Deutscher Bundestag Zur Strafbarkeit der Beschneidung minderjähriger Jungen aus religiösen Gründen Ergebnisse einer EZPWD-Abfrage zur internationalen Rechtslage Infobrief Wissenschaftliche Dienste WD 7 – 3000 – 223/12 Wissenschaftliche Dienste Infobrief WD 7 – 3000 – 223/12 Seite 2 Zur Strafbarkeit der Beschneidung minderjähriger Jungen aus religiösen Gründen Ergebnisse einer EZPWD-Abfrage zur internationalen Rechtslage Verfasser: Aktenzeichen: WD 7 – 3000 – 223/12 Abschluss der Arbeit: 28. August 2012 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Infobrief WD 7 – 3000 – 223/12 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Rechtslage in Deutschland 5 3. Eingegangene Antworten zur Rechtslage in einzelnen Staaten 8 3.1. Andorra 8 3.2. Belgien 8 3.3. Dänemark 9 3.4. Estland 9 3.5. Finnland 10 3.6. Frankreich 11 3.7. Georgien 13 3.8. Griechenland 13 3.9. Großbritannien 14 3.10. Island 15 3.11. Israel 15 3.12. Italien 15 3.13. Kanada 16 3.14. Kroatien 17 3.15. Lettland 18 3.16. Litauen 18 3.17. Moldawien 18 3.18. Niederlande 18 3.19. Norwegen 20 3.20. Österreich 21 3.21. Polen 23 3.22. Portugal 24 3.23. Rumänien 24 3.24. Schweden 25 3.25. Schweiz 26 3.26. Serbien 27 3.27. Slowakische Republik 27 3.28. Slowenien 28 3.29. Tschechien 29 3.30. Türkei 29 3.31. Ungarn 29 3.32. Vereinigte Staaten von Amerika 29 3.33. Zypern 30 4. Zusammenfassung 31 Wissenschaftliche Dienste Infobrief WD 7 – 3000 – 223/12 Seite 4 1. Einleitung Im Mai 2012 hat das Landgericht Köln festgestellt, dass die Ende 2010 aus religiösen Gründen auf Wunsch der muslimischen Eltern fachgerecht vorgenommene Beschneidung1 eines vierjährigen Jungen durch einen Arzt eine rechtswidrige Körperverletzung (§ 223 StGB2) darstellte.3 Das international Beachtung findende Urteil und seine Implikationen für die Religionsausübung in Deutschland werden seitdem kontrovers diskutiert.4 Vor diesem Hintergrund haben die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags im Sommer 2012 über das Europäische Zentrum für Parlamentarische Wissenschaft und Dokumentation (EZPWD)5 eine Umfrage mit dem Ziel initiiert, valide aktuelle Informationen darüber zu erlangen, wie die Praxis der religiös motivierten Zirkumzision an Minderjährigen in den unterschiedlichen Staaten strafrechtlich bewertet wird. Die gestellten Fragen lauteten wie folgt: 1. Ist die medizinisch nicht indizierte, religiös oder kulturell motivierte Beschneidung von Jungen dem Gesetz nach strafbar? 2. Falls eine Strafbarkeit dem Gesetz nach vorliegt: Unter welchen Voraussetzungen ist sie gegeben ? Wie lauten die maßgeblichen Bestimmungen im Wortlaut? 3. Falls eine Strafbarkeit dem Gesetz nach vorliegt: Werden entsprechende Taten auch verfolgt und gegebenenfalls angeklagt, oder nicht? Warum? 4. Wären entsprechende Taten von Amts wegen zu verfolgen, oder nur auf privaten Strafantrag? Wer ist in dem Fall, dass ein Kind auf Wunsch der Eltern verletzt wird, antragsberechtigt? 5. Gibt es Urteile der Strafgerichte? 6. Gibt oder gab es Überlegungen oder Initiativen, die Frage gesetzgeberisch zu regeln, also entweder die Strafbarkeit oder die Straflosigkeit explizit festzuschreiben? 1 Im Folgenden auch: Zirkumzision. 2 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 25. Juni 2012 (BGBl. I S. 1374) geändert worden ist, abrufbar unter: http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/ (Stand dieser und sämtlicher nachfolgender Online-Quellen: 28.08.2012). 3 Urteil vom 07.05.2012, Az. 151 Ns 169/11, abgedruckt in: NStZ 2012, 449 f. 4 Auch der Deutsche Ethikrat hat sich kürzlich mit der Thematik befasst und Handlungsempfehlungen ausgesprochen , vgl. http://www.ethikrat.org/sitzungen/2012/dokumente-plenarsitzung-23-08-2012. 5 Hintergrundinformationen zum EZPWD können nachfolgendem Link entnommen werden: https://ecprd.secure.europarl.europa.eu/ecprd/navigation.do?section=1. Wissenschaftliche Dienste Infobrief WD 7 – 3000 – 223/12 Seite 5 7. Gibt es zivilrechtliche Rechtsprechung wegen religiös motivierten, fachgerecht vorgenommenen Beschneidungen von minderjährigen Jungen, etwa zu Schadensersatzforderungen seitens der beschnittenen Jungen? Nachfolgend werden unter Gliederungspunkt 3 die auf die Anfrage durch die jeweiligen EZPWD- Korrespondenten übermittelten Antworten dokumentiert. Soweit die Antworten in Bezug auf die einzelnen, o.g. Fragen formuliert wurden, wird dies entsprechend dargestellt. Nur punktuell wurden dabei seitens der Verfasser des vorliegenden Info-Briefes geringfügige Kürzungen, aber auch Ergänzungen oder Hinweise vorgenommen. Letzteres insbesondere dann, wenn Quellen bekannt waren, aus denen sich weiterführende Informationen ergeben. Entsprechende Hinweise der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags sind kursiv gesetzt als Anmerkung WD gekennzeichnet, um sie deutlich von den Antworten der jeweiligen EZPWD- Korrespondenten abzugrenzen, für welche die inhaltliche Verantwortung nicht bei den Wissenschaftlichen Diensten des Deutschen Bundestags liegt. 2. Rechtslage in Deutschland Frage 1: Die Strafbarkeit der religiös motivierten Beschneidung von minderjährigen Jungen wird in Deutschland unterschiedlich beurteilt. Das Strafgesetzbuch enthält keine ausdrückliche Regelung der Beschneidung. Frage 2: Die Vertreter der Auffassung, die eine Strafbarkeit der Beschneidung minderjähriger Jungen ohne medizinische Indikation bejaht, subsumieren die Tathandlung unter den Tatbestand der Körperverletzung (§ 223 StGB): § 223 Körperverletzung (1) Wer eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. Frage 3: Die fachgerechte Vornahme von Beschneidungen wurde ursprünglich strafrechtlich nicht verfolgt . Auf das bereits in der Einleitung erwähnte Urteil des Landgerichts (LG) Köln haben einzelne Generalstaatsanwaltschaften unterschiedlich reagiert:6 6 So entsprechende Presseberichte, vgl. etwa http://www.focus.de/politik/deutschland/gesundheit-keineeinheitliche -rechtspraxis-nach-beschneidungsurteil_aid_793339.html. Wissenschaftliche Dienste Infobrief WD 7 – 3000 – 223/12 Seite 6 – Für Baden-Württemberg haben die zuständigen Generalstaatsanwaltschaften in Stuttgart und Karlsruhe angekündigt, in entsprechenden Fällen auch in Zukunft nicht zu ermitteln, sondern eine ausdrückliche gesetzliche Regelung abzuwarten. – Die Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt/Main betonte, dass entscheidend für eine rechtliche Beurteilung jeweils die Umstände des konkreten Einzelfalls sein dürften. – Die Düsseldorfer Generalstaatsanwaltschaft will die rituelle Beschneidung ebenfalls nicht zwingend strafrechtlich verfolgen, wenn die elterliche Einwilligung vorlag und eine medizinisch korrekte Durchführung durch einen approbierten Arzt erfolgte. – Die Kölner Generalstaatsanwaltschaft betonte, es werde immer nach dem Einzelfall entschieden . Gegen einen Mediziner werde nicht ermittelt, wenn der Eingriff medizinisch korrekt durchgeführt wurde und kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bestehe. – Für Berlin erklärte Justizsenator Heilmann, es werde eine Richtlinie für die Staatsanwaltschaft im Umgang mit rituellen Knabenbeschneidungen angestrebt, damit betroffene Familien und Ärzte wüssten, was in diesem Zusammenhang in der gegenwärtigen Übergangszeit bis zur geplanten bundesrechtlichen Lösung erlaubt sei.7 Frage 4: Die einfache Körperverletzung ist grundsätzlich nur auf Antrag des Verletzten zu verfolgen. Eine Ausnahme liegt vor, wenn die Staatsanwaltschaft das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht. Es ist bislang kein Fall bekannt, in dem dies erfolgt ist. Namentlich in dem dem Kölner Landgerichtsurteil zugrundeliegenden Fall war die Staatsanwaltschaft von einer gefährlichen Körperverletzung (§ 224 StGB) ausgegangen, die ex officio zu verfolgen ist. Im zweitinstanzlichen Urteil des LG Köln hat das Gericht jedoch die gefährliche Körperverletzung unter Verweis auf höchstrichterliche Rechtsprechung verneint. Grundsätzlich sind für ein minderjähriges Kind, das Opfer einer Straftat wird, die Eltern als gesetzliche Vertreter dazu befugt, Strafantrag zu stellen.8 Hat jedoch der gesetzliche Vertreter selbst die Tat begangen oder sich an ihr beteiligt, so kann bzw. muss das Vormundschaftsgericht einen Pfleger zur Stellung des Strafantrags bestellen (§ 1909 BGB9).10 Frage 5: 7 http://www.tagesspiegel.de/berlin/neue-richtlinie-geplant-beschneidung-koennte-wieder-moeglichsein /6982882.html. 8 Sternberg-Lieben/Bosch, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 28. Auflage 2010, § 77 Rdn. 16. 9 Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 10. Mai 2012 (BGBl. I S. 1084) geändert worden ist, abrufbar unter: http://www.gesetze-im-internet.de/bgb/. 10 Sternberg-Lieben/Bosch, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 28. Auflage 2010, § 77 Rdn. 21 f. Wissenschaftliche Dienste Infobrief WD 7 – 3000 – 223/12 Seite 7 Ja, es gibt das bereits erwähnte Urteil des LG Köln11 sowie im gleichen Verfahren das erstinstanzliche Urteil des Amtsgerichts (AG) Köln12. Frage 6: Der Bundestag hat am 19. Juli 2012 einen gemeinsamen Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP zur rechtlichen Regelung der Beschneidung minderjähriger Jungen beschlossen (BT-Drs. 17/1033113).14 Mit dem Beschluss fordert der Gesetzgeber die Bundesregierung auf, im Herbst 2012 unter Berücksichtigung des Kindeswohls und der Religionsfreiheit sowie des Rechts der Eltern auf Erziehung einen Gesetzentwurf vorzulegen, der sicherstellt, dass eine medizinisch fachgerechte Beschneidung von Jungen ohne unnötige Schmerzen grundsätzlich zulässig ist. Frage 7: Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat 2007 in einem Prozesskostenhilfeverfahren beschlossen , dass einem Jungen, der in seinem zwölften Lebensjahr auf Veranlassung des nicht sorgeberechtigten muslimischen Vaters aus religiösen Gründen beschnitten wurde, wegen der darin liegenden Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dem Grunde nach ein Schadensersatz - und Schmerzensgeldanspruch gemäß §§ 823 Absatz 1, 253 Absatz 2 BGB gegen den Vater zusteht.15 In dem entschiedenen Fall war die Ehe zwischen dem Vater und der nicht muslimischen Mutter des Kindes geschieden worden und der Junge lebte bei seiner Mutter, die auch das alleinige Sorgerecht hatte. Der Vater nutzte einen Aufenthalt des Sohnes während der Herbstferien bei ihm, um die Beschneidung zu veranlassen, obgleich er wusste, dass die Mutter die Beschneidung des Sohnes ablehnte. In der Vorinstanz hatte das Landgericht Frankfurt am Main noch die Auffassung vertreten, ein entsprechender Schadensersatzanspruch sei nicht begründet, da die Beschneidung im muslimischen Lebens- und Kulturkreis sozialadäquat und darüber hinaus nicht erkennbar sei, wieso der zwölfjährige Junge keine Einsichtsfähigkeit besessen habe. Das Landgericht Frankenthal hat 2004 einem Jungen, der im Alter von neun Jahren auf Veranlassung seiner Eltern unter nicht adäquaten Bedingungen mangelhaft beschnitten worden war, einen Schadensersatz- und Schmerzensgeldanspruch gegen den Beschneider zugesprochen.16 Die Beschneidung war in der elterlichen Wohnung des Jungen vorgenommen worden. Der Beschneider war von Beruf Friseur, verfügte selbst über keine medizinische Ausbildung und führte die Beschneidung ohne Betäubung unter unsterilen Bedingungen und lediglich unter Verwendung eines Eissprays durch. Dabei entfernte er nicht nur die Vorhaut, sondern auch einen Teil der Penisschafthaut des Klägers. Nach der Beschneidung kam es zu starken Blutungen, weshalb der 11 LG Köln, Urteil vom 07.05.2012, Az. 151 Ns 169/11, abgedruckt in: NStZ 2012, 449 f. 12 AG Köln, Urteil vom 21.09.2011, Az. 528 Ds 30/11. 13 http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/103/1710331.pdf. 14 Vgl. Plenarprotokoll 17/189, S. 22829 ff. und S. 22851 ff. (http://dipbt.bundestag.de/dip21/btp/17/17189.pdf). 15 OLG Frankfurt, Beschluss vom 21.08.2007, Az. 4 W 12/07, NJW 2007, S. 3580. 16 LG Frankenthal, Urteil vom 14.09.2004, Az. 4 O 11/02. Wissenschaftliche Dienste Infobrief WD 7 – 3000 – 223/12 Seite 8 Junge von seinen Eltern in eine öffentliche Klinik gebracht wurde, wo man ihn operierte und die fehlende Haut plastisch durch Entnahme von Skrotalhaut ersetzte. Ein halbes Jahr später erfolgte eine weitere Operation, bei der eine plastische Deckung des ventralen Penisschaftes wegen eines durch die Voroperation entstandenen hohen Skrotalansatzes vorgenommen wurde. Der beklagte Beschneider hatte vorgetragen, er habe die Beschneidung entsprechend den Wünschen der Eltern gemäß den religiösen Vorschriften durchgeführt. Im Unterschied zur medizinisch indizierten Zirkumzision, bei der in westeuropäischen Ländern durch einen kreisförmig geführten Schnitt beide Vorhautblätter entfernt werden, werde bei der rituellen Zirkumzision in den arabischen Ländern die Vorhaut komplett entfernt. Er sei auch nicht aufgrund einer medizinischen Ausbildung beauftragt worden, vielmehr gehöre es bei religiösen Türken zum Allgemeingut, dass die rituellen Beschneidungen von anerkannten, mit religiöser Autorität versehenen Personen durchgeführt werden, die jedoch keinesfalls über eine medizinische Ausbildung verfügen. Die Eltern des Klägers hätten besonderen Wert auf eine solche religiöse Beschneidung gelegt und auf eine solche unter medizinischer Aufsicht verzichtet. Das LG Frankenthal stellte fest, dass die von den Eltern gegebene Einwilligung in den Eingriff unbeachtlich sei, weil sie angesichts der konkreten Gegebenheiten des Eingriffs gegen das Kindeswohl verstoße und nicht mehr vom elterlichen Sorgerecht nach §§ 1626, 1629 BGB gedeckt sei. 3. Eingegangene Antworten zur Rechtslage in einzelnen Staaten 3.1. Andorra Frage 1: Das Strafgesetzbuch Andorras enthält keine spezialgesetzliche Regelung zu dem erfragten Gegenstand . Gleichwohl besteht eine Diskussion darüber, ob die medizinisch nicht indizierte Beschneidung minderjähriger Jungen in das Kapitel über Verbrechen gegen die körperliche und sittliche Integrität aufgenommen werden sollte. Fragen 2-3: Nein. Frage 4: Sowohl Einzelpersonen als auch Behörden und Staatsanwälte haben das Recht, Anklage zu erheben . Fragen 5-7: Nein. 3.2. Belgien Die medizinisch nicht indizierte Zirkumzision minderjähriger Jungen aus religiösen oder kulturellen Gründen ist in Belgien kein strafbewehrter Angriff. Bisher gibt es keine Bestrebungen, diese Frage gesetzlich zu regeln. Wissenschaftliche Dienste Infobrief WD 7 – 3000 – 223/12 Seite 9 3.3. Dänemark Frage 1: Die medizinisch nicht indizierte Zirkumzision minderjähriger Jungen aus religiösen oder kulturellen Gründen ist nach dänischem Recht kein strafwürdiger Angriff. Dies zumindest unter der Voraussetzung, dass der Eingriff durch einen Arzt oder in Anwesenheit eines Arztes ausgeführt wurde und den Richtlinien der Dänischen Gesundheitsbehörde (Danish Health and Medicines Authority) entspricht.17 Fragen 2-4: Nicht relevant. Frage 5: Die Suche nach relevanten Gerichtsentscheidungen bezüglich der religiösen Beschneidung minderjähriger Jungen blieb ergebnislos. Frage 6: Jedenfalls seit 2004 sind weder Gesetzentwürfe noch Vorschläge für parlamentarische Beschlüsse mit dem Vorhaben, die religiöse oder kulturelle Beschneidung Minderjähriger unter Strafe zu stellen, ersichtlich. Frage 7: Die Suche nach zivilrechtlichen Gerichtsentscheidungen hinsichtlich Verfahren, die Schadensersatzforderungen wegen religiöser Beschneidungen zum Gegenstand hatten, blieb erfolglos. Zwar erhält die Nationale Agentur für Patientenrechte und Beschwerden in der Regel etwa zwei Beschwerden pro Jahr, die eine männliche Beschneidung zum Inhalt haben. In diesen Fällen geht es jedoch typischerweise um eine nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausgeführte Beschneidung . 3.4. Estland Im Strafrecht der Republik Estland gibt es keine spezialgesetzliche Regelung, welche die religiöse Beschneidung minderjähriger Jungen gesondert unter Strafe stellt. Eine diesbezügliche Notwendigkeit besteht nicht, da der oben bezeichnete Eingriff, je nach Art und Weise der Durchführung oder dessen Folgen zumindest theoretisch unter bereits vorhandene Straftatbestände subsumiert werden kann. 17 Diese Vorgaben sind im Internet in dänischer Sprache abrufbar unter: https://www.retsinformation.dk/Forms/R0710.aspx?id=10056. Wissenschaftliche Dienste Infobrief WD 7 – 3000 – 223/12 Seite 10 Maßgeblich ist zum einen § 118 des estnischen Strafgesetzbuches, der die Verursachung einer schweren Gesundheitsschädigung unter Strafe stellt. Zum anderen kommt § 121 in Betracht, der eine körperliche Misshandlung pönalisiert. Darunter fällt jeglicher Angriff auf die Gesundheit sowie jede unangemessene Behandlung einer anderen Person, die zwar nicht zwingend einen Schaden an der Gesundheit hervorruft, jedoch einen physisch wahrnehmbaren Schmerz verursacht. Mangels eines eigenständigen Straftatbestandes hinsichtlich der religiös oder kulturell motivierten Beschneidung und wegen des geringen Anteils muslimischer Bevölkerung in Estland hat sich jedoch keine gerichtliche Praxis bezüglich dieser Problematik herausgebildet. Insofern bestand bisher auch weder die Notwendigkeit, eine öffentliche Position noch eine juristische Bewertung darüber zu entwickeln, wie die staatlichen Behörden auf derartige Eingriffe zu reagieren haben. Eine Kriminalisierung der Beschneidung aus religiösen Motiven könnte jedoch zu einem Konflikt mit § 40 der estnischen Verfassung führen, der die Religionsfreiheit gewährleistet: „ Jeder hat das Recht freier Gewissensbildung, Religion und Gedanken. Jeder kann frei über seine Zugehörigkeit zu Kirchen und Religionsgemeinschaften entscheiden. Es gibt keine Staatskirche. Jeder hat das Recht auf freie Religionsausübung , sowohl alleine als auch in Gemeinschaft mit anderen, in der Öffentlichkeit und im Privaten, soweit dies nicht die öffentliche Ordnung, die Gesundheit oder die Sitten schädigt.“ Auch gibt es keine zivilrechtlichen Normen, die ausdrücklich den Ausgleich von Schäden an männlichen Jugendlichen nach einer Beschneidung regeln. Zivilrechtliche Rechtsprechung ist dementsprechend ebenfalls nicht vorhanden. Theoretisch besteht jedoch die Möglichkeit, einen Schadensausgleich über die §§ 1043 bis 1055 des 53. Kapitels des estnischen Schuldrechtsgesetzes zu erreichen, die die unerlaubte Handlung regeln. 3.5. Finnland In Finnland sind keine spezialgesetzlichen Regelungen bezüglich der Beschneidung von minderjährigen Jungen vorhanden. Zwar bereitete das Ministerium für Soziales und Gesundheit einen diesbezüglichen Gesetzesvorschlag vor; im Jahr 2010 beschloss der Minister jedoch, diesen nicht in das Parlament einzubringen. Der Oberste Gerichtshof entschied im Oktober 2008, dass eine religiös motivierte Beschneidung jedenfalls dann nicht strafbar sei, wenn die Operation in einer sicheren Umgebung und von einer medizinisch geschulten Person ausgeführt worden ist. Anmerkung WD: Vgl. vertiefend zur hier benannten Gerichtsentscheidung sowie den Vorinstanzen Askola, Cut-off Point? Regulating Male Circumcision in Finland, in: International Journal of Law, Policy and the Family 25 (1), (2011), S. 100-119.18 Danach hatte das Landgericht Tampere im Jahr 2006 entschieden, dass die aus religiösen Gründen vorgenommene Beschneidung von Jungen eine Körperverletzung darstellt, die Beschneiderin jedoch aufgrund ihres Irrtums über die 18 Abrufbar unter: http://lawfam.oxfordjournals.org/content/25/1/100.full.pdf+html. Wissenschaftliche Dienste Infobrief WD 7 – 3000 – 223/12 Seite 11 Erlaubtheit der Beschneidung wegen unklarer Rechtslage freigesprochen. Diese Entscheidung wurde vom Rechtsmittelgericht Turku 2007 in der Begründung insofern geändert, als maßgeblich sei, dass die Praxis der Beschneidung bislang stets stillschweigend akzeptiert worden sei und dass die fachgerecht vorgenommene Beschneidung vor dem Hintergrund der Religionsausübung und -freiheit als im besten Interesse des Kindes angesehen werden könne. Der schließlich mit dem Fall befasste Oberste Gerichtshof bestätigte 2008 den Spruch des Rechtsmittelgerichts. 3.6. Frankreich Anmerkung WD: Im Französischen wird die männliche Beschneidung als „circumcision“ bezeichnet , die im Deutschen üblicherweise als „Genitalverstümmelung“ bezeichnete Beschneidung von Frauen bzw. Mädchen als „excision“. Um diese der nachfolgend dokumentierten französischen Antwort zugrundeliegende Unterscheidung deutlich zu machen, wird im Rahmen der deutschen Übersetzung die Beschneidung von Frauen bzw. Mädchen als „Frauenbeschneidung“ bezeichnet. Frage 1: Die von Juden aufgrund von Bibelstellen im Buch Genesis und von Muslimen wegen Beachtung einer eher im Brauchtum denn im Koran fußenden Regel vorgenommene Zirkumzision wird in Frankreich praktiziert, die rechtliche Bewertung ist jedoch eher zweifelhaft. Die Lehre betont, dass die Zirkumzision zwar toleriert wird, sie jedoch gesetzlich nicht explizit zugelassen ist. Im Gegensatz zur medizinisch indizierten Zirkumzision, die gesetzlich ausdrücklich erlaubt ist, ist die Zirkumzision aus religiösen oder kulturellen Motiven als solche nicht Gegenstand eines Straftatbestandes. Obgleich der Code pénal auch keine ausdrückliche Strafbarkeit für die Frauenbeschneidung als solche vorsieht, wird diese anders als die Zirkumzision beurteilt. Während die Frauenbeschneidung Gegenstand von Strafprozessen und intensiven Debatten war, wird die Zirkumzision gesellschaftlich und rechtlich toleriert. Der Lehre zufolge würde gleichwohl nichts einer Bewertung entgegenstehen, die die Zirkumzision genauso wie die Frauenbeschneidung behandelt. Die vorhandenen Straftatbestände bieten tatsächlich zahlreiche Möglichkeiten, die Verstümmelung von Geschlechtsteilen zu sanktionieren . Aus diesem Blickwinkel könnte die Zirkumzision im Rahmen der Kategorie der sexuellen Gewalt als „Gewalt, die eine Verstümmelung hervorgerufen hat“ beurteilt werden. Unter dem Oberbegriff „Gewalttaten“ bestehen mehrere Kategorien von Straftatbeständen, deren Sanktionen der Schwere der Tatfolgen Rechnung tragen. So werden Gewalttaten, die eine Verstümmelung oder eine dauerhafte Beeinträchtigung hervorrufen , mit 10 Jahren Freiheitsstrafe und 150.000 € Geldstrafe bestraft. Der Kassationsgerichtshof hat in einem Urteil vom 20. August 1983 die Frauenbeschneidung als eine eine Verstümmelung im Sinne von Artikel 222-9 Code pénal hervorrufende Gewalttat gewertet. Die Zirkumzision könnte mithin genauso unter Artikel 222-9 Code pénal subsumiert werden. Wissenschaftliche Dienste Infobrief WD 7 – 3000 – 223/12 Seite 12 Strafschärfend sieht Artikel 222-10 Code pénal 15 Jahre Zuchthaus für eine Verstümmelung oder dauernde Beeinträchtigung hervorrufende Gewalttaten vor, die an einem Minderjährigen unter 15 Jahren begangen wurden. Die Strafe wird auf 20 Jahre erhöht, wenn die Tat von einem Verwandten in aufsteigender Linie oder einer anderen Person, die in einem Autoritätsverhältnis zum Minderjährigen steht, verübt wird. Es ist hierbei jedoch unsicher, ob die Zirkumzision genauso wie die Frauenbeschneidung als Gewalttat, die eine dauernde Beeinträchtigung hervorruft, betrachtet werden kann. (…) Schließlich könnte die Zirkumzision entsprechend der Frauenbeschneidung unter Artikel 222-1 Code pénal subsumiert werden, der mit 15 Jahren Zuchthaus bestraft, wer eine Person foltert oder barbarische Handlungen an ihr vornimmt und dabei ihre körperliche Integrität verletzt. Die Frauenbeschneidung, die als eine Verstümmelung des weiblichen Körpers betrachtet wird, die ohne jedwedes therapeutisches Erfordernis erhebliches Leiden hervorbringt und häufig infektiöse Komplikationen zur Folge hat, die zum Tod führen können, war bereits Gegenstand mehrerer Strafverfahren. Gemäß einem Urteil des Verwaltungsgerichts Lyon vom 12. Juni 1996 stellt eine gegen den Willen einer Person an ihr oder ihren Kindern vorgenommene Frauenbeschneidung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention dar. (…) Nach dem gegenwärtigen Stand der Rechtsprechung ist die Zirkumzision im Gegensatz zur Frauenbeschneidung mithin nicht Gegenstand strafrechtlicher Verfolgung. Die Zirkumzision kann jedoch Gegenstand zivilrechtlicher Verfahren sein. Frage 2: Siehe Antwort zu Frage 1. Frage 3: Die Frage stellt sich nicht, da es bislang allein Zivilrechtsfälle, jedoch keine Strafverfolgung gibt. Frage 4: Vergleiche die Antwort zu Frage 3. Im übrigen herrscht im französischen Strafverfahrensrecht das Opportunitätsprinzip. Gemäß Artikel 40-1 Code de procédure pénale kann sich ein Staatsanwalt auch bei einer Sachlage, die alle Merkmale einer Straftat aufweist, dazu entscheiden, keine Strafverfolgung vorzunehmen. Hinsichtlich der Sachlage bei Kindern, die Opfer ihrer eigenen Eltern werden, gibt die Internetpräsenz des Öffentlichen Dienstes (Service public) eine klare und präzise Übersicht über die strafrechtlichen Rahmenbedingungen.19 19 http://vosdroits.service-public.fr/particuliers/F2274.xhtml#N100F2. Wissenschaftliche Dienste Infobrief WD 7 – 3000 – 223/12 Seite 13 Frage 5: Nein. Frage 6: Nein. Im Gegenteil war die Frage der Zirkumzision Gegenstand einer parlamentarischen Frage an die Regierung hinsichtlich der Erstattung von Kosten der Vornahme der Beschneidung durch die Sozialversicherung. Frage 7: In Frankreich ist die Zirkumzision rechtlich vor allem Gegenstand zivilrechtlicher Befassung, namentlich hinsichtlich Fragen der elterlichen Sorge und Verantwortung und der Frage der Zustimmung beider Elternteile. Weiterhin wird im Bereich der Medizin das Patientenrecht erörtert, umfassend informiert zu werden und in den Eingriff einzuwilligen. Es ist kein Fall nachgewiesen , in dem ein Kind gegen seine Eltern wegen seiner Zirkumzision auf Schadensersatz verklagt hätte. In Frankreich ist die Erstattung einer Anzeige seitens des Kindes wegen Verletzung der Willensfreiheit rechtlich möglich, es ist jedoch mit Bezug auf die Zirkumzision kein entsprechender Fall bekannt. 3.7. Georgien Medizinisch nicht indizierte Beschneidungen aus religiösen oder kulturellen Gründen sind in Georgien nicht strafbar. Insbesondere fallen sie nicht unter die Straftatbestände des Georgischen Strafgesetzbuches. Es ergingen weder strafrechtliche noch zivilrechtliche Gerichtsurteile zu dieser Thematik. Zudem sind keine Fälle bekannt, in denen Behörden Fälle religiöser Beschneidung strafrechtlich verfolgt hätten. Gleiches gilt für Individualklagen bezüglich erlittener Verletzungen, die durch eine auf Wunsch der Eltern ausgeführte Beschneidung entstanden sind. Derzeit gibt es keine Bestrebungen, die medizinisch nicht indizierte Beschneidung gesetzlich zu regeln, insbesondere auch nicht, sie durch das georgische Strafgesetzbuch zu kriminalisieren. 3.8. Griechenland Frage 1: Eine spezialgesetzliche Regelung hinsichtlich medizinisch nicht indizierter Zirkumzisionen ist im griechischen Strafgesetzbuch nicht vorhanden. Gleichwohl besteht die Möglichkeit, einen derartigen Eingriff als „einfache Körperverletzung“ unter Artikel 308 Absatz 1 des griechischen Strafgesetzbuches zu subsumieren. Eine diesbezügliche Strafbarkeit scheidet jedoch gemäß Absatz 2 dann aus, wenn die betroffene Person oder deren gesetzlicher Vertreter zuvor in die tatbe- Wissenschaftliche Dienste Infobrief WD 7 – 3000 – 223/12 Seite 14 standliche Handlung eingewilligt haben und diese Einwilligung nicht gegen die guten Sitten verstößt . Fragen 2-3: - Frage 4: Die „einfache Körperverletzung“ wird auf Strafanzeige verfolgt. Anzeigeberechtigte Person ist der Geschädigte selbst oder, sofern er das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sein gesetzlicher Vertreter. Fragen 5-7: Nein. 3.9. Großbritannien In England und Wales gibt es weder eine spezialgesetzliche Regelung, die ausdrücklich die medizinisch nicht indizierte Beschneidung minderjähriger Jungen aus religiösen oder kulturellen Gründen unter Strafe stellt, noch ist derzeit eine Gerichtsentscheidung bekannt, die einen solchen Eingriff unter einen allgemeineren Straftatbestand (zum Beispiel den der Körperverletzung) subsumiert. Der Britische Ärzteverband (The British Medical Association) weist Ärzte darauf hin, dass eine medizinisch nicht indizierte Beschneidung grundsätzlich als gesetzeskonform angesehen wird, sofern folgende Voraussetzungen erfüllt sind: – Sie muss nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausgeführt worden sein, – es wird angenommen, im Wohl des Kindes zu handeln und – es gibt eine wirksame Einwilligung. Die Einwilligung kann durch das Kind selbst erfolgen (sofern es alt genug ist, den Gegenstand der Einwilligung vollständig zu verstehen) oder durch die Eltern (sofern das Kind zu jung ist, um selbst einzuwilligen). Durch familienrechtliche Gerichtsentscheidungen wurde jedoch festgelegt, dass beide Elternteile, sofern vorhanden, nur gemeinsam einer medizinisch nicht indizierten Beschneidung zustimmen können. Sollte sich ein Elternteil gegen einen solchen Eingriff stellen, so hat der andere Elternteil eine familiengerichtliche Entscheidung bezüglich der Beschneidung einzuholen. Der Britische Ärzteverband fasst den Standpunkt hinsichtlich der Einwilligungsfähigkeit folgendermaßen zusammen: Obwohl ein mit der elterlichen Sorge betrautes Elternteil grundsätzlich in der Lage ist, allein Entscheidungen für das Kind zu treffen, entschieden die Gerichte bezüglich der medizinisch nicht indizierten Beschneidung, dass eine solche „wichtige und irreversible“ Entscheidung nicht gegen den Willen des anderen Elternteils getroffen werden darf. (J (A Minor) (Prohibited Steps Order: Circumcision) [2000] 1 F.L.R. 571). Wird das Kind durch beide Elternteile gemeinschaftlich vertreten, muss sich der Arzt davon überzeugen, dass auch beide Elternteile wirksam in den Eingriff eingewilligt haben. Wird das Kind nur durch einen Elternteil gesetzlich vertreten, muss der Arzt alle An- Wissenschaftliche Dienste Infobrief WD 7 – 3000 – 223/12 Seite 15 strengungen unternehmen, um auch den anderen Elternteil zu kontaktieren und eine Einwilligung einzuholen. Besteht Uneinigkeit zwischen den Eltern, so ist darüber eine gerichtliche Entscheidung einzuholen. Zudem steht es in einem solchen Fall in der Pflicht des Arztes, genau zu prüfen, ob die Beschneidung entgegen dem Willen eines Elternteils noch im Wohl des Kindes geschieht. Hat das Kind nur noch einen Elternteil, so ist dessen Einwilligung ausreichend.20 Weiterführende Hinweise bezüglich der Diskussion über die rechtliche und ethische Bewertung der medizinisch nicht indizierten Beschneidung in England und Wales finden sich beim Britischen Ärzteverband.21 Eine gesetzliche Regelung hinsichtlich der religiös motivierten Beschneidung ist derzeit nicht geplant. 3.10. Island Weder die Zirkumzision noch die weibliche Genitalverstümmelung sind in der Isländischen Gesetzgebung erwähnt. 3.11. Israel Eine Interministerielle Aufsichtskommission des Israelischen Großrabbinats und des Gesundheitsministeriums ist für die folgenden Punkte verantwortlich: – Die Zulassung der zur Beschneidung berechtigten Personen, – die Veröffentlichung von Regeln und Empfehlungen hinsichtlich der Durchführung einer Beschneidung sowie – die Aufsicht über die zur Beschneidung berechtigte Person. Die medizinisch nicht indizierte Beschneidung minderjähriger Jungen aus religiösen oder kulturellen Gründen ist nicht strafbar. Die Antworten auf die restlichen Fragen sind negativ. 3.12. Italien Fragen 1-5: Beschneidungen gelten im Italienischen Rechtssystem nicht als Straftat. Bestraft wird gemäß Artikel 583 des Strafgesetzbuches lediglich die weibliche Genitalverstümmelung unter Androhung einer Freiheitstrafe von vier bis zwölf Jahren. Gleichwohl gilt die männliche Beschneidung als medizinischer Eingriff und muss dementsprechend von einem Arzt durchgeführt werden. Führt eine nur unzureichend qualifizierte Person 20 BMA, The law and ethics of male circumcision: guidance for doctors, 2004, abrufbar unter: http://jme.bmj.com/content/30/3/259.full#ref-12. 21 BMA, The law and ethics of male circumcision: guidance for doctors, 2004, abrufbar unter: http://jme.bmj.com/content/30/3/259.full#ref-12. Wissenschaftliche Dienste Infobrief WD 7 – 3000 – 223/12 Seite 16 den Eingriff aus, so wird dies gemäß Artikel 348 des Strafgesetzbuches mit Geldstrafe oder mit Freiheitsstrafe bis zu 6 Monaten bestraft. Anmerkung WD: Recherchen haben ergeben, dass sich die italienische Strafjustiz mit einem Fall der männlichen Beschneidung befasst hat, in dem eine Nigerianerin ihren wenige Wochen alten Sohn einem Brauch ihres Herkunftsortes folgend von einer Beschneiderin ohne ärztliche Ausbildung hatte beschneiden lassen. In dem Verfahren liegt eine Revisionsentscheidung des Obersten Kassationsgerichtshofs (Corte Suprema di Cassazione) von Juni 2011 vor.22 Frage 6: Ein Gesetzentwurf hinsichtlich dieser Thematik wurde bisher nicht untersucht. Frage 7: Es liegen noch keine zivilgerichtlichen Urteile bezüglich des erfragten Gegenstandes vor. 3.13. Kanada Die medizinisch nicht indizierte Beschneidung minderjähriger Jungen aus religiösen oder kulturellen Gründen ist derzeit in ganz Kanada straflos. Nach Auffassung des College of Physicians and Surgeons of British Columbia ist ein solcher Eingriff jedenfalls dann straflos, wenn er nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausgeführt wurde, dem Wohl des Kindes dient und zuvor wirksam in den Eingriff eingewilligt worden ist. Bezüglich ordnungsgemäß durchgeführter Beschneidungen minderjähriger Jungen sind derzeit weder zivilrechtliche noch strafrechtliche Gerichtsurteile bekannt. Zudem bestehen in ganz Kanada gegenwärtig auch keine Bestrebungen, die medizinisch nicht indizierte Beschneidung durch Gesetz zu reglementieren oder unter Strafe zu stellen. Gleichwohl wird der Eingriff nicht mehr von den Krankenkassen der kanadischen Provinzen unterstützt , es sei denn, er wird als medizinisch notwendig eingestuft. Seit 1975 wird die routinemäßige Beschneidung bei Neugeborenen nicht mehr von der Kanadischen Gesellschaft für Kinderheilkunde (Canadian Paediatric Society) empfohlen. Nur die kanadischen Provinzen British Columbia und Saskatchewan erließen bezüglich der medizinisch nicht indizierten Beschneidung offizielle Richtlinien, die von einer Beschneidung ausdrücklich abraten und damit Proteste religiöser kanadischer Organisationen, wie beispielsweise des Zentrums für Israelische und Jüdische Angelegenheiten (Centre for Israel and Jewish Affairs), auslösten. Dennoch wird auch dort der Eingriff weiterhin routinemäßig durchgeführt. Laut einem 2009 veröffentlichten Bericht der kanadischen Gesundheitsbehörde, der auf einer Studie zu den Jahren 2006 und 2007 basiert, ist die Rate der beschnittenen männlichen Säuglinge seit 1970 von 48 % auf 31,9 % gesunken. Die statistische Verteilung in den einzelnen Provinzen weicht jedoch stark voneinander ab. 22 Abrufbar unter http://www.penalecontemporaneo.it/upload/1333027590Sentenza%20circoncisione.pdf Wissenschaftliche Dienste Infobrief WD 7 – 3000 – 223/12 Seite 17 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die medizinisch nicht indizierte Beschneidung von minderjährigen Jungen derzeit nicht strafbar und auch keine Kriminalisierung des Eingriffs vorgesehen ist. Strafrechtliche oder zivilrechtliche Gerichtsurteile bezüglich ordnungsgemäß durchgeführter Beschneidungen sind bisher nicht ergangen. Gleichwohl ist der Eingriff in ganz Kanada nicht mehr Teil der Gesundheitsvorsorge. Von einigen Colleges of Physicians and Surgeons wird der Eingriff ausdrücklich abgelehnt. Zudem kann statistisch ein Rückgang hinsichtlich der Durchführung von Beschneidungen beobachtet werden. Weiterführende Literatur: - Kanadische Statistiken hinsichtlich Zirkumzisionen (Datei überarbeitet am 13. September 2008): http://www.cirp.org/library/statistics/Canada/ - College of Physicians and Surgeons of British Columbia, Professionelle Standards und Richtlinien der Beschneidung (männliche Säuglinge), aktualisiert September 2009: https://www.cpsbc.ca/files/u6/Circumcision- Infant-Male.pdf - College of Physicians and Surgeons of Saskatchewan, Memorandum für Ärzte und Chirurgen der Provinz Saskatchewan, betreffend: Warnung vor der routinemäßige Beschneidung männlicher Neugeborenen, 2002: http://www.cirp.org/library/statements/sask2002/ Kanadische Gesellschaft für Kinderheilkunde 1975 Stellungnahme der Kanadischen Gesellschaft für Kinderheilkunde: Zirkumzisionen bei Neugeborenen: (abrufbar auf der Internetseite “The Circumcision Reference Library website”, die Hervorhebung einzelner Textstellen entspricht nicht dem Originaldokument.) Weitere auf der Internetseite verfügbare Dokumente: 1982 ergänzende Stellungnahmen des CPS: Vorteile und Risiken der Beschneidung: eine andere Sicht, Canadian Medical Association Journal, Band 126: Seite 1399, 15 June 1982 und 1989 ergänzende Stellungnahme der CPS: routinemäßige Beschneidung. http://www.cirp.org/library/statements/cps1975/ - Fogel, Shimon K., CEO, Zentrum für Israelische und Jüdische Angelegenheiten, National Post, 29. Juni 2012: http://www.nationalpost.com/related/topics/many+circumcision+deep+religious+meaning/6858661/story.htm l - Stellungnahme: Neonatale Zirkumzision erneut aufgegriffen, Canadian Medical Association Journal, Band 154(6), Seite 769, 15. März 1996: http://www.cps.ca/en/documents/position/circumcision - Die kanadische Gesundheitsbehörde, Umfrage bezüglich der Erfahrungen innerhalb der kanadischen Mutterschaft : Berichte und Referenzmaterial http://www.phac-aspc.gc.ca/rhs-ssg/survey-eng.php - “What Mothers say: The Canadian Maternity Experiences Survey”, 2009 (Male Circumcision: Abschnitt 38, p. 232). http://www.phac-aspc.gc.ca/rhs-ssg/pdf/survey-eng.pdf - Radio-Canada, CPSBC s'oppose à la circoncision, 15 juillet 2004: http://www.courtchallenge.com/news/bc_circoncision.html 3.14. Kroatien Die Beschneidung minderjähriger Jungen aus religiösen oder medizinisch nicht indizierten Gründen ist keine Straftat im Sinne des Strafrechts der Republik Kroatien. Auch liegen derzeit keine Informationen über eine Gesetzesinitiative vor, die eine solche Strafbarkeit beabsichtigt. Im Oktober 2011 verabschiedete das Kroatische Parlament ein neues Strafgesetzbuch, welches im Januar 2013 in Kraft treten wird. Während der Ausarbeitung und Verabschiedung dieses Gesetzes Wissenschaftliche Dienste Infobrief WD 7 – 3000 – 223/12 Seite 18 wurde darüberhinaus die Möglichkeit einer spezialgesetzlichen Regelung des betreffenden Themas nicht weiter berücksichtigt. Dementsprechend hat sich in der Strafgerichtsbarkeit auch keine rechtliche Praxis herausgebildet . Gleiches gilt für die zivilrechtliche Rechtsprechung. 3.15. Lettland Entsprechend dem „Gesetz über den Schutz der Kinderrechte“ entscheiden die Eltern eines Kindes über dessen religiöse Zugehörigkeit. Folglich ist auch die medizinisch nicht indizierte Beschneidung minderjähriger Jungen aus religiösen oder kulturellen Gründen nicht strafbar. Gegenwärtig gibt es keine Pläne, die in Rede stehende Frage gesetzlich zu regeln. 3.16. Litauen Frage 1: Nein. Fragen 2-5: Nicht relevant. Fragen 6-7: Diesbezüglich sind keine Informationen verfügbar. 3.17. Moldawien Der Begriff „Zirkumzision“ findet nur in einer Entscheidung des Gesundheitsministerium (Nr. 1020 vom 29. Dezember 2011) bezüglich der Festlegung von Gebühren für einen chirurgischen Eingriff am männlichen Genital Erwähnung. Spezialgesetzliche Regelungen hinsichtlich der Strafbarkeit von Beschneidungen minderjähriger Jungen aus religiösen Gründen sind nicht vorhanden. Darüberhinaus ist eine solche gesetzliche Regelung auch nicht geplant. Am 14. März 2011 registrierte das Justizministerium die erste Islamische Organisation in Moldawien . Bisher sind keine zivilgerichtlichen Entscheidungen bezüglich der religiös motivierten Beschneidung ergangen. 3.18. Niederlande Frage 1: Wissenschaftliche Dienste Infobrief WD 7 – 3000 – 223/12 Seite 19 Dieses Thema betrifft eine Art Grauzone in der niederländischen Gesetzgebung. Gegenwärtig ist die Regierung jedoch davon überzeugt, dass die Beschneidung von Jungen nicht ungesetzlich ist. Zu verweisen ist auf Informationen im Internet zu diesem Thema, vgl. Wikipedia, dort unter „Niederlande“23: Jungenbeschneidung ist in den Niederlanden Gegenstand einer Reihe nicht-strafrechtlicher Gerichtsverfahren geworden . In einer Entscheidung vom 23. Mai 2007 hat der Raad van State in einer Asylsache geurteilt, dass die Rechtbank versäumt hatte zu begründen, warum Jungenbeschneidung nicht als eine schwere Form von Misshandlung oder Beschädigung des menschlichen Körpers angesehen werden kann (LJN: BA6061). Des Weiteren ließ der Raad van State offen, ob sie unter den Schutzbereich von Artikel 3 EMRK fällt und ob Jungenbeschneidung tatsächlich eine ernste Form von Misshandlung oder Beschädigung des menschlichen Körpers ist. Der Kinderrichter der Rechtbank Zutphen urteilte in einer Entscheidung vom 31. Juli 2007, dass Jungenbeschneidung ein Eingriff ist, der medizinisch gesehen nicht notwendig ist und überdies unumkehrbar (LJN: BB0833). In einer anderen Entscheidung urteilte die Rechtbank von Amsterdam, dass Jungenbeschneidung gesellschaftlich eingebettet und nicht als schwere Verletzung oder Verstümmelung anzusehen ist. Die niederländische Regierung stellt sich auf den Standpunkt, dass Beschneidung von Jungen nicht strafbar ist. Auf Parlamentarische Anfragen von Ayaan Hirsi Ali antwortete der damalige Minister der Justiz Donner, dass die Entfernung der Vorhaut keine Körperschädigung genannt werden kann und dass die Beschneidung von Jungen vor allem aus religiösen und hygienischen Überlegungen geschehe(n soll). Die KNMG24 sieht Gründe für ein gesetzliches Verbot nicht-therapeutischer Zirkumzision bei minderjährigen Jungen , befürchtet aber, dass ein Verbot den Nachteil haben könne, dass der Eingriff durch nicht-qualifizierte Personen unter solchen Umständen ausgeführt werde, in denen die Qualität des Eingriffs unvollkommen garantiert ist.25 Der Raad voor de Volksgezondheid en Zorg vertritt hingegen die Meinung, dass die KNMG zu Unrecht keinen Unterschied zwischen Jungen- und Mädchenbeschneidung macht und die Religionsfreiheit sowie das Recht von Eltern , ihre Kinder nach eigener Überzeugung aufzuziehen, nicht hinreichend in Rechnung stellt.26 Fragen 2-3: - Frage 4: Es sind einige Gerichtsentscheidungen vorhanden, vgl. die vorherigen Ausführungen. Frage 5: Vgl. die vorherigen Ausführungen. 23 http://nl.wikipedia.org/wiki/Circumcisie. 24 Koninklijke Nederlandsche Maatschappij tot bevordering der Geneeskunst. 25 http://knmg.artsennet.nl/Publicaties/KNMGpublicatie/Niettherapeutische-circumcisie-bij-minderjarige-jongens- 2010.htm (Version in Englisch: http://knmg.artsennet.nl/Publicaties/KNMGpublicatie/Nontherapeuticcircumcision -of-male-minors-2010.htm). 26 Raad voor de Volksgezondheid & Zorg, 2 juni 2010, abrufbar unter: http://rvz.net/nieuws/bericht/de-enebesnijdenis -is-de-andere-niet-reactie-op-knmg-standpunt-jongensbesn. Wissenschaftliche Dienste Infobrief WD 7 – 3000 – 223/12 Seite 20 Anmerkung WD: Der in der niederländlischen Antwort in Bezug genommene niederländische Wikipedia-Artikel benennt bedauerlicherweise keine hinreichenden Belege. Nach hiesigen Erkenntnissen hat sich zudem der niederländische Kassationsgerichtshof (Hoge Raad) 2011 mit der Frage der Strafbarkeit nicht aus medizinischen Gründen veranlasster Jungenbeschneidung als Körperverletzung befasst.27 Anlass war ein Rechtsmittelverfahren gegen einen Beschluss des Gerechtshof Amsterdam von Oktober 2009, der einen Vater, der seine Söhne im Alter von 3 und 6 Jahren im Sommer 2005 der von ihm geschiedenen, mit den Kindern von ihm getrennt lebenden und allein für sie sorgeberechtigten Mutter entzogen und sodann ohne deren Zustimmung hatte beschneiden lassen, freigesprochen hatte, da eine fachkundig ausgeführte Beschneidung nicht als Misshandlung im strafrechtlichen Sinne anzusehen sei. Der Hoge Raad hat den Ausspruch des Vorgerichts im Hinblick auf den Vorwurf der einfachen Misshandlung zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. Frage 6: Derzeit nicht. Anmerkung WD: Nach hiesigen Erkenntnissen hat der niederländische Minister für Volksgesundheit , Wohlfahrt und Sport im Oktober 2011 in einer Antwort auf parlamentarische Fragen ausgeführt, dass die Regierung keine Veranlassung für ein Verbot der Beschneidung sehe.28 Fage 7: Nein. 3.19. Norwegen Die medizinisch nicht indizierte Beschneidung minderjähriger Jungen aus religiösen oder kulturellen Gründen ist in Norwegen nicht strafbar. Die aufgrund einer Beschneidung entstehenden Komplikationen könnten jedoch von § 229 des norwegischen Allgemeinen Strafgesetzbuches erfasst sein: „Jeder, der einen anderen in seiner körperlichen Unversehrtheit oder in seiner Gesundheit verletzt oder diesen in den Zustand der Hilflosigkeit, Bewusstlosigkeit oder in einen ähnlichen Zustand versetzt oder zu einer solchen Tat Hilfe leistet oder anstiftet, ist wegen einer Körperverletzung schuldig und wird mit einer Freiheitsstrafe von maximal vier Jahren bestraft. Eine Freiheitsstrafe bis zu sechs Jahre darf verhängt werden, sofern eine länger als zwei Wochen andauernde Krankheit oder Arbeitsunfähigkeit oder ein unheilbarer Schaden oder Beeinträchtigung verursacht wurde. Eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren ist zu verhängen, sofern der Tod oder eine erhebliche Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Gesundheit verursacht wurde.“ In der norwegischen Rechtsprechung finden sich wenige Urteile bezüglich religiös motivierten Beschneidungen. Beispielsweise hatte ein Amtsgericht im Jahr 2009 einen Fall zu entscheiden, 27 Hoge Raad - Strafkamer, Beschluss vom 5. Juli 2011, Az. 09/04431 (LJN BQ6690), abrufbar unter: http://zoeken.rechtspraak.nl/detailpage.aspx?ljn=BQ6690. 28 Antwort des Ministers Schippers vom 25. Oktober 2011 auf Fragen der Abgeordneten Wiegman-van Meppelen Scheppink, in: Handelingen Tweede Kamer der Staten-Generaal, Vergaderjaar 2011-2012, Aanhangsel Nr. 406, S. 2, im Internet abrufbar unter: https://zoek.officielebekendmakingen.nl/ah-tk-20112012-406.html. Wissenschaftliche Dienste Infobrief WD 7 – 3000 – 223/12 Seite 21 bei dem die Staatsanwaltschaft einen in Norwegen nicht zugelassenen Arzt anklagte, weil dieser zwei Brüder im Alter von neun und elf Jahren beschnitten und dadurch eine Infektion verursacht hatte. Auch die Eltern der beiden Kinder verklagten den von ihnen selbst beauftragten Arzt auf Schadensersatz. Das Gericht sprach den Arzt jedoch in erster Linie aufgrund der durch die Eltern erteilten Einwilligung frei. Diese Einwilligungsmöglichkeit ergibt sich insbesondere aus § 235 des norwegischen Strafgesetzbuchs. Norwegische Behörden planen weder, die Beschneidung ausdrücklich unter Strafe zu stellen, noch, sie ausdrücklich von der Strafbarkeit auszunehmen. Im Jahr 2011 hat das Ministerium für Gesundheit und Pflege einen Vorschlag hinsichtlich der Reglementierung religiöser Jungenbeschneidungen zur Beratung übermittelt. Der Vorschlag sieht vor, gesetzlich sicherzustellen, dass die religiöse Beschneidung, gerade auch außerhalb öffentlicher Krankenhäuser, sicher durchgeführt wird. Insbesondere schlägt das Beratungspapier vor, dass die religiöse Beschneidung kostenlos und nur durch einen Arzt oder eine andere fachlich geschulte Person ausgeführt werden darf. Aufgrund einiger Kritik bezüglich der Ausarbeitungen hat das Ministerium bisher noch keine abschließenden Entscheidung hinsichtlich der Zirkumzision getroffen. 3.20. Österreich Zu den Fragen 1 bis 4 und 6 ist auf den Erlass des Bundesministeriums für Justiz vom 31. Juli 2012 zur Frage der strafrechtlichen Relevanz der Vornahme einer Beschneidung an Knaben aus religiösen Motiven zu verweisen: „BMJ-S120.001/0003-IV/2012 Erlass vom 31. Juli 2012 zur Frage der strafrechtlichen Relevanz der Vornahme einer Beschneidung an Knaben aus religiösen Motiven Im Hinblick auf die im Zuge eines Urteils eines deutschen Landgerichts zur Frage der strafrechtlichen Relevanz der Vornahme einer Beschneidung eines minderjährigen Knaben mit der religiös motivierten Einwilligung sorgeberechtigter Eltern entstandenen Unsicherheiten sieht sich das Bundesministerium für Justiz veranlasst, Staatsanwaltschaften und Gerichte – unvorgreiflich der unabhängigen Rechtsprechung – über seine Rechtsansicht zu informieren : 1. Bislang sind – soweit überblickbar – keine österreichischen Strafverfahren, geschweige denn Urteile im Zusammenhang mit der rituellen Beschneidung von Knaben bekannt. 2. Im Schrifttum werden solche Beschneidungen unter dem Aspekt der Straflosigkeit zufolge Einwilligung behandelt : 2.1. Nach § 90 Abs. 1 StGB ist eine Körperverletzung oder Gefährdung der körperlichen Sicherheit nicht rechtswidrig , wenn der Verletzte oder Gefährdete in sie einwilligt und die Verletzung oder Gefährdung als solche nicht gegen die guten Sitten verstößt. Mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 2001 wurde der Bestimmung des § 90 StGB ein Abs. 3 angefügt, der hinsichtlich genitaler Verstümmelungen jegliche Möglichkeit ausschließt, in diese mit strafbefreiender Wirkung für den Täter einzuwilligen. In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage des StRÄG 2001, 754 BlgNR XXI. GP, 11, finden sich in Bezug auf den vorliegenden Kontext folgende Ausführungen: „Diese als (klarstellende) Ausnahmebestimmung zur Einwilligungsfähigkeit von Körperverletzungen gedachte Regelung wurde unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Begutachtungsverfahrens geschlechtsneutral formuliert. An der Rechtslage bezüglich der weit verbreiteten männlichen Beschneidung ändert sich durch die neu vorgeschlagene Bestimmung nichts. Allfälligen Bedenken, dass auf Grund dieser Bestimmung die männliche Beschneidung nunmehr jedenfalls gerichtlich strafbar wäre, ist schon entgegenzuhalten, dass es sich in diesem Fall nur um eine leichte Körperverletzung handelt, die auch nicht geeignet ist, das sexuelle Empfinden zu beeinträchtigen.“ 2.2. Im Wiener Kommentar zum StGB nehmen Burgstaller/Schütz zu § 90 Abs. 3 StGB auch auf die Regierungsvorlage zum StRÄG 2001 Bezug und führen aus, dass einfache männliche Beschneidungen der Penisvorhaut durch deren Einschneiden oder deren teilweise oder gänzliche Entfernung vom Anwendungsbereich des generellen Einwilligungsausschlusses nach § 90 Abs. 3 StGB ausgenommen sind, was nach den beiden Autoren zu dem Ergebnis führt, dass derartige Eingriffe den allgemeinen Einwilligungsregeln unterliegen (Rz 198). Wissenschaftliche Dienste Infobrief WD 7 – 3000 – 223/12 Seite 22 2.3. Nach allgemeinen Einwilligungsregeln bewirkt die Einwilligung durch den zu Beschneidenden eine Rechtfertigung der Körperverletzung (so Kienapfel/Schroll, Strafrecht Besonderer Teil I2 Rz 86 zu § 90). 2.4. Nach Kienapfel/Schroll, aaO bewirkt bei Kindern die Einwilligung durch deren gesetzliche Vertreter die Rechtfertigung der Körperverletzung. 2.5. Pichler „Religionsfreiheit – Elternrechte – Kinderrechte“. ÖJZ 1997, 450, vertritt (aus zivilrechtlicher Sicht) die Ansicht, dass die Beschneidung im Rahmen der jüdischen Religion sowie des Islam nicht den guten Sitten widerspricht , wobei er auf § 90 StGB verweist und insoweit gleichfalls von Rechtfertigung durch Einwilligung der Eltern ausgeht. Ausdrücklich führt er aus, dass „unter Bedachtnahme auf § 90 Abs 1 StGB, die Beschneidung an männlichen Säuglingen israelitischer und muslimischer Konfession, vom Erziehungsberechtigten angeordnet, als nicht gegen die guten Sitten verstoßend anzusehen sein wird, weil es sich um eine – auch in Europa (Spanien seit 711) – seit Jahrtausenden praktizierte Religionsübung zweier seit mehr als hundert (IsraelitenG 1890) bzw achtzig Jahren (Anerkennung des Islam 1912) in Österreich gesetzlich anerkannter Religionsgesellschaften handelt.“ 2.6. Burgstaller/Schütz, aaO, Rz 43, behandeln die Frage der vertretungsweisen Einwilligung bei einwilligungsunfähigen Kindern jedoch auch im Kontext medizinischer Eingriffe, die keine Heilbehandlung darstellen: „Bei anderen Eingriffen ist infolge des Ranges und des höchstpersönlichen Charakters des betroffenen Rechtsguts für die Zulassung fremdbestimmter Eingriffe Vorsicht am Platz. Als rechtliche Grundlage für die Zulassung einer vertretungsweisen Einwilligung durch den gesetzlichen Vertreter kommt aber nunmehr ebenfalls die Bestimmung des § 146c Abs 1 ABGB, und zwar dessen zweiter Satz in Betracht: (…) Der in § 146c ABGB verwendete Begriff der „medizinischen Behandlung“ ist so weit zu verstehen, dass davon grundsätzlich auch medizinische Eingriffe außerhalb von Heilbehandlungen erfasst sind. Da die in Rede stehende Regelung (…) partiell auch für nicht medizinische Eingriffe in die körperliche Integrität als analogiefähig betrachtet wird (…), könnte sich ihr Anwendungsfeld noch darüber hinaus erstrecken. Hervorzuheben ist für die Wirksamkeit einer in Vertretung erteilten Einwilligung allerdings, dass die Ausübung des Vertretungsrechts unter der Beachtung des Wohls des Betroffenen zu erfolgen hat.“ 2.7. Nach dem erwähnten § 146c Abs. 1 ABGB kann das einsichts- und urteilsfähige Kind Einwilligungen in medizinische Behandlungen nur selbst erteilen; im Zweifel wird das Vorliegen dieser Einsichts- und Urteilsfähigkeit bei mündigen Minderjährigen vermutet. Mangelt es an der notwendigen Einsichts- und Urteilsfähigkeit, so ist die Zustimmung der Person erforderlich, die mit Pflege und Erziehung betraut ist. 2.8. Wenn man nicht zu Heilzwecken vorgenommene, sondern religiös motivierte Beschneidungen nicht als medizinische Behandlungen im obigen Sinn ansieht, bliebe in zivilrechtlicher Hinsicht zu ihrer Rechtfertigung, dass man sie als Maßnahmen der religiösen Erziehung ansieht. Auch diese kommt grundsätzlich den Eltern zu (vgl. §§ 144, 146 ABGB). In beiden Fällen müssen sich aber die Maßnahmen an der Wahrung des Kindeswohls messen (vgl. Barth in Fenyves/Vonkilch/Kerschner, ABGB3 Rz 10 zu § 146 ABGB, Rz 37 zu § 146c ABGB). 2.9. Zusammenfassend bedeutet dies, dass eine vertretungsweise Einwilligung durch die Eltern in eine Körperverletzung des Kindes (auch) in strafrechtlicher Hinsicht dann rechtswirksam sein wird, wenn die Maßnahme im Interesse des Kindeswohls gelegen ist, wobei es im österreichischen strafrechtlichen Schrifttum derzeit keine Äußerungen gibt, die das Kindeswohl durch eine religiös motivierte Einwilligung in eine Beschneidung gefährdet sehen . 2.10. Straflosigkeit kraft Einwilligung durch die Eltern wurde auch jüngst in der Regierungsvorlage des (am 19.7.2012 im Bundesrat angenommenen) Bundesgesetzes über die Durchführung von ästhetischen Behandlungen und Operationen vertreten (1807 BlgNR XXIV. GP, 11). So heißt es dort: „Obwohl die männliche Beschneidung zweifellos eine Körperverletzung im Sinne des Strafgesetzbuches darstellt, verstößt die Beschneidung an männlichen Säuglingen israelitischer und muslimischer Konfession nicht gegen die guten Sitten, sofern diese nicht gegen den Willen der Eltern durchgeführt wird. Dies deshalb, da es sich um in Österreich anerkannte Religionsgesellschaften handelt, die auf Grund der religiösen Motivation als nicht rechtswidrig anzusehen sein wird, sofern die Einwilligung des Verletzten gemäß § 90 StGB vorliegt.“ 3. Auf der Basis des vorstehenden Befunds ist daher die Frage, ob die religiös motivierte Beschneidung von Knaben in Österreich strafbar ist, zu verneinen; ein Ergebnis, das auch Fuchs, Religionsfreiheit erlaubt nicht alles, Rechtspanorama vom 30. Juli 2012, – wenn auch mit unterschiedlicher Akzentuierung – teilt. 4. Abschließend ist zu bemerken, dass sich die Situation in Österreich insoweit von jener in Deutschland unterscheidet , wo es keine dem österreichischen § 90 Abs 3 StGB vergleichbare Regelung gibt und wo die Meinung, dass die rituelle Beschneidung von Knaben strafbar sei, nicht erst von einem Landgericht vertreten wurde, sondern wo diese Ansicht im strafrechtlichen Schrifttum bereits zuvor von einer namhaften Zahl von Autoren geäußert wurde und laut wissenschaftlichem Dienst des deutschen Bundestages sogar die herrschende Auffassung im Schrifttum darstellt. 5. Es handelt sich im Sinne des § 8 Abs. 1 StAG um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, weshalb über Verfahren, denen die hier behandelte Fragestellung zu Grunde liegt, gemäß §§ 8 Abs. 1, 8a Abs. 2 StAG zu berichten wäre.“ Wissenschaftliche Dienste Infobrief WD 7 – 3000 – 223/12 Seite 23 Die darin zitierten Gesetzesbestimmungen können im Internet kostenfrei in deutscher Sprache abgerufen werden.29 Frage 5: Dem österreichischen Bundesministerium für Justiz sind keine österreichischen Strafverfahren im Zusammenhang mit der rituellen Beschneidung von minderjährigen Jungen bekannt. Frage 7: Soweit ersichtlich, wurden bislang keine zivilgerichtlichen Entscheidungen österreichischer Gericht zu religiös motivierten, fachgerecht vorgenommenen Beschneidungen von minderjährigen Jungen veröffentlicht. 3.21. Polen Die medizinisch nicht indizierte Beschneidung minderjähriger Jungen aus religiösen oder kulturellen Gründen ist in Polen nicht strafbar. Das polnische Strafgesetzbuch vom 6. Juni 1997 (PCC) verfügt über keinen speziellen Tatbestand hinsichtlich eines derartigen Eingriffs. Die medizinisch nicht indizierte Beschneidung minderjähriger Jungen könnte jedoch als durchschnittliche Körperverletzung oder Beeinträchtigung der Gesundheit zu qualifizieren sein. In Artikel 157 § 1 des PCC ist geregelt, dass derjenige, der einen körperlichen Schaden oder eine Beeinträchtigung der Gesundheit verursacht, sofern es nicht unter die Strafbarkeit des Artikel 156 § 1 fällt, mit einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten bis zu 5 Jahren zu bestrafen ist. Artikel 156 des Polnischen Strafgesetzbuches regelt: § 1 Jeder, der eine schwere Beeinträchtigung der Gesundheit verursacht, namentlich in Form 1) der Entziehung des Augenlichts, der Hörfähigkeit, der Sprechfähigkeit, der Zeugungsfähigkeit, 2) der Verursachung einer schweren Behinderung, einer schweren unheilbaren oder langfristigen Krankheit, einer Krankheit, die den Verletzten in die Gefahr des Todes bringt, einer dauerhaften Geisteskrankheit, einer vollständigen oder erheblichen permanenten Unfähigkeit, einen Beruf auszuüben oder einer dauerhaften körperlichen Entstellung oder Verunstaltung, ist mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem bis zu zehn Jahren zu bestrafen. § 2 Handelt der Täter absichtslos, so beträgt die Freiheitsstrafe nicht mehr als drei Jahre. § 3 Verursacht die unter § 1 beschriebene Tathandlung den Tod einer Person, so ist der Täter mit einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei, jedoch nicht über zwölf Jahren zu bestrafen. Zudem kommt eine Strafbarkeit nach Artikel 157 § 2 des PCC in Betracht, wonach derjenige, der einen nicht länger als 7 Tage andauernden Schaden an Körper oder Gesundheit verursacht, mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe nicht über 2 Jahren zu bestrafen ist. Außerdem sieht das polnische Strafgesetzbuch in mehreren Straftatbeständen ausdrücklich die Möglichkeit vor, durch eine Einwilligung ein Verbrechen oder dessen Illegalität auszuschließen. Die Trennung zwischen dem Ausschluss des Verbrechens an sich, dessen Illegalität oder der Schuldfähigkeit ist dabei Teil der rechtswissenschaftlichen Diskussion. Unabhängig davon haben die Rechtsprechung und die Rechtswissenschaft eine Lehre bezüglich der Einwilligung des Op- 29 http://www.ris.bka.gv.at. Wissenschaftliche Dienste Infobrief WD 7 – 3000 – 223/12 Seite 24 fers als Rechtfertigung entwickelt – obwohl dies nicht wörtlich im Strafgesetzbuch Erwähnung findet –, die jedoch nur auf bestimmte strafrechtlich geschützte Rechtsgüter Anwendung findet (zum Beispiel kann eine Person nicht hinsichtlich der eigenen Tötung einwilligen). Nach dieser Lehre des Strafrechts in Polen könnte die Einwilligung eines Erwachsenen als Umstand, der die strafrechtliche Haftung ausschließt, herangezogen werden. Dies jedenfalls dann, wenn die Tathandlung ihn selbst betrifft und sie einen körperlichen Schaden oder eine gesundheitliche Beeinträchtigung verursacht, die nicht länger als sieben Tage andauert. Eine solche Beurteilung scheint jedoch dann zweifelhaft, wenn die betroffene Person nicht in der Lage ist, eine wirksame Einwilligung abzugeben (so zum Beispiel bei einem Kind). Die elterliche Fürsorge umfasst in Polen nicht das Recht, Einwilligungen für medizinisch nicht indizierte Maßnahmen zu erteilen, dies betrifft auch die Beschneidung eines minderjährigen Jungen aus religiösen oder kulturellen Gründen. Auf der anderen Seite könnte die medizinisch nicht indizierte Beschneidung minderjähriger Jungen aus religiösen oder kulturellen Gründen als ein rechtlich nicht relevanter Eingriff angesehen werden. Das polnische Strafgesetz setzt für die Entstehung einer strafrechtlichen Verantwortung voraus, dass die Tat zum Zeitpunkt ihrer Begehung durch ein gültiges Gesetz verboten ist (Artikel 1 § 1 PCC). Zusätzlich muss die Tat nicht unerhebliche soziale Konsequenzen mit sich bringen. Hat die Tat hingegen gar keine sozialen Folgen oder sind diese von nur unbedeutender Natur, so liegt schon keine Straftat vor (Artikel 1 § 2 PCC). Der Grad der sozialen Folgen einer Straftat wird in Polen in die Überlegungen bezüglich der Art der Strafe mit einbezogen. Nur wenn die sozialen Folgen unwesentlich sind, kann die weitere Strafverfolgung unter Umständen abgebrochen werden . Fälle von Körperverletzungen oder Gesundheitsbeeinträchtigungen im Zusammenhang mit medizinisch nicht indizierten Beschneidungen minderjähriger Jungen werden in Polen weder untersucht noch angeklagt. Es liegen weder zivilrechtliche noch strafrechtliche Gerichtsurteile zu diesem rechtlichen Problem vor. Gemäß der polnischen Strafprozessordnung klagt theoretisch die Staatsanwaltschaft die Fälle an, in denen Kinder auf Verlangen der Eltern verletzt worden sind. Gegenwärtig gibt es keine Pläne oder Initiativen, die medizinisch nicht indizierte Beschneidung männlicher Jungen aus religiösen Gründen zu regeln. 3.22. Portugal Die nicht-therapeutische Beschneidung von männlichen Minderjährigen aus religiösen oder kulturellen Gründen wird in Portugal nicht kontrovers beurteilt. Es gibt keine einschlägigen Gesetze, die sie ausdrücklich gestatten oder untersagen würden. Nach hiesigem Kenntnisstand gibt es bis zum jetzigen Zeitpunkt weder Gerichtsurteile noch Pläne oder Initiativen, die Frage einer gesetzlichen Regelung zuzuführen. 3.23. Rumänien Die medizinisch nicht indizierte Beschneidung minderjähriger Jungen aus religiösen oder kulturellen Gründen ist in Rumänien nicht strafbar. Wissenschaftliche Dienste Infobrief WD 7 – 3000 – 223/12 Seite 25 3.24. Schweden Die Antwort auf Frage 1 ist nein. Gemäß dem Gesetz zur Beschneidung von Jungen vom 7. Juli 2001 ist die Beschneidung minderjähriger Jungen grundsätzlich erlaubt. Es gibt jedoch Einschränkungen dieses Grundsatzes. Der Gesetzeswortlaut lautet wie folgt30: Gesetz zur Beschneidung von Jungen SFS 2001:499 gedruckt erschienen am 19. Juni 2001 erlassen am 7. Juli 2001 Gemäß dem Beschluss des Reichstags (Regierungsvorlage 2000/01, Bericht 2000/01:SoU17, Schreiben des Reichstags 2000/01:258) wird Folgendes vorgeschrieben. § 1 Unter Beschneidung wird in diesem Gesetz ein chirurgischer Eingriff verstanden, der das Ziel hat, ganz oder teilweise die Vorhaut um den Penis zu entfernen und der nicht eine Krankenpflegemaßnahme im Sinne § 1 Gesundheits - und Krankenpflegegesetz (1982:763) darstellt. Dieses Gesetz findet Anwendung für die Beschneidung von Jungen bis zum Alter von 18 Jahren. § 2 Wenn ein Arzt die Beschneidung gemäß diesem Gesetz ausführt oder ein Arzt beziehungsweise eine Krankenschwester Schmerzbehandlung gemäß diesem Gesetz vornehmen, gelten das Gesetz (1998:531) über die Ausübung von Berufen im Gesundheitswesen, das Patientenverletzungsgesetz (1996:799) und das Gesetz über das Führen von Krankenakten (1987: 562). § 3 Die Beschneidung darf auf Wunsch beziehungsweise nach Einwilligung des Erziehungsberechtigten des Jungen und nach Aufklärung des Erziehungsberechtigten über die Auswirkungen des Eingriffs ausgeführt werden. Hat der Junge zwei Erziehungsberechtigte, gilt dies für beide. Derjenige, der den Eingriff ausführt, hat selbst oder durch eine medizinisch kundige Person dafür zu sorgen, dass die Aufklärung durchgeführt wird. Diese Aufklärung ist auch dem Jungen zu geben, falls er über das Alter und die Reife verfügt, die erforderlich sind, um die Aufklärung zu verstehen. So weit möglich, ist die Einstellung des Jungen zu dem Eingriff zu klären. Ein Eingriff darf nicht gegen den Willen des Jungen ausgeführt werden. § 4 Der Eingriff ist unter Schmerzbehandlung auszuführen, die durch einen approbierten Arzt oder eine approbierte Krankenschwester unter sicheren hygienischen Verhältnissen und mit Rücksicht auf das Wohl des Jungen erfolgt. § 5 30 Inoffizielle, im Auftrag der Bundestagsverwaltung angefertigte Übersetzung. Originalfassung abrufbar unter http://www.riksdagen.se/sv/Dokument-Lagar/Lagar/Svenskforfattningssamling/sfs_sfs-2001-499/. Wissenschaftliche Dienste Infobrief WD 7 – 3000 – 223/12 Seite 26 Die Beschneidung darf nur von einem approbierten Arzt oder einer Person, die über eine Sondergenehmigung zur Ausführung von Beschneidung von Jungen verfügt, ausgeführt werden. Eine andere Person als ein approbierter Arzt darf die Beschneidung von Jungen, die älter als zwei Monate sind, nicht ausführen. § 6 Die Sondergenehmigung zur Ausführung von Beschneidung kann einer Person erteilt werden, die von einer Glaubensgemeinschaft vorgeschlagen wurde, in der die Beschneidung ein Teil der religiösen Tradition ist. Diese Person muss über die Kompetenz verfügen, die in § 11 vorgeschrieben ist. Sie muss weiterhin so eingeschätzt werden, dass sie den Eingriff entsprechend den für den Eingriff geltenden Anforderungen ausführen kann und auch ansonsten geeignet ist, Beschneidungen auszuführen. Die Genehmigung gemäß Abs. 1 wird vom Zentralamt für Gesundheits- und Sozialwesen erteilt nach Antragstellung durch die Person, die für den Erhalt der Genehmigung vorgeschlagen wurde. § 7 Das Zentralamt für Gesundheits- und Sozialwesen kann einer Person die Sondergenehmigung zur Ausführung von Beschneidung entziehen, wenn diese die Beschneidung auf unkundige oder auf sonstige ungeeignete Weise ausführte oder aus anderen Gründen ungeeignet ist, Beschneidungen durchzuführen oder wenn die Genehmigung nicht länger genutzt wird. Der Beschluss des Zentralamtes für Soziales zur Entziehung der Genehmigung gilt mit sofortiger Wirkung. § 8 Das Zentralamt für Gesundheits- und Sozialwesen führt die Aufsicht über die Tätigkeit von Personen mit Sondergenehmigung zur Ausführung von Beschneidung. Das Zentralamt für Gesundheits- und Sozialwesen hat das Recht, derartige Tätigkeit zu prüfen, Angaben einzuholen sowie in Unterlagen, die für die Prüfung erforderlich sind, Einsicht zu nehmen. § 9 Eine Person, die nicht approbierter Arzt beziehungsweise nicht im Besitz der Sondergenehmigung ist und die Beschneidung eines Jungen ausführt, wird zu Geldstrafe oder Gefängnisstrafe von maximal sechs Monaten verurteilt. § 10 Gegen den Beschluss des Zentralamtes für Gesundheits- und Sozialwesen gemäß diesem Gesetz kann bei einem allgemeinen Verwaltungsgericht Berufung eingelegt werden. Bei Berufung vor dem Oberverwaltungsgericht ist die Zulassung der Berufung erforderlich. § 11 Die Regierung oder eine Behörde, die von der Regierung benannt wird, kann Vorschriften erlassen über - welche Kompetenz eine Person, die nicht approbierter Arzt ist, verfügen muss, um die Sondergenehmigung zur Ausführung von Beschneidung zu erhalten; - Schmerzbehandlung; - wie der Eingriff im Allgemeinen auszuführen ist sowie - die Aufklärung, die dem Jungen und seinen Erziehungsberechtigten zu geben ist. Dieses Gesetz tritt am 1. Oktober 2001 in Kraft. 3.25. Schweiz In der Schweiz gibt es keine gesetzlichen Normen gegen die Beschneidung von Jungen. Nur die weibliche Genitalverstümmelung wird strafrechtlich verfolgt : Art. 124 Strafgesetzbuch: Verstümmelung weiblicher Genitalien 1) Wer die Genitalien einer weiblichen Person verstümmelt, in ihrer natürlichen Funktion erheblich und dauerhaft beeinträchtigt oder sie in anderer Weise schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe nicht unter 180 Tagessätzen bestraft. Wissenschaftliche Dienste Infobrief WD 7 – 3000 – 223/12 Seite 27 2) Strafbar ist auch, wer die Tat im Ausland begeht, sich in der Schweiz befindet und nicht ausgeliefert wird. Artikel 7 Absätze 4 und 5 sind anwendbar. Anmerkung WD: Vgl. zur Rechtslage in der Schweiz auch Giger, Zirkumzision – ein gesellschaftliches und strafrechtliches Tabu, in: forumpoenale 2012, S. 95 ff., die als Staatsanwältin zu einem anderen Befund (Strafbarkeit der Beschneidung als einfache Körperverletzung) kommt.31 3.26. Serbien Fragen 1- 7: Nein bzw. nicht einschlägig. 3.27. Slowakische Republik Frage 1: Die medizinisch nicht indizierte Beschneidung minderjähriger Jungen aus religiösen oder kulturellen Gründen ist in der Slowakischen Republik keine Tathandlung im Sinne des Strafgesetzbuches . Sie könnte jedoch unter andere Tatbestände, zum Beispiel unter den Tatbestand der Körperverletzung zu subsumieren sein. Es kann jedoch mit Bestimmtheit festgestellt werden, dass in der Gesetzgebung der Slowakei der Begriff „Zirkumzision“ nicht erwähnt wird. Fragen 2-4: - Frage 5: Nein. Frage 6: Bisher nicht. Frage 7: - 31 (Kostenpflichtig) abrufbar unter http://www.forumpoenale.recht.ch/fp/lpext.dll/fp/avfp12/fp0212/inhfp0212?fn=documentframe .htm&f=templates&2.0. Wissenschaftliche Dienste Infobrief WD 7 – 3000 – 223/12 Seite 28 3.28. Slowenien Anmerkung WD: Die slowenische Antwort verweist auf eine vorherige EZPWD-Anfrage zur weiblichen Genitalverstümmelung. Das dort zur Rechtslage in Slowenien Ausgeführte gelte entsprechend auch für die vorliegende Fragestellung. Nachfolgend wird deshalb die in Bezug genommene Antwort (nebst damaliger Fragestellung) dokumentiert: 1. Frage: Welche Bestimmungen hinsichtlich der weiblichen Genitalverstümmelung gibt es in Ihrem Land? In der Republik Slowenien sind wir weder mit der Thematik der weibliche Genitalbeschneidung konfrontiert worden noch haben wir Informationen darüber. Das Strafgesetzbuch der Republik Slowenien (in der Version KZ-1) kennt keinen speziellen Tatbestand bezüglich der weiblichen Genitalbeschneidung, es besteht jedoch die Möglichkeit, diesen Eingriff unter die folgenden Tatbestände zu fassen: – Straftatbestand der verschärften Körperverletzung, welcher in Artikel 123 des Strafgesetzbuches -1 geregelt ist; namentlich ist dort geregelt, dass derjenige, der einer anderen Person derart einen körperlichen Schaden zufügt oder ihn an der Gesundheit schädigt, dass dies möglicherweise das Leben der verletzten Person in Gefahr bringt oder zur Zerstörung oder dauerhaften schweren Beeinträchtigung eines Organs oder Körperteils führt oder eine vorübergehende ernstliche Schwächung eines wichtigen Teils oder Organs des Köpers, eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit, eine dauerhafte oder vorübergehende schwere Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit, eine vorübergehende Entstellung oder eine schwere vorübergehende oder eine weniger ernstliche, dafür aber permanente Schädigung der Gesundheit der verletzten Person verursacht, mit einer Freiheitsstrafe von nicht unter 6 Monaten und nicht über 5 Jahren bestraft wird. Verursacht die oben beschriebene Körperverletzung den Tod der verletzten Person („qualifizierte Form“ des Straftatbestandes), so ist der Täter mit einer Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr und nicht über zehn Jahren zu bestrafen ; – Straftatbestand der schwerwiegenden Körperverletzung, welcher in Artikel 124 des Strafgesetzbuches -1 geregelt ist; namentlich geregelt ist dort, dass derjenige, der einer anderen Person einen derart schweren körperlichen Schaden zufügt oder sie so an der Gesundheit schädigt, dass dies das Leben der verletzten Person gefährdet, die Zerstörung oder die dauerhafte Beeinträchtigung eines wichtigen Körperteils oder Organs, die dauerhafte Arbeitsunfähigkeit oder einen dauerhaften schweren Schaden an ihrer Gesundheit verursacht, mit einer Freiheitsstrafe von nicht weniger als einem und nicht mehr als zehn Jahren bestraft wird. Verursacht die oben bezeichnete Körperverletzung den Tod der verletzten Person („qualifizierte Form“ des Straftatbestandes), so ist der Täter mit einer Freiheitsstrafe von nicht unter drei und nicht über 15 Jahren zu bestrafen. 2. Frage: In den Fällen, in denen die Tat als strafbare Handlung unter das Strafgesetzbuch fällt: Können Gründe vorliegen, die die Tat rechtfertigen oder entschuldigen und für den Täter damit als mildernde Umstände gelten? In Artikel 49, der sich im allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches-1 befindet, ist geregelt, dass der Täter hinsichtlich der von ihm begangen Straftat im Rahmen des gesetzlich vorgegebenen Straf- Wissenschaftliche Dienste Infobrief WD 7 – 3000 – 223/12 Seite 29 maßes und unter Beachtung der Schwere der Tat und seiner Schuldfähigkeit zu verurteilen ist. Bei der Festsetzung der Strafe hat das Gericht alle Umstände zu berücksichtigen, die einen Einfluss auf die Bewertung der Strafe (mildernde und schärfende Umstände) haben, insbesondere: den Grad der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Täters, das Tatmotiv, die Intensität der Gefahr oder Verletzung des durch das Gesetz geschützten Rechtsguts, das in der Vergangenheit liegende Verhalten des Täters, seine persönlichen und finanziellen Verhältnisse, sein Verhalten nach Begehung der strafbaren Handlung und insbesondere, ob er den durch die Straftat entstanden Schaden ausgeglichen hat und schließlich alle übrigen persönlichen Umstände des Täters. Das Gerichtsurteil beruht auf den konkreten Umständen der Straftat und des Täters selbst (innerhalb des für die Straftat vorgegebenen gesetzlichen Rahmens). Bezüglich der weiblichen Genitalbeschneidung oder der weiblichen Genitalverstümmelung haben wir keine Informationen, ob es bereits Präzedenzfälle auf diesem Gebiet gibt. 3.29. Tschechien Fragen 1-6: Nein. Frage 7: Nicht bekannt. 3.30. Türkei Fragen 1-7: Nein. 3.31. Ungarn Fragen 1-7: Nein. 3.32. Vereinigte Staaten von Amerika Frage 1: Nein. In den Vereinigten Staaten von Amerika sind zirka 75% der Männer beschnitten, was einer der höchsten Anteile in Industrienationen ist. Die Zahl der Beschneidungen ist jedoch rückläufig. Wissenschaftliche Dienste Infobrief WD 7 – 3000 – 223/12 Seite 30 Die Regelung der Beschneidung fällt derzeit in die Zuständigkeit der 50 einzelnen Bundestaaten, eine Bundeszuständigkeit besteht nicht.32 Im Jahr 2011 unternahmen einige Organisationen in San Franzisko, Kalifornien den Versuch, ein Verbot von Beschneidungen im Rahmen einer lokalen Wahl zur Abstimmung zu stellen. Im Juli 2011 wurde diese Abstimmung richterlich untersagt, da es sich um eine weit verbreitete medizinische Maßnahme handele und medizinische Dienste in die Zuständigkeit des Bundesstaates fielen, nicht in die der jeweiligen Stadt. Als Reaktion auf diesen Versuch, ein Beschneidungsverbot einzuführen, verabschiedete Kalifornien im November 2011 ein Gesetz, das es lokalen Gesetzgebern auf Kreis- und Stadtebene ausdrücklich untersagt, die Praxis der männlichen Beschneidung einzuschränken, und stellt fest, dass Gesetze, die die männliche Beschneidung betreffen, im gesamten Staat einheitlich angewendet werden müssten.33 Fragen 2 bis 4: Nicht einschlägig. Frage 5: Ja, es gibt Gerichtsentscheidungen von Gerichten einzelner Bundesstaaten. Entscheidungen von Bundesgerichten gibt es nicht. Für einen Überblick über die Urteile vergleiche Wikipedia.34 Frage 6: Siehe oben zum kalifornischen Gesetz vom vergangenen Jahr. Frage 7: Ja, vgl. Wikipedia.35 3.33. Zypern Frage 1: 32 Quellen: http://well.blogs.nytimes.com/2010/08/17/u-s-circumcision-rates-on-the-decline/ sowie http://www.cdc.gov/hiv/resources/factsheets/circumcision.htm. 33 Quellen: http://www.cnn.com/2011/10/02/health/california-circumcision-law/index.html, http://www.usatoday.com/news/religion/story/2011-10-03/circumcision-ban-california/50647014/1 sowie http://www.cnn.com/2011/10/02/health/california-circumcision-law/index.html. 34 http://en.wikipedia.org/wiki/Circumcision_%26_law#United_States. 35 http://en.wikipedia.org/wiki/Circumcision_%26_law#United_States. Wissenschaftliche Dienste Infobrief WD 7 – 3000 – 223/12 Seite 31 Nach Artikel 25 des Gesetzes über die Zulassung von Ärzten (Registration of Doctors Law – O Peri Eggrafis Iatron Nomos) ist die Beschneidung aus religiösen Gründen erlaubt, wenn der muslimische Arzt ein Zertifikat des Zyprischen Medizinischen Rates (Cyprus Medical Council) erworben hat, das seine Befähigung zur Durchführung von Beschneidungen ausweist. Wenn der danach zur Vornahme von Beschneidungen berechtigte Arzt es bei der Durchführung einer Beschneidung unterlässt, die erforderlichen antiseptischen Maßnahmen zu treffen, kann das Zertifikat entzogen werden. Fragen 2 bis 7: Nicht einschlägig. 4. Zusammenfassung – Mit Ausnahme von Schweden existieren offenbar in keinem der befragten Länder explizite strafrechtliche Regelungen zur Zirkumzision bei Minderjährigen. – In einigen Ländern (Italien, Schweden, wohl auch Zypern) ist gesetzlich festgelegt, dass Beschneidungen nur von Ärzten oder ärztlich geschulten Personen vorgenommen werden dürfen. In Schweden wird hierbei nach dem Alter des Jungen differenziert: Bis zu einem Alter des zu Beschneidenden von zwei Monaten darf auch ein medizinisch geschulter Angehöriger einer Religionsgemeinschaft, der entsprechend qualifiziert und im Besitz einer staatlichen Genehmigung ist, die Beschneidung vornehmen. Ab dem Alter von zwei Monaten darf eine Beschneidung nur durch einen Arzt vorgenommen werden. – Nehmen nicht hinreichend qualifizierte Personen eine Beschneidung vor, ist dies, auch wenn die Durchführung fachgerecht erfolgte, in Schweden und Italien strafbar. – In keinem Land ist ein die Beschneidung eines minderjährigen Jungen mit dem Einverständnis der Eltern fachgerecht Vornehmender strafrechtlich belangt worden.36 – Mit Ausnahme des Urteils des Landgerichts Köln ist aus keinem der an der Umfrage beteiligten Länder ein rechtskräftiges Urteil eines Strafgerichts bekannt, das eine mit Einwilligung der Eltern lege artis vorgenommene religiös motivierte Zirkumzision an einem Minderjährigen als rechtswidrig wertet. – Pläne für gesetzgeberische Maßnahmen, die die Straflosigkeit der medizinisch nicht indizierten Zirkumzision an Minderjährigen zum Ziel haben, werden bislang nur in Deutschland avisiert. 36 Auch nicht in Deutschland, wo im Kölner Fall der angeklagte Arzt frei gesprochen wurde.