Nr. 207/15 (10. November 2015) © 2015 Deutscher Bundestag Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. 1. Grundsatz Die Höhe einer Geldbuße nach § 30 OWiG kann sich je nach Lage des konkreten Einzelfalls aus einem Abschöpfungs- und einem Ahndungsanteil zusammensetzen.1 Gemäß § 30 Absatz 3 OWiG gilt § 17 Absatz 4 OWiG, wonach die Geldbuße den wirtschaftlichen Vorteil, den der Täter aus der Ordnungswidrigkeit gezogen hat, übersteigen soll, entsprechend. Reicht das gesetzliche Höchstmaß hierzu nicht aus, so kann es gemäß § 17 Absatz 4 Satz 2 OWiG überschritten werden. „§ 17 Abs. 4 OWiG folgt insoweit … dem Rechtsgedanken, nach dem verhindert werden soll, dass sich die Begehung einer Ordnungswidrigkeit … für den Täter in irgendeiner Weise lohnt (vgl. KK-OWiG/Mitsch OWiG § 17 Rn. 112; Göhler/Gürtler OWiG § 17 Rn. 37 mwN). Dies kann – namentlich im Bereich der Wirtschaftsdelinquenz – oftmals allein mit dem zur Verfügung stehenden Bußgeldrahmen nicht erreicht werden. Neben den ahndenden Teil der Geldbuße, dessen Höhe sich maßgeblich ausgehend von dem zur Verfügung stehenden Bußgeldrahmen (→ Rn. 25) unter Berücksichtigung der Bedeutung der Tat (→ Rn. 40) und des individuellen Vorwurfs (→ Rn. 58) bestimmt, tritt insoweit ein abschöpfender Teil, dessen Höhe sich allein nach dem vom Täter gezogenen wirtschaftlichen Vorteil bestimmt (vgl. Göhler/Gürtler OWiG § 17 Rn. 37a).“2 Hinsichtlich der Gewichtung der beiden Teile besteht grundsätzlich Ermessen: „Es besteht … ein Ermessen dahingehend, ob und in welchem Umfang innerhalb des zu verhängenden Bußgeldes eine Ahndung oder eine Abschöpfung vorgenommen werden soll. Mit Verhängung der Geldbuße muss allerdings klargestellt werden, welcher Anteil Ahndungs- und welcher Abschöpfungszwecken dient (BGH NStZ 2006, 231). Dies ist auch deshalb erforderlich, weil der Abschöpfungsanteil solcher Geldbußen ertragssteuerlich grundsätzlich abzugsfähig ist (§ 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 8 EStG, BVerfGE 81, 228).“3 1 Rogall, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 4. Auflage 2014, § 30 Rdn. 136 ff. 2 Sackreuther, in: Graf (Hrsg.), Beck'scher Online-Kommentar OWiG, Stand: 15.07.2015, Edition: 8, § 17 Rdn. 113. 3 Meyberg, in: Graf (Hrsg.), Beck'scher Online-Kommentar OWiG, Stand: 15.07.2015, Edition: 8, § 30 Rdn. 99. Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Höhe der Geldbuße und Gewinnabschöpfung bei § 30 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) Kurzinformation Höhe der Geldbuße und Gewinnabschöpfung bei § 30 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) Fachbereich WD 7 (Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung) Wissenschaftliche Dienste Seite 2 2. Bemessung des Ahndungsanteils Im Falle des § 30 OWiG richtet sich die Bemessung des Ahndungsteils innerhalb der von § 30 Absatz 2 OWiG genannten Grenzen in erster Linie nach der Bezugstat des Verantwortlichen, deren Unrechtsgehalt und deren Auswirkungen auf den geschützten Ordnungsbereich.4 3. Bemessung des Abschöpfungsanteils § 30 Absatz 2 OWiG bestimmt allein die gesetzliche Obergrenze des Ahndungsteils der Geldbuße .5 Hinsichtlich der Bemessung des Abschöpfungsanteils gelten folgende Grundsätze: „Der erlangte wirtschaftliche Vorteil darf nur in Ausnahmefällen (in Abhängigkeit zur wirtschaftlichen Gesamtsituation des Betroffenen) ganz oder teilweise nicht abgeschöpft werden (Göhler/Gürtler OWiG § 17 Rn. 46). Der gezogene Vorteil bildet rechnerisch die Untergrenze der festzusetzenden Geldbuße; zu diesem „Abschöpfungsanteil “ kann – was im Ermessen liegt – noch ein „Ahndungsteil“ hinzukommen (OLG Düsseldorf wistra 1995, 75; Rönnau, Vermögensabschöpfung in der Praxis, 2003, Rn. 78; Brenner NStZ 1998, 557 mwN).“6 Bei der Berechnung des Abschöpfungsanteils sind nach herrschender Meinung von dem Erlangten „die zur Erlangung eingesetzten Aufwendungen – mögen sie auch von der Rechtsordnung missbilligt werden – in Abzug zu bringen (→ OWiG § 17 Rn. 123; auch Krumm NJW 2011, 196). Hypothetische Gewinne – etwa aus der Fortsetzung legalen Verhaltens (BayObLG wistra 1995, 362) – bleiben außer Betracht (KK-OWiG/Rogall OWiG § 30 Rn. 145 f.; Lemke/Mosbacher OWiG § 30 Rn. 65), ebenso mögliche (zivilrechtliche) Erstattungsansprüche Dritter (KK-OWiG/Rogall OWiG § 30 Rn. 127; zu Steuern → Rn. 102).“7 Im Einzelnen gilt Folgendes: „Der erzielte wirtschaftliche Vorteil darf nicht mit Gewinnen verrechnet werden, die im Falle eines ordnungsgemäßen Verhaltens voraussichtlich eingetreten wären (zu dieser Fragestellung statt aller Tiedemann, HWbWiStR, Art. Gewinnabschöpfung S. 2; Immenga/Mestmäcker/Dannecker/Biermann § 81 Rn. 457; FK GWB/Achenbach § 81 Rn. 303). Insoweit kommt es nur auf die Feststellung an, dass der Täter (hier: der Verband) den Vorteil tatsächlich gezogen hat. Hinwegzudenken ist das rechtswidrige Verhalten, nicht jedoch ist ein legales Verhalten, das ja tatsächlich nicht stattgefunden hat, hinzuzudenken. Hypothetische Gewinne haben daher außer Betracht zu bleiben (vgl. OLG Düsseldorf NStZ-RR 1996, 368 m. krit. Anm. Korte NStZ 1997, 472; HansOLG Hamburg NJW 1971, 1000, 1002; OLG Stuttgart VRS 46, 144, 145 f.; Göhler/Gürtler § 17 Rn. 41b; Rotberg § 17 Rn. 47; Bohnert § 17 Rn. 26; Rebmann/Roth/Herrmann § 17 Rn. 49; BeckOK OWiG/Meyberg Rn. 100; Lemke/Mosbacher Rn. 65; Müther, S. 65 f.; Drathjer, S. 70 ff.; → § 17 Rn. 120 [Mitsch];Wegner, S. 98; Engelhart, S. 439; aA Güntert, S. 48; Peltzer DB 1977, 1146; Cramer wistra 1996, 251; Schmitz/Taschke WiB 1997, 1172). Das gilt auch für Gewinne, die aus der Fortsetzung einer legalen Tätigkeit hätten resultieren können (vgl. BayObLG wistra 1995, 362; Göhler/Gürtler § 17 Rn. 41b; näher dazu FK GWB/Achenbach § 81 Rn. 303; Immenga/Mestmäcker/Dannecker/Biermann § 81 Rn. 457). 4 Meyberg, in: Graf (Hrsg.), Beck'scher Online-Kommentar OWiG, Stand: 15.07.2015, Edition: 8, § 30 Rdn. 103. 5 Meyberg, in: Graf (Hrsg.), Beck'scher Online-Kommentar OWiG, Stand: 15.07.2015, Edition: 8, § 30 Rdn. 96. 6 Meyberg, in: Graf (Hrsg.), Beck'scher Online-Kommentar OWiG, Stand: 15.07.2015, Edition: 8, § 30 Rdn. 98. 7 Meyberg, in: Graf (Hrsg.), Beck'scher Online-Kommentar OWiG, Stand: 15.07.2015, Edition: 8, § 30 Rdn. 100. Kurzinformation Höhe der Geldbuße und Gewinnabschöpfung bei § 30 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) Fachbereich WD 7 (Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung) Wissenschaftliche Dienste Seite 3 Jedoch kann der Täter erbrachte Arbeitsleistungen (Arbeitsraft, Einsatz von Produktionsmitteln etc) stets in Anrechnung stellen (s. dazu Müther, S. 67; Brender, S. 161 f.; FK GWB/Achenbach § 81 Rn. 301).8 „Die Auswirkungen zivilrechtlicher Ersatzansprüche auf den Abschöpfungsteil der Geldbuße werden nicht einheitlich beurteilt. Nach einer Ansicht sollen zivilrechtliche Ersatzansprüche im Rahmen des § 17 Abs. 4 nicht zu berücksichtigen sein (vgl. Rotberg § 17 Rn. 14 im Anschluss an BGHSt. 23, 23 = NJW 1969, 1725 f.; BGH MDR 1953, 146 [Da.]; OLG Celle MDR 1954, 54 f.; BGH MDR 1957, 140 [Da.]; Tiedemann, HWbWiStR, Art. Gewinnabschöpfung S. 5; Rebmann/Roth/Herrmann § 17 Rn. 47; Lemke/Mosbacher Rn. 65; BeckOK OWiG/Meyberg Rn. 100). Die Gegenauffassung will die Grundsätze des § 73 Abs. 1 S. 2 entsprechend anwenden (Peltzer DB 1977, 1446 f.; Schmitt, S. 29; Schmitz/Taschke WiB 1997, 1172; ausführlich Güntert, S. 39 ff.). Diese Auffassung wird teilweise dahingehend eingeschränkt, dass eine Abschöpfung nur dann unterbleibt, wenn der Verband die Ersatzansprüche auch tatsächlich erfüllt hat oder aber mit der tatsächlichen Erfüllung dieser Ansprüche unzweifelhaft zu rechnen ist (Müller, S. 84 ff.; Rebmann/Roth/Herrmann Rn. 31, 45; Ransiek, S. 116 f.; Pohl-Sichtermann, S. 173 ff., 175 f.; → § 17 Rn. 131 [Mitsch];Wegner, S. 100; zum Ganzen Poller ,S. 138 ff.). Letzteres soll dann der Fall sein, wenn der Verletzte bekannt oder bestimmbar ist und ein Verfahren zur Sicherstellung des Ersatzanspruches nach §§ 111b–111m StPO eingeleitet wurde (s. aber auch Poller, S. 144 ff., 147, der die Frage der Realisierbarkeit von Ersatzansprüchen durch einen Rückgriff auf Buchführungs- und Bilanzierungsvorschriften beantworten will). Grundsätzlich muss man sehen, dass das Ordnungswidrigkeitengesetz die Anrechnungsregel des § 73 Abs. 1 S. 2 weder in § 17 Abs. 4 noch in § 29a übernommen hat. Es enthält stattdessen aber eine vollstreckungsrechtliche Lösung in § 99 Abs. 2, aus der sich ergibt, dass bei Vorlage einer rechtskräftigen Entscheidung über den Anspruch die Anordnung des Verfalls nicht mehr vollstreckt wird. Daraus folgt, dass eine Anwendung des § 73 Abs. 1 S. 2 im Ordnungswidrigkeitenrecht zu unterbleiben hat (richtig FK GWB/Achenbach § 81 Rn. 307; Drathjer, S. 77 ff.; Bohnert Rn. 37). Die bloße Existenz von möglichen Ansprüchen oder deren Geltendmachung hindert daher die Abschöpfung nicht (→ § 17 Rn. 131 [Mitsch]). Dies ist in entsprechender Anwendung des § 99 Abs. 2, 9 Abs. 2 WiStG (vgl. FK GWB/Achenbach §§ 81 Rn. 308; Müther, S. 70) erst der Fall, wenn der Betroffene oder der Verletzte eine rechtskräftige Entscheidung oder einen Vergleich vorlegt, aus denen sich der Anspruch ergibt. Erst recht muss von einer Abschöpfung abgesehen werden, wenn der Betroffene den Anspruch des Verletzten tatsächlich erfüllt hat. Zur Rechtslage im Kartellrecht vgl. die Regelungen in § 34 Abs. 2, 34a Abs. 2 GWB.“9 „Fällt ein erlangter wirtschaftlicher Vorteil später weg (zB infolge von dessen zufälligem Untergang), so schließt das eine Abschöpfung jedenfalls dann nicht aus, wenn der Täter das Risiko des Unterganges zu tragen hat. Dies ist in entsprechender Anwendung der §§ 818 Abs. 4, 819 Abs. 1 BGB der Fall, wenn die Tat vorsätzlich begangen wurde und der Täter mit einer Erstattung zu rechnen hatte (näher dazu Müther, S. 67 ff.; weitergehend Müller, S. 87; Bender ZfZ 1976, 139, 141). Im Übrigen kann eine Berücksichtigung im Rahmen des durch § 17 Abs. 4 eingeräumten Entschließungsermessens erfolgen (OLG Karlsruhe NJW 1974, 1883; Rotberg § 17 Rn. 14; Tiedemann, HWbWiStR, Art. Gewinnabschöpfung S. 5; FK GWB/Achenbach § 81 Rn. 310).“10 4. Ratio Durch die gemäß § 30 OWiG verhängte Geldbuße sollen dem Täter die aus der Tat erwachsenen wirtschaftlichen Vorteile wieder entzogen werden, weshalb § 17 Absatz 4 Satz 2 OWiG ausdrücklich vorsieht, dass der gesetzliche Ahndungsrahmen zu diesem Zweck überschritten werden darf.11 8 Rogall, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 4. Auflage 2014, § 30 Rdn. 144. 9 Rogall, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 4. Auflage 2014, § 30 Rdn. 145 f. 10 Rogall, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 4. Auflage 2014, § 30 Rdn. 147. 11 Sackreuther, in: Graf (Hrsg.), Beck'scher Online-Kommentar OWiG, Stand: 15.07.2015, Edition: 8, § 17 Rdn. 9. Kurzinformation Höhe der Geldbuße und Gewinnabschöpfung bei § 30 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) Fachbereich WD 7 (Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung) Wissenschaftliche Dienste Seite 4 „Der Gewinnabschöpfung kommt insoweit jedenfalls neben der Beseitigung des durch die Tat herbeigeführten rechtswidrigen Zustands (vgl. Göhler/Gürtler OWiG § 17 Rn. 37a) in gleichem Maße wie dem ahndenden Teil der Geldbuße präventive Funktion zu (→ Rn. 114).“12 - Ende der Bearbeitung - 12 Sackreuther, in: Graf (Hrsg.), Beck'scher Online-Kommentar OWiG, Stand: 15.07.2015, Edition: 8, § 17 Rdn. 10.