Vereinbarkeit nationaler Maßnahmen zur Verringerung von Schienenverkehrslärm mit Europarecht - Ausarbeitung - © 2007 Deutscher Bundestag WD 7 - 189/07 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Vereinbarkeit nationaler Maßnahmen zur Verringerung von Schienenverkehrslärm mit Europarecht Ausarbeitung WD 7 - 189/07 Abschluss der Arbeit: 3. August 2007 Fachbereich WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 3 - - Zusammenfassung - Nationales Vorgehen gegen den Schienenlärm durch die Einführung eines Förderprogramms zur Umrüstung von Güterwagen auf das K-Sohle-System und dem Hinwirken auf die Erhebung von lärmabhängigen Trassenpreisen – wie vom Deutschen Bundestag unlängst gefordert – hält nicht ohne Weiteres europarechtlichen Bedenken stand. Ein Förderprogramm, das Anreize zur Umrüstung der Bremssysteme schaffen soll, ist grundsätzlich keine unzulässige Beihilfe im Sinne des Art. 87 EG-Vertrag, da sich durch die Modernisierung keine wirtschaftlichen Vorteile für die begünstigten Unternehmen ergeben werden. Berücksichtigt man jedoch das Vorhaben der Kommission, europaweit die Umrüstung bestehender Güterwaggonflotten verpflichtend einzuführen, so könnte die staatliche Unterstützung durch das Förderprogramm zu einem unzulässigen wirtschaftlichen Vorteil der deutschen Güterverkehrsunternehmer führen. Unabhängig davon, welcher Argumentation man folgt, entfällt der Vorwurf einer verbotenen Beihilfe, da die Kommission bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 87 Abs. 2 lit. b EG-Vertrag die Beihilfe von ihrer Unzulässigkeit befreien kann. Von dieser rechtlichen Einschätzung unberührt bleiben natürlich die auf europarechtlicher Ebene einheitlich abgestimmten Vorgehensweisen aller Mitgliedstaaten. Nach Auskunft der Europäischen Kommission wird zurzeit ein Leitfaden für Beihilfen im Eisenbahnbereich und Umweltbeihilfen entwickelt. Es ist zu erwarten, dass diese Dokumente auch auf mögliche Beihilfen zur Reduzierung der Umwelteinwirkungen der Bahnen eingehen. Beide Dokumente sollen von der Kommission im November 2007 angenommen werden. Eine rechtliche Einschätzung wird dadurch erheblich erleichtert. Isoliert betrachtet, verstößt auch die Erhebung der lärmabhängigen Trassenpreise durch die DB Netz AG nicht gegen den EG-Vertrag. Ein Verstoß könnte jedoch bei gleichzeitiger Einführung des o. g. Förderprogramms für deutsche Unternehmen angenommen werden. Die Trassenpreise treffen dann vornehmlich ausländische Unternehmen, die vermutlich keine finanziellen Mittel aus staatlicher Hand zur Umrüstung erhalten haben, sodass eine versteckte Diskriminierung festgestellt werden könnte. Im Bereich der Verkehrspolitik enthält Art. 72 EG-Vertrag ein Verbot der Schlechterstellung. Das beabsichtigte Paket aus Förderprogramm und Trassenpreisen könnte dieses Verbot verletzen, da es die Situation ausländischer Unternehmen ungünstiger gestaltet. - 4 - Inhalt 1. Einleitung 5 2. Themenkomplex I: Vereinbarkeit eines Förderprogramms zur Umrüstung von vorhandenen Güterwagen mit Art. 87 ff. EG-Vertrag 5 2.1. Beihilfetatbestand (Art. 87 Abs. 1 EG-Vertrag) 5 2.1.1. Begünstigung 5 2.1.2. Zwischenergebnis 7 2.1.3. Selektivität und Staatlichkeit der Begünstigung 7 2.1.4. Wettbewerbsverfälschung und Handelsbeeinträchtigung 8 2.2. Ausnahmen und Befreiungsmöglichkeiten (Art. 87 Abs. 2, 3 EG-Vertrag) 8 2.3. Ergebnis 9 3. Themenkomplex II: Vereinbarkeit eines lärmabhängigen Trassenpreises mit den Vorschriften des EG-Vertrages 10 3.1. Dienstleistungsfreiheit 10 3.2. Vorschriften über die Verkehrspolitik 10 3.2.1. Art. 72 EG-Vertrag 10 3.2.2. Rechtsfolge 11 3.3. Ergebnis 12 - 5 - 1. Einleitung Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung durch den Beschluss vom 21. Juni 20071 auf, ein Förderprogramm zur Lärmsanierung auf der Schiene voranzutreiben. Die geforderten Eckpunkte werden im Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD vom 7. März 20072 festgelegt und enthalten u.a. die Förderung der Umrüstung des vorhandenen Güterwagenbestands auf das K-Sohle-System sowie die Einführung lärmabhängiger Trassenpreise durch die DB Netz AG. Im Folgenden sollen diese Maßnahmen auf die Vereinbarkeit mit dem Europarecht, insbesondere mit den Beihilfevorschriften und den Normen über die Diskriminierungsverbote, untersucht werden. 2. Themenkomplex I: Vereinbarkeit eines Förderprogramms zur Umrüstung von vorhandenen Güterwagen mit Art. 87 ff. EG-Vertrag3 Das o. g. Förderprogramm soll Anreize zur Umrüstung bereits vorhandener Güterwagen auf Verbundstoffbremssohlen bereitstellen, wobei die erforderlichen Mittel aus der Kasse des Bundes stammen. Hier liegt die Überlegung nahe, dass solche staatlichen Unterstützungen eines Wirtschaftszweiges gegen das Verbot wettbewerbsverfälschender Beihilfen nach Art. 87 EG-Vertrag verstoßen könnten. 2.1. Beihilfetatbestand (Art. 87 Abs. 1 EG-Vertrag) Art. 87 Abs. 1 EG-Vertrag erklärt Beihilfen gleich welcher Art, die den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, für unvereinbar mit dem Gemeinsamen Markt. Eine Beihilfe liegt nur dann vor, wenn bestimmten Unternehmen oder Produktionszweigen eine aus staatlichen Mitteln finanzierte Begünstigung gewährt wird, die geeignet ist, den Wettbewerb zu verfälschen und den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.4 An diesen Kriterien ist das beabsichtigte Förderprogramm zu messen . Sofern es als eine unzulässige Beihilfe zu bewerten ist, sind die in Art. 87 Abs. 2 und 3 EG-Vertrag festgelegten Ausnahmen und Befreiungsmöglichkeiten zu prüfen. 2.1.1. Begünstigung Eine Begünstigung i.S.v. Art. 87 Abs. 1 EG-Vertrag ist jede Leistungsgewährung, Belastungsminderung oder mittelbare Begünstigung, die dem Begünstigten einen wirtschaftlichen Vorteil zukommen lässt, den er unter normalen Marktbedingungen nicht 1 Plenarprotokoll 16/105, S. 10846. 2 Bundestagsdrucksache 16/4562. 3 EG-Vertrag in der Fassung vom 2.10.1997 (Amsterdamer Fassung), zuletzt geändert durch den Vertrag über den Beitritt der Republik Bulgarien und Rumäniens zur Europäischen Union vom 25.4. 2005 (ABl. EG L 157/11) m.W.v. 1.1.2007. 4 Oppermann, Thomas, Europarecht – Ein Studienbuch –, 3. Auflage, 2005, § 16 Rn 17ff. - 6 - erlangt hätte.5 Dabei ist nur entscheidend, dass im Ergebnis eine in Geld messbare Begünstigung erfolgt, unabhängig in welcher Form; ob also durch Geld- oder Sachzuwendungen , oder durch Erlassen von Belastungen bzw. Anforderungen, welche andere Wirtschaftsteilnehmer zu tragen haben.6 Grundsätzlich wäre ein Förderprogramm, das allen deutschen Unternehmen die Umrüstung auf Verbundstoffbremssohlen finanziell erleichtert, keine Begünstigung und damit keine Beihilfe im Sinne des EG-Vertrages, denn den Unternehmen beschert eine solche Subvention keinen unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteil. Werden die Mittel so zweckgebunden vergeben, dass ein eigenständiger wirtschaftlicher Vorteil ausgeschlossen werden kann, führt die Modernisierung der Güterwagen allein zu keiner greifbaren Verbesserung der Arbeitsleistung der Unternehmen. Die Dienstleistungen rund um den Güterverkehr können sowohl mit den leisen als auch mit den konventionellen Bremssystemen erfüllt werden, wobei qualitative oder quantitative Unterschiede in der Auftragsbewältigung nicht abzusehen sind. Der Marktanteil der begünstigten Unternehmen würde sich zu deren Gunsten wohl kaum wegen der leiseren Fahrweise verändern. Nach dieser Ansicht ist selbst ein mittelbarer Vorteil nicht festzustellen und der Beihilfetatbestand wäre an dieser Stelle bereits in Ermangelung einer Begünstigung zu verneinen. Die Leistungen aus dem Förderprogramm sind aber dann als eine Begünstigung der Unternehmen anzusehen, sofern man entweder - gleichzeitig lärmabhängige Trassenpreise durch die DB Netz AG einführen lässt, oder - die Absicht der Kommission in der Entscheidung über die Technische Spezifikation für die Interoperabilität (TSI) zum Teilsystem „Fahrzeuge – Lärm“ des konventionellen transeuropäischen Bahnsystems7 berücksichtigt. Die gleichzeitige Einführung von lärmabhängigen Trassenpreisen würde zwangsläufig dazu führen, dass sich staatlich unterstützte Unternehmen gegenüber ihren ausländischen Mitbewerbern Aufwendungen für diese Trassenpreise ersparen würden, da sie auf Kosten des Staates die Voraussetzungen für eine leisere Fahrweise schaffen konnten. Somit verbleiben diese Gelder, die die anderen Unternehmen für Trassenpreise ausgeben müssten, in der Hand der Unternehmen, was einen wirtschaftlichen Vorteil darstellen kann. 5 Heidenhain, Handbuch des Europäischen Beihilfenrechts, 1. Auflage, 2003, § 4 Rn 1; Quelle: www.beck-online.de; Oppermann, aaO § 16 Rn 18. 6 Frenz, Walter, „Handbuch Europarecht – Band 3, Beihilfe und Vergaberecht“, 2006, Rn 177. 7 Entscheidung der Kommission über die Technische Spezifikation für die Interoperabilität (TSI) zum Teilsystem „Fahrzeuge Lärm“ des konventionellen transeuropäischen Bahnsystems vom 23. Dezember 2005, Kapitel 7.4 des Anhangs, Quelle: Amtsblatt der Europäischen Union L 37 vom 8.02.2006. - 7 - Zu einer unzulässigen Begünstigung wird das Förderprogramm auch dann, wenn man die Entscheidung über die „TSI Noise“ vom 8. Februar 2006 in das Blickfeld rückt. Die Kommission beabsichtigt darin, auf dem Gebiet der Europäischen Union die Nachrüstung vorhandener Güterwagen auf das K-Sohle-System verpflichtend einzuführen.8 Nach Auskunft der Europäischen Kommission ist bereits eine Initiative zur europaweit einheitlichen Umrüstung mit einem Konsultationsprozess gestartet worden, die in absehbarer Zeit zu einer Anhebung des technischen Standards europäischer Güterwaggons führen wird. Ein bereits umgerüsteter Güterwaggon besitzt dann bereits einen höheren Wert als ein Waggon mit konventionellem Bremssystem. Fördert der Staat diese Wertsteigerung für einheimische Unternehmen, so erhalten die Empfänger der Förderleistungen einen wirtschaftlichen Vorteil gegenüber nicht begünstigten Konkurrenten, indem sie Aufwendungen für eine zukünftig geforderte Sanierungsleistung ersparen. 2.1.2. Zwischenergebnis Das Förderprogramm stellt bei Außerachtlassung der Trassenpreise und der Entscheidung der Kommission grundsätzlich keinen wirtschaftlichen Vorteil und damit keine unzulässige Beihilfe dar. Setzt man diese Umstände jedoch in Zusammenhang, so bringt das gleiche Förderprogramm den Unternehmen einen geldwerten und damit wirtschaftlicher Vorteil. Bei Bejahung der zweiten Ansicht müssten jedoch weitere Begriffsvoraussetzungen erfüllt sein, damit das Förderprogramm den Beihilfetatbestand des EG- Vertrages erfüllt. 2.1.3. Selektivität und Staatlichkeit der Begünstigung Eine verbotene Beihilfe muss ein bestimmtes Unternehmen oder abgegrenzte Unternehmensgruppen begünstigen (sog. „Selektivität“ der Zuwendung). Das Vorhaben, den Schienenverkehrslärm an der Ursache zu bekämpfen, verspricht nur dann Erfolg, wenn die Umrüstung auf Verbundstoffbremssohlen bei allen vorhandenen Güterwagen vorgenommen wird. Es müssten also alle Unternehmen, die mit dem Transport von Gütern auf deutschen Schienenwegen befasst sind, Mittel aus dem Förderprogramm beziehen bzw. die Anreize in Anspruch nehmen dürfen. Die Begünstigung betrifft also einen ganzen Produktions- bzw. Wirtschaftszweig.9 Dass das Förderprogramm aus Mitteln der öffentlichen Hand finanziert werden soll, wird unterstellt. 8 Nach Abschluss eines Konsultationsprozesses bereiten die Kommissionsdienststellen gerade eine Mitteilung über Maßnahmen zur Reduzierung des Schienenlärms der bestehenden Flotten vor. Weitere Informationen unter http://ec.europa.eu/transport/rail/environment/noise_de.htm . 9 Es wird von Art. 87 EG-Vertrag nicht nur das produzierende Gewerbe erfasst, sondern vielmehr alle Wirtschaftszweige (EuGH, Rs. C-75/97, Slg. 1999, I-3671, Rdnrn. 6, 29 ff., 32 ff. - Belgien /Kommission („Maribel I“). - 8 - 2.1.4. Wettbewerbsverfälschung und Handelsbeeinträchtigung Mit der Beihilfe muss weiterhin in den Wettbewerb zwischen den Unternehmen eingegriffen werden und die Wettbewerbslage zugunsten der subventionierten Unternehmensgruppen verändert werden. Zudem muss diese Wettbewerbsbeeinträchtigung geeignet sein, sich auf den Handel im Gemeinsamen Markt auszuwirken.10 Unterstellt, dass im Bereich des Güterverkehrs innerhalb Deutschlands keine ausländischen Unternehmen tätig sind, sondern der Markt allein unter deutschen Anbietern aufgeteilt ist, die letztlich alle vom Förderprogramm begünstigt sind, so besteht keine Gefahr der Wettbewerbsverzerrung , denn alle im Wettbewerb stehenden Unternehmen sind begünstigt. Bei lebensnaher Betrachtung aber sind auch ausländische Unternehmen auf dem deutschen Markt tätig, so dass sich die Frage stellt, ob die Finanzierung der Nachrüstung den begünstigten Unternehmen tatsächlich einen Wettbewerbsvorteil bringt, denn grundsätzlich kann die Dienstleistung „Gütertransport“ wie bereits oben angesprochen auch mit dem konventionellen Bremssystem bewältigt werden. Die Erörterung dieser Frage kann jedoch dahinstehen, sofern ohnehin ein Ausnahmetatbestand oder eine Befreiungsmöglichkeit nach Art. 87 Abs. 2 oder 3 EG-Vertrag eingreift . 2.2. Ausnahmen und Befreiungsmöglichkeiten (Art. 87 Abs. 2, 3 EG-Vertrag) Das Regime der Ausnahmen und Befreiungsmöglichkeiten ist zweistufig. Art. 87 Abs. 2 EG-Vertrag enthält Legalausnahmen, die eine Beihilfe trotz ihrer wettbewerbsverfälschenden und handelsbeeinträchtigenden Wirkung als gemeinschaftsrechtlich zulässig erklärt. Art. 87 Abs. 3 EG-Vertrag hingegen enthält Befreiungsmöglichkeiten, die in das pflichtgemäße Ermessen der Kommission gestellt sind und die unzulässige Beihilfe „legalisieren “ können. Eine solche Befreiungsmöglichkeit nach Art. 87 Abs. 3 EG-Vertrag kommt auch im Fall eines Förderprogramms in Betracht. Dafür müsste es sich bei den gewährten Beihilfen um solche handeln, die die Förderung wichtiger Vorhaben von gemeinsamem europäischen Interesse bezwecken (Art. 87 Abs. 3 lit. b 1. Fall EG-Vertrag). Das gemeinsame europäische Interesse findet seinen Ausdruck in den Zielen der Gemeinschaft. Die Ziele der Gemeinschaft folgen zunächst unmittelbar aus Art. 2 EG-Vertrag. Sie können sich aber auch aus anderen Vorschriften des Vertrags, aus dem Sekundärrecht sowie aus politischen Programmen ergeben.11 In der oben bereits erwähnten Entscheidung der Kommission über die Technische Spezifikation für die Interoperabilität (TSI Noise)12 wird ein einheitliches Vorgehen der maß- 10 Oppermann, aaO § 16 Rn 23, 24. 11 Heidenhain, aaO § 16 Rn 3. 12 Siehe Fn 6. - 9 - geblich Beteiligten zur Umrüstung von Güterwagen und damit einer Absenkung der Lärmgrenzwerte angeregt. Diese Entscheidung gibt als Sekundärrecht ein im europäischen Interesse liegendes Vorhaben wieder, das sich auch in den allgemeinen Zielen der Union im Art. 2 EG-Vertrag wiederfindet. Danach ist es Aufgabe der Gemeinschaft, ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität zu erreichen. Die Einführung von niedrigeren Lärmgrenzwerten fördert dieses Ziel und wird als konkretes Vorhaben durch die Kommission artikuliert. Die Entscheidung über die Befreiungsmöglichkeit ist allerdings in das pflichtgemäße Ermessen der Kommission gestellt. Sie hat grundsätzlich die positiven Auswirkungen der Beihilfe gegen die negativen Auswirkungen auf die Handelsbedingungen und die Aufrechterhaltung eines unverfälschten Wettbewerbs gegeneinander abzuwägen.13 Dabei ist sie an das gesamte primäre und sekundäre Gemeinschaftsrecht gebunden, aus dem sich im Einzelfall Ermessensbeschränkungen ergeben können. Die Kommission ist in ihrer Entscheidung grundsätzlich frei. Es wird derzeit an einem Leitfaden für Beihilfen im Eisenbahnbereich und Umweltbereich gearbeitet, der die Ausübung des Ermessens der Kommission ähnlich wie Verwaltungsvorschriften vereinheitlichen soll. Mit dem voraussichtlichem Erscheinen dieses selbstverpflichtenden Papiers im November 2007 können dann genauere Aussagen über die Ermessensausübung der Kommission getroffen werden. Zum jetzigen Zeitpunkt ist vor allem die Querschnittsklausel des Art. 174 Abs. 2 S. 1 EG-Vertrag als Ermessensbegrenzung zu nennen. Danach zielt die Umweltpolitik der Gemeinschaft auf ein hohes Schutzniveau ab. Die Kommission muss diese Norm auch bei der Beihilfenaufsicht im Rahmen ihrer Ermessensausübung beachten .14 Fließen diese Kriterien mit Blick auf die Bewertung des beabsichtigten Förderprogramms in die Ermessensentscheidung der Kommission mit ein, wäre ein Befreiungsgrund nach Art. 87 Abs. 3 Buchst. b EG-Vertrag gegeben. 2.3. Ergebnis Unabhängig von der Problematik, ob überhaupt eine unzulässige Beihilfe i.S.v. Art. 87 Abs. 1 EG-Vertrag vorliegt, kann ein Förderprogramm zur Umrüstung von Güterwagen auf die K-Sohle unter den Befreiungstatbestand des Art. 87 Abs. 3 lit. b EG-Vertrag fallen. Es ist dabei von einer Genehmigungspflicht der Beihilfe durch die Kommission auszugehen. 13 Heidenhain, aaO § 14 Rn 4. 14 Heidenhain, aaO § 14 Rn 4. - 10 - 3. Themenkomplex II: Vereinbarkeit eines lärmabhängigen Trassenpreises mit den Vorschriften des EG-Vertrages Der Antrag der Koalitions-Fraktionen sieht außerdem das Hinwirken auf die Einführung eines lärmabhängigen Trassenpreises durch die DB Netz AG vor. Problematisch ist dabei , dass eine solche Belastung für ausländische Güterverkehrsunternehmen möglicherweise eine Diskriminierung darstellen könnte, die gegen die europarechtlich gewährten Grundfreiheiten verstößt. 3.1. Dienstleistungsfreiheit Die von der Dienstleitungsfreiheit nach Art. 49 EG-Vertrag Begünstigten sollen unter den gleichen Voraussetzungen wie Inländer Dienstleistungen erbringen dürfen. Die Dienstleistungsfreiheit kann jedoch von spezielleren Regelungen verdrängt sein. So gehen die Bestimmungen über die Verkehrspolitik (Art. 70 bis Art. 80 EG-Vertrag) den allgemeinen Regeln über die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs vor (Art. 51 Abs. 1 EG-Vertrag). 3.2. Vorschriften über die Verkehrspolitik 3.2.1. Art. 72 EG-Vertrag Art. 72 EG-Vertrag enthält eine Stillhalteverpflichtung, nach der ein Mitgliedstaat die auf seinem Gebiet geltenden Vorschriften in ihren Auswirkungen auf die Verkehrsunternehmer anderer Mitgliedstaaten im Vergleich zu den inländischen Unternehmen nicht ungünstiger gestalten darf. Das erreichte Maß an Diskriminierungen gegenüber ausländischen Unternehmen soll bewahrt werden, um die schrittweise Verwirklichung einer gemeinsamen Verkehrspolitik nicht durch nationale „Rückfälle“ zu torpedieren. Ohne Art. 72 bestünde die Gefahr, dass Fortschritte bei der Liberalisierung der nationalen Verkehrsmärkte sogleich durch diskriminierende Gegenmaßnahmen in Mitgliedstaaten zunichte gemacht würden. Dieses Verbot gilt bis zum Erlass der in Art. 71 Abs. 1 EG- Vertrag genannten Vorschriften. Es betrifft also nur Sachgebiete, die aufgrund von Art. 71 EG-Vertrag geregelt werden können. Darunter fällt beispielsweise die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege.15 Der Anwendungsbereich des Art. 72 EG-Vertrag ist daher eröffnet. Fraglich ist, ob sich das beabsichtigte Lärmschutzpaket , bestehend aus Förderprogramm und Trassenpreisen, auch tatsächlich als ungünstigere Ausgestaltung i.S.v. Art. 72 EG-Vertrag bewerten lässt. Die Stillhalteverpflichtung enthält kein Beschränkungsverbot, d.h. sie gestattet den Mitgliedstaaten in den Grenzen des Gemeinschaftsrechtes auch eine stärkere Regulierung der Verkehrsmärkte und eine höhere Belastung der Verkehrsunternehmer, solange diese 15 Lenz/ Borchardt, Kommentar zum EU und EG-Vertrag, 4. Auflage, 2006, Art. 72 Rn 2. - 11 - Auflagen inländische Unternehmer mindestens ebenso stark treffen wie ihre ausländischen Konkurrenten.16 Die ungünstigere Ausgestaltung müsste also das Niveau einer Diskriminierung erreichen, um einen Verstoß gegen Art. 72 EG-Vertrag zu bejahen. Zu vergleichen sind dabei die Auswirkungen auf ausländische und inländische Unternehmen . Die lärmabhängigen Trassenpreise knüpfen nicht an die Staatszugehörigkeit der Unternehmen an (dann offene Diskriminierung), sondern gelten und wirken für alle europäischen Unternehmen des Güterverkehrs gleich. Isoliert betrachtet wäre die Einführung der Trassenpreise für alle europäischen Unternehmen daher „lediglich“ eine Beschränkung . Wird aber gleichzeitig ein nationales Förderprogramm zur Umrüstung der deutschen Güterwaggons eingeführt, das es diesen ermöglicht sich so auszurüsten, dass keine oder geringe Trassenpreise anfallen, entsteht der Anschein, dass sich die Trassenpreise vornehmlich auf ausländische Unternehmen auswirken. Die Aussage, ob Trassenpreise ausländische Unternehmen typischerweise und härter belasten, kann allerdings nur bei guter Kenntnis der Güterverkehrsbranche getroffen werden. Es kann Faktoren geben, die dazu beitragen, dass dieselbe Maßnahme nur beschränkend wirkt (bspw. Stand der technischen Umrüstung in den anderen Mitgliedstaaten, Förderabsichten der anderen Mitgliedstaaten, Zugangsberechtigung zum deutschen Förderprogramm ). Geht man jedoch davon aus, dass nur Deutschland die eigenen Unternehmen fördern wird, kann die Erhebung von Trassenpreisen eine versteckte Diskriminierung darstellen. So beurteilte auch der EuGH17 im Jahre 1992 die Erhebung von Fernstraßenbenutzungsgebühren für Schwerlasttransporte bei gleichzeitiger Senkung der Kraftfahrzeugsteuer für inländische Unternehmen. Obwohl hier die Abgabenpflicht für alle Adressaten gleich belastend wirkt, führt die Verquickung mit einer Abgabenerleichterung nur für inländische Unternehmen zu einer ungünstigeren Gestaltung zulasten der ausländischen Unternehmen. Ähnlich stellt sich die Situation bei Erhebung von Trassenpreisen dar. Auf der einen Seite wird eine für alle geltende tarifäre Beschränkung eingeführt (Trassenpreise), auf der anderen Seite aber werden den inländischen Unternehmen Mittel gewährt, die mit der Belastung in engem Zusammenhang stehen und diese sogar mildern oder gänzlich aufheben können. 3.2.2. Rechtsfolge Bei Verstoß gegen die Stillhalteverpflichtung aus Art. 72 EG-Vertrag wird die nationale Vorschrift nicht nichtig, sondern lediglich unanwendbar. Bewertet man die Trassenpreise als versteckte Diskriminierung, kommt man zur Unanwendbarkeit einer entsprechenden nationalen Regelung. Davon unberührt bleibt jedoch ein europaweit einheitliches 16 Schäfer in Streinz, Kommentar zum EUV/EGV, 2003, Art. 72 Rn. 6. 17 EuGH Slg. 1992, S. I - 3141. - 12 - Vorgehen, welches dann auch ggf. Nachteile für ausländische Unternehmen schaffen kann. 3.3. Ergebnis Eine nationale Regelung zur Erhebung von Trassenpreisen könnte im Zusammenhang mit der Einführung eines Förderprogramms zur Umrüstung von Güterwagen eine versteckte Diskriminierung darstellen, die dem Stillhalteverbot des Art. 72 EG-Vertrag unterliegt. Dieser rechtlichen Einschätzung wurde jedoch eine generalisierende Betrachtungsweise zugrunde gelegt und könnte bei Heranziehung detaillierter Branchenkenntnisse bzw. einer konkreten Vorstellung von der Ausgestaltung des Förderprogramms zu einem anderen Ergebnis führen.