt.11 Bei Kriterien, die ein umweltfreundliches Verhalten des Bewerbers fordern, kann der Auftraggeber nur schwer beweisen, dass die Leistung deshalb von wirtschaftlichem Vorteil ist, weil der Bewerber sich im Übrigen umweltfreundlich verhält. Zudem soll die Vergabe öffentlicher Aufträge nicht als Druckmittel zur Erzwingung jedweder Forderungen der öffentlichen Hand benutzt werden.12 Für das infrage stehende Merkmal gilt daher: der Umfang des sonstigen Leistungsangebotes eines Energieversorgungsunternehmens stellt kein wirtschaftliches Plus für den eigentlichen Auftragsgegenstand dar. Insoweit ist der Ausschluss Atomstrom produzierender Unternehmen auch unzulässig. Ebenso fehlt es an einem Grund für den Ausschluss bestimmter Unternehmen nach § 7 VOL/A, solange die Produktion von Atomstrom keinen strafrechtlich zu sanktionierenden Tatbestand darstellt. 4. Frage 2: Vergaberechtlicher Unterschied zwischen den Formulierungen „Ausschluss des Bezuges von Strom aus kerntechnischen Anlagen“ und „Ausschluss von Atomstrom produzierenden Energieversorgungsunternehmen “ Bei der Formulierung der Leistungsbeschreibung und der Zuschlagskriterien ist darauf zu achten, dass gerade keine vergabefremden Aspekte verwendet werden. Wie bereits dargelegt, stellen unternehmensbezogene Umweltanforderungen solche vergabefremden Kriterien dar (sog. Konditionierung von Auftragsvergaben13). Die Formulierung „Ausschluss von Atomstrom produzierenden Energieversorgungsunternehmen“ aber enthält gerade die Anforderung an die Bewerber, sonst (z.B. neben „grünem“ Strom) keinen Atomstrom zu produzieren und sich in diesem Sinne umweltfreundlich zu verhalten. Für Bewerber, die sowohl Ökostrom als auch Atomstrom anbieten, bedeutet der Aus- 10 Weyand, Rudolf, Praxiskommentar zum Vergaberecht, 2007, Rn 660; Quelle: www.beck-online.de 11 Brauer in Kulartz/ Kus/ Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 1. Auflage, 2006, § 97 Rn 115. 12 Zdieblo, aaO § 8 Rn 62. 13 Krohn, Wolfram, „Öffentliche Auftragsvergabe und Umweltschutz“ S. 19. - 8 - schluss vom Vergabeverfahren dann eine ungerechtfertigte Benachteiligung aufgrund einer unternehmensbezogenen Umwelteigenschaft. Sie würden also auch dann aus dem Entscheidungsprozess fallen, wenn ihr Angebot für den Ökostrom das wirtschaftlichste wäre, nur weil das Unternehmen auch Atomstrom produziert, welcher aber im konkreten Fall nicht angeboten werden soll. Die Formulierung „Ausschluss des Bezuges von Strom aus kerntechnischen Anlagen“ dagegen konkretisiert die Eigenschaften des Leistungsgegenstandes auf der Ebene der Leistungsbeschreibung und nimmt keinerlei Bezug auf das Verhalten des Unternehmens . Den Auftraggeber hindern weder die Grundfreiheiten noch der Grundsatz der Chancengleichheit daran, hohe Anforderungen an den Auftragsgegenstand zu formulieren .14 So erscheint es auch nicht als diskriminierend, dass neben dem aus kerntechnischen Anlagen hergestellten Strom nicht auch ebenso wenig umweltfreundlicher Kohle- Strom ausgeschlossen wird. Die unterschiedlichen konventionellen Strom- Herstellungsprozesse sind mit unterschiedlichen umweltrelevanten Problemen behaftet und können nur schwer mit einander verglichen werden. Sind zwei Sachverhalte schon nicht vergleichbar, so müssen sie auch nicht gleich behandelt werden. Letztlich stellt der so formulierte Ausschluss von Atomstrom daher eine zulässige Leistungsbeschreibung dar. 5. Frage 3: Festlegung von Mindestanteilen erneuerbarer Energien bei der Vergabe von Stromlieferverträgen Wie eingangs bereits dargestellt, kann im Rahmen der Leistungsbeschreibung auch das Verfahren, in dem der zu liefernde Strom produziert wird, festgelegt werden. Öffentliche Auftraggeber können vorgeben, dass der zu liefernde Strom nicht aus irgendeinem Energieträger oder einem beliebigen Energieträgermix erzeugt wird, sondern vollständig oder anteilig aus erneuerbaren Energien stammt.15 Das ergibt sich aus Art. 23 Abs. 3 lit. b VKR i. V. m. der Interpretierenden Mitteilung der Kommission vom 4. Juli 2001. Allerdings ist darauf zu achten, dass die Anforderungen an ein bestimmtes Produktionsverfahren nicht diskriminierend sind. Beispielsweise darf nicht vorgeschrieben werden, dass umweltfreundlicher Strom nur mit Windenergie erzeugt werden darf, da „grüner“ Strom auch aus anderen Energiequellen (Sonne, Wasser, Erdwärme, etc) hergestellt werden kann.16 14 Mestmäcker/ Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Auflage, 2004, 9. Kapitel, § 36 Rn 19. 15 Arbeitshilfe des Bundesumweltamtes, aaO, S. 78. 16 Interpretierende Mitteilung der Kommission, aaO, in der Fn 22. - 9 - 6. Frage 4: Präzedenzfälle der vergaberechtlichen Rechtsprechung 6.1. Beentjes-Entscheidung, Nord-Pas-de-Calais-Entscheidung In Beentjes-Urteil17 nimmt der EuGH erstmals zu der Berücksichtigung beschaffungsfremder Kriterien bei der öffentlichen Vergabeentscheidung Stellung. Streitig waren hier unternehmensbezogene Zuschlagskriterien, die zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots herangezogen werden sollten. Die Stellungnahme des Gerichts jedoch blieb wage: Festgestellt wurde, dass die Auswahl der Bewerber sich nur auf Kriterien erstrecken dürfe, die der Ermittlung des günstigsten Angebots dienen und dass diese Auswahl aufgrund objektiver Kriterien wie den in der Richtlinie aufgezählten zu erfolgen habe. Diese Rechtsprechung wurde im Fall Nord-Pas-de-Calais18 bestätigt und im Hinblick auf die Einordnung eines solchen zusätzlichen Kriteriums in den Ablauf des Vergabeverfahrens konkretisiert: War im Beentjes-Urteils noch unklar gewesen, ob das zusätzliche Kriterium die Eignungsprüfung oder die Zuschlagsphase betraf, stellte der Gerichtshof im Urteil Nord-Pas-de-Calais klar, dass das zusätzliche unternehmensbezogene Kriterium als Grund für den Ausschluss eines Bieters diene und daher nur ein Zuschlagskriterium sein könne. 6.2. Evans – Entscheidung In der Evans-Entscheidung19 stellt der Gerichtshof fest, dass zu den Kriterien für die Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots auch die Fähigkeit des Anbieters zur zuverlässigen und dauerhaften Versorgung mit dem ausgeschriebenen Produkt gehören kann. Das bedeutet, dass die noch im Beentjes-Fall hervorgehobene Unterscheidung zwischen Eigenschaften des Produktes und solchen des Produzenten für die Frage, ob es sich um ein taugliches Kriterium zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots handelt, nicht entscheidend ist. 6.3. Concordia Bus-Entscheidung In der Concordia Bus-Entscheidung20 hatte der EuGH erstmals über die Berücksichtigung von Umweltschutzkriterien zu entscheiden. Es wurde eine Reihe von Einschränkungen aufgestellt, die die Freiheit der Auftraggeber bei der Einbeziehung von Umweltschutzkriterien verringern. Als Umweltschutzkriterien kommen nur solche in Betracht, die mit dem Auftragsgegenstand zusammenhängen; die dem Auftraggeber keine uneingeschränkte Entscheidungsfreiheit einräumten; die Kriterien müssen allen Verfahrens- 17 EuGH Slg. 1988, 4635ff. (C-31/87). 18 EuGH Slg. 2000, I – 7445 ff (C-225/98). 19 EuGH Slg. 1995, I – 563 ff (C-324/93). 20 EuGH Slg. 2002, I – 7213 ff (C-513/99). - 10 - vorschriften insbesondere die zur Publizität wahren; schließlich müssen die Kriterien den Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts entsprechen, wie sie sich aus den Grundfreiheiten des EG-Vertrages ergeben.21 6.4. EVN und Wienstrom Speziell für den Fall einer europaweiten Ausschreibung für Ökostrom hat der EuGH mit Urteil vom 4. Dezember 200322 entschieden, dass die Stromlieferung aus erneuerbaren Energien mit einer Gewichtung von 45 % bei der Zuschlagsentscheidung berücksichtigt werden darf. Weiterhin werden die Anforderungen an die Umwelteigenschaften als zulässiges Zuschlagskriterium dahingehend eingeschränkt, dass sie eine effektive Nachprüfung der Richtigkeit der in den Angeboten enthaltenen Angaben erlauben und sich auf die ausgeschriebene Liefermenge beziehen. 21 So bereits unter 2.2. aufgelistet. 22 EuGH Slg. 2003, I – 14527ff (C-448/01).