Deutscher Bundestag Strafbarkeit von transnationalen Unternehmen Regelungsmöglichkeiten und -beispiele für ein Unternehmensstrafrecht Klaus Aschinger Sachstand Wissenschaftliche Dienste © 2013 Deutscher Bundestag WD 7 – 3000 – 174/13 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 174/13 Seite 2 Strafbarkeit von transnationalen Unternehmen Regelungsmöglichkeiten und -beispiele für ein Unternehmensstrafrecht Verfasser/in: Ministerialrat Klaus Aschinger/ Rechtsreferendarin Annika Mara Kunz Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 174/13 Abschluss der Arbeit: 28. August 2013 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung Telefon: +49 (0)30 227-38638 Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 174/13 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Derzeitige Rechtslage 4 1.1. Bundesrepublik Deutschland 4 1.1.1. Verwaltungsrecht 4 1.1.2. Straf- und Strafprozessrecht 5 1.2. Europäisches Gemeinschaftsrecht 6 2. Regelungsmöglichkeiten 7 2.1. Bundesrepublik Deutschland 7 2.1.1. Modelle 7 2.1.1.1. Originäre Verbandsstrafbarkeit 7 2.1.1.2. Zurechnungsmodell 8 2.1.2. Jurisdiktion bei Tochterunternehmen und Zulieferbetrieben im Ausland 9 2.2. Europäische Ebene 10 3. Vorbilder 10 3.1. Originäre Verbandsstrafbarkeit 10 3.2. Zurechnungsmodell 10 3.3. Sonstiges 11 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 174/13 Seite 4 1. Derzeitige Rechtslage 1.1. Bundesrepublik Deutschland 1.1.1. Verwaltungsrecht In der Bundesrepublik Deutschland ermöglicht § 30 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG)1 als zentrale Vorschrift die Festsetzung einer Geldbuße gegen juristische Personen und Personenvereinigungen (sogenannte „Verbandsgeldbuße“2), wenn deren Repräsentant oder Leitungsperson eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen hat, durch die Pflichten, welche die juristische Person oder die Personenvereinigung treffen, verletzt worden sind oder die zu einer Bereicherung dieses Verbandes geführt haben. Eine in diesem Zusammenhang wichtige Vorschrift ist § 130 OWiG: Danach handelt ordnungswidrig, wer als Inhaber eines Betriebes Aufsichtspflichten verletzt. Gemäß § 9 OWiG wird der Täterkreis um Organe, Vertreter und Beauftragte erweitert.3 § 30 OWiG statuiert keinen eigenständigen Bußgeldtatbestand, sondern knüpft an die Begehung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit durch eine Leitungsperson an, für die das Vermögen des Verbands haftet.4 Mit Wirkung vom 30.06.2013 wurde die Höhe der verhängbaren Verbandsgeldbuße von ursprünglich bis zu einer Million Euro auf nunmehr bis zu zehn Millionen Euro angehoben.5, vergleiche § 30 Abs. 2 OWiG. Laut § 30 Abs. 3 OWiG gilt § 17 Abs. 4 OWiG entsprechend für die Verbandsgeldbuße, so dass eine Abschöpfung des Gewinns aus der Anknüpfungstat möglich ist. Danach soll die Geldbuße den wirtschaftlichen Vorteil, den der Täter aus der Ordnungswidrigkeit gezogen hat, übersteigen. Reicht das gesetzliche Höchstmaß hierzu nicht aus, so kann es überschritten werden. Dabei haftet auch die Muttergesellschaft für Tochterunternehmen. Diese Durchgriffshaftung erfasst beispielsweise Fälle, in denen eine der in § 30 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 OWiG genannten Personen 1 Ordnungswidrigkeitengesetz, Fassung aufgrund des Achten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 26.06.2013 (BGBl. I S. 1738) mit Wirkung vom 30.06.2013, im Internet abrufbar unter : http://www.gesetze-im-internet.de/owig_1968/. 2 Rogall in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, München, 3. Auflage 2006, § 30, Rn. 30. 3 Klaus Rogall in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, München, 3. Auflage 2006, § 130, Rn. 31. 4 Felix Dörr, Die Haftung von Unternehmen nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, in: Eberhard Kempf/Klaus Lüderssen/Klaus Volk, Unternehmensstrafrecht, Berlin [u.a.], 2012, S. 23 ff., 25. 5 Bundesgesetzblatt Jahrgang 2013 Teil I Nr. 32, ausgegeben zu Bonn am 29. Juni 2013, S. 1748, im Internet abrufbar unter: http://www.bgbl.de/Xaver/start.xav?startbk=Bundesanzeiger _BGBl&jumpTo=bgbl113s1738.pdf#__Bundesanzeiger _BGBl__%2F%2F*[%40attr_id%3D%27bgbl113s1738.pdf%27]__1376552663249 . Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 174/13 Seite 5 auf die Tochtergesellschaft faktischen Einfluss ausübt mit dem Ziel, die Muttergesellschaft zu bereichern 6, oder wenn ein Organ der Konzernmutter seine Aufsichtspflichten gemäß § 130 OWiG gegenüber der Tochtergesellschaft verletzt7. Auch im Wirtschaftsverwaltungsrecht finden sich Sanktionen gegen Unternehmen, so beispielsweise die Gewerbeuntersagung wegen Unzuverlässigkeit nach § 35 Gewerbeordnung (GewO)8 oder das Erlöschen oder die Aufhebung der Betriebserlaubnis gemäß § 35 des Gesetzes über das Kreditwesen (KWG)9. Ein Unternehmen kann auch wegen schwerer Verfehlungen von der Teilnahme an Vergabeverfahren ausgeschlossen werden, etwa nach § 21 Sektorenverordnung (SektVO)10. Darüber hinaus existieren auf Landesebene teilweise Korruptionsregister, in denen Rechtsverstöße von Unternehmen veröffentlicht werden, zum Beispiel nach § 3 Korruptionsregistergesetz (KRG) Berlin11. 1.1.2. Straf- und Strafprozessrecht Im Strafrecht geregelte Maßnahmen, die Unternehmen betreffen können, sind der Verfall, § 73 Abs. 3 Strafgesetzbuch (StGB)12 und die Einziehung gemäß §§ 74, 75 StGB. Nach § 73 Abs. 1 StGB ordnet das Gericht den Verfall dessen an, was ein Täter oder Teilnehmer aus einer oder für eine rechtswidrige Tat erhalten hat. Wurde für einen Dritten gehandelt und erlangt dieser Dritte daraus etwas, so richtet sich die Verfallsanordnung gegen ihn, vgl. § 73 Abs. 3 StGB. „Dritte“ im 6 Marco Mansdörfer/Sven Timmerbeil, Zurechnung und Haftungsdurchgriff im Konzern - Eine rechtsgebietsübergreifende Betrachtung, in: Wertpapiermitteilungen (WM) 2004, S. 362 ff., S. 368. 7 Felix Dörr, Die Haftung von Unternehmen nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, S. 27, in: Eberhard Kempf, Klaus Lüderssen, Klaus Volk, Unternehmensstrafrecht, De Gruyter, Berlin [u.a.], 2012. 8 Gewerbeordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Februar 1999 (BGBl. I S. 202), die durch Artikel 4 Absatz 61 des Gesetzes vom 7. August 2013 (BGBl. I S. 3154) geändert worden ist, im Internet abrufbar unter: http://www.gesetze-im-internet.de/gewo/. 9 Kreditwesengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. September 1998 (BGBl. I S. 2776), das durch Artikel 3 des Gesetzes vom 7. August 2013 (BGBl. I S. 3090) geändert worden ist, im Internet abrufbar unter: http://www.gesetze-im-internet.de/kredwg/. 10 Sektorenverordnung vom 23. September 2009 (BGBl. I S. 3110), die durch Artikel 7 des Gesetzes vom 25. Juli 2013 (BGBl. I S. 2722) geändert worden ist, im Internet abrufbar unter: http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht /sektvo/gesamt.pdf. 11 Gesetz zur Einrichtung und Führung eines Registers über korruptionsauffällige Unternehmen in Berlin (Korruptionsregistergesetz - KRG) vom 19. April 2006 (GVBl. S. 358), BRV 7102-10, zuletzt geändert durch Art. I Erstes Änderungsgesetz vom 1. 12. 2010 (GVBl. S. 535), im Internet abrufbar unter: http://gesetze.berlin .de/default.aspx?typ=reference&y=100&g=BlnKorRG. 12 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.11.1998 (BGBl. I S. 3322), zuletzt geändert durch Gesetz vom 04.07.2013 (BGBl. I S. 1981) mit Wirkung vom 22.07.2013, im Internet abrufbar unter: http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/ . Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 174/13 Seite 6 Sinne der Vorschrift können sowohl natürliche wie auch juristische Personen sein.13 Die §§ 74, 75 StGB bestimmen, dass Gegenstände, die durch eine vorsätzliche Straftat hervorgebracht oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung gebraucht worden oder bestimmt gewesen sind, eingezogen werden. Ist derjenige, gegenüber dem die Einziehung vorgenommen werden kann, Repräsentant eines nicht rechtsfähigen Vereins, einer Personenvereinigung oder einer juristischen Person und hat als solcher gehandelt, so wird seine Handlung dem Vertretenen zugerechnet.14 Strafprozessual können Verfalls- und Einziehungsgegenstände nach § 111 c Strafprozessordnung (StPO)15 durch Beschlagnahme sichergestellt, beim Verfall oder der Einziehung von Wertersatz gemäß § 111 d StPO der dingliche Arrest angeordnet werden. Es reicht jeweils ein Anfangsverdacht hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen des Verfalls oder der Einziehung.16 1.2. Europäisches Gemeinschaftsrecht Auch das Recht der Europäischen Union kennt die Geldbuße als Sanktion gegen Verbände.17 Hierbei genügt für eine Verantwortlichkeit des Unternehmens, dass eine Person handelt, die berechtigt ist, für das Unternehmen tätig zu werden. Damit sind, im Unterschied zum deutschen Recht, sämtliche Bedienstete erfasst.18 Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon zum 01. Dezember 2009 haben die Kompetenzen der EU auch im Hinblick auf strafrechtsrelevante Gesetzgebung eine Ausweitung erfahren: So ermöglicht die bisher in den Verträgen nicht vorgesehene Annexkompetenz gemäß Artikel 83 Absatz 2 AEUV Harmonisierungsmaßnahmen in einer Vielzahl von Bereichen. Darüber hinaus verfügt die Union erstmals über die Kompetenz, selbst unmittelbar anwendbare Strafvorschriften supranationalen Charakters, begrenzt auf einzelne Bereiche , beispielsweise der Betrugsbekämpfung gemäß Artikel 325 Absatz 4 AEUV, zu erlassen.19 Damit kann künftig auch in beschränktem Maße auf EU-Ebene auf Regelungen zur Strafbarkeit von Unternehmen hingewirkt werden. Ein „Entwurf von Schlussfolgerungen des Rates über Muster- 13 Thomas Fischer, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, § 73 Rn. 29, Beck, München, 60. Auflage 2013. 14 Thomas Fischer, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, § 75 Rn. 1 f., Beck, München, 60. Auflage 2013. 15 Strafprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), die durch Artikel 3 des Gesetzes vom 4. Juli 2013 (BGBl. I S. 2182) geändert worden ist, im Internet abrufbar unter: http://www.gesetze-im-internet.de/stpo/. 16 Lutz Meyer-Goßner, Strafprozessordnung mit GVG und Nebengesetzen, München, 55. Auflage 2012, § 111b Rn. 8. 17 Klaus Rogall in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, München, 3. Auflage 2006. § 30, Rn. 248 ff. 18 Klaus Rogall in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, München, 3. Auflage 2006, § 30, Rn. 249. 19 Helmut Satzger, Das „Manifest zur Europäischen Kriminalpolitik” - Eine Antwort auf die (selten gestellte) Frage nach einer vernünftigen Kriminalpolitik der Europäischen Union, in: Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP) 2010, S. 137. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 174/13 Seite 7 bestimmungen als Orientierungspunkte für die Verhandlungen des Rates im Bereich des Strafrechts “20 sieht eine Zurechnung der von Leitungspersonen und Repräsentanten begangenen Straftaten zur Verantwortlichkeit des Unternehmens sowie die Haftung der juristischen Person für eine Überwachungs- und Kontrollpflichtverletzung durch genannte Personen vor, ohne vorzugeben , ob die Unternehmensverantwortlichkeit strafrechtlich oder ordnungswidrigkeitenrechtlich zu regeln ist.21 Dieses Modell entspricht weitestgehend dem des deutschen Ordnungswidrigkeitenrechts (siehe oben). 2. Regelungsmöglichkeiten 2.1. Bundesrepublik Deutschland 2.1.1. Modelle Auf nationaler Ebene werden verschiedene Modelle einer Umsetzung diskutiert. 2.1.1.1. Originäre Verbandsstrafbarkeit Das Modell der originären Verbandshaftung etabliert eine eigene Verantwortlichkeit des Unternehmens , also der juristischen Person selbst. Dem stehen einige dogmatische Bedenken entgegen. Der BGH stellte 1953 fest, dass die Verhängung einer Kriminalstrafe gegen juristische Personen nicht zu dem im deutschen Recht entwickelten sozialethischen Schuld- und Strafbegriff passe.22 Es wird vorgebracht, der Zweck der Bestrafung könne nach dem bestehenden Verständnis bei einer juristischen Person nicht erreicht werden. Juristische Personen seien nicht straffähig, ihnen fehle es an der Fähigkeit zur Empfindung von Leid, so dass das Strafübel bei ihnen nicht wirke. 23 Darüberhinaus werden teilweise verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich der Strafbarkeit von Personenverbänden angenommen, da diese mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) und der Menschenwürde gemäß Art. 1 Abs. 1 GG hergeleiteten 20 Rat der Europäischen Union, Entwurf von Schlussfolgerungen des Rates über Musterbestimmungen als Orientierungspunkte für die Verhandlungen des Rates im Bereich des Strafrechts, Brüssel, 23. November 2009 Ratsdok . 16542/09, im Internet in deutscher Sprache abrufbar unter: http://db.eurocrim.org/db/de/doc/1167.pdf. 21 Joachim Vogel, Unrecht und Schuld in einem Unternehmensstrafrecht, in: Eberhard Kempf/Klaus Lüderssen /Klaus Volk, Unternehmensstrafrecht, Berlin [u.a.], 2012, S. 205 ff., 212, 213. 22 BGH, Urteil vom 27. Oktober 1953 - 5 StR 723/52, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1953, S. 1838 ff., 1839. 23 Jens Peglau, Unbeantwortete Fragen der Strafbarkeit von Personenverbänden, in: Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP) 2001, S. 406 ff., 408. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 174/13 Seite 8 Schuldprinzip unvereinbar sei. Das deutsche Strafrecht beruhe auf dem Prinzip der Vorwerfbarkeit individueller Schuld24, es sei also ein Unrechtsbewusstsein erforderlich25, welches eine juristische Person nicht entwickeln könne. Der Personenverband sei immer fremdbestimmt von den in ihm wirkenden natürlichen Personen, so dass ihm ein Schuldvorwurf nicht gemacht werden könne.26 Überwindet man diese Bedenken, stellt sich die Frage nach dem genauen Regelungsgegenstand eines Verbandsstrafrechts. Einerseits ist ein Pauschalverweis auf alle Delikte des Strafgesetzbuches denkbar, andererseits ein spezieller, auf juristische Personen zugeschnittener Straftatenkatalog. Zur Entwicklung eines Kataloges wird beispielsweise vorgeschlagen, zu untersuchen, bei welchen Delikten ein strafrechtlich relevantes Handeln des Verbandes phänomenologisch am häufigsten auftritt. Anknüpfungspunkte können dabei täter-, system- und angriffsbezogene Kriterien sein: Wird ein bestimmtes Delikt besonders häufig von Mitgliedern eines Verbands im Rahmen der verbandsbezogenen Tätigkeit begangen? Welche Straftaten stellen sich als Ausdruck typischer rechtswidriger Ausübung von Verbandsmacht dar? Welches Rechtsgut ist besonders anfällig für einen Angriff durch Verbandshandeln und daher schützenswert?27 Allgemein lässt sich feststellen, dass die Diskussion um einen konkreten Deliktskatalog in der Rechtswissenschaft bislang nur punktuell stattfindet,28 ein weithin favorisiertes Modell hat sich noch nicht herausgebildet. 2.1.1.2. Zurechnungsmodell Nach dem Zurechnungsmodell wird das Handeln einzelner Unternehmensangehöriger dem Unternehmen zugerechnet. Hier stellt sich zunächst die Frage, wer hinsichtlich der Zurechnung zu den maßgeblichen Personen zählen soll. Überwiegend wird die Auffassung vertreten, den Maßstab von § 30 Abs. 1 OWiG (siehe oben) heranzuziehen,29 so dass an die Handlungen von Leitungspersonen und Repräsentanten des Unternehmens angeknüpft wird. Nach dem Vorbild des § 30 OWiG in Verbindung mit §§ 130, 9 OWiG wird auch die Anknüpfung an eine Aufsichtspflichtverletzung oder ein Organisationsverschulden der Repräsentanten und Leitungspersonen 24 Rupert Scholz, Strafbarkeit juristischer Personen? in: Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP) 2000, S. 435 ff., 438. 25 BGH, Beschluss vom 18. März 1952 - GSSt. 2/51, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1952, S. 593. 26 Jens Peglau, Unbeantwortete Fragen der Strafbarkeit von Personenverbänden, in: Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP) 2001, S. 406 ff., 407. 27 Hans Kudlich, Deliktskataloge für eine Verbandsstrafbarkeit, in: Eberhard Kempf/Klaus Lüderssen/Klaus Volk, Unternehmensstrafrecht, Berlin [u.a.], 2012, S. 217 ff., 223 ff. 28 Hans Kudlich, Deliktskataloge für eine Verbandsstrafbarkeit, in: Eberhard Kempf/Klaus Lüderssen/Klaus Volk, Unternehmensstrafrecht, Berlin [u.a.], 2012, S. 217 ff., 218. 29 Hans Achenbach, Gedanken zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Unternehmens, in: Eberhard Kempf/Klaus Lüderssen/Klaus Volk, Unternehmensstrafrecht, Berlin [u.a.], 2012, S. 271 ff. 273. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 174/13 Seite 9 diskutiert,30 allerdings ist weitgehend unklar, welche Anforderungen an eine „gute“ Unternehmensorganisation gestellt werden sollen und können31. Die dogmatischen Bedenken hinsichtlich des Verbandsstrafenmodells (siehe oben) greifen bei der Zurechnung nicht, da an das Handeln natürlicher Personen angeknüpft wird. Jedoch wird kritisiert, dass die Möglichkeit, einem Unternehmen das schuldhafte Handeln natürlicher Personen zuzurechnen nicht auf den individuellen Vorwurf eines Strafgesetzes passe.32 Der Unterschied zu einer Zurechnung nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht bestehe darin, dass die danach mögliche Geldbuße „weder einen Schuldvorwurf noch eine ethische Missbilligung“ 33 enthalte. 2.1.2. Jurisdiktion bei Tochterunternehmen und Zulieferbetrieben im Ausland Zur Verfolgung von Strafsachen im Zusammenhang mit Tochterunternehmen und Zulieferbetrieben von transnationalen Unternehmen ist zunächst eine Zuständigkeit der deutschen Strafverfolgungsbehörden erforderlich. Grundsätzlich ergibt sich diese bei Auslandsstraftaten aus dem aktiven und dem passiven Personalitätsprinzip gemäß § 7 Abs. 1 und 2 StGB, also dann, wenn entweder ein Opfer oder ein mutmaßlicher Täter deutscher Staatsbürger ist. Aus § 153c der Strafprozessordnung (StPO)34 ergibt sich, dass die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung absehen kann, insbesondere dann, wenn ein öffentliches Interesse an der strafrechtlichen Ahndung nicht oder nicht mehr besteht, vergleiche Nr. 94 Abs. 1 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV).35 Es wird kritisiert, dass die Staatsanwaltschaft ein weites Ermessen hinsichtlich der Aufnahme von Ermittlungen habe und es an einer klaren Definition des öffentlichen Interesses fehle.36 30 Hans Achenbach, Gedanken zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Unternehmens, in: Eberhard Kempf/Klaus Lüderssen/Klaus Volk, Unternehmensstrafrecht, Berlin [u.a.], 2012, S. 271 ff. 273. 31 Katharina Beckemper, Unternehmensstrafrecht – auch in Deutschland?, in: Eberhard Kempf/Klaus Lüderssen /Klaus Volk, Unternehmensstrafrecht, Berlin [u.a.], 2012, S. 277 ff., 282. 32 Michael Sachs, Ziele und verfassungsrechtliche Vereinbarkeit eines Unternehmensstrafrechts, in: Eberhard Kempf/Klaus Lüderssen/Klaus Volk, Unternehmensstrafrecht, Berlin [u.a.], 2012, S. 195 ff., 200. 33 BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 1997 – 1 BvR 2172/96 –, BVerfGE 95, 220, 242, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1997, 1841 ff., 1844. 34 Strafprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), die durch Artikel 3 des Gesetzes vom 4. Juli 2013 (BGBl. I S. 2182) geändert worden ist, im Internet abrufbar unter: http://www.gesetze-im-internet.de/stpo/. 35 Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) vom 1. Januar 1977, geändert mit Wirkung vom 1. April 2012 durch Bekanntmachung vom 13.03.2012, im Internet abrufbar unter: http://www.verwaltungsvorschriften -im-internet.de/bsvwvbund_01011977_420821R5902002.htm. 36 Miriam Saage-Maaß/Claudia Müller-Hoff: Transnationale Unternehmen in Lateinamerika: Gefahr für die Menschenrechte ? Gefährdung der Menschenrechte durch Unternehmen und juristische Haftungsfragen, Berlin, 2011, S. 40, im Internet abrufbar unter: http://www.ecchr.de/index.php/gesetzesreform.html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 174/13 Seite 10 Folgte man dem Vorbild des Ordnungswidrigkeitenrechts im Sinne der §§ 130, 30 OWiG (siehe oben), so ergäbe sich schon aus der Anknüpfung an eine Aufsichtspflichtverletzung oder ein Organisationsverschulden die Zuständigkeit der deutschen Strafverfolgungsbehörden aus § 3 StGB, wenn der Verantwortliche die Aufsichtspflichtverletzung im Inland begangen hat. 2.2. Europäische Ebene Auf europäischer Ebene ist die Gestaltung einer Unternehmensstrafbarkeit in Form von Verordnungen und Richtlinien denkbar, beispielhaft sei auf den „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch )“37 hingewiesen. 3. Vorbilder 3.1. Originäre Verbandsstrafbarkeit Über ein Unternehmensstrafrecht im Sinne einer Verbandsstrafbarkeit, also der Strafbarkeit der juristischen Person selbst, mit einem Pauschalverweis auf alle Delikte des jeweiligen Strafgesetzbuches verfügen beispielsweise Dänemark, Frankreich, die Niederlande, Österreich, Rumänien und Ungarn.38 Ebenfalls eine Unternehmensstrafbarkeit, jedoch nur hinsichtlich eines ausgewählten Deliktkatalogs, haben etwa die Länder Estland, Litauen, Portugal und Slowenien geregelt.39 3.2. Zurechnungsmodell Variierende Formen des Zurechnungsmodells finden sich in den nationalen Regelungen von Lettland, Polen, Schweden und der Slowakei.40 37 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch), KOM [2011] 654, S. 6, im Internet in deutscher Sprache abrufbar unter: http://db.eurocrim.org/db/de/doc/1664.pdf. 38 Dokumentation „Eine Übersicht zum Unternehmensstrafrecht in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union“ des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages, Fachbereich WD 7, Aktenzeichen WD7 – 3000 – 162/13, August 2013. 39 Dokumentation „Eine Übersicht zum Unternehmensstrafrecht in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union“ des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages, Fachbereich WD 7, Aktenzeichen WD7 – 3000 – 162/13, August 2013. 40 Dokumentation „Eine Übersicht zum Unternehmensstrafrecht in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union“ des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages, Fachbereich WD 7, Aktenzeichen WD7 – 3000 – 162/13, August 2013. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 174/13 Seite 11 3.3. Sonstiges Auch die Vertreter des „Common Law“-Systems wie die USA41, das Vereinigte Königreich und Irland42 kennen die Bestrafung von Unternehmen. Aufgrund der dortigen Rechtsfindung durch richterliche Rechtsfortbildung lassen sich jedoch kaum Rückschlüsse für das deutsche Recht ziehen . Für eine ausführlichere Analyse der Formen der Unternehmensbestrafung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union wird auf die Ausarbeitung „Eine Übersicht zum Unternehmensstrafrecht in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union“43 des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages hingewiesen. Klaus Aschinger Annika Mara Kunz 41 Christoph Partsch, Hundert Jahre Erfahrung mit einem Unternehmensstrafrecht in den USA, in: Eberhard Kempf/Klaus Lüderssen/Klaus Volk, Unternehmensstrafrecht, Berlin [u.a.], 2012, S. 55 ff. 42 Dokumentation „Eine Übersicht zum Unternehmensstrafrecht in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union“ des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages, Fachbereich WD 7, Aktenzeichen WD7 – 3000 – 162/13, August 2013. 43 Dokumentation „Eine Übersicht zum Unternehmensstrafrecht in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union“ des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages, Fachbereich WD 7, Aktenzeichen WD7 – 3000 – 162/13, August 2013.