© 2018 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 195/18 Anti-Mafia-Gesetzgebung in Italien Einzelfragen zu strafrechtlichen Regelungen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 195/18 Seite 2 Anti-Mafia-Gesetzgebung in Italien Einzelfragen zu strafrechtlichen Regelungen Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 195/18 Abschluss der Arbeit: 27. September 2018 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 195/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Wie heißen die einschlägigen italienischen Gesetze im Original? 4 2. Gibt es in Italien einen Straftatbestand der Bildung einer mafiösen kriminellen Vereinigung? 4 3. Gibt es Statistiken zur Anwendung des Gesetzes in Italien? 5 4. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen § 129 StGB und Artikel 416bis Codice Penale 7 5. Welche Folgen haben die Unterschiede etwa hinsichtlich der Zahl von Verurteilungen oder hinsichtlich der Repression? 8 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 195/18 Seite 4 1. Wie heißen die einschlägigen italienischen Gesetze im Original? Vereinigungsbezogene strafrechtliche Anti-Mafia-Regelungen sind im italienischen Strafgesetzbuch , dem Codice Penale (CP)1, enthalten. Daneben gibt es den 2011 geschaffenen Anti-Mafia- Kodex – Codice Antimafia2 –, der zum Ziel hat, alle Gesetze zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität zu bündeln und der im November 2017 einer eingehenden Reform unterzogen wurde.3 2. Gibt es in Italien einen Straftatbestand der Bildung einer mafiösen kriminellen Vereinigung ? Ja. Seit 1982 enthält der Codice Penale einen speziellen Straftatbestand für mafiaartige Vereinigungen , den Artikel 416bis. Dessen aktueller Wortlaut ist: Artikel 416bis – Mafiaartige Vereinigung4 Wer einer aus drei oder mehr Personen bestehenden mafiaartigen Vereinigung angehört, wird mit Gefängnisstrafe von zehn bis zu 15 Jahren bestraft. Diejenigen, die die Vereinigung anregen, leiten oder organisieren, werden schon deswegen mit Gefängnisstrafe von zwölf bis 18 Jahren bestraft. Die Vereinigung ist mafiaartig, wenn ihre Mitglieder sich der einschüchternden Macht der Bindung an die Vereinigung und der daraus folgenden Bedingung der Unterwerfung und der Schweigepflicht bedienen, um Verbrechen zu begehen, damit sie mittelbar oder unmittelbar die Leitung oder sonstwie die Kontrolle über wirtschaftliche Tätigkeiten, Konzessionen, Ermächtigungen , öffentliche Vergaben und Dienste erlangen oder für sich oder andere ungerechtfertigte Erträge oder Vorteile erzielen, oder damit sie bei Wahlen die freie Ausübung des Stimmrechts verhindern oder behindern oder für sich oder andere Stimmen verschaffen. Ist die Vereinigung bewaffnet, ist die Strafe in den im ersten Absatz vorgesehenen Fällen Gefängnisstrafe von zwölf bis zu 20 Jahren und in den im zweiten Absatz vorgesehenen Fällen Gefängnisstrafe von 15 bis zu 26 Jahren. Die Vereinigung gilt als bewaffnet, wenn die Beteiligten zur Erreichung der Ziele der Vereinigung die Verfügungsgewalt über Waffen oder Sprengstoffe haben, auch wenn diese verborgen gehalten oder in einem Lager aufbewahrt werden. 1 Aktuelle Fassung abrufbar unter http://www.altalex.com/documents/codici-altalex/2014/10/30/codice-penale. 2 Abrufbar unter http://www.altalex.com/documents/codici-altalex/2014/07/24/codice-antimafia-edizionegiugno -2014. 3 Vgl. hierzu Thoms, Neues Anti-Mafia-Gesetz sorgt für Unruhe, Deutschlandfunk, 05.10.2017, abrufbar unter https://www.deutschlandfunk.de/italien-neues-anti-mafia-gesetz-sorgt-fuer-unruhe.795.de.html?dram:article _id=397468 sowie eingehend Di Ciommo, Il nuovo Codice Antimafia, 23.01.2018, abrufbar unter http://www.altalex.com/documents/news/2018/01/19/nuovo-codice-antimafia. 4 Vom Verfasser geringfügig aktualisierte Übersetzung von Riz/Bosch, Italienisches Strafgesetzbuch, Zweisprachige Ausgabe, 1995. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 195/18 Seite 5 Sind die wirtschaftlichen Tätigkeiten, über die die Mitglieder die Kontrolle anstreben oder behalten wollen, ganz oder teilweise mit dem Lohn, dem Ergebnis oder dem Ertrag von Verbrechen finanziert, werden die in den vorangehenden Absätzen festgesetzten Strafen um ein Drittel bis um die Hälfte erhöht. Gegen den Verurteilten ist die Einziehung der Sachen zwingend anzuordnen, die zur Begehung der Straftat dienten oder dafür bestimmt waren sowie der Sachen, die den Lohn, das Ergebnis oder den Ertrag der Straftat bilden oder die deren Verwendung darstellen. Die Bestimmungen des vorliegenden Artikels werden auch auf die Camorra, die ‘Ndrangheta und andere Vereinigungen, wie auch immer die örtliche Bezeichnung ist, auch fremde, angewendet , die unter Ausnutzung der einschüchternden Macht der Bindung an die Vereinigung Zieleverfolgen, die denen der mafiaartigen Vereinigungen entsprechen. Neben diesem speziellen Mafia-Straftatbestand enthält der Codice Penale auch einen allgemein für kriminelle Vereinigungen geltenden Straftatbestand, den Artikel 416 CP: Artikel 416 – Kriminelle Vereinigung5 Bilden drei oder mehr Personen eine Vereinigung zur Begehung von Verbrechen, so werden diejenigen, die die Vereinigung anregen, gründen oder organisieren, schon deswegen mit Gefängnisstrafe von drei bis zu sieben Jahren bestraft. Für die bloße Beteiligung an der Vereinigung ist die Strafe Gefängnisstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren. Die Anführer unterliegen derselben Strafe wie die Urheber. Durchstreifen die Miglieder bewaffnet das Land oder die öffentlichen Straßen, so wird auf Gefängnisstrafe von fünf bis 15 Jahren erkannt. (…) 3. Gibt es Statistiken zur Anwendung des Gesetzes in Italien? Ja, es liegen Zahlen sowohl zur Anzahl der aufgrund von Artikel 416bis CP Inhaftierten als auch zu den von der Polizei bei der Staatsanwaltschaft bzw. der Gerichtsbarkeit angezeigten Artikel 416bis CP unterfallenden Taten vor: 5 Übersetzung von Riz/Bosch, Italienisches Strafgesetzbuch, Zweisprachige Ausgabe, 1995. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 195/18 Seite 6 Aufgrund von Artikel 416bis CP in Italien Inhaftierte6: Jahr 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 20187 Inhaftierte 5.257 5.586 6.183 6.467 6.524 6.744 6.903 6.887 6.967 7.106 7.245 Von der Polizei bei der Staatsanwaltschaft bzw. der Gerichtsbarkeit angezeigte Taten nach Artikel 416bis CP8: Jahr 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 Straftaten 153 128 140 125 131 128 93 68 75 89 Zum Vergleich Zahlen zu § 129 StGB9 – Bildung krimineller Vereinigungen – in Deutschland: Aufgrund von § 129 StGB in Deutschland Inhaftierte10: Jahr 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Inhaftierte 7 12 11 9 11 11 11 8 6 8 6 Quelle: https://www.giustizia.it/giustizia/it/mg_1_14_1.page?facetNode_1=4_54&contentId=SST613925&previsious Page=mg_14_7. 7 Stand: 30.06.2018. Quelle: https://www.giustizia.it/giustizia/it/mg_1_14_1.page?contentId=SST127626&previsious Page=mg_1_14. 8 Quelle: Istat – Instituto Nazionale di Statistica, Tavola 6.18 segue – Delitti denunciati dalle Forze di polizia all‘ Autorità giudiziaria, per tipo di delitto – Anni 1955-2014, abrufbar unter http://seriestoriche.istat.it/fileadmin/documenti/Tavola_6.18.xls. 9 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 30. Oktober 2017 (BGBl. I S. 3618) geändert worden ist. 10 Zum Stichtag 31. März des jeweiligen Jahres. Quelle: Individuelle Auskunft des Statistischen Bundesamtes. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 195/18 Seite 7 In der Polizeilichen Kriminalstatistik erfasste Straftaten nach § 129 StGB11: Jahr 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Straftaten 44 52 46 31 17 22 689 279 4. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen § 129 StGB und Artikel 416bis Codice Penale Hinsichtlich der Einziehung von Tatmitteln oder Taterträgen sind die Regelungen im CP und im StGB grundsätzlich durchaus vergleichbar, wenn auch der Standort der Regelungen unterschiedlich ist: So enthält Artikel 416bis CP direkt die einschlägige Regelung, während das StGB diese Regelungen in den §§ 73 ff. StGB in seinem allgemeinen Teil enthält. Namentlich § 73 Absatz 1 StGB sieht zwingend vor, dass das Gericht die Einziehung dessen anordnet, was der Täter oder Teilnehmer durch eine rechtswidrige Tat oder für sie erlangt hat. Hat der Täter oder Teilnehmer Nutzungen aus dem Erlangten gezogen, so ordnet das Gericht gemäß § 73 Absatz 2 StGB auch deren Einziehung an. Um die Abschöpfung aller aus irgendwelchen strafbaren Handlungen stammenden , beim Täter der Anknüpfungstat aufgefundenen Vorteile zu ermöglichen, bestimmt zudem § 73a StGB die obligatorische erweiterte Einziehung auch von Gegenständen des Täters oder Teilnehmers, wenn diese Gegenstände durch andere rechtswidrige Taten oder für sie erlangt worden sind. Teilweise unterschiedliche Konzeptionen bestehen hinsichtlich der Zweckrichtung der Vereinigung . Während bei § 129 StGB als Zweckrichtung der Vereinigung schon das Begehen von im Tatbestand näher umschriebenen Straftaten ausreichend ist, stellt Artikel 416bis CP zusätzlich zwei Anforderungen auf: Zum einen muss sich die Vereinigung bestimmter Tatmittel bedienen („wenn ihre Mitglieder sich der einschüchternden Macht der Bindung an die Vereinigung und der daraus folgenden Bedingung der Unterwerfung und der Schweigepflicht bedienen“), zum andern dürfen die beabsichtigten Verbrechen nicht Selbstzweck sein, sondern müssen dem weiteren Zweck dienen, „mittelbar oder unmittelbar die Leitung oder sonstwie die Kontrolle über wirtschaftliche Tätigkeiten, Konzessionen, Ermächtigungen, öffentliche Vergaben und Dienste (zu) erlangen oder für sich oder andere ungerechtfertigte Erträge oder Vorteile (zu) erzielen, oder damit sie bei Wahlen die freie Ausübung des Stimmrechts verhindern oder behindern oder für sich oder andere Stimmen verschaffen.“ Insoweit wird deutlich, dass die § 129 StGB im Codice Penale eher vergleichbare Vorschrift Artikel 416 CP ist. Deutliche Unterschiede bestehen hinsichtlich der Strafdrohung. Diese ist bei Artikel 416bis CP generell erheblich höher als bei § 129 StGB, und zwar sowohl in der Mindest- als auch in der Höchststrafe. So besteht bereits im Grundtatbestand bei Artikel 416bis CP eine Mindestfreiheitsstrafe von zehn Jahren, während bei § 129 StGB überhaupt keine Mindestfreiheitsstrafe besteht, sondern auch eine Geldstrafe verhängt werden kann. Diese erheblichen Unterschiede gelten auch 11 Quelle: https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/PolizeilicheKriminalstatistik /pks_node.html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 195/18 Seite 8 bei der Höchststrafe: diese liegt bei § 129 StGB sowohl im Grundtatbestand als auch beim besonders schweren Fall für die Rädelsführer (§ 129 Abs. 5 Sätze 1 und 2 StGB) bei nur fünf Jahren Freiheitsstrafe, bei Artikel 416bis CP bereits im Grundtatbestand bei 15 Jahren, für die Rädelsführer bei 18 Jahren. Diese drakonischen Strafen werden im italienischen Strafrecht nochmals deutlich erhöht, wenn die Vereinigung bewaffnet ist – dann lautet der Strafrahmen gemäß Artikel 416bis Abs. 4 CP auf zwölf bis 20 Jahre Freiheitsstrafe für normale Mitglieder und 15 bis 26 Jahre für Hintermänner/Organisatoren. Und selbst dies stellt noch nicht das absolute Höchstmaß dar: Wenn „die wirtschaftlichen Tätigkeiten, über die die Mitglieder die Kontrolle anstreben oder behalten wollen, ganz oder teilweise mit dem Lohn, dem Ergebnis oder dem Ertrag von Verbrechen finanziert“ werden (Artikel 416bis Abs. 6 CP), werden die in den vorangehenden Absätzen festgesetzten Strafen um ein Drittel bis um die Hälfte erhöht. Im Ergebnis droht dem „Kopf“ einer bewaffneten mafiaartigen Vereinigung, die die Kontrolle über wirtschaftliche Tätigkeiten anstrebt, die auch nur teilweise mit dem Ertrag von Verbrechen finanziert werden, damit dem Wortlaut des Artikel 416bis CP nach eine Mindeststrafe von 22,5 Jahren Freiheitsstrafe und eine Höchststrafe von 39 Jahren Freiheitsstrafe. Die höchste Strafe, die nach § 129 StGB droht, ist hingegen zehn Jahre Freiheitsstrafe, nämlich wenn die Zweckrichtung in der Begehung der in § 129 Absatz 5 Satz 3 StGB in Verbindung mit § 100b StPO12 genannten Straftaten besteht. Eine Parallelität zwischen Artikel 416bis CP und § 129 StGB besteht insofern, als beide Regelungen höhere Mindeststrafen für diejenigen Täter vorsehen, die als Rädelsführer/Leiter oder Hintermänner /Organisatoren wirken – Artikel 416bis CP zwölf Jahre Freiheitsstrafe, § 129 Abs. 5 Sätze 1 und 2 StGB sechs Monate Freiheitsstrafe. 5. Welche Folgen haben die Unterschiede etwa hinsichtlich der Zahl von Verurteilungen oder hinsichtlich der Repression? Belastbare Aussagen zu dieser Fragestellung könnten nur auf der Basis umfänglicher rechtsvergleichender und rechtstatsächlicher kriminologischer Untersuchungen getroffen werden, die derzeit nicht vorliegen. Allerdings dürfte die Vermutung naheliegen, dass jedenfalls ein Grund für die ganz erhebliche Zahl von aufgrund von Artikel 416bis CP in Italien Inhaftierten auch darin liegen dürfte, dass die einschlägigen Strafdrohungen ganz erhebliche und langjährige Freiheitsentziehungen als Strafen, insbesondere als Mindeststrafen, vorsehen. * * * 12 Strafprozeßordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), die zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 30. Oktober 2017 (BGBl. I S. 3618) geändert worden ist.