© 2018 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 206/180 Strafbarkeit sogenannter „Stalleinbrüche“ Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 206/18 Seite 2 Strafbarkeit sogenannter „Stalleinbrüche“ Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 206/18 Abschluss der Arbeit: 20. September 2018 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 206/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Urteil des OLG Naumburg 4 3. Meinungsstand zur Strafbarkeit sogenannter „Stalleinbrüche“ 5 3.1. Tierschutz als notstandsfähiges Rechtsgut 5 3.2. Gefahr nicht anders abwendbar 6 3.3. Geeignetheit der Maßnahme 7 3.4. Interessenabwägung 8 3.5. Subjektives Rechtfertigungselement 9 3.6. Tierschutz als nothilfefähiges Rechtsgut 9 4. Fazit 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 206/18 Seite 4 1. Einleitung Das Oberlandesgericht (OLG) Naumburg hat durch Urteil vom 22. Februar 2018 die Freisprüche drei wegen Hausfriedensbruch angeklagter Tierschützer bestätigt.1 Diese waren in Stallungen eines Tierzuchtunternehmens eingedrungen, um dort Missstände im Umgang mit den Tieren auf Bildern und Filmaufnahmen zu dokumentieren. Nach einer Zusammenfassung der wesentlichen Aussagen des Urteils (Ziffer 2.), stellt der vorliegende Sachstand den Meinungsstand zur Strafbarkeit sogenannter „Stalleinbrüche“ dar und vergleicht dabei die in dem Urteil vertretenen Auffassungen mit den übrigen in Rechtsprechung und in Schrifttum vertretenen Meinungen (Ziffer 3.). Anschließend wird erörtert, welcher Ansatz einer möglichen Strafverschärfung für „Stalleinbrüche “ in die Systematik des Strafgesetzbuchs (StGB)2 passt (Ziffer 4.). 2. Urteil des OLG Naumburg Das OLG Naumburg hat die Freisprüche bestätigt, da es die Taten gemäß § 34 StGB für gerechtfertigt hielt. - Tierschutz sei hiernach ein „anderes Rechtsgut“ im Sinne des § 34 StGB und daher notstandsfähig . Er sei gemäß Art. 20a Grundgesetz (GG)3 verfassungsmäßig verankert und über das Tierschutzgesetz als auch die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung (Tier- SchNutzV)4 rechtlich ausgestaltet. - Die Verletzungen tierschutzrechtlicher Vorschriften begründen eine Dauergefahr, die nicht anders als durch das Handeln der Angeklagten abwendbar gewesen sei. Zwar sei im Falle der Feststellung von Gesetzesverstößen zunächst die zuständige Behörde einzuschalten . Dies könne aber nicht gelten, wenn die Einschaltung von Behörden von vornherein aussichtslos ist. - Die Dokumentation der Missstände sei auch geeignet gewesen, die Gefahr für das Tierwohl in Zukunft zu verringern. Dem stehe nicht entgegen, dass die Gefahr für das Tierwohl nicht sofort beendet wurde. Da es sich um eine Dauergefahr handele, reiche es für die Rechtfertigung aus, wenn die Notstandshandlung zu einer zeitlich versetzten Gefahrenabwehr führt. 1 OLG Naumburg, Urteil vom 22. Februar 2018 – 2 Rv 157/17 –, juris. 2 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3222), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 30. Oktober 2017 (BGBl. I S. 3618), abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/BJNR001270871.html [letzter Abruf: 19. September 2018]. 3 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (BGBl. S. 1), zuletzt geändert durch Art. 1 Änderungsgesetz (Art. 90, 91c, 104b, 104c, 107, 108, 109a, 114, 125c, 143d, 143e, 143f, 143g) vom 13. Juli 2017 (BGBl. I S. 2347), abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/gg/BJNR000010949.html [letzter Abruf: 19. September 2018]. 4 Verordnung zum Schutz landwirtschaftlicher Nutztiere und anderer zur Erzeugung tierischer Produkte gehaltener Tiere bei ihrer Haltung (Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung) in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. August 2006 (BGBl. I S. 2043), zuletzt geändert durch Art. 3 Abs. 2 des Gesetzes vom 30. Juni 2017 (BGBl. I S. 2147), abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/tierschnutztv/BJNR275800001.html [letzter Abruf: 19. September 2018]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 206/18 Seite 5 - Das Eindringen in die Stallanlage und die Dokumentation der Gesetzesverstöße sei auch ein angemessenes Mittel, um die Gefahr abzuwenden, wobei der Tierschutz das Hausrecht des Tierzuchtunternehmens überwog. - Die Angeklagten handelten mit Rettungsabsicht, da sie sichere Hinweise auf massive Verstöße gegen die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung erhalten hatten. - Eine Rechtfertigung wegen Nothilfe gemäß § 32 StGB scheide hingegen aus. Es fehle am Verteidigungswillen, da die Feststellungen nicht ergeben haben, dass die Angeklagten durch die Dokumentierung der Tierschutzverstöße Gefahren von den zum Zeitpunkt des Eindringens dort untergebrachten Tieren abwenden wollten. 3. Meinungsstand zur Strafbarkeit sogenannter „Stalleinbrüche“ 3.1. Tierschutz als notstandsfähiges Rechtsgut Neben dem OLG Naumburg war auch das in der Vorinstanz mit dem Fall befasste Landgericht (LG) Magdeburg der Auffassung, dass der Tierschutz ein notstandsfähiges Rechtsgut im Sinne des § 34 StGB sei.5 Dem entspricht die wohl herrschende Meinung im Schrifttum.6 Die Notstandsfähigkeit des Tierschutzes folge aus Art. 20a GG.7 Es besteht zwar Einigkeit darüber, dass grundsätzlich auch Rechtsgüter der Allgemeinheit notstandsfähig sein können.8 Allerdings ist ein Teil der Literatur der Auffassung, dass dies nur für solche kollektiven Rechtsgüter gelte, die sich auf 5 LG Magdeburg, Urteil vom 11. Oktober 2017 – 28 Ns 182 Js 32201/14 (74/17) –, juris Rn. 23. 6 Momsen/Savić, in: Beck’scher Online-Kommentar Strafgesetzbuch (BeckOK StGB), hrsg. von v. Heintschel- Heinegg, 39. Edition, Stand: 1. August 2018, § 34 Rn. 5.1; Erb, in: Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch (MüKo StGB), hrsg. von Joecks/Miebach, 3. Auflage (2017), § 32 Rn. 100; Herzog, Nothilfe für Tiere?, Juristen- Zeitung (JZ) 2016, 190, 196; Hecker, Strafrecht AT: Nothilfe und Notstand, Juristische Schulung (JuS) 2018, 83, 84; Ritz, Das Tier in der Dogmatik der Rechtfertigungsgründe, JuS 2018, 333, 336; Keller/Zetsche, Hausfriedensbruch : Rechtfertigung des Eindringens in eine Tierzuchtanlage zur Aufdeckung von Verstößen gegen Tierschutzrecht , Strafverteidiger (StV) 2018, 337, 338; Ogorek, Wo bleibt der Tierschutz? Rechtswidrigkeit der massenhaften Tötung von Eintagsküken, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 2016, 1434, 1436; Für eine analoge Anwendung des § 34 StGB: Neumann, in: Nomos-Kommentar Strafgesetzbuch (NK StGB), hrsg. von Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, 5. Auflage (2017), § 34 Rn. 31a. 7 Momsen/Savić, in: BeckOK StGB, § 34 Rn. 5.1; Ritz, JuS 2018, 333, 336. 8 Neben den in Fußnote 6 genannten auch: Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 5. Juli 1988 – 1 StR 212/88 –, juris Rn. 12; OLG Düsseldorf, Urteil vom 10. Dezember 1969 – 2 Ws (OWi) 429/69 –; Fischer, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen Kommentar (Fischer), 64. Auflage (2017), § 34 Rn. 5; Kühl, in: Lackner/Kühl Strafgesetzbuch Kommentar (Lackner/Kühl), 29. Auflage (2018), § 34 Rn. 4; Perron, in: Schönke/Schröder Strafgesetzbuch Kommentar (Schönke/Schröder), hrsg. von Eser, 29. Auflage (2014), § 34 Rn. 10; Zieschang, in: Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch (LK StGB), hrsg. von Laufhütte/Rissing-van Saan/Tiedemann, 12. Auflage (2006), § 34 Rn. 23; Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil Band 1, 4. Auflage (2006), § 16 Rn. 13; Duttge, in: Gesamtes Strafrecht – Handkommentar (GS), hrsg. von Dölling/Duttge/Rössner/König, 4. Auflage (2017), § 34 StGB Rn. 5. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 206/18 Seite 6 individuelle Rechtsgüter zurückführen lassen beziehungsweise direkt mit dem Wohl des Einzelnen verbunden sind.9 Daraus schließen einzelne Autoren, dass der Tierschutz nicht notstandsfähig sei.10 Das Landgericht Heilbronn hat in einem vergleichbaren Fall die Beantwortung der Frage, ob der Tierschutz notstandsfähig ist, ausdrücklich offengelassen.11 3.2. Gefahr nicht anders abwendbar Das OLG Naumburg nahm an, die Gefahr für das Rechtsgut Tierschutz sei nicht anders als durch das Handeln der Angeklagten abwendbar gewesen. Problematisch könnte hieran sein, dass für die Ahndung von Verstößen gegen tierschutzrechtliche Vorschriften die Veterinärämter und Staatsanwaltschaften zuständig sind. Denn eine Gefahr für das Rechtsgut ist nach § 34 StGB insbesondere dann anders abwendbar, wenn rechtzeitige staatliche Hilfe möglich ist.12 Ob das Herbeirufen rechtzeitiger obrigkeitlicher Hilfe tatsächlich möglich war, ist eine Frage des Einzelfalls und kann nicht pauschal beantwortet werden. Das OLG Naumburg stellt im vorliegenden Fall maßgeblich darauf ab, dass die Einschaltung der Behörden aussichtslos gewesen sei.13 Das LG Magdeburg, dem das OLG Naumburg folgt, führt aus, Verstöße gegen das Tierschutzrecht würden ohne eindeutiges Beweismaterial nicht verfolgt.14 Dem wird entgegengehalten, dass aus der scheinbaren Untätigkeit von Behörden nicht folgen könne, dass Private zur selbstständigen Aufklärung vermeintlicher Ordnungswidrigkeiten ohne Beachtung des rechtstaatlichen Rahmens befugt sein sollen.15 Auch spreche das in § 152 Strafprozessordnung (StPO)16 normierte Legalitätsprinzip gegen die Annahme des OLG Naumburg, die Ermittlungsbehörden hätten lediglich bei Vorliegen von Beweismitteln eigene Ermittlungen eingeleitet.17 Diese Kritik verkennt aber, dass es für die Frage, ob rechtzeitige staatliche Hilfe möglich ist, nicht darauf ankommt, ob die staatlichen Organe zum Einschreiten verpflichtet sind. Entscheidend ist vielmehr, ob im konkreten Fall 9 Scheuerl/Glock, Hausfriedensbruch in Ställen wird nicht durch Tierschutzziele gerechtfertigt, Neue Zeitschrift für Strafrecht (NStZ) 2018, 448, 449; Neumann, in: NK StGB, § 34 Rn. 22; Hoyer, in: Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch (SK StGB), hrsg. von Wolter, 9. Auflage (2017), § 34 Rn. 10 ff. 10 Scheuerl/Glock, NStZ 2018, 448, 449. 11 LG Heilbronn, Urteil vom 23. Mai 2017 – 7 Ns 41 Js 15494/15 jug –, BeckRS 2017, 132799 Rn. 123. 12 BGH, Beschluss vom 28. Juni 2016 – 1 StR 613/15 –, juris Rn. 12; BGH, Urteil vom 3. Februar 1993 – 3 StR 356/92 –, juris Rn. 14; Fischer, § 34 Rn. 9a; Zieschang, in: LK StGB, § 34 Rn. 52; Erb, in: MüKo StGB, § 34 Rn. 94. 13 OLG Naumburg, Urteil vom 22. Februar 2018 – 2 Rv 157/17 –, juris Rn. 22. 14 LG Magdeburg, Urteil vom 11. Oktober 2017 – 28 Ns 182 Js 32201/14 (74/17) –, juris Rn. 8. 15 Scheuerl/Glock, NStZ 2018, 448, 449. 16 Strafprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 30. Oktober 2017 (BGBl. I S. 3618), abrufbar unter: https://www.gesetzeim -internet.de/stpo/BJNR006290950.html [letzter Abruf: 19. September 2018]. 17 Scheuerl/Glock, NStZ 2018, 448, 450. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 206/18 Seite 7 die Einschaltung der Behörden tatsächlich möglich war. Hierzu stellte das LG Magdeburg fest, dass die durch die zuständige Behörde durchgeführten Kontrollen tierschutzwidrige Zustände gedeckt haben und die Behörden nicht in der Lage waren, die Zustände durch ordnungsrechtliche Maßnahmen zu steuern.18 3.3. Geeignetheit der Maßnahme Weiter ist zu untersuchen, wie die Aussage des OLG Naumburg, die Dokumentation der Missstände sei geeignet gewesen, die Gefahr für das Tierwohl in Zukunft zu verringern oder abzuwenden , zu bewerten ist. Das OLG führt in dem Urteil aus, die Tatsache, dass die Gefahr für das Tierwohl nach den Aufnahmen nicht sofort beendet wurde, führe nicht zum Ausschluss einer Rechtfertigung nach § 34 StGB. Da es sich um eine Dauergefahr handele, reiche es aus, dass die Notstandshandlung zu einer zeitlich versetzten Gefahrenabwehr führt.19 Dies erscheint problematisch. Geeignet ist ein Mittel, wenn eine erfolgreiche Gefahrabwendung nicht ganz unwahrscheinlich ist. Als ungeeignet sind solche Maßnahmen anzusehen, durch welche die Rettungschance nicht oder nur ganz unwesentlich erhöht wird.20 Neben dieser absoluten Ungeeignetheit kann eine Maßnahme auch relativ ungeeignet sein. Von mehreren Mitteln, die in unterschiedlichem Maße zur Gefahrenabwehr geeignet sind, muss der Notstandstäter dasjenige wählen, bei dessen Einsatz die Rettungschance am größten ist.21 Gegen die Auffassung des OLG Naumburg, dass dies hinsichtlich des Eindringens in die Ställe und der Dokumentierung der Missstände zutreffe, wenden sich Scheuerl/Glock. Sie sind der Auffassung, dass eine zeitlich versetzte Gefahrenabwehr nicht ausreiche.22 Die Zeitverzögerung zwischen Erstellen der Filmaufnahmen und Einschreiten der Behörden – im vorliegenden Fall vier Monate – habe die Rettungschancen erheblich vermindert, sodass eine Rechtfertigung nach § 34 StGB ausscheide.23 Die größte Rettungschance hätte bestanden, wenn die dokumentierten Missstände unmittelbar den zuständigen Behörden gemeldet worden wären.24 Gegen die Auffassung, dass im Falle einer Dauergefahr auch eine Maßnahme, die zu einer zeitlich versetzten Gefahrenabwehr führt, geeignet sein kann, spricht auch die Ratio des § 34 StGB. Diese besteht in der Notwendigkeit sofortiger 18 LG Magdeburg, Urteil vom 11. Oktober 2017 – 28 Ns 182 Js 32201/14 (74/17) –, juris Rn. 14. 19 OLG Naumburg, Urteil vom 22. Februar 2018 – 2 Rv 157/17 –, juris Rn. 23 f. 20 OLG Karlsruhe, Urteil vom 24. Juni 2004 – 3 Ss 187/03 –, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2004, 3645, 3646; OLG Köln, Urteil vom 13. August 1985 – Ss 120/85 –, NStZ 1985, 550, 551; Erb, in: MüKo StGB, § 34 Rn. 91; Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 19; Neumann, in: NK StGB, § 34 Rn. 60; Fischer, § 34 Rn. 10. 21 BGH, Urteil vom 25. März 1952 – 1 StR 172/51 –, juris Rn. 6; BGH, Beschluss vom 28. Juni 2016 – 1 StR 613/15 –, juris Rn. 11; Erb, in: MüKo StGB, § 34 Rn. 92; Zieschang, in: LK StGB, § 34 Rn. 51; Duttge, in: GS, § 34 StGB Rn. 14; Engländer, in: Matt/Renzikowski Strafgesetzbuch Kommentar (Matt/Renzikowski), 1. Auflage (2013), § 34 Rn. 21; aA Hoyer, in: SK StGB, § 34 Rn. 31. 22 Scheuerl/Glock, NStZ 2018, 448, 450. 23 Scheuerl/Glock, NStZ 2018, 448, 450. 24 Scheuerl/Glock, NStZ 2018, 448, 450. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 206/18 Seite 8 Abwehrmaßnahmen.25 Dass bei Vorliegen einer Dauergefahr etwas anderes gelten soll, erscheint zweifelhaft. 3.4. Interessenabwägung Nach Auffassung des OLG Naumburg war das Eindringen in die Stallanlagen und die Dokumentation der Gesetzesverstöße ein angemessenes Mittel zur Gefahrenabwehr, wobei der Tierschutz das Hausrecht überwog. Das Landgericht habe überzeugend festgestellt, dass die Zustände, denen die Tiere ausgesetzt waren, als erhebliche Leiden für diese anzusehen waren. Das Interesse an der Abstellung dieser Zustände überwog das Hausrecht der Betreiber der Mastanlage. Insbesondere sei relevant, dass die Inhaber des Hausrechts für die Missachtung des Tierschutzes verantwortlich waren. Die Interessenabwägung ist Kernstück der Notstandsregelung des § 34 StGB. Dabei sind alle Rechtsgüter zu berücksichtigen, die bei Vornahme beziehungsweise Nichtvornahme der Notstandshandlung beeinträchtigt werden.26 Welche Interessen dabei im Einzelnen zu berücksichtigen sind und welche Interessen überwiegen, sind Fragen des konkreten Einzelfalls und können nicht abstrakt bestimmt werden. Nach herrschender Meinung kann die Verantwortlichkeit des Inhabers des Eingriffsgutes im Rahmen der Interessenabwägung berücksichtigt werden.27 Scheuerl/Glock kritisieren an der Abwägung des LG Magdeburg und des OLG Naumburg zugunsten des Tierschutzes, dass es nicht überzeugend sei, auf die Anzahl der betroffenen Tiere sowie die bisherige und prognostisch künftige Dauer der Beeinträchtigung des Tierwohls abzustellen.28 Dies führe nicht dazu, dass das Interesse des Tierschutzes das in Art. 14 GG geschützte Eigentumsrecht des Viehzüchters und die gesetzliche Regelung, welche die Zuständigkeit zur Überwachung und zur Durchsetzung der tierschutzrechtlichen Vorschriften den Veterinärbehörden zuweist , überwiegt.29 Die Rechtfertigung eines Hausfriedensbruchs nach § 34 StGB zur vermeintlichen Wahrung staatlicher Strafverfolgungsinteressen mittels Sicherung von Beweismaterial stehe im Widerspruch zu fundamentalen Ordnungsprinzipien.30 25 Erb, in: MüKo StGB, § 34 Rn. 78; Momsen/Savić, in: BeckOK StGB, § 34 Rn. 6; Neumann, in: NK StGB, § 34 Rn. 57; Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 17; Fischer, § 34 Rn. 7. 26 BGH, Urteil vom 14. Oktober 1954 – 3 StR 16/54 –; Erb, in: MüKo StGB, § 34 Rn. 110; Fischer, § 34 Rn. 12. 27 Kühl, in: Lacker/Kühl, § 34 Rn. 9; Fischer, § 34 Rn. 2; Momsen/Savić, in: BeckOK StGB, § 34 Rn. 14; Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 30; Erb, in: MüKo StGB, § 34 Rn. 20; Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil Band 1, 4. Auflage (2006), § 16 Rn. 74; aA Neumann, in: NK StGB, § 34 Rn. 86 m.w.N. 28 Scheuerl/Glock, NStZ 2018, 448, 451. 29 Scheuerl/Glock, NStZ 2018, 448, 451. 30 Scheuerl/Glock, NStZ 2018, 448, 450 mit Verweis auf Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 41. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 206/18 Seite 9 3.5. Subjektives Rechtfertigungselement Das OLG Naumburg geht davon aus, dass die Angeklagten mit Rettungsabsicht handelten, da sie sichere Hinweise auf massive Verstöße gegen die TierSchNutzV erhalten hatten. Soweit es annimmt , die bloße Vermutung, es werde gegen Vorschriften verstoßen, reiche nicht aus, um eine Rettungsabsicht zu begründen, entspricht dies allgemeiner Meinung. Danach muss der Täter als subjektives Rechtfertigungselement die Umstände kennen, aus denen sich die Notstandslage und das wesentlich überwiegende Interesse an der Notstandshandlung ergeben.31 Sollte der Täter in der irrigen Annahme handeln, es läge eine Notstandssituation vor, kommt nach allgemeiner Auffassung ein Putativnotstand in Betracht.32 In diesem Fall entfällt entsprechend § 16 StGB der Vorsatz .33 Ob ein solcher Putativnotstand im vorliegenden Fall möglich war, hat das OLG Naumburg nicht ausdrücklich entschieden.34 Das LG Magdeburg war der Auffassung, selbst wenn die Angeklagten nicht über fachkundig festgestelltes Wissen verfügt hätten, bestünde ein Putativnotstand .35 3.6. Tierschutz als nothilfefähiges Rechtsgut Entgegen der Auffassung des LG Magdeburg lehnt das OLG Naumburg eine Rechtfertigung wegen Nothilfe nach § 32 StGB ab.36 Es fehle am Verteidigungswillen, da die Feststellungen nicht ergeben haben, dass die Angeklagten durch die Dokumentierung der Tierschutzverstöße Gefahren von den zum Zeitpunkt des Eindringens dort untergebrachten Tieren abwenden wollten. Zu der Frage, ob der Tierschutz als nothilfefähiges Rechtsgut angesehen werden kann oder „ein anderer“ im Sinne des § 32 StGB zwingend ein Mensch sein muss, verhält sich das OLG Naumburg nicht. Das LG Magdeburg vertritt die Auffassung, dass „ein anderer“ im Sinne des § 32 StGB auch ein Tier sein kann. Zudem meint es, dass auch das im Mitgefühl für Tiere sich äußernde menschliche Empfinden von § 32 StGB geschützt werde.37 In der Literatur werden diese Fragen nicht ein- 31 BGH, Urteil vom 15. Januar 1952 – 1 StR 552/51 –, juris Rn. 10; Fischer, § 34 Rn. 27; Erb, in: MüKo StGB, § 34 Rn. 206; Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 48; Momsen/Savić, in: BeckOK StGB, § 34 Rn. 20; Neumann, in: NK StGB, § 34 Rn. 106. 32 OLG Koblenz, Urteil vom 16. April 1987 – 1 Ss 125/87 –, NJW 1988, 2316, 2317; Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 50; Momsen/Savić, in: BeckOK StGB, § 34 Rn. 2; Erb, in: MüKo StGB, § 34 Rn. 209. 33 Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 50. 34 Scheuerl/Glock, NStZ 2018, 448, 451 meinen, das OLG habe die Möglichkeit des Vorliegens eines Putativnotstandes verneint. Naheliegend ist aber, dass sich das OLG mangels Entscheidungserheblichkeit zu dieser Problematik nicht – auch nicht implizit – geäußert hat. 35 LG Magdeburg, Urteil vom 11. Oktober 2017 – 28 Ns 182 Js 32201/14 (74/17) –, juris Rn. 24. 36 OLG Naumburg, Urteil vom 22. Februar 2018 – 2 Rv 157/17 –, juris Rn. 29. 37 LG Magdeburg, Urteil vom 11. Oktober 2017 – 28 Ns 182 Js 32201/14 (74/17) –, juris Rn. 20. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 206/18 Seite 10 heitlich beantwortet. Soweit ersichtlich, wird zwar nicht vertreten, dass der Tierschutz ein nothilfefähiges Rechtsgut sei.38 Dies wäre auch kaum vereinbar mit der ganz herrschenden Meinung, nach der Rechtsgüter der Allgemeinheit nicht notwehrfähig sind.39 Teilweise wird aber vertreten, dass das im Mitgefühl für die Tiere sich äußernde menschliche Empfinden Schutzgut im Sinne des § 32 StGB sei.40 Äußerst umstritten ist die Frage, ob Tiere „andere“ im Sinne des § 32 StGB sein können. Während einige Autoren dies, wie das LG Magdeburg, befürworten,41 lehnt die wohl überwiegende Zahl der Autoren die Konzeption einer „Tierpersönlichkeit“ ab.42 4. Fazit Die Einordnung des Tierschutzes als notstandsfähiges Rechtsgut entspricht der herrschenden Meinung. Es ist auch anerkannt, dass die Gefahr nicht anders abwendbar ist, wenn staatliche Hilfe nicht rechtzeitig erreicht werden kann. Die Interessenabwägung des OLG Naumburg erfolgt nach den in Schrifttum und Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen. Soweit das OLG annimmt , für das Vorliegen des subjektiven Rechtfertigungselements reiche die bloße Vermutung nicht aus, liegt es auf einer Linie mit der herrschenden Meinung. Hervorzuheben ist, dass der zugrundeliegende Fall zwei Besonderheiten enthält. Zum einen stand positiv fest, dass sich die Behörden trotz Kenntnis der Verstöße weigerten, einzugreifen. Solange dies nicht feststeht, scheitert eine Rechtfertigung nach § 34 StGB daran, dass die Gefahr anders abwendbar ist – nämlich durch Einschalten der Behörden. Zudem hat das LG Magdeburg festgestellt, dass die Angeklagten sichere Hinweise auf massive Verstöße gegen die Tier- SchNutzV erhalten hatten. Die bloße Vermutung, es werde gegen Vorschriften verstoßen, reicht nicht aus, da in diesem Fall das subjektive Rechtfertigungselement fehlen würde. Das bedeutet aber, dass nicht jeder Bürger befugt ist, bei bloßem Verdacht, dass in einem bestimmten Betrieb gegen Tierschutzgesetze verstoßen wird, die Ställe dieses Betriebs zu betreten. Nur in dem (Ausnahme -)Fall, dass die Behörden trotz Kenntnis der Verstöße nicht einschreiten und der Notstandstäter sichere Kenntnis von den Verstößen hat, soll nach Auffassung des OLG Naumburg die Möglichkeit einer Rechtfertigung gemäß § 34 StGB bestehen. Hinsichtlich einer etwaigen Strafverschärfung ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Freisprüche in dem vom OLG Naumburg entschiedenen Fall daraus folgten, dass die Angeklagten nach § 34 StGB gerechtfertigt waren. Eine Strafverschärfung im Sinne einer Änderung des Strafrahmens würde hieran nichts ändern. Denn die Möglichkeit einer Rechtfertigung nach § 34 StGB hängt nicht von der Höhe der möglichen Strafe ab. 38 Scheuerl/Glock, NStZ 2018, 448, 449 gehen wohl davon aus, das LG Magdeburg würde diese Ansicht in dem genannten Urteil vertreten. Allerdings lässt sich das dem Urteil nicht entnehmen. 39 BGH, Urteil vom 2. Oktober 1953 – 3 StR 151/53 –, juris Rn. 13; Erb, in: MüKo StGB, § 32 Rn. 100 m.w.N. 40 Perron, in: Schönke/Schröder, § 32 Rn. 8; Keller/Zetsche, StV 2018, 337, 337 f. 41 Herzog, JZ 2016, 190, 194 ff.; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 32 Rn. 12; Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil Band 1, 4. Auflage (2006), § 15 Rn. 34. 42 Scheuerl/Glock, NStZ 2018, 448, 449; Hecker, JuS 2018, 83, 84; Ritz, JuS 2018, 333, 336; Keller/Zetsche, StV 2018, 337, 337 f.; Erb, in: MüKo StGB, § 32 Rn. 100; Rönnau/Hohn, in: LK StGB, § 32 Rn. 82. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 206/18 Seite 11 Eine „Strafverschärfung“ in dem Sinne, dass die Begehung von „Stalleinbrüchen“ entgegen der Auffassung des OLG Naumburg bestraft werden kann, wäre nur durch einen Ausschluss der Rechtfertigung bei Einbrüchen in Tierställe möglich. Ein solches Vorgehen dürfte nicht unbedenklich sein und würde eine Durchbrechung der strafrechtlichen Rechtfertigungsdogmatik bedeuten . Zudem dürfte es fraglich sein, ob die Verwehrung eines sonst bestehenden Rechtfertigungsgrundes verfassungskonform wäre. Dem Gesetzgeber kommt bei der Einführung und Ausgestaltung gesetzlicher Regelungen ein grundsätzlich weiter Spielraum zu, dem im Wesentlichen durch die einschlägigen Vorgaben des Grundgesetzes und die maßgebliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Grenzen gezogen sind. Ob eine Regelung sich mutmaßlich innerhalb dieser Grenzen bewegt, kann nur im jeweiligen Einzelfall anhand eines konkreten Gesetzentwurfs beurteilt werden. Hinsichtlich eines Ausschlusses der Rechtfertigung bei Einbrüchen in Tierställe stellt sich insbesondere die Frage, aus welchem Grund Tierställe schutzwürdiger als sonstige Gebäude sein sollen.43 *** 43 Kubiciel, juris PraxisReport Strafrecht 10/2018 Anmerkung 1.