© 2014 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 202/14 Zu einem Vorschlag für eine Ergänzung des § 97 Absatz 4 GWB Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 202/14 Seite 2 Zu einem Vorschlag für eine Ergänzung des § 97 Absatz 4 GWB Verfasser: Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 202/14 Abschluss der Arbeit: 29. Oktober 2014 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Telefon: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 202/14 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 5 2. Begriffsbestimmungen 6 2.1. Definition einer „Kann-Bestimmung“ 6 2.2. Definition einer „zwingenden“ Bestimmung 6 3. Rechtsquellen der Vorschriften und vergaberechtliches Kaskadenprinzip 6 4. Richtlinien der Europäischen Union 7 4.1. Umsetzung von Richtlinien in nationales Recht 7 4.2. Europarechtliche Grundlagen des derzeit geltenden nationalen Vergaberechts 7 4.3. Regelungen zu den Eisenbahnverkehrsdienstleistungen 8 4.4. Zukünftiger Richtlinienrahmen für die Vergabe öffentlicher Aufträge 8 5. Verordnungen der Europäischen Union 10 5.1. Unmittelbare Geltung einer Verordnung 10 5.2. Personenverkehrsverordnung 10 5.3. Vergaberechtliche Regelungen der Personenverkehrsverordnung 11 5.4. Auslegungsleitlinien der Kommission 11 5.5. Vorschlag der Kommission zur Änderung der Personenverkehrsverordnung 12 6. Rechtliche Möglichkeit einer Ergänzung des § 97 Absatz 4 GWB 14 7. Vereinbarkeit der Ergänzung des § 97 Absatz 4 GWB mit deutschen Recht 14 7.1. Auswirkungen der Ergänzung auf die Rechtsqualität der betroffenen Vorschriften 14 7.1.1. Kein Beurteilungsspielraum im Falle „zwingender“ Bestimmungen 14 7.1.2. „Kann-Bestimmungen“ als „unmittelbar geltende und unumgängliche Normen“ 15 7.1.3. Artikel 5 Absatz 6 Personenverkehrsverordnung als „Kann- Bestimmung“ 15 7.2. Streitigkeiten hinsichtlich des derzeit geltenden Artikels 5 Absatz 6 der Personenverkehrsverordnung 15 7.2.1. Regelung des § 4 Absatz 3 VgV 16 7.2.1.2. Verfassungskonformität des § 4 Absatz 3 VgV? 16 7.2.1.2.1. Ansicht der Rechtsprechung 17 7.2.1.2.2. Ansicht der rechtswissenschaftlichen Literatur 17 7.2.1.3. Pflicht zur freihändigen Vergabe? 18 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 202/14 Seite 4 7.2.2. Regelung des § 15 Absatz 2 AEG 18 7.2.3. Konkurrenzverhältnis des § 15 Absatz 2 AEG zu § 4 Absatz 3 VgV 19 7.2.3.1. Vorrang des § 15 Absatz 2 AEG 20 7.2.3.2. Vorrang des § 4 Absatz 3 VgV 21 7.2.3.3. Entscheidung des Bundesgerichtshofs 21 7.2.3.4. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts 22 7.2.3.5. Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs 23 7.2.3.6. Fazit zum Konkurrenzverhältnis des § 15 Absatz 2 AEG zu § 4 Absatz 3 VgV 23 7.2.4. Verhältnis des Artikels 5 Absatz 6 Personenverkehrsverordnung zu § 4 Absatz 3 VgV 23 7.2.4.1. Vorrang der Personenverkehrsverordnung 23 7.2.4.2. Vorrang des § 4 Absatz 3 VgV 24 7.3. Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse 25 8. Rahmenbedingungen der Entscheidungskompetenz der Gerichte 25 8.1. Gerichtliche Überprüfung der „Kann-Bestimmungen“ 25 8.2. Normverwerfungskompetenz der Gerichte 26 8.2.1. Normverwerfungskompetenz hinsichtlich formeller Bundesgesetze 26 8.2.2. Normverwerfungskompetenz hinsichtlich Rechtsverordnungen 26 9. Fazit 26 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 202/14 Seite 5 1. Einleitung Gegenstand der vorliegenden Ausarbeitung ist die im Zusammenhang mit dem Themenkreis „Soziale Aspekte und den Schutz der Beschäftigten bei wettbewerblichen Ausschreibungen öffentlicher Schienenverkehrsdienste und im Falle eines Betreiberwechsels als deren Folge“ aufgeworfene Fragestellung, ob es rechtlich möglich ist, § 97 Absatz 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen 1 (im Folgenden GWB) inhaltlich folgendermaßen zu ergänzen2: „Aufträge werden an fachkundige, leistungsfähige sowie gesetzestreue und zuverlässige Unternehmen vergeben. Für die Antragsausführung sind europäische Verordnungen und Richtlinien, (welche) die soziale(n) Belange der Beschäftigten schützen sollen, aber nicht zwingend den jeweiligen Mitgliedsstaaten vorgeschrieben werden (kann-Bestimmungen), bei der Auftragsvergabe in Deutschland als unmittelbar geltende und unumgängliche Normen einzuhalten, wie beispielsweise die Artikel der EU VO 1370/2007, (…). Darüber hinaus können zusätzliche Anforderungen an Auftragnehmer gestellt werden, die insbesondere soziale, umweltbezogene oder innovative Aspekte betreffen, wenn sie im sachlichen Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand stehen und sich aus der Leistungsbeschreibung ergeben. Andere oder weitergehende Anforderungen dürfen an Auftragnehmer nur gestellt werden, wenn dies durch Bundes- oder Landesgesetz vorgesehen ist.“ Hierzu werden im Folgenden unter Punkt 2. zunächst der Ausarbeitung zugrunde liegende Begriffe definiert. Nach einer Darstellung der Rechtsquellen der vergaberechtlichen Vorschriften unter Punkt 3. folgt eine Erörterung der Regelungen des europäischen Sekundärrechts zu sozialen Aspekten und zum Schutz bei öffentlichen Ausschreibungen im Bereich des Schienenverkehrs unter den Punkten 4. (Richtlinien) und 5. (Verordnungen). Die Fragestellung der rechtlichen Möglichkeit einer Ergänzung des § 97 Absatz 4 GWB in der genannten Gestalt wird sodann unter Punkt 6. besprochen. Von der Frage der rechtlichen Möglichkeit der entsprechenden Ergänzung des § 97 Absatz 4 GWB ist die unter Punkt 7 zu erörternde Problematik zu trennen, ob die ergänzte Fassung des § 97 Absatz 4 GWB mit deutschem Recht vereinbar ist. Abschließend werden unter Punkt 8. die Rahmenbedingungen gerichtlicher Überprüfung der Vereinbarkeit der ergänzten Fassung mit dem deutschen Recht erläutert. 1 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Juni 2013 (BGBl. I S. 1750, 3245), das zuletzt durch Artikel 5 des Gesetzes vom 21. Juli 2014 (BGBl. I S. 1066) geändert worden ist, abrufbar unter: http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/gwb/gesamt.pdf. 2 Die in Rede stehenden Ergänzungen sind kursiv gesetzt. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 202/14 Seite 6 2. Begriffsbestimmungen Bei der vorliegenden Prüfung werden folgende Begriffsbestimmungen als Arbeitsdefinitionen zugrunde gelegt: 2.1. Definition einer „Kann-Bestimmung“ Unter einer so genannten „Kann-Bestimmung“ in europäischen Richtlinien und Verordnungen ist entsprechend dem Wortlaut des Ergänzungsvorschlags eine Vorschrift zu verstehen, deren Umsetzung (im Falle einer Richtlinie) beziehungsweise allgemeine Geltung (im Falle einer Verordnung ) in den Mitgliedsstaaten nicht zwingend vorgeschrieben wird (ius dispositivum). 2.2. Definition einer „zwingenden“ Bestimmung In Abgrenzung dazu wird der Begriff einer „zwingenden“ Bestimmung in europäischen Richtlinien und Verordnungen dahingehend definiert, dass deren Umsetzung (im Falle einer Richtlinie) beziehungsweise allgemeine Geltung (im Falle einer Verordnung) unabdingbar ist (ius cogens). 3. Rechtsquellen der Vorschriften und vergaberechtliches Kaskadenprinzip Die Regelungen, die soziale Aspekte und den Schutz der Beschäftigten bei öffentlichen Ausschreibungen des Bundes im Bereich des Schienenverkehrs zum Gegenstand haben, speisen sich aus verschiedenen Rechtsquellen. Von besonderer Wichtigkeit ist das europäische Sekundärrecht in Form von Richtlinien und Verordnungen , die im Folgenden unter den Punkten 4. (Richtlinien) und 5. (Verordnungen) erörtert werden. Den Schutz der Beschäftigten bei öffentlichen Ausschreibungen des Bundes regeln auf bundesrechtlicher Ebene Parlamentsgesetze und Verordnungen sowie bundeseinheitliche Verwaltungsvorschriften . Diese sind Teil des kaskadenartigen Regelungsapparats des deutschen Vergaberechts. In diesem Aufbau steht auf erster Stufe das GWB als formelles und nachkonstitutionelles Bundesgesetz. Auf zweiter Stufe folgt als Rechtsverordnung die von der Bundesregierung erlassene Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge3 (Vergabeverordnung, im Folgenden VgV). Sodann stehen auf der dritten Stufe die Vergabe- und Vertragsordnungen, wie beispielsweise die Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen/Teil A4 (VOL/A). 3 Vergabeverordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. Februar 2003 (BGBl. I S. 169), die zuletzt durch Artikel 1 der Verordnung vom 15. Oktober 2013 (BGBl. I S. 3854) geändert worden ist, abrufbar unter: http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/vgv_2001/gesamt.pdf. 4 Bekanntmachung der Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen – Teil A vom 20. November 2009 (BAnz. 2010 S. 755), abrufbar unter: http://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/Gesetz/verdingungsordnungfuer -leistungen-vol-a-2009,property=pdf,bereich=bmwi,sprache=de,rwb=true.pdf. Der Vollständigkeit halber sind auch die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen – Teil A: Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Bauleistungen (VOB/A) und die Vergabeordnung für freiberufliche Leistungen (VOF) aufzuführen, die für die weitere Untersuchung aber nur eine untergeordnete Relevanz besitzen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 202/14 Seite 7 4. Richtlinien der Europäischen Union Die Bestimmungen zu sozialen Aspekten und zum Schutz der Beschäftigten bei öffentlichen Ausschreibungen im Bereich des Schienenverkehrs werden von zahlreichen Richtlinien auf europarechtlicher Ebene geprägt. 4.1. Umsetzung von Richtlinien in nationales Recht Gemäß Artikel 288 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union5 (im Folgenden AEUV) ist eine Richtlinie für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel. Die Mitgliedsstaaten haben bei der Umsetzung einer Richtlinie einen gewissen Spielraum. Falls die Richtlinie jedoch die Einführung konkreter Berechtigungen oder Verpflichtungen verlangt, muss das nationalstaatliche Recht, das ihrer Transformation dient, entsprechend konkrete Berechtigungen oder Verpflichtungen begründen. Nach deutschem Recht ist deswegen zur Umsetzung einer Richtlinie in nationales Recht in der Regel die Verabschiedung eines förmlichen Gesetzes oder einer Verordnung erforderlich. 4.2. Europarechtliche Grundlagen des derzeit geltenden nationalen Vergaberechts Das derzeit geltende nationale Vergaberecht basiert – jedenfalls bis zur Umsetzung der drei neuen Richtlinien in deutsches Recht6 – insbesondere auf den Richtlinien 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge7 (im Folgenden Richtlinie 2004/18/EG) und der Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste8 (Richtlinie 2004/17/EG). Nach derzeit geltendem Recht (de lege lata) ist im Rahmen der Darstellung der für das Kartellvergaberecht bei der Vergabe von Leistungen des Schienenpersonennahverkehrs relevanten 5 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union vom 1. Dezember 2009, aktuelle Fassung in Amtsblatt Nr. C 326 vom 26. Oktober 2012, S. 1 ff., abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:12012E/TXT. 6 Siehe dazu Punkt 4.4.: Die Umsetzungsfrist läuft am 18. April 2016 ab. 7 Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge vom 31. März 2004, Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 134 vom 30. April 2004, S. 114 ff., abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32004L0018&rid=1. 8 Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste vom 31. März 2004, Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 134 vom 30. April 2004, S. 1 ff., abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32004L0017&rid=1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 202/14 Seite 8 Richtlinien auch die Basisrichtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge9 (Richtlinie 92/50/EWG)zu nennen. Diese wurde durch die Richtlinie 97/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Oktober 1997 zur Änderung der Richtlinien 92/50/EWG, 93/36/EWG und 93/37/EWG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungs-, Liefer- und Bauaufträge 10 (Richtlinie 97/52/EG) geändert. Im Kontext der derzeit geltenden Richtlinien der Europäischen Union im Bereich des Schienenverkehres ist ferner auf die Richtlinie 2012/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. November 2012 zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums11 (Richtlinie 2012/34/EU) hinzuweisen. 4.3. Regelungen zu den Eisenbahnverkehrsdienstleistungen Gemäß Anhang II Teil B der Richtlinie 2004/18/EG sind Eisenbahnverkehrsdienstleistungen nachrangige Dienstleistungen und unterfallen damit nicht den vollen Verfahrensvorschriften des europäischen Vergaberechts. Denn Artikel 21 der Richtlinie 2004/18/EG statuiert für die Aufträge über Dienstleistungen gemäß Anhang II Teil B lediglich die Anwendbarkeit des Artikels 23 und des Artikels 35 Absatz 4 der Richtlinie 2004/18/EG12. In Artikel 23 der Richtlinie 2004/18/EG finden sich Regelungen zu technischen Spezifikationen. Gemäß Artikel 35 Absatz 4 Richtlinie 2004/18/EG sendet ein öffentlicher Auftraggeber, der einen öffentlichen Auftrag vergeben oder eine Rahmenvereinbarung geschlossen hat, spätestens 48 Tage nach der Vergabe des Auftrags beziehungsweise nach Abschluss der Rahmenvereinbarung eine Bekanntmachung mit den Ergebnissen des Vergabeverfahrens ab. 4.4. Zukünftiger Richtlinienrahmen für die Vergabe öffentlicher Aufträge Zur Modernisierung des Vergaberechts sind am 17. April 2014 drei neue Vergaberichtlinien der Europäischen Union in Kraft getreten. Diese müssen bis zum 18. April 2016 in das deutsche Recht umgesetzt werden. Nachdem sich die Mitgliedstaaten, das Europäische Parlament und die EU-Kommission bereits im Juni 2013 auf die neuen Richtlinientexte geeinigt hatten, haben das Europäische Parlament am 15. Januar 2014 und die Mitgliedstaaten am 11. Februar 2014 die 9 Richtlinie 92/50/EWG des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge vom 18. Juni 1992, Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 209 vom 24. Juli 1992, S. 1 ff., abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:31992L0050&rid=1. 10 Richtlinie 97/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 92/50/EWG, 93/36/EWG und 93/37/EWG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungs-, Liefer- und Bauaufträge vom 12. Oktober 1997, Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 328 vom 28. November 1997, S. 1 ff., abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:31997L0052&rid=1. 11 Richtlinie 2012/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums vom 21. November 2012, Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 343 vom 14. Dezember 2012, S. 32 ff., abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:31969R1191&rid=1. 12 Vgl. dazu Winnes, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 1. Auflage 2011, VgV § 4 Rn. 8. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 202/14 Seite 9 neuen EU-Vergaberichtlinien auch formal angenommen13. Es handelt sich dabei neben der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG14 (Richtlinie 2014/24/EU) um die Richtlinie 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/17/EG15 (im Folgenden Sektorenrichtlinie) und die Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe16 (Konzessionsrichtlinie ). Ziele der Novellierung des EU-Vergaberechts sind eine Vereinfachung und Flexibilisierung der Vergabeverfahren, eine Erweiterung der elektronischen Vergabe sowie die Verbesserung des Zugangs für kleine und mittlere Unternehmen zu den Vergabeverfahren. Zudem sollen künftig strategische Aspekte zur Erreichung der Europa 2020-Ziele, insbesondere soziale und umweltpolitische Ziele, stärker in den Vergabeverfahren berücksichtigt werden17. Im Hinblick auf die Dienstleistungen öffentlicher Schienenverkehrsdienste ist folgendes festzuhalten : In der Sektorenrichtlinie kommen in Zukunft hinsichtlich sozialer Aspekte und zum Schutz der Beschäftigten bei öffentlichen Ausschreibungen des Bundes im Bereich des Schienenverkehrs neben den allgemeinen Vorschriften zum Anwendungsbereich und den Begriffsbestimmungen insbesondere Artikel 11 sowie die Anhänge II und III der Sektorenrichtlinie zum Tragen. 13 Darstellung des Bundeministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) zur Modernisierung des Vergaberechts, abrufbar unter: http://www.bmwi.de/DE/Themen/Wirtschaft/Wettbewerbspolitik/oeffentliche-auftraege ,did=190884.html. 14 Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG vom 26. Februar 2014, Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 94 vom 28. März 2014, S. 65 ff., abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32014L0024&rid=1. 15 Richtlinie 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/17/EG vom 26. Februar 2014, Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 94 vom 28. März 2014, S. 243 ff., abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32014L0025&rid=1. 16 Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über die Konzessionsvergabe vom 26. Februar 2014, Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 94 vom 28. März 2014, S. 1 ff., abrufbar unter: http://eurlex .europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32014L0023&rid=1. 17 Darstellung des Bundeministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) zur Modernisierung des Vergaberechts, abrufbar unter: http://www.bmwi.de/DE/Themen/Wirtschaft/Wettbewerbspolitik/oeffentliche-auftraege ,did=190884.html. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 202/14 Seite 10 5. Verordnungen der Europäischen Union 5.1. Unmittelbare Geltung einer Verordnung Eine Verordnung hat gemäß Artikel 288 Absatz 2 AEUV allgemeine Geltung. Sie ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Eine Umsetzung in deutsches Recht ist deshalb nicht erforderlich. Es ist jedoch möglich, dass Verordnungen im Einzelfall auf nationales Recht verweisen und ausfüllende oder abweichende Bestimmungen zulassen18. 5.2. Personenverkehrsverordnung Vor diesem Hintergrund beansprucht auch die Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 des Rates19 (im Folgenden Personenverkehrsverordnung) unmittelbare Geltung in Deutschland. Die Personenverkehrsverordnung hat einen wettbewerbsrechtlichen Hintergrund und schafft einen unionsweiten Rechtsrahmen für die Vergabe öffentlicher Personenbeförderungsaufträge im Landverkehr20. Die Personenverkehrsverordnung löste die Verordnung (EWG) Nr. 1191/69 des Rates vom 26. Juni 1969 über das Vorgehen der Mitgliedsstaaten bei mit dem Eingriff des öffentlichen Verkehrs verbundenen Verpflichtungen auf dem Gebiet des Eisenbahn-, Straßen und Binnenschiffsverkehrs 21 (Verordnung Nr. 1191/69 (EWG)) ab. Diese Vorgängerverordnung traf jedoch keine Regelungen zur Auftragsvergabe22. 18 So auch Bug, Arnold/Meißner, Florian: Zulässigkeit nationalstaatlicher Arbeitnehmerschutzvorschriften nach der EU-Personenverkehrsordnung. Sachstand vom 19. September 2014, Aktenzeichen WD 6 – 3000-181/14, S. 4 ff. 19 Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 des Rates vom 23. Oktober 2007, Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 315 vom 3. Dezember 2007, S. 1 ff., abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32007R1370&rid=1. 20 Vgl. Wieddekind, in: Wieddekind/Willenbruch, Kompaktkommentar Vergaberecht, 3. Auflage 2014, Einführung zur Vergabe von Verkehrsdienstleistungen Rn. 1. Siehe zur Personenverkehrsverordnung im Kontext des EU- Wettbewerbs-, Beihilfen- und Vergaberechts sowie zu deren Vereinbarkeit mit dem Europäischen Primärrecht auch Wieddekind, in: Wieddekind/Willenbruch, Kompaktkommentar Vergaberecht, 3. Auflage 2014, Einführung zur Vergabe von Verkehrsdienstleistungen Rn. 3 ff. 21 Verordnung (EWG) Nr. 1191/69 des Rates über das Vorgehen der Mitgliedsstaaten bei mit dem Eingriff des öffentlichen Verkehrs verbundenen Verpflichtungen auf dem Gebiet des Eisenbahn-, Straßen und Binnenschiffsverkehrs vom 26. Juni 1969, Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 156 vom 28. Juni 1969, S. 1 ff., abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32014L0024&rid=1. 22 Siehe dazu Erwägungsgrund 6 der Personenverkehrsverordnung sowie Wieddekind, in: Wieddekind/Willenbruch , Kompaktkommentar Vergaberecht, 3. Auflage 2014, VO 1370 Artikel 5 Rn. 2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 202/14 Seite 11 5.3. Vergaberechtliche Regelungen der Personenverkehrsverordnung Die Vorschrift des Artikels 5 der Personenverkehrsverordnung regelt die Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge. Artikel 5 Absatz 6 der Personenverkehrsverordnung bestimmt die Möglichkeit der Direktvergabe von Dienstleistungsaufträgen im Schienenpersonennahverkehr. Die Regelung des Artikels 5 Absatz 6 der Personenverkehrsverordnung lautet folgendermaßen: „Sofern dies nicht nach nationalem Recht untersagt ist, können die zuständigen Behörden entscheiden, öffentliche Dienstleistungsaufträge im Eisenbahnverkehr – mit Ausnahme anderer schienengeschützter Verkehrsträger wie Untergrund- oder Straßenbahnen – direkt zu vergeben. Abweichend von Artikel 4 Absatz 3 haben diese Aufträge eine Höchstlaufzeit von zehn Jahren, soweit nicht Artikel 4 Absatz 4 anzuwenden ist.“ Der Begriff der Direktvergabe ist in Artikel 2 Buchstabe h der Personenverkehrsverordnung legaldefiniert . Hiernach ist die Direktvergabe die „Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags an einen bestimmten Bewerber eines öffentlichen Dienstes ohne Durchführung eines vorherigen wettbewerblichen Vergabeverfahrens“. Im Falle einer Direktvergabe entfällt das wettbewerbliche Vergabeverfahren. Dadurch werden auch etwaige Vorschriften in Richtlinien oder Verordnungen , welche die sozialen Belange der Beschäftigten im wettbewerblichen Vergabeverfahren schützen sollen, berührt23. Denn die von der zuständigen Behörde festgelegten Sozial- beziehungsweise Qualitätsstandards sind gemäß Artikel 4 Absatz 6 der Personenverkehrsverordnung in die Unterlagen des wettbewerblichen Vergabeverfahrens und die öffentlichen Dienstleistungsaufträge aufzunehmen24. 5.4. Auslegungsleitlinien der Kommission Die Europäische Kommission hat am 29. März 2014 die Auslegungsleitlinien zur Personenverkehrsverordnung mitgeteilt25 (im Folgenden Leitlinien der Kommission). Dort sind unter Punkt 2.3.5. die Leitlinien der Kommission zu Artikel 5 Absatz 6 der Personenverkehrsverordnung festgehalten . Diese lauten im Wortlaut: „Vergibt eine Behörde Aufträge zur Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse an einen Dritten, so sind allgemeine, im Vertrag festgelegte Grund- 23 Siehe hinsichtlich der Schutzvorschrift des Artikels 5 Absatz 4 im Rahmen des wettbewerblichen Vergabeverfahrens : Zulässigkeit nationalstaatlicher Arbeitnehmerschutzvorschriften nach der EU-Personenverkehrsordnung. Sachstand vom 19. September 2014, Aktenzeichen WD 6 – 3000-181/14, S. 5. 24 Hölzl, in: Münchner Kommentar zum Europäischen und Deutschen Wettbewerbsrecht (Kartellrecht), 1. Auflage 2011, Verordnung (EG) Nummer 1370/2007 Artikel 4 Rn. 33, 37; Kaufmann, in: Kaufmann/Lübbig /Prieß/Pünder, Verordnung über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße, 1. Auflage 2010, VO (EG) 1370/2007 Artikel 4 Rn. 57, 74. 25 EUROPÄISCHE KOMMISSION, Mitteilung der Kommission über die Auslegungsleitlinien zu der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße (2014/C 92/01), Amtsblatt der Europäischen Union Nr. C 92 vom 29. März 2014, S. 1 ff., abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=OJ:C:2014:092:FULL&from=DE. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 202/14 Seite 12 sätze wie Transparenz und Gleichbehandlung zu beachten. Aufträge, die gemäß Artikel 5 Absatz 6 direkt vergeben werden, sind nicht von der Einhaltung dieser Grundsätze des Vertrags ausgenommen. Deshalb wird in der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007, insbesondere in Artikel 7 Absätze 2 und 3 gefordert, dass die zuständigen Behörden bestimmte Informationen über direkt vergebene öffentliche Dienstleistungsaufträge im Schienenverkehr mindestens ein Jahr vor und ein Jahr nach der Auftragsvergabe veröffentlichen. Diese Ausnahme von der allgemeinen Vorschrift für wettbewerbliche Vergabeverfahren ist ebenfalls restriktiv anzuwenden. So kann beispielsweise Schienenersatzverkehr durch Busse, der von dem Betreiber öffentlicher Verkehrsdienste im Falle einer Unterbrechung des Schienennetzes vertraglich gefordert sein kann, nicht als Eisenbahnverkehr gelten und fällt somit nicht unter Artikel 5 Absatz 6. Somit müssen solche Schienenersatzverkehrsdienste durch Busse gemäß den einschlägigen Rechtsvorschriften für die Vergabe öffentlicher Aufträge an Unterauftragnehmer vergeben werden. Ob bestimmte Arten von Schienenverkehrsdiensten in städtischen Gebieten bzw. deren Umland, wie S-Bahnen (in Österreich, Deutschland, der Schweiz und Dänemark ) und RER (in Frankreich) oder „anderen schienengestützten Verkehrsträgern“ vergleichbare Verkehrsträger (z. B. Untergrund- oder Straßenbahndienste) wie Tram-Train und bestimmte automatische, über optische Fahrleitsysteme gesteuerte Bahnen, unter die Ausnahmeregelung für den Eisenbahnverkehr gemäß Artikel 5 Absatz 6 fallen, ist unter Anwendung geeigneter Kriterien im Einzelfall zu bewerten . Dies hängt insbesondere davon ab, ob die betreffenden Systeme normalerweise interoperabel sind und/oder ob Infrastruktur des herkömmlichen Eisenbahnnetzes mitgenutzt wird. Obwohl Tram-Train-Dienste Eisenbahninfrastruktur nutzen, sollten sie aufgrund ihrer besonderen Merkmale dennoch den „anderen schienengestützten Verkehrsträgern“ zugerechnet werden.“26 5.5. Vorschlag der Kommission zur Änderung der Personenverkehrsverordnung Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass die Europäische Kommission am 31. Januar 2013 einen Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur 26 EUROPÄISCHE KOMMISSION, Mitteilung der Kommission über die Auslegungsleitlinien zu der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße (2014/C 92/01), Amtsblatt der Europäischen Union Nr. C 92 vom 29. März 2014, S. 12, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=OJ:C:2014:092:FULL&from=DE. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 202/14 Seite 13 Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 hinsichtlich der Öffnung des Marktes für inländische Schienenpersonenverkehrsdienste vorgelegt hat27. Der Vorschlag sieht vor, die Regelung des Artikels 5 Absatz 6 der Personenverkehrsverordnung zu streichen. Zur Begründung heißt es dort: „Mit der Streichung von Artikel 5 Absatz 6 wird den zuständigen Behörden die Möglichkeit genommen, zu entscheiden, ob sie einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag für den Eisenbahnverkehr direkt oder in einem wettbewerblichen Ausschreibungsverfahren vergeben. Die allgemeine Regel der wettbewerblichen Vergabe wird auch für die Eisenbahn gelten.“28 Allerdings sieht der Vorschlag der Europäischen Kommission einen „neuen“ Artikel 5 Absatz 6 vor. Dieser lautet folgendermaßen: „Um den Wettbewerb zwischen den Eisenbahnunternehmen zu steigern, können die zuständigen Behörden beschließen, dass Aufträge für den öffentlichen Schienenpersonenverkehr , die Teile desselben Netzes oder Streckenpakets betreffen, an unterschiedliche Eisenbahnunternehmen zu vergeben sind. Zu diesem Zweck können die zuständigen Behörden vor Anlaufen des Ausschreibungsverfahrens beschließen , die Zahl der Aufträge zu begrenzen, die an ein und dasselbe Eisenbahnunternehmen vergeben werden.“29 Außerdem sieht der Vorschlag in Artikel 5 Absatz 4 vor, dass im Bereich des Eisenbahnverkehrs ein Vergabesystem einzuführen sei, das die Direktvergabe nur noch begrenzt zuließe30. Bislang ist dieser Vorschlag der Kommission zur Änderung der Personenverkehrsverordnung jedoch nicht verabschiedet worden. 27 EUROPÄISCHE KOMMISSION, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 hinsichtlich der Öffnung des Marktes für inländische Schienenpersonenverkehrsdienste COM (2013) 28 final, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUri- Serv.do?uri=COM:2013:0028:FIN:DE:PDF. 28 EUROPÄISCHE KOMMISSION, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 hinsichtlich der Öffnung des Marktes für inländische Schienenpersonenverkehrsdienste COM (2013) 28 final, S. 6, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUri- Serv.do?uri=COM:2013:0028:FIN:DE:PDF. 29 EUROPÄISCHE KOMMISSION, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 hinsichtlich der Öffnung des Marktes für inländische Schienenpersonenverkehrsdienste COM (2013) 28 final, S. 15, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUri Serv.do?uri=COM:2013:0028:FIN:DE:PDF. 30 EUROPÄISCHE KOMMISSION, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 hinsichtlich der Öffnung des Marktes für inländische Schienenpersonenverkehrsdienste COM (2013) 28 final, S. 14, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUri Serv.do?uri=COM:2013:0028:FIN:DE:PDF; vgl. Wieddekind, in: Wieddekind/Willenbruch, Kompaktkommentar Vergaberecht, 3. Auflage 2014, VO 1370 Artikel 5 Rn. 107. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 202/14 Seite 14 6. Rechtliche Möglichkeit einer Ergänzung des § 97 Absatz 4 GWB Im Rahmen des verfassungsrechtlich in den Artikeln 70 ff. Grundgesetz31 (im Folgenden GG) verankerten parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens besteht die rechtliche Möglichkeit einer Ergänzung des § 97 Absatz 4 GWB um einen neuen Satz 2. Ein Blick auf die Vorschriften über das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren zeigt, dass die Gesetzgebungskompetenz für das Vergaberecht und damit auch für die Umsetzung von entsprechenden EU-Richtlinien zwischen Bund und Ländern aufgeteilt ist. Nach Artikel 74 Absatz 1 Nummer 11 GG erstreckt sich die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes auf das Recht der Wirtschaft. Zur Regelung des Wirtschaftslebens im Sinne des Artikels 74 Absatz 1 Nummer 11 GG gehören auch die Vorschriften über die Vergabe von öffentlichen Aufträgen. Diesem Rechtsgebiet sind auch gesetzliche Regelungen darüber zuzuordnen, in welchem Umfang der öffentliche Auftraggeber bei der Vergabeentscheidung über die in § 97 Abs. 4 GWB ausdrücklich vorgesehenen Kriterien hinaus andere oder weiter gehende Anforderungen an den Auftragnehmer stellen darf32. 7. Vereinbarkeit der Ergänzung des § 97 Absatz 4 GWB mit deutschen Recht Die Ergänzung des § 97 Absatz 4 GWB würde entsprechend dem Wortlaut eines neuen Satzes 2 in der hier in Rede stehenden Gestalt Auswirkungen auf die Rechtsqualität der in Satz 2 genannten Vorschriften sowie auf deren Stellung innerhalb der Normenhierarchie haben. Diese Folgen werden unter Punkt 7.1. besprochen. Unter Punkt 7.2. wird sodann vor dem Hintergrund der derzeitigen rechtwissenschaftlichen Diskussionen – insbesondere hinsichtlich der Bestimmungen des Artikels 5 Absatz 6 der Personenverkehrsverordnung und der Regelungen in § 15 Absatz 2 AEG und § 4 Absatz 3 VgV bezüglich der Vergabe von Leistungen des Schienenpersonennahverkehrs – die inhaltliche Vereinbarkeit der Ergänzung des § 97 Absatz 4 GWB mit dem deutschen Recht erörtert. 7.1. Auswirkungen der Ergänzung auf die Rechtsqualität der betroffenen Vorschriften 7.1.1. Kein Beurteilungsspielraum im Falle „zwingender“ Bestimmungen Die Umsetzung „zwingender“ Richtlinienbestimmungen ist unabdingbar. Im Falle solcher Bestimmungen entfällt ein Beurteilungsspielraum des nationalen Gesetzgebers hinsichtlich etwaiger Abweichungen. Bereits auf Grundlage des Artikels 288 Absatz 2 AEUV beansprucht eine zwingende Regelung einer Verordnung unmittelbare Geltung. 31 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100- 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 11. Juli 2012 (BGBl. I S. 1478) geändert worden ist, abrufbar unter: http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/gg/gesamt.pdf. 32 BVerfG, Beschluss vom 11.7.2006 – 1 BvL 4/00, juris Rn. 58. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 202/14 Seite 15 7.1.2. „Kann-Bestimmungen“ als „unmittelbar geltende und unumgängliche Normen“ Eine Ergänzung des § 97 Absatz 4 GWB um einen neuen Satz 2 entsprechend dem oben dargestellten Wortlaut hätte zur Folge, dass „Kann-Bestimmungen“ in Richtlinien und Verordnungen als „unmittelbar geltende und unumgängliche Normen“ auf der Ebene des nationalen formellen Bundesgesetzes Geltung erlangten. 7.1.3. Artikel 5 Absatz 6 Personenverkehrsverordnung als „Kann-Bestimmung“ Bei der Vorschrift des Artikels 5 Absatz 6 der Personenverkehrsverordnung handelt es sich entsprechend ihrem Wortlaut33 um eine „Kann-Bestimmung“. Denn das Wort „können“ im zweiten Halbsatz der Regelung verdeutlicht, dass deren Geltung im nationalen Recht nicht zwingend ist. Schließlich steht die Bestimmung darüber hinaus unter dem Vorbehalt von anderslautendem nationalen Recht. Infolgedessen würde durch die Ergänzung des neuen Satzes 2 in § 97 Absatz 4 GWB die Bestimmung Artikel 5 Absatz 6 der Personenverkehrsverordnung als „unmittelbar geltende und unumgängliche Norm“ qualifiziert. Daraus wiederum resultierte sodann die zwingende Geltung der Vorschrift des Artikels 5 Absatz 6 der Personenverkehrsverordnung auf der Ebene des nationalen Parlamentsgesetzes. 7.2. Streitigkeiten hinsichtlich des derzeit geltenden Artikels 5 Absatz 6 der Personenverkehrsverordnung Auf Basis des derzeit geltenden Rechts wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur seit langer Zeit über das Verhältnis der Vorschrift des Artikels 5 Absatz 6 der Personenverkehrsverordnung zu nationalen vergaberechtlichen Regelungen gestritten34. Auch die europäischen sowie die nationalen Gerichte waren bereits vielfach mit solchen Fragestellungen befasst. Hintergrund der Auseinandersetzungen ist, dass Artikel 5 Absatz 6 der Personenverkehrsverordnung eine Direktvergabe vorbehaltlich entgegenstehender Regelungen des nationalen Rechts zulässt. Zur Klärung der Frage, ob im deutschen Recht solche entgegenstehenden Bestimmungen vorhanden sind, ist 33 Siehe den Wortlaut der Vorschrift unter Punkt 5.3. 34 In der rechtswissenschaftlichen Literatur wird ebenfalls über die Vereinbarkeit nationaler vergaberechtlicher Bestimmungen mit europäischem Primärrecht debattiert, siehe dazu Winnes, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht , 1. Auflage 2011, VgV § 4 Rn. 8; Pünder, Die Vergabe von Dienstleistungsaufträgen im Eisenbahnverkehr, EuR 2010, 774, 781 ff.; Otting/Scheps, Direktvergabe von Eisenbahnverkehrsdienstleitungen nach der neuen Verordnung (EG) Nr. 1370/2007, NVwZ 2008, S. 499, 501 ff. Die Personenverkehrsverordnung aus Sicht des deutschen Verfassungsrechts beurteilen Otting/Olgemöller, Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen für Direktvergaben im Verkehrssektor nach Inkratfttreten der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007, DÖV 2009, S. 364 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 202/14 Seite 16 das Verhältnis des § 4 Absatz 3 VgV zur Vorschrift des § 15 Absatz 2 Allgemeines Eisenbahngesetz 35 (im Folgenden AEG) zu besprechen. Diese Auseinandersetzung wird unter Punkt 7.2.3. erörtert . Zum besseren Verständnis der dahinter stehenden Diskussionen bedarf es zunächst einer Erläuterung der in Rede stehenden Vorschriften. 7.2.1. Regelung des § 4 Absatz 3 VgV § 4 Absatz 3 VgV trifft besondere Regelungen für die Vergabe von Eisenbahnleistungen. Die Vorschrift lautet folgendermaßen: „(3) Bei Aufträgen, deren Gegenstand Personennahverkehrsleistungen der Kategorie Eisenbahnen sind, gilt Absatz 2 mit folgenden Maßgaben: 1. Bei Verträgen über einzelne Linien mit einer Laufzeit von bis zu drei Jahren ist einmalig auch eine freihändige Vergabe ohne sonstige Voraussetzungen zulässig. 2. Bei längerfristigen Verträgen ist eine freihändige Vergabe ohne sonstige Voraussetzungen im Rahmen des § 15 Abs. 2 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes zulässig, wenn ein wesentlicher Teil der durch den Vertrag bestellten Leistungen während der Vertragslaufzeit ausläuft und anschließend im Wettbewerb vergeben wird. Die Laufzeit des Vertrages soll zwölf Jahre nicht überschreiten. Der Umfang und die vorgesehen Modalitäten des Auslaufens des Vertrages sind nach Abschluss des Vertrages in geeigneter Weise öffentlich zu machen.“ 7.2.1.2. Verfassungskonformität des § 4 Absatz 3 VgV? Die Regelung des § 4 Absatz 3 VgV wurde im Rahmen der ersten Änderung der VgV (Erste Vergabeveränderungsverordnung ) vom 7. November 2002 eingeführt und seitdem nicht verändert36. Mit der Einführung dieser Regelung soll das Vergaberecht an die verkehrspolitischen Erfordernisse des Schienenpersonennahverkehrs unter Festschreibung eines Übergangs in den Wettbewerb angepasst werden37. Gemäß Artikel 2 der Ersten Vergabeveränderungsverordnung tritt die Sonderregelung des § 4 Absatz 3 VgV am 31. Dezember 2014 außer Kraft. In der Rechtsprechung sowie der rechtswissenschaftlichen Literatur wird über die Verfassungskonformität des § 4 Absatz 3 VgV gestritten. 35 Allgemeines Eisenbahngesetz vom 27. Dezember 1993 (BGBl. I S. 2378, 2396; 1994 I S. 2439), das zuletzt durch Artikel 4 Absatz 120 des Gesetzes vom 7. August 2013 (BGBl. I S. 3154) geändert worden ist, abrufbar unter: http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/aeg_1994/gesamt.pdf. 36 Siehe die Erste Verordnung zur Änderung der Vergabeverordnung, abrufbar unter http://bmwi.de/BMWi/Redaktion /PDF/Gesetz/VgV1Aend,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf. 37 Greb, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 1. Auflage 2011, VgV § 4 Rn. 6; vgl. auch Wieddekind, in: Wieddekind /Willenbruch, Kompaktkommentar Vergaberecht, 3. Auflage 2014, VgV § 4 Rn. 2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 202/14 Seite 17 7.2.1.2.1. Ansicht der Rechtsprechung Gemäß der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (im Folgenden BVerfG) darf eine Rechtsverordnung darf nur aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage erlassen werden 38. Maßgebliche Rechtsgrundlagen für den Erlass der Vergabeverordnung finden sich in den §§ 97 Absatz 6 GWB und 127 GWB. Streitig ist nun, ob § 97 Absatz 6 GWB als Ermächtigungsgrundlage zum Erlass des § 4 Absatz 3 VgV in Frage gekommen sei. Die Vergabekammer (im Folgenden VK) des Landes Brandenburg hat dies abgelehnt39. In ihrer Begründung führt die VK aus, dass die Regelung des § 4 Absatz 3 VgV von der gewählten Ermächtigungsgrundlage des § 97 Absatz 6 GWB nicht gedeckt sei40. Das Normprogramm dieser Vorschrift sei nur auf die Ausgestaltung des allgemeinen Vergabeverfahrens im Sinne der §§ 97 ff. GWB ausgerichtet. § 97 Absatz 6 GWB gelte nicht für die Konkretisierung von nicht dem Anwendungsbereich der §§ 97 ff. GWB unterfallenden spezialgesetzlich geregelten Sachverhalten . Denn § 4 Absatz 3 VgV stelle eine Bereichsausnahme zum Vergabeverfahren dar. Der Bundesgerichtshof (im Folgenden BGH) hat in seinem Beschluss vom 8. Februar 2011, der unter anderem die Frage des Konkurrenzverhältnisses des § 4 Absatz 3 VgV und des § 15 Absatz 2 AEG zum Gegenstand hatte, die Problematik der hinreichenden Ermächtigungsgrundlage nicht diskutiert41. 7.2.1.2.2. Ansicht der rechtswissenschaftlichen Literatur Zwar greifen Teile der rechtswissenschaftlichen Literatur die Rechtsprechung der VK Brandenburg auf, folgen ihr im Ergebnis jedoch nicht42. In der Begründung hierzu weisen einzelne Stimmen des Schrifttums darauf hin, dass eine Folge der Rechtsprechung der VK Brandenburg die Nichtigkeit der Regelung des § 4 Absatz 3 VgV wäre43. Demgegenüber führt nach einer anderen vertretenen Auffassung selbst die Annahme eines Verstoßes gegen den Umfang und die Grenzen der Ermächtigungsgrundlage beziehungsweise das Fehlen einer wirksamen Ermächtigungsgrundlage nicht dazu, dass die Behörden die Norm des 38 Vgl. BVerfG, Entscheidung vom 9.10.1968 – 2 BvE 2/66, juris Rn. 46. 39 VK Brandenburg, Beschluss vom 10.2.2003 – VK 80/02, juris Rn. 107. 40 VK Brandenburg, Beschluss vom 10.2.2003 – VK 80/02, juris Rn. 107. 41 BGH, Beschluss vom 8.2.2011 – X ZB 4/10; siehe dazu auch unter Punkt 7.2.3.3. 42 Vgl. Wieddekind, in: Wieddekind/Willenbruch, Kompaktkommentar Vergaberecht, 3. Auflage 2014, VgV § 4 Rn. 3 ff.; Winnes, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 1. Auflage 2011, VgV § 4 Rn. 4. 43 Winnes, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 1. Auflage 2011, VgV § 4 Rn. 4. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 202/14 Seite 18 § 4 Absatz 3 VgV nicht anwenden müssten44. Schließlich liege die Normverwerfungskompetenz nicht bei den Behörden, sondern bei den Gerichten45. Weiterhin wird in diesem Zusammenhang diskutiert, ob der VK als Verwaltungsinstanz eine entsprechende Normverwerfungskompetenz zukomme46. Hinsichtlich dieser Fragestellung wären aber nach einer in der rechtswissenschaftlichen Literatur vertretenen Ansicht im Ergebnis jedenfalls die Oberlandesgerichte als zweite Instanz dazu befugt, die Norm des § 4 Absatz 3 VgV für nichtig zu erklären47. Da dies bislang nicht geschehen sei, bleibe es dabei, dass die Behörden verpflichtet seien, die Vorschrift zu beachten48. 7.2.1.3. Pflicht zur freihändigen Vergabe? Neben der Frage der Verfassungskonformität des § 4 Absatz 3 VgV diskutiert das rechtswissenschaftliche Schrifttum, ob aus der Vorschrift des § 4 Absatz 3 VgV eine Pflicht zur freihändigen Vergabe resultiere. Denn die Regelung erlaube dem Auftraggeber im Gegensatz zu anderen Ausschreibungsverfahren die Durchführung der freihändigen Vergabe bei einem Vorliegen der Voraussetzungen des § 4 Absatz 3 Nummern 1 oder 2 VgV49. Nach dem Willen des Gesetzgebers solle die freihändige Vergabe anstatt der öffentlichen Ausschreibung möglich sein50. Mit der freihändigen Vergabe sei ein förmliches Verfahren gemeint, in dem sich der Auftraggeber grundsätzlich an mehrere Unternehmen wendet, um dann um den Vertrag zu verhandeln51. 7.2.2. Regelung des § 15 Absatz 2 AEG Im AEG findet sich in § 15 Absatz 2 eine Regelung, die sich mit der Ausschreibung der in § 15 Absatz 1 AEG thematisierten gemeinwirtschaftlichen Leistungen befasst. Die Vorschrift des § 15 AEG lautet folgendermaßen: 44 Wieddekind, in: Wieddekind/Willenbruch, Kompaktkommentar Vergaberecht, 3. Auflage 2014, VgV § 4 Rn. 4. 45 Wieddekind, in: Wieddekind/Willenbruch, Kompaktkommentar Vergaberecht, 3. Auflage 2014, VgV § 4 Rn. 4. 46 Wieddekind, in: Wieddekind/Willenbruch, Kompaktkommentar Vergaberecht, 3. Auflage 2014, VgV § 4 Rn. 5. 47 Wieddekind, in: Wieddekind/Willenbruch, Kompaktkommentar Vergaberecht, 3. Auflage 2014, VgV § 4 Rn. 4. 48 Wieddekind, in: Wieddekind/Willenbruch, Kompaktkommentar Vergaberecht, 3. Auflage 2014, VgV § 4 Rn 4; so im Ergebnis auch Winnes, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 1. Auflage 2011, VgV § 4 Rn. 4. 49 Wieddekind, in: Wieddekind/Willenbruch, Kompaktkommentar Vergaberecht, 3. Auflage 2014, VgV § 4 Rn. 5. 50 Vgl. BMWi IB3-260530. 51 Greb, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 1. Auflage 2011, VgV § 4 Rn. 10 unter dem Hinweis auf § 3 Absatz 1 Satz 4 VOL/A; zu den Gemeinsamkeiten beziehungsweis Unterschieden der freihändigen Vergabe und der Direktvergabe in diesem Kontext: Wieddekind, in: Wieddekind/Willenbruch, Kompaktkommentar Vergaberecht, 3. Auflage 2014, VgV § 4 Rn. 5; Winnes, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 1. Auflage 2011, VgV § 4 Rn. 5. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 202/14 Seite 19 „(1) Für die Auferlegung oder Vereinbarung gemeinwirtschaftlicher Leistungen ist die Verordnung (EWG) Nr. 1191/69 des Rates maßgebend. Zuständig im Sinne dieser Verordnung sind für Eisenbahnen des Bundes, soweit es sich nicht um deren Schienenpersonennahverkehr handelt, Behörden des Bundes, im übrigen nach Maßgabe des Landesrechts Behörden der Länder oder die Kreise, Gemeinden oder Gemeindeverbände. (2) Die zuständigen Behörden, die beabsichtigen, die Erbringung gemeinwirtschaftlicher Leistungen durch Eisenbahnverkehrsunternehmen auf der Grundlage des Artikels 1 Absatz 4 und des Artikels 14 der in Absatz 1 genannten Verordnung zu vereinbaren , können diese Leistungen ausschreiben.“ Unter dem Begriff der „gemeinwirtschaftlichen Leistungen“ sind solche Leistungen zu verstehen, bei denen sich die Erbringung der Fahrleistungen nicht durch das Entgelt der Nutzer amortisiert, sondern bei denen der Auftraggeber die Erbringung der Leistungen bezahlt beziehungsweise bezuschusst 52. In diesem Zusammenhang ist unter dem Begriff der „Eisenbahnverkehrsleistungen“ gemäß § 2 Absatz 2 AEG die Beförderung von Personen oder Gütern auf einer Eisenbahninfrastruktur zu verstehen53. 7.2.3. Konkurrenzverhältnis des § 15 Absatz 2 AEG zu § 4 Absatz 3 VgV Gemäß § 15 Absatz 2 AEG „können“ Behörden die Erbringung gemeinwirtschaftlicher Leistungen ausschreiben54. Sie müssen dies aber nicht, da ihnen ein Direktvergabeprivileg zustehe55. Insofern ist die Ausschreibung der Eisenbahnleistungen freiwillig. Nach § 4 Absatz 3 VgV wiederum ist eine freihändige Vergabe zulässig. Dies stellt nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung jedoch „lediglich“ eine Erleichterung der Verfahrensart dar und berechtigt die Behörde nicht dazu, eine Ausschreibung zu unterlassen. Entscheidet sich der Auftraggeber nun auf Grundlage des § 15 Absatz 2 AEG, von einer Ausschreibung abzusehen, kommt es bezüglich der Frage der rechtlichen Möglichkeit dieses Ausschreibungsverzichts auf das Konkurrenzverhältnis der Vor- 52 Wieddekind, in: Wieddekind/Willenbruch, Kompaktkommentar Vergaberecht, 3. Auflage 2014, VgV § 4 Rn. 7; siehe zum Begriff der „gemeinwirtschaftlichen Leistungen“ auch Greb, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 1. Auflage 2011, VgV § 4 Rn. 11 sowie zur Definition in Artikel 2 Buchstabe e der Personenverkehrsverordnung Wieddekind/Willenbruch, Kompaktkommentar Vergaberecht, 3. Auflage 2014, Einführung Vergabe von Verkehrsdienstleistungen Rn. 15. 53 Vgl. Wieddekind, in: Wieddekind/Willenbruch, Kompaktkommentar Vergaberecht, 3. Auflage 2014, VgV § 4 Rn. 7. 54 Siehe den Wortlaut des § 15 AEG unter Punkt 7.2.2. 55 Zum Begriff des Direktvergabeprivilegs vgl. nur Otting/Scheps (Fn. 34), NVwZ 2008, S. 499, 504. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 202/14 Seite 20 schriften des § 15 Absatz 2 AEG zu § 4 Absatz 3 VgV an. Welcher der beiden Vorschriften vorrangige Geltung zukommt, ist in der Rechtsprechung und der rechtswissenschaftlichen Literatur umstritten 56. 7.2.3.1. Vorrang des § 15 Absatz 2 AEG Die frühere Rechtsprechung ging davon aus, dass die Vorschrift des § 15 Absatz 2 AEG Anwendungsvorrang vor § 4 Absatz 3 VgV genieße57. Begründet wurde diese Auffassung damit, dass § 15 Absatz 2 AEG die speziellere Norm gegenüber § 4 Absatz 3 VgV sei und infolgedessen die Vorschriften der §§ 97 GWB und damit die vergaberechtlichen Bestimmungen verdränge. Insbesondere bestehe kein Anwendungsvorrang des § 4 Absatz 3 VgV als jüngerer Regelung vor dem § 15 Absatz 2 AEG nach dem Auslegungsgrundsatz „lex posterior derogat legi priori“ (Das jüngere Gesetz hebt das ältere Gesetz auf).58. Ebenfalls hat die Rechtsprechung dahingehend argumentiert , dass § 15 Absatz 2 AEG die gemeinwirtschaftliche Verpflichtung zur Erbringung von Dienstleistungen des Schienenpersonennahverkehrs erschöpfend regele59. Auch von Teilen der rechtswissenschaftlichen Literatur wird die Auffassung des Vorrangs des § 15 Absatz 2 AEG gegenüber § 4 Absatz 3 VgV vertreten60. 56 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 6.12.2006 – 1 BvR 2085/03, juris Rn. 3 ff. Dort findet sich in juris Rn. 55 eine ausführliche Übersicht zum Streitstand in dieser Frage. Siehe dazu insbesondere BGH, Beschluss vom 8.2.2011 – X ZB 4/10, juris Rn. 15 ff.; OLG Brandenburg, Beschluss vom 2.9.2003 – Verg W 3/03, Verg W 5/03, juris Rn. 59 ff.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.7.2010 - VII-Verg 19/10, Verg 19/10, juris Rn. 73 ff.; VK Brandenburg, Beschluss vom 10.2.2003 – VK 80/02, juris Rn. 47 ff.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 13.7.2005 – 6 W 35/05, juris Rn. 18 f.; Wieddekind, in: Wieddekind/Willenbruch, Kompaktkommentar Vergaberecht, 3. Auflage 2014, VgV § 4 Rn. 6; siehe dazu auch Greb, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 1. Auflage 2011, VgV § 4 Rn. 12; Winnes, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 1. Auflage 2011, VgV § 4 Rn. 5; Thieme/Schlüter, Vergaberecht und Schienenpersonennahverkehr , NVwZ 2004, S. 162 ff.; Theobald/Kafka, Vergabe von Verkehrsverträgen im Rahmen des SPNV, NZBau, 2002, S. 603, 604 ff.; Pünder (siehe Fn. 34), EuR 2010, 774, 785 ff. 57 OLG Brandenburg, Beschluss vom 2.9.2003 – Verg W 3/03, Verg W 5/03, juris Rn. 60. 58 VK Brandenburg, Beschluss vom 10.2.2003 – VK 80/02, juris Rn. 58. 59 OLG Brandenburg, Beschluss vom 2.9.2003 – Verg W 3/03, Verg W 5/03, juris Rn. 133 ff.; VK Brandenburg, Beschluss vom 10.2.2003 – VK 80/02, juris Rn. 58; so im Ergebnis jedenfalls OLG Karlsruhe, Beschluss vom 13.7.2005 – 6 W 35/05, juris Rn. 19; offen gelassen OLG Koblenz, Beschluss vom 5.9.2002 – 1 Verg 2/02, juris Rn. 101 ff. 60 Vgl. Pünder (siehe Fn. 34), EuR 2010, S. 774, 786; Otting/Scheps (siehe Fn. 34), NVwZ 2008, S. 499, 504 ff.; Otting /Olgemöller (siehe Fn. 34), DÖV 2009, S. 364, 371. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 202/14 Seite 21 7.2.3.2. Vorrang des § 4 Absatz 3 VgV Die im rechtswissenschaftlichen Schrifttum und der Rechtsprechung ebenso vertretene gegenteilige Auffassung sieht § 4 Absatz 3 VgV gegenüber § 15 Absatz 2 AEG als vorrangig geltende Vorschrift an61. Dies wird insbesondere damit begründet, dass § 4 Absatz 3 VgV als jüngere Vorschrift der älteren Regelung des § 15 Absatz 2 AEG vorgehe62. Das OLG Düsseldorf hatte in einer älteren Entscheidung vom 6. Juni 2004 noch entschieden, dass ein öffentlicher Auftraggeber jedenfalls dann dem Regime des Vergaberechts unterliege, wenn er das ihm gemäß dem Wortlaut des § 15 Abs. 2 AEG an sich (möglicherweise) zu Gebote stehende Ermessen, solche Leistungen öffentlich auszuschreiben oder nicht, tatsächlich dahin ausgeübt habe, jene Leistungen in einem förmlichen Vergabeverfahren zu vergeben63. Eine in diesem Sinn getroffene Ermessensentscheidung sei für den öffentlichen Auftraggeber rechtlich bindend. Er könne sich nicht später darauf berufen, er habe nicht ausschreiben müssen. Diese Frage hat das OLG Düsseldorf im Jahre 2010 dem BGH im Rahmen einer Divergenzvorlage gemäß § 124 Absatz 2 GWB64 vorgelegt65. 7.2.3.3. Entscheidung des Bundesgerichtshofs In seinem Beschluss vom 8. Februar 2011 hat der BGH entschieden, dass § 4 Absatz 3 VgV nicht durch § 15 Absatz 2 AEG verdrängt werde66. Der BGH stellt wörtlich klar: „Auch diese (ältere) Regelung, nach der die zuständigen Behörden, die beabsichtigen , die Erbringung gemeinwirtschaftlicher Leistungen durch Eisenbahnverkehrsunternehmen zu vereinbaren, diese Leistungen ausschreiben können, begründet 61 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.7.2010 - VII-Verg 19/10, Verg 19/10, juris Rn. 73 ff.; Zirbes, VergabeR 2004, S. 133, 148 f.; Theobald/Kafka (siehe Fn. 56), NZBau, 2002, S. 603 ff.; Thieme/Schlüter (siehe Fn. 56), NVwZ 2004, S. 162 ff. 62 Theobald/Kafka (siehe Fn. 56), S. NZBau, 2002, S. 603, 605; Thieme/Schlüter (siehe Fn. 56), NVwZ 2004, S. 162, 163 f. 63 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6.6.2004 – VII. Verg 79/04, juris Rn. 3; vgl. dazu auch Wieddekind, in: Wieddekind /Willenbruch, Kompaktkommentar Vergaberecht, 3. Auflage 2014, VgV § 4 Rn. 10. 64 § 124 Absatz 2 GWB lautet folgendermaßen: „Will ein Oberlandesgericht von einer Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs abweichen, so legt es die Sache dem Bundesgerichtshof vor. Der Bundesgerichtshof entscheidet anstelle des Oberlandesgerichts. Der Bundesgerichtshof kann sich auf die Entscheidung der Divergenzfrage beschränken und dem Beschwerdegericht die Entscheidung in der Hauptsache übertragen, wenn dies nach dem Sach- und Streitstand des Beschwerdeverfahrens angezeigt scheint. Die Vorlagepflicht gilt nicht im Verfahren nach § 118 Absatz 1 Satz 3 und nach § 121.“ Die Vorschrift ist abrufbar unter: http://www.gesetze-im-internet.de/gwb/__124.html. 65 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.7.2010 - VII-Verg 19/10, Verg 19/10, juris Rn. 33; entgegen OLG Brandenburg , Beschluss vom 2.9.2003 – Verg W 3/03, Verg W 5/03, juris Rn. 60. 66 BGH, Beschluss vom 8.2.2011 – X ZB 4/10, juris Rn. 15 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 202/14 Seite 22 keine Ausnahme von dem im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen definierten Anwendungsbereich seiner Vergabevorschriften67. (…) Die Regelung in § 15 Abs. 2 AEG, wonach die Erbringung gemeinwirtschaftlicher Leistungen durch Eisenbahnverkehrsunternehmen auf der Grundlage von Art. 1 Abs. 4, Art. 14 der VO (EWG) 1191/69 von den zuständigen Behörden ausgeschrieben werden können, hat gegenüber dem Vierten Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen keinen Vorrang unter dem Gesichtspunkt der Spezialität.“68 7.2.3.4. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass auch das BVerfG im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde mit der Fragestellung des Verhältnisses der Regelungen des Vergaberechts zu § 15 Absatz 2 AEG befasst war69. Die Verfassungsbeschwerde betraf das Problem, ob das entscheidende Gericht (OLG Brandenburg ) im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens die Pflicht zur Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (im Folgenden EuGH) vor dem Hintergrund der Fragestellung habe, ob das Gemeinschaftsrecht die Durchführung eines förmlich-wettbewerblichen Vergabeverfahrens vor dem Abschluss eines Verkehrsvertrags über Leistungen des Schienenpersonennahverkehrs verlange. Insbesondere wendete sich die Beschwerdeführerin gegen die Zurückweisung von Anträgen im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren mangels Verpflichtung zur öffentlichen Ausschreibung , wobei die Fachgerichte § 15 Absatz 2 AEG angewendet hatten und das OLG Brandenburg eine Vorlage mehrerer Fragen an den EuGH für nicht erforderlich erachtet hatte70. Das BVerfG sah diesbezüglich keine verfassungsrechtlichen Bedenken, da das OLG Brandenburg die Vorlagepflicht an den EuGH in verfassungskonformer Weise verneint habe71. Die Entscheidung, wonach § 15 Absatz 2 AEG als lex specialis Geltung erlange, ist „nachvollziehbar begründet“ und „gut vertretbar“72. 67 BGH, Beschluss vom 8.2.2011 – X ZB 4/10, juris Rn. 18. 68 BGH, Beschluss vom 8.2.2011 – X ZB 4/10, juris Rn. 21. 69 BVerfG, Beschluss vom 6.12.2006 – 1 BvR 2085/03, juris Rn. 3 ff. In juris Rn. 56 findet sich eine ausführliche Übersicht zum Streitstand dieser Frage, siehe auch Fn. 56. 70 BVerfG, Beschluss vom 6.12.2006 – 1 BvR 2085/03, juris Rn. 1, 3 ff. 71 BVerfG, Beschluss vom 6.12.2006 – 1 BvR 2085/03, juris Rn. 1, 3 ff. 72 BVerfG, Beschluss vom 6.12.2006 – 1 BvR 2085/03, juris Rn. 43 und 46. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 202/14 Seite 23 7.2.3.5. Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs Der Vollständigkeit halber ist ferner darauf hinzuweisen, dass sich der EuGH mit der Frage einer Ausschreibungsverpflichtung nach § 15 Absatz 2 AEG aus beihilferechtlicher Sicht auseinandergesetzt nicht aber vergaberechtlichen Fragen im sogenannten Altmark-Urteil vom 24. Juli 2003 behandelt hat73. 7.2.3.6. Fazit zum Konkurrenzverhältnis des § 15 Absatz 2 AEG zu § 4 Absatz 3 VgV Während ein Teil der rechtswissenschaftlichen Literatur – insbesondere in Folge des Beschlusses des BGH vom 8. Februar 2011 – von einem Vorrang der Regelung des § 4 Absatz 3 VgV ausgeht, wird im Gegensatz dazu auch weiterhin die Auffassung vertreten, dass § 15 Absatz 2 AEG vorrangig anzuwenden sei. Diese Ansicht wird unter anderem im Hinblick auf die Rechtsprechung des BVerfG vertreten. Die Fragestellung, ob im deutschen Recht dem entgegenstehende Bestimmungen im Sinne des Artikels 5 Absatz 6 der Personenverkehrsverordnung vorhanden sind, bleibt also umstritten. 7.2.4. Verhältnis des Artikels 5 Absatz 6 Personenverkehrsverordnung zu § 4 Absatz 3 VgV Doch wird nicht nur über die Konkurrenzproblematik zwischen der Regelung des § 4 Absatz 3 VgV und § 15 Absatz 2 AEG auf der Ebene des nationalen Rechts gestritten. Auch das Verhältnis des Artikels 5 Absatz 6 der Personenverkehrsverordnung zu § 4 Absatz 3 VgV ist Gegenstand einer Debatte im rechtswissenschaftlichen Schrifttum74. Diese Auseinandersetzung ist in engem Zusammenhang mit der Frage der Konkurrenz der Vorschriften des § 4 Absatz 3 VgV zu § 15 Absatz 2 AEG zu betrachten. Gleichwohl werden in der rechtswissenschaftlichen Literatur auch davon unabhängige Argumente vorgetragen. Deshalb wird diese im rechtswissenschaftlichen Schrifttum nach wie vor geführte Auseinandersetzung wird im Folgenden der Vollständigkeit halber dargestellt. 7.2.4.1. Vorrang der Personenverkehrsverordnung Ein möglicher Vorrang der Personenverkehrsverordnung wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur nur von den Anhängern der Auffassung in Erwägung gezogen, die § 15 Absatz 2 AEG als lex specialis zu § 4 Absatz 3 VgV ansieht, wonach es auf die Frage des Verhältnisses zu den vergaberechtlichen Vorschriften jedenfalls dann nicht mehr ankommt, wenn die Aufgabenträger nicht auf die eisenbahnrechtliche Privilegierung des § 15 Absatz 2 AEG verzichten75. In diesem 73 EuGH, Urteil vom 24.7.2003 – Rs. C-280/00 (Altmark-Trans), juris Rn. 1, 30 ff.; Vgl. Wieddekind, in: Wieddekind /Willenbruch, Kompaktkommentar Vergaberecht, 3. Auflage 2014, VgV § 4 Rn. 12. 74 Vgl. dazu einleitend Wieddekind, in: Wieddekind/Willenbruch, Kompaktkommentar Vergaberecht, 3. Auflage 2014, VgV § 4 Rn. 16; Winnes, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 1. Auflage 2011, VgV § 4 Rn. 6; vgl. dazu auch Greb, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 1. Auflage 2011, VgV § 4 Rn. 14 75 Pünder (siehe Fn. 34), EuR 2010, S. 774, 786. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 202/14 Seite 24 Fall würde das deutsche Eisenbahnrecht einer Direktvergabe nach Artikel 5 Absatz 6 der Personenverkehrsverordnung nicht im Wege stehen76. 7.2.4.2. Vorrang des § 4 Absatz 3 VgV Nach einer von großen Teilen der rechtswissenschaftlichen Literatur vertretenen Ansicht ist dagegen im Anwendungsbereich des § 4 Absatz 3 VgV nicht von einem Vorrang des Artikels 5 Absatz 6 Personenverkehrsverordnung auszugehen77. Begründet wird diese Auffassung damit, dass die Möglichkeit der Direktvergabe gemäß Artikel 5 Absatz 6 der Personenverkehrsverordnung nicht gelten solle, wenn Direktvergaben nach nationalen Recht untersagt sind78. Ein derartiges Verbotsgesetz bestehe mit § 101 b Absatz 1 Nummer 2 GWB, wonach direkte Beauftragungen ohne gesetzliche Ermächtigung schwebend unwirksam seien79. Weiterhin wird zur Begründung ausgeführt, dass § 4 Absatz 3 VgV keine Ermächtigung für Direktvergaben darstelle, sondern lediglich für freihändige Verfahren80. Ein weiteres Argument lautet, dass nach der Entscheidung des BGH vom 8. Februar 201181 feststehe, dass deutsches Recht der Direktvergabe gemäß Artikel 5 Absatz 6 der Personenverkehrsverordnung jedenfalls insoweit entgegensteht, als die Vergabe von S-Bahn-Leistungen in den Anwendungsbereich der §§ 97 ff. GWB fällt82. Eine im Ergebnis gleichlautende aber in der Begründung deutlich knappere Auffassung stellt den Vorrang des § 4 Absatz 3 VgV unter den Vorbehalt, dass die nationalrechtliche Vergabepflicht nicht von § 15 Absatz 2 AEG verdrängt werde. Unter Voraussetzung dieses Vorbehalts liefe die Direktvergabemöglichkeit des Artikels 5 Absatz 6 der Personenverkehrsverordnung ins Leere83. 76 Pünder (siehe Fn. 34), EuR 2010, S. 774, 786. 77 Wieddekind, in: Wieddekind/Willenbruch, Kompaktkommentar Vergaberecht, 3. Auflage 2014, VgV § 4 Rn. 15; Greb, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 1. Auflage 2011, VgV § 4 Rn. 14; so im Ergebnis auch Winnes, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 1. Auflage 2011, VgV § 4 Rn. 6; Theobald/Kafka (Fn. 56), NZBau 2002, 603, 605. 78 Vgl. Greb, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 1. Auflage 2011, VgV § 4 Rn. 14. 79 Greb, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 1. Auflage 2011, VgV § 4 Rn. 14 mit dem Hinweis auf Ellenberger, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, BGB § 134 Rn. 19. 80 Greb, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 1. Auflage 2011, VgV § 4 Rn. 14. 81 BGH, Beschluss vom 8.2.2011 – X ZB 4/10, juris Rn. 15 ff.; siehe dazu auch unter Punkt 7.2.3.3. 82 Wieddekind, in: Wieddekind/Willenbruch, Kompaktkommentar Vergaberecht, 3. Auflage 2014, VO 1370 Artikel 5, Rn. 106. 83 Winnes, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 1. Auflage 2011, VgV § 4 Rn. 6. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 202/14 Seite 25 7.3. Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse Die Ergänzung eines neuen Satzes 2 in § 97 Absatz 4 GWB in der in Rede stehenden Gestalt hätte zur Folge, dass Artikel 5 Absatz 6 der Personenverkehrsverordnung als „unmittelbar geltende und unumgängliche Norm“ zu qualifizieren wäre84. Durch die Ergänzung würden zahlreiche neue Fragestellungen aufgeworfen, deren Umfang und Ausgang vor dem Hintergrund der Qualität und Quantität der bereits de lege lata geführten Debatten an dieser Stelle nicht prognostiziert werden können. Denn bereits nach derzeit geltendem Recht wird eine intensive Diskussion im Bereich des umfassenden Spannungsfeldes einer Vergabe von Leistungen des Schienenpersonennahverkehrs im Lichte der Vorschriften des Artikels 5 Absatz 6 der Personenverkehrsverordnung und der Bestimmungen in § 15 Absatz 2 AEG sowie § 4 Absatz 3 VgV des nationalen Eisenbahnund Vergaberechts geführt. Von der Ergänzung des § 97 Absatz 4 GWB wäre nicht nur Artikel 5 Absatz 6 der Personenverkehrsverordnung als „Kann-Bestimmung“ betroffen, sondern auch weitere „Kann-Bestimmungen “ in Richtlinien und Verordnungen der EU, welche die sozialen Belange der Beschäftigten schützen sollen. Diese müssten ebenfalls auf ihre Vereinbarkeit mit dem deutschen Recht unabhängig von der Regelung des Artikels 5 Absatz 6 der Personenverkehrsverordnung geprüft werden . Auch die nach derzeit geltendem Recht nur bis zum 31. Dezember 2014 befristete Geltung des § 4 Absatz 3 VgV sowie die drei neuen europarechtlichen Vergaberichtlinien, die bis zum 18. April 2016 in nationales Recht umgesetzt werden müssen85, lassen eine aussagekräftige Prognose zur Vereinbarkeit der Ergänzung des § 97 Absatz 4 GWB um einen neuen Satz 2 mit deutschem Recht zum Zeitpunkt der Bearbeitung nicht zu. Eine verbindliche Entscheidung über die rechtliche Vereinbarkeit einer derartigen Neufassung des § 97 Absatz 4 GWB mit den Vorgaben des nationalen Rechts ist deshalb durch die Gerichte zu erwarten. 8. Rahmenbedingungen der Entscheidungskompetenz der Gerichte 8.1. Gerichtliche Überprüfung der „Kann-Bestimmungen“ Im Rahmen einer potentiell herbeizuführenden Entscheidung über die Vereinbarkeit der „Kann- Bestimmungen“ – vor allem des Artikels 5 Absatz 6 der Personenverkehrsverordnung – mit dem nationalen Recht hätten die Gerichte nicht nur über die formelle und materielle Verfassungskonformität der Regelungen zu prüfen. Auch bezüglich der Vereinbarkeit der „unmittelbar geltenden und unumgänglichen Normen“ mit den übrigen nationalen Vorschriften, insbesondere den normenhierarchisch dem GWB gleichstehenden Parlamentsgesetzen wie beispielsweise dem AEG, steht der Weg einer gerichtlichen Überprüfung offen. Der Rechtsweg müsste ebenfalls hinsichtlich der Prüfung der Vereinbarkeit der ergänzten Fassung des § 97 Absatz 4 GWB mit nationalen Rechtsverordnungen wie der VgV sowie der Vergabe- und Vertragsordnungen bestritten werden. 84 Siehe dazu unter Punkt 7.1.3. 85 Siehe dazu unter Punkt 4.4. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 202/14 Seite 26 8.2. Normverwerfungskompetenz der Gerichte Unter dem Begriff der Normverwerfungskompetenz wird die Möglichkeit eines Gerichts verstanden , die Nichtanwendbarkeit einer Rechtsnorm mit der Begründung, sie sei ungültig, festzustellen . Dabei ist folgendes zu unterscheiden: Denkbar ist einerseits, dass das Gericht entscheidet, die Rechtsnorm „lediglich“ für den anhängigen konkreten Rechtsstreit nicht anzuwenden. Andererseits besteht die Möglichkeit, dass das Gericht die Norm losgelöst vom konkreten Rechtsstreit im Allgemeinen für ungültig erklärt. 8.2.1. Normverwerfungskompetenz hinsichtlich formeller Bundesgesetze Wie bereits unter Punkt 3. dargestellt ist das GWB ein formelles, nachkonstitutionelles Bundesgesetz . Das BVerfG hat das Normverwerfungsmonopol hinsichtlich formeller, nachkonstitutioneller Bundesgesetze inne86. Insofern muss ein Gericht, wenn es ein Gesetz für verfassungswidrig hält, auf dessen Gültigkeit es für seine Entscheidung ankommt, das Verfahren aussetzen und gemäß Artikel 100 Absatz 1 Grundgesetz im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle das BVerfG anrufen . Ergänzend dazu bedarf es noch des Hinweises, dass das BVerfG auch über Verfassungsbeschwerden entscheidet, die von jedermann unter den Voraussetzungen des Artikels 93 Absatz 1 Nummer 4a GG erhoben werden können. 8.2.2. Normverwerfungskompetenz hinsichtlich Rechtsverordnungen Rein materielle Gesetze – wie Rechtsverordnungen oder die Vergabe- und Vertragsordnungen – können von jedem Gericht mit Wirkung für die Parteien des Rechtsstreits für rechts- oder verfassungswidrig erklärt werden. Die Rechtsnorm bleibt jedoch im Übrigen in Kraft. Vor diesem Hintergrund besteht aber zur Vorbeugung der Gefahr der Rechtsunsicherheit oder Rechtszersplitterung unter den Voraussetzungen des Artikels 93 Absatz 1 Nummer 2 GG die Möglichkeit, durch eine abstrakte Normenkontrolle eine allgemeinverbindliche Entscheidung des BVerfG über die Vereinbarung einer Rechtsverordnung mit dem Grundgesetz herbeizuführen87. 9. Fazit Eine Ergänzung des § 97 Absatz 4 GWB um einen neuen Satz 2 in der vorliegend in Rede stehenden Gestalt ist im Rahmen des verfassungsrechtlich verankerten parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens möglich. Im Falle einer solchen Ergänzung würden sogenannte „Kann-Bestimmungen “ in Richtlinien und Verordnungen der EU auf der Ebene des nationalen formellen Bundesgesetzes als „unmittelbar geltende und unumgängliche Normen“ Geltung beanspruchen. Artikel 5 Absatz 6 der Personenverkehrsverordnung stellt eine „Kann-Bestimmung“ dar. 86 Vgl. zum Begriff des nachkonstitutionellen Rechts in Abgrenzung zum vorkonstitutionellen Recht Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz Kommentar, 12. Auflage 2012, Artikel 123 Rn. 1 ff. und Artikel 124 Rn. 1 ff. 87 Vgl. BVerfG, Urteil vom 20.3.1952 – 1 BvL 12/51 u.a., juris Rn. 49. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 202/14 Seite 27 Bereits de lege lata wird im Bereich des Spannungsfeldes einer Vergabe von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen des Schienenpersonennahverkehrs im Lichte der Vorschrift des Artikels 5 Absatz 6 der Personenverkehrsverordnung und der nationalen Bestimmungen des § 15 Absatz 2 AEG sowie des § 4 Absatz 3 VgV eine intensive Debatte über die Konkurrenz der einzelnen Regelungen und die daraus resultierenden Folgen geführt. Mit Ergänzung des § 97 Absatz 4 GWB entstünden überdies neue Fragestellungen zum Konkurrenzverhältnis der davon betroffenen Vorschriften, insbesondere des Artikels 5 Absatz 6 der Personenverkehrsverordnung zu den nationalen Vorschriften des Vergabe- und Eisenbahnrechts, deren Ausmaß bislang nicht hinreichend absehbar ist. Die Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der Novellierung des § 97 Absatz 4 GWB sowie die weitere Vereinbarkeit mit sonstigen nationalen Regelungen liegt bei den nationalen Gerichten . Für das GWB als nachkonstitutionellem formellen Bundesgesetz liegt das Normverwerfungsmonopol beim BVerfG. Zu bedenken ist, dass sich der nationale Gesetzgeber bewusst für die Kodifizierung des § 97 Absatz 4 GWB in seiner derzeit geltenden Fassung entschieden hat. Selbstverständlich hatte das Parlament im Rahmen des verfassungsmäßigen Gesetzgebungsverfahrens die Bestimmungen Richtlinien und Verordnungen der EU hinsichtlich der sozialen Aspekte zum Schutz der Beschäftigten bei öffentlichen Ausschreibungen des Bundes im Bereich des Schienenverkehrs im Blick.