Deutscher Bundestag Zugang von Verbänden zu Gerichten in Umweltangelegenheiten Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Übereinkommen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 7 – 3000 – 200/11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 200/11 Seite 2 Zugang von Verbänden zu Gerichten in Umweltangelegenheiten Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Übereinkommen Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 7 – 3000 – 200/11 Abschluss der Arbeit: 26. September 2011 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 200/11 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Das Urteil des EuGH vom 8. März 2011 zur Auslegung und unmittelbaren Anwendbarkeit des Art. 9 Abs. 3 der Aarhus- Konvention 4 3. Folgen für das nationale Recht 6 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 200/11 Seite 4 1. Einleitung Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied in seinem Urteil vom 8. März 20111 über die unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 9 Abs. 3 der Aarhus-Konvention2, der die Beteiligung der Öffentlichkeit an Verfahren im Bereich des Umweltrechts regelt. 3 Im Folgenden wird das Urteil des EuGH dargestellt und sodann die Frage behandelt, ob dieses Handlungsbedarf für den deutschen Gesetzgeber auslösen könnte. 2. Das Urteil des EuGH vom 8. März 2011 zur Auslegung und unmittelbaren Anwendbarkeit des Art. 9 Abs. 3 der Aarhus-Konvention Die Große Kammer des EuGH erließ das Urteil im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens eines slowakischen Gerichts zur Auslegung und unmittelbaren Anwendbarkeit des Art. 9 Abs. 3 der Aarhus-Konvention. Es handelt sich dabei um einen völkerrechtlichen Vertrag, dessen Parteien u.a. die Europäische Gemeinschaft, nunmehr Europäische Union (EU) und die EU- Mitgliedstaaten sind.4 Hintergrund des Vorabentscheidungsverfahrens war ein Rechtsstreit zwischen einem slowakischen Naturschutzverein und dem nationalen Umweltministerium über einen Antrag des Vereins , an bestimmten „Verwaltungsverfahren über die Genehmigung von Ausnahmen von der Schutzregelung für Arten wie den Braunbären, über den Zugang zu Naturschutzgebieten und über die Verwendung chemischer Produkte in solchen Gebieten beteiligt zu werden“5. Dem Verband wurde eine Beteiligung an dem nationalen Verfahren verwehrt. In der Folge erhob der Verband Klage gegen die ablehnende Entscheidung. In Ermangelung einer Vorschrift des slowakischen Rechts, die dem Verein eine Aktivlegitimation einräumte, beriefen sich die Kläger unmittelbar auf Art. 9 Abs. 3 der Aarhus-Konvention. Die Eingangsinstanz verneinte jedoch die Klagebefugnis , die Rechtsmittelinstanz setzte das Verfahren aus und legte dem Gerichtshof insgesamt drei Vorlagefragen vor. In seinem Urteil stellte der EuGH zunächst fest, dass er für die Auslegung der Norm des völkerrechtlichen Vertrags zuständig sei, obgleich das Abkommen von der Europäischen Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten auf Grund einer geteilten Zuständigkeit geschlossen worden sei und es 1 EuGH (Große Kammer), Urteil vom 08.03.2011, Rs. C-240/09, n.n.i.amtl.Slg. − Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo životného prostredia Slovenskej republiky. 2 Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, genehmigt durch Beschluss 2005/370/EG des Rats vom 17.02.2005 im Namen der Europäischen Gemeinschaft, ABl. EG L 124, 1. 3 Dieser lautet:„Zusätzlich und unbeschadet der in den Absätzen 1 und 2 genannten Überprüfungsverfahren stellt jede Vertragspartei sicher, dass Mitglieder der Öffentlichkeit, sofern sie etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen, Zugang zu verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren haben, um die von Privatpersonen und Behörden vorgenommenen Handlungen und begangenen Unterlassungen anzufechten, die gegen umweltbezogene Bestimmungen ihres innerstaatlichen Rechts verstoßen“. 4 Die Europäische Union ist gemäß Art. 1 Abs. 3 S. 3 EU n.F. Rechtsnachfolgerin der Europäischen Gemeinschaft. 5 EuGH (Große Kammer), Urteil vom 08.03.2011, Rs. C-240/09, n.n.i.amtl.Slg. − Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo životného prostredia Slovenskej republiky, Rn. 2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 200/11 Seite 5 bisher keine spezifische unionsrechtliche Umsetzung gegeben habe. Die betroffene Materie sei gleichwohl weitgehend vom Unionsrecht durch die Habitatrichtlinie6 erfasst.7 In einem nächsten Schritt stellte der EuGH die Grundsätze seiner Rechtsprechung zu der unmittelbaren Wirkung der von der Europäischen Gemeinschaft geschlossenen Abkommen dar. Diese komme der Aarhus-Konvention jedoch nicht zu, da diese „keine klare und präzise Verpflichtung “8 enthalte, insbesondere sehe Art. 9 Abs. 3 der Konvention vor, dass im innerstaatlichen Recht Kriterien festgelegt werden müssten.9 Jedoch gälten für die nationale Umsetzung der Konvention die Grundsätze der Effektivität und Äquivalenz.10 So heißt es: „Das vorlegende Gericht hat daher das Verfahrensrecht in Bezug auf die Voraussetzungen , die für die Einleitung eines verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Überprüfungsverfahrens vorliegen müssen, so weit wie möglich im Einklang sowohl mit den Zielen von Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus als auch mit dem Ziel eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes für die durch das Unionsrecht verliehenen Rechte auszulegen, um es einer Umweltschutzorganisation wie dem Zoskupenie zu ermöglichen , eine Entscheidung, die am Ende eines Verwaltungsverfahrens ergangen ist, das möglicherweise im Widerspruch zum Umweltrecht der Union steht, vor einem Gericht anzufechten (…).“11 6 Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, ABl. L 1992, 206, 7, in der durch die Richtlinie 2006/105/EG des Rates geänderten Fassung, ABl. L 2006, 363, 368. 7 EuGH (Große Kammer), Urteil vom 08.03.2011, Rs. C-240/09, n.n.i.amtl.Slg. − Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo životného prostredia Slovenskej republiky, Rn. 37; vgl. zu dieser Argumentation auch Schlacke , Stärkung des überindividuellen Rechtsschutzes zur Durchsetzung des Umweltrechts − zugleich Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 8. März 2011 − Rs. C-240/09, ZUR 2011, 312 (313); a.A. Generalanwältin Sharpston, Schlussanträge vom 15.07.2010, Rs. C-240/09, Rn. 81: „Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, darauf zu erkennen , dass es Sache der nationalen Gerichte ist, zu bestimmen, ob Art. 9 Abs. 3 des Århus-Übereinkommens in ihrer eigenen Rechtsordnung unmittelbare Wirkung hat, wenn die Europäische Union nach ihrem Beitritt zu diesem völkerrechtlichen Vertrag am 17. Februar 2005 bis heute keine Rechtsvorschriften zur Inkorporierung dieser speziellen Vorschrift des Übereinkommens in die Unionsrechtsordnung in Bezug auf die den Mitgliedstaaten (im Gegensatz zu den Organen der Europäischen Union) daraus erwachsenden Verpflichtungen erlassen hat“. 8 EuGH (Große Kammer), Urteil vom 08.03.2011, Rs. C-240/09, n.n.i.amtl.Slg. − Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo životného prostredia Slovenskej republiky, Rn. 45. 9 Zum Wortlaut der Norm vgl. oben Fn. 3. 10 EuGH (Große Kammer), Urteil vom 08.03.2011, Rs. C-240/09, n.n.i.amtl.Slg. − Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo životného prostredia Slovenskej republiky, Rn. 48. 11 EuGH (Große Kammer), Urteil vom 08.03.2011, Rs. C-240/09, n.n.i.amtl.Slg. − Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo životného prostredia Slovenskej republiky, Rn. 51. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 200/11 Seite 6 Die dritte Vorlagefrage des slowakischen Gerichts, die die Geltendmachung objektiver Rechte mit Bezug auf Art. 9 Abs. 3 der Aarhus-Konvention zum Gegenstand hatte, musste vom EuGH nicht beantwortet werden, da dieser die unmittelbare Wirkung abgelehnt hatte.12 3. Folgen für das nationale Recht Die Aussagen des Gerichtshofs zu den unionsrechtlichen Anforderungen an die Klagebefugnis von Umweltverbänden in der dargestellten Entscheidung vom 8. März 2011 sind allgemein gehalten . So lässt sich diesem Urteil nicht eindeutig entnehmen, ob die Vorgaben des deutschen Rechts, insbesondere § 2 des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes (UmwRG)13, den Anforderungen des europäischen Rechts entsprechen. Die Norm sieht vor, dass die Umweltverbände subjektive, nicht notwendig eigene Rechte geltend machen können, nicht aber solche Rechtspositionen, die dem Schutz der Allgemeinheit dienen. Das Urteil bietet keine Antwort auf die Frage, wie die Geltendmachung einer Verletzung von objektiven Rechten ausgestaltet werden soll. Die dritte Vorlagefrage , die diese Fragestellung zum Gegenstand hatte, wurde vom EuGH nicht beantwortet. Seit der „Trianel“-Entscheidung des EuGH vom 12. Mai 2011, die § 2 UmwRG zum Gegenstand hatte und im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens des Oberverwaltungsgerichts Münster erging, ist die Rechtslage nunmehr eindeutig: Eine Norm wie die nationale genüge den Anforderungen des Unionsrechts nicht, da sie keinen Rechtsschutz gegen den Verstoß gegen objektives Recht vorsehe.14 12 EuGH (Große Kammer), Urteil vom 08.03.2011, Rs. C-240/09, n.n.i.amtl.Slg. − Lesoochranárske zoskupenie VLK/Ministerstvo životného prostredia Slovenskej republiky, Rn. 53. 13 BGBl. I 2006, 2816; dazu allgemein Kment, Das neue Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz und seine Bedeutung für das UVPG – Rechtsschutz des Vorhabenträgers, anerkannter Vereinigungen und Dritter, NVwZ 2007, 274 ff. 14 Vgl. dazu die Trianel-Entscheidung des EuGH, Rs. C-115/09 (EuZW 2011, 510); dazu Derksen/Atanasova, Aktueller Begriff – Europa vom 08. September 2011; Meitz, Entscheidung des EuGH zum deutschen Umweltrechtsbehelfsgesetz , NUR 2011, 420 ff.; Durner/Paus, Anmerkung zu EuGH, Rs. C-115/09 vom 12. Mai 2011, DVBl 2011, 759 ff.; Henning, Erweiterung der Klagerechte anerkannter Umweltverbände – Chance auf mehr Umweltschutz oder Investitionshindernis?, NJW 2011, 2765 ff.