© 2015 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 195/13 Unternehmensstrafrecht in Europa und in den USA Ein Überblick Sabine Friehe Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 195/13 Seite 2 Unternehmensstrafrecht in Europa und in den USA Ein Überblick Verfasser/in: Regierungsdirektorin Prof. Dr. Sabine Friehe / geprüfter Rechtskandidat Johannes Lenzen Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 195/13 Abschluss der Arbeit: 18. November 2013 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Telefon: +49 (0)30 227 38638 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 195/13 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Ziel des Sachstandes 4 2. Welche internationalen und welche europäischen Staaten verfügen über ein Unternehmensstrafrecht? 4 3. Grundstrukturen und Grundzüge eines Unternehmensstrafrechts in europäischen Staaten 6 3.1. Gesetzliche Ausgestaltung 7 3.2. Zurechnung der Tat zur juristischen Person 7 3.3. Erfasster Personenkreis der für das Unternehmen handelnden natürlichen Personen 8 3.4. Qualität der juristischen Person 8 3.5. Anwendbare Strafnormen 9 3.6. Verurteilung der natürlichen Person als Strafbarkeitsvoraussetzung 10 3.7. Verhältnis der natürlichen und der juristischen Person zueinander - Parallelbestrafung 10 3.8. Sanktionsmöglichkeiten 10 3.9. Fazit 11 4. Darstellung des Unternehmensstrafrechts in den USA 12 5. Weiterführende und vertiefende Literatur 14 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 195/13 Seite 4 1. Ziel des Sachstandes Dieser Sachstand widmet sich der verschiedenen Fragen zum Unternehmensstrafrecht: Unter Gliederungspunkt 2 werden zunächst internationale und europäische Staaten benannt , die über ein Unternehmensstrafrecht verfügen. Unter dem Gliederungspunkt 3 werden die Grundstrukturen und die Grundzüge eines Unternehmensstrafrechts skizziert, wie es in Europa gefunden werden kann. Unter dem Gliederungspunkt 4 wird das Unternehmensstrafrecht der Vereinigten Staaten von Amerika kurz vorgestellt Am Ende wird unter Gliederungspunkt 5 auf weiterführende und vertiefende Literatur zum Thema Unternehmensstrafrecht hingewiesen. Diesem Sachstand liegen ergänzend zwei Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages bei, die ebenfalls zur Vertiefung und Ergänzung der hier abgehandelten Thematiken herangezogen werden können: die Dokumentation 3000/162/13 „Eine Übersicht zum Unternehmensstrafrecht in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union“ (Anlage 1) und der Sachstand 3000/174/13 „Strafbarkeit von transnationalen Unternehmen – Regelungsmöglichkeiten und Regelungsbeispiele für ein Unternehmensstrafrecht“ (Anlage 2). 2. Welche internationalen und welche europäischen Staaten verfügen über ein Unternehmensstrafrecht ? Für die Beantwortung dieser Frage ist ein kurzer Vorgriff in die dogmatischen Strukturen der verschiedenen Unternehmensstrafrechtsmodelle erforderlich. In den Debatten und Arbeiten zum Unternehmensstrafrecht wird bei der Einordnung von Staaten und ihren Rechtsordnungen in Sachen Unternehmensstrafrecht grundsätzlich eine Dreiteilung vorgenommen, nämlich: in Staaten mit Unternehmensstrafrecht, in Staaten mit Quasi-Unternehmensstrafrecht bzw. Verwaltungs(straf)recht und in Staaten ohne Unternehmensstrafrecht. Von einem Unternehmensstrafrecht im erstgenannten Sinne wird gesprochen, wenn die entscheidenden Gesetze ein Unternehmen explizit strafrechtlich vor einem Gericht durch einen ordentlichen Richter in die Verantwortung nehmen und das Unternehmen auch mittels klassischer strafrechtlicher Maßnahmen sanktionieren, ergänzt um Maßnahmen, die die besondere rechtliche Natur des Unternehmens berücksichtigen. Bei diesem klassischen Verständnis wird oft noch zwischen Strafnormen unterschieden, die in den jeweiligen nationalen Strafgesetzbüchern verankert sind, und solchen, die in selbstständigen Verbandsverantwortlichkeitsgesetzen niedergelegt sind. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 195/13 Seite 5 Diese separierte Gesetzgebung geht dann oft damit einher, dass sich Unternehmen auch nur wegen bestimmter, in diesen Gesetzen benannter Delikte strafbar machen können.1 Um ein Quasi-Unternehmensstrafrecht bzw. Verwaltungs(straf)recht handelt es sich demgegenüber , wenn Unternehmen für ihr Fehlverhalten nicht strafrechtlich, sondern verwaltungsrechtlich , etwa über die jeweiligen Ordnungswidrigkeitengesetze, zur Verantwortung gezogen werden. Entsprechende Verfahren werden dann von den zuständigen Ordnungsbehörden durchgeführt und nicht von einem Strafrichter. Als Sanktionsmöglichkeiten kommen vor allem Bußgelder in Betracht, aber auch andere Maßnahmen wie Auflagen oder der teilweise oder vollständige Genehmigungsentzug .2 Bemerkenswert ist noch, dass vor allem Staaten, deren Rechtsordnungen dem Common Law zugerechnet werden, über ein klassisches Unternehmensstrafrecht verfügen, wohingegen Staaten aus dem kontinentaleuropäischen Rechtskreis erst viel später dazu übergegangen sind, Unternehmen auch strafrechtlich zu sanktionieren. Die Entwicklung ist hier allerdings in den vergangenen Jahren ebenfalls weiter fortgeschritten.3 Nachfolgend werden nur Staaten aufgelistet, die über ein Unternehmensstrafrecht im oben beschriebenen klassischen strafgerichtlichen Sinne verfügen. Zu den europäischen Staaten4 mit geregeltem Unternehmensstrafrecht zählen: Belgien, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Irland, Island, Italien5, Litauen, Luxemburg , Malta, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweiz, Slowenien , Spanien, Tschechien, Ungarn, Vereinigtes Königreich, Zypern.6 1 Dazu ausführlich: Pieth, Mark / Ivory, Radha (2011), Corporate Criminal Liability - Emergence, Convergence, and Risk, Luxemburg / Berlin, S. 6 ff. 2 Dazu: Pieth, Mark / Ivory, Radha (2011), Corporate Criminal Liability - Emergence, Convergence, and Risk, Luxemburg / Berlin, S. 11 f. 3 Dazu ebenfalls: Pieth, Mark / Ivory, Radha (2011), Corporate Criminal Liability - Emergence, Convergence, and Risk, Luxemburg / Berlin, S. 7 ff. 4 Es handelt sich bei den für diese Auflistung untersuchten europäischen Staaten um die 28 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sowie die Staaten Island, Norwegen und Schweiz. Eine ausführliche Darstellung der jeweiligen Regelungen zum Unternehmensstrafrecht in den hier genannten Staaten findet sich in der oben erwähnten Dokumentation „Eine Übersicht zum Unternehmensstrafrecht in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union“, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Klaus Aschinger / Johannes Lenzen, WD 7- 3000-162/13, Stand: August 2013. 5 Die Einordnung Italiens als Staat mit Unternehmensstrafrecht ist nicht völlig unstrittig, da das einschlägige Gesetz formal von administrativer Verantwortung spricht, jedoch fassen die italienischen Gerichte die dort angedrohten Sanktionen als strafrechtliche auf, vor allem auch, weil diese auch von Strafgerichten verhängt werden. Vgl. hierzu: de Maglie, Cristina, Country report: Italy, in: Gobert, James / Pascal, Ana-Maria (2011), European Developments in Corporate Criminal Liability, New York, S. 252 ff. 6 Zu Bulgarien und Kroatien konnten keine verlässlichen Informationen erlangt werden. Alle anderen hier nicht aufgeführten EU-Staaten verfügen nicht über ein Unternehmensstrafrecht im klassischen strafrechtlichen Sinn. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 195/13 Seite 6 Weitere bedeutende7 Staaten mit Unternehmensstrafrecht sind: Argentinien, Australien, Brasilien, China, Indien8, Indonesien, Israel, Japan, Kanada, Neuseeland , Südafrika, Südkorea und die Vereinigte Staaten von Amerika.9 10 Deutschland hat derzeit noch kein Unternehmensstrafrecht kodifiziert. Zur Sanktionierung von Unternehmen wird in Deutschland vor allem auf das Ordnungswidrigkeitengesetz11 und dort auf § 30 OWiG (Geldbuße gegen juristische Personen und Personenvereinigungen) und auf § 130 O- WiG (Verletzung der Aufsichtspflicht in Betrieben und Unternehmen) zurückgegriffen sowie auf andere besondere Verwaltungsgesetze. Eine ausführliche Dokumentation der Rechtslagen in den verschiedenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union findet sich in der Dokumentation 3000/162/13 „Eine Übersicht zum Unternehmensstrafrecht in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union“ der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, die diesem Sachstand in der Anlage 1 beigefügt ist. 3. Grundstrukturen und Grundzüge eines Unternehmensstrafrechts in europäischen Staaten Die verschiedenen Rechtsordnungen im europäischen Raum zeichnen ein äußerst heterogenes Bild, wenn es um die Frage des Unternehmensstrafrechts geht. Lässt man einmal außer Acht, dass Staaten auch gänzlich darauf verzichten, ein Unternehmen in strafrechtliche Verantwortung 7 Für die Bestimmung der Bedeutsamkeit anderer Staaten und zur Beantwortung der aufgeworfenen Teilfrage orientiert sich der Sachstand an den Mitgliedsstaaten der OECD und deren wichtigen Partnerländern sowie an der Staatengruppe der G-20. 8 Erst 2013 hat der Oberste Gerichtshof Indiens in einer Grundsatzentscheidung das Unternehmensstrafrecht anerkannt . Zuvor war dessen Rechtmäßigkeit zwischen den Gerichten umstritten. Eine Nachzeichnung der Entwicklung mit weiteren Nachweisen leisten Joshi, Lorandos (2013), Corporate Criminal Liability in India, zu finden unter: http://www.lorandoslaw.com/Publications/Corporate-Criminal-Liability-India.shtml [Stand: 05.11.2013] und Sahu, Manjeet Kumar (2013), Corporation Criminal Liability – An Indian Perspective, zu finden unter: http://corporatelawreporter.com/2013/03/27/criminal-liability-corporation-indian-perspective /#sthash.vZb6xggE.dpbs [Stand: 05.11.2013] . 9 In Argentinien, Brasilien, Indonesien und Südkorea ist das Unternehmensstrafrecht derzeit noch auf einen Katalog von besonderen Straftaten begrenzt. 10 Vgl. hierzu mit weiteren Nachweisen zu den einzelnen Ländern: Kyriakakis, Joanna (2009), Corporate Criminal Liability and the ICC Statute: The Comparative Law Challenge, in: Netherlands International Law Review, (2009) 56 (3), S. 333-366, zu finden auf SSRN (http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=1825568) unter: http://mongolianmind.com/wp-content/uploads/2012/10/CORPORATE-CRIMINAL-LIABILITY-AND- THE-ICC-STATUTE-the-comparative-law-challenge-2009.pdf [Stand: 05.11.2013]. Außerdem mit weiteren Nachweisen: Pieth, Mark / Ivory, Radha (2011), Corporate Criminal Liability - Emergence, Convergence, and Risk, Luxemburg / Berlin, S. 7-14. 11 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Februar 1987 (BGBl. I S. 602), zuletzt geändert durch Art. 18 des Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013 (BGBl. I S. 3786), im Internet aufrufbar unter: http://www.gesetze-im-internet .de/owig_1968/ [Stand: 05.11.2013]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 195/13 Seite 7 zu nehmen, lassen sich, wie bereits in der Antwort zu Frage 1 angedeutet, grob betrachtet, zwei Konzepte unterscheiden: nämlich Systeme mit einer strafgerichtlichen Unternehmensverantwortlichkeit und Systeme mit einer verwaltungs(straf)rechtlichen / administrativen Unternehmensverantwortlichkeit . Die strafgerichtlichen Modelle sehen alle vor, dass sich das Unternehmen vor einem Strafgericht verantworten muss und dieses bei Überzeugung von der Schuld des Unternehmens tatsächliche Strafsanktionen verhängen kann. Verwaltungs-(straf)rechtliche Modelle hingegen gehen davon aus, dass die Verantwortlichkeit eines Unternehmens von den zuständigen Ordnungsbehörden überprüft wird und diese gegebenenfalls Bußgelder oder ähnliche Verwaltungssanktionen verhängen können. Der Großteil der europäischen Staaten verfügt mittlerweile über ein strafgerichtliches Unternehmensstrafrecht . Das verwaltungs(straf)rechtliche Modell ist neben einigen Mischsystemen nur noch die Ausnahme. Aber auch zwischen den strafgerichtlichen Modellen gibt es immer noch signifikante Unterschiede. Diese Unterschiede, aber auch die Gemeinsamkeiten dieser Modelle sollen im Folgenden weiter skizziert werden, um so Grundstrukturen und Grundzüge eines Unternehmensstrafrechts im europäischen Kontext aufzuzeigen.12 3.1. Gesetzliche Ausgestaltung Einer der augenscheinlichsten Unterschiede liegt in der gesetzgebungstechnischen Frage, ob die Regelungen zum Unternehmensstrafrecht in das jeweilige nationale Strafgesetzbuch integriert oder ob eigens für das Unternehmensstrafrecht ein sog. Verbandsverantwortlichkeitsgesetz geschaffen werden soll. Eine eindeutige Präferenz lässt sich diesbezüglich in Europa nicht ausmachen . 3.2. Zurechnung der Tat zur juristischen Person Jeder Gesetzgeber, der ein Unternehmensstrafrecht sinnvoll regeln möchte, sieht sich vor die Frage gestellt, wie er der juristischen Person die von einer natürlichen Person vorgenommene Handlung zurechnen kann. Die Schwierigkeit besteht darin, dass eine juristische Person nicht selbst, sondern immer nur durch ihre Organe handeln kann. Dieser Umstand wird in der Diskussion immer wieder zum Anlass genommen, ein Unternehmensstrafrecht gänzlich in Frage zu stellen , da einer juristischen Person mangels natürlicher Handlungsfähigkeit kein sinnvoller Schuldvorwurf gemacht werden könne.13 In Europa und der Welt haben sich diesbezüglich unterschiedliche Ansätze entwickelt. Modellübergreifend hat sich herausgebildet, dass es einen erkennbaren Unternehmensbezug der zuzurechnenden Handlung geben muss. Die Qualität dieses Unternehmensbezugs divergiert dabei zwischen den einzelnen Ländern. So wird es teilweise als ausrei- 12 Instruktiv und mit einem guten Überblick über die Situation in Europa: Zeder, Fritz (2006), Verbandsverantwortlichkeitsgesetz – „Unternehmensstrafrecht“, Wien / Graz. Ebenfalls mit gutem Überblick und international vergleichender Perspektive: Pieth, Mark / Ivory, Radha (2011), Corporate Criminal Liability - Emergence, Convergence , and Risk, Luxemburg / Berlin. 13 Vgl. zu der Debatte einleitend: Pieth, Mark / Ivory, Radha (2011), Corporate Criminal Liability - Emergence, Convergence , and Risk, Luxemburg / Berlin und Mittelsdorf, Kathleen (2007), Unternehmensstrafrecht im Kontext, Heidelberg. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 195/13 Seite 8 chend erachtet, dass sich die Tat im Zusammenhang mit der allgemeinen Tätigkeit der juristischen Person abgespielt haben muss. Andere Modelle fordern hingegen, dass die juristische Person von der Tat profitiert haben muss, die Tat also zu Gunsten, im Auftrag, im Namen oder im Interesse des Unternehmens etc. begangen sein muss. Teilweise existieren auch Mischformen dieser beiden Anforderungsprofile: Es gibt Modelle, die beide Voraussetzungen erfordern, während andere Modelle zusätzliche Voraussetzungen wie einen groben Verstoß gegen bestimmte Pflichten oder das ausdrückliche Zuwiderhandeln gegen eine Anordnung erfordern. Gemeinsame Voraussetzung ist aber für alle Modelle, dass die Tat in den Verantwortungsbereich des Unternehmens /der juristischen Person fällt.14 3.3. Erfasster Personenkreis der für das Unternehmen handelnden natürlichen Personen Desweiteren unterscheiden sich die verschiedenen Modelle in dem Personenkreis, den sie als potenzielle natürliche Täter definieren. So stellen einige Rechtsordnungen nur auf Führungspersonen ab, wohingegen andere auch untergeordnete Mitarbeiter bei deren mangelnder Überwachung erfassen. Unter Führungsperson wird dabei in der Regel nicht nur die formaljuristisch berechtigte Führungsperson verstanden, sondern auch ein leitender Angestellter oder ein Mitglied eines Aufsichtsrates können von der Regelung erfasst werden. Vereinzelt wird allerdings noch zusätzlich verlangt, dass das Unternehmen die für die erfolgreiche Kontrolle ihrer Führungspersonen notwendigen Maßnahmen nicht vorgehalten hat. Dieses Kontrollerfordernis wird bei untergeordneten Mitarbeitern regelmäßig verlangt. Einige wenige Staaten ziehen sogar Unternehmen zur Verantwortung , wenn die Tat von einer nicht in einem Angestelltenverhältnis tätig gewordenen, sondern nur von dem Unternehmen beauftragten Person begangen wurde. Eine solch weite Zurechnung stellt aber die Ausnahme dar.15 3.4. Qualität der juristischen Person Neben der Eingrenzung des Täterkreises nehmen einige Rechtsordnungen zudem Einschränkungen bei der zur Verantwortung zu ziehenden Rechtsperson vor. Eine wesentliche Unterscheidung wird zwischen juristischen Personen des Privatrechts und solchen des öffentlichen Rechts gemacht . Juristische Personen des Privatrechts werden von allen Staaten erfasst. Einige Rechtsordnungen sprechen in ihren Gesetzestexten dann auch synonym von Unternehmen. Teilweise werden auch nicht rechtsfähige Unternehmen, wie beispielsweise nicht eingetragene Vereine, von den Normen erfasst. In den meisten Fällen wird nicht dabei unterschieden, ob ein Unternehmen gewinnorientiert ist oder nicht. 14 Zu den einzelnen Ausgestaltungen siehe: Zeder, Fritz (2006), Verbandsverantwortlichkeitsgesetz – „Unternehmensstrafrecht “, Wien / Graz, S. 20 f. sowie die Dokumentation „Eine Übersicht zum Unternehmensstrafrecht in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union“, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Klaus Aschinger / Johannes Lenzen, WD 7-3000-162/13, Stand: August 2013. 15 Zu den einzelnen Ausgestaltungen siehe: Zeder, Fritz (2006), Verbandsverantwortlichkeitsgesetz – „Unternehmensstrafrecht “, Wien / Graz, S. 21 ff. sowie die Dokumentation „Eine Übersicht zum Unternehmensstrafrecht in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union“, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Klaus Aschinger / Johannes Lenzen, WD 7-3000-162/13, Stand: August 2013. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 195/13 Seite 9 Die weit überwiegende Zahl der Länder mit Unternehmensstrafrecht nimmt den Staat als juristische Person des öffentlichen Rechts von der strafrechtlichen Verantwortlichkeit aus. Dort, wo dies nicht geschieht, beschränkt sich die Verantwortlichkeit des Staates jedoch auf nicht hoheitliches Handeln. Auf unterstaatlicher Ebene, also etwa auf Kreis- oder Gemeindeebene, wird die Verantwortlichkeit in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich gehandhabt. Aber auch hier gilt, dass nur nicht hoheitliches Handeln relevant ist. Für Unternehmen, die dem Staat gehören, gilt in aller Regel die uneingeschränkte Verantwortlichkeit wie für jede juristische Person des Privatrechts .16 3.5. Anwendbare Strafnormen Desweiteren stellt sich vielfach für den Gesetzgeber die Frage, welche Strafnormen ein Unternehmen bzw. eine andere juristische Person verwirklichen können soll. Dies ist insofern nicht unproblematisch , als bestimmte Delikte ihrer Natur nach nur auf natürliche Personen anwendbar sind. Dennoch gibt es einige Staaten, die davon ausgehen, dass ein Unternehmen grundsätzlich alle Delikte verwirklichen kann. Dies sind vor allem Staaten, die aus der Common Law Tradition kommen, wie Großbritannien, Australien oder die Vereinigten Staaten von Amerika. Dies erklärt sich vor allem damit, dass der in den dortigen Strafgesetzen gebrauchte Terminus der „person“ von den Gerichten dahingehend verstanden und interpretiert wurde, dass er auch juristische Personen erfasst und diese damit zwangsläufig auch die jeweiligen Delikte, die sich an eine „person “ richten, verwirklichen können.17 In der kontinentaleuropäischen Tradition ist es verbreiteter, einen Katalog mit bestimmten Delikten aufzustellen, die auch von juristischen Personen verwirklicht werden können, bzw. in den jeweiligen Gesetzen darauf hinzuweisen, dass diese nur dann auf juristische Personen anwendbar sind, wenn dies der Natur des Delikts nach möglich ist. Die Regelung über Normenkataloge hat sich vielfach daraus ergeben, dass die entsprechenden Staaten lange kein Unternehmensstrafrecht kannten und dieses dann erst nach und nach für bestimmte Deliktstypen, meist über das Umweltstrafrecht oder über Steuer- und Korruptionsdelikte, eingeführt haben. Diese beiden Erklärungsansätze sollen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es durchaus auch Staaten mit kontinentaleuropäischer Rechtsordnung gibt, die sämtliche Delikte auch auf juristische Personen anwenden.18 16 Zu den einzelnen Ausgestaltungen siehe: Zeder, Fritz (2006), Verbandsverantwortlichkeitsgesetz – „Unternehmensstrafrecht “, Wien / Graz, S. 19 f. sowie die Dokumentation „Eine Übersicht zum Unternehmensstrafrecht in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union“, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Klaus Aschinger / Johannes Lenzen, WD 7-3000-162/13, Stand: August 2013. 17 Vgl. hierzu: Pieth, Mark / Ivory, Radha (2011), Corporate Criminal Liability - Emergence, Convergence, and Risk, Luxemburg / Berlin, S. 14 ff. 18 Zu den einzelnen Ausgestaltungen siehe: Zeder, Fritz (2006), Verbandsverantwortlichkeitsgesetz – „Unternehmensstrafrecht “, Wien / Graz, S. 18 sowie die Dokumentation „Eine Übersicht zum Unternehmensstrafrecht in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union“, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Klaus Aschinger / Johannes Lenzen, WD 7-3000-162/13, Stand: August 2013. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 195/13 Seite 10 3.6. Verurteilung der natürlichen Person als Strafbarkeitsvoraussetzung In einigen Staaten ist als Voraussetzung für die Verurteilung der juristischen Person erforderlich, dass zuvor die für das Unternehmen tätig gewordene natürliche Person wegen des konkreten Delikts verurteilt wurde. Diese Regelungsvariante stellt aber die Ausnahme dar. Für die meisten Staaten reicht es aus, dass aus dem Unternehmensumfeld eine Straftat begangen wurde. Es ist häufig noch nicht einmal erforderlich, dass die natürliche Person identifiziert werden muss. Durch diese Regelung möchte man die sonst auftretenden Ermittlungs- und Beweisschwierigkeiten vermeiden.19 3.7. Verhältnis der natürlichen und der juristischen Person zueinander - Parallelbestrafung An den vorigen Punkt anknüpfend stellt sich außerdem die Frage, ob die juristische Person neben der natürlichen Person verurteilt werden kann oder ob die Verurteilung der natürlichen Person die Verurteilung der juristischen Person ausschließt und umgekehrt. Die allermeisten Länder lassen eine Verurteilung beider Personen nebeneinander zu. In einigen Rechtsordnungen wird auf diese Möglichkeit explizit im Gesetz hingewiesen, in anderen ergibt sich dies aus der Systematik des Gesetzes.20 3.8. Sanktionsmöglichkeiten Da eine juristische Person denklogisch nicht zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werden kann, sind die Sanktionsmöglichkeiten gegenüber juristischen Personen im Verhältnis zu natürlichen Personen beschränkt. Diese Einschränkung wird jedoch wiederum dadurch abgemildert, dass es spezielle Sanktionen gegen Unternehmen gibt. Grundsätzlich kennen alle Staaten mit Unternehmensstrafrecht die Geldstrafe. Deren Ausgestaltung unterscheidet sich im Einzelnen aber deutlich, besonders was die Bestimmung der Obergrenze einer solchen Geldstrafe angeht. Die meisten Staaten verfügen über eine feststehende Obergrenze. In manchen Rechtsordnungen kann diese nur dadurch überschritten werden, dass der durch die Straftat erlangte Gewinn oder aber der durch die Tat verursachte Schaden diese Obergrenze übersteigt. Dann richtet sich die Höhe der Geldstrafe nach dem erlangten Gewinn bzw. nach dem verursachten Schaden. Die Höhe beträgt dann oft ein Vielfaches des Gewinns oder des Schadens. Eine andere Bestimmung der Obergrenze richtet sich nach dem jährlich erwirtschafteten Gewinn des Unternehmens. Von dem Jahresgewinn kann dann ein bestimmter Prozentsatz als Strafe festgelegt werden. In manchen Rechtsordnungen wird die Strafandrohung für 19 Zu den einzelnen Ausgestaltungen siehe: Zeder, Fritz (2006), Verbandsverantwortlichkeitsgesetz – „Unternehmensstrafrecht “, Wien / Graz, S. 25 sowie die Dokumentation „Eine Übersicht zum Unternehmensstrafrecht in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union“, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Klaus Aschinger / Johannes Lenzen, WD 7-3000-162/13, Stand: August 2013. 20 Vgl. Fußnote 19 sowie ausführlich zu der Frage der Parallelsanktionierung: Mittelsdorf, Kathleen (2007), Unternehmensstrafrecht im Kontext, Heidelberg. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 195/13 Seite 11 die natürliche Person zugrunde gelegt und dann entsprechend für das Unternehmen vervielfacht .21 Neben der Geldstrafe kennen die meisten Rechtsordnungen aber noch andere auf Unternehmen zugeschnittene Sanktionen. Diese können sein: die Einschränkung oder vollständige Untersagung einer Tätigkeit, die teilweise oder vollständige Entziehung einer Genehmigung oder der Erlass von Auflagen, der Ausschluss und Entzug von Subventionen, Finanzhilfen und Beihilfen, der Ausschluss von Vergabeverfahren, Werbeverbote oder die Veröffentlichung der Verurteilung an geeigneter Stelle sowie als ultima ratio die Zerschlagung und Auflösung des Unternehmens.22 3.9. Fazit Die einzelnen Ausführungen haben deutlich gemacht, dass das Gestaltungsspektrum bei der Regelung eines Unternehmensstrafrechts sehr weit ist. Dennoch ist ebenso klar geworden, dass der Gesetzgeber, der dieses Vorhaben verfolgt, zu ganz bestimmten Aspekten Stellung beziehen muss. Es muss geklärt werden, welche juristischen Personen von einer Strafbarkeit erfasst werden sollen, ob es Ausnahmen für den Staat geben soll und wenn ja, wie umfangreich diese ausfallen sollen. Es muss weiter geklärt werden, wie die Tat der natürlichen Person der juristischen Person zugerechnet werden kann und welche Anforderungen im Einzelnen an diese Zurechnung zu stellen sind. Mit dieser Frage hängt zusammen, welche natürliche Person überhaupt eine Strafbarkeit der juristischen Person auslösen kann, ob dies nur durch Führungspersonen oder auch angestellte Mitarbeiter erfolgen kann, die für die juristische Person in deren Verantwortungsbereich tätig geworden sind. Wenn es um das Verhältnis von natürlicher zu juristischer Person geht, ist zu klären, ob diese nebeneinander bestraft werden können sollen und ob sogar die Verurteilung der natürlichen Person Voraussetzung für eine Verurteilung der juristischen Person sein soll. Und zuletzt wird sich der Gesetzgeber die Frage stellen müssen, ob ein Unternehmen grundsätzlich alle Delikte verwirklichen können soll und wie es im Fall einer Verurteilung zu bestrafen ist. Diese Aspekte bzw. Fragen machen dann auch das Wesentliche eines Unternehmensstrafrechts aus und können als dessen Grundstrukturen und Grundzüge angesehen werden. Für weitergehende Informationen sei auch an dieser Stelle noch einmal auf den Sachstand 3000/174/13 „Strafbarkeit von transnationalen Unternehmen – Regelungsmöglichkeiten und Regelungsbeispiele für ein Unternehmensstrafrecht“ (Anlage 2) und die Dokumentation 3000/162/13 „Eine Übersicht zum Unternehmensstrafrecht in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union“ (Anlage 1) der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages verwiesen. 21 Zu den einzelnen Ausgestaltungen siehe: Zeder, Fritz (2006), Verbandsverantwortlichkeitsgesetz – „Unternehmensstrafrecht “, Wien / Graz, S. 25 f. sowie die Dokumentation „Eine Übersicht zum Unternehmensstrafrecht in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union“, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Klaus Aschinger / Johannes Lenzen, WD 7-3000-162/13, Stand: August 2013. 22 Zu den einzelnen Ausgestaltungen siehe: Zeder, Fritz (2006), Verbandsverantwortlichkeitsgesetz – „Unternehmensstrafrecht “, Wien / Graz, S. 26 sowie die Dokumentation „Eine Übersicht zum Unternehmensstrafrecht in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union“, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Klaus Aschinger / Johannes Lenzen, WD 7-3000-162/13, Stand: August 2013. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 195/13 Seite 12 4. Darstellung des Unternehmensstrafrechts in den USA Dem US-amerikanischen Recht ist seit nunmehr über hundert Jahren eine Strafbarkeit von Unternehmen bekannt. Mit der Entscheidung New York Central & Hudson River Rail Road Co. v. United States23 bestätigte der US Supreme Court 1909 die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen , die zuvor von mehreren Einzelgerichten auf Bundesstaatenebene verschiedentlich entwickelt worden war.24 Dadurch emanzipierte sich das US-amerikanische Recht von den zuvor geltenden Prinzipien des Common Law aus Großbritannien, die davon ausgingen, dass ein Unternehmen grundsätzlich nicht handeln und auch keinen eigenen Willen bilden und damit mangels Schuldfähigkeit strafrechtlich nicht verantwortlich gemacht werden kann. Bis zu der Entscheidung galt auch in den USA noch der römisch-rechtliche Grundsatz „societas delinquere non potest “25, dem das britische Recht bis dahin noch verpflichtet war. Das Erfordernis der mens rea26 wurde von den US-Gerichten und letztendlich vom US Supreme Court dadurch beseitigt, dass auf zivil- und deliktsrechtliche Konzepte, wie dem Prinzip des „respondeat superior“27, zurückgegriffen wurde, die den Vorgesetzten für Handlungen seiner Untergebenen verantwortlich machten , wenn diese in Ausübung ihrer Tätigkeit für das Unternehmen und zu dessen wirtschaftlichen Vorteil tätig wurden. Diese Haftung für fremdes Verschulden wurde zunächst nur auf Fälle der „strict liability“28, also auf Fälle der verschuldensunabhängigen Haftung angewandt. Mit der oben genannten Grundsatzentscheidung des US Supreme Court wurde diese Haltung aber aufgegeben und die Haftung auch auf Tatbestände ausgeweitet, die explizit ein Verschulden voraussetzten . Das Gericht war der Auffassung, dass ein Unternehmen sehr wohl durch seine Mitarbeiter handelt und auch einen Willen bilden kann. Zudem sei es rechtspolitisch nicht zu vertreten, 23 New York Central & Hudson River Rail Road Co. v. U.S., 212 U.S. 481 (1909). Die Entscheidung ist im Internet abrufbar unter: http://supreme.justia.com/cases/federal/us/212/481/case.html [Stand: 05.11.2013]. 24 Ausführlich zu den ersten Entwicklungen: Nanda, Ved P., Corporate Criminal Liability in the United States: Is a New Approach Warranted?, in: Pieth, Mark / Ivory, Radha (2011), Corporate Criminal Liability - Emergence, Convergence, and Risk, Luxemburg / Berlin, S. 66 und Partsch, Christoph, Hundert Jahre Erfahrung mit einem Unternehmensstrafrecht in den USA, in: Kempf, Eberhard / Lüderssen, Klaus / Volk, Klaus (Hrsg.) (2012), Unternehmensstrafrecht , Berlin / Boston, S. 55. 25 Lateinisch für „eine Gesellschaft (juristische Person) kann sich nicht vergehen (strafbar handeln)“. Zum Ursprung und mit weiteren Nachweisen zu diesem lateinischen Ausdruck: Böse, Martin, Corporate Criminal Liability in Germany, in: Pieth, Mark / Ivory, Radha (2011), Corporate Criminal Liability - Emergence, Convergence, and Risk, Luxemburg / Berlin, S. 228. 26 Mens rea entspricht dem subjektiven Tatbestand im deutschen Strafrecht und umfasst im US-Recht den general intent (die bewusste Herbeiführung der Rechtsgutsverletzung), den special intent (den deliktischen Vorsatz), die recklessness (die bewusste Fahrlässigkeit) und die negligence (die Fahrlässigkeit). Vgl. dazu Partsch, ebd., S. 55. 27 Lateinisch für „es soll der Dienstherr antworten“. Ausführlich zu dieser Doktrin: Nanda, Ved P., Corporate Criminal Liability in the United States: Is a New Approach Warranted?, in: Pieth, Mark / Ivory, Radha (2011), Corporate Criminal Liability - Emergence, Convergence, and Risk, Luxemburg / Berlin, S. 65, Fn 11. 28 Englisch für „Erfolgshaftung; verschuldensunabhängige Haftung“. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 195/13 Seite 13 dass die Unternehmen zwar die hohen Gewinne ihres Wirtschaftens einstrichen, jedoch für die oft gravierenden Folgen ihres Wirtschaftens nicht zur Verantwortung gezogen werden könnten. Die von dem US Supreme Court 1909 in der Entscheidung New York Central & Hudson River Rail Road Co. v. United States entwickelte Doktrin der „corporate criminal liability“29 ist auch heute noch Teil des geltenden US-amerikanischen Rechts, wenngleich sie auch über die Jahre von den einzelnen Gerichten beständig weiterentwickelt und präzisiert wurde. Nach geltendem US-amerikanischen Recht werden einem Unternehmen nach dem Prinzip der „vicarious criminal liabilitiy“30 die von einer natürlichen Person vorgenommene verbotene Handlung (actus reus31) und der auf diese Tat gerichtete Wille (mens rea32) automatisch zugerechnet, wenn diese natürliche Person in Ausübung ihrer Mitarbeitertätigkeit (within the scope and nature of his/her employment), also im Verantwortungsbereich des Unternehmens, und zumindest teilweise zum Vorteil des Unternehmens (to benefit the corporation) gehandelt hat.33 Damit stellt das US-amerikanische Modell der Unternehmensstrafbarkeit eines der am weitgehendsten Modelle unter den Ländern mit geregelter Unternehmensstrafbarkeit dar. Da die US-amerikanischen Gerichte unter dem Begriff „person“ grundsätzlich auch juristische Personen verstehen, können sich Unternehmen in den USA auch wegen nahezu aller dort strafbaren Delikte strafbar machen, auch dann, wenn die Norm dies nicht explizit erwähnt.34 Auch wenn der US Supreme Court seit Langem an der Entscheidung New York Central festhält, ist es bislang allerdings noch nicht zu einer einheitlichen Kodifizierung dieses Prinzips in den USA gekommen. Dieser Umstand wird jedoch dadurch kompensiert, dass im Jahre 1961 bundeseinheitliche Strafzumessungsregeln erlassen wurden, die sogenannten „sentencing guidelines“35, die dazu dienen, einheitliche Strafrahmen zu bestimmen und staatenübergreifend einheitliche 29 „Corporate criminal liability“ ist der englische Fachausdruck für „Unternehmensstrafrecht; strafrechtliche Haftung von Unternehmen“, unter dem auch die Debatte zum Unternehmensstrafrecht im englischsprachigen Raum geführt wird. 30 „Vicarious liability“ meint im Englischen „Haftung für fremdes Handeln“. Hier ist strafrechtliches Haften und Handeln gemeint. 31 „Actus reus“ entspricht dem objektiven Tatbestand des deutschen Strafrechts und bedeutet wörtlich übersetzt „schuldhafter Akt“. 32 „Mens rea“ entspricht dem subjektiven Tatbestand des deutschen Strafrechts und bedeutet wörtlich übersetzt „schuldhafter Wille“. Siehe zu den Ausgestaltungen der „mens rea“ im US-amerikanischen Recht die Fußnote 26 in diesem Sachstand. 33 Nanda, Ved P., Corporate Criminal Liability in the United States: Is a New Approach Warranted?, in: Pieth, Mark / Ivory, Radha (2011), Corporate Criminal Liability - Emergence, Convergence, and Risk, Luxemburg / Berlin , S. 65. 34 Nanda, Ved P., Corporate Criminal Liability in the United States: Is a New Approach Warranted?, in: Pieth, Mark / Ivory, Radha (2011), Corporate Criminal Liability - Emergence, Convergence, and Risk, Luxemburg / Berlin , S. 68. 35 Die sentencing guidelines können im Internet abgerufen werden unter: http://www.ussc.gov/Guidelines/ [Stand: 22.10.2013]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 195/13 Seite 14 Urteile zu verhängen. Über dieses Instrument ist es zudem möglich geworden, einheitliche Anforderungen an das Wirtschaften von Unternehmen zu stellen und den Ausgang von Prozessen der Willkür einzelner Richter zu entziehen. Da die in den Richtlinien festgelegten Maßnahmen oftmals recht erheblich sind und nicht selten die Existenz des betroffenen Unternehmens bedrohen , hat deren Anwendung dazu geführt, dass sich US-amerikanische Unternehmen vielfach selbst belasten, Prozessrechte aufgeben und sich staatlichen Maßnahmen unterwerfen, um so eine Bußgeldreduzierung oder eine Einstellung des Verfahrens zu erreichen. Die Rechtsstaatlichkeit dieser Maßnahmen und die Anwendungspraxis der „sentencing guidelines“ wird aber immer wieder angezweifelt und kritisiert, da sie dazu führen, dass die Prozessrechte der angeklagten Unternehmen faktisch ausgehebelt werden.36 5. Weiterführende und vertiefende Literatur Die nachfolgend aufgelistete Literatur ist vollständig in der Bibliothek des Deutschen Bundestages verfügbar. Gobert, James / Pascal, Ana-Maria (2011), European Developments in Corporate Criminal Liability, New York, [Signatur-BT: M 598623]. Kempf, Eberhard / Lüderssen, Klaus / Volk, Klaus (Hrsg.) (2012), Unternehmensstrafrecht, Berlin / Boston, [Signatur-BT: M 596095]. Livschitz, Mark / Berndt, Markus / Singer, Alexander (2007), DACH-Schriftenreiche, Band 29, 36. Tagung der DACH in St. Gallen vom 10. bis 12. Mai 2007, Zürich, [Signatur-BT: P 5120206]. Mittelsdorf, Kathleen (2007), Unternehmensstrafrecht im Kontext, Heidelberg, [Signatur-BT: P 5119917]. Modlinger, Florian (2010), Brauchen wir zur Korruptionsbekämpfung ein Unternehmensstrafrecht?, Hamburg, [Signatur-BT: P 5132717]. Pieth, Mark / Ivory, Radha (2011), Corporate Criminal Liability - Emergence, Convergence, and Risk, Luxemburg / Berlin, [Signatur-BT: P 5143213]. Zeder, Fritz (2006), Verbandsverantwortlichkeitsgesetz – „Unternehmensstrafrecht“, Wien / Graz, [Signatur- BT: P 5121774]. 36 Partsch, Christoph, Hundert Jahre Erfahrung mit einem Unternehmensstrafrecht in den USA, in: Kempf, Eberhard / Lüderssen, Klaus / Volk, Klaus (Hrsg.) (2012), Unternehmensstrafrecht, Berlin / Boston, S. 56 und ausführlich zu den Problemen: Nanda, Ved P., Corporate Criminal Liability in the United States: Is a New Approach Warranted?, in: Pieth, Mark / Ivory, Radha (2011), Corporate Criminal Liability - Emergence, Convergence , and Risk, Luxemburg / Berlin, S. 71 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 195/13 Seite 15 Sabine Friehe Johannes Lenzen