Schutz vor ausländischen Staatsfonds Zur Zulässigkeit und Möglichkeiten von staatlicher Kontrolle bei ausländischen Investitionen - Ausarbeitung - © 2007 Deutscher Bundestag WD 7 - 178/07 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Schutz vor ausländischen Staatsfonds Zur Zulässigkeit und Möglichkeiten von staatlicher Kontrolle bei ausländischen Investitionen Ausarbeitung WD 7 - 178/07 Abschluss der Arbeit: 27. August 2007 Fachbereich WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - Zusammenfassung - Unter der derzeitigen Rechtslage hat die Bundesregierung/das Parlament nur die Möglichkeit , Firmenaufkäufe im Bereich der Rüstungsindustrie zu verhindern. Weitere Branchen oder Firmen im allgemeinen sind nicht geschützt und schutzfähig. Es steht dem Gesetzgeber jedoch frei, eine Regelung zu treffen, wonach der Kauf bestimmter nationaler Unternehmen von einer Genehmigung der Bundesregierung/des Parlaments abhängig gemacht wird. Eine solche Regelung verstößt bei Beachtung gewisser Voraussetzungen nicht gegen das Grundrecht der Kapitalverkehrsfreiheit des EG-Vertrags. Inhalt 1. Einleitung 4 2. Bestehende Möglichkeiten und Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung 5 3. Vereinbarkeit einer staatlichen Intervention mit Europarecht 6 3.1. Personeller Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit 6 3.2. Sachlicher Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit 7 3.3. Zwischenergebnis 7 3.4. Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit 7 3.5. Rechtfertigung der Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit 8 3.5.1. Die beiden Möglichkeiten zur Einschränkung einer Grundfreiheit 8 3.5.2. Rechtfertigung der Beschränkungen gem. Art. 58 Absatz 1 b) EG 9 3.5.3. Allgemeine Handlungsanweisungen 11 3.5.4. Verhältnismäßigkeitsprinzip 12 4. Sonstige Fragen 13 5. Fazit 14 1. Einleitung In den letzten Jahren haben Länder wie China, Russland und einige OPEC-Staaten viele Devisenreserven angesammelt – China beispielsweise verfügt über vermutete Devisenreserven von mehr als 1.000 Mrd. EUR.1 Nachdem diese Länder über längere Zeit eine eher konservative Anlagestrategie mit dem Kauf ausländischer Staatsanleihen betrieben, wird nun erwartet, dass die Devisen über staatliche Fondsgesellschaften zum teilweisen und vollständigen Kauf westlicher Unternehmen genutzt werden. Die deutsche Bundesregierung befürchtet, dass diese ausländischen Staaten auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten große deutsche Unternehmen übernehmen oder die Mehrheit der Anteile aufkaufen könnten.2 Es fragt sich deshalb, welche Gesetzesmaßnahmen getroffen werden müssen und können , um einen möglichen Verkauf großer deutscher Unternehmen an ausländische Regierungen zu verhindern. Dabei steht im Mittelpunkt der Diskussion, den Unternehmenskauf in bestimmten sensiblen Branchen wie Energie, Telekommunikation und Logistik von einer staatlichen Genehmigung abhängig zu machen. Gegenstand der Ausarbeitung ist die Frage nach der Notwendigkeit und Zulässigkeit einer solchen Genehmigung. 1 Handelsblatt, „Asiaten horten das meiste Geld“, Ausgabe 6. Juli 2007. 2 China beispielsweise ist vor einigen Monaten mit 3 Mrd. $ bei der U.S.-amerikanischen Investmentgesellschaft Blackstone eingestiegen und hält 10% der Anteile. - 5 - 2. Bestehende Möglichkeiten und Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung Nach der derzeitigen Rechtslage hat die Bundesregierung nur die Möglichkeit, den Erwerb von Anteilen an Rüstungsunternehmen durch Ausländer zu untersagen, und auch nur dann, wenn mehr als 25% der Unternehmensanteile übertragen werden sollen, § 52 AWV3 in Verbindung mit § 7 Abs. 1 und 2 Nr. 5 AWG4. Eine andere Rechtsgrundlage, die auch ein Veto gegen Aufkäufe oder sogar Übernahmen anderer Unternehmen erlauben würde, existiert nicht. Die oben genannten Paragrafen des Außenwirtschaftsgesetzes und der daraufhin erlassenen Verordnung erlauben aber ausdrücklich nur staatliche Intervention bei Firmen, die Kriegswaffen oder Kryptosysteme (i.e. Verschlüsselungssysteme) für eine Übertragung staatlicher Verschlusssachen herstellen. Der hinter der Norm stehende Gedanke, die Gewährleistung der sicherpolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland5, kommt zwar in ähnlicher Weise auch in der hier in Frage stehenden Konstellation zum Tragen. Der Wortlaut der Normen ist jedoch eindeutig und lässt keine entsprechende Auslegung zu. Eine analoge Anwendung verbietet sich schon alleine wegen des Ausnahmecharakters der Normen. Eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage durch Parlamentsgesetz ist jedoch unabdingbar . Das Verbot eines Unternehmenskaufs durch den Staat stellt einen Eingriff in zumindest das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit des Erwerbers sowie des Verkäufers dar.6 In einem solchen Fall greift der verfassungsrechtliche Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes7, nach dem staatliche Eingriffe in Grundrechte nur auf Grund eines Gesetzes möglich sind. Ein Handeln des Staates ohne gesetzliche Ermächtigungsgrundlage wäre demnach verfassungswidrig. 3 Außenwirtschaftsverordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. November 1993 (BGBl. I S. 1934, 2493), zuletzt geändert durch die Verordnung vom 24. April 2007. 4 Außenwirtschaftsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Juni 2006 (BGBl. I S. 1386), zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 12. Juni 2007 (BGBl. I S. 1037). 5 Zur Gesetzesbegründung siehe Gesetzentwurf der Bundesregierung, Drs.-BR 5/04, S. 5 ff. 6 Bei verkaufswilligen Aktionären bedeutet das Verbot auch einen Eingriff in das Grundrecht der Eigentumsgarantie aus Art. 14 GG. 7 Zum Vorbehalt des Gesetzes siehe Schmidt-Aßmann in: Handbuch des Staatsrechts, Band II, 2004, § 26 Rn. 63 ff.; bereits O. Mayer, Allgemeines Verwaltungsrecht, Band 1, 1924, S. 69 f., zuletzt Ohler , AöR 131 (2006), S. 336 (341 ff.). - 6 - 3. Vereinbarkeit einer staatlichen Intervention mit Europarecht Es fragt sich nun, ob eine solche, wie auch immer konkret ausgestaltete,8 staatliche Eingriffsmöglichkeit nicht gegen höherrangiges Recht verstößt. Vorliegend ist eine Vereinbarkeit mit den Vorgaben des europäischen Gemeinschaftsrechts zu prüfen, Verstößt eine nationale Rechtsnorm gegen Rechtsnormen des europäischen Gemeinschaftsrechts , ist die nationale Norm nicht anwendbar.9 Im vorliegenden Fall könnte die Regelung über die staatliche Eingriffsbefugnis in Konflikt mit der garantierten Kapitalverkehrsfreiheit gem. Art. 56 Absatz 1 EG-Vertrag10 stehen, da die Regelung es dem Staat erlauben würde, Kapitalanlagemöglichkeiten zu beschränken. 3.1. Personeller Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit Zunächst wäre denkbar, europarechtliche Bedenken dadurch von vornherein zu umgehen , dass man die Interventionsmöglichkeit der Bundesregierung nur auf EU-fremde Investoren beschränkt. Länder bzw. Anleger aus Ländern wie China, Russland oder den Vereinigten Arabischen Emiraten können sich grundsätzlich nicht auf die Gewährleistungen des EG-Vertrags berufen. Allerdings verbietet Art. 56 Absatz 1 EG „Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern“. Der Anwendungsbereich dieser Freiheit zielt also ausnahmsweise über das Gebiet der EU hinaus, sodass auch Drittstaatsangehörige sich auf die Kapitalverkehrsfreiheit berufen können.11 Zwar lässt sich fragen, wie es sich auswirkt, dass Staaten im vorliegenden Fall als Grundfreiheitsberechtigte auftreten wollen. Es erscheint zumindest aus deutscher grundrechtsdogmatischer Sicht zweifelhaft, ob sich der Staat auf grundrechtliche Gewährleistungen berufen kann. Denn diese sind primär als Abwehrrechte gegenüber dem Staat konzipiert, sodass es diesem verwehrt ist, sich auf sie berufen. Es ist allerdings überzeugender, die Tatsache, dass Staaten die Grundfreiheiten für sich in Anspruch nehmen, auf der grundsätzlichen Ebene nicht anders zu behandeln als bei Privaten : 8 Von einem vorherigen Zustimmungserfordernis bis zu einem nachträglichen Vetorecht sind viele Ausgestaltungen denkbar. Empfehlenswert ist jedoch, sich bei der Ausgestaltung am Modus des Systems im Bereich der Rüstungsfirmen zu orientieren. Dieser Modus sieht vor, dass der Unternehmenskauf dem Wirtschaftsministerium zu melden ist. Dieses hat dann einen Monat Zeit, um den Erwerb zu untersagen. Die Meldepflicht hat gegenüber der Genehmigungspflicht den Vorteil, dass sie mit weniger bürokratischem Aufwand verbunden ist und die investitionshemmenden Auswirkungen somit geringer sind. Siehe dazu auch den Punkt 3.4.4. 9 Ständige Rechtsprechung des EuGH seit dem Urteil Costa/ENEL, Slg. 1964, S. 1251, 1269. 10 Im folgenden wird für „EG-Vertrag“ die übliche Abkürzung „EG“ verwendet. 11 Siehe dazu Bröhmer in: Callies/Ruffert, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, 3. Auflage, 2007, Art. 56 Rn. 5 ff; Kiemel in: von der Groeben/Schwarze, Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, 6. Auflage, 2003, Art. 56 Rn. 26. Die Frage nach dem personellen Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit ist vom EuGH allerdings noch nicht entschieden worden. - 7 - Denn die Grundfreiheiten des EG-Vertrags sind nicht primär Abwehrrechte gegen staatliches Handeln, sondern sie dienen insbesondere der Verwirklichung des europäischen Binnenmarkts. Sie haben insoweit eine andere Schutzrichtung als klassische Grundrechte. Es können sich daher auch Staaten auf die Grundfreiheiten des EG- Vertrags berufen, eine Berücksichtigung der Staatlichkeit des Grundfreiheitsberechtigten lässt sich besser auf einer anderen Prüfungsebene, etwa bei der Frage nach dem konkreten Umfang und der Ausgestaltung der Grundfreiheit, berücksichtigen. 3.2. Sachlicher Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit Unter dem Kapitalverkehr ist jede über die Grenzen eines Mitgliedstaates hinweg stattfindende Übertragung von Geld- und Sachkapital zu verstehen, die primär zu Anlagezwecken erfolgt.12 Bei Direktinvestitionen in Form der Beteiligung an einem Unternehmen handelt es sich um ein Verhalten, das die Freiheit der Kapitalverkehrsfreiheit sachlich schützt.13 3.3. Zwischenergebnis Es ist somit zunächst festzuhalten, dass arabische, asiatische oder russische Staatsfonds die Möglichkeit haben, sich vor deutschen Gerichten und auch vor dem EuGH auf die Garantie der Kapitalverkehrsfreiheit aus Art. 56 Absatz 1 EG zu berufen. 3.4. Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit Die in Frage stehende deutsche Regelung, nach der der Staat eine Investition durch ausländische Staatsfonds verbieten kann, stellt auch eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs dar.14 Eine solche Beschränkung des freien Kapitalverkehrs könnte aber gerechtfertigt sein. 12 Bröhmer in: Callies/Ruffert, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, 3. Auflage, 2007, § 56 Rn. 8. 13 EuGH, Rs. C-503/99, Kommission/Belgien, Slg. 2002, S. I-4809, Tz. 38; Koeinig/Haratsch, Europarecht , 4. Auflage, 2003, Rn. 691; Ruge, Goldene Aktien und EG-Recht, EuZW 2002, S. 421 (422). 14 Vergleiche EuGH, Rs. C-54/99, Scientology, Slg. 2000-I, S. 1335, Tz. 14. - 8 - 3.5. Rechtfertigung der Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit Nach dem Wortlaut des Art. 56 Absatz 1 EG sind alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs verboten. Da nur ausländische staatliche Investoren von der Maßnahme betroffen wären, stellt die Maßnahme eine Diskriminierung dar, die einen wichtigen Unterfall der „Beschränkungen“ darstellt.15 Eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit durch ein staatliches Zustimmungserfordernis ist jedoch nicht kategorisch europarechtlich verboten, sondern bedarf jeweils einer Prüfung des Einzelfalls.16 Hierbei bietet sich ein Vergleich mit ähnlich gelagerten, vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) bereits entschiedenen Fällen an. 3.5.1. Die beiden Möglichkeiten zur Einschränkung einer Grundfreiheit Die Grundfreiheiten des EG-Vertrags17 sind im Wesentlichen alle auf dieselbe Art einschränkbar .18 Zum einen sind bereits im EG-Vertrag selbst zu jeder Grundfreiheit ausdrückliche Ausnahmen genannt, in denen eine Beschränkung der Freiheit gerechtfertigt ist. Zum anderen hat der EuGH, sozusagen auf einer zweiten Stufe, weitere, ungeschriebene Ausnahmefälle anerkannt, die zwar nicht vom Vertragstext gedeckt sind. Sie sind aber, wenn sie gewisse Voraussetzungen erfüllen, nachvollziehbare Einschränkungen, ermöglichen das flexible Reagieren auf neue Situationen ohne den langwierigen Weg einer Vertragsänderung gehen zu müssen und gewähren den Mitgliedstaaten einen größeren Freiraum für nationale Regelungen.19 Danach können die Grundfreiheiten aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses eingeschränkt werden.20 Diese zwingenden Gründe sind dabei solche, die nicht bereits – auf der ersten Stufe – als geschrie- 15 Kiemel in: von der Groeben/Schwarze, Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, 6. Auflage, 2003, Art. 56 Rn. 27. 16 Kluth/Bröhmer in: Calliess/Ruffert, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, 3. Auflage, 2007, Rn. 20. 17 Neben der Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs sind dies die die Warenverkehrsfreiheit, die Dienstleistungsfreiheit, die Niederlassungsfreiheit sowie die Freizügigkeit der Arbeitnehmer. 18 Ruge, Goldene Aktien und EG-Recht, EuZW 2002, S. 421 (422). 19 Siehe hierzu die Leitentscheidung des EuGH, Rs. 120/78, Cassis de Dijon, Slg. 1979, S. 649. Die Entscheidung betrifft einen Fall aus dem Bereich der Warenverkehrsfreiheit gem. Art. 28 EG, die bislang die vor dem EuGH am häufigsten behandelte Grundfreiheit ist. Die zu ihr ergangenen Entscheidungen des EuGH sind stets prägend für die Lösung europarechtlicher Probleme der anderen Grundfreiheiten. 20 Da der EuGH im Laufe seiner Rechtsprechung den Schutzbereich der Grundfreiheiten sehr weit ausgelegt hat und somit immer mehr Maßnahmen der Mitgliedstaaten einer europarechtlichen Überprüfung bedurften, hat er als Konsequenz auch die Möglichkeit einer Rechtfertigung über die im Vertrag erlaubten Möglichkeiten hinaus erlaubt und deshalb den Ausnahmetatbestand der zwingenden Gründen des Allgemeininteresses geschaffen. - 9 - bene Ausnahmefälle im EG-Vertrag selbst vorkommen.21 Sie wurden im Laufe der Zeit immer wichtiger, um Einschränkungen der Grundfreiheiten zu rechtfertigen, als die eigentlich dafür vorgesehenen ausdrücklichen Ausnahmebestimmungen des EG-Vertrags. Eine der Voraussetzungen für die Anerkennung und Rechtfertigung der mitgliedstaatlichen Beschränkung einer EG-Grundfreiheit auf der zweiten, ungeschriebenen Stufe ist allerdings, dass die strittige Maßnahme unterschiedslos, also nicht-diskriminierend, anwendbar ist. Das bedeutet, dass die Einschränkung sowohl auf Inländer als auch auf Ausländer gleichermaßen zutreffen muss. Dies ist bei der hier in Frage stehenden Regelung allerdings nicht der Fall, da sie nur ausländische Investoren betreffen soll. Es ist zwar umstritten, ob das Kriterium der Unterschiedslosigkeit auch im Bereich der anderen Grundfreiheiten gilt.22 Die Lösung dieses juristischen Streits erübrigt sich aber, wenn die fragliche Ermächtigungsgrundlage zur Verhinderung bestimmter ausländischer Direktinvestitionen schon durch die Ausnahmebestimmungen auf der ersten Stufe – der bereits im EG-Vertrag selbst angelegten gerechtfertigten Beschränkungen – möglich ist. 3.5.2. Rechtfertigung der Beschränkungen gem. Art. 58 Absatz 1 b) EG In Betracht kommt eine Rechtfertigung der Interventionsmöglichkeit auf der ersten Stufe , und zwar nach Art. 58 Absatz 1 b) EG. Danach berührt Art. 56 Absatz 1 EG, also die garantierte Kapitalverkehrsfreiheit, nicht das Recht der Mitgliedstaaten, Maßnahmen zu ergreifen, die aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gerechtfertigt sind. Es fragt sich, ob darunter auch eine Regelung wie die in Rede stehende fallen kann. Wenn dies der Fall ist, steht das europäische Gemeinschaftsrecht dem Vorhaben der Bundesregierung nicht im Wege. Zu der Frage, was unter den Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu verstehen ist, sagt der EuGH folgendes: Erstens können insoweit die Mitgliedstaaten zwar im wesentlichen weiterhin frei nach ihren nationalen Bedürfnissen bestimmen, was die öffentliche Ordnung und Sicherheit erfordern, doch sind diese Gründe im Gemeinschaftsrecht, insbesondere wenn sie eine Ausnahme von dem grundlegenden Prinzip des freien Kapitalverkehrs rechtfertigen, eng zu verstehen, so dass ihre Tragweite nicht von jedem Mitgliedstaat einseitig ohne Nachprüfung durch die Organe der Gemeinschaft bestimmt werden kann […]. So können die öffentliche Ordnung und Sicherheit nur geltend gemacht werden, wenn eine 21 Beispiele sind die Medienvielfalt, der Umweltschutz, die Kulturpolitik oder der Verbraucherschutz. 22 Der Rechtfertigungstatbestand der „zwingenden Gründe des Allgemeinwohls“ ist für den Bereich der Warenverkehrsfreiheit geschaffen worden. Koenig/Haratsch, Europarecht, 4. Auflage, 2003, Rn. 699. - 10 - tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt […]. Diese Gründe dürfen überdies nicht von ihrer eigentlichen Funktion losgelöst und in Wirklichkeit für wirtschaftliche Zwecke geltend gemacht werden […]. Außerdem muss jedem, der durch eine auf eine solche Ausnahme gestützte beschränkende Maßnahme betroffen ist, ein Rechtsbehelf eröffnet sein […]. Zweitens können Maßnahmen, durch die der freie Kapitalverkehr eingeschränkt wird, nur dann durch Gründe der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gerechtfertigt werden, wenn sie zum Schutze der Belange, die sie gewährleisten sollen, erforderlich sind, und auch nur insoweit, als diese Ziele nicht mit Maßnahmen erreicht werden könne, die den freien Kapitalverkehr weniger einschränken.23 Daran lässt dich der Rahmen ablesen, innerhalb dessen Beschränkungen der Kapitalverkehrsfreiheit aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zulässig sind: Erstens muss zum einen eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen , die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Es dürfen zweitens nicht versteckt rein wirtschaftliche Ziele verfolgt und die Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung also nur vorgeschoben werden. Drittens muss den Betroffenen Anlegern die Möglichkeit offenstehen, sich vor Gericht gegen die staatliche Entscheidung zu wehren. Schließlich muss die ganze Maßnahme auch verhältnismäßig sein. Auch aus einem anderen Fall lassen sich wichtige Vorgaben ableiten. Dieser betrifft einen der sog. golden shares (Goldene Aktien)-Fälle. Die in Frage stehende belgische Regelung war bislang die einzige, die der EuGH nicht für europarechtswidrig erklärt hat. Die Regelungen in Portugal, Spanien, Frankreich, Großbritannien, Italien und den Niederlanden wurden für nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar erklärt, eine Entscheidung über den deutschen „golden shares“-Fall, das dem Land Niedersachsen bestimmte Rechte sichernde VW-Gesetz24, wird für den Herbst 2007 erwartet. Der Gerichtshof hat in seinem Urteil folgende Punkte hervorgehoben, die die Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit ausnahmsweise rechtfertigten: 23 EuGH, Rs. C-54/99, Scientology, Slg.. 2000-I, S. 1335, Tz. 17. 24 Gesetz über die Überführung der Anteilsrechte an der Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung in private Hand, BGBl. I 1960 S. 585, zuletzt geändert am 31. Juli 1970 (BGBl. I 1970 S. 1149). - 11 - Zum einen handelte es sich bei der Verbotsmöglichkeit um eine Widerspruchsregelung , es bedarf also, ähnlich dem Modus des § 52 AWV in Verbindung mit § 7 Abs. 1 und 2 Nr. 5 AWG für den Bereich der deutschen Rüstungs- und Verschlüsselungsfirmen , keiner vorherigen Genehmigung, und das Widerspruchsrecht ist an enge Fristen gebunden. Die Entscheidung der belgischen Regierung muss förmlich begründet werden und einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle unterliegen. Außerdem wurde hervorgehoben, dass die Regelung ist nur auf bestimmte, punktuelle Konstellation beschränkt, der Investor also wissen konnte, welches die kritischen Punkte einer Überprüfung sind. 3.5.3. Allgemeine Handlungsanweisungen Aus dem oben Gesagten lässt sich Folgendes schließen: Die in Frage stehende Interventionsmöglichkeit stellt eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit dar. Eine solche Beschränkung kann aber aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gem. Art. 58 Absatz 1 b) EG gerechtfertigt sein. Voraussetzung dafür ist erstens, dass eine Gefährdung, der durch die Regelung vorgebeugt werden soll, nicht nur rein hypothetisch vorliegt. Dabei ist zum einen zu beachten, dass sich nur bestimmte Branchen für eine Rechtfertigung mit der öffentlichen Sicherheit und Ordnung i.S.v. Art. 58 EG eignen. Der EuGH hat als Branchen von strategischer Bedeutung bisher die Bereiche Telekommunikation und Elektrizität anerkannt.25 Zur Logistikbranche, die nach gegenwärtigem Stand der Dinge auch Gegenstand des Gesetzentwurfs sein soll, hat sich der EuGH noch nicht geäußert. Sie stellt sich auf den ersten Blick auch nicht im selben Maße sensibel dar wie etwa die Rüstungs- oder Energiebranche. Noch schwieriger wird es, auch andere Branchen wie die Automobilindustrie oder die Chemie- und Pharmabranche als Branche von strategischer Bedeutung zu qualifizieren. Zum anderen ist zu beachten, dass an das konkrete Gefährdungspotential nicht zu hohe Anforderungen gestellt werden können. Zwar ist die Ausnahmevorschrift als solche eng 25 EuGH, Rs. C-463/00, Kommission/Spanien, Slg. 2003, S. I-4581, Tz. 71: In Bezug auf die drei anderen , in den Bereichen Erdöl, Telekommunikation und Elektrizität tätigen Unternehmen lässt sich nicht leugnen, dass das Ziel, im Krisenfall die Versorgung mit solchen Produkten oder die Erbringung solcher Dienstleistungen im Hoheitsgebiet des fraglichen Mitgliedstaats sicherzustellen, einen Grund der öffentlichen Sicherheit darstellen kann und somit gegebenenfalls eine Beeinträchtigung des freien Kapitalverkehrs rechtfertigen kann. - 12 - auszulegen26 und der EuGH fordert das Vorliegen einer tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Der Gerichtshof hat in letzter Zeit aber auch wieder den Ermessensspielraum und eine gewisse Autonomie der Mitgliedstaaten bei der Einschätzung der nationalen Sicherheit und Ordnung betont.27 Ob auch der EuGH eine abstrakte Gefahr anerkennen wird, die durch die mögliche Kontrolle von strategisch wichtigen Unternehmen in sensiblen Branchen durch ausländische Regierungen, die zwar einigermaßen marktwirtschaftlich handelnden, aber nicht gleichwertig demokratischen Rechtsstaaten vorstehen, kann zwar nicht hervorgesehen werden. Die Probleme mit russischen Energielieferungen (Energiestreit mit der Ukraine im Frühjahr 2006 bzw. die Verzögerungen des Versorgungsvertrags zwischen Russland und der EU als jüngstes Beispiel) dürften allerdings auch dem EuGH bekannt sein und die Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht nur als völlig abstrakt und hypothetisch erscheinen lassen. Das Kriterium, dass durch die Regelung nicht nur rein wirtschaftliche eigene Ziele verfolgt werden dürfen, stellt im vorliegenden Fall kein Problem dar. Bei einer negativen Entscheidung der Bundesregierung sollte die Entscheidung förmlich begründet werden und dem Investor der Weg zu den Gerichten offenstehen. 3.5.4. Verhältnismäßigkeitsprinzip Schließlich muss die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage verhältnismäßig ausgestaltet sein, d.h. die Regelung muss zur Erreichung des Ziels erforderlich sein und es darf keine weniger einschneidende, gleich effektive Maßnahme bestehen. Die Bundesregierung befürchtet, dass ausländische Staaten durch staatseigene Investmentfonds große nationale Unternehmen in strategisch wichtigen Branchen übernehmen bzw. (mit-)kontrollieren können. Die Bundesregierung sieht einen derartigen, im Zweifelsfall nicht nur wirtschaftlichen Einfluss ausländischer Regierungen im eigenen Land als schädlich an und möchte sich das Recht vorbehalten, das letzte Wort bei derartigen Investments zu haben. 26 EuGH, Rs. C-54/99, Scientology, Slg.. 2000-I, S. 1335, Tz. 17. 27 EuGH, Rs. C-36/02, Omega, Slg. 2004-I, S. 9609, Tz. 31. - 13 - Es ist im Sinne des Verhältnismäßigkeitsprinzips jedoch notwendig, bestimmte objektive Kriterien in der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage festzuschreiben. So bietet sich zum einen eine Differenzierung hinsichtlich Direkt- und Portfolioinvestitionen an: Während Direktinvestitionen darauf abzielen, auch an der Verwaltung und Kontrolle des Unternehmens mitzuwirken (etwa in Form der Beteiligung an einem Unternehmen durch Stammaktien), dienen Portfolioinvestitionen nur der Geldanlage, ohne auf die Verwaltung und Kontrolle des Unternehmens Einfluss nehmen zu wollen (etwa durch den Erwerb von (stimmrechtslosen) Vorzugsaktien).28 Wenn der ausländische Staatsfonds demnach nur eine Portfolioinvestition vornimmt, stellt dieses keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar. Der Gesetztext sollte daher Portfolioinvestitionen aus dem Anwendungsbereich herausnehmen. Es empfiehlt sich ebenfalls, eine die Interventionsmöglichkeit erst auslösende Beteiligungsgrenze einzuführen, da nicht jede noch so kleine Beteiligung eines ausländischen Staatsfonds eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit durch Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu rechtfertigen vermag. Die in § 7 Abs. 1 und 2 Nr. 5 AWG festgelegte Grenze eines 25%-Anteils stellt hier aber eher eine Obergrenze dar, eine niedrigere Quote ließe sich aufgrund aktienrechtlicher Bestimmungen auch rechtfertigen. Schließlich spricht vieles dafür, die Ausgestaltung des in § 52 AWV i.V.m. § 7 Abs. 1 und 2 Nr. 5 AWG niedergelegten Widerspruchsverfahrens inkl. einer Monatsfrist beizubehalten. So lobte der EuGH in der belgischen golden shares- Entscheidung die Ausgestaltung als Widerspruchsregelung, da sie vom Grundsatz der Beachtung der Entscheidungsfreiheit des Unternehmens ausgehe, keiner vorherigen Genehmigung bedürfe und die Ausübung des staatlichen Widerspruchsrechts an strenge Fristen gebunden sei.29 4. Sonstige Fragen Offen bleiben somit nur noch die Fragen, ob es Unterschiede zwischen den verschiedenen Gesellschaftsformen gibt und wie das politische Verfahren aussähe. Darauf ist zum einen zu antworten, dass die Gesellschaftsform (AG oder GmbH…) keinen Unterschied für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Interventionsmöglichkeit macht. 28 Siehe zur Differenzierung EuGH, Rs. C-282/04, Kommission/Niederlande, Tz. 19. 29 EuGH, Rs. 503/99, Kommission/Belgien, Slg. 2002, S. I-4809, Tz. 49. - 14 - Auch bei der Frage nach dem politischen Verfahren stellen sich keine Besonderheiten. Der Gesetzentwurf wird, wie in den meisten Fällen, nach Art. 76 Absatz 1. Alt. GG von der Bundesregierung in den Bundestag eingebracht werden. 5. Fazit Wenn der Staat bestimmte ausländische Investitionen verhindern will, so ist eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage notwendig. Diese stellt zwar eine Beschränkung der europarechtlich garantierten Kapitalverkehrsfreiheit dar, ist aber unter Beachtung bestimmter Punkte gerechtfertigt. Anzumerken bleibt, dass aus europarechtlicher Sicht das Recht der Überprüfung der ausländischen Investments nicht der Bundesregierung, bzw. wie im Falle der Rüstungsund Verschlüsselungsunternehmen, dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie vorbehalten sein muss. Denkbar ist auch, das Genehmigungsrecht dem Deutschen Bundestag zuzuschreiben.