Deutscher Bundestag Die digitale Langzeitarchivierung durch öffentliche Einrichtungen Urheberrechtliche Implikationen Sachstand Wissenschaftliche Dienste WD 7 – 3000 – 230/10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 – 3000 – 230/10 Seite 2 Die digitale Langzeitarchivierung durch öffentliche Einrichtungen Urheberrechtliche Implikationen Verfasser: Aktenzeichen: WD 7 – 3000 – 230/10 Abschluss der Arbeit: 9. September 2010 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 – 3000 – 230/10 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Ist die Langzeitarchivierung digitaler Dokumente durch öffentliche Einrichtungen mit dem deutschen Urheberrecht vereinbar? 4 2.1. Im Rahmen von Langzeitarchivierung erforderliche Maßnahmen 4 2.1.1. Bitstream Preservation 5 2.1.2. Migration 5 2.1.2.1. Datenträgermigration 5 2.1.2.2. Datenmigration 5 2.1.3. Emulation 5 2.2. Rechtliche Beurteilung 6 2.2.1. Vervielfältigung (§ 16 UrhG) 6 2.2.1.1. Vorliegen einer Vervielfältigung 6 2.2.1.2. Rechtfertigung 7 2.2.1.2.1. Privater Gebrauch (§ 53 Abs. 1 UrhG) 7 2.2.1.2.2. Eigener wissenschaftlicher Gebrauch (§ 53 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UrhG) 7 2.2.1.2.3. Aufnahme in ein eigenes Archiv (§ 53 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UrhG) 8 2.2.1.2.4. Vergriffene Werke (§ 53 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 b UrhG) 9 2.2.1.3. Umfang der Rechtfertigung 9 2.2.2. Bearbeitung/Umgestaltung (§ 23 UrhG) 10 3. Dürfen von öffentlichen Einrichtungen erstellte digitale Archivkopien in gleicher Weise zugänglich gemacht werden wie die Originale? 11 4. Ergebnis 11 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 – 3000 – 230/10 Seite 4 1. Einleitung In der Bundesrepublik Deutschland bestehen verschiedene öffentlich-rechtliche Institutionen auf Bundes- und Landesebene, die sich mit dem Sammeln und Archivieren deutschsprachiger Literatur befassen. Eine zentrale Stellung kommt hierbei der Deutschen Nationalbibliothek (DNB) zu, die die zentrale Archivbibliothek und das nationalbibliografische Zentrum der Bundesrepublik Deutschland ist (§ 1 Abs. 1 DNBG1). Die DNB hat kraft Gesetzes unter anderem die Aufgabe, die ab 1913 in Deutschland veröffentlichten Medienwerke im Original zu sammeln, auf Dauer zu sichern und für die Allgemeinheit nutzbar zu machen (§ 2 Abs. 1 DNBG). Die Archivierung nach dem Stand der Technik bedeutet heute regelmäßig die digitale Speicherung . Neben zahlreichen Vorteilen wirft die digitale Speicherung neue Probleme auf. So besteht aufgrund des stetigen technischen Fortschritts und der hieraus resultierenden Einführung immer neuer Hard- und Software das Erfordernis, die digital vorhandenen Informationen so zu speichern , dass sie auch nach längerer Zeit zugänglich bleiben. Diese Problematik wird unter dem Stichwort der „digitalen Langzeitarchivierung“ zusammengefasst. Die so genannte Schwerpunktinitiative „digitale Information“ der Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen 2 fordert, die urheberrechtlichen Rahmenbedingungen der Langzeitarchivierung zu ändern.3 Vor diesem Hintergrund sollen nachfolgend die geltenden urheberrechtlichen Rahmenbedingungen der digitalen Langzeitarchivierung summarisch beleuchtet werden. 2. Ist die Langzeitarchivierung digitaler Dokumente durch öffentliche Einrichtungen mit dem deutschen Urheberrecht vereinbar? 2.1. Im Rahmen von Langzeitarchivierung erforderliche Maßnahmen Die digitale Langzeitarchivierung setzt zum einen bei der – gegebenenfalls nach vorheriger Digitalisierung erfolgten – Speicherung und darauffolgenden Aufbewahrung der digitalen Informationen , des so genannten Bitstreams4, an. Zusätzlich hierzu muss im Rahmen der nachfolgenden Langzeitarchivierung aber gewährleistet werden, dass die gespeicherten Daten auch zukünftig lesbar sind. Um dies zu erreichen, gibt es unterschiedliche Maßnahmen, bei denen „Migration“ und „Emulation“ unterschieden werden. 1 Gesetz über die Deutsche Nationalbibliothek vom 22. Juni 2006 (BGBl. I S. 1338), das durch Artikel 15 Absatz 62 des Gesetzes vom 5. Februar 2009 (BGBl. I S. 160) geändert worden ist. 2 http://www.allianzinitiative.de/de/start/ (Stand dieser und nachfolgender Internet-Quellen: 8. September 2010). 3 Neuregelung des Urheberrechts: Anliegen und Desiderate für einen dritten Korb, 9. Juli 2010. Abrufbar unter http://www.allianzinitiative.de/fileadmin/user_upload/Home/Desiderate_fuer_Dritten_Korb_UrhG.pdf 4 Vgl. hierzu Ullrich, Bitstream Preservation, in: Neuroth/Oßwald/Scheffel/Strathmann/Huth (Hrsg.), nestor Handbuch, Version 2.3, 2010, Kap. 8:2. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 – 3000 – 230/10 Seite 5 2.1.1. Bitstream Preservation Grundlage aller Archivierungsaktivitäten ist der als „Bitstream Preservation“ bezeichnete physische Erhalt der Datenobjekte, also der Bits.5 Zum Zwecke der Bitstream Preservation werden bestimmte Speicherstrategien empfohlen.6 So sei etwa grundsätzlich eine redundante Datenhaltung angezeigt: Es sollen mehrfache Kopien des Originals angefertigt und diese räumlich getrennt aufbewahrt werden.7 Die Speicherung soll mittels unterschiedlicher Speichertechniken erfolgen.8 2.1.2. Migration 2.1.2.1. Datenträgermigration Als Medienmigration wird jeder Vorgang bezeichnet, bei dem das physische Trägermedium eines Datenobjekts geändert und der Vorgang mit der Absicht durchgeführt wird, das Datenobjekt zu erhalten.9 Beim „refreshment“ werden einzelne Datenträger gegen neue ausgetauscht. Die Daten werden hierbei direkt vom alten auf den neuen Träger kopiert. Erfordert das Kopieren auf den neuen Träger zugleich eine Anpassung an die Speicherstruktur des neuen Trägers, spricht man von „replication“. 2.1.2.2. Datenmigration Bei der Datenmigration (auch: Formatmigration) werden Daten von einem Datenformat in ein aktuelleres Format überführt.10 Das Objekt selbst wird so verändert, dass seine Inhalte und Konzepte erhalten bleiben, es jedoch auf den aktuellen Rechnern angezeigt und genutzt werden kann.11 Bei der Datenmigration wird empfohlen, jede Version eines Objekts inklusive des Originaldokuments zu speichern, um Datenverlust vorzubeugen.12 2.1.3. Emulation Im Rahmen einer Emulation versucht man die Gefahr auftretender Datenverluste zu umgehen, indem man die originale Umgebung der archivierten digitalen Objekte nachbildet.13 Im Gegensatz 5 Vgl. hierzu Ullrich (o. Fußn. 4), S. 3. 6 Ullrich (o. Fußn. 4), S. 4. 7 Ullrich (wie Fußn. 6). 8 Ullrich (wie Fußn. 6). 9 Ullrich (o. Fußn. 4), S. 5. 10 Funk, Migration, in: Neuroth/Oßwald/Scheffel/Strathmann/Huth (Hrsg.), nestor Handbuch (o. Fußn. 4), Kap. 8:3, S. 11. 11 Funk (wie vorstehende Fußn.). 12 Funk (o. Fußn. 10), S. 14. 13 Funk, Emulation, in: Neuroth/Oßwald/Scheffel/Strathmann/Huth (Hrsg.), nestor Handbuch, Version 2.3, 2010, Kap. 8:4, S. 16. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 – 3000 – 230/10 Seite 6 zur Migration, bei der jeweils eine neue und aktuellere Version des digitalen Objektes selbst erzeugt wird, werden die originalen Objekte bei der Emulation nicht verändert.14 2.2. Rechtliche Beurteilung 2.2.1. Vervielfältigung (§ 16 UrhG) 2.2.1.1. Vorliegen einer Vervielfältigung Grundsätzlich ist es allein Sache des Urhebers, zu entscheiden, ob und in welchem Umfang von seinem Werk Vervielfältigungsstücke hergestellt werden dürfen.15 Das Vervielfältigungsrecht ist umfassend und erstreckt sich auf Vervielfältigungen jeglicher Art, gleichviel, ob sie öffentlich oder privat hergestellt werden.16 Vervielfältigung im Sinne des Urheberrechts ist dabei jede neue körperliche Festlegung des Werkes , die geeignet ist, das Werk den menschlichen Sinnen auf irgendeine Weise unmittelbar oder mittelbar wahrnehmbar zu machen.17 Der Begriff Vervielfältigung wird in einem umfassenden Sinne verstanden, solange das Werk körperlich fixiert wird.18 Unter das Vervielfältigungsrecht fallen nicht nur identische, sondern auch nahezu identische Vervielfältigungen: Kleine Abweichungen ändern am Tatbestand der Vervielfältigung nichts.19 Selbst in einem weiten Abstand vom Original liegende Umgestaltungen werden vom Vervielfältigungsrecht erfasst, wenn sie ohne eigene schöpferische Ausdruckskraft geblieben sind und noch im Schutzbereich des Originals liegen, weil dessen Eigenart auch in der Nachbildung erhalten bleibt und ein übereinstimmender Gesamteindruck besteht.20 Es kommt im Einzelfall darauf an, ob so viel umgestaltet oder verändert wird, dass dabei ein anderer Gesamteindruck entsteht: Bleibt der Gesamteindruck gleich, ist schon die Herstellung einwilligungsbedürftig.21 Das Werk wird auch vervielfältigt, wenn es in einen anderen Werkstoff oder in eine andere Dimension übertragen wird.22 Ein Vervielfältigen 14 Funk (wie vorherige Fußn.). 15 Schulze, in: Dreier/Schulze (Hrsg.), Urheberrechtsgesetz, 3. Auflage 2008, § 16 Rdn. 2. 16 Schulze (o. Fußn. 15), § 16 Rdn. 4. 17 Schulze (o. Fußn. 15), § 16 Rdn. 6, m. w. N. 18 Schulze (wie vorherige Fußn.). 19 Schulze (o. Fußn. 15), § 16 Rdn. 10. 20 BGH, Urteil vom 10. Dezember 1987 - I ZR 198/85; Schulze (o. Fußn. 15), § 16 Rdn. 10. 21 Schulze (o. Fußn. 15), § 16 Rdn. 10. 22 Schulze (o. Fußn. 15), § 16 Rdn. 11) Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 – 3000 – 230/10 Seite 7 liegt deshalb grundsätzlich vor sowohl beim Digitalisieren23 als auch beim Speichern auf der Festplatte eines Computers24.25 Es kommt hierbei nicht darauf an, ob die Vervielfältigung auf Dauer oder nur vorübergehend hergestellt wird, entscheidend ist vielmehr, dass eine Fixierung erfolgt, welche dauerhaft festgehalten werden könnte.26 Eine Ausnahme wird nur bei vorübergehenden Vervielfältigungshandlungen gemacht, die flüchtig oder begleitend sind und einen integralen und wesentlichen Teil eines technischen Verfahrens darstellen.27 Sie müssen auf technisch notwendige Maßnahmen einer im Übrigen rechtmäßigen Nutzung beschränkt sein und dürfen keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung haben (§ 44 a UrhG, Art. 5 Abs. 1 der EU-Richtlinie zur Informationsgesellschaft28).29 Von dem Vorstehenden ausgehend wird bei der Bitstream Preservation, der Medienmigration in Form der replication und bei der Datenmigration regelmäßig eine Vervielfältigung im Sinne des Urheberrechts vorliegen, da neue, mitunter mehrfache körperliche Festlegungen des jeweiligen Werkes hergestellt werden. Bei der Emulation dürfte regelmäßig keine Vervielfältigung vorliegen. 2.2.1.2. Rechtfertigung Fraglich ist jedoch, ob bzw. ggf. in welchem Umfang das Anfertigen solcher Vervielfältigungen durch öffentliche Institutionen vom Urheberrecht gleichwohl ohne explizite Zustimmung des Urhebers erlaubt ist. Als möglicher Privilegierungstatbestand kommt § 53 UrhG in Betracht: 2.2.1.2.1. Privater Gebrauch (§ 53 Abs. 1 UrhG) Eine Privilegierung nach § 53 Abs. 1 UrhG scheitert daran, dass hier keine natürliche Person in der Privatsphäre zur Befriedigung rein persönlicher Bedürfnisse tätig wird.30 2.2.1.2.2. Eigener wissenschaftlicher Gebrauch (§ 53 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UrhG) In Betracht kommt jedoch eine Privilegierung nach § 53 Abs. 2 Nr. 1 UrhG. Danach ist die Vervielfältigung zum eigenen wissenschaftlichen Gebrauch frei, wenn und soweit die Vervielfältigung zu diesem Zweck geboten ist und sie keinen gewerblichen Zwecken dient. 23 BGH, Urteil vom 10. Dezember 1998 - I ZR 100/96. 24 Kammergericht, Urteil vom 23. November 2001 – 5 U 188/01; Landgericht München I, Urteil vom 16. Juli 2003 – 21 O 8790/03. 25 Schulze (o. Fußn. 15), § 16 Rdn. 7. 26 Schulze (o. Fußn. 15), § 16 Rdn. 12. 27 Schulze (wie vorherige Fußn.). 28 Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft. 29 Schulze (wie Fußn. 27). 30 Vgl. Dreier, in: Dreier/Schulze (o. Fußn.15), § 53 Rdn. 7. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 – 3000 – 230/10 Seite 8 Eigener Gebrauch ist nicht auf die Befriedigung persönlicher Bedürfnisse beschränkt, sondern kann auch zu beruflichen oder erwerbswirtschaftlichen Zwecken erfolgen.31 Im Gegensatz zum privaten Gebrauch nach Abs. 1 können auch juristische Personen sonstigen eigenen Gebrauch vornehmen.32 Die eigene Verwendung setzt dann voraus, dass die Vervielfältigungsstücke nicht an außenstehende Dritte weitergegeben werden.33 Der Gebrauch ist dann wissenschaftlich, wenn er im Rahmen einer wissenschaftlichen, d. h. methodischen und auf Erkenntnisfindung ausgerichteten Tätigkeit erfolgt.34 Dazu zählt das Forschen, Darstellen und Lehren.35 Wissenschaftlichkeit ist auch dann gegeben, wenn ein Praktiker sich wissenschaftlich betätigt.36 Um einen eigenen wissenschaftlichen Gebrauch handelt es sich dann, wenn die Vervielfältigung vom Vervielfältigenden selbst oder aber innerhalb der Wissenschaftseinrichtung benutzt wird, die für die Vervielfältigung verantwortlich zeichnet.37 Zum wissenschaftlichen Gebrauch geboten ist eine Vervielfältigung dann, wenn die wissenschaftliche Arbeit dies erfordert und der Erwerb oder die Ausleihe eines Exemplars unzumutbar erscheint.38 Ein eigenes Werkexemplar muss zur Vervielfältigung nicht benutzt werden.39 Das pauschale Subsumieren der o.g. Vorgänge im Rahmen der digitalen Langzeitarchivierung erscheint fraglich. Letztlich kann die nur im Einzelfall zu beantwortende Frage nach der Wissenschaftlichkeit und der Gebotenheit jedoch jedenfalls dann dahinstehen, wenn – wie es regelmäßig der Fall sein dürfte – für die Langzeitarchivierung komplette Bücher kopiert werden. Denn eine solche umfassende Kopie ist nach § 53 Abs. 4 b UrhG im Falle des wissenschaftlichen eigenen Gebrauchs nach § 53 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UrhG nicht statthaft. 2.2.1.2.3. Aufnahme in ein eigenes Archiv (§ 53 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UrhG) Zulässig ist das Anfertigen von Vervielfältigungsstücken eines Werkes zur Aufnahme in ein eigenes Archiv, soweit dies zu diesem Zweck geboten ist und als Vorlage der Kopie ein eigens Werkstück benutzt wird. Im Fall von Archiven, die im öffentlichen Interesse tätig sind und keinen wirtschaftlichen oder Erwerbszweck verfolgen, ist auch die digitale Kopie erlaubt (§ 53 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 UrhG). Auch die Vervielfältigung ganzer Bücher ist zulässig (§ 53 Abs. 4 b UrhG). 31 BGH, Urteil vom 14. April 1978 - I ZR 111/76; BGH, Urteil vom 24. Juni 1993 - I ZR 148/91, 900; Dreier (o. Fußn. 29), § 53 Rdn. 18. 32 Dreier (wie vorstehende Fußn.). 33 BGH, Urteil vom 16. Januar 1997 - I ZR 9/95; Dreier (wie Fußn. 31). 34 Dreier (o. Fußn 30), § 53 Rdn. 23. 35 Dreier (wie vorstehende Fußn.). 36 Dreier (wie Fußn. 33). 37 Dreier (wie Fußn. 33). 38 Dreier (wie Fußn. 33). 39 Dreier (wie Fußn. 33). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 – 3000 – 230/10 Seite 9 Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass das Archivierte nicht Dritten zugänglich gemacht wird, da es sich dann nicht um ein „eigenes“ Archiv im Sinne von § 53 UrhG handelt, sondern um ein öffentliches.40 2.2.1.2.4. Vergriffene Werke (§ 53 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 b UrhG) Weiterhin privilegiert ist unabhängig vom Vorliegen eines Archivs die Vervielfältigung von Werken , die seit mindestens zwei Jahren vergriffen sind. Bei solchen Werken ist zwar auch das komplette Vervielfältigen statthaft (§ 53 Abs. 4 b UrhG), der Form nach darf die Kopie aber nur auf Papier oder einem ähnlichen Träger mittels beliebiger photomechanischer Verfahren oder anderer Verfahren mit ähnlicher Wirkung vorgenommen werden oder wenn eine ausschließlich analoge Nutzung stattfindet (§ 53 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 b UrhG i. V. m. § 53 Abs. 2 Satz 3 UrhG i. V. m. § 53 Abs. 2 Satz 2 UrhG). Für die digitale Langzeitarchivierung ergibt sich damit aus § 53 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 b UrhG kein Handlungsspielraum. 2.2.1.3. Umfang der Rechtfertigung Die Anfertigung von kompletten digitalen Vervielfältigungsexemplaren zu Archivierungszwecken kann damit öffentlichen Zwecken dienenden Stellen aufgrund von § 53 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UrhG gestattet sein. Für die Aufnahme in ein eigenes Archiv muss als Vorlage für die Vervielfältigung stets ein eigenes Werkstück benutzt werden (§ 53 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UrhG). Das Eigentum desjenigen, der die Vervielfältigung herstellt, reicht ebenso wenig aus wie die bloß leihweise Überlassung fremder Werkstücke an den Archivierenden.41 Fraglich ist, ob beliebig viele im Interesse der sachgerechten Langzeitarchivierung erforderliche Kopien angefertigt werden dürfen, oder ob lediglich jeweils eine Kopie pro Originalexemplar statthaft ist. Unter Berufung auf eine Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshof aus dem Jahr 199742 wird von der herrschenden Meinung die Ansicht vertreten, dass jedes Mal ein anderes Werkstück benutzt werden muss, wenn ein bestimmtes Werk mehrfach archiviert wird.43 Allerdings lag der BGH-Entscheidung eine durchaus andere Konstellation zugrunde als die der mehrfachen Sicherungskopie. Im entschiedenen Fall wurden die Werkstücke mehrfach vervielfältigt und jeweils voll nutzbar bei unterschiedlichen Stichworten in einem Archiv abgelegt. Hier ist klar beim jeweiligen Stichwort eine volle Nutzung gegeben. Im Vergleich zu dieser Konstellation weist das Vorgehen im Rahmen der digitalen Langzeitarchivierung deutlich Unterschiede 40 Dreier (o. Fußn 30), § 53 Rdn. 27. 41 Dreier (wie vorstehende Fußn.). 42 BGH (o. Fußn. 33). 43 So etwa Dreier (o. Fußn. 30), § 53 Rdn. 27; Lüft, in: Wandtke/Bullinger (Hrsg.), Urheberrecht, 3. Auflage 2009, § 53 Rdn. 28. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 – 3000 – 230/10 Seite 10 auf. Denn hier geht es ja, wie gesehen, nicht um eine mehrfache parallele Nutzung der verschiedenen Kopien, sondern nur um das Vorbeugen eines kompletten Verlustes der Nutzbarkeit des Werkes. Gerade vor dem Hintergrund, dass der gesetzgeberische Grund für die urheberrechtliche Privilegierung zugunsten der Aufnahme in ein eigenes Archiv war, dass die Archivierung insbesondere in Bibliotheken (z. B. durch Mikroverfilmung gefährdeter Bestände oder Aufbewahrung an einem sicheren Ort) erleichtert werden sollte, ohne dass die betreffenden Werke dadurch auf zusätzliche Weise verwertet werden44, erschiene es hier der Sache nach bei der digitalen Langzeitarchivierung ebenso adäquat, mehrfache Kopien von einem einzigen Original zuzulassen. Zu der oben zitierten herrschenden Meinung stünde dies nicht im Widerspruch, wenn die dort angeführte „mehrfache Archivierung“ entsprechend Sinn und Zweck so ausgelegt wird, dass es um eine die Nutzung des Originalwerkes intensivierende Archivierung geht, nicht um eine lediglich sichernde , die keinen gesteigerten Zugriff auf das geschützte Werk beinhaltete. 2.2.2. Bearbeitung/Umgestaltung (§ 23 UrhG) Neben dem Aspekt des Vervielfältigens könnte in den im Rahmen der digitalen Langzeitarchivierung vorgenommenen Handlungen auch eine Umgestaltung oder Bearbeitung im Sinne von § 23 UrhG vorliegen. Bei Bearbeitungen oder Umgestaltungen des Werkes wäre grundsätzlich erst deren Veröffentlichung oder Verwertung, nicht hingegen schon deren Herstellung erlaubnispflichtig (§ 23 Satz 1 UrhG). Der genaue Gehalt der Begriffe „Bearbeitung“ und „Umgestaltung“ im Sinne von § 23 UrhG sind im Einzelnen ungeklärt und umstritten.45 Verbreitet werden in Bearbeitungen eines Werkes Abwandlungen des Werkes erblickt, die die notwendige Schöpfungshöhe besitzen, um selbst als Bearbeitung gem. § 3 urheberrechtlich geschützt zu sein.46 Andere Umgestaltungen seien dagegen Änderungen des Ausgangswerkes, die mangels geistiger persönlicher Schöpfung keinen Urheberrechtsschutz genießen; Unter Umgestaltung könne jegliche Veränderung des Werkes fallen .47 Zur Abgrenzung von der Vervielfältigung komme es hierbei im Einzelfall darauf an, ob so viel umgestaltet oder verändert wird, dass dabei ein anderer Gesamteindruck entstehe.48 Ist dies nicht der Fall, liegt eine Vervielfältigung vor. Wie einzelne im Rahmen der Langzeitarchivierung erstellte Kopien vor diesem Hintergrund zu bewerten sind, kann letztlich nur im Einzelfall beurteilt werden. Die überwiegenden Gesichtspunkte sprechen jedenfalls im Allgemeinen dafür, dass bei der lediglich aufgrund einer andersartigen Technik basierenden kompletten, möglichst identischen Reproduktion eines Werkes keine 44 Vgl. amtliche Begründung, BT-Drs. IV/270, S. 73. 45 Schulze (o. Fußn. 15), § 23 Rdn. 5. 46 Bullinger, in: Wandtke/Bullinger (o. Fußn. 43), § 23 Rdn. 3 m. w. N. 47 Bullinger (o. Fußn. 45), § 23 Rdn. 4 m. w. N. 48 Schulze (o. Fußn. 15), § 16 Rdn. 10. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 – 3000 – 230/10 Seite 11 Umgestaltung im Sinne des Urheberrechts, sondern eine Vervielfältigung vorliegen wird mit der Folge, dass die oben unter 2.2.1 getroffenen Ausführungen einschlägig sind.49 3. Dürfen von öffentlichen Einrichtungen erstellte digitale Archivkopien in gleicher Weise zugänglich gemacht werden wie die Originale? Wie bereits gesehen50 gestattet § 53 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 UrhG nur das Anfertigen von Vervielfältigungen zur Aufnahme in ein eigenes, d. h. nicht der Öffentlichkeit zur Verfügung stehenden Archivs . Auch § 53 Abs. 6 UrhG bestimmt ausdrücklich, dass die Vervielfältigungsstücke weder verbreitet noch zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden dürfen. Allerdings ist es zulässig, veröffentlichte Werke aus dem Bestand öffentlich zugänglicher Bibliotheken , Museen oder Archive, die keinen unmittelbar oder mittelbar wirtschaftlichen oder Erwerbszweck verfolgen, in den Räumen der jeweiligen Einrichtung an dafür eingerichteten elektronischen Leseplätzen zur Forschung und für private Studien zugänglich zu machen, soweit dem keine vertraglichen Regelungen entgegenstehen (§ 52b Satz 1 UrhG). Zu diesem Zwecke dürfen aufgrund von § 52b UrhG auch eigens Digitalisierungen lediglich analog vorliegender Werke angefertigt werden („Annexvervielfältigungen“).51 Stets dürfen allerdings grundsätzlich nicht mehr Exemplare eines Werkes an den eingerichteten elektronischen Leseplätzen gleichzeitig zugänglich gemacht werden, als der Bestand der Einrichtung umfasst (§ 52b Satz 2 UrhG). 4. Ergebnis Die digitale Langzeitarchivierung seitens öffentlicher Institutionen wirft zahlreiche urheberrechtliche Fragestellungen auf, die keiner pauschalen Beantwortung zugänglich sind, sondern eine eingehende Betrachtung im jeweiligen Einzelfall erfordern. Sinn und Zweck derjenigen Regelungen des Urheberrechts, die das Anfertigen von Vervielfältigungen durch im öffentlichen Interesse tätige Archive privilegieren, sprechen dafür, den betreffenden Institutionen in diesem Rahmen auch das Anlegen mehrfacher digitaler Sicherungskopien zu gestatten, die nicht parallel genutzt werden und damit keine gesteigerte Eingriffsintensität in das Urheberrecht darstellen. 49 So auch Upmeier, in: Neuroth/Oßwald/Scheffel/Strathmann/Huth (Hrsg.), nestor Handbuch, Version 2.3, 2010, Kap. 16:2, S. 8. 50 Gliederungspunkt 2.2.1.2.2. 51 So etwa Dreier (o. Fußn 30), § 52b Rdn. 14; Jani, in: Wandtke/Bullinger (o. Fußn. 43), § 52b Rdn. 19; Jani, Eingescannte Literatur an elektronischen Leseplätzen – was dürfen Bibliotheken? In: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht – Praxis im Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht (GRUR-Prax) 2010, S. 27 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 – 3000 – 230/10 Seite 12 Bloße Archivkopien dürfen der Allgemeinheit nicht zugänglich gemacht werden. Allerdings gestattet das Urheberrechtsgesetz bestimmten öffentlichen Institutionen hiervon unabhängig das Zugänglichmachen Dritten gegenüber an elektronischen Leseplätzen.