Deutscher Bundestag Reformen im Melderecht und deren Auswirkungen auf die Verfolgung von „Mietnomaden“ Sachstand Wissenschaftliche Dienste WD 7 – 3000 – 186/10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 – 3000 – 186/10 Seite 2 Reformen im Melderecht und deren Auswirkungen auf die Verfolgung von „Mietnomaden“ Verfasser: Aktenzeichen: WD 7 – 3000 – 186/10 Abschluss der Arbeit: 28. Juli 2010 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 – 3000 – 186/10 Seite 3 Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis 3 1. Einleitung 4 2. Statistische Angaben zu „Mietnomadentum“ und Scheinanmeldungen 5 3. Juristische Verfolgung von „Mietnomaden“ im Allgemeinen 5 3.1. Zivilrechtliche Bewertung 6 3.1.1. Materielle Rechtslage 6 3.1.2. Prozessuale Rechtslage 6 3.2. Strafrechtliche Bewertung 7 4. Juristische Verfolgung von „Mietnomaden“ unter besonderer Berücksichtigung der Einflüsse des Melderechtes 8 4.1. Allgemeines 8 4.2. Fallgruppen 9 4.3. Ergeben sich aus dem Verzicht auf das Erfordernis einer Vermieterbestätigung Auswirkungen auf die juristischen Reaktionsmöglichkeiten des Vermieters? 10 5. Schlussbetrachtung 11 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 – 3000 – 186/10 Seite 4 1. Einleitung Mit der Föderalismusreform I ist die Kompetenz für das Meldewesen auf den Bund übergegangen . Das Melderechtsrahmengesetz (MRRG)1 gilt jedoch nach Artikel 125 b Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz (GG)2 als Rahmenrecht fort, solange der Bund von seiner Regelungskompetenz für das Meldewesen nach Artikel 73 Absatz 1 Satz 3 GG noch keinen Gebrauch gemacht hat. Bis zu diesem Zeitpunkt bleiben die Länder nach Artikel 125 b Absatz 1 Satz 2 GG auf dem Gebiet des Meldewesens in den Grenzen des fortbestehenden Rahmenrechtes zur Gesetzgebung befugt. Bislang wurde ein Bundesmeldegesetz nicht verabschiedet; mit dem Inkrafttreten eines solchen ist wohl frühestens zum 1. Januar 2011 zu rechnen.3 Gleichwohl ist das Meldewesen in den vergangenen Jahren mehrmals Gegenstand erheblicher Änderungen gewesen. Im Zuge der letzten großen Novelle des MRRG im Jahr 2002 wurde die bis dahin geltende Mitwirkungspflicht des Vermieters bei An- oder Abmeldungen des Mieters aufgehoben (vgl. § 11 des derzeit geltenden MRRG). Seither verzichten die Meldebehörden bei Anmeldungen in der Regel auf die Vorlage von Mietverträgen bzw. Bestätigungen des Vermieters. Der durch diese Reform bezweckte Vorteil eines geringeren bürokratischen Aufwands könnte insoweit zum Nachteil gereifen, als nunmehr eine Anmeldung unter Verwendung falscher Adress- und Wohndaten (sogenannte Scheinanmeldung) möglicherweise unter erleichterten Bedingungen erfolgen kann.4 Erhalten die Meldebehörden fehlerhafte Daten, wirkt sich das insofern nachteilig aus, als die Daten der Meldebehörden das Rückgrat für die Aufgaben von über 40 Verwaltungszweigen in Bund, Ländern und Kommunen bilden – wie etwa die Sozialverwaltung, die Bevölkerungsstatistik und die Innere Sicherheit, da nach den Meldedaten-Übermittlungsverordnungen der Länder die Daten an die verschiedenen Behörden und Institutionen geliefert werden.5 Der vorliegende Sachstand widmet sich der Frage, welche Auswirkungen die Reformen des Meldewesens auf die Verfolgung und Bestrafung von „Mietnomaden“ haben. Dabei scheint es sachgerecht , zunächst auf die Probleme einzugehen, die sich im Zusammenhang mit „Mietnomaden“ im Allgemeinen stellen. Auf Grundlage dieser Informationen werden im zweiten Teil die 1 Melderechtsrahmengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. April 2002, BGBl. I S. 1342, zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 18. Juni 2009 (BGBl. I S. 1346). 2 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (BGBl. I S.1), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 29. Juni 2009 (BGBl. I S. 2248). 3 Vgl. zum Beispiel die Angaben im Gesetzesentwurf der Landesregierung von Baden-Württemberg für ein Gesetz zur Änderung des Meldegesetzes, Drucksache 14/6379, abrufbar im Internet unter www.landtag-bw.de/WP14/Drucksachen /6000/14_6379_d.pdf (Stand 28. Juli 2010). 4 Vgl zum Beispiel eine Pressemitteilung des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) – Landesverband Hessen, in der der BDK fordert, dass An- und Abmeldungen wieder durch den Vermieter bestätigt werden müssen, abrufbar im Internet unter www.bdk.de/hessisches-melderecht/ (Stand: 28. Juli 2010). 5 Vgl. beispielhaft die Verordnung über regelmäßige Datenübermittlung der Meldebehörden Brandenburgs, abrufbar im Internet unter www.beck-online.beck.de/?typ=reference&y=100&g=BbgMeldDUeV (Stand: 28. Juli 2010). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 – 3000 – 186/10 Seite 5 Schnittstellen zum Melderecht dargestellt und die im Hinblick auf die Reform des Melderechtes relevanten Fallkonstellationen erörtert. 2. Statistische Angaben zu „Mietnomadentum“ und Scheinanmeldungen Differenziertes statistisches Datenmaterial zum „Mietnomandentum“ liegt bislang nicht vor.6 Nach der polizeilichen Kriminalstatistik wurden im Jahr 2009 bundesweit 11624 Fälle von „Einmietbetrügern“ dokumentiert.7 Angesichts eines Mietwohnungsbestandes in Deutschland von etwa 23,8 Millionen erweist sich das Phänomen damit eher als Randproblem.8 Gleichwohl stellen „Mietnomaden“ im Einzelfall für den betroffenen Vermieter eine erhebliche Belastung dar.9 Verlässliche statistische Daten zu den Auswirkungen der Reform im Meldewesen auf die Anzahl der Scheinanmeldungen fehlen bislang ebenso. Es liegen keine sicheren Erkenntnisse über eine signifikante Zunahme von Scheinanmeldungen seit dem Verzicht auf eine Vermieterbestätigung vor.10 Insofern können auch keine Daten über die Motivlage derjenigen Personen geliefert werden , die sich unter falschen Adress- oder Personendaten anmelden. Denkbar sind neben einer Anmeldung als Vorbereitungshandlung zur späteren Begehung von Straftaten (wie etwa der Begehung eines Einmiet- oder Warenkreditbetruges) als Motiv für die Anmeldung auch die Erlangung handfester Vorteile, die mit einem festen Wohnsitz einhergehen (Möglichkeit der Eröffnung eines Kontos, der Anmeldung eines Gewerbes, etc.)11. 3. Juristische Verfolgung von „Mietnomaden“ im Allgemeinen Unter „Mietnomaden“ versteht man umgangssprachlich Mieter, die bewusst ihre Miete prellen und erst im Zuge einer Räumungsklage ausziehen12; nicht erfasst werden Mieter, die aufgrund nachvollziehbarer Anhaltspunkte (wie z.B. bei Mängeln der Mietsache) die Miete mindern, auch 6 Vgl. Antwort der Bundesregierung vom 16. Dezember 2009 in einer Fragestunde (Plenarprotokoll 17/11, Frage 111, S. 891). 7 Informationen aus der Polizeilichen Kriminalstatistik 2009, abrufbar im Internet unter www.bka.de/pks/pks2009/- download/pks2009_imk_kurzbericht.pdf (Stand: 28.Juli 2010). 8 Vgl. den Bericht über die „Wohnungs- und Immobilienwirtschaft in Deutschland 2009“, Bundesministerium für Verkehr , Bau und Stadtentwicklung, abrufbar im Internet unter: www.bmvbs.de/Anlage/original_1082202/Textversion- Wohnungs-und-Immobilienbericht-2009-barrierefrei.pdf (Stand: 28.Juli 2010). 9 Vgl. die Antwort der Bundesregierung vom 16. Juni 2006 auf eine Kleine Anfrage, Bundestagsdrucksache-(BT-Drs.) 16/1844, Frage 11, S.4. 10 Antwort der Bundesregierung vom 14. Dezember 2007 auf eine Frage des Abgeordneten Carsten Müller (CDU/CSU), BT-Drs. 16/7572, S. 19. 11 Vgl. die Aufzählung in der Pressemittelung des BdK (Fn.4). 12 So die entsprechende Definition in: Duden – die deutsche Rechtsschreibung, 25. Auflage, Bibliographisches Institut AG, 2009. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 – 3000 – 186/10 Seite 6 wenn sich später herausstellen sollte, dass die Minderung unzulässig war. Unter den Begriff der „Mietnomaden“ fallen nach der üblichen Definition auch nicht diejenigen Mieter, die Ihre Wohnung „zumüllen“ (sogenannte Messis).13 3.1. Zivilrechtliche Bewertung 3.1.1. Materielle Rechtslage Die Zahlung der Miete gehört ebenso wie die Rückgabe der Mietsache zu den Hauptpflichten des Mieters (§§ 535, 546 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]14). Ist der Mieter mit der Miete zwei Monate im Rückstand, kann der Vermieter das Mietverhältnis gemäß § 543 Absatz 2 Nummer 3 a) oder b) BGB fristlos kündigen. Eine darüber hinaus möglicherweise in Betracht kommende Anfechtung (etwa nach § 119 Absatz 2 BGB wegen Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft oder nach § 123 Absatz 1 BGB wegen arglistiger Täuschung) ist wegen der problematischen Rückabwicklung nach überwiegender Auffassung zumindest nach Überlassung der Mietsache nur eingeschränkt – nämlich lediglich mit der Nichtigkeitsfolge ex nunc – möglich.15 3.1.2. Prozessuale Rechtslage Nutzt der Mieter die Räume nach Kündigung weiter und gibt sie entgegen seiner Pflicht gemäß § 546 Absatz 1 BGB nicht an den Vermieter zurück, muss der Vermieter Räumungsklage einreichen . Um Zwangsmaßnahmen gegen den Mieter durch den Gerichtsvollzieher vornehmen lassen zu können (also zum Beispiel um die rückständige Miete einzutreiben oder eine Räumung der Mietwohnung durchzuführen), sind ein Titel (also in der Regel ein Zahlungs- oder Räumungsurteil ), eine Vollstreckungsklausel und deren Zustellung an den Mieter erforderlich. Das Erstreiten des gerichtlichen Titels und dessen Durchsetzung können langwierig sein. Häufig macht der Mieter Gegenansprüche geltend, beruft sich auf soziale Härte oder beantragt umfangreiche Sachverständigengutachten wegen behaupteter Mängel der Mietsache; zudem fehlt der Mieter nicht selten beim ersten Termin zur mündlichen Verhandlung – dann ergeht ein Versäumnisurteil nach § 331 Zivilprozessordnung (ZPO)16. Gegen dieses Versäumnisurteil kann der Mieter wiederum gemäß §§ 338, 339, 340 ZPO binnen zwei Wochen nach Zustellung Einspruch erheben. Wird der Einspruch nicht als unzulässig verworfen, so ist gemäß § 341 a ZPO Termin zur mündlichen Verhandlung über den Einspruch und die Hauptsache zu bestimmen. Der Prozess wird, soweit der Einspruch reicht, gemäß § 342 ZPO in die Lage zurückversetzt, in der er 13 Birgit Leiß, in: Mietermagazin (MM) 1+2/2010, S. 14 ff. 14 Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, ber. S. 2902), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 28. September 2009 (BGBl. I S. 3161). 15 Vgl. Michael Kretzer (Fn.1), S. 90. In der Regel wird die Nichtigkeitsfolge ex nunc begründet mit einer Derogation des § 123 BGB durch die spezielleren mietrechtlichen Vorschriften über die fristlose Kündigung; teilweise wird darüber hinaus eine Parallele zur Rechtsprechung vom faktischen Arbeitsvertrag gezogen. 16 Zivilprozessordnung vom 5. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3202, ber. 2006 S. 431 und 2007 S.1781), zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 24. September 2009 (BGBl. I S. 3145). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 – 3000 – 186/10 Seite 7 sich vor Eintritt der Säumnis befand. Bis der Vermieter daher ein vollstreckbares Räumungsurteil erhält, können Monate und Jahre vergehen.17 Sofern der Mieter die Wohnung nicht selbständig räumt, schließt sich eine Zwangsräumung an die Räumungsklage an – auch hier ist häufig ein „langer Atem gefragt“18. Gemäß § 753 ZPO muss ein Gerichtsvollzieher mit der Räumung der Wohnung beauftragt werden; bis ein Termin angesetzt wird, können wieder Monate vergehen.19 Die Dauer der Räumung kann sich zusätzlich verlängern , wenn neben dem Mieter – auf den sich der Räumungstitel bezieht – ein Untermieter in die Wohnung gezogen ist, gegen den ein Vollstreckungstitel nicht vorliegt.20 Neben der Dauer des Verfahrens kann auch die Höhe der – zunächst – vom Vermieter zu tragenden Kosten problematisch sein. Der Gerichtsvollzieher wird erst nach Bezahlung eines Vorschusses tätig, darüber hinaus muss der Vermieter im Einzelfall für Schlosser, Speditionsunternehmen und Einlagerung der Gegenstände des Mieters einen Kostenvorschuss leisten. Nicht zuletzt, um die Kosten der Zwangsräumung zu begrenzen, hat das so genannte Berliner Modell Eingang in Praxis und Rechtsprechung gefunden. Danach kann der Räumungsgläubiger (also der Vermieter) die Zwangsvollstreckung nach § 885 ZPO auf eine Herausgabe der unbeweglichen Sache beschränken , wenn er an sämtlichen in den Räumen befindlichen Sachen ein Vermieterpfandrecht geltend macht.21 Der Gerichtsvollzieher öffnet dann die Wohnung mit einem Schlosser und lässt das Schloss auswechseln, ohne die Sachen des Mieters abzutransportieren und einzulagern. 3.2. Strafrechtliche Bewertung Aus strafrechtlicher Sicht kann das Verhalten von „Mietnomaden“ im hier besprochenen Sinne eine Strafbarkeit wegen Betruges, § 263 Strafgesetzbuch (StGB)22, begründen; dies ist insbesondere der Fall, wenn der Mieter den Wohnungsgeber vor Vertragsbeginn darüber täuscht, seine Miete zahlen zu wollen, obwohl er gar nicht zahlungswillig oder zahlungsfähig ist. Es kann dann davon ausgegangen werden, dass der Einzug in die Wohnung eine arglistige Täuschung des Mieters zu Lasten des Vermieters darstellt.23 17 Zuverlässiges, statistisches Datenmaterial über die Dauer der auf Räumung einer Mietwohnung gerichteten Verfahren fehlt ebenso, wie Daten zur Erfolgsquote für Kläger bei Räumungsklagen wegen Zahlungsverzuges des Mieters, vgl. die Antwort der Bundesregierung vom 31. Oktober 2008 auf eine Kleine Anfrage BT.-Drs. 16/10737, Antwort auf Frage 1. 18 Vgl. Verlag Haus und Grund, in: Mietnomaden – von A(bschreckung) bis Z(wangsräumung), 2007, S. 99. 19 Vgl. Birgit Leiß (Fn. 13), S. 15. 20 Antwort der Bundesregierung (Fn. 17), S. 2. 21 Vgl. Thomas Hannemann, in: Hannemann/Wiegner, Münchener Anwaltshandbuch Mietrecht, 3. Auflage 2009, § 72, Rn. 6. 22 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 2. Oktober 2009 (BGBl. I S. 3214). 23 § 263 StGB liegt dann in Form eines Erfüllungsbetruges vor, weil der Wert des Erfüllungsanspruchs und der Wert des tatsächlich zur Erfüllung Geleisteten nicht übereinstimmen, vgl. zur Abgrenzung des Erfüllungsbetruges zum Ein- Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 – 3000 – 186/10 Seite 8 Problematisch kann insbesondere der Nachweis der Zahlungsunwilligkeit des Mieters sein – handelt es sich hierbei doch um eine innere Tatsache, deren Beweisbarkeit schon grundsätzlich Schwierigkeiten bereitet. Die Beweisführung greift dabei häufig auf die Interpretation von äußeren Verhaltensweisen zurück, anhand derer auf innere Tatsachen geschlossen wird.24 Im Fall des sogenannten Einmietbetruges gibt der Täter aber gerade nicht zu erkennen, dass er schon bei Vertragsschluss beabsichtigt, die vereinbarte Miete nicht zu zahlen. Das Gericht muss sich somit zum Beweis auf möglicherweise vorliegende Indizien verlassen, die einen Rückschluss auf eine fehlende Zahlungswilligkeit möglich, aber nicht zwingend erscheinen lassen.25 Ist das Vorliegen der Voraussetzungen des Betrugstatbestands im Strafprozess bewiesen, so ermöglicht der Strafrahmen des § 263 StGB die Verhängung einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren. Im Einzelfall können darüber hinaus die Voraussetzungen eines Regelbeispiels aus Absatz 3 gegeben sein, etwa wenn der Schaden für den Vermieter so hoch ist, dass er dadurch in wirtschaftliche Not gerät.26 4. Juristische Verfolgung von „Mietnomaden“ unter besonderer Berücksichtigung der Einflüsse des Melderechtes 4.1. Allgemeines Das wahrheitsgemäße Erfassen der Meldedaten von Mietern ist für den Vermieter besonders relevant im Rahmen der Zustellung von Schriftstücken im Zivilprozess (Klage, Urteil, Vollstreckungsbescheid , etc.). Ist der Vermieter Opfer eines „Mietnomaden“, beziehungsweise eines nicht die Miete zahlenden Mieters geworden, wird dem Vermieter in der Regel daran gelegen sein, die Mietschulden zu erhalten , sich von diesem Mieter zu trennen und die Verfügungsgewalt über die Wohnung zurückzuerlangen . Dahingehende materiell-rechtliche und prozessuale Reaktionsmöglichkeiten des Vermieters wurden bereits aufgezeigt. Die erforderliche Klage und Zwangsvollstreckung setzen voraus, dass dem Mieter die amtlichen Dokumente zugestellt werden.27 Das Verfahren der Zustellung ist in den §§ 166 ff. ZPO geregelt. Es soll den am Prozess beteiligten Personen die Möglichkeit auf rechtliches Gehör gewähren. Daher kommt es auf die tatsächliche Möglichkeit der Kenntnisnahme oder zumindest deren ungehinderter Möglichkeit an.28 gehungsbetrug Peter Cramer, in: Schönke/Schröder, Kommentar zum Strafgesetzbuch, 27. Auflage,2010, § 263, Rn. 135 ff. 24 Vgl. Gerhard Janssen, in: Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 2. Auflage 2008, S. 321. 25 Vgl. Gerhard Janssen (Fn. 24). 26 Vgl. zum Vorliegen von Regelbeispielen und der Möglichkeit des Vorliegens eines unbenannten besonders schweren Falls die Antwort der Bundesregierung vom 16. Juni 2006 auf eine Kleine Anfrage (Fn. 9), Frage 15. 27 Vgl. statt Vieler Helmuth Borth, in: Musielak, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 7. Auflage 2009, § 699, Rn. 7. 28 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 67. Auflage 2009, Übersicht zu § 166, Rn. 2; Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 26. Oktober 1987 (1 BVR 198/87), NJW 1988, S.118 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 – 3000 – 186/10 Seite 9 Die Auswahl des Ortes, an dem das Schriftstück zugestellt werden muss, orientiert sich an dem Ziel, eine tatsächliche Kenntnisnahme durch den Empfänger zu ermöglichen. Deshalb unterscheidet sich der Begriff der „Wohnung“ im Rahmen der Zustellung (und beispielsweise nach § 178 ZPO) auch vom Begriff des „Wohnsitzes“ im Sinne von § 13 ZPO. „Wohnung“ im Sinne des § 178 ZPO ist jeder Raum, den der Zustellungsadressat tatsächlich für eine gewisse Zeit schon und noch bewohnt, unabhängig davon, ob die Person dort ordnungsrechtlich gemeldet ist oder nicht.29 4.2. Fallgruppen Da es demnach im Rahmen der Zustellung zunächst auf den tatsächlichen Aufenthaltsort des Mieters ankommt, lassen sich folgende zwei Fallgruppen unterscheiden: (1) Der Mieter hält sich noch in der Wohnung auf: In der Regel wird die Zustellung der amtlichen Schriftstücke keine Probleme bereiten bei Mietern, die trotz Kündigung und Räumungsurteil die Wohnung nicht verlassen. Selbst wenn der Mieter in diesem Fall die Annahme der Zustellungsurkunde verweigern sollte, und er sich dafür nicht auf einen gesetzlichen Grund berufen kann, gilt nach § 179 ZPO das Schriftstück als zugestellt, wenn dessen tatsächliche Kenntnisnahme durch den Empfänger möglich gewesen wäre.30 (2) Der Mieter hält sich nicht mehr in der Wohnung auf und ist für den Vermieter nicht zu erreichen : Die Zustellung von vollstreckungsrechtlichen Bescheiden bereitet hingegen häufig Probleme , wenn der Mieter die Wohnung verlassen hat, ohne dem Vermieter seinen neuen Aufenthaltsort mitzuteilen und ohne seine Möbel und privaten Gegenstände aus der Wohnung zu entfernen; häufig unterlässt es der Mieter, seine neuen Meldedaten dem Einwohnermeldeamt mitzuteilen. Ein eigenmächtiges Betreten der Wohnung durch den Vermieter würde sich zivilrechtlich als verbotene Eigenmacht (§ 858 BGB) mit allen dem Mieter daraus erwachsenden Ansprüchen auf Wiedereinräumung des Besitzes darstellen .31 Deshalb muss der Vermieter sich auch in diesem Fall der vollstreckungsrechtlichen Maßnahmen bedienen, die allesamt eine Zustellung voraussetzen. Da der tatsächliche Aufenthaltsort des Mieters dem Vermieter nicht bekannt ist, erfolgt die Zustellung entweder durch Niederlegung des Schriftstückes gemäß §§ 181, 175 ZPO oder durch öffentliche Zustellung. Eine Niederlegung des Schriftstückes ist nur möglich, wenn zumindest der Bezirk, in dem der Ort der Zustellung liegt – also der Ort, wo der Adressat schon oder 29 Vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann (Fn. 28), § 178, Rn. 4. 30 Vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann (Fn. 28), § 179, Rn. 3. 31 Hans Reinhold Horst, in: Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht (NZM), 1998, S. 139 ff. (141); Urteil des BGH vom 3. März 1977 (III ZR 181/74), Neue Juristische Wochenzeitschrift (NJW) 1977, S. 1818. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 – 3000 – 186/10 Seite 10 noch eine Wohnung hat – feststellbar ist.32 Anderenfalls muss der Vermieter auf den Weg der öffentlichen Zustellung (§ 185 ZPO) zurückgreifen. Voraussetzung ist der Nachweis des Vermieters, dass der Aufenthaltsort seines Mieters unbekannt ist (§ 185 Nummer 1 ZPO) und dass er alles Zumutbare zur Ermittlung desselben unternommen hat.33 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH)34 genügt in der Regel „(…) die Vorlage aktueller Auskünfte des für den letzten bekannten Wohnort des Schuldners zuständigen Einwohnermelde- oder Postamtes. (…) Insbesondere ist es dem Gläubiger nicht generell zumutbar, am letzten Wohnsitz oder Arbeitsplatz des Schuldners Nachforschungen über den derzeitigen Wohnort anzustellen. Entsprechende Ermittlungsauflagen können daher dem Gläubiger nur dann auferlegt werden, wenn sich aus dem Zwangsvollstreckungsunterlagen ergibt, dass erfolgsversprechende Ansätze für die Ermittlung des derzeitigen Aufenthaltsortes des unbekannt verzogenen Schuldners tatsächlich vorliegen.“ Nicht zuletzt soll dadurch – wie sich auch aus der Begründung des BGH ergibt – einem rechtsmissbräuchlichem Verhalten des meldeamtlich unbekannt verzogenen Mieters entgegengewirkt werden, der mit einer Zwangsvollstreckung rechnen muss und durch einen Verstoß gegen die Meldevorschriften selbst dazu beiträgt, dass er für den Gläubiger nicht erreichbar ist.35 Gelingt dem Vermieter in diesem Sinne der Nachweis eines unbekannten Aufenthaltsortes des Mieters, erfolgt die öffentliche Zustellung nach §§ 187 ff. ZPO; gemäß § 188 ZPO gilt das Schriftstück als zugestellt, wenn seit dem Aushang der Benachrichtigung ein Monat vergangen ist – sind auch die weiteren Voraussetzungen für die Vollstreckung gegeben, kann die Räumung der Wohnung erfolgen. 4.3. Ergeben sich aus dem Verzicht auf das Erfordernis einer Vermieterbestätigung Auswirkungen auf die juristischen Reaktionsmöglichkeiten des Vermieters? Die Zustellungsmöglichkeiten des Vermieters orientieren sich demnach zunächst am tatsächlichen Aufenthaltsort des Mieters; die bei den Meldebehörden gespeicherten Daten spielen nur eine untergeordnete Rolle, und zwar im Rahmen der zweiten Fallgruppe bei ungewissem Aufenthaltsort des Mieters; nach der Rechtsprechung des BGH wird durch eine erfolgslose Auskunft bei den Meldebehörden die Unbekanntheit des Aufenthaltsortes bewiesen. Die Änderung des Melderechtes hat daran nichts geändert. Zwar führt der mit der Reform des Melderechtes einhergehende gesetzliche Verzicht auf eine Vermieterbestätigung bei der Anmeldung dazu, dass die Daten, die der Mieter beim Einwohner- 32 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann (Fn. 28), § 181, Rn. 4. 33 Vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann (Fn. 28), § 185 Rn. 5. 34 Urteil des BGH vom 14. Februar 2003 (IXa ZB 56/03), NJW 2003, S. 1530. 35 Vgl. BGH (Fn. 34), S. 1531. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 – 3000 – 186/10 Seite 11 meldeamt vorlegt, in der Regel von diesem nicht überprüft werden.36 Nach alter Rechtslage war der Mieter verpflichtet, eine Bestätigung des Vermieters (beziehungsweise den Mietvertrag) bei der Anmeldung vorzulegen. Insofern könnte man zu der Annahme gelangen, dass der Vermieter sich auf die Fehlerfreiheit der bei den Melderegister gespeicherten Daten in größerem Maße verlassen konnte, als nach heutiger Rechtslage. Diese Vermutung ist statistisch bislang nicht nachgewiesen .37 Im Übrigen hatte der Vermieter auch nach der alten Rechtslage keinesfalls die Gewissheit , dass der Mieter sich unter Angabe der Adresse der Mietwohnung beim Einwohnermeldeamt anmeldet. Gegenüber dem Vermieter trifft den Mieter aber heute ebensowenig wie nach alter Rechtslage eine Pflicht, sich ordnungsgemäß beim Einwohnermeldeamt zu melden. Letztlich steht es Vermietern heute wie früher frei, bei Verdachtsmomenten eine Auskunft über die zum Mieter gespeicherten Daten einzuholen (zum Auskunftsanspruch vgl. § 8 MRRG), beziehungsweise eine korrekte Meldung vom Mieter einzufordern. Die Belastungen (finanzieller Schaden , Verfahrensdauer, etc.), die im Falle des „Mietnomadentums“ für den Vermieter eintreten, lassen sich dadurch aber nicht verringern. 5. Schlussbetrachtung Der gesetzliche Verzicht auf die regelmäßige Mitwirkung des Wohnungsgebers bei der Anmeldung dient dem Ziel, das Verfahren zu vereinfachen und zu erleichtern. Nach den Erfahrungen der Meldebehörden ist davon auszugehen, dass Personen die eine Mietwohnung beziehen, sich in aller Regel ordnungsgemäß bei der zuständigen Meldebehörde anmelden.38 Insofern ist in der ganz überwiegenden Anzahl der Fälle die Qualität des Melderegisters durch die Reform des Melderechtes wohl nicht gefährdet. Sogenannte Scheinanmeldungen sind danach keinesfalls ein Massenproblem, sondern in der Praxis sehr selten. Inwiefern der Gefahr derartiger Scheinanmeldungen gleichwohl durch eine erneute Änderung des Melderechtes entgegengewirkt werden sollte , ist letztlich eine politische Entscheidung. CDU, CSU und FDP haben sich im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, das Melderecht zu harmonisieren und die Zustimmung der Vermieter bei der Anmeldung von Mietern wieder einzuführen.39 36 Bei besonderen Verdachtsmomenten ist die Meldebehörde aber verpflichtet, Nachforschungen darüber anzustellen, ob die Person tatsächlich unter der angegebenen Adresse wohnt. 37 Vgl. oben S. 5, Ziffer 2. 38 Detlef Stollenwerk, in: Kommunalverwaltung Melderecht, § 14 Absatz 5, Rn. 8. 39 Vgl. den Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP für die 17. Legislaturperiode, S. 110, abrufbar im Internet unter www.cdu.de/doc/pdfc/091026-koalitionsvertrag-cducsu-fdp.pdf (Stand: 28. Juli 2010). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 – 3000 – 186/10 Seite 12 Insoweit kann mit einer Änderung des Meldewesens noch in der laufenden Legislaturperiode gerechnet werden. Die in einigen Kommunen geübte Praxis, pauschal die Vorlage von Mietverträgen als Nachweis für einen Ein- oder Umzug zu fordern, wird teilweise als unzulässig erachtet .40 Jedenfalls sind die Meldebehörden aber bei offenkundigen Zweifeln schon nach dem geltenden MRRG gehalten, weitere Erkundigungen beim Wohnungsgeber einzuholen (vgl. § 11 Absatz 4 MRRG). 40 Vgl. Karl-Heinz Wiggers, in: Praxis der Kommunalverwaltung, Melderecht Schleswig-Holstein, Erläuterungen, abrufbar im Internet unter www.beck-online.beck.de/Default.aspx?vpath=bibdata%2Fkomm_pdk%2FPdK-SH- K8SH%2FSHLMG%2Fcont%2FPdK-SH-K8SH.SHLMG.p12.erlaeuterung.htm (Stand: 28. Juli 2010).