© 2015 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 184/15 Manipulation von Emissionskontrollsystemen durch Autohersteller Mögliche zivil- und strafrechtliche Implikationen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 184/15 Seite 2 Manipulation von Emissionskontrollsystemen durch Autohersteller Mögliche zivil- und strafrechtliche Implikationen Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 184/15 Abschluss der Arbeit: 15. Oktober 2015 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 184/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Zivilrecht 4 2.1. Gewährleistungsansprüche 5 2.2. Außervertragliche Schadensersatzansprüche 7 3. Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht 10 4. Fazit 12 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 184/15 Seite 4 1. Einleitung Im September 2015 informierte die US-amerikanische Environment Protection Agency (EPA) die Öffentlichkeit darüber, dass sie der Volkswagen AG, der Audi AG und der Volkswagen Group of America, Inc. vorwirft, in verschiedenen Diesel-Pkw eine Software eingesetzt zu haben, die erkenne , wenn das Fahrzeug einem offiziellen Emissions-Test unterzogen wird, und nur dann das volle Emissionskontrollsystem des Fahrzeugs aktiviere.1 Im Normalbetrieb auf der Straße arbeite das Kontrollsystem dagegen nur erheblich reduziert, was zu einer vielfachen Erhöhung von Stickstoffoxid2-Emissionen führe.3 Die Volkwagen AG hat diese Vorwürfe zwischenzeitlich grundsätzlich eingeräumt und erklärt, dass die manipulative Software weltweit in etwa fünf Millionen Pkw Verwendung finde.4 Aufgrund einer entsprechenden Prüfbitte soll nachfolgend vor diesem Hintergrund losgelöst vom Einzelfall summarisch aufgezeigt werden, welche zivil- und ggf. strafrechtlichen Konsequenzen sich aus einer herstellerseitigen Manipulation des Emissionskontrollsystems von Fahrzeugen nach deutschem Recht in Bezug auf den Hersteller grundsätzlich ergeben können.5 2. Zivilrecht Zivilrechtlich ist grundsätzlich eine Vielzahl unterschiedlichster rechtsgeschäftlicher Konstellationen denkbar, in denen Ansprüche und Regressforderungen erhoben werden könnten, namentlich unter beidseitiger Beteiligung gewerblich Handelnder und unter Wettbewerbern. Nachfolgend wird dem gegenüber das Augenmerk auf die typische Konstellation gelegt, in der ein Verbraucher ein entsprechendes Neufahrzeug käuflich von einem gewerblichen Händler erworben hat.6 1 Vgl. EPA-Pressemitteilung vom 18.09.2015, abrufbar unter http://yosemite.epa.gov/opa/admpress .nsf/bd4379a92ceceeac8525735900400c27/dfc8e33b5ab162b985257ec40057813b!OpenDocument (Stand dieser und sämtlicher nachfolgender Online-Quellen: 14.10.15). 2 Nachfolgend: NOx. 3 Vgl. EPA-Pressemitteilung vom 18.09.2015, abrufbar unter http://yosemite.epa.gov/opa/admpress .nsf/bd4379a92ceceeac8525735900400c27/dfc8e33b5ab162b985257ec40057813b!OpenDocument. 4 Mitteilung „Volkswagen AG stellt Aktionsplan zur Nachbesserung von Dieselfahrzeugen mit EA 189 EU5-Motoren vor“ vom 29.09.15, abrufbar unter http://www.volkswagenag.com/content/vwcorp/info_center /de/news/2015/09/VW_Aktionsplan.html. 5 Die Ausführungen stellen damit insbesondere ausdrücklich keine rechtliche Bewertung der konkreten Manipulationen an Pkw des Volkswagen-Konzerns dar. 6 Wobei die dabei typischerweise in großem Umfang getroffenen vertraglichen Absprachen – namentlich zu Gewährleistungs - und Garantieansprüchen – vorliegend außer Betracht bleiben. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 184/15 Seite 5 2.1. Gewährleistungsansprüche Erwirbt ein Käufer eine mangelhafte Sache, können ihm innerhalb der gesetzlichen Fristen Gewährleistungsansprüche zustehen. Diese richten sich gegen den Verkäufer – also etwa den Autohändler . Das Herstellerunternehmen ist nicht Anspruchsgegner. Das Vorliegen eines Sachmangels im Sinne des § 434 BGB7 dürfte bei einem Pkw, der herstellerseitig mit einer Abschalteinrichtung8 im Sinne der einschlägigen europarechtlichen Bestimmungen versehen ist, schon insofern zu bejahen sein, als der Wagen dann nicht eine Beschaffenheit aufweist, „die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann“ (§ 434 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 BGB) – zumal der Einbau einer Abschalteinrichtung einen Verstoß gegen das für die Erlangung einer Typgenehmigung und damit mittelbar der darauf fußenden Betriebserlaubnis maßgebliche9, unmittelbar geltende EU-Recht in Gestalt von Artikel 5 Absatz 2 VO (EG) Nr. 715/200710 darstellt und mithin rechtswidrig ist.11 Für die Beurteilung des Vorliegens eines Sachmangels im Sinne des § 434 BGB ausschlaggebend ist die Beschaffenheit der Sache. Unerheblich ist, ob dem Verkäufer der Mangel bekannt war; auch ein Verschulden ist nicht erforderlich. Bei Vorliegen eines Sachmangels kann der Käufer als Nacherfüllung nach seiner Wahl die Beseitigung des Mangels oder die Lieferung einer mangelfreien Sache verlangen (§ 439 Absatz 1 BGB). Allerdings kann der Verkäufer die vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung verweigern, wenn sie nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist (§ 439 Absatz 3 Satz 1 BGB). Dabei sind insbesondere der Wert der Sache in mangelfreiem Zustand, die Bedeutung des Mangels und die Frage zu berücksichtigen, ob auf die andere Art der Nacherfüllung ohne erhebliche Nachteile für den Käufer zurückgegriffen werden könnte (§ 439 Absatz 3 Satz 2 BGB). Kann der Mangel des Vorhandenseins einer Abschalteinrichtung verkäuferseitig dadurch beseitigt werden, dass diese Abschalteinrichtung nachträglich beseitigt oder sie dergestalt deaktiviert 7 Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), das zuletzt durch Artikel 16 des Gesetzes vom 29. Juni 2015 (BGBl. I S. 1042) geändert worden ist. 8 Gemäß Artikel 3 Nr. 10 der VO (EG) Nr. 715/2007 ist eine Abschalteinrichtung „ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird“. 9 Vgl. Rebler, Einzelbetriebserlaubnis, Allgemeine Betriebserlaubnis, Typgenehmigung, in: SVR 2010, S. 361 ff. 10 Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.06. 07 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge, ABl. der Europäischen Union L 171/1 vom 29.6.07. 11 So auch Riehm, Zivilrechtliche Folgen von „Dieselgate“: Mehr Rauch als Feuer, in: Legal Tribune Online, 01.10.15 (abrufbar unter http://www.lto.de/persistent/a_id/17074/). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 184/15 Seite 6 wird, dass in EU-Rechts-konformer Weise keine negative Beeinträchtigung des Emissionskontrollsystems mehr vorliegt, dürfte bezogen auf den konkreten Mangel eine wirksame Nachbesserung vorliegen. Sollte es durch die Deaktivierung oder den „Rückbau“ der Abschalteinrichtung zu anderen Verschlechterungen des betroffenen Fahrzeugs, namentlich etwa hinsichtlich erhöhter Verbrauchswerte oder reduzierter Fahrleistungen kommen, würde sich diesbezüglich unter Anlegung der obigen Maßstäbe des Sachmängelrechts wiederum die Frage stellen, ob es sich bei diesen Verschlechterungen ihrerseits um Sachmängel handelt.12 Dies kann nur im Einzelfall anhand der konkreten Parameter valide beurteilt werden. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass, während die Verbrauchswerte und CO2-Emissionen Gegenstand verpflichtender Verbraucherinformationen sind13, dies weder auf Fahrleistungen noch auf NOx-Emissionen zutrifft. Die Bundesregierung hat zu den gewährleistungsrechtlichen Auswirkungen abweichender Verbrauchswerte zutreffend folgendes festgestellt: „Weicht der Kraftstoffverbrauch eines Neuwagens im NEFZ-Messverfahren von den Herstellerangaben ab, ist nach der Rechtsprechung eine Toleranz von 1,5 Prozent bis 2 Prozent aufgrund des Messverfahrens hinzunehmen. Bei einem Mehrverbrauch im NEFZ-Messverfahren von 3 Prozent ist ein Sachmangel angenommen worden. Ist eine Kaufsache mangelhaft, kann der Käufer von dem Verkäufer Abhilfe verlangen oder den Kaufpreis mindern. Liegt eine erhebliche Pflichtverletzung vor, kann der Käufer darüber hinaus von dem Kaufvertrag zurücktreten. Eine solche erhebliche Pflichtverletzung, die den Käufer zum Rücktritt berechtigt, nimmt die Rechtsprechung an, wenn der Kraftstoffverbrauch eines Neuwagens im vorgeschriebenen NEFZ-Messverfahren die Herstellerangaben um 10 Prozent oder mehr überschreitet. Unter bestimmten, in § 437 Nummer 3 BGB näher genannten Voraussetzungen kann der Käufer vom Verkäufer auch den Ersatz eines etwaigen Schadens verlangen, der durch die Pflichtverletzung entstanden ist.“14 Ist eine Nacherfüllung nicht möglich (§ 326 Absatz 5 BGB), wird diese seitens des Verkäufers verweigert (§ 439 Absatz 3 BGB) oder ist sie endgültig fehlgeschlagen (§ 440 Satz 2 BGB), kann der Käufer grundsätzlich vom Kauf zurücktreten und den Kaufpreis zurückverlangen. Dies gilt aber dann nicht, wenn die Pflichtverletzung in der Gesamtbetrachtung lediglich unerheblich war (§ 323 Absatz 5 Satz 2 BGB). In einem solchen Fall verbleibt es bei dem Recht des Käufers, den Kaufpreis zu mindern (§ 441 Absatz 1 Satz 2 BGB). 12 Vgl. Riehm, Zivilrechtliche Folgen von „Dieselgate“: Mehr Rauch als Feuer, in: Legal Tribune Online, 01.10.15 (abrufbar unter http://www.lto.de/persistent/a_id/17074/). 13 Aufgrund der Verordnung über Verbraucherinformationen zu Kraftstoffverbrauch, CO2-Emissionen und Stromverbrauch neuer Personenkraftwagen (Pkw-Energieverbrauchskennzeichnungsverordnung - Pkw-EnVKV) vom 28.05.04, vgl. hierzu auch Goldmann, Abgaswerte und Kraftstoffverbrauch als Gegenstand des Wettbewerbsrechts – Die Anwendung der Pkw-EnVKV in der Praxis, in: WRP 2007, S. 38 ff. 14 BT-Drs. 18/5656, S. 6. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 184/15 Seite 7 2.2. Außervertragliche Schadensersatzansprüche Fraglich ist, ob neben den gewährleistungsrechtlichen Ansprüchen, die als vertragliche Ansprüche für den Verbraucher nur gegen den jeweiligen Verkäufer gerichtet werden können, auch außervertragliche Schadensersatzansprüche denkbar sind. Als Anspruchsgegner kämen hierbei sowohl beim Hersteller-Unternehmen beschäftigte Personen als auch das Unternehmen selbst in Betracht. Schadensersatzansprüche aufgrund von § 823 Absatz 1 BGB dürften regelmäßig schon deshalb ausscheiden, weil keines der von § 823 Absatz 1 BGB geschützten Rechtsgüter geschädigt worden sein dürfte. Insbesondere wird das Vermögen als solches nicht durch § 823 Absatz 1 BGB geschützt . Tangiert wäre ein Schutzgut im Sinne des § 823 Absatz 1 BGB etwa, wenn es durch die erhöhten NOx-Emissionen in einem Einzelfall nachweislich zu Gesundheitsschäden gekommen sein sollte, die bei einem ordnungsgemäßen Arbeiten der Emissionskontrollsysteme nicht eingetreten wären. Möglicherweise könnten sich allerdings Schadensersatzansprüche auf § 826 BGB stützen lassen. Danach ist derjenige, der in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet. Anders als bei § 823 Absatz 1 BGB ist insoweit nicht die Verletzung eines besonderen Rechtsguts erforderlich.15 Durch § 826 BGB wird auch das Vermögen als solches geschützt. In objektiver Hinsicht liegt ein Verstoß gegen die guten Sitten nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn ein Verhalten gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt.16 Im Rahmen einer Einzelfallabwägung wird hiervon ein Verhalten erfasst, dessen Verwerflichkeit sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, dem Missverhältnis von Zweck und Mittel , der zutage tretenden Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann.17 In subjektiver Hinsicht muss der Handelnde nicht das Bewusstsein der Sittenwidrigkeit haben, jedoch die eine Sittenwidrigkeit begründenden tatsächlichen Umstände kennen.18 Eine Bewertung der Manipulation eines Neufahrzeugs vor diesem Hintergrund ist nur bei genauer Betrachtung der Manipulationshandlung sowie des Wissens und Wollens des Manipulierenden bzw. der involvierten Personen in einem Unternehmen möglich. Läge die Fallkonstellation derart, dass ein Mitarbeiter des Herstellers um diesem Wettbewerbsvorteile zu verschaffen bzw. umweltbewusste Verbraucher zum Kaufabschluss zu bewegen die Manipulation in dem Wissen vorgenommen oder angeordnet hat, dass hierin eine Verletzung zwingender umweltrechtlicher EU-Normen liegt und dass dieser rechtswidrige Zustand auch in jedem hiervon betroffenen auszuliefernden Pkw vorliegt, dürften gewichtige Gründe dafür sprechen, in der Gesamtschau einen vorsätzlichen Verstoß gegen die guten Sitten im Sinne des § 826 BGB anzunehmen. Ein Schaden wäre darin zu erblicken, dass der Verbraucher einen Pkw erworben hat, der – im Fall 15 Teichmann, in: Jauernig, Kommentar zum BGB, 15. Auflage 2014, § 826 Rdn. 6. 16 BGH, Urteil vom 20.11.12 – VI ZR 268/11. 17 Teichmann, in: Jauernig, Kommentar zum BGB, 15. Auflage 2014, § 826 Rdn. 4. 18 BGH NJW 2005, 2991, 2992. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 184/15 Seite 8 des Vorhandenseins einer Abschalteinrichtung im Sinne des EU-Rechts – objektiv mangelhaft war und damit negativ vom üblichen Verkehrswert eines entsprechenden mangelfreien Pkw abwich . Für einen Anspruch gegen das Unternehmen des Beschäftigten wäre eine Wissenszurechnung erforderlich. Hierfür gilt: „Für die Feststellung der Erfordernisse der Sittenwidrigkeit und des Vorsatzes sind dem Unternehmen nach § 166 Abs. 1 BGB die Kenntnisse aller Mitarbeiter zuzurechnen, die bei der Bearbeitung des inkriminierten Geschäfts mitgewirkt haben, insbesondere von Repräsentanten , die das beklagte Unternehmen rechtsgeschäftlich vertreten haben (s. § 166 Rn. 24 ff.). Mit Hilfe der im Rahmen von § 166 entwickelten Grundsätze über die Wissenszurechnung und die Wissenszusammenrechnung lässt sich die Haftung eines Unternehmens oder einer sonstigen Organisation nach § 826 unter Umständen selbst dann begründen, wenn kein einziger Mitarbeiter persönlich nach § 826 haftet, weil er sämtliche Tatbestandsmerkmale der Vorschrift selbst verwirklicht hat (s. § 166 Rn. 31). Wenn zum Beispiel Mitarbeiter A in Ausführung seiner Verrichtungen für das Unternehmen objektiv sittenwidrig handelt, ihm jedoch die Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände fehlt, die hingegen in der Person von Mitarbeiter B, der von As Handeln nichts weiß, vorliegt, und B es überdies unterlässt, seine Kenntnisse unternehmensintern weiterzuleiten oder aktenmäßig festzuhalten, obwohl dies nach den Grundsätzen der Wissenszurechnung geboten wäre, kommt eine Haftung des Unternehmens nach §§ 826, 31, 166 in Betracht, obwohl weder A noch B eine zum Schadensersatz verpflichtende Handlung nach § 826 begangen haben. Hier kommt es also zu einer Unternehmenshaftung ohne Individualhaftung (allgemein § 823 Rn. 76 ff.).“19 Voraussetzung für eine Haftung nach § 826 BGB ist nach der Rechtsprechung weiterhin das Vorliegen des sog. Schutzzweckzusammenhangs.20 Dabei kommt es auf den Schutzzweck der konkret verletzten Verhaltensnorm, etwa des Verbots, den Gegner durch arglistige Täuschung zum Vertragsschluss zu bewegen, an21: „Mittelbar Betroffene sind in den Schutzbereich des § 826 nicht schon dann einbezogen, wenn sich die Handlung zwar gegen einen anderen richtet, der Täter indessen mit der Möglichkeit der Schädigung (auch) des Dritten gerechnet hat. Vielmehr kommt es darauf an, dass das Vermögen des Dritten nicht nur reflexartig als Folge der sittenwidrigen Schädigung eines anderen betroffen wird.“22 Ob hier die Schädigung von Käufern der manipulierten Pkw als vom Schutzzweckzusammenhang erfasst angesehen wird, hängt maßgeblich davon ab, wie die konkret verletzte Verhaltens- 19 Wagner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2013, § 826 Rdn. 36. 20 Wagner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2013, § 826 Rdn. 38. 21 Wagner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2013, § 826 Rdn. 38. 22 Wagner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2013, § 826 Rdn. 38. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 184/15 Seite 9 norm im vorliegenden Kontext beschrieben wird. Sieht man als verletzte Verhaltensnorm lediglich im engeren Sinne den Verstoß gegen das öffentlichrechtliche Verbot von Abschalteinrichtungen beim Inverkehrbringen von Kfz für die Nutzung im Straßenverkehr, erscheint eine Einbeziehung von Käufern der manipulierten Pkw in den Schutzzweck fraglich. Denkbar erscheint es aber auch, die konkret verletzte Verhaltensnorm weitergehend dahin zu bestimmen, dass Produkte herstellerseitig nicht wissentlich unter Verstoß gegen für das Produkt maßgebliche öffentlichrechtliche Bestimmungen bzw. mit versteckten Mängeln gefertigt werden, um hierdurch wirtschaftliche Vorteile zu erlangen. Schadensersatzberechtigt wäre im Ergebnis nach § 826 BGB jeder , dem gegenüber das Verhalten des Schädigers unter Beachtung der Schutzzweckerwägungen als vorsätzlich-sittenwidrige Schädigung zu qualifizieren ist.23 Hinsichtlich der Ursächlichkeit ist bei § 826 BGB „darauf hinzuweisen, dass ein besonders enger Zusammenhang zwischen dem inkriminierten Verhalten und dem Schaden nicht vorausgesetzt wird, sondern auch ein mittelbar, über verschiedene Zwischenglieder verursachter Nachteil ausreicht .“24 Für die Frage, inwieweit als Anspruchsgegner für einen betroffenen Verbraucher auch das Herstellerunternehmen selbst in Betracht kommt, ist weiterhin dessen Passivlegitimation erforderlich : „Die Passivlegitimation folgt auch im Rahmen des § 826 allgemeinen deliktsrechtlichen Grundsätzen. Für vorsätzlich-sittenwidrige Handlungen von Verrichtungsgehilfen hat der Geschäftsherr gemäß § 831 einzustehen, so dass die Möglichkeit der Entlastung durch Nachweis gehöriger Auswahl, Überwachung und Anleitung gegeben ist. (…) Das Verhalten von Leitungsorganen und anderen verfassungsmäßigen Vertretern juristischer Personen ist nach § 31 ohne die Möglichkeit einer Entlastung zuzurechnen. Neben dem Geschäftsherrn haften dem Geschädigten Verrichtungsgehilfen und Organwalter auch persönlich. Dies ist bei Gehilfen von geringer praktischer Bedeutung, bei Organwaltern allerdings umso wichtiger.“25 Im Ergebnis erscheint, abhängig von der jeweiligen Einzelfallkonstellation, das Bestehen eines Schadensersatzanspruchs von Käufern manipulierter Neuwagen gegen das Herstellerunternehmen selbst sowie ggf. dort handelnde Personen aufgrund von § 826 BGB grundsätzlich denkbar. 23 Wagner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2013, § 826 Rdn. 41. 24 Wagner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2013, § 826 Rdn. 7. 25 Wagner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2013, § 826 Rdn. 42. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 184/15 Seite 10 3. Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht Fraglich ist, ob ein Herstellerunternehmen mit der Manipulation von Emissionskontrollsystemen auch Straf- oder Ordnungswidrigkeitentatbestände erfüllen kann. Da sich nach deutschem Recht nur natürliche Personen strafbar machen können, scheidet eine Strafbarkeit des Autoherstellers selbst von vornherein aus.26 In Betracht kommt jedoch ggf. die Verhängung einer sog. Verbandsgeldbuße27 nach § 30 OWiG28: „§ 30 Geldbuße gegen juristische Personen und Personenvereinigungen (1) Hat jemand 1. als vertretungsberechtigtes Organ einer juristischen Person oder als Mitglied eines solchen Organs, 2. als Vorstand eines nicht rechtsfähigen Vereins oder als Mitglied eines solchen Vorstandes, 3. als vertretungsberechtigter Gesellschafter einer rechtsfähigen Personengesellschaft, 4. als Generalbevollmächtigter oder in leitender Stellung als Prokurist oder Handlungsbevollmächtigter einer juristischen Person oder einer in Nummer 2 oder 3 genannten Personenvereinigung oder 5. als sonstige Person, die für die Leitung des Betriebs oder Unternehmens einer juristischen Person oder einer in Nummer 2 oder 3 genannten Personenvereinigung verantwortlich handelt , wozu auch die Überwachung der Geschäftsführung oder die sonstige Ausübung von Kontrollbefugnissen in leitender Stellung gehört, eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen, durch die Pflichten, welche die juristische Person oder die Personenvereinigung treffen, verletzt worden sind oder die juristische Person oder die Personenvereinigung bereichert worden ist oder werden sollte, so kann gegen diese eine Geldbuße festgesetzt werden.“ Voraussetzung einer Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG ist mithin, dass eine Leitungsperson eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit schuldhaft bzw. vorwerfbar begangen hat, die verfolgbar ist und die in einem Zurechnungszusammenhang zum Unternehmen steht.29 26 Vgl. etwa BeckOK OWiG/Meyberg, Edition 8 (Stand: 15.07.2015), § 30 Rn. 1. 27 BeckOK OWiG/Meyberg, Edition 8 (Stand: 15.07.2015), § 30 Rn. 46. 28 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Februar 1987 (BGBl. I S. 602), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 13. Mai 2015 (BGBl. I S. 706) geändert worden ist. 29 Meyberg, in: Graf (Hrsg.), Beck'scher Online-Kommentar OWiG, Stand: 15.07.2015, Edition: 8, § 30 Rdn. 46. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 184/15 Seite 11 Neben den Mitgliedern des vertretungsberechtigten Organs einer juristischen Person30 kommen als taugliche Täter nach der Generalklausel des § 30 Absatz 1 Nr. 5 OWiG alle sonstigen Personen in Betracht, die faktisch für die Leitung eines Betriebes oder Unternehmens verantwortlich handeln .31 Als Bezugs-Straftat könnte bei der vorsätzlichen, verdeckten Verwendung illegaler Abschalteinrichtungen möglicherweise ein Betrug gem. § 263 StGB32 gegenüber und zu Lasten der Automobilkäufer in Betracht kommen. Eine hierfür erforderliche Täuschungshandlung könnte ggf. in der Angabe der NOx-Emissionswerte zu sehen sein, die bei der Messung im Rahmen des EG-Typgenehmigungsverfahrens ermittelt worden sind. Wenn man der Angabe der Emissionswerte lebensnah den konkludenten Erklärungswert beimisst, diese Werte seien ohne bewusst-manipulative, rechtswidrige bauliche Veränderungen des Herstellers ermittelt worden, kann darin eine Täuschungshandlung zu sehen sein, die ggf. auch zu einem entsprechenden Irrtum führt.33 Die weiterhin erforderliche Vermögensverfügung des Geschädigten wäre in der Zahlung des Kaufpreises zu sehen, die das Vermögen des Käufers zunächst unmittelbar mindert. Der Straftatbestand des Betruges setzt weiter voraus, dass in Folge der Vermögensverfügung auch ein Vermögensschaden entstanden ist. Dies erfordert eine negative Differenz zwischen dem Wert des Vermögens vor und nach der irrtumsbedingten Vermögensverfügung des Getäuschten.34 Ob eine derartige negative Vermögensdifferenz eingetreten ist, hängt bei Austauschgeschäften maßgeblich davon ab, ob der Marktwert des erlangten Gegenstandes dem gezahlten Kaufpreis entspricht. In dem Fall, dass ein Fahrzeug durch das Vorhandensein einer europarechtswidrigen Abschalteinrichtung objektiv mangelhaft ist, ist zu vermuten, dass sein Marktwert gegenüber einem Fahrzeug , dass keinen solchen Mangel aufweist, vermindert ist, was dafür spricht, einen Schaden zu bejahen. Eine nachträgliche „Schadenswidergutmachung“ – namentlich etwa in Form einer Nach- bzw. Umrüstung des betroffenen Pkw – bliebe insofern für die Verwirklichung des Betrugstatbestandes grundsätzlich ohne Bedeutung.35 30 Meyberg, in: Graf (Hrsg.), Beck'scher Online-Kommentar OWiG, Stand: 15.07.2015, Edition: 8, § 30 Rdn. 48. 31 Meyberg, in: Graf (Hrsg.), Beck'scher Online-Kommentar OWiG, Stand: 15.07.2015, Edition: 8, § 30 Rdn. 49. 32 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das durch Artikel 220 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474) geändert worden ist. 33 So auch Ahlbrecht/Basar, Konsequenzen der VW-Affäre: „Dieselgate“ als Tor ins Unternehmensstrafrecht? In: Legal Tribune Online, 30.09.2015, http://www.lto.de/persistent/a_id/17047/. 34 Fischer, StGB, 61. Aufl. 2014, § 263 Rdn. 110. 35 Vgl. Fischer, StGB, 61. Aufl. 2014, § 263 Rdn. 155 m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 184/15 Seite 12 Schließlich erfordert der Betrugstatbestand auch eine Bereicherungsabsicht des Täters, die Tat muss also subjektiv auf die Erlangung eines rechtswidrigen Vermögensvorteils für den Täuschenden oder einen Dritten gerichtet sein.36 Dabei muss der erstrebte Vorteil die Kehrseite des Schadens und ihm „stoffgleich“ sein, er muss also unmittelbare Folge der täuschungsbedingten Verfügung sein, welche den Schaden des Opfers herbeiführt.37 Das bedeutet, dass die Kaufpreiszahlung durch den Automobilkäufer nach der Absicht des Täuschenden zu einer unmittelbaren Mehrung seines eigenen Vermögens oder des Vermögens eines Dritten führen muss. Eine unmittelbare Vermögensmehrung der für einen Automobilhersteller handelnden natürlichen Person erscheint in Fallkonstellationen wie der vorliegenden eher fernliegend; insbesondere würde die Absicht, Provisions - oder Bonuszahlungen von Seiten des Automobilherstellers zu erhalten, insofern wohl nicht genügen.38 Denkbar bliebe eine Drittbereicherungsabsicht der handelnden Personen zugunsten des Automobilherstellers. Ob insofern die notwendige Stoffgleichheit gegeben ist, hängt neben weiteren Faktoren unter anderem maßgeblich vom gewählten Vertriebssystem ab und kann nur im jeweiligen Einzelfall beurteilt werden. Eine Verwirklichung des Betrugstatbestandes gegenüber und zu Lasten der Automobilkäufer erscheint damit je nach Konstellation des Einzelfalls grundsätzlich nicht ausgeschlossen. In dem Fall, dass eine Drittbereicherungsabsicht im Sinne des § 263 StGB zugunsten des eigenen Unternehmens zu bejahen ist, dürfte darin auch die Bereicherungsabsicht nach § 30 Absatz 1 OWiG vorliegen. Eine Bereicherungsabsicht muss im Einzelfall nachgewiesen werden. Als Rechtsfolge sieht § 30 Absatz 2 OWiG im Falle vorsätzlicher Begehung eine Geldbuße von bis zu 10 Mio. EUR vor.39 4. Fazit Die summarische Betrachtung möglicher zivil- und strafrechtlicher Konsequenzen einer herstellerseitigen Manipulation des Emissionskontrollsystems von Pkw hat ergeben, dass betroffene Verbraucher in derartigen Fällen neben etwaigen Gewährleistungsansprüchen gegenüber dem Verkäufer unter bestimmten Voraussetzungen wohl auch Schadensersatzansprüche direkt gegenüber dem Hersteller geltend machen können (§ 826 BGB). Eine Strafbarkeit des Herstellers kommt nicht in Betracht, da das deutsche Strafrecht nur natürliche Personen erfasst. 36 Fischer, StGB, 61. Aufl. 2014, § 263 Rdn. 186. 37 Fischer, StGB, 61. Aufl. 2014, § 263 Rdn. 187. 38 Vgl. Fischer, StGB, 61. Aufl. 2014, § 263 Rdn. 188. 39 Ursprünglich hatte die Obergrenze bei 1 Mio. EUR gelegen. Da dieses Höchstmaß angesichts der insbesondere im Bereich der Wirtschaftskriminalität erzielten Vorteile für nicht mehr angemessen erachtet worden war, wurde das Höchstmaß 2013 verzehnfacht (vgl. Meyberg, in: Graf (Hrsg.), Beck'scher Online-Kommentar OWiG, Stand: 15.07.2015, Edition: 8, § 30 Rdn. 96a). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 184/15 Seite 13 Allerdings ist abhängig vom jeweiligen Einzelfall die Verhängung einer Geldbuße von bis zu 10 Mio. EUR gegenüber dem manipulierenden Unternehmen denkbar, wenn eine verantwortliche Leitungsperson des Unternehmens eine Straftat begangen hat, die in einem Zurechnungszusammenhang mit dem Unternehmen steht und durch die das Unternehmen bereichert werden sollte (§ 30 OWiG). - Ende der Bearbeitung -