© 2019 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 179/19 Einsatz von Vertrauenspersonen und rechtsstaatswidrige Tatprovokation Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 179/19 Seite 2 Einsatz von Vertrauenspersonen und rechtsstaatswidrige Tatprovokation Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 179/19 Abschluss der Arbeit: 22.11.2019 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 179/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Einsatz von V-Personen 4 3. Tatprovokation durch V-Personen 5 3.1. Grundsätzliches zur Tatprovokation 5 3.2. Staatlicher Einsatz 7 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 179/19 Seite 4 1. Einleitung Vertrauenspersonen (V-Personen) werden – ohne selbst einer Strafverfolgungsbehörde anzugehören – von den Ermittlungsbehörden zur „Gewinnung eines Anfangsverdachts“ beziehungsweise zur „Aufklärung von Straftaten“ im Bereich der schweren, mittleren und insbesondere der organisierten Kriminalität eingesetzt.1 Auch die Nachrichtendienste beauftragen V-Personen zur Aufklärung der organisierten Kriminalität sowie des internationalen Terrorismus.2 Ihre Identität wird grundsätzlich geheim gehalten.3 2. Einsatz von V-Personen Der Einsatz von V-Personen ist in der Strafprozessordnung (StPO)4 nicht ausdrücklich geregelt. Dieser richtet sich daher in Bezug auf einen Einsatz zur Strafverfolgung durch die Staatsanwaltschaft beziehungsweise die Polizei nach den §§ 161 und 163 StPO.5 § 161 Abs. 1 Satz 1 StPO ermächtigt als Ermittlungsgeneralklausel die Staatsanwaltschaft „zu verhältnismäßigen grundrechtsrelevanten Ermittlungsmaßnahmen, die eine minder intensive Eingriffswirkung entwickeln und in der StPO nicht speziell normiert sind“.6 Aus der Wendung „soweit nicht andere gesetzliche Vorschriften ihre Befugnisse besonders regeln“ folgt, dass diese besonders normierten Maßnahmen nur unter den dort genannten Voraussetzungen zulässig sind.7 Maßnahmen, die nicht in solchen Vorschriften normiert sind, aber eine vergleichbare Eingriffsintensität erreichen, sind nicht von der Generalklausel gedeckt.8 Als Leitlinie kann gelten, dass nur solche Ermittlungshandlungen auf die Generalklausel gestützt werden können, die zur Aufklärung eines Anfangsverdachtes verhältnismäßig sind.9 Maßnahmen, welche lediglich im Falle höherer Verdachtsgrade „statthaft sind“, müssen durch besondere Vorschriften legitimiert werden.10 1 Griesbaum, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Auflage 2019, § 163 Rn. 18; Eisenberg, in: Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 10. Auflage 2017, Rn. 1035. 2 Soiné, in: Erkenntnisverwertung von Informanten und V-Personen der Nachrichtendienste in Strafverfahren, NStZ 2007, 247. 3 Griesbaum, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Auflage 2019, § 163 Rn. 18. 4 Strafprozeßordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), die zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 11. Juli 2019 (BGBl. I S. 1066) geändert worden ist. 5 BGH, Urteil vom 18.11.1999, Az. 1 StR 221/99, NJW 2000, 1123, 1125. 6 Kölbel, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2016, § 161 Rn. 7. 7 Kölbel, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2016, § 161 Rn. 7. 8 Kölbel, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2016, § 161 Rn. 8. 9 Kölbel, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2016, § 161 Rn. 8. 10 Kölbel, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2016, § 161 Rn. 8. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 179/19 Seite 5 Gleiches gilt auch für die Generalklausel des § 163 Abs. 1 Satz 2 StPO11, in der die Befugnisse der Polizei normiert sind. Teilweise wird vertreten, die Privatperson dürfe sich jedoch lediglich „umhören“.12 Bei gezielten und heimlichen Nachforschungen, insbesondere dem Einschleichen in Privatbereiche, täuschungsförmigem Vertrauensaufbau oder der dauerhaften Nutzung einer vorgespiegelten Identität sei die Schaffung einer spezialgesetzlichen Regelung notwendig.13 Auch wird vertreten, dass es eines sachlichen Grundes bedarf, den Einsatz von V-Personen dem Einsatz verdeckter Ermittlern vorzuziehen, um eine Umgehung der Regelungen betreffend des Einsatzes verdeckter Ermittler zu verhindern.14 Die Beauftragung von V-Personen ist grundsätzlich „zur Bekämpfung besonders gefährlicher und schwer aufklärbarer Kriminalität“ zulässig.15 3. Tatprovokation durch V-Personen 3.1. Grundsätzliches zur Tatprovokation Nach dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ist eine Verwendung von Beweismitteln , die durch polizeiliche Anstiftung gewonnen werden, unzulässig, da dem Angeklagten damit das Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)16 genommen würde.17 Anstiftung durch die Polizei liegt nach dem EGMR vor, wenn V-Personen, die im Auftrag der Polizei tätig werden, nicht lediglich Straftaten verfolgen, sondern die Personen, „auf die sie angesetzt sind, derart beeinflussen, dass sie sie anstiften, eine Straftat zu begehen, die sie sonst nicht begangen hätten, um so die Straftat nachweisen zu können , das heißt um Beweise für sie zu haben und sie zu verfolgen“.18 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ist eine staatliche Tatprovokation gegeben , wenn die vom „Amtsträger geführte“ V-Person „über das bloße ‚Mitmachen‘ hinaus in Richtung auf eine Weckung der Tatbereitschaft oder eine Intensivierung der Tatplanung mit einiger Erheblichkeit stimulierend auf den Täter einwirkt“.19 Sie ist nur zulässig, wenn ein den § 152 11 Kölbel, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2016, § 163 Rn. 22. 12 Kölbel, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2016, § 163 Rn. 22. 13 Kölbel, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2016, § 163 Rn. 22. 14 Kölbel, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2016, § 163 Rn. 22. 15 BGH, Urteil vom 18.11.1999, Az. 1 StR 221/99, NJW 2000, 1123. 16 Die Europäische Menschenrechtskonvention in der Fassung der Protokolle Nr. 11 und 14 samt Zusatzprotokoll und Protokolle Nr. 4, 6, 7, 12, 13 und 16. 17 EGMR, Urteil vom 05.02.2008, Az. 74420/01, NJW 2009, 3565, 3566, Leitsatz, Rn. 54. 18 EGMR, Urteil vom 05.02.2008, Az. 74420/01, NJW 2009, 3565, 1366, Rn. 55. 19 BGH, Urteil vom 10.06.2015, Az. 2 StR 97/14, NStZ 2016, 52, 54, Rn. 24. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 179/19 Seite 6 Abs. 2, § 160 StPO entsprechender Tatverdacht besteht, dass die betroffene Person „an einer bereits begangenen Straftat beteiligt gewesen oder zu einer zukünftigen Straftat bereit“ ist.20 Eine unverdächtige, zunächst nicht tatgeneigte Person darf nicht in einer dem Staat zurechenbaren Weise verleitet werden.21 Eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK liegt also vor, „wenn eine unverdächtige und zunächst nicht tatgeneigte Person durch eine von einem Amtsträger geführte Vertrauensperson in einer dem Staat zurechenbaren Weise zu einer Straftat verleitet wird und dies zu einem Strafverfahren führt“.22 Auch bei Vorliegen eines Anfangsverdachts „kann eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation vorliegen, soweit die Einwirkung im Verhältnis zum Anfangsverdacht ‚unvertretbar übergewichtig‘ ist“.23 Weiterhin führt der BGH aus: „Im Rahmen der erforderlichen Abwägung sind insbesondere Grundlage und Ausmaß des gegen den Betroffenen bestehenden Verdachts, Art, Intensität und Zweck der Einflussnahme sowie die eigenen, nicht fremdgesteuerten Aktivitäten des Betroffenen in den Blick zu nehmen“ […]. „Spricht eine polizeiliche Vertrauensperson eine betroffene Person lediglich ohne sonstige Einwirkung darauf an, ob diese Betäubungsmittel beschaffen könne, handelt es sich nicht um eine Tatprovokation“ […].24 In der Rechtsprechung des BGH wurde das Verleiten zu einer Straftat durch die V-Person bei der Strafzumessung berücksichtigt.25 Dann überprüfte der EGMR die Strafzumessungslösung und entschied , dass jedes als Ergebnis polizeilicher Tatprovokation gewonnene Beweismittel ausgeschlossen werden oder ein Verfahren mit vergleichbaren Konsequenzen gewählt werden müsse.26 Daraufhin beschloss zunächst der 1. Strafsenat des BGH, dass bei einer solchen Tatprovokation grundsätzlich kein Verfahrenshindernis begründet werde.27 Kurze Zeit später urteilte der 2. Strafsenat, dass regelmäßig die Annahme eines Verfahrenshindernisses die Folge einer rechtsstaatswidrigen Provokation einer Straftat sein solle.28 Eine Strafbarkeit des Staates scheidet allerdings aus. Denn im deutschen Recht können sich lediglich natürliche Personen strafbar machen.29 20 BGH, Urteil vom 10.06.2015, Az. 2 StR 97/14, NStZ 2016, 52, 54, Rn. 24. 21 BGH, Urteil vom 10.06.2015, Az. 2 StR 97/14, NStZ 2016, 52, 54, 55, Rn. 24. 22 BGH, Urteil vom 07.12.2017, Az. 1 StR 320/17, NStZ 2018, 355, 356, 357. 23 BGH, Urteil vom 07.12.2017, Az. 1 StR 320/17, NStZ 2018, 355, 357. 24 BGH, Urteil vom 07.12.2017, Az. 1 StR 320/17, NStZ 2018, 355, 357. 25 BGH, Urteil vom 18.11.1999, Az. 1 StR 221/99, NJW 2000, 1123, 1124. 26 EGMR, Urteil vom 23.10.2014, Az. 54648/09, NJW 2015, 3631, 3634, 3635, Rn. 64, 68, 69. 27 BGH, Beschluss vom 19.05.2015, Az. 1 StR 128/15, NStZ 2015, 541, 542, Rn. 5, 6 ff. 28 BGH, Urteil vom 10.06.2015, Az. 2 StR 97/14, NStZ 2016, 52, 56, Leitsatz, Rn. 47, 48 ff., 53. 29 Joecks, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017, Vorbemerkung zu § 25 Rn. 16. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 179/19 Seite 7 3.2. Staatlicher Einsatz Damit überhaupt von einer staatlichen Tatprovokation die Rede sein kann, muss die V-Person von einem Amtsträger geführt werden.30 Es ist erforderlich, dass sie „im Auftrag oder mit Billigung “ der jeweiligen Behörde „tätig geworden ist und im Rahmen“ ihrer „Tätigkeit die Grenzen der zulässigen Einwirkung auf den Täter überschritten hat“.31 Dabei soll es ausreichen, dass die Behörde Kenntnis von der Vorgehensweise hat und "diese ausdrücklich oder stillschweigend billigt "32 oder dass die Behörde mit dem Verhalten rechnen konnte und nicht einschreitet.33 Das Handeln von Personen, die ehemals im Dienste polizeilicher Ermittlungsbehörden standen, jedoch zur Zeit der Anstiftung nicht mehr für diese tätig sind, wird dem Staat nicht zugerechnet.34 Im Hinblick auf ein zuvor ergangenes Urteil des EGMR35 führt der BGH aus: „In tatsächlicher Hinsicht entspricht die dem Staat zuzurechnende Tätigkeit der VP“ (Vertrauensperson ) „der vom EGMR beurteilten Einwirkungen durch die VE“ (Verdeckten Ermittler ) „aus Portugal. Die hier bei der Tatprovokation eingesetzte VP war bereits zuvor für die Polizei als Lockspitzel tätig. Der VP-Führer hatte Kontakt zu ihr. Er hätte mithin“ [...] „das Vorliegen eines Tatverdachtes bewerten und die Tatausführung unterbinden können. Die Tatprovokation erfolgte auch nicht aus ‚privaten‘ Motiven (z.B. Rache) der VP. Es liegt kein Exzessverhalten lediglich ‚bei Gelegenheit‘ seiner staatlich geförderten Tätigkeit vor. Diese hält sich vielmehr im Rahmen dessen, was üblicherweise auch mittels Einsatzes von VP zur Erfüllung der hoheitlichen Aufgabe der Verbrechensbekämpfung praktiziert wird."36 Geht der „Polizeihelfer“ gänzlich autonom und unvorhersehbar vor, stellt dies „keine polizeiliche Einsatz- oder Maßnahmeform“ dar.37 Eine Beschränkung der Verwertbarkeit privat erlangter Beweismittel im Strafprozess kann sich dann lediglich aus den allgemeinen Regeln ergeben.38 *** 30 BGH, Urteil vom 10.06.2015, Az. 2 StR 97/14, NStZ 2016, 52, 54, Rn. 24. 31 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.04.1999, Az. 2a Ss 75-99 - 13-99 III, NStZ-RR 1999, 281, 282. 32 Kölbel, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2016, § 163 Rn. 23. 33 Kölbel, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2016, § 163 Rn. 23. 34 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.04.1999, Az. 2a Ss 75-99 - 13-99 III, NStZ-RR 1999, 281, 282. 35 EGMR, Urteil vom 09.06.1998, Az. 44/1997/828/1034, abrufbar unter https://hudoc .echr.coe.int/eng#{%22itemid%22:[%22001-58193%22]}, letzter Abruf: 22.11.2019. 36 BGH, Urteil vom 18.11.1999, Az. 1 StR 221/99, NJW 2000, 1123, 1125. 37 Kölbel, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2016, § 163 Rn. 23. 38 Kölbel, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2016, § 163 Rn. 23.