© 2014 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 181/14 Ist die Mensur bei schlagenden Studentenverbindungen mit dem Strafrecht vereinbar? Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 181/14 Seite 2 Ist die Mensur bei schlagenden Studentenverbindungen mit dem Strafrecht vereinbar? Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 181/14 Abschluss der Arbeit: 07. August 2014 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 181/14 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 4 2. Rechtliche Rahmenbedingungen 4 2.1. Körperverletzungsdelikte nach dem StGB 4 2.2. Einwilligung des Geschädigten 5 2.3. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Einwilligung 5 3. Urteil des Bundesgerichtshofs zur Strafbarkeit der Mensur 7 4. Literaturansichten zur Strafbarkeit der Mensur 9 5. Ergebnis 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 181/14 Seite 4 1. Einführung Der vorliegende Sachstand beschäftigt sich mit der Frage, ob eine Mensur bei schlagenden Studentenverbindungen nach deutschem Recht strafbar ist. Dazu werden zunächst die rechtlichen Rahmenbedingungen für eine mögliche Strafbarkeit erläutert . Anschließend werden die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) und die in der rechtswissenschaftlichen Literatur zu dieser Frage vertretenen Ansichten aufgezeigt. 2. Rechtliche Rahmenbedingungen 2.1. Körperverletzungsdelikte nach dem StGB Eine vorsätzliche Körperverletzung ist gemäß § 223 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) strafbar. Diese Vorschrift lautet: „Wer eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit schädigt , wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Nach der in der Rechtsprechung und Literatur verwendeten Formel ist eine körperliche Misshandlung im Sinne des § 223 Abs. 1 StGB ein übles, unangenehmes Behandeln, das nicht nur unerheblich beeinträchtigt1. Als eine Schädigung der Gesundheit im Sinne dieser Vorschrift verstehen die Rechtsprechung und die Literatur das Hervorrufen oder Steigern eines wenn auch vorübergehenden pathologischen Zustands, unabhängig davon, ob das Opfer zuvor gesund war oder eine Vorschädigung bestand2. § 224 Abs. 1 StGB zählt in den Nummern 1 bis 5 Formen der Tatbegehung auf, durch welche die vorsätzliche Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB zu einer gefährlichen Körperverletzung qualifiziert wird. Diese Formen der Tatbegehung sind durch die gefährliche Art ihrer Ausführung und nicht durch den Erfolg gekennzeichnet3. Wer die Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Unter einer Waffe im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB versteht die herrschende Ansicht in Rechtsprechung und Literatur eine Waffe im technischen Sinne4. Die ist ein Gegenstand, der 1 Vgl. BGH, Urteil vom 22.11.2006 - 2 StR 382/06, juris Rn. 4; Fischer, Strafgesetzbuch, 61. Auflage 2014, § 223 Rn. 4; Eser, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch Kommentar, 29. Auflage 2014, § 223 Rn. 3. 2 Vgl. BGH, Urteil vom 03.12.1997 - 2 StR 397/07, juris Rn. 20; Fischer, Strafgesetzbuch, 61. Auflage 2014, § 223 Rn. 8; Eser, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch Kommentar, 29. Auflage 2014, § 223 Rn. 5. 3 Fischer, Strafgesetzbuch, 61. Auflage 2014, § 224 Rn. 2. 4 BGH, Urteil vom 27.09.2001 - 4 StR 245/01, juris Rn. 9; Fischer, Strafgesetzbuch, 61. Auflage 2014, § 224 Rn. 9d; Lackner, in: Lackner/Kühl, Strafgesetzbuch Kommentar, 28. Auflage 2014, § 224 Rn. 2. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 181/14 Seite 5 nach seiner Art dazu bestimmt ist, erhebliche Verletzungen von Menschen zu verursachen5. Davon erfasst sind unter anderem die in § 1 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a Waffengesetz (WaffG)6 tragbaren Gegenstände, die ihrem Wesen nach dazu bestimmt sind, die Angriffs- und Abwehrfähigkeit von Menschen zu beseitigen oder herabzusetzen, insbesondere Hieb- und Stoßwaffen. Zu diesen Hieb- und Stichwaffen zählen nach der Rechtsprechung und weiten Teilen der Literatur geschliffene studentische „Schläger“7. Ebenfalls sei auf eine mögliche Strafbarkeit wegen schwerer Körperverletzung gemäß § 226 Abs. 1 StGB hingewiesen. Eine solche liegt vor, wenn durch die vorsätzlich begangene Körperverletzung fahrlässig eine in den Nummern 1 bis 3 des § 226 Abs. 1 StGB genannte schwere Folge verursacht wird. In § 226 Abs. 1 StGB heißt es: „Hat die Körperverletzung zur Folge, dass die verletzte Person 1. das Sehvermögen auf einem Auge oder beiden Augen, das Gehör, das Sprechvermögen oder die Fortpflanzungsfähigkeit verliert, 2. ein wichtiges Glied des Körpers verliert oder dauernd nicht mehr gebrauchen kann oder 3. in erheblicher Weise dauernd entstellt wird oder in Siechtum, Lähmung oder geistige Krankheit oder Behinderung verfällt, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren .“ 2.2. Einwilligung des Geschädigten Wer eine Körperverletzung mit Einwilligung der verletzten Person vornimmt, handelt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz ihrer Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt, § 228 StGB. Die Einwilligung eines durch die Körperverletzung Geschädigten nimmt dieser Tat grundsätzlich die Rechtswidrigkeit. Es handelt sich um einen Rechtfertigungsgrund. Weil die Rechtswidrigkeit der Tat eine Strafbarkeitsvoraussetzung ist, kann ein Täter bei Vorliegen der Einwilligung des potentiell Geschädigten nicht bestraft werden. Allerdings bleibt es bei der Rechtswidrigkeit der Tat, wenn diese - trotz des Vorliegens einer Einwilligung - gegen die guten Sitten im Sinne des § 228 StGB verstößt. 2.3. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Einwilligung In seinem Urteil vom 26. Mai 2004 hat der BGH die Voraussetzungen eines Verstoßes gegen die guten Sitten präzisiert: 5 Fischer, Strafgesetzbuch, 61. Auflage 2014, § 224 Rn. 9d. 6 In der Fassung vom 11.10.2002, abrufbar unter: http://www.gesetze-im-internet.de/waffg_2002/__2.html (Letzter Aufruf: 07.08.2014). 7 Vgl. BGH, Urteil vom 29.01.1953 - 5 StR 408/52, BGHSt 4, 31, der die Klingen der studentischen Schläger unter den objektiven Tatbestand des § 223a StGB a. F. (siehe Fn. 10) subsumiert hat; RG, Urteil vom 02.06.1880 - 1265/80, RGSt 1, 443, 445; Heinrich, in: Münchner Kommentar zum StGB, 2. Auflage 2013, § 1 WaffG Rn. 112; die weitere waffenrechtliche Beurteilung erfolgt durch den Fachbereich WD 3. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 181/14 Seite 6 „Gemäß § 228 StGB ist eine mit Einwilligung der verletzten Person vorgenommene Körperverletzung rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt. Der Begriff der „guten Sitten“ betrifft weniger außerrechtliche, ethisch-moralische Kategorien. Um dem Gebot der Vorhersehbarkeit staatlichen Strafens zu genügen, muss der Begriff der guten Sitten auf seinen rechtlichen Kern beschränkt werden. Ein Verstoß gegen die Wertvorstellungen einzelner gesellschaftlicher Gruppen oder des mit der Tat befassten Strafgerichts genügt nicht. Lässt sich nach rechtlichen Maßstäben die Sittenwidrigkeit nicht sicher feststellen, scheidet eine Verurteilung wegen eines Körperverletzungsdelikts aus“8. Im Rahmen der Begründung seines Beschlusses vom 20. Februar 2013 hat der BGH die Entwicklung seiner Bewertung zum Vorliegen eines Sittenverstoßes im Sinne des § 228 StGB anschaulich zusammengefasst: „Der Bundesgerichtshof beurteilt in seiner jüngeren Rechtsprechung die Unvereinbarkeit einer Körperverletzung mit den „guten Sitten“ im Sinne von § 228 StGB trotz Einwilligung des betroffenen Rechtsgutsinhabers im Grundsatz vorrangig anhand der Art und des Gewichts des eingetretenen Körperverletzungserfolges sowie des damit einhergehenden Gefahrengrades für Leib und Leben des Opfers (BGH, Urteile vom 11. Dezember 2003 – 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 42 und vom 26. Mai 2004 – 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 170 f., 172 f.; siehe auch BGH, Urteil vom 16. Dezember 2009 – 2 StR 446/09, NStZ 2010, 389 f.; anders noch BGH, Urteil vom 29. Januar 1953 – 5 StR 408/52, BGHSt 4, 24, 31). Diesem Maßstab entsprechend wird die Körperverletzung nach insoweit übereinstimmender höchstrichterlicher Rechtsprechung jedenfalls dann als sittenwidrig bewertet, wenn bei objektiver Betrachtung unter Einbeziehung aller maßgeblichen Umstände die einwilligende Person durch die Körperverletzungshandlung in konkrete Todesgefahr gebracht wird (BGH, Urteile vom 11. Dezember 2003 – 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 44 und vom 26. Mai 2004 – 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 173; BGH, Urteil vom 20. November 2008 – 4 StR 328/08, BGHSt 53, 55, 62 Rn. 28 und 63 Rn. 29; siehe auch BGH, Urteil vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08 [insoweit in NStZ 2009, 401-403 nicht abgedruckt]; BGH, Beschlüsse vom 20. Juli 2010 – 5 StR 255/10 und vom 12. Juni 2012 – 3 StR 163/12). Die Anknüpfung des für die Sittenwidrigkeit heranzuziehenden Maßstabs an das Ausmaß der mit der Körperverletzung einhergehenden Rechtsgutsgefährdung findet sich auch bereits in früheren Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (etwa BGH, Urteil vom 15. Oktober 1991 – 4 StR 349/91, BGHSt 38, 83, 87 „nur geringfügige Verletzung“). Die vorrangige Ausrichtung der Anwendung von § 228 StGB an dem mit der Körperverletzung einhergehenden Grad der Gefährdung der Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit wird auf die Erwägung gestützt, im Grundsatz sei lediglich bei (drohenden) gravierenden Verletzungen der staatliche Eingriff in die Dispositionsfreiheit des Rechtsgutsinhabers legitim (vor allem BGH, Urteil vom 26. Mai 2004 – 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 171 mit weiteren 8 BGH, Urteil vom 26.05.2004 - 2 StR 505/03, juris Rn. 16. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 181/14 Seite 7 Ncahweisem; siehe auch Fischer, StGB, 60. Aufl., § 228 Rn. 10 sowie Hardtung in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., § 228 Rn. 23)“9. (…) „Fehlen damit Absprachen und effektive Sicherungen für deren Einhaltung, die bei wechselseitigen Körperverletzungen zwischen rivalisierenden Gruppen den Grad der Gefährdung der Rechtsgüter Leben und Gesundheit der Beteiligten auf ein vor dem Hintergrund des Selbstbestimmungsrechts von Seiten des Staates tolerierbares Maß begrenzen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Mai 2004 – 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 171), verstoßen die Taten trotz der Einwilligung der Verletzten selbst dann gegen die guten Sitten (§ 228 StGB), wenn mit den einzelnen Körperverletzungserfolgen keine konkrete Todesgefahr verbunden war“ 10. 3. Urteil des Bundesgerichtshofs zur Strafbarkeit der Mensur Der BGH hatte in seinem Urteil vom 29. Januar 195311 über die Strafbarkeit einer Bestimmungsmensur mit Schlägern zu entscheiden. Im konkreten Fall waren die Klingen scharf geschliffen, die Kämpfer waren jedoch durch Binden, Bandagen und andere Schutzvorrichtungen gegen lebensgefährliche Verletzungen geschützt. Der BGH lehnte eine Strafbarkeit im Ergebnis ab. In seinen Entscheidungsgründen stellte der 5. Strafsenat klar, dass nicht zweifelhaft sein könne, dass eine Mensurverletzung den Tatbestand des § 223a StGB a. F.12 erfülle13. Der heutige Straftatbestand der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 StGB war nach zum Zeitpunkt der Entscheidung geltenden Recht in der Vorschrift des § 223a StGB a. F. verortet. Das Vorliegen einer Einwilligung des Geschädigten nach § 226a StGB a. F.14 nahm der BGH an. Ob der Täter im konkreten Fall seinem Kontrahenten tatsächlich Verletzungen zugefügt hatte, konnte jedoch nicht festgestellt werden. Der BGH prüfte anschließend, ob die mögliche Mensurverletzung nicht trotz der Einwilligung aufgrund eines Verstoßes gegen die guten Sitten 9 BGH, Beschluss vom 20.02.2013 - 1 StR 585/12, juris Rn. 8. 10 BGH, Beschluss vom 20.02.2013 - 1 StR 585/12, juris Rn. 21. 11 BGH, Urteil vom 29.01.1953 - 5 StR 408/52, BGHSt 4, 24 ff. 12 Der Wortlaut des § 223a Abs. 1 StGB lautete zum Zeitpunkt der Entscheidung: „Ist die Körperverletzung mittels einer Waffe, insbesondere eines Messers oder eines anderen gefährlichen Werkzeuges, oder mittels eines hinterlistigen Überfalls, oder von Mehreren gemeinschaftlich, oder mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung begangen, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter zwei Monaten ein.“, abrufbar unter: http://lexetius.com/StGB/223a#note-sign13 (Letzter Aufruf: 07.08.2014). 13 BGH, Urteil vom 29.01.1953 - 5 StR 408/52, BGHSt 4, 24, 31. 14 Der Wortlaut des heutigen § 228 StGB entspricht dem des zum Zeitpunkt der Entscheidung geltenden § 226a StGB. Dieser lautet: „Wer eine Körperverletzung mit Einwilligung der verletzten Person vornimmt, handelt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt.“, abrufbar unter: http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__228.html (Letzter Aufruf: 07.08.2014). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 181/14 Seite 8 rechtswidrig sei15. Im Ergebnis hat der BGH dies verneint. Bei der Erörterung der Bewertungskriterien eines Verstoßes gegen die guten Sitten betonte der BGH neben der Schwere der Verletzungen insbesondere auch die sonstigen Umstände und vor allem die Beweggründe der Beteiligten16. Dazu führte der BGH in seinen Entscheidungsgründen aus: „Die Strafkammer verneint das mit der Begründung, es gebe Sportarten, mit denen erheblich schwerere und gefährlichere Verletzungen wesensmäßig verbunden seien; das gelte vor allem für das Freistilringen und für das Boxen. Es entspreche „sicherlich der allgemeinen sittlichen Volksmeinung”, dass derartige Körperverletzungen durch die Einwilligung des Verletzten gerechtfertigt würden. Das müsse deshalb erst recht für die verhältnismäßig harmlosen Verletzungen bei der Schlägermensur gelten . Diese Begründung erscheint dem Senat freilich nicht ausreichend. Die Frage, ob eine Körperverletzung trotz Einwilligung des Verletzten gegen die guten Sitten verstößt , läßt sich nicht nur nach der Schwere der Verletzungen beantworten. Vielmehr spielen auch die sonstigen Umstände und vor allem die Beweggründe eine wesentliche Rolle. Die Beweggründe der schlagenden Studenten können nicht nur im sportlichen gesucht werden. Der studierenden Jugend stehen überaus zahlreiche Sportarten zur Verfügung, auch solche, die den persönlichen Mut ausbilden. Als einzige dieser Sportarten wird die Schlägermensur von weiten Kreisen des Volkes missbilligt, und zwar eben wegen ihrer geschichtlichen und gesellschaftlichen Besonderheiten , nämlich wegen ihres geschichtlichen Zusammenhangs mit dem Vorrechtsanspruch einzelner Stände. Die studierende Jugend erhebt nach ihrer Berufswahl den Anspruch, später die geistige Führung der Nation zu übernehmen. Es ist schwer vorstellbar, dass gerade sie sich aus rein sportlichen Gründen eine derart umstrittene Betätigung auswählen sollte. Vielmehr müssen die Beweggründe mindestens zum Teil in eben jenen Besonderheiten gesucht werden, die zu einer so weitgehenden Ablehnung der Mensur geführt haben. Zum mindesten kann der Anschein entstehen, als sei es den Mensurkämpfern um eine Wiederbelebung der erwähnten Standessitten und vielleicht auch der damit verbundenen Standesvorrechte gegangen. Das Landgericht tut diese Bedenken mit der Begründung ab, sie seien „im Grunde weltanschaulicher oder politischer Natur” und vermöchten „an den Erwägungen hinsichtlich der Sittengemäßheit nichts zu ändern”. Es versteht sich jedoch keineswegs von selbst, dass beides sich trennen ließe. Gleichwohl hat der Senat einen Sittenverstoß im Sinne des § 226 a StGB verneint. Diese Vorschrift erklärt einen Tatbestand dann für strafbar, wenn er sittenwidrig ist, sonst für straffrei. Eine solche Verweisung auf das Sittengesetz ist vom rechtsstaat- 15 BGH, Urteil vom 29.01.1953 - 5 StR 408/52, BGHSt 4, 24, 31. 16 BGH, Urteil vom 29.01.1953 - 5 StR 408/52, BGHSt 4, 24, 31. Heute nimmt der BGH eine Bewertung „vorrangig anhand der Art und des Gewichts des eingetretenen Körperverletzungserfolges sowie des damit einhergehenden Gefahrengrades für Leib und Leben des Opfers“ vor, vgl. dazu BGH, Beschluss vom 20.02.2013 - 1 StR 585/12, juris Rn. 8, dies ändert im Falle des Schutzes der Kämpfer gegen lebensgefährliche Verletzungen jedoch nichts an der strafrechtlichen Bewertung der Mensur. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 181/14 Seite 9 lichen Standpunkt aus nicht ohne grundsätzliche Bedenken. Sie kann weitgehende Unsicherheit darüber zur Folge haben, welche Tatbestände mit Strafe bedroht sein sollen. Eine derart unbestimmte Vorschrift muss, um in einem Rechtsstaat erträglich zu sein, zugunsten des Angeklagten eng ausgelegt werden. Als Verstoß gegen die guten Sitten kann deshalb in diesem strafrechtlichen Sinne nur das angesehen werden, was nach dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden zweifellos strafwürdiges Unrecht ist. Das ist bei der Bestimmungsmensur nicht der Fall. Auch unter ihren Gegnern befinden sich angesehene Persönlichkeiten, die sie aus den verschiedensten Gründen nicht mit krimineller Strafe bedroht sehen wollen. Es kann nicht die Rede davon sein, dass alle billig und gerecht Denkenden über die Sittenwidrigkeit der Bestimmungsmensur einig seien. Demgemäß kann der Angeklagte auch nicht wegen Körperverletzung bestraft werden“17. Zum Schluss fügte der BGH jedoch noch ausdrücklich hinzu, dass sich die vorstehenden Erörterungen nicht auf solche Mensuren bezögen, die der Austragung von Ehrenhändeln dienen18. 4. Literaturansichten zur Strafbarkeit der Mensur Die ganz herrschende Auffassung in der rechtswissenschaftlichen Literatur stimmt der ablehnenden Haltung des BGH hinsichtlich der Strafbarkeit der Mensur sowohl im Ergebnis als auch in seiner Begründung zu19. Allerdings sei an dieser Stelle klargestellt, dass die Grundsätze des BGH zum Sittenverstoß nach der überwiegenden Ansicht in der Literatur in Übereinstimmung mit dem Beschluss des BGH vom 20. Februar 201320 lediglich dann Geltung erlangen, solange nicht konkret der Eintritt einer schweren Körperverletzung oder Lebensgefahr bestehe21. Dies sei im Falle der Mensur anzunehmen wenn die Kontrahenten - wie im konkreten Fall des BGH - mit Vorrichtungen zum Schutz gegen das Leben gefährdende Verletzungen, beispielweise mit Binden oder Bandagen, kämpfen22. 17 BGH, Urteil vom 29.01.1953 - 5 StR 408/52, BGHSt 4, 24, 31 f. 18 BGH, Urteil vom 29.01.1953 - 5 StR 408/52, BGHSt 4, 24, 32. 19 Vgl. Stree/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch Kommentar, 29. Auflage 2014 § 228 Rn. 32; Paeffgen, in: Kinhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, 4. Auflage 2013, § 228 Rn. 109; Engländer, in: Matt/Renzikowski, Strafgesetzbuch Kommentar, 2013, § 228 Rn. 8; Hardtung in: Münchener Kommentar zum StGB, 2. Auflage 2012, § 228 Rn. 35; Jescheck, „Die Behandlung des Zweikampfs in der Strafrechtsreform“, JZ 1957, 108, 112; Hartung, „Schlägermensur und Strafrecht“, NJW 1954, 1225 ff; a. A. E. Schmidt, „Schlägermensur und Strafrecht“, JZ 1954, 369 ff. 20 BGH, Beschluss vom 20.02.2013 - 1 StR 585/12, juris Rn. 8 ff. 21 Stree/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch Kommentar, 29. Auflage 2014 § 228 Rn. 32; Hardtung in: Münchener Kommentar zum StGB, 2. Auflage 2012, § 228 Rn. 35. 22 BGH, Urteil vom 29.01.1953 - 5 StR 408/52, BGHSt 4, 24; Hardtung in: Münchener Kommentar zum StGB, 2. Auflage 2012, § 228 Rn. 35. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 181/14 Seite 10 5. Ergebnis Nach Auffassung des BGH ist eine Strafbarkeit der Mensur bei schlagenden Studentenverbindungen in nahezu vollständiger Übereinstimmung mit dem rechtswissenschaftlichen Schrifttum zu verneinen, weil der mit der Mensur verbundene körperliche Eingriff aufgrund der Einwilligung gerechtfertigt und ein Verstoß gegen die guten Sitten im Falle des Schutzes der Kämpfer gegen lebensgefährliche Verletzungen zu verneinen sei.