© 2016 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 185/16 Arbeitgeberbegriff und diesbezügliche Irrtümer in § 266a StGB Meinungsstand in Literatur und Rechtsprechung vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. 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Vereinbarkeit des § 266a Abs. 1 StGB mit dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals „Arbeitgeber“ 4 2.1. Überprüfungsmaßstab für den § 7 Abs. 1 SGB IV 5 2.2. Die Vereinbarkeit des § 7 Abs. 1 SGB IV mit dem allgemeinen Bestimmtheitsgebot 6 2.2.1. Das Rechtsgutachten von Papier und Möller 6 2.2.2. Die Entscheidung des BVerfG von 1996 unter Heranziehung der Rechtsfigur des „Typus“ 7 3. Irrtumsfragen hinsichtlich der Arbeitgebereigenschaft und das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot 8 3.1. Irrtumsprobleme beim Arbeitgeberbegriff 9 3.2. Bedenken gegen die Aufspaltung in Tatbestands- und Verbotsirrtum 11 3.2.1. Der Tatbestand des § 266 Abs. 1 StGB als echtes Unterlassungsdelikt 11 3.2.2. Struktur der im StGB geregelten Irrtümer 11 3.2.3. Parallele zum Tatbestand der Verletzung der Unterhaltspflicht in § 170 StGB 12 3.2.4. § 266a Abs. 1 StGB als Teil des Wirtschaftsstrafrechts 12 3.3. Zusammenfassende Bewertung 13 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 185/16 Seite 4 1. Einleitung Im Wirtschaftsstrafrecht finden sich häufig Straftatbestände, die im hohen Maße Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten.1 Während der Gesetzgeber damit bezweckt, alle relevanten Fälle zu erfassen und Umgehungspraktiken zu vermeiden,2 können derart unbestimmte Straftatbestände zugleich Zweifel an ihrer nach Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz (GG)3 verfassungsrechtlich geforderten hinreichenden Bestimmtheit aufkommen lassen. Ein Beispiel hierfür ist auch der § 266a Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB)4, der das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen durch den Arbeitgeber unter Strafe stellt.5 Dieser sorgt insbesondere mit seinem strafrechtlich nicht definierten Tatbestandsmerkmal des „Arbeitgebers“ für Schwierigkeiten, die sich sowohl auf die Auslegung des Merkmals selber – d.h. das Vorliegen der Arbeitgebereigenschaft als objektives Tatbestandsmerkmal – als auch auf Fragen zum Vorsatz des Täters hierauf und diesbezügliche Irrtumsfragen erstrecken. Im Folgenden sollen daher die in der Literatur und Rechtsprechung diskutierten Bestimmtheitsanforderungen an den § 266a Abs. 1 StGB und seine Problemfelder dargestellt werden. 2. Vereinbarkeit des § 266a Abs. 1 StGB mit dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals „Arbeitgeber“ Der § 266a Abs. 1 StGB bestimmt als Täterkreis den „Arbeitgeber“, als Tatgegenstand die „Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung“ und als Tathandlung das „Vorenthalten“ dieser Beiträge und stellt somit die konkreten Voraussetzungen einer Strafbarkeit auf.6 Der Begriff des „Arbeitgebers“ ist dabei nicht im StGB definiert, sondern richtet sich – da das Strafrecht auf sozialversicherungsrechtliche Pflichten Bezug nimmt – nach sozialrechtlichen Grundsätzen.7 Die 1 Dannecker/Bülte, Handbuch Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 4. Aufl. 2014, Kap. 1 Rn 108. 2 Vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Nichtannahmebeschluss vom 20. Mai 1996 – 1 BvR 21/96 - juris. 3 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100- 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 23. Dezember 2014 (BGBl. I S. 2438); abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/gg/BJNR000010949.html [letzter Abruf: 14. Dezember 2016]. 4 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.11.1998 (BGBl. I S. 3322), zuletzt geändert durch Gesetz vom 03. Dezember 2015 (BGBl. I S. 2177); abrufbar unter: http://www.gesetze-im-internet .de/stgb/BJNR001270871.html [letzter Abruf: 14. Dezember 2016]. 5 Ausführlich zum Inhalt des § 266 StGB: Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Sachstand: Zum Straftatbestand des Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen (§ 266a StGB), WD 7 – 3000 – 147/16. 6 Vgl. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Ausarbeitung: Strafverfolgungsrisiken gemäß § 266a Absatz 1 StGB und das Bestimmtheitsgebot des Artikels 103 Absatz 2 GG, WD 7 – 3000 – 161/16, S. 8. 7 Perron, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 29. Aufl. 2014, § 266a Rn 11. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 185/16 Seite 5 Pflicht zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen gemäß § 28e Viertes Sozialgesetzbuch (SGB IV)8 setzt das Bestehen eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV voraus. Der § 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV knüpft seinerseits an das Dienstvertragsrecht der §§ 611ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)9 und an arbeitsrechtliche Grundsätze an und bestimmt Beschäftigung als „nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis“ – d.h. die Tätigkeit eines Arbeitnehmers für einen Arbeitgeber.10 Der Arbeitgeberbegriff nach § 266a Abs. 1 StGB wird also gleichsam spiegelbildlich danach bestimmt , ob ein Arbeitnehmer vorliegt, mit dem der Arbeitgeber ein sozialversicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV eingegangen ist.11 2.1. Überprüfungsmaßstab für den § 7 Abs. 1 SGB IV Fraglich könnte daher sein, ob sich der § 7 Abs. 1 SGB IV wegen dieser Anknüpfung auch an den engen Bestimmtheitsvoraussetzungen des Art. 103 Abs. 2 GG12 messen lassen muss. Dieser Überlegung hat das BVerfG jedoch bereits 1988 eine Absage erteilt13 und 2010 in einer Entscheidung zum Untreuetatbestand des § 266 StGB ausgeführt, der Gesetzgeber könne „ Tatbestände auch so ausgestalten, dass zu ihrer Auslegung auf außerstrafrechtliche Vorschriften zurückgegriffen werden […]“ müsse“14. Dies führe nicht dazu, „dass auch die betreffenden außerstrafrechtlichen Vorschriften am Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG zu messen wären“.15 8 Das Vierte Buch Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. November 2009 (BGBl. I S. 3710, 3973; 2011 I S. 363), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 11. November 2016 (BGBl. I S. 2500); abrufbar unter: http://www.gesetze-im-internet .de/sgb_4/BJNR138450976.html [letzter Abruf: 14. Dezember 2016]. 9 Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 24. Mai 2016 (BGBl. I S. 1190); abrufbar unter: . http://www.gesetze-im-internet.de/bgb/BJNR001950896.html [letzter Abruf: 14. Dezember 2016]. 10 BGH, Neue Zeitschrift für Strafrecht (NStZ)Sebasti 2015, 648 (649). 11 Bürger, Sebastian, Der Arbeitgeberbegriff in § 266a StGB – ein komplexes normatives Tatbestandsmerkmal: Voraussetzungen und Irrtumsfolgen, Zeitschrift für Wirtschaft- und Steuerstrafrecht (wistra) 2016, 169 (171). 12 Zu dessen Anforderungen im Detail siehe Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Ausarbeitung: Strafverfolgungsrisiken gemäß § 266a Absatz 1 StGB und das Bestimmtheitsgebot des Artikels 103 Absatz 2 GG, WD 7 – 3000 – 161/16, S. 6f. und Sachstand: Zum Straftatbestand des Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen (§ 266a StGB), WD – 3000 – 147/16, S. 6ff. 13 BVerfGE 78, 205 (213). 14 BVerfGE 126, 170 (195). 15 BVerfGE 126, 170 (195). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 185/16 Seite 6 Für den § 7 Abs. 1 SGB IV gelten daher nur die Anforderungen des allgemeinen Bestimmtheitsgebotes , das sich aus dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 3 GG, herleiten lässt und ebenfalls darauf abzielt, dem Bürger zu ermöglichen, sein Verhalten auf die Rechtsnorm einzustellen.16 Das Gebot verlangt kein feststehendes gleiches Maß an Bestimmtheit für alle Normen, vielmehr hängt das Maß vor allem von der jeweiligen Eingriffsintensität der Norm und den Eigenarten des Regelungsgegenstands ab.17 Dabei gilt, dass je stärker die Norm in die Freiheit des Bürgers eingreift, desto höhere Anforderungen an ihre Bestimmtheit gestellt werden; wenn zugleich der Regelungsgegenstand aber sehr unübersichtlich und vielgestaltig ist, sind die Anforderungen niedriger, um alle Fallkonstellationen erfassen zu können.18 Zu bedenken ist auch, dass das Bestimmtheitsgebot für den Gesetzgeber nicht als Optimierungsgebot zu verstehen ist, sondern vielmehr Mindestanforderungen an die jeweilige Norm im Sinne einer hinreichenden Bestimmtheit stellt.19 2.2. Die Vereinbarkeit des § 7 Abs. 1 SGB IV mit dem allgemeinen Bestimmtheitsgebot Zweifel an der hinreichenden Bestimmtheit des § 7 Abs. 1 SGB IV wurden insbesondere 1995 in einem Rechtsgutachten von Papier und Möller geäußert.20 Dagegen hat das BVerfG 1996 die Verfassungsmäßigkeit des § 7 Abs. 1 SGB IV bestätigt.21 2.2.1. Das Rechtsgutachten von Papier und Möller Papier und Möller gehen in ihrem Rechtsgutachten davon aus, dass für die Regelung des § 7 Abs. 1 SGB IV ein „eher hoher“ Anspruch an dessen Vorhersehbarkeit gelte – so man die Bestimmtheitsanforderungen je nach Eingriffsintensität bzw. Zumutbarkeit einer Unsicherheit unterschiedlich hoch setze22 –, da Unsicherheiten über die Qualifikation als Beschäftigungsverhältnis für den Arbeitgeber schwere Risiken darstellten.23 Sodann konstatieren sie, der § 7 Abs. 1 SGB IV ersetze nur den unbestimmten Rechtsbegriff des Beschäftigungsverhältnisses durch den der nichtselbständigen Arbeit, wodurch keine größere Bestimmtheit erlangt werde, zumal die Abgrenzung zwischen Selbständigen und Beschäftigten seit 16 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, hrsg. von: Roman Herzog, Rupert Scholz, Matthias Herdegen und Hans H. Klein, Grundgesetz-Kommentar, Stand: 78. Lieferung, September 2016, Art. 20 Rn 58. 17 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 20 Rn 60. 18 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 20 Rn 60. 19 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 20 Rn 61. 20 Papier, Hans-Jürgen/Möller, Johannes, § 7 SGB IV in der Anwendung durch die Rechtsprechung und das grundgesetzliche Bestimmtheitsgebot, Vierteljahreschrift für Sozialrecht (VSSR) 1996, 243ff. 21 BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 20. Mai 1996 – 1 BvR 21/96, juris. 22 So das BVerfG: BVerfGE 59, 104 (116f.). 23 Papier/Möller, VSSR 1996, 243 (264). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 185/16 Seite 7 der Existenz dieser Begriffe im Arbeits- und Sozialrecht umstritten sei.24 Sie zeigen auf, dass eine Legaldefinition des Beschäftigungsverhältnisses gesetzestechnisch möglich und zweckmäßig wäre, und kommen zum Ergebnis, dass auch, wenn von einer präzisen Definition aufgrund von Ausweich- oder Umgehungstendenzen abgesehen werde, das Fehlen jeglicher inhaltlicher Konkretisierung im Gesetzestext trotz des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers einen Verfassungsverstoß darstelle.25 In einem zweiten Teil wird untersucht, inwieweit die Auslegung des § 7 Abs. 1 SGB IV durch die Rechtsprechung strukturell geeignet ist, die für die hinreichende Bestimmtheit der Norm notwendige Rechtssicherheit durch Prognostizierbarkeit für den Rechtsunterworfenen zu schaffen. Papier und Möller stellen dabei fest, dass die Rechtsprechung zur Konkretisierung des Beschäftigungsverhältnisses zum einen Fallgruppen bilde und zum anderen auf eine Gesamtbetrachtung der einzelnen Merkmale, die für und wider ein Beschäftigungsverhältnis sprechen, abstelle, es dabei aber aufgebe, eine feste tatbestandliche Definition zu finden.26 Dies führe jedoch im Ergebnis zu einer kaum bis unmöglichen Prognostizierbarkeit des jeweiligen Urteils, was den Anforderungen des Bestimmtheitsgebotes widerspreche.27 Hinzu kämen auch die Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung sogar in Bezug auf exakt gleich gestaltete Verträge, was ebenfalls indiziere, dass die Gleichmäßigkeit des Normvollzugs strukturell durch die Konkretisierung der Gerichte nicht sichergestellt sei. Zuletzt sei auch die Tatsache, dass die Gerichte sich öfters mit der Frage auseinandersetzten , was gelten solle, wenn die Kriterien keine „hinreichend sichere Entscheidung“ zuließen, ein Beleg dafür, dass es der Rechtsprechung nicht gelungen sei, das Recht hinreichend klar und verlässlich zu konkretisieren.28 Sie kommen daher zu dem Schluss, dass sowohl der § 7 Abs. 1 SGB IV als auch die Rechtsprechung hierzu insoweit gegen das Bestimmtheitsgebot verstießen, als dass die Entscheidungen außerhalb der idealtypischen Fälle von Selbständigkeit oder Nichtselbständigkeit schlechthin nicht vorhersehbar seien.29 2.2.2. Die Entscheidung des BVerfG von 1996 unter Heranziehung der Rechtsfigur des „Typus “ Dem trat das BVerfG 1996 in seiner Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit des § 7 Abs. 1 SGB IV und dessen Definition der Beschäftigung jedoch entgegen.30 „Gewisse Unsicherheiten und 24 Papier/Möller, VSSR 1996, 243 (255). 25 Papier/Möller, VSSR 1996, 243 (259). 26 Papier/Möller, VSSR 1996, 243 (265). 27 Papier/Möller, VSSR 1996, 243 (265f.). 28 Papier/Möller, VSSR 1996, 243 (267). 29 Papier/Möller, VSSR 1996, 243 (269). 30 BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 20. Mai 1996 – 1 BvR 21/96, juris. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 185/16 Seite 8 auch eine dem jeweiligen Rechtsgebiet spezifische unterschiedliche Auslegung bestimmter Vorschriften durch die Gerichte verschiedener Instanzen und verschiedener Gerichtszweige“ seien „jeder Auslegung von Rechtsvorschriften immanent“.31 Bei einer Bestimmung wie derjenigen des § 7 SGB IV sei „angesichts der Vielzahl denkbarer Fallkonstellationen eine eindeutige Vorhersehbarkeit des Ergebnisses ausgeschlossen“.32 Zur „Beschäftigung“ nach § 7 Abs. 1 SGB IV stellt es weiter fest, dass sich das Gesetz methodologisch nicht des sogenannten „Begriffs“ bediene, der tatbestandlich scharf kontrolliert sei und eine einfach Subsumtion ermögliche, sondern der Rechtsfigur des „Typus“. Letzterer bedeute, dass die unter die Sozialversicherungspflicht fallenden Personen nicht im Detail definiert, sondern „ausgehend vom Normalfall in der Form eines Typus beschrieben“ würden. Die Kenntnis über Ausgestaltung des Normal- oder Durchschnittfalls werde vom Gesetz stillschweigend vorausgesetzt , bzw. so übernommen, wie dieser sich in der sozialen Wirklichkeit vorfinden lasse.33 Dabei sei es nicht erforderlich, dass stets alle den Typus kennzeichnenden Merkmale vorlägen, sondern sie „vielmehr in unterschiedlichem Maße und verschiedener Intensität gegeben sein“ könnten, und für sich genommen nur Indizien seien, die erst im nach ihrem Gesamtbild im konkreten Einzelfall entscheidend seien.34 Diese Rechtsfigur des Typus erachtet das BVerfG nicht nur als zulässig, sondern vielmehr als nützlich, da derartige Vorschriften „über Jahrzehnte hinweg auch bei geänderten sozialen Strukturen ihren Regelungszweck erfüllten“ und auch die Umgehung der Abgabe von Sozialversicherungsbeiträgen verhindern könnten.35 Der § 7 Abs. 1 SGB IV sei daher nicht wegen Unbestimmtheit verfassungswidrig. 3. Irrtumsfragen hinsichtlich der Arbeitgebereigenschaft und das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot Die Ausführungen unter dem vorangegangen Gliederungspunkt haben zweierlei gezeigt: Der Arbeitgeberbegriff nach § 266a Abs. 1 StGB wird spiegelbildlich danach bestimmt, ob ein Arbeitnehmer vorliegt, mit dem der Arbeitgeber ein sozialversicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV eingegangen ist.36 Bei dem Tatbestandsmerkmal Arbeitge- 31 BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 20. Mai 1996 – 1 BvR 21/96, juris, Rn 7. 32 BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 20. Mai 1996 – 1 BvR 21/96, juris, Rn 7. 33 BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 20. Mai 1996 – 1 BvR 21/96, juris, Rn 7. 34 BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 20. Mai 1996 – 1 BvR 21/96, juris, Rn 7. 35 BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 20. Mai 1996 – 1 BvR 21/96, juris, Rn 8. 36 Bürger, wistra 2016, 169 (171). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 185/16 Seite 9 ber handelt es sich also nicht um ein deskriptives Tatbestandsmerkmal, also um ein Tatbestandsmerkmal , dessen Feststellung im Allgemeinen durch sinnliche Wahrnehmung erfolgen kann37, sondern um ein sogenanntes normatives Tatbestandsmerkmal, das durch weitere außerstrafrechtliche Normen ausgefüllt werden muss38, so wie der Begriff des „Arbeitgebers“ in § 266a Abs. 1 StGB durch die Regelung des § 7 Abs. 1 SGB IV39. 3.1. Irrtumsprobleme beim Arbeitgeberbegriff Ob ein solches sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt, hängt von vielfältigen Fallkonstellationen ab. Problematisch wird es, wenn Indizien sowohl für als auch gegen die Arbeitgebereigenschaft vorliegen, die auch noch gewichtet werden müssen. Dadurch können Irrtümer beim möglichen Täter des § 266a StGB entstehen. Umstritten ist, wie ein solcher Irrtum in diesem Bereich einzuordnen ist, ob es sich um einen reinen Tatbestandsirrtum i.S.d. § 16 Abs. 1 StGB handelt mit der Folge, dass der Betroffene vorsatzlos handelt und damit straffrei bleibt, oder ob es bei dem Irrtum nur um einen Verbotsirrtum i.S.d. § 17 StGB geht, der nur dann zur Straffreiheit führt, wenn der Betreffende den Irrtum nicht vermeiden konnte, § 17 Satz 1 StGB, während bei vermeidbarem Verbotsirrtum die Strafbarkeit bleibt und lediglich die Möglichkeit der Strafmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB eröffnet ist, § 17 Satz 2 StGB. Damit wird deutlich, dass Unschärfen im objektiven Tatbestand des § 266a Abs. 1 StGB bei dem Merkmal „Arbeitgeber“ sich auf der subjektiven Tatbestandsebene fortsetzen. Dies führt dazu, dass auch unter diesem Gesichtspunkt teilweise Bedenken gegen die Regelung des § 266a Abs. 1 StGB im Hinblick auf den in Art. 103 Abs. 2 GG verankerten Bestimmtheitsgrundsatz gesehen werden. So macht etwa das Landgericht (LG) Ravensburg geltend, die Verlagerung des Irrtums bei rechtlich komplexen normativen Tatbestandselementen vom Tatbestandsirrtum zum Verbotsirrtum führe letztlich zu einem Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG. Denn bei einem Verbotsirrtum könne der Bürger nicht genau voraussehen, ob sein Verhalten letztlich zu einer Strafbarkeit führe oder nicht, weil nur bei Vermeidbarkeit des Irrtums eine Bestrafung ausscheide. Der Bestimmtheitsgrundsatz nach Art. 103 Abs. 2 GG erfordere aber, dass die Frage, ob ein Verhalten mit Strafe bewehrt sei oder nicht, für den Bürger berechenbar sei.40 Deshalb sei in den Fällen, wo das Strafrecht mit anderen Rechtsgebieten verkoppelt werde, in denen eigene Bestimmtheitsanforderungen gelten, die Eigenständigkeit des Strafrechts durch eine entsprechend restriktive Fassung der Strafrechtsnorm, die sich auf das andere Rechtsgebiet bezieht , zu wahren.41 37 Sternberg-Lieben/Schuster, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 29. Auflage, § 15 Rn. 18. 38 Sternberg-Lieben/Schuster, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 29. Auflage, § 15 Rn. 19. 39 Zum Begriff des Arbeitergebers als normatives Tatbestandsmerkmal vgl.: OLG Celle, Beschluss vom 3, Juli 2013 – 1 Ws 123/13 -. 40 LG Ravensburg, Urteil vom 26. September 2006 – 4 Ns 24 js 22865/03 – juris, Rn. 30. 41 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 77. EL Juli 2016, Art. 103 Abs. GG, Rn 185. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 185/16 Seite 10 Diese Auffassung des LG Ravensburg ist vom Oberlandesgericht (OLG) Celle ausdrücklich mit dem Argument kritisiert worden, dass gerade die Annahme, es liege nur ein Tatbestandsirrtum vor, zu einer Unberechenbarkeit führe, weil vom Gesetz vorgegeben sei, dass Irrtümer über rechtliche Folgen nicht auf der Tatbestandsebene, sondern bei der Schuldfrage zu berücksichtigen seien42. Bei der Streitfrage, ob ein Irrtum betreffend der Arbeitgebereigenschaft als Tatbestandsirrtum nach § 16 StGB43 oder als Verbotsirrtum nach § 17 StGB44 einzuordnen ist, ist zunächst festzustellen , dass auch diejenigen, die den Verbotsirrtum befürworten, nicht jeden Irrtum über die Arbeitgebereigenschaft als Verbotsirrtum einordnen. Vielmehr differenzieren sie i.d.R. wie folgt: Irrt sich der Arbeitgeber über Umstände, die seine Verpflichtung zur Abgabe von Sozialversicherungsbeiträgen begründen, so befinde er sich in einem Tatbestandsirrtum und mache sich damit mangels Vorsatzes nicht nach § 266a StGB strafbar45. Erfasst der Betreffende dagegen die pflichtenbegründenden Umstände (z.B. über die Arbeitnehmerstellung eines „Mitarbeiters“) zutreffend, erliegt aber einem Irrtum darüber, nicht zur Abführung der Sozialversicherungsbeiträge verpflichtet zu sein, so liege nur ein – i.d.R. vermeidbarer – Verbotsirrtum vor46. Auch der Bundesgerichtshof (BGH) ist dieser Aufspaltung zwischen Tatbestands- und Verbotsirrtum bisher gefolgt47. 42 OLG Celle, Beschluss vom 3. Juli 2013 – 1 Ws 123/13 – juris, Rn. 23. 43 So: Perron, in: Schönke/Schröder, § 266a Rn. 17; Mayer, Marco, Zur inneren Tatseite bei § 266a StGB, Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht (NZWiSt) 2015, 169, 170; Bürger, wistra 2016, 169, 173; Heger, in: Lackner/Kühl, 28. Aufl., 2014, § 266a Rn. 16. 44 So: Wittig, in: Beck’scher Online Kommentar StGB, hrsg. von Heintschel, Heinegg, Stand. 32. Edition, 1. September 2016, § 266a Rn. 29; Fischer, Strafgesetzbuch, 63. Aufl. 2016, § 266a Rn. 23, Radtke, in: Münchener Kommentar zum StGB, 2. Auflage, 2014, § 266a Rn. 90, 91; Tag, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch , 4. Auflage, 2013, § 266a Rn. 81; Weidemann, Vorsatz und Irrtum bei Lohnsteuerhinterziehung und Beitragsvorenthaltung , zugleich Bemerkungen zu BGH v.7.10.2009 – 1 StR 478/09, wistra 2010,29 -, wistra 2010, 463, 465. 45 Wittig, in: Beck’scher Online Kommentar StGB, § 266a Rn. 29; Fischer, § 266a Rn. 23, Radtke, in: Münchener Kommentar zum StGB, § 266a Rn. 90; Tag, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, § 266a Rn. 81; Weidemann, wistra 2010, 463, 465. 46 Wittig, in: Beck’scher Online Kommentar StGB, § 266a Rn. 29; Fischer, 63. Aufl. 2016, § 266a Rn. 23, Radtke, in: Münchener Kommentar zum StGB, § 266a Rn. 91; Tag, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, § 266a Rn. 81; Weidemann , wistra 2010, 463, 465. 47 BGH, Urteil vom 7. April 2016 – 5 StR 332/15 –juris, Rn. 24; BGH, Beschluss vom 4. September 2013 – 1 StR 94/13 – juris, Rn. 16; BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2009 – 1 StR 478/09 – juris, 2. Orientierungssatz, Urteilsbegründung . Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 185/16 Seite 11 3.2. Bedenken gegen die Aufspaltung in Tatbestands- und Verbotsirrtum Gegen die Aufspaltung der Irrtümer in Tatbestands- und Verbotsirrtum bestehen jedoch Bedenken . 3.2.1. Der Tatbestand des § 266 Abs. 1 StGB als echtes Unterlassungsdelikt Die Annahme, bei einem normativen Tatbestandsmerkmal müsse bei einem Irrtum danach unterschieden werden, ob dieser sich auf die tatsächlichen Umständen oder auf die daraus resultierende rechtliche Schlussfolgerung beziehe mit der Folge, dass bei dem Irrtum zwischen einem vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum und einem i.d.R. nur zu einer Strafmilderung führenden Verbotsirrtum unterschieden werden müsse, verkennt zunächst, dass es sich bei § 266a Abs. 1 StGB um ein echtes Unterlassungsdelikt handelt. Bestraft wird im Rahmen des § 266a Abs. 1 StGB nämlich nicht eine bestimmte Handlung, sondern allein das Nichtabführen der Sozialversicherungsbeiträge , also ein echtes Unterlassen. Ein solches Unterlassen kann aber nur dann eine Strafbarkeit begründen, wenn eine Rechtspflicht zum Handeln besteht. Diese Rechtspflicht ist untrennbar mit der unterlassenen Handlung verknüpft, wenn sie mit Strafe bewehrt werden soll. Damit gehört auch diese Rechtspflicht zum Handeln in den objektiven Tatbestand eines Delikts 48. Irrtümer über diese Rechtspflicht sind daher nach § 16 Abs. 1 StGB zu behandeln, sind also vorsatzausschließend und führen damit zur Straffreiheit des Irrenden. 3.2.2. Struktur der im StGB geregelten Irrtümer Die Annahme, Irrtümer über Rechtspflichten, im Rahmen des § 266a Abs. 1 StGB über das Vorliegen der Beitragspflicht, seien Verbotsirrtümer, verkennt zudem die Struktur der Irrtumsregelungen . Der Gesetzgeber hat in den §§ 16, 17 StGB nur zwei Arten von Irrtümern geregelt, den Irrtum über Tatumstände in § 16 StGB und den Verbotsirrtum in § 17 StGB. Den Irrtum über Tatumstände hat der Gesetzgeber beim Vorsatz, also im subjektiven Tatbestand, angesiedelt. Dabei hat er die Regelung des § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB weit formuliert: „Wer bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört, handelt nicht vorsätzlich.“ Durch diese weite Formulierung lassen sich problemlos alle Irrtümer, die den gesetzlichen Tatbestand betreffen, als vorsatzausschließend qualifizieren. Es besteht daher keine Not, Irrtümer über ein bestehendes Verbot unter § 17 Satz 1 StGB zu subsumieren, wenn schon § 16 Abs. 1 StGB diesen Irrtum erfasst. Auch der Wortlaut in § 17 Satz 1 StGB zwingt nicht unbedingt dazu, Irrtümer über Verbote nur nach § 17 StGB zu behandeln: „Fehlt dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte.“ 48 So ausdrücklich auch Perron, in: Schönke/Schröder, § 266a Rn. 17. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 185/16 Seite 12 Zwar regelt die Vorschrift die Folgen des Handelns in Unkenntnis eines strafrechtlichen Verbots und der Gesetzgeber hat deutlich gemacht, dass mangelndes Unrechtsbewusstsein nicht vorsatzausschließend wirkt, sondern nur für die Schuld von Bedeutung ist. § 17 StGB ist jedoch darauf zugeschnitten, dass der Täter entweder die sein Verhalten verbietende Norm nicht kennt oder einen Rechtfertigungsgrund annimmt, den es nicht gibt, oder die Grenzen eines bestehenden Rechtfertigungsgrundes verkennt.49 In diesen Fällen geht es aber um Situationen, in denen es eine Norm gibt, die dem Täter sein Verhalten verbietet. Denn § 17 StGB stellt ebenso wie § 16 StGB auf Delikte durch aktives Handeln („Begehung der Tat“) ab. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass es sich bei § 266a Abs. 1 StGB um ein echtes Unterlassungsdelikt handelt.50 Bei einem echten Unterlassungsdelikt gibt es aber keine Norm, die ein bestimmtes Verhalten verbietet. Vielmehr muss erst eine Rechtspflicht zum Handeln bestehen, um überhaupt den gesetzlichen Tatbestand eines Unterlassungsdelikts ausfüllen zu können. Damit gehört die Rechtspflicht zum Handeln bei einem unechten Unterlassungsdelikt zum objektiven Tatbestand . Die Rechtspflicht zum Handeln ist daher als Umstand, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört, einzuordnen. Ein Irrtum über diesen Umstand ist daher vorsatzausschließend. Diesen Irrtum als einen Verbotsirrtum zu qualifizieren, liefe letztlich darauf hinaus, die Regelung des § 17 StGB, die auf der Schuldebene angesiedelt ist, analog auf Tatumstände anzuwenden. Dies wäre aber, weil eine solche Analogie sich zu Lasten des Täters auswirken würde, eine verbotene Analogie i.S.d. Art. 103 Abs. 2 GG durch den das Recht anwendenden Richter. 3.2.3. Parallele zum Tatbestand der Verletzung der Unterhaltspflicht in § 170 StGB Darüber hinaus spricht auch die Parallele zu § 170 StGB, in dem die Verletzung der Unterhaltspflicht geregelt ist, dafür, auf die Irrtümer bezüglich der Arbeitgebereigenschaft nur § 16 StGB, nicht aber § 17 StGB anzuwenden. Denn das Vorenthalten des gesetzlichen Unterhalts ist ebenso wie § 266a Abs. 1 StGB als echtes Unterlassungsdelikt zu qualifizieren. Im Rahmen des § 170 StGB werden aber Irrtümer über die tatsächlichen Voraussetzungen der Handlungspflicht sowie über das Bestehen der Unterhaltspflicht als Tatbestandsirrtümer behandelt51. Warum dann im Rahmen des § 266a Abs. 1 StGB etwas anderes gelten soll, ist nicht einsichtig52. 3.2.4. § 266a Abs. 1 StGB als Teil des Wirtschaftsstrafrechts Letztlich dürfte der Grund für die unterschiedliche Behandlung darin liegen, dass § 266a Abs. 1 StGB als dem Wirtschaftsstrafrecht zugehörig angesehen wird. Beim Irrtum über das Verbot im Wirtschaftsstrafrecht wird aber überwiegend danach unterschieden, ob es um einen Irrtum über 49 Heuchemer, in: Bech’scher Online Kommentar, StGB, § 17 Rn. 1; Joecks, in: Münchener Kommentar, StGB, § 17 Rn. 1-3. 50 Wittig, in: Beck’scher Online Kommentar, StGB, § 266a Rn. 1; Perron, in: Schönke/Schröder, § 266a Rn. 5; Heger , in: Lackner/Kühl, § 266a Rn. 7. 51 Heuchemer, in: Beck’scher Online Kommentar, StGB, § 170 Rn. 27, 28; Heger, in: Lackner/Kühl, § 170 Rn. 11; Ritscher, in: Münchener Kommentar, StGB, § 170 Rn. 65, 66. 52 Auf die Ungereimtheiten bei der Irrtumsbewertung zwischen § 170 StGB und § 266a Abs. 1 StGB weisen auch hin: Mayer, NZWiSt 2015, 169, 170; Perron, in: Schönke/Schröder, § 266a Rn. 17. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 185/16 Seite 13 den Normbefehl in normativen Tatbestandsmerkmalen einerseits, dann Tatbestandsirrtum, oder um einen Rechtsirrtum bei Blanketttatbeständen, dann Verbotsirrtum, handelt.53 Bülte weist jedoch zu Recht darauf hin, dass diese Differenzierung auf eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen Rechtsirrtum und Tatsachenirrtum hinauslaufe, die heute nicht mehr aktuell sei. Dies lege auch die Formulierung des § 16 Abs. 1 StGB nahe, wonach eine Differenzierung zwischen Tatumständen, auf die sich der Vorsatz beziehen müsse, und anderen Tatbestandsmerkmalen, die nicht vom Vorsatz umfasst sein müssten, ausscheide.54 3.3. Zusammenfassende Bewertung Die Ausführungen haben gezeigt, dass der Bestimmtheitsgrundsatz in Art. 103 Abs. 2 GG gleich aus zwei Gründen dafür spricht, den Irrtum über das Tatbestandsmerkmal „Arbeitgeber“ auf jeden Fall nach § 16 StGB zu behandeln: Erstens handelt der Täter, der sich über die Konstellationen irrt, unter denen eine Arbeitgebereigenschaft anzunehmen ist, vorsatzlos, unabhängig davon, ob sein Irrtum auf der Verkennung tatsächlicher Umstände beruht oder darauf, dass er den Umstand , zum Handeln verpflichtet zu sein, nicht erkannt hat. Auf diese Weise wird die Regelung des § 266a Abs. 1 StGB für den Täter, der meint, nicht beitragspflichtig zu sein, berechenbar. Damit lassen sich auch Unschärfen im objektiven Tatbestand des § 266a Abs. 1 StGB besser mit der Regelung des Art. 103 Abs. 2 GG in Einklang bringen. Zweitens liefe eine Anwendung des § 17 Satz 1 StGB auf einen Irrtum über die Rechtspflicht zum Handeln auf eine unzulässige Analogie i.S.d. Art. 103 Abs. 2 GG durch den rechtsanwendenden Richter hinaus. Schließlich ist noch Folgendes anzumerken: Korrigiert man die Unschärfen im objektiven Tatbestand des § 266a Abs. 1 StGB nicht über die Annahme, dass alle Irrtümer über die Arbeitgebereigenschaft vorsatzausschließend wirken, so könnte die Regelung des § 266a Abs. 1 StGB möglicherweise nicht nur Anlass zu Diskussionen im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz in Art. 103 Abs. 2 StGB geben, sondern auch im Hinblick auf das Grundrecht der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG. Denn der Betroffene könnte sich ansonsten gehindert sehen, einer Tätigkeit nachzugehen, die vom Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG umfasst wird, weil er entgegen seiner eigenen Einschätzung annehmen muss, wegen dieser Tätigkeit als Arbeitgeber eingestuft zu werden und sich damit einer Strafbarkeit nach § 266a Abs. 1 StGB auszusetzen. *** 53 Diese Unterscheidung wird von Bülte, Jens, mit zahlreichen Nachweisen in seinem Aufsatz „Der Irrtum über das Verbot im Wirtschaftsstrafrecht“, vorgestellt und kritisiert, NStZ 2013, 65 ff. 54 Bülte, NStZ 2013, 65, 67.