© 2013 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 175/13; WD 3 - 3000 - 152/13 Schutz vor Verhaftung von Zeugen vor einem Untersuchungsausschuss Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 175/13; WD 3 - 3000 - 152/13 Seite 2 Schutz vor Verhaftung von Zeugen vor einem Untersuchungsausschuss Verfasserinnen: Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 175/13; WD 3 - 3000 - 152/13 Abschluss der Arbeit: 28. August 2013 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr , Bau- und Stadtentwicklung (Gliederungspunkte 1-4) WD 3: Verfassung und Verwaltung (Gliederungspunkte 5, 6) Telefon: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 175/13; WD 3 - 3000 - 152/13 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Sicheres Geleit nach § 295 StPO 5 2.1. Anwendungsbereich im Allgemeinen 5 2.2. Anwendbarkeit des § 295 StPO auf einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages 5 2.3. Voraussetzungen des § 295 StPO 7 2.4. Wirkung und Erlöschen 8 2.5. Verfahren 9 2.6. Zuständigkeit 10 3. Sicheres Geleit im internationalen Rechtshilfeverkehr 11 3.1. Sicheres Geleit in internationalen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen 11 3.2. Anwendbarkeit bei Ladung eines Zeugen durch einen Untersuchungsausschuss 12 4. Auslieferung 13 4.1. Internationale Auslieferungsabkommen 13 4.2. Europäischer und internationaler Haftbefehl 14 4.3. Gründe für die Ablehnung eines Auslieferungsersuchens 15 4.3.1. EU-Mitgliedstaaten 15 4.3.2. USA 16 4.4. Verhältnis von sicherem Geleit und Auslieferung 16 5. Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für einen Zeugen vor dem Untersuchungsausschuss 17 6. Vernehmung auswärtiger Zeugen durch den Untersuchungsausschuss oder Beauftragte 18 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 175/13; WD 3 - 3000 - 152/13 Seite 4 1. Einleitung Dem vorliegenden Sachstand liegt eine Anfrage zugrunde, ob es eine Möglichkeit gibt, einen Zeugen, der vor einen Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages geladen wird, vor Verhaftung zu schützen, diesem Zeugen also „freies Geleit“ zu gewähren. Jemandem „Geleit“ zu gewähren, hatte bereits im Mittelalter die Bedeutung, derjenigen Person, der Geleit gewährt wird, Schutz und Sicherheit auf der Reise oder Durchreise zu gewähren. Dies konnte auf die unterschiedlichste Art und Weise geschehen, etwa durch eine bewaffnete Begleitung , aber auch in Form von Briefen.1 Im Mittelalter kannte man daneben bereits das sogenannte „sichere Geleit“ bzw. „freie Geleit“. Dabei handelte es sich um eine Zusicherung des Gerichtsherrn an den flüchtigen Angeklagten, „ihn vor der (unberechtigten) Rache des Geschädigten zu schützen, falls er vor Gericht erscheine“. Dieses freie Geleit wurde dem Angeklagten auf jeden Fall bis zur sicheren Rückkehr nach dem Freispruch zugesichert, später wurde ihm teilweise auch die freie Rückkehr nach der Verurteilung zugesichert.2 Anknüpfend an diese Rechtsfigur enthält § 295 Strafprozessordnung (StPO)3 eine Regelung zum sicheren Geleit. Es handelt sich um eine gerichtliche Zusage an den flüchtigen Beschuldigten, nicht wegen der in der Geleiterklärung bezeichneten Tat in Haft genommen zu werden. Auch in internationalen Abkommen findet sich die Rechtsfigur des sicheren Geleits, so etwa in Art. 12 des Europäischen Rechtshilfe-Übereinkommens (EuRhÜbk)4 und in Art. 6 des Rechtshilfe -Abkommens zwischen Deutschland und den USA5. Damit stellt sich die Frage, ob diese Vorschriften auf die in der Anfrage umrissene Situation, dass ein Zeuge von einem Untersuchungsausschuss geladen wird, anwendbar sind und ob die entsprechenden Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen. 1 Brockhaus, Enzyklopädie Online, Stichwort „Geleit (Recht)“. 2 Brockhaus, Enzyklopädie Online, Stichwort „Geleit (Recht)“. 3 Strafprozeßordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 4. Juli 2013 (BGBl. I, S. 2182), abrufbar unter: http://www.gesetzeim -internet.de/bundesrecht/stpo/gesamt.pdf, zuletzt abgerufen am 21. August 2013. 4 Europäisches Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20.04.1959 (BGBl. 1964 II S. 1386). Dieses gilt zwischen den Mitgliedern des Europarats sowie Chile, Israel und Korea. Eine Übersicht über den Stand der Ratifikation und Beitritte kann abgerufen werden unter: http://conventions.coe.int/Treaty/Commun/ChercheSig.asp?NT=030&CM=8&DF=27/08/2013&CL=GER, zuletzt abgerufen am 27. August 2013. 5 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über Rechtshilfe in Strafsachen (BGBl. II 2007 S. 1618, 1620). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 175/13; WD 3 - 3000 - 152/13 Seite 5 2. Sicheres Geleit nach § 295 StPO Die Gewährung sicheren Geleits ist in § 295 der Strafprozessordnung (StPO) geregelt: (1) Das Gericht kann einem abwesenden Beschuldigten sicheres Geleit erteilen; es kann diese Erteilung an Bedingungen knüpfen. (2) Das sichere Geleit gewährt Befreiung von der Untersuchungshaft, jedoch nur wegen der Straftat, für die es erteilt ist. (3) Es erlischt, wenn ein auf Freiheitsstrafe lautendes Urteil ergeht oder wenn der Beschuldigte Anstalten zur Flucht trifft oder wenn er die Bedingungen nicht erfüllt, unter denen ihm das sichere Geleit erteilt worden ist. 2.1. Anwendungsbereich im Allgemeinen Die Regelung zum sicheren Geleit war bereits in der Reichsstrafprozessordnung von 1877 enthalten 6 und hat seither kaum Änderungen erfahren7. Dieser lag ursprünglich das Ziel zugrunde, den abwesenden Beschuldigten zum Erscheinen in der Hauptverhandlung gegen ihn zu veranlassen. Das sichere Geleit dient damit der materiellen Gerechtigkeit, die im Abschluss eines Strafverfahrens durch Verurteilung zu einer Strafe oder Freispruch zum Ausdruck kommt.8 Darüberhinaus wird § 295 StPO von der Rechtsprechung aber auch angewendet, um dem abwesenden Beschuldigten eine Aussage als Zeuge in einem Strafverfahren gegen Dritte9 oder in einem Zivilprozess10 zu ermöglichen. 2.2. Anwendbarkeit des § 295 StPO auf einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages Wie bereits oben angedeutet, stellt sich die Frage, ob die Regelung des sicheren Geleits in § 295 StPO auch auf einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages angewendet werden kann. 6 § 337 der Reichsstrafprozeßordnung vom 1. Februar 1877 (RGBl. S. 253, 313). 7 Frister, in Systematischer Kommentar zur Strafprozessordung (SK-StPO), Band V, 4. Auflage, Köln 2012, § 295 Rn. 1. 8 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22. Dezember 1998, Az. 3 Ws 672/98, Rn. 3 = Neue Zeitschrift für Strafrecht Rechtsprechungs Report (NStZ-RR) 1999, 245. 9 BGH, Urteil vom 24. Februar 1988, Az.: 3 StR 476/87, Rn. 10 = Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen (BGHSt) 35, 216, 217. 10 BGH, Beschluss des Ermittlungsrichters vom 12. Juni 1991, Az.: 4 BJs 42/89 - 3 2 BGs 177/91, Rn. 16 = Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1991, 2500, 2501; dagegen Meyer-Goßner, in Meyer-Goßner, Strafprozessordnung , 56. Auflage, München 2013, § 295 Rn. 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 175/13; WD 3 - 3000 - 152/13 Seite 6 Das Recht für die Untersuchungsausschüsse, die durch den Deutschen Bundestag eingesetzt werden , ist in Art. 44 Grundgesetz (GG)11 und im Gesetz zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages (Untersuchungsausschussgesetz – PUAG)12 geregelt . In den §§ 20-27 PUAG ist die Zeugenvernehmung durch Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages geregelt. Eine Vorschrift über ein „freies“ bzw. „sicheres Geleit“ des Zeugen findet sich dort ebensowenig wie ein Verweis auf § 295 StPO. Damit könnte man zu dem Schluss gelangen, für Zeugen vor Untersuchungsausschüssen des Deutschen Bundestages gebe es kein freies Geleit. Für diese Auffassung ließe sich ins Feld führen: Die §§ 21, 27 PUAG enthalten Regelungen für Folgen des Ausbleibens von Zeugen bzw. für grundlose Zeugnisverweigerung, so dass sich argumentieren ließe, der Gesetzgeber habe durchaus erkannt, dass nicht alle Zeugen ihrer Zeugenpflicht nachkommen wollten. Da er eine Regelung vorgegeben habe, sei diese als abschließend zu verstehen, so dass ein Rückgriff auf § 295 StPO ausscheide. Ob eine solche Schlussfolgerung zulässig ist, ist angesichts von Art. 44 GG allerdings zu bezweifeln . Gemäß Art. 44 Absatz 2 S. 1 GG finden auf Beweiserhebungen „die Vorschriften über den Strafprozess sinngemäß Anwendung“. Der Umstand, dass mithilfe des sicheren Geleits eine Beweiserhebung in einem Prozess ermöglicht werden kann, spricht dafür, dass Art. 44 Absatz 2 S. 1 GG sich auch auf § 295 StPO erstreckt. In der Literatur wird darüber hinaus geltend gemacht, Art. 44 Absatz 1 S. 1 GG betone den Öffentlichkeitsgrundsatz. Wolle man daher bei einem abwesenden Zeugen, der eine Bestrafung fürchtet, gleichwohl dem Öffentlichkeitsgrundsatz Genüge tun, so sei es schon aus diesem Grund geboten, dem Zeugen analog § 295 StPO sicheres Geleit zu gewähren. Denn nur auf diese Weise könne möglichst weitreichend eine öffentliche Vernehmung des Zeugen gesichert werden.13 Schließlich spricht für die Anwendbarkeit des § 295 StPO im Untersuchungsausschussverfahren, dass die Regelung des Art. 44 Absatz 2 S. 1 GG, die auf die Vorschriften über die Beweiserhebungen im Strafprozess und damit, wie gesehen, auch auf § 295 StPO verweist, nicht durch ein einfaches Bundesgesetz, dem PUAG, eingeschränkt werden kann. Somit ist davon auszugehen, dass § 295 StPO auch bei der Ladung von Zeugen vor einen Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages anwendbar ist. 11 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100- 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 11. Juli 2012 (BGBl. I S. 1478), abrufbar unter: http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/gg/gesamt.pdf, zuletzt abgerufen am 21. August 2013. 12 Gesetz zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages (Untersuchungsausschussgesetz – PUAG) vom 19. Juni 2001 (BGBl. I S. 1142), das durch Artikel 4 Absatz 1 des Gesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718) geändert worden ist, abrufbar unter: http://www.gesetze-iminternet .de/bundesrecht/puag/gesamt.pdf, zuletzt abgerufen am 21. August 2013. 13 Bauer, Das sichere Geleit unter besonderer Berücksichtigung des Zivilprozesses, Schriften zum Prozessrecht Band 199, Berlin 2006, S. 237-240. Für die Anwendbarkeit des § 295 StPO im Untersuchungsausschussverfahren sprechen sich auch aus: Gollwitzer, in Löwe-Rosenberg, StPO, Band IV, 25. Auflage, Berlin 2001, §295 Rn. 24; Stuckenberg, in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage, Berlin 2013, § 295 Rn. 24; Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 175/13; WD 3 - 3000 - 152/13 Seite 7 Einige Bundesländer haben in ihren Gesetzen über die Landtagsuntersuchungsausschüsse Regelungen , die die Vorschriften der Strafprozessordnung insgesamt für anwendbar erklären.14 Jedenfalls dann besteht kein Zweifel, dass die Vorschrift des § 295 StPO anwendbar ist. So wurde z.B. im Jahr 1983 einem Zeugen vor dem Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags sicheres Geleit nach § 295 StPO gewährt.15 2.3. Voraussetzungen des § 295 StPO Anwendbar ist § 295 StPO nur auf den Untersuchungshaftbefehl nach § 114 StPO sowie die Vorführung nach §§ 230 Abs. 2, 236 StPO.16 Dabei muss es sich um Haftbefehle eines deutschen Gerichts handeln, nicht anwendbar ist § 295 StPO dagegen bei ausländischen Haftbefehlen. Sicheres Geleit kann nach § 295 Abs. 1 StPO nur einem abwesenden Beschuldigten gewährt werden . Der Begriff des Beschuldigten wird von der StPO nicht definiert, jedoch an verschiedenen Stellen vorausgesetzt (so etwa in §§ 112 Abs. 1, 127a Abs. 1, 131 Abs. 4, 131a Abs. 1–3, 131b Abs. 1, 132, 133–137, 140, 153a Abs. 1 StPO). Dabei handelt es sich um Vorschriften, die allesamt das Ermittlungsverfahren betreffen. Beschuldigter ist demnach derjenige, gegen den die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren als den einer Straftat Verdächtigen betreibt.17 Erhebt die Staatsanwaltschaft Klage, wird aus dem Beschuldigten nach § 157 Alt. 1 StPO der Angeschuldigte. Mit der Eröffnung des Hauptverfahrens durch Eröffnungsbeschluss des Gerichts nach §§ 203, 207 StPO wird der Angeschuldigte nach § 157 Alt. 2 StPO zum Angeklagten. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift muss der Begriff des Beschuldigten im Sinne von § 295 StPO weiter sein als der herkömmliche Beschuldigten-Begriff der StPO. Denn originär war das sichere Geleit dazu gedacht, die Durchführung der Hauptverhandlung zu ermöglichen. Befindet sich das Verfahren aber im Stadium der Hauptverhandlung, ist aus dem Beschuldigten bereits der Angeklagte geworden. Sicheres Geleit kann daher sowohl einem Beschuldigten, als auch einem Angeschuldigten sowie einem Angeklagten gewährt werden.18 Dieser muss aber in jedem Fall in Deutschland beschuldigt, angeschuldigt oder angeklagt sein. 14 Z.B. Art. 11 Abs. 1 S. 2 des Gesetzes über die Untersuchungsausschüsse des Bayerischen Landtags vom 23. März 1970 (BayRS 1100-4-I), zuletzt geändert durch Gesetz vom 2. April 2009 (GVBl S. 48); Gesetz über die Untersuchungsausschüsse des Abgeordnetenhauses von Berlin vom 13. Juli 2011 (GVBl. S. 330). 15 Bayerischer Landtag, Schlussbericht des Untersuchungsausschusses vom 26. Februar 1985, Drs. 10/6289, S. 4; BGH, Beschluss des Ermittlungsrichters vom 6. Mai 1983, Az.: 2 BGs 181/83; darauf Bezug nehmend BGH, Beschluss des Ermittlungsrichters vom 12. Juni 1991, Az.: 4 BJs 42/89 - 3 2 BGs 177/91, Rn. 16 = NJW 1991, 2500, 2501. 16 Statt aller Meyer-Goßner, in Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, 56. Auflage, München 2013, § 295 Rn. 5. 17 Diemer, in Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung (KK-StPO), 6. Auflage, München 2008, § 136 Rn. 4. 18 Haizmann, in Kleinknecht/Müller/Reitberger, Kommentar zur Strafprozessordnung (StPO), Stand: 67. Ergänzungslieferung , Köln Juli 2013, § 295 Rn. 9. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 175/13; WD 3 - 3000 - 152/13 Seite 8 Voraussetzung ist weiter, dass der Beschuldigte (im Sinne von § 295 StPO) im Zeitpunkt der Erteilung sicheren Geleits abwesend ist. Als abwesend gilt nach § 276 StPO derjenige, dessen Aufenthalt unbekannt ist oder der sich im Ausland aufhält und dessen Gestellung vor das zuständige Gericht nicht ausführbar oder nicht angemessen erscheint. Dabei handelt es sich um eine gesetzliche unwiderlegbare Vermutung.19 Der Aufenthalt ist unbekannt, wenn weder das Gericht noch die Ermittlungsbehörden Kenntnis vom Aufenthaltsort haben, diesen nicht mit vertretbarem Aufwand ermitteln können und mit einem Bekanntwerden in absehbarer Zeit auch nicht gerechnet werden kann.20 Die Gestellung – das heißt das Bewirken des Erscheinens vor Gericht durch Ladung – ist dann nicht ausführbar, wenn sicher zu erwarten ist, dass der Beschuldigte trotz Ladung nicht erscheinen und auch nicht ausgeliefert werden wird.21 Die Gestellung ist unangemessen, wenn der mit dem Auslieferungsverfahren verbundene Verwaltungsaufwand oder die Nachteile für den Beschuldigten außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache stehen22. 2.4. Wirkung und Erlöschen Mit der Erteilung sicheren Geleits wird die Vollstreckung eines Haftbefehls verhindert. Es handelt sich dabei um eine bindende, unabänderliche Zusicherung, die jedenfalls dann nicht mehr widerrufen werden kann, wenn der Beschuldigte von ihr Gebrauch gemacht hat.23 Insofern besteht ein gewichtiger Unterschied zur Aussetzung des Vollzugs eines Haftbefehls nach § 116 StPO, die bei veränderter Sachlage aufgehoben werden kann. Mit Erlöschen des sicheren Geleits darf ein bestehender Haftbefehl sofort (wieder) vollstreckt werden.24 Die zeitliche Dauer des sicheren Geleits richtet sich zunächst nach dem Geleitbrief. Trifft dieser keine Beschränkung in zeitlicher Hinsicht, erlischt das sichere Geleit bei Vorliegen eines der in § 295 Abs. 3 StPO abschließend25 aufgezählten Gründe. 19 Pfeiffer, Strafprozessordnung – Kommentar (StPO), 5. Auflage, München 2005, § 276 Rn. 2. 20 Pfeiffer, StPO, 5. Auflage, München 2005, § 276 Rn. 2; Meyer-Goßner, in Meyer-Goßner, StPO, 56. Auflage, München 2013, § 276 Rn. 2. 21 Pfeiffer, StPO, 5. Auflage, München 2005, § 276 Rn. 2. 22 Vgl. dazu Nr. 88 Abs. 1 lit. c RiVASt, Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten vom 19. Dezember 2012 (BAnz AT 19. Dezember 2012 B2). 23 Haizmann, in Kleinknecht/Müller/Reitberger, StPO, Stand: 67. Ergänzungslieferung, Köln Juli 2013, § 295 Rn. 3. 24 Engelhardt, in KK-StPO, 6. Auflage, München 2008, § 295 Rn. 3. 25 Frister, in SK-StPO, Band V, 4. Auflage, Köln 2012, § 295 Rn. 16. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 175/13; WD 3 - 3000 - 152/13 Seite 9 Ein solcher liegt vor, wenn ein auf Freiheitsstrafe lautendes Urteil ergeht, § 295 Abs. 3 Var. 1 StPO. Dieses muss noch nicht rechtskräftig sein.26 Das sichere Geleit erlischt nach § 295 Abs. 3 Var. 2 StPO auch, wenn der Beschuldigte Anstalten zur Flucht trifft27, also ernsthafte Versuche unternimmt, sich dem Verfahren gegen ihn zu entziehen . Eine Ausreise unter Ausnutzung des erteilten sicheren Geleits stellt freilich keine Flucht dar.28 Nach § 295 Abs. 3 Var. 3 StPO erlischt das sichere Geleit überdies, wenn der Beschuldigte schuldhaft Bedingungen nicht erfüllt, unter denen ihm das sichere Geleit erteilt worden ist. Solche Bedingungen können nach § 295 Abs. 1 Hs. 2 StPO an die Erteilung geknüpft werden. Sie müssen jedoch in sachlichem Zusammenhang mit dem Zweck der Gewährung sicheren Geleits stehen.29 Zulässig sind etwa Bedingungen, die eine Flucht oder Verdunkelung durch den Beschuldigten verhindern sollen. In Betracht kommen hier insbesondere solche Anordnungen, die auch bei der Außervollzugsetzung eines Haftbefehls nach § 116 StPO getroffen werden könnten, also etwa Auflagen zum Reiseweg oder Aufenthaltsort, sowie Meldeverpflichtungen. Liegt ein Grund nach § 295 Abs. 3 StPO vor, erlischt das sichere Geleit von Gesetzes wegen, ohne dass es eines gesonderten Beschlusses bedürfte. 2.5. Verfahren Sicheres Geleit wird durch Gerichtsbeschluss gewährt – den sog. Geleitbrief. Es kann auf Antrag eines Verfahrensbeteiligten aber auch von Amts wegen erteilt werden. Die Staatsanwaltschaft ist nach § 33 Abs. 2 StPO vor der Erteilung zu hören.30 Ob sicheres Geleit gewährt wird, steht im freien Ermessen des Gerichts.31 Ein Anspruch auf Erteilung besteht also nicht.32 Zugleich bedeutet freies Ermessen aber auch nicht, dass das Gericht in seiner Entscheidung völlig frei wäre. Vielmehr hat es eine sorgfältige Abwägung vorzunehmen 26 Meyer-Goßner, in Meyer-Goßner, StPO, 56. Auflage, München 2013, § 295 Rn. 8. 27 Vgl. die wortgleiche Regelung in § 116 Abs. 4 Nr. 2 Var. 1 StPO. 28 Meyer-Goßner, in Meyer-Goßner, StPO, 56. Auflage, München 2013, § 295 Rn. 8. 29 BGH, Beschluss des Ermittlungsrichters vom 5. August 1991, Az.: 4 BJs 42/89 - 3 2 BGs 177/91, Rn. 6; Stuckenberg, in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage, Berlin 2013, § 295 Rn. 10; Haizmann, in Kleinknecht /Müller/Reitberger, StPO, Stand: 67. Ergänzungslieferung, Köln Juli 2013, § 295 Rn. 13. 30 Frister, in SK-StPO, 4. Auflage, Köln 2012, § 295 Rn. 6; Stuckenberg, in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage, Berlin 2013, § 295 Rn. 25. 31 BGH, Beschluss des Ermittlungsrichters vom 12. Juni 1991, Az.: 4 BJs 42/89 - 3 2 BGs 177/91, Rn. 16 = NJW 1991, 2500, 2501; OLG Köln, Beschluss vom 8. Februar 2007, Az.: 2 Ws 67/07, Rn. 8 = NStZ-RR 2007, 243; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22. Dezember 1998, Az. 3 Ws 672/98, Rn. 4 = NStZ-RR 1999, 245. 32 Haizmann, in Kleinknecht/Müller/Reitberger, StPO, Stand: 67. Ergänzungslieferung, Köln Juli 2013, § 295 Rn. 17. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 175/13; WD 3 - 3000 - 152/13 Seite 10 zwischen den Interessen der Verfahrensbeteiligten – insbesondere des Beschuldigten – einerseits und dem staatlichen Verfolgungsinteresse andererseits.33 Weil das sichere Geleit eine Ausnahme von der üblichen Verfahrensweise darstellt, müssen besondere Gründe vorliegen, die ein Absehen von der grundsätzlich gebotenen Vollstreckung eines Haftbefehls rechtfertigen. Insbesondere darf die Gewährung sicheren Geleits nicht zu einer ungerechtfertigten Besserstellung des flüchtigen Beschuldigten führen.34 2.6. Zuständigkeit Das sichere Geleit bezieht sich immer auf eine oder mehrere konkrete, prozessuale Taten (im Sinne von § 264 Abs. 1 StPO). Zuständig für die Erteilung ist das Gericht, vor dem die Hauptverhandlung wegen dieser Tat stattfinden soll.35 Aus Gründen des Vertrauensschutzes ist die Erteilung durch ein unzuständiges Gericht wirksam.36 Soll mithilfe des sicheren Geleits dem Beschuldigten die Aussage vor einem Untersuchungsausschuss ermöglicht werden, ist also nicht der Untersuchungsausschuss zuständig. Vielmehr bleibt das Gericht zuständig, das das Verfahren gegen den Beschuldigten führt.37 Sind gegen den Beschuldigten mehrere Verfahren anhängig (bei Staatsanwaltschaften bzw. Gerichten), sind auch mehrere Geleitbriefe der jeweils zuständigen Gerichte erforderlich. Als der Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags im Jahr 1983 einen Zeugen, der sich im Ausland aufhielt, vernehmen wollte, stellte er dementsprechend Anträge beim Bundesgerichtshof , bei den Justizministern der Bundesländer Bayern, Hamburg, Hessen, Nordrhein- Westfalen und bei den Finanzministern der Bundesländer Bayern und Hessen.38 Daraufhin wurde dem Zeugen vom Bundesgerichtshof sowie den Amtsgerichten Wiesbaden und München sicheres Geleit gewährt.39 Die Justizminister der Bundesländer Hamburg und Nordrhein-Westfalen teilten mit, dass in ihrem Zuständigkeitsbereich keine strafrechtlichen Verfahren gegen den Zeugen anhängig seien; die Finanzminister der Bundesländer Bayern und Hessen sicherten zu, dass keine freiheitsbeschränkenden Maßnahmen vorgenommen würden.40 33 BGH, Beschluss des Ermittlungsrichters vom 12. Juni 1991, Az.: 4 BJs 42/89 - 3 2 BGs 177/91, Rn. 16 = NJW 1991, 2500, 2501. 34 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22. Dezember 1998, Az. 3 Ws 672/98, Rn. 5 = NStZ-RR 1999, 245. 35 OLG Hamburg, Urteil vom 1. August 1978, Az.: 1 Ws 280/78, Juristische Rundschau (JR) 1979, 174; Frister, in SK-StPO, Band V, 4. Auflage, Köln 2012, § 295 Rn. 6 mwN. 36 Statt aller Meyer-Goßner, in Meyer-Goßner, StPO, 56. Auflage, München 2013, § 295 Rn. 10. 37 BGH, Urteil vom 24. Februar 1988, Az.: 3 StR 476/87, Rn. 10 = BGHSt 35, 216, 217. 38 Bayerischer Landtag, Schlussbericht des Untersuchungsausschusses vom 26. Februar 1985, Drs. 10/6289, S. 4. 39 BGH, Beschluss des Ermittlungsrichters vom 6. Mai 1983, Az.: 2 BGs 181/83; Bayerischer Landtag, Schlussbericht des Untersuchungsausschusses vom 26. Februar 1985, Drs. 10/6289, S. 4. 40 Bayerischer Landtag, Schlussbericht des Untersuchungsausschusses vom 26. Februar 1985, Drs. 10/6289, S. 4. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 175/13; WD 3 - 3000 - 152/13 Seite 11 3. Sicheres Geleit im internationalen Rechtshilfeverkehr 3.1. Sicheres Geleit in internationalen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen Wie bereits angedeutet, sind Regelungen zum sicheren Geleit auch in internationalen Übereinkommen zu finden. Art. 12 des Europäischen Rechtshilfe-Übereinkommens in Strafsachen (EuRhÜbk)41, das die Staaten , die Mitglied im Europarat sind, unterzeichnet haben, lautet: (1) Ein Zeuge oder Sachverständiger, gleich welcher Staatsangehörigkeit, der auf Vorladung vor den Justizbehörden des ersuchenden Staates erscheint, darf in dessen Hoheitsgebiet wegen Handlungen oder Verurteilungen aus der Zeit vor seiner Abreise aus dem Hoheitsgebiet des ersuchten Staates weder verfolgt, noch in Haft gehalten, noch einer sonstigen Beschränkung seiner persönlichen Freiheit unterworfen werden. (2) Eine Person, gleich welcher Staatsangehörigkeit, die vor die Justizbehörden des ersuchenden Staates vorgeladen ist, um sich wegen einer ihr zur Last gelegten Handlung strafrechtlich zu verantworten, darf dort wegen nicht in der Vorladung angerührter Handlungen oder Verurteilungen aus der Zeit vor ihrer Abreise aus dem Hoheitsgebiet des ersuchten Staates weder verfolgt, noch in Haft gehalten, noch einer sonstigen Beschränkung ihrer persönlichen Freiheit unterworfen werden. (3) Der in diesem Artikel vorgesehene Schutz endet, wenn der Zeuge, Sachverständige oder Beschuldigte während fünfzehn aufeinanderfolgenden Tagen, nachdem seine Anwesenheit von den Justizbehörden nicht mehr verlangt wurde, die Möglichkeit gehabt hat, das Hoheitsgebiet des ersuchenden Staates zu verlassen, und trotzdem dort bleibt, oder wenn er nach Verlassen dieses Gebietes dorthin zurückgekehrt ist. Art. 6 des Rechtshilfe-Abkommens in Strafsachen zwischen Deutschland und den USA42 enthält eine nahezu wortgleichen Regelung. Nach diesen Regelungen darf eine Person, die als Zeuge, Sachverständiger oder Beschuldigter in einem Vertragsstaat erscheint, von diesem nicht bzw. nur unter gewissen Voraussetzungen strafrechtlich verfolgt oder verhaftet werden. Dies soll an folgendem Fall veranschaulicht werden: Ein deutsches Gericht möchte eine Person, die sich in einem Vertragsstaat aufhält, als Zeuge vernehmen. Dazu wird ein Rechtshilfeersuchen an diesen Vertragsstaat gerichtet und der Zeuge durch diesen geladen. Reist der Zeuge daraufhin aus dem Vertragsstaat in die Bundesrepublik Deutschland ein, so darf er in der Bundesrepublik Deutschland nicht wegen Handlungen, die er vor seiner Abreise begangen hat, verfolgt oder frei- 41 Europäisches Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20.04.1959 (BGBl. 1964 II S. 1386). Dieses gilt für 42 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über Rechtshilfe in Strafsachen (BGBl. II 2007 S. 1618, 1620). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 175/13; WD 3 - 3000 - 152/13 Seite 12 heitsbeschränkenden Maßnahmen unterzogen werden. Das bedeutet also umgekehrt, dass er nur wegen solcher Vorkommnisse belangt werden kann, die nach der Abreise geschehen sind. Insbesondere ist hier daran zu denken, dass der Zeuge vor dem deutschen Gericht falsch aussagt. Wegen einer solchen Falschaussage hat er sich in Deutschland zu verantworten. Wird ihm aber eine Tat zur Last gelegt, die zeitlich vor der Abreise nach Deutschland liegt, gebührt ihm sicheres Geleit . Die dem ersuchenden Staat, im Beispiel der Bundesrepublik Deutschland, untersagten Maßnahmen umfassen die strafrechtliche Verfolgung, Haft sowie alle sonstigen Beschränkung der persönlichen Freiheit. Insofern ist der Wortlaut der Vorschrift sehr weit. Eine Beschränkung auf bestimmte Haftbefehle, wie sie § 295 StPO vorsieht, ist den Regelungen in den internationalen Abkommen fremd. Angesichts der Vielzahl der Unterzeichnerstaaten und ihrer unterschiedlichen Rechtsordnungen muss die Gewährung sicheren Geleits auch derart umfassend sein, soll die Regelung ihren Zweck erreichen. 3.2. Anwendbarkeit bei Ladung eines Zeugen durch einen Untersuchungsausschuss Ebenso wie bei § 295 StPO stellt sich aber die Frage, ob die internationalen Regelungen über das sichere Geleit, also Art. 12 EuRhÜbk oder Art. 6 des Rechtshilfe-Abkommens zwischen Deutschland und den USA auf eine Ladung eines Zeugen durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss anwendbar sind. Rechtsprechung konnte zu dieser Frage nicht aufgefunden werden. In der Literatur wird diese bisher nur von wenigen erörtert. Soweit dies geschieht, wird eine Anwendung abgelehnt.43 Die Anwendung lehnt Bauer mit dem Hinweis darauf ab, dass in Art. 12 Abs. 1 EuRhÜbk ein Zeuge sicheres Geleit erhält, wenn er auf Vorladung vor den „Justizbehörden“ erscheint. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss sei nicht der „Justiz“ bzw. den „Justizbehörden“ zuzuordnen , sondern sei Teil des obersten Staatsorgans Bundestag. Bauer verweist insoweit auch auf die Rechtsstellung, die Untersuchungsausschüsse in anderen Staaten haben. Es werde im Anwendungsbereich des EuRhÜbk „auf eine strikte Trennung zwischen der Arbeit der Gerichte und der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse geachtet, um die Unabhängigkeit der Justiz zu gewährleisten“. Bauer folgert daraus, dass die „Aufrechterhaltung der Gewaltenteilung im System des parlamentarischen Untersuchungsausschusses […] somit einer Anwendung des Art. 12 EuRhÜbk, der seinem Wortlaut nach auf Ladungen vor Justizbehörden Anwendung“ finde, auf Untersuchungsausschüsse widerspreche.44 Darüber hinaus verweist Bauer auf den Anwendungsbereich des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens , wie es in Art. 1 EuRhÜbk umschrieben ist. Danach „ist Rechtshilfe zu leisten in allen Verfahren hinsichtlich strafbarer Handlungen, zu deren Verfolgung in dem Zeitpunkt, in dem um Rechtshilfe ersucht wird, die Justizbehörden des ersuchten Staates zuständig sind.“ Da- 43 Bauer, Das sichere Geleit unter besonderer Berücksichtigung des Zivilprozesses, Berlin 2006, S. 241-243; Gollwitzer , in Löwe-Rosenberg, StPO, Band IV, 25. Auflage, Berlin 2001, §295 Rn. 24 Fn. 43; Stuckenberg, in Löwe- Rosenberg, StPO, 26. Auflage, Berlin 2013, § 295 Rn. 24 Fn. 43. 44 Bauer, Das sichere Geleit unter besonderer Berücksichtigung des Zivilprozesses, Berlin 2006, S. 241 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 175/13; WD 3 - 3000 - 152/13 Seite 13 mit werde hinreichend deutlich, dass das Europäische Rechtshilfeabkommen von seiner Zielsetzung her darauf begrenzt sei, Rechtshilfe bei der Verfolgung wegen einer Straftat zu gewähren. Dies belege auch der englische Vertragstext. Die Aufgaben eines Untersuchungsausschusses seien aber von der Verfolgung einer strafbaren Handlung in jeder Beziehung zu unterscheiden. Deshalb verbiete es sich, das Europäische Rechtshilfeabkommen auf einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss entsprechend anzuwenden.45 Da Art. 6 des Rechtshilfe-Abkommens zwischen Deutschland und den USA eine nahezu wortgleiche Regelung enthält wie Art. 12 EuRhÜbk, ließe sich die Argumentation zu Art. 12 EuRhÜbk auch auf Art. 6 des Rechtshilfe-Abkommens zwischen Deutschland und den USA übertragen. 4. Auslieferung 4.1. Internationale Auslieferungsabkommen Besteht gegen einen Zeugen vor dem Untersuchungsausschuss kein deutscher, sondern ein ausländischer Haftbefehl, stellt sich die Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland diesem Staat gegenüber zur Verhaftung und Auslieferung des Zeugen verpflichtet ist. Denn aufgrund der staatlichen Souveränität ist auf dem Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland nur diese zu einer Verhaftung befugt. Auslieferung ist die Überstellung einer Person an einen anderen Staat, der diese Person strafrechtlich verfolgen möchte. Das Rechtsinstitut der Auslieferung beruht auf dem Gedanken internationaler Solidarität durch gegenseitige Unterstützung bei der Verwirklichung des staatlichen Strafverfolgungsinteresses.46 Wann und unter welchen Voraussetzungen eine Auslieferung an einen bestimmten Staat erfolgt, regeln primär internationale Übereinkommen. Zu nennen ist hier für den europäischen Bereich das Europäische Auslieferungsabkommen von 195747, das von zwei Zusatzprotokollen48 ergänzt wird . Mit den Vereinigten Staaten von Amerika hat die Europäische Union ein zum 1. Februar 45 Bauer, Das sichere Geleit unter besonderer Berücksichtigung des Zivilprozesses, Berlin 2006, S. 241 f. 46 Weigend, Grundsätze und Probleme des deutschen Auslieferungsrechts, Juristische Schulung (JuS) 2000, 105, 106. 47 Gesetz zu dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 und zu dem Europäischen Übereinkommen vom 20. April 1959 über Rechtshilfe in Strafsachen vom 3. November 1964 (BGBl. II S. 1369); Bekanntmachung über das Inkrafttreten des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 8. November 1976 (BGBl. II S. 1778); 48 Gesetz zum Zweiten Zusatzprotokoll vom 17. März 1978 zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 vom 27. Februar 1990 (BGBl. II S. 118). Das erste Zusatzprotokoll vom 15.10.1975 ist von Deutschland nicht ratifiziert worden. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 175/13; WD 3 - 3000 - 152/13 Seite 14 2010 in Kraft getretenes Abkommen geschlossen49. Besteht mit einem Staat kein Übereinkommen, greifen die Regelungen des Gesetzes über Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG), das daneben auch Vorschriften zum innerdeutschen Verfahren bei Auslieferungen enthält.50 4.2. Europäischer und internationaler Haftbefehl Der sogenannte europäische Haftbefehl ist geregelt im 8. Teil (§§ 78-83i) des Gesetzes über Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG)51. Grundlage ist der Rahmenbeschluss des Rates der Europäischen Union vom 13. Juni 200252, der mit dem Europäischen Haftbefehlsgesetz vom 20. Juli 200653 in deutschen Recht umgesetzte wurde. Beim europäischen Haftbefehl handelt es sich um ein Instrument zur Durchsetzung eines nationalen Haftbefehls in einem anderen EU-Mitgliedsstaat. Dadurch sollen Auslieferungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union vereinfacht und deren Dauer verkürzt werden.54 Die Bezeichnung „europäischer Haftbefehl“ ist also missverständlich, da es sich gerade nicht um einen speziellen Haftbefehl auf europäischer Ebene handelt, sondern um ein besonderes Verfahren zur Vollstreckung ausländischer, nationaler Haftbefehle in Deutschland. Geregelt werden unter dem Schlagwort „europäischer Haftbefehl“ also letztlich Fragen der Auslieferung. Ebenso missverständlich ist der Begriff „internationaler Haftbefehl“. Auch diesem liegt ein nationaler Haftbefehl zugrunde, der in besonderer Form ausgestellt und mit einem Auslieferungsersuchen verbunden ist. Auf internationaler Ebene läuft die Zusammenarbeit über die Internationale kriminalpolizeiliche Organisation, kurz Interpol. Dabei handelt es sich um einen internationalen Zusammenschluss von nationalen Polizeibehörden. Schwerpunkt der Zusammenarbeit ist der Informationsaus- 49 Abkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über Auslieferung, ABl. 2003 L 181, S. 27. Das Abkommen wurde gemäß Beschluss 2003/516/EG des Rates vom 6. Juni 2003 (ABl. L 181, S. 25) unterzeichnet und gemäß Beschluss 2009/820/GASP des Rates vom 23.10.2009 (ABl. L 291, S. 40) geschlossen und die Genehmigungsurkunden wurden zwischen dem Vorsitz des Rates und dem US- Justizminister ausgetauscht. 50 Weigend, Grundsätze und Probleme des deutschen Auslieferungsrechts, JuS 2000, 105, 106. 51 Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Juni 1994 (BGBl. I S. 1537), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 21. Juli 2012 (BGBl. I S. 1566). 52 Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (2002/584/JI), ABl. EG L 190. 53 Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 20. Juli 2006 (BGBl. I S. 1721). Das erste Umsetzungsgesetz aus dem Jahr 2004 war vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig und nichtig erklärt worden, BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2006, Az.: 2 BvR 2236/04. 54 Erwägungsgrund 5 des Rahmenbeschlusses vom 13. Juni 2002 (2002/584/JI), ABl. EG L 190/1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 175/13; WD 3 - 3000 - 152/13 Seite 15 tausch, eigene Hoheitsbefugnisse besitzt Interpol nicht.55 Konsequenterweise wird daher auch nicht von Haftbefehlen gesprochen, sondern von Ausschreibungen zur Festnahme, sog. Rot- Ecken (engl.: red notices). Diese bezeichnen ein Ersuchen um Festnahme und Auslieferung aufgrund eines nationalen Haftbefehls des ersuchenden Staates.56 Einen „echten“ internationalen Haftbefehl, dem kein Haftbefehl eines einzelnen Staates zugrunde liegt, kann der für Völkerrechtsverbrechen zuständige Internationale Strafgerichtshof in Den Haag (IStGH) nach Art. 58 des Rom-Statuts57 erlassen. Das Verfahren richtet sich dann nach dem Gesetz zur Ausführung des Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs58. 4.3. Gründe für die Ablehnung eines Auslieferungsersuchens 4.3.1. EU-Mitgliedstaaten Nach deutschem Recht setzt eine Auslieferung grundsätzlich die beiderseitige Strafbarkeit voraus . So ist nach § 3 IRG eine Auslieferung nur zulässig, wenn die Tat auch nach deutschem Recht strafbar wäre. Liegt ein europäischer Haftbefehl vor, gilt dieser Grundsatz unter den Voraussetzungen des § 81 Nr. 4 IRG jedoch nicht, die beiderseitige Strafbarkeit ist dann von deutscher Seite nicht zu prüfen. Ein Auslieferungsersuchen innerhalb der EU darf die Bundesrepublik Deutschland nach § 79 Abs. 1 IRG nur ablehnen, wenn einer der im IRG abschließend geregelten Gründe vorliegt. Ablehnungsmöglichkeiten bestehen nach § 80 IRG hinsichtlich der Auslieferung deutscher Staatsbürger sowie nach §§ 83b Abs. 2, 80 IRG für Ausländer, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben. Nach § 81 IRG kann eine Auslieferung bei Bagatelldelikten abgelehnt werden (§ 81 Nr. 1, 2 IRG). Nach § 83 IRG kann die Auslieferung abgelehnt werden, wenn in derselben Sache bereits ein Urteil ergangen ist (Grundsatz „ne bis in idem“, § 83 Nr. 1 IRG), bei Schuldunfähigkeit (§ 83 Nr. 2 IRG), unter gewissen Voraussetzungen bei der Vollstreckung von Urteilen gegen abwesende Angeklagte (§ 83 Nr. 3 IRG) und im Fall von lebenslanger Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung nicht nach spätestens 20 Jahren überprüft wird (§ 83 Nr. 4 IRG). 55 Brockhaus, Enzyklopädie Online, Stichwort „Interpol“; Stock, in Widmaier (Hrsg.), Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, 1. Auflage 2006, § 83 Rn. 80-82. 56 Sieverts, Handwörterbuch der Kriminologie, 4. Ergänzungsband, Berlin 1979, S. 71. 57 Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998, von der Bundesrepublik Deutschland ratifiziert mit Gesetz zum Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH-Statut) vom 4. Dezember 2000 (BGBl. II S. 1393). 58 Gesetz zur Ausführung des Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 21. Juni 2002 (BGBl. I S. 2144). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 175/13; WD 3 - 3000 - 152/13 Seite 16 § 83b Abs. 1 IRG sieht eine Ablehnung vor, wenn in derselben Sache ein Strafverfahren in der Bundesrepublik Deutschland geführt wird, abgelehnt oder eingestellt wurde (§ 83b Abs. 1 lit. a, b IRG), die Auslieferung an einen anderen Staat Vorrang hat (§ 83b Abs. 1 lit. c IRG) oder der ersuchende Staat in einem vergleichbaren Fall nicht an die Bundesrepublik Deutschland ausliefern würde (§ 83b Abs. 1 lit. d IRG). 4.3.2. USA Soweit es um ein Auslieferungsersuchen durch die USA geht, wird auf den in Anlage 1 beigefügten Sachstand „Zulässige Gründe für die Ablehnung eines Auslieferungsersuchens nach dem Auslieferungsabkommen zwischen der EU und den USA“59 verwiesen. 4.4. Verhältnis von sicherem Geleit und Auslieferung Besteht aufgrund eines internationalen Übereinkommens im Einzelfall eine Auslieferungspflicht der Bundesrepublik Deutschland, stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis diese zum sicheren Geleit steht. Denkbar ist hier, dass die Bundesrepublik Deutschland aufgrund internationaler Vereinbarungen dem ersuchten Staat gegenüber zur Beachtung des sicheren Geleits verpflichtet ist, gleichzeitig aber einem anderen Staat gegenüber eine Pflicht zur Auslieferung besteht. Denknotwendig kann bei solch einer Pflichtenkollision nur eine der Verpflichtungen beachtet werden. Fraglich ist, welche Verpflichtung dann Vorrang genießt. Wird eine Auslieferung wegen des sich aus Art. 12 EuRhÜbk ergebenden sicheren Geleits abgelehnt , so werden dies jedenfalls all jene Staaten zu respektieren haben, die selbst Vertragspartner des EuRhÜbk sind. Gleiches wird wohl auch dann angenommen werden können, wenn der die Auslieferung begehrende Staat selbst nicht am EuRhÜbk beteiligt ist, in internationalen Rechtshilfeübereinkommen aber eine gleichartige Regelung vereinbart hat. Besteht dagegen keine Rechtsgrundlage für die Gewährung sicheren Geleits, wäre eine solche eine einseitige Suspendierung der vertraglichen Pflichten aus dem Auslieferungsübereinkommen . Keine Rechtsgrundlage besteht, wenn man der Ansicht folgt, dass Art. 12 EuRhÜbk und entsprechende Regelungen auf Zeugen vor Untersuchungsausschüssen keine Anwendung finden können. Die Nichtauslieferung ist dann ein Bruch des völkerrechtlichen Vertrages.60 59 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Zulässige Gründe für die Ablehnung eines Auslieferungsersuchens nach dem Auslieferungsabkommen zwischen der EU und den USA, Sachstand vom12. Juli 2013, PE 6-3000-075/13 – Anlage 1. 60 Bauer, Das sichere Geleit unter besonderer Berücksichtigung des Zivilprozesses, Berlin 2006, S. 118. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 175/13; WD 3 - 3000 - 152/13 Seite 17 5. Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für einen Zeugen vor dem Untersuchungsausschuss Soweit es sich bei dem zu ladenden Zeugen um einen ausländischen Staatsangehörigen, der nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der EU besitzt, oder um einen Staatenlosen handelt, bedarf der Zeuge zur Einreise nach Deutschland eines Aufenthaltstitels (§ 4 AufenthG61). Infrage käme eine Aufnahme nach § 22 AufenthG62, der die Aufnahme von Ausländern in Einzelfällen regelt und nur subsidiär anwendbar ist, also wenn kein anderer Aufenthaltszweck für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vorliegt.63 Die Aufnahme kann nur solchen Ausländern erteilt werden, die sich im Zeitpunkt der erstmaligen Entscheidung über die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis noch nicht im Bundesgebiet befinden .64 Ferner müssen bestimmte Gründe für eine Aufnahme vorliegen: Nach § 22 S. 1 AufenthG kann eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn hierfür völkerrechtliche oder dringende humanitäre Gründe vorliegen. Als dritte Fallgruppe von Aufnahmegründen sieht § 22 S. 2 AufenthG politische Interessen der Bundesrepublik Deutschland vor. Diese Bestimmung räumt dem Bundesministerium des Innern oder einer von ihm bestimmten Stelle die Möglichkeit ein, zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland die Aufnahme eines Ausländers zu erklären. Dem Bundesministerium des Innern ist durch das Tatbestandsmerkmal „zur Wahrung politischer Interessen“ ein weitreichender Beurteilungsspielraum eingeräumt.65 In der einschlägigen Kommentarliteratur wird zum Begriff des politischen Interesses als Voraussetzung einer Aufnahmeerklärung nach § 22 S. 2 AufenthG ausgeführt, dass „die beinahe grenzenlose Weite des Begriffs der Politik […] praktisch jedes politisch motivierte Handeln [ermöglicht], […] dieses aber ebenso weitgehend der Kontrolle [entzieht].“66 Die Aufnahmeentscheidung ist insoweit eine autonome Entscheidung des Bundesministers des Innern oder der von ihm bestimmten Stelle, die weder von der zuständigen Auslandsvertretung bzw. Ausländerbehörde noch von dem betroffenen Ausländer in Zweifel gezogen werden kann.67 Die Entscheidung ist dem Bund vorbehalten.68 61 Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch Artikel 2 Absatz 59 des Gesetzes vom 7. August 2013 (BGBl. I S. 3154). 62 Zum Folgenden vgl. Wahlen, Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Fall Snowden nach Maßgabe des § 22 Aufenthaltsgesetz , Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, WD 3 – 3000 – 137/13, 2013, S. 3 ff. 63 Vgl. Göbel-Zimmermann, in: Huber, Aufenthaltsgesetz, 1. Auflage 2010, § 22 Rn. 2. 64 Dienelt, in: Renner, Ausländerrecht, 9. Auflage 2011, § 22 AufenthG Rn. 3. 65 Vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, 80. Ergänzungslieferung 2013, § 22 Rn. 9. 66 Dienelt, in: Renner, Ausländerrecht, 9. Auflage 2011, § 22 AufenthG Rn. 6; ähnlich Stiegeler, in: Hofmann /Hoffmann, Ausländerrecht, 1. Auflage 2008, § 22 AufenthG Rn. 7. 67 Dienelt, in: Renner, Ausländerrecht, 9. Auflage 2011, § 22 AufenthG Rn. 6. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 175/13; WD 3 - 3000 - 152/13 Seite 18 Das dem Innenminister des Bundes eingeräumte Ermessen könnte aber auf Null reduziert sein, soweit ein Untersuchungsausschuss einen Zeugen aus dem Ausland zur Vernehmung laden will. Aus dem parlamentarischen Untersuchungs- und Beweiserhebungsrecht sowie aus der in Art. 44 Abs. 3 GG genannten Amtshilfeverpflichtung für Verwaltungsbehörden ergibt sich die Pflicht der Bundesregierung sowie der ihr nachgeordneten Behörden, dem Untersuchungsausschuss bei der Beschaffung der notwendigen Beweise Hilfe zu leisten, soweit ihre Mitwirkung hierzu erforderlich ist.69 Ob evtl. entgegenstehende außenpolitische Befürchtungen der Bundesregierung, eine Einreiseerlaubnis für den Zeugen könne die außenpolitischen Beziehungen und damit das Staatswohl beeinträchtigen, in der Ermessensabwägung schwerer wiegen könnten, ist eine Frage, die nur anhand des konkreten Einzelfalls entschieden werden kann. Für die Abwägung dieser Belange ist auf die vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätze zur Aussagegenehmigung von Beamten vor Untersuchungsausschüssen zurückzugreifen.70 Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Wahrung des Staatswohls nicht nur der Regierung, sondern auch dem Parlament anvertraut ist.71 Soweit nicht schwerwiegende, das Staatswohl der Bundesrepublik Deutschland gefährdende außenpolitische Belange dagegen sprechen, hat der Bundesminister des Innern zugunsten eines Zeugen, der vor den Untersuchungsausschuss des Bundestages geladen ist, eine Aufnahmeerklärung gemäß § 22 S. 2 AufenthG abzugeben, so dass der Zeuge im Anschluss einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat. 6. Vernehmung auswärtiger Zeugen durch den Untersuchungsausschuss oder Beauftragte Soweit im Ausland befindliche Zeugen nicht für eine Aussage vor dem Untersuchungsausschuss in Deutschland bereit stehen, stehen dem Untersuchungsausschuss drei weitere Möglichkeiten offen. Zum einen kann er gemäß Art. 44 Abs. 3 GG Mitarbeiter einer deutschen Vertretung im Ausland im Wege der Rechts- und Amtshilfe mit der Vernehmung des Zeugen beauftragen.72 68 Begründung des Gesetzentwurfs, BR 22/03, S. 174. 69 Vgl. bspw. zur Verpflichtung der Bundesregierung zur Erteilung notwendiger Aussagegenehmigungen, soweit keine Versagungsgründe vorliegen, Glauben, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 44 Rn. 116 (Drittbearbeitung Glauben, 160. EL März 2013); Morlok, in: Dreier, Kommentar zum Grundgesetz, Band 2, 2. Auflage 2006, Art. 44 Rn. 48. 70 Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) 124, 78, 123 zu den schutzwürdigen Belangen des Staatswohls sowie BVerfGE 67, 100, 136. 71 BVerfGE 124, 78, 124; Glauben, in Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 44 Rn. 116 (Drittbearbeitung Glauben , 160. EL März 2013). 72 Zur Rechts- und Amtshilfe allgemein Morlok, in: Dreier, Kommentar zum Grundgesetz, Band 2, 2. Auflage 2006, Art. 44 Rn. 53. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 175/13; WD 3 - 3000 - 152/13 Seite 19 Zum anderen kann er den Zeugen selber im Ausland vernehmen, soweit die Behörden des Aufenthaltsstaates einer Vernehmung – häufig auf freiwilliger Basis – zustimmen. Entsprechend hat der 1. Untersuchungsausschuss der 14. Wahlperiode des Deutschen Bundestages beschlossen, den Zeugen Schreiber konsularisch in Anwesenheit der beauftragten Mitglieder des Ausschusses – Vorsitzender, stellvertretender Vorsitzender sowie die Obleute der Fraktionen – in Kanada zu vernehmen.73 Das Protokoll dieser Vernehmung wurde vom Untersuchungsausschuss eines Landtages für seine Verhandlungen beigezogen.74 Ferner kann der Untersuchungsausschuss einen Ermittlungsbeauftragten gemäß § 10 PUAG ernennen , der gemäß § 10 Abs. 3 S. 6 PUAG informatorisch Personen anhören, aber nicht vernehmen kann.75 73 Bericht des 1. Untersuchungsausschuss, BT-Drs. 14/9300, S. 82. 74 Schlussbericht des Untersuchungsausschusses des Bayerischen Landtages, Drs. 14/10000, S. 8. 75 Hierzu Brocker in: Glauben/Brocker, PUAG – Kommentar, 2011, § 10 Rn. 12 mwN.