© 2019 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 180/19 Die spanische Strafjustiz im Kontext des Europäischen Haftbefehls Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Einleitung Mit dem Europäischen Haftbefehl besteht für die Justizbehörden eines EU-Mitgliedsstaates die Möglichkeit, in einem anderen Mitgliedstaat um die Festnahme und Übergabe einer Person zum Zwecke der Strafverfolgung oder -vollstreckung zu ersuchen. Das Verfahren findet in allen EU- Ländern Anwendung. Es beruht auf den EU-rechtlichen Grundsätzen des gegenseitigen Vertrauens und der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen. Vor diesem Hintergrund sind jedoch gewisse rechtsstaatliche Anforderungen an die Ausgestaltung des Justizwesens eines Erlassstaates, wie beispielsweise Spanien, zu stellen. Hierzu wird zunächst die spanische Gerichtsorganisation vorgestellt (Ziffer 2), um anschließend auf die verfassungsrechtlichen Besonderheiten der spanischen Staatsanwaltschaft einzugehen (Ziffer 3). Schließlich werden die Anforderungen an den Europäischen Haftbefehl im Lichte des Urteils des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 27. Mai 2019 erläutert (Ziffer 4). Nach seinen Verfahrensgrundsätzen prüft der Wissenschaftliche Dienst keine Einzelfälle. Es erfolgen deshalb allgemeine Ausführungen zur spanischen Gerichtsorganisation und Staatsanwaltschaft unter Berücksichtigung des Urteils des EuGH. 2. Die Gerichtsorganisation Die Gerichte in Spanien sind territorial gegliedert. Die Gerichtsbarkeit auf nationaler Ebene üben das Nationale Gericht für Straf-, Verwaltungs- und Sozialrecht (Audiencia Nacional), der Oberste Gerichtshof (Tribunal Supremo) sowie die Zentralen Ermittlungsgerichte (Juzgados Centrales de Instrucción) aus. Auf der Ebene der Autonomen Gemeinschaften existieren sog. Tribunales Superiores de Justicia. In den Gerichtsbezirken (Partidos Judiciales) bestehen ein oder mehrere Ermittlungsgerichte der Strafgerichtsbarkeit (Juzgados des Instrucción) und Gerichte erster Instanz der Zivilgerichtsbarkeit (Juzgados de Primera Instancia), die ihren Sitz jeweils im Hauptort des Gerichtsbezirkes haben . In kleineren Gerichtsbezirken sind sie häufig zu sog. Juzgados de Primera Instancia e Instrucción zusammengefasst. In Gemeinden, die nicht Hauptort eines Gerichtsbezirks sind, residiert ein Friedensrichter (Juzgado de Paz), bei denen es sich aber nicht um Berufsrichter handelt .1 Leitendes Organ der spanischen Judikative ist der Generalrat der rechtsprechenden Gewalt (Consejo General del Poder Judicial). Er setzt sich neben dem Präsidenten des Obersten Gerichtshofes aus 12 Richtern und jeweils vier vom Kongress bzw. vom Senat vorgeschlagenen Anwälten oder sonstigen Juristen zusammen, die vom König ernannt werden.2 Zu seinen Aufgaben gehört insbesondere das Vorschlagen von Mitgliedern für die höchsten Gerichte und die Mitwirkung bei 1 Vgl. Art. 53ff. des Ley Orgánica del Poder Judicial vom 01.07.1985, zuletzt geändert am 25.07.2019, abrufbar unter: https://www.boe.es/eli/es/lo/1985/07/01/6/con (zuletzt abgerufen am: 12.11.2019). 2 Vgl. Art. 122.3 der Spanischen Verfassung vom 29.12.1978, abrufbar unter: https://www.boe.es/legislacion /documentos/ConstitucionALEMAN.pdf (zuletzt abgerufen am: 12.11.2019). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 180/19 Seite 5 der Auswahl sowie der Aus- und Fortbildung der Richter, aber auch der (disziplinarrechtlichen) Aufsicht der Gerichte.3 Ebenso wie in anderen demokratisch verfassten Staaten erfolgt in Spanien die Ausübung der richterlichen Gewalt sowohl durch Einzelrichter (juez) als auch durch Kollegialrichter (magistrado ). Nach der spanischen Verfassung sind die Richter unabhängig und unabsetzbar. Sie sind nur dem Gesetz unterworfen.4 3. Die Staatsanwaltschaft Die spanische Staatsanwaltschaft (Ministerio Fiscal) ist ein verfassungsmäßig verankertes Organ mit eigener Rechtspersönlichkeit, das im Rahmen der rechtsprechenden Gewalt funktionell eigenständig ist. Die Staatsanwaltschaft ist gegenüber den Gerichten selbstständig. Sie ist intern hierarchisch geprägt, übergeordnete Staatsanwaltschaften können deshalb untergeordneten Einheiten Weisungen erteilen.5 Nach der spanischen Verfassung erfüllen die Staatsanwaltschaften ihre Funktionen durch Beamte gemäß den Prinzipien der Handlungseinheit und Weisungsgebundenheit sowie unter Achtung der Grundsätze der Legalität und Unparteilichkeit.6 Der Generalstaatsanwalt (Fiscal General del Estado) ist der oberste Vertreter der Staatsanwaltschaft für das gesamte Staatsgebiet Spaniens. Ihm obliegt es, die für die Dienstausübung der Staatsanwaltschaft erforderlichen Weisungen zu erteilen sowie allgemein die Leitung und Kontrolle der Staatsanwaltschaft wahrzunehmen.7 Die Regierung benennt den Generalstaatsanwalt, der seinerseits alle obersten Staatsanwaltschaften in den Regionen besetzt.8 Die Regierung kann beim Generalstaatsanwalt die nach ihrer Ansicht zu ergreifenden Maßnahmen anregen, ohne dass dies jedoch verbindlich ist.9 3 Vgl. Art. 560 des Ley Orgánica del Poder Judicial vom 01.07.1985 in der Fassung vom 28.06.2013, zuletzt geändert am 25.07.2019, abrufbar unter: https://www.boe.es/diario_boe/txt.php?id=BOE-A-2013-7061 (zuletzt abgerufen am: 12.11.2019). 4 Vgl. Art. 117.1 der Spanischen Verfassung vom 29.12.1978, abrufbar unter: https://www.boe.es/legislacion /documentos/ConstitucionALEMAN.pdf (zuletzt abgerufen am: 13.11.2019). 5 Vgl. Art. 22, 23 des Ley Orgánica del Ministerio Público, Ley No. 133-11 vom 09.06.2011, abrufbar unter: http://www.oas.org/juridico/pdfs/mesicic4_repdom_ley133.pdf (zuletzt abgerufen am: 13.11.2019). 6 Vgl. Art. 122.3 der Spanischen Verfassung vom 29.12.1978, abrufbar unter: https://www.boe.es/legislacion /documentos/ConstitucionALEMAN.pdf (zuletzt abgerufen am: 13.11.2019). 7 Vgl. Art. 22.2 des Estatuto Orgánico del Ministerio Fiscal, Ley 50/1981 vom 02.02.1982, zuletzt geändert am 11.03.2010, abrufbar unter: https://www.boe.es/eli/es/l/1981/12/30/50/con (zuletzt abgerufen am 13.11.2019). 8 Vgl. Art. 124 der Spanischen Verfassung vom 29.12.1978, abrufbar unter: https://www.boe.es/legislacion /documentos/ConstitucionALEMAN.pdf (zuletzt abgerufen am: 12.11.2019). 9 Vgl. Art. 8 des Estatuto Orgánico del Ministerio Fiscal, Ley 50/1981 vom 02.02.1982, zuletzt geändert am 11.03.2010, abrufbar unter: https://www.boe.es/eli/es/l/1981/12/30/50/con (zuletzt abgerufen am 18.11.2019). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 180/19 Seite 6 4. Anforderungen an den Europäischen Haftbefehl Der EuGH hat mit Urteil vom 27. Mai 2019 eine Entscheidung über die Anforderungen an die justizielle Unabhängigkeit beim Erlass eines Europäischen Haftbefehls getroffen. Der dem Urteil zugrunde liegende Sachverhalt betraf ein Vorabentscheidungsersuchen des irischen High Courts zur Gültigkeit eines von einer deutschen Staatsanwaltschaft erlassenen Europäischen Haftbefehls . Es ging dabei insbesondere um die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Staatsanwaltschaft als zuständige „ausstellende Justizbehörde“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 des entsprechenden Rahmenbeschlusses anzusehen ist.10 Der EuGH kommt in seinem Urteil zu dem Ergebnis, dass „ausstellende Behörde“ im Sinne des Rahmenbeschlusses nicht solche Staatsanwaltschaften sein können, die der Gefahr ausgesetzt sind, bei einer Entscheidung über die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls Anordnungen oder Einzelweisungen seitens der Exekutive, etwa eines Justizministers, unterworfen zu sein. Überdies müssen, wenn in einen Mitgliedsstaates für die Ausstellung eine Behörde zuständig ist, deren Entscheidung und insbesondere ihre Verhältnismäßigkeit in einer Weise gerichtlich überprüfbar sein, die den Erfordernissen eines wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes voll und ganz genügt.11 Die den Haftbefehl ausstellende Behörde müsse in der Lage sein, ihre Aufgabe objektiv unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Gesichtspunkte auszuüben. Dies setzt voraus, dass Rechts- und Organisationsvorschriften existieren, die gewährleisten, dass die Erlassbehörde nicht der Gefahr einer Einzelweisung seitens der Exekutive unterworfen ist.12 Für die Staatsanwaltschaft in der Bundesrepublik Deutschland kommt der EuGH zu dem Ergebnis , es sei nicht völlig auszuschließen, dass Entscheidungen der Staatsanwaltschaft über die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls im Einzelfall einer Weisung des Justizministers unterworfen werden könnte. Dies folge aus dem Weisungsrecht der Justizminister nach §§ 146, 147 GVG.13 10 Vgl. EuGH, Urt. vom 27.05.2019 - C-508/18, C-82/19 PPU, abrufbar unter: http://curia.europa.eu/juris /document/document.jsf?text=&docid=214466&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1 (zuletzt abgerufen am: 12.11.2019); Art. 6 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 (2002/584/JI) über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. Nr. L 190 S. 1), in der durch den Art. 2 des Rahmenbeschlusses 2009/299/JI vom 26.2.2009 (ABl. Nr. L 81 S. 24) geänderten Fassung, abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/ALL/?uri=CELEX%3A32002F0584 (zuletzt abgerufen am: 12.11.2019). 11 Vgl. EuGH, Urt. vom 27.05.2019 - C-508/18, C-82/19 PPU, Ls. 1, 12 abrufbar unter: http://curia.europa.eu/juris /document/document.jsf?text=&docid=214466&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1 (zuletzt abgerufen am: 12.11.2019). 12 Vgl. EuGH, Urt. vom 27.05.2019 - C-508/18, C-82/19 PPU, Rn. 73f. 13 Vgl. §§ 146, 147 Nr. 1, Nr. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 09.05.1975 (BGBl. I S. 1077), zuletzt geändert durch Gesetz vom 08.07.2019 (BGBl. I S. 1002);, abrufbar unter: https://dejure.org/gesetze/GVG/146.html bzw. https://dejure.org/gesetze/GVG/147.html (zuletzt abgerufen am: 12.11.2019). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 180/19 Seite 7 Dies gelte auch vor dem Hintergrund, dass für die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft das Legalitätsprinzip eingreife und die Staatsanwälte als Beamte nicht wegen bloßer Nichtbeachtung einer Weisung ihres Amtes enthoben werden können. Auch eine nachträgliche gerichtliche Kontrolle biete keinen hinreichenden Schutz vor Einzelweisungen durch den Justizminister.14 Für die spanische Justiz liegt bislang keine vergleichbare Entscheidung des EuGH vor. Ein Weisungsrecht der spanischen Executive gegenüber dem Generalstaatsanwalt oder den Staatsanwaltschaften , dass dem Weisungsrecht deutscher Justizminister nach den §§ 146, 147 GVG vergleichbar wäre, ist nicht ersichtlich. *** 14 Vgl. EuGH, Urt. vom 27.05.2019 - C-508/18, C-82/19 PPU, Rn. 79f., abrufbar unter: http://curia.europa.eu/juris /document/document.jsf?text=&docid=214466&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1 (zuletzt abgerufen am: 12.11.2019).