© 2019 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 198/19 DIN-Normen und Rechtssetzung Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 198/19 Seite 2 DIN-Normen und Rechtssetzung Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 198/19 Abschluss der Arbeit: 11. Dezember 2019 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 198/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Grundlagen 4 2. Rechtliche Bedeutung von DIN-Normen 4 3. Regulatorische Rahmenbedingungen der Normungsarbeit 5 4. Kollision zwischen DIN-Normen und Vorgaben des Gesetzgebers? 7 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 198/19 Seite 4 1. Grundlagen Als DIN-Normen werden alle Normen bezeichnet, die das Deutsche Institut für Normung e.V. (DIN) herausgibt. Das DIN ist ein privatrechtlicher technisch-wissenschaftlicher Verein.1 Es ist mit seinen Normenausschüssen die für die Normung zuständige Institution in Deutschland. Es ist für die entsprechenden Aufgaben deutsches Mitglied in den europäischen und internationalen Normungsorganisationen. Mitglieder des DIN sind nach seiner Satzung Unternehmen und juristische Personen. Organe des DIN sind die Mitgliederversammlung, das Präsidium, der Präsident, der Direktor und die Normenausschüsse. Dem Präsidium gehören u. a. mehrere Vertreter der Bundesregierung an.2 DIN-Normen entstehen im Konsens, indem sich die zuständigen Experten über Inhalte mit dem Ziel verständigen, eine gemeinsame Auffassung zu erreichen.3 Dabei berücksichtigen die Experten den Stand der Technik, die Wirtschaftlichkeit und die internationale Harmonisierung.4 Erreicht ein Normungsprojekt einen stabilen Beratungsstand, erfolgt eine öffentliche Diskussion des Norm-Entwurfs. Nach Beratung der Stellungnahmen kann eine Norm verabschiedet und veröffentlicht werden.5 2. Rechtliche Bedeutung von DIN-Normen DIN-Normen bilden einen Maßstab für einwandfreies technisches Verhalten und sind insofern auch im Rahmen der Rechtsordnung potentiell von Bedeutung.6 Allerdings ist eine DIN-Norm keine Rechtsnorm.7 Weder ist das Deutsche Institut für Normung ein Träger öffentlicher Gewalt noch sind DIN-Normen darauf gerichtet, aus sich heraus Rechtsfolgen irgendwelcher Art herbeizuführen . DIN-Normen lassen sich insoweit als private technische Regeln mit Empfehlungscharakter bezeichnen, die aus sich heraus keinerlei Rechtsgeltung entfalten.8 Grundsätzlich stehen 1 Vgl. BT-Drs. 14/8454 vom 07.03.2002, S. 1. 2 Vertreten sind aktuell das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI), das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU), das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) sowie das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), vgl. die Angaben unter https://www.din.de/de/din-und-seine-partner/din-e-v/organisation/praesidium. 3 Siehe DIN Deutsches Institut für Normung e.V., Normen nutzen allen, S. 4 (abrufbar unter http://docplayer.org/43688234-Din-deutsches-institut-fuer-normung-e-v-normen-nutzen-allen.html). 4 Siehe DIN Deutsches Institut für Normung e.V. (wie Fußn. 3). 5 Siehe DIN Deutsches Institut für Normung e.V. (wie Fußn. 3). 6 Siehe hierzu den Beitrag „Rechtsverbindlichkeit von DIN-Normen“ unter https://www.din.de/de/ueber-normenund -standards/normen-und-recht/rechtsverbindlichkeit-durch-normen . 7 BGH, Urteil vom 14.05.1998, Az. VII ZR 184–97. 8 BGH, Urteil vom 14.05.1998, Az. VII ZR 184–97; von Hayn/Seibel/Moufang/Koos, in: Nicklisch/Weick/Jansen /Seibel, VOB/B, 5. Auflage 2019, § 13 VOB/B Rn. 68. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 198/19 Seite 5 DIN-Normen jedermann zur Anwendung frei: Sie können von jedermann angewendet werden, müssen jedoch nicht angewendet werden.9 DIN-Normen können jedoch dann eine rechtliche Bedeutung erlangen, wenn in Rechtsnormen oder Verwaltungsvorschriften durch Verweisung auf sie Bezug genommen wird. Gleiches gilt, wenn Verwaltungsbehörden oder Gerichte sie bei ihren Entscheidungen als Erkenntnisquellen heranziehen. DIN-Normen erhalten auch dann einen rechtlich verbindlichen Charakter, wenn sie in einem Vertrag zwischen Privaten als verbindlich vereinbart werden und aufgrund vertraglicher Absprache auf sie Bezug genommen wird. Bei Verweisung auf DIN-Normen in Rechtsnormen erlangen diese eine erhebliche rechtliche Bedeutung . Durch zahlreiche Verweisungen in Rechtsvorschriften zum Zwecke der dynamischen und flexiblen Anpassung an den technischen Fortschritt haben die technischen Normen erheblich an Bedeutung gewonnen. Dieses gilt vor allem im besonderen Ordnungsrecht, wie im Baurecht , Umweltschutzrecht, Wirtschaftsverwaltungsrecht und Energierecht. Durch die Verweisung und Bezugnahme auf DIN-Normen in Gesetzen und Verordnungen wird der Gesetz- und Verordnungsgeber entlastet, weil er keine rechtlich-technischen Detailregelungen zu erlassen und gegebenenfalls fortwährend unter Berücksichtigung der technischen Entwicklung zu aktualisieren braucht. Insoweit tragen DIN-Normen durch das darin enthaltene Expertenwissen zur Entlastung des Staates bei. Sofern dem Gesetzgeber die Anforderungen einer DIN-Norm nicht weit genug gehen , steht es ihm frei, diese näher zu konkretisieren. Im Rahmen der einzelvertraglich festgelegten Verbindlichkeit können DIN-Normen dazu beitragen , Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden, weil sich aus den Normen eindeutige Festlegungen ergeben . Im Streitfall kann die Verwendung von DIN-Normen das Haftungsrisiko vermindern, da sich gerichtliche Sachverständige häufig auf DIN-Normen als dem anerkannten Stand der Technik beziehen .10 Auch in Fällen, in denen DIN-Normen nicht zum Vertragsgegenstand gemacht worden sind, können DIN-Normen im Streitfalle als Entscheidungshilfe dienen, wenn es beispielsweise im Kaufund Werkvertragsrecht um Sachmängel geht. Hier dürfte regelmäßig der Beweis des ersten Anscheins dafür sprechen, dass der Anwender einer DIN-Norm vertragsgemäß gehandelt und ein mangelfreies Produkt geliefert hat. Insbesondere bei sicherheitstechnischen Festlegungen in DIN- Normen besteht eine tatsächliche Rechtsvermutung dafür, dass sie fachgerecht sind, d.h. dass sie den anerkannten Regeln der Technik entsprechen. 3. Regulatorische Rahmenbedingungen der Normungsarbeit Grundlagen für die Wahrnehmung der Normungsaufgaben durch das DIN sind dessen Satzung, die Normen der Reihe DIN 820 „Normungsarbeit“ sowie – insbesondere im Hinblick auf das Zusammenspiel mit der Rechtssetzung – der zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der 9 Vgl. BT-Drs. 14/8454 vom 07.03.2002, S. 1 f. 10 Wobei keine im Sinne eines Automatismus erfolgende Gleichsetzung der schriftlichen technischen Regelwerke – auch des DIN – mit dem Stand der Technik zulässig ist, vgl. von Hayn/Seibel/Moufang/Koos, in: Nicklisch /Weick/Jansen/Seibel, VOB/B, 5. Auflage 2019, § 13 VOB/B Rn. 67 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 198/19 Seite 6 DIN geschlossene Normenvertrag vom 5. Juni 197511.12 Mit diesem öffentlichrechtlichen Vertrag sollte das Verhältnis zwischen Staat und Normungsorganisation in der Bundesrepublik Deutschland , das zuvor rechtlich nicht geregelt war, rechtlich klargestellt werden.13 Zur Rolle des DIN heißt es in der Begründung des Normenvertrags: „Dem DIN kommt hierbei in zunehmendem Maß die Aufgabe zu, die Bundesregierung durch Beratung zu unterstützen und durch Ausarbeitung von DIN-Normen, insbesondere auf den eingangs genannten Gebieten, allgemein anerkannte Regeln der Technik zu schaffen, die es ermöglichen, in Rechtsvorschriften auf Normen Bezug zu nehmen. Diese Möglichkeit der Verknüpfung von Rechtsvorschriften und technischen Normen entlastet die Bundesregierung davon , in jedem Einzelfall technische Regeln selbst erarbeiten zu müssen.“14 Der Normenvertrag regelt das Zusammenwirken des DIN und der Bundesregierung und sieht auch wechselseitige Pflichten vor, um Unstimmigkeiten in der Gesetzgebung vorzubeugen. So verpflichtet sich das DIN gemäß § 1 Absatz 2 Normenvertrag, „bei seinen Normungsarbeiten das öffentliche Interesse zu berücksichtigen. Es wird bei der Ausarbeitung der DIN-Normen insbesondere dafür Sorge tragen, dass die Normen bei der Gesetzgebung, in der öffentlichen Verwaltung und im Rechtsverkehr als Umschreibungen technischer Anforderungen herangezogen werden können.“ Um die Berücksichtigung der öffentlichen Interessen zu gewährleisten, verpflichtet sich das DIN in § 2 Normenvertrag, der Bundesregierung im Rahmen ihrer fachlichen Zuständigkeiten auf Antrag Sitze in den Lenkungsgremien der Normenausschüsse einzuräumen sowie die jeweils in Betracht kommenden behördlichen Stellen bei der Durchführung der Normungsarbeit zu beteiligen. § 4 Normenvertrag sieht eine Verpflichtung des DIN vor, Anträge der Bundesregierung auf Durchführung von Normungsarbeiten, für die von der Bundesregierung ein öffentliches Interesse geltend gemacht wird, bevorzugt zu bearbeiten. Die Bundesregierung kann zur Durchführung einer solchen Normungsarbeit nach Abstimmung mit dem DIN eine Frist setzen. Während dieser Frist verpflichtet sich die Bundesregierung, entsprechende Regelungen, sofern diese nicht der Gesetzgebung oder dem Vollzug von Gesetzen dienen sollen oder sonstige öffentliche Interessen es erforderlich machen, weder selbst aufzustellen, noch durch Dritte aufstellen zu lassen. Wird eine DIN-Norm innerhalb der gesetzten Frist nicht fertig gestellt, legt das DIN einen Bericht vor und die Bundesregierung entscheidet, ob sie einer Fristverlängerung zustimmt oder eine eigene Rege- 11 Abrufbar unter https://www.din.de/resource/blob/79648/de461d1194f708a6421e0413fd1a050d/vertrag-dinund -brd-data.pdf. 12 Vgl. BT-Drs. 14/8454 vom 07.03.2002, S. 2. 13 Vgl. die Begründung zum Normenvertrag Ziff. I, abrufbar unter Fuchs, Materialien zum Rechtsverhältnis zwischen Deutschland und DIN, 2004, https://delegibus.com/2004,7.pdf. Hier wird auch darauf verwiesen, dass andere Industriestaaten das Verhältnis zwischen Staat und Normenorganisation durch Gesetz geregelt hätten. Die vertragliche Form sei dem gegenüber jedoch flexibler, weshalb das DIN und die Bundesrepublik Deutschland ihr den Vorzug gegeben hätten. 14 Vgl. die Begründung zum Normenvertrag Ziff. I, abrufbar unter Fuchs, Materialien zum Rechtsverhältnis zwischen Deutschland und DIN, 2004, https://delegibus.com/2004,7.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 198/19 Seite 7 lung trifft. Erlässt die Bundesregierung eine Regelung, dann ist das DIN gemäß § 4 Absatz 4 Normenvertrag verpflichtet, eine dieser Regelung widersprechende Norm anzupassen, zurückzuziehen oder nicht herauszugeben. Im Gegenzug wird in § 1 Absatz 3 Normenvertrag die Absicht der Bundesregierung verbrieft, das Normenwesen auch künftig im Rahmen der verfügbaren Mittel des Bundeshaushalts zu fördern – wobei „auch der Nutzen berücksichtigt werden (soll), der der Bundesregierung aus der Tätigkeit des DIN unmittelbar und mittelbar erwächst.“ § 8 Normenvertrag verpflichtet die Bundesregierung , sich in der Verwaltung, bei Ausschreibungen und bei Bestellungen der DIN-Normen zu bedienen und darauf hinzuwirken, dass andere öffentliche Auftraggeber in gleicher Weise verfahren . Zudem hat sie gemäß § 9 Normenvertrag sicherzustellen, dass eine Liste der neu erschienenen DIN-Normen und DIN-Norm-Entwürfe sowie Hinweise auf geplante Normungsvorhaben und Änderungen des Deutschen Normenwerks im Bundesanzeiger veröffentlicht werden. Die Bundesregierung weist darauf hin, dass durch den Normenvertrag nicht ausgeschlossen sei, dass es neben dem DIN auch noch andere Normungsorganisationen geben könne.15 Sie halte es aber aus Gründen der Effizienz für sachgerecht, dass die Interessen der deutschen Normung in einer Organisation gebündelt und entsprechend auf internationaler Ebene vertreten würden.16 4. Kollision zwischen DIN-Normen und Vorgaben des Gesetzgebers? Grundsätzlich sind direkte Widersprüche zwischen DIN-Normen und gesetzlichen Regelungen aufgrund der Tatsache, dass DIN-Normen technische Normen sind und vom Gesetzgeber im Wege der Verweisungstechnik lediglich in Bezug genommen werden, nur schwer vorstellbar. Sollte es jedoch im Einzelfall zu einer Kollision kommen, folgt aus dem Normcharakter der DIN- Normen als technische, private Normwerke, dass sie gegenüber geltendem Recht – sei es in Gestalt eines Gesetzes, sei es als Verordnung – unbeachtlich wären. Würde die Anwendung eines Gesetzes bei Berücksichtigung einer DIN-Normierung erschwert oder gar konterkariert, stünde es dem Gesetzgeber zudem frei, die gesetzlichen Verweise auf die fraglichen Normen zu streichen und, soweit erforderlich, die fraglichen technischen Detailregelungen im Rahmen seiner Gesetzgebungskompetenzen selbst zu treffen. Ergäbe sich ein Widerspruch aufgrund eines Verweises in einer Rechtsverordnung der Bundesregierung, würden die Regelungen des Normenvertrags greifen .17 Unmittelbare Einwirkungsmöglichkeiten stünden der Bundesregierung hingegen nicht zu: „Das DIN als Selbstverwaltungseinrichtung der Wirtschaft unterliegt als eingetragener Verein den Vereinsvorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), darüber hinaus aber keiner staatlichen Überwachung. Der mit der Bundesrepublik Deutschland geschlossene Vertrag begründet keine Aufsichts- oder Eingriffsbefugnisse der Bundesregierung.“18 15 BT-Drs. 14/8454 vom 07.03.2002, S. 3. 16 BT-Drs. 14/8454 vom 07.03.2002, S. 4. 17 S. o. Gliederungspunkt 3. 18 BT-Drs. 14/8454 vom 07.03.2002, S. 2. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 198/19 Seite 8 * * *