WD 7 - 3000 - 169/19 (11. November 2019) © 2019 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Nach § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VgV ist der öffentliche Auftraggeber berechtigt, ein Vergabeverfahren ganz oder teilweise aufzuheben, wenn sich die Grundlage des Vergabeverfahrens wesentlich geändert hat. Die Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Aufhebungsentscheidung erfolgt durch die zuständige Vergabekammer (Ruhland, in: Pünder/Schellenberg, Rn. 27; zum Verfahren vgl. §§ 160 ff. GWB). Antragsbefugt sind nach § 160 Abs. 2 Satz 1 GWB nur solche Unternehmen, die ein Interesse an dem öffentlichen Auftrag haben und eine Verletzung ihrer Rechte nach § 97 Abs. 6 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend machen. Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags nehmen nach ihren Verfahrensgrundsätzen keine rechtliche Prüfung im Einzelfall vor. Dies gilt insbesondere zu der Frage, wann Änderungen in einem bestimmten Vergabeverfahren als wesentlich anzusehen sind und ob der öffentliche Auftraggeber in einzelnen Fällen berechtigt war, eine Ausschreibung ganz oder teilweise aufzuheben. Ganz allgemein lässt sich ausführen, dass eine wesentliche Änderung der Grundlage des Vergabeverfahrens insbesondere dann vorliegen kann, wenn es für den Auftraggeber objektiv sinnlos oder unzumutbar wäre, das Vergabeverfahren mit einem Zuschlag zu beenden bzw. wenn die Auftragsdurchführung nicht mehr möglich ist (vgl. etwa OLG Düsseldorf, Ruhland, in: Pünder/Schellenberg, Rn. 15 m.w.N.). Die zur Sinnlosigkeit oder Unzumutbarkeit führenden Umstände müssen dabei nachträglich, also nach Einleitung des Vergabeverfahrens, eingetreten oder für den Auftraggeber erstmals erkennbar geworden sein (vgl. Herrmann, in: Ziekow/Völlink, Rn. 40 m.w.N.). Schließlich dürfen die zur Aufhebung führenden Gründe nach ganz überwiegender Auffassung nicht vom Auftraggeber zu vertreten, d.h. nicht von ihm vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt worden sein (vgl. Conrad, in: Gabriel/Krohn/Neun, Rn. 29 m.w.N.). Als wesentliche Änderungen kommen in rechtlicher Hinsicht insbesondere solche Leistungshindernisse in Betracht, die die Erfüllung des zu vergebenden Vertrages unmöglich machen. Darunter können beispielsweise Änderungen von Rechtsvorschriften oder eine Haushaltssperre fallen (vgl. Conrad, in: Gabriel/Krohn/Neun, Rn. 30, 34 ff. m.w.N.). Auch die Verweigerung erforderlicher Genehmigungen oder vergleichbar wirkende Entscheidungen durch Behörden oder Gerichte können den Aufhebungstatbestand des § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VgV erfüllen (vgl. Conrad, in: Gabriel/Krohn/Neun, Rn. 36). Auch bei einer Änderung des Beschaffungsbedarfs, insbesondere Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Auslegung des Merkmals der Wesentlichkeit gemäß § 63 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 VgV Kurzinformation Auslegung des Merkmals der Wesentlichkeit gemäß § 63 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 VgV Fachbereich WD 7 (Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau und Stadtentwicklung) Wissenschaftliche Dienste Seite 2 einer vollständigen Aufgabe des Vergabewillens, wurde in der Vergangenheit eine wesentliche Änderung der Vergabegrundlage angenommen (vgl. Conrad, in: Gabriel/Krohn/Neun, Rn. 36). Eine wesentliche Änderung der Vergabegrundlage kann ferner insbesondere dann vorliegen, wenn sich das ursprüngliche Beschaffungsvorhaben mit der anfangs dafür vorgesehenen Finanzierung nicht verwirklichen lässt, etwa wegen erheblicher Preissteigerungen auf den Rohstoffmärkten , einer nicht gewährten Förderung oder unerwartet ausbleibenden Haushaltsmitteln (vgl. Conrad, in: Gabriel/Krohn/Neun, Rn. 40). In solchen Fällen sei allerdings besonders sorgfältig zu prüfen, ob die maßgeblichen Umstände nachträglich eingetreten und vom Auftraggeber nicht zu vertreten seien. Leite der Auftraggeber ein Vergabeverfahren ein, obwohl die Finanzierung des Vorhabens nicht gesichert sei und lege er das nicht offen, könne er eine wesentliche Änderung der Vergabegrundlage nicht geltend machen (vgl. Conrad, in: Gabriel/Krohn/Neun, Rn. 40 m.w.N.). § 63 VgV dient dem Bieterschutz (vgl. Herrmann, in: Ziekow/Völlink, Rn. 60). Eine gegen § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VgV verstoßende Aufhebung des Vergabeverfahrens ist mithin rechtswidrig (vgl. Conrad, in: Gabriel/Krohn/Neun, Rn. 88 f.). Gleichwohl kann die Vergabekammer den öffentlichen Auftraggeber nicht zur Zuschlagserteilung zwingen (vgl. Ruhland, in: Pünder/Schellenberg , Rn. 27 m.w.N.). Die Vergabekammer muss der Vergabestelle vielmehr die Wahl lassen, den Auftrag zu erteilen oder ggf. unter Inkaufnahme von etwaig bestehenden Schadensersatzansprüchen von der Auftragsvergabe abzusehen (vgl. Ruhland, in: Pünder/Schellenberg, Rn. 27 m.w.N.). Quellen: – VgV: Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge vom 12.04.2016 (BGBl. I S. 624), zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung zur Änderung der Vergabeverordnung und der Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit vom 12.07.2019 (BGBl. I S. 1081). – GWB: Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der Fassung der Bekanntmachung vom 26.06.2013 (BGBl. I S. 1750), zuletzt geändert durch Artikel 10 des Gesetzes zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage vom 12.07.2018 (BGBl. I S. 1151). – OLG Düsseldorf, Beschluss vom 03.01.2005, Az.: Verg 72/04, IBRRS 2005, 0723. – Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 3. Auflage 2019, Kommentierung zu § 63 VgV. – Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 3. Auflage 2018, Kommentierung zu § 63 VgV. – Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch Vergaberecht, 2. Auflage 2017, Kommentierung in Kapitel 6, § 33. ***