Deutscher Bundestag Analoge Anwendung des Gesetzes zur Angemessenheit von Vorstandsvergütungen auf Genossenschaften Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste © 2009 Deutscher Bundestag WD 7 – 3000 – 167/09 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 167/09 Seite 2 Analoge Anwendung des Gesetzes zur Angemessenheit von Vorstandsvergütungen auf Genossenschaften Verfasser: Ausarbeitung: WD 7 – 3000 – 167/09 Abschluss der Arbeit: Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 167/09 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Zusammenfassung 4 2. Das Gesetz zur Angemessenheit von Vorstandsvergütungen 4 2.1. Zweck und Entstehung des Gesetzes 4 2.2. Anwendungsbereich des Gesetzes 5 2.3. Wesentlicher Inhalt der Neuregelung 5 3. Genossenschaften 6 3.1. Unterschiede und Gemeinsamkeiten 6 3.2. Vorstand und Aufsichtsrat 7 4. Analoge Anwendbarkeit der Regelungen des VorstAG auf Genossenschaften? 8 4.1. Voraussetzungen 8 4.2. Planwidrigkeit und Regelungslücke 8 5. Allgemeine Übertragbarkeit aktienrechtlicher Grundsätze auf die Vergütungen von Genossenschaftsvorständen? 9 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 167/09 Seite 4 1. Zusammenfassung Die Regelungen des Gesetzes zur Angemessenheit von Vorstandsvergütungen (VorstAG)1 lassen sich nicht auf Genossenschaften unmittelbar oder analog anwenden. Der Gesetzgeber wollte angemessene Vorstandsvergütungen für Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften, bei denen auch die Langfristigkeit und Nachhaltigkeit der Unternehmensführung gestärkt wird. Die Beschränkung auf Aktiengesellschaften hat er auch rechtstechnisch entsprechend umgesetzt und im Gesetzgebungsverfahren deutlich zum Ausdruck gebracht. Trotz ähnlicher Strukturen unterscheiden sich Aktiengesellschaft und Genossenschaft in so erheblichem Maße, dass eine vergleichbare Interessenlage, die eine analoge Anwendung zuließe, nicht ohne weiteres gegeben ist. Unter dem Blickwinkel des Anlasses des VorstAG, nämlich den Ursachen der Finanz- und Wirtschaftskrise, ist eine Übertragbarkeit auf Genossenschaften ebenfalls nicht geboten. Allenfalls der Rechtsgedanke der Angemessenheit der Vergütung von Genossenschaftsvorständen ist im Rahmen der Prüfung der Sorgfaltspflichten der Aufsichtsräte bedenkenswert. Hierbei könnten die modifizierten Maßstäbe der aktienrechtlichen Bestimmungen im Einzelfall Berücksichtigung finden, ohne im Wortlaut zu gelten. 2. Das Gesetz zur Angemessenheit von Vorstandsvergütungen 2.1. Zweck und Entstehung des Gesetzes Das VorstAG ändert vorrangig das Aktiengesetz (AktG). Damit sollen Lehren aus der Finanzmarkt - und Wirtschaftskrise gezogen werden. Es wurde vom Gesetzgeber angenommen, dass von kurzfristig ausgerichteten Vergütungsinstrumenten fehlerhafte Verhaltensanreize für Vorstandsmitglieder ausgehen können. Das Gesetz sieht vor, dass stattdessen der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft (AG) bei der Festsetzung der Bezüge eines Vorstandsmitglieds Verhaltensanreize zu einer nachhaltigen Unternehmensentwicklung statt zur Eingehung unverantwortlicher Risiken setzt. Der ursprüngliche Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD2 wurde am 20. März an den federführenden Rechtsausschuss überwiesen3. Hierzu – und zu weiteren Anträgen der Opposition 4 – führte der Rechtsausschuss am 25. Mai 2009 eine Sachverständigenanhörung durch5 Der Entwurf war Gegenstand erheblicher Diskussionen,6 weswegen der ursprünglich vorgelegte Koa- 1 Gesetz vom 31.07.2009 mit Wirkung zum 05.08.2009 (BGBl. I 2509). 2 BT-Drs. 16/12278 vom 17. März 2009. 3 BT-Prot. 16/212 vom 20.03.2009, S. 23013 ff. 4 BT-Drs. 16/10885, 12278 und 12112. Weitere Anträge der Opposition wurden bereits vor Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise eingebracht, siehe BT-Drs. 16/7530 und 7743. 5 Prot. des Rechtsausschusses Nr. 16/143 vom 25.05.2009. 6 Siehe zur Diskussion um das VorstAG mit weiteren Nachweisen (m.w.N.) Hanau, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2009, 1652 ff., Nikolay, NJW 2009, 2640 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 167/09 Seite 5 litionsentwurf im Gesetzgebungsverfahren zum Teil erheblich abgeändert wurde.7 Der Rechtsausschuss empfahl unter Berücksichtigung dieser Änderungsvorschläge die Annahme des Entwurfes .8 Das Plenum verabschiedete am 18. Juni 20099 das Gesetz, das nach Beteiligung des Bundesrates am 5. August 2009 in Kraft trat. 2.2. Anwendungsbereich des Gesetzes Die Änderungen, die das VorstAG vorsieht, wirken sich unmittelbar nur auf das Aktienrecht aus. Das Gesetz bezieht sich allein auf die Vorstandsbezüge von Gesellschaften in Rechtsform einer Aktiengesellschaft. Geändert werden daher nur Vorschriften des Aktiengesetzes (u.a. §§ 87, 107, 193 AktG). Zur Regelung von Übergangsfristen wird zudem das Einführungsgesetz zum Aktiengesetz (EGAktG) geändert. Das Handelsgesetzbuch (HGB) sowie dessen Einführungsgesetz (EGHGB) sind anzugleichen, soweit Jahres- und Konzernabschlüsse betroffen sind, die als Maßstab für die Vorstandsvergütung dienen und zugleich die Offenlegung der Vorstandsbezüge enthalten . Die handelsrechtlichen Vorschriften zur Bilanzierung gelten nicht nur Aktiengesellschaften , sondern auch für andere Kapitalgesellschaften wie GmbHs (vgl. § 264 ff. HGB). Der Anwendungsbereich des VorstAG betrifft daher nach ausdrücklicher Regelung nur Vorstände von Aktiengesellschaften im Sinne des Aktiengesetzes. 2.3. Wesentlicher Inhalt der Neuregelung Soweit für die hier vorliegende Fragestellung von Belang, umfasst der wesentliche Inhalt des VorstAG eine Änderung von § 87 AktG („Grundsätze für die Bezüge der Vorstandsmitglieder“). Demnach hat der Aufsichtsrat dafür zu sorgen, dass die Gesamtbezüge der Vorstände „…in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben und Leistungen des Vorstandsmitglieds sowie zur Lage der Gesellschaft stehen und die übliche Vergütung nicht ohne besondere Gründe übersteigen“. Dies gilt neben dem Gehalt auch für Gewinnbeteiligungen, Aufwandsentschädigungen, Versicherungsentgelte , Provisionen und weitere anreizorientierte Vergütungszusagen. Die Vergütungsstruktur ist bei börsennotierten Gesellschaften auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung auszurichten. Variable Vergütungsbestandteile sollen daher eine mehrjährige Bemessungsgrundlage haben. Die bis 4. August 2009 geltende Regelung in § 87 Abs. 1 AktG hatte lediglich verlangt, dass die Gesamtbezüge des einzelnen Vorstandsmitglieds „in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben des Vorstandsmitglieds und zur Lage der Gesellschaft stehen“ muss. Nunmehr ergänzt 7 Der ursprüngliche Entwurf scheint indes seinem Wortlaut nach strengere Maßstäbe vorgesehen zu haben – auch wenn im Ausschussbericht die Meinung vertreten wird, die nunmehr geltende Fassung verhindere viel effektiver einen „Aufschaukelungseffekt“ (vgl. BT-Drs. 13433, S. 10). 8 BT-Drs. 13433 vom 17.06.2009. 9 BT-Prot. 16/227, S. 25127. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 167/09 Seite 6 die Neuregelung die Angemessenheit um die Üblichkeit, die nicht überstiegen werden darf, sowie um eine langfristige Ausrichtung bei variablen Vergütungsbestandteilen (sog. Boni). Der Vorstand ist persönlich verpflichtet, das Unternehmen mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters zu leiten (§ 76 Abs. 1 AktG). Verletzen Vorstandsmitglieder diese Sorgfaltspflicht, müssten sie für den Schaden persönlich haften. Allerdings haben in der Praxis Aktiengesellschaften häufig Haftpflichtversicherungen für Vorstandsmitglieder abgeschlossen . § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG sieht nunmehr eine begrenzte Selbsthaftung der Vorstandsmitglieder vor, wenn die Aktiengesellschaft eine Berufshaftpflichtversicherung für Risiken aus beruflicher Tätigkeit abschließt.10 § 116 Satz 2 AktG begründet zudem eine eigene Haftung der Aufsichtsratsmitglieder, wenn sie eine unangemessene Vergütung für Vorstände festsetzen (§ 87 Abs. 1 AktG). Welche Auswirkungen die Neuregelung in der Praxis hat, ist unklar. Der Gesetzgeber erhofft sich die Stärkung einer auf Nachhaltig- und Langfristigkeit ausgerichteten Vergütung von Vorständen. Dies komme der Gesamtentwicklung der AG zugute, weil so die Eingehung unverantwortlicher Risiken zur Erreichung kurzfristiger Erfolge vermieden werde.11 Dagegen wird vorgebracht, die bisher geltende Verpflichtung zur „Angemessenheit“ der Bezüge in § 87 AktG a.F. sei nun durch eine Reihe neuer unbestimmter Rechtsbegriffe nur vermeintlich präzisiert, im Ergebnis aber kaum ausgebaut worden. Die hohen politischen Erwartungen würden durch das Gesetz kaum eingelöst werden können.12 3. Genossenschaften 3.1. Unterschiede und Gemeinsamkeiten Entstehungsgeschichtlich sollte die Genossenschaft (eG, vgl. § 3 Genossenschaftsgesetz – GenG13) die „juristische Antipode“ zur AG sein: Genossenschaften sind Personengesellschaften – im Gegensatz zu Aktiengesellschaften, die Kapitalgesellschaften sind. Die eG gilt als unternehmerisches Sozialmodell, das ein bestimmter Förderzweck kennzeichnet, aber ebenso prägend ist das Kopfstimmrecht, der Verzicht auf eine Kapitalfixierung und das Prinzip der Selbstorganschaft (vgl. §§ 1, 9 Abs. 2 GenG).14 Zweck der eG ist die „Förderung des Erwerbes oder der Wirtschaft ihrer Mitglieder mittels gemeinschaftlichen Geschäftsbetriebes“ (§ 1 Abs. 1 GenG). Der eG ist damit der Weg auf den Kapitalmarkt verwehrt; 10 Die Pflicht zur Selbsthaftung entfällt also, wenn die Berufsrisikohaftpflichtversicherung nicht von der Gesellschaft, sondern vom Vorstandsmitglied selbst oder von Dritten abgeschlossen wird. Vgl. hierzu die Begründung in BT-Drs. 16/13433, S. 11. 11 Vgl. Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen vom 17.03.2009, BT-Drs. 16/12278, S. 1. 12 Spindler, Vorstandsgehälter auf dem Prüfstand – das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG), Neue Juristische Online-Zeitschrift( NJOZ) 2009, S. 3282 (3291). 13 Genossenschaftsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. Oktober 2006 (BGBl. I S. 2230), zuletzt geändert durch Artikel 10 des Gesetzes vom 25. Mai 2009 (BGBl. I S. 1102). 14 Steding, Die Genossenschaft und ihr ambivalentes Verhältnis zum Aktienrecht - Überlegungen zur juristischen Annäherung der eG an die AG, Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht (NZG) 2002, 449. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 167/09 Seite 7 sie dient ihren Mitgliedern. Der notwendige Schutz des Kapitalmarktes erklärt, warum die aktienrechtlichen Regelungen zumeist detaillierter geregelt sind, während der eG erheblich größere Spielräume bei der Ausgestaltung ihrer Rechtsbeziehungen verbleiben. Auch steht bei der eG nicht die Ausschüttung der erwirtschafteten Erträge an die Mitglieder im Vordergrund, sondern zumeist deren Förderung durch Naturalzuwendungen. Andererseits weisen eG und AG in rechtlicher Hinsicht eine Reihe von Gemeinsamkeiten auf: Die eG dient den wirtschaftlichen Zwecken der Mitglieder, die hierzu Geschäftsanteile zu leisten haben (§§ 1, 7 Nr. 1 GenG). Wie die AG hat die eG eine Gewinnerzielungsabsicht und steht im Wettbewerb mit den Anbietern konkurrierender Leistungen.15 Am deutlichsten werden die Gemeinsamkeiten bei der organschaftlichen Verfassung: eGs haben wie AGs eine Versammlung, einen Aufsichtsrat und einen Vorstand (§ 9 GenG), die vergleichbare Funktionen wahrnehmen. In der Literatur heißt es, die Organverfassung zwischen AG und eG sei nahezu identisch und die eG nähere sich insofern der AG an.16 Dagegen wird von anderer Seite eingewandt, dass sich zwar die Stellung des Genossenschaftsvorstands von derjenigen des Vorstands einer AG kaum durch den Umfang des Autonomiespielraums, sondern vor allem durch die durchgängige Orientierung am Förderzweck unterscheide.17 Dies verdeutliche sich vor allem im Grundsatz der „Selbstorganschaft “. Anders als bei AGs müssen die Vorstandsmitglieder der eG zugleich Genossen sein (§ 9 Abs. 2 GenG). Hierdurch werde ein Ausgleich zwischen den Belangen der Vorstandsmitglieder und der „einfachen“ Genossen gewährleistet. 3.2. Vorstand und Aufsichtsrat Das bereits erwähnte Prinzip der Selbstorganschaft verlangt, dass die Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder zugleich Mitglieder der Genossenschaft sind (§ 9 Abs. 2 GenG). Der Vorstand der eG ist wie bei der AG zur Vertretung der eG berechtigt (§§ 24 ff.). Er leitet die eG unter eigener Verantwortung (§ 27 Abs. 1 GenG).18 Damit hat der Vorstand einer eG die gleichen Befugnisse wie der einer AG (vgl. § 76 Abs. 1 AktG). Die Vorstandsmitglieder haben bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters einer Genossenschaft anzuwenden und haften der eG bei Verstößen gegen die Geschäftsführungspflichten oder gegen die Satzung (§ 34 GenG). Auch insoweit entsprechen die Pflichten dem denen eines AG-Vorstands (vgl. § 93 AktG). Der Vorstand wird vom Aufsichtsrat überwacht (§ 38 Abs. 1 GenG), der die eG gegenüber dem Vorstand vertritt (§ 39 Abs. 1 Satz 1 GenG). Bestimmt wird der Vorstand von der Generalversammlung , allerdings ist der Aufsichtsrat berechtigt, Vorstandsmitglieder vorläufig abzuberufen (§ 40 GenG). Dem Aufsichtsrat können durch Satzung weitere Befugnisse zugeteilt werden. Hierzu gehört in der Praxis häufig die Berufung des Vorstandes. Die Aufsichtsratsmitglieder sind in 15 Vgl. Keßler, Die Genossenschaftsreform im Lichte der Corporate-Governance-Debatte, Betriebsberater (BB) 2005, 277 (278). 16 Steding (Fn. 14), 451 ff. 17 Keßler (Fn. 15), 278 f. 18 Die mit der Novelle des Genossenschaftsgesetzes vom 09.10.1973 eingeführte Regelung wurde seinerzeit heftig kritisiert, vgl. m.w.N. Steding (Fn. 14). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 167/09 Seite 8 gleicher Weise gegenüber der eG verantwortlich wie die Vorstandsmitglieder (§§ 38 Abs. 3, 41 GenG). Die Rechte des Aufsichtsrates sind damit ebenfalls den Rechten eines AG-Aufsichtsrates vergleichbar (vgl. §§ 111, 112 AktG). Das GenG enthält allerdings im Gegensatz zum AktG keine eigenen Regelungen zur Vergütung von Vorstandmitgliedern einer eG. Soweit ersichtlich, gibt es hierzu auch keine Rechtsprechung. 4. Analoge Anwendbarkeit der Regelungen des VorstAG auf Genossenschaften? 4.1. Voraussetzungen Eine entsprechende Anwendung einer Rechtsnorm (Analogie) kann durch den Rechtsanwender bei der Auslegung einer Norm vorgenommen werden, wenn ein Rechtssatz einen Sachverhalt dem Wortlaut nach nicht erfasst, obwohl dies wegen der Ähnlichkeit der Interessenlage geboten wäre. Das Bundesverfassungsgericht begründet die Notwendigkeit von Analogien wie folgt:19 „Die tatsächliche oder rechtliche Entwicklung kann (…) eine bis dahin eindeutige und vollständige Regelung lückenhaft, ergänzungsbedürftig und zugleich ergänzungsfähig werden lassen. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Lückensuche und -schließung findet ihre Rechtfertigung unter anderem darin, dass Gesetze einem Alterungsprozess unterworfen sind. Sie stehen in einem Umfeld sozialer Verhältnisse und gesellschaftspolitischer Anschauungen, mit deren Wandel sich auch der Norminhalt ändern kann (…). In dem Maße, in dem sich aufgrund solcher Wandlungen Regelungslücken bilden, verliert das Gesetz seine Fähigkeit, für alle Fälle, auf die seine Regelung abzielt, eine gerechte Lösung bereit zu halten. Die Gerichte sind daher befugt und verpflichtet zu prüfen, was unter den veränderten Umständen „Recht“ i. S. des Art. 20 III GG ist.“ Eine analoge Geltung der Regelungen des VorstAG für Genossenschaftsvorstände hätte zwei Voraussetzungen : Zum einen muss eine planwidrige Regelungslücke, zum anderen eine vergleichbare Interessenlage gegeben sein. 4.2. Planwidrigkeit und Regelungslücke Bei kursorischer Betrachtung sind beide Voraussetzungen nicht gegeben. Hierbei ist zu berücksichtigen , dass das VorstAG erst kürzlich in Kraft getreten ist, mithin von einem „Alterungsprozess “ der Regelungen oder neuer tatsächlicher Entwicklungen, der eine Anpassung durch den Rechtsanwender erforderlich machen würden, nicht gesprochen werden kann. Im Gegenteil: Eine Analogie widerspräche dem erklärten Willen des Gesetzgebers. Im parlamentarischen Verfahren zum VorstAG kamen in der Anhörung vor dem Rechtsausschuss am 25. Mai 2009 mögliche Auswirkungen der Reform auf Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH) zur Sprache.20 Der Rechtsausschuss war in seinem Bericht der Auffassung, der 19 Vgl. BVerfGE 82, 6 (12) = NJW 1990, 1593 (1594 f.). 20 Vgl. Rechtsausschuss, Protokoll 16/143, S. 3. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 167/09 Seite 9 Nachhaltigkeitsgedanke solle zwar grundsätzlich auch von nichtbörsennotierten Gesellschaften berücksichtigt werden. Er sah jedoch von einer ausdrücklichen Regelung ab. Man könne es den Eigentümern überlassen, die richtigen Instrumente zu finden. Ausdrücklich wurde darauf hingewiesen , dass § 87 AktG nicht für GmbHs gelte.21 Dennoch wird vereinzelt in der Literatur bei bestimmten Arten der GmbH „aufgrund einer vergleichbaren Interessenlage“ eine Analogie für naheliegend gehalten. Allerdings wird dann davon ausgegangen, dass § 87 AktG im Ergebnis auch dann zu keiner wesentlichen Änderung der Rechtslage führe. Diese Ansicht ist daher wenig überzeugend.22 Da im Vergleich zu einer GmbH die wesentlichen Unterschiede zwischen einer AG und eG noch zunehmen, kann im Falle einer eG erst recht nicht von einer Regelungslücke, noch von einer vergleichbaren Interessenlage ausgegangen werden. Im Gegensatz zu GmbH und AG ist die eG keine Kapitalgesellschaft und an anderen Zwecken orientiert. Diese größere rechtliche Differenz gilt es umso mehr zu beachten, wenn der wirtschafts- und finanzpolitische Anlass des VorstAG berücksichtigt wird. Hier standen beispielsweise im Bankenbereich aktienrechtlich organisierte Privatbanken und deren Vorstände im Focus der Diskussion über die Ursachen der Finanzkrise, während genossenschaftlich organisierte Banken von der Kritik ausgenommen wurden. Auch außerhalb des Bankensektors waren nahezu ausschließlich AGs wegen der von ihnen gewährten Vorstandsbezüge kritisiert worden. 5. Allgemeine Übertragbarkeit aktienrechtlicher Grundsätze auf die Vergütungen von Genossenschaftsvorständen ? Die einzige ausdrückliche Regelung hinsichtlich der Vergütung von Genossenschaftsvorständen enthält § 24 Abs. 3 Satz 1 GenG, wonach Vorstandsmitglieder besoldet oder unbesoldet sein können . Alle Details einer Anstellung von Vorständen richten sich im Übrigen nach Satzungsrecht, weiteren gesetzlichen Bestimmungen des Genossenschaftsgesetzes (§§ 24 ff. GenG) sowie nach dem allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Dienstvertragsrecht (§§ 611 ff. Bürgerliches Gesetzbuch – BGB). Da jedoch der Aufsichtsrat, der die eG gegenüber dem Vorstand vertritt, gegenüber der eG Sorgfaltspflichten zu wahren hat (§§ 41, 34 GenG), können die Vorstandsbezüge vom Aufsichtsrat nicht beliebig hoch festgesetzt werden. Auch hier ist die Angemessenheit zu wahren. Einerseits, weil der angestellte Vorstand Anspruch auf die angemessene Entlohnung seiner Dienste hat (vgl. § 612 BGB), zugleich seine Vergütung aber auch nicht sittenwidrig hoch (oder niedrig) sein darf (§ 138 Abs. 1 BGB). In der genossenschaftsrechtlichen Kommentarliteratur wird insofern zutreffend der Rechtsgedanke des § 87 Abs. 1 AktG a.F. herangezogen. Die Gesamtbezüge sollen dem- 21 BT-Drs. 16/13433, S. 10. 22 So z.B. Baeck, Götze, Arnold, Festsetzung und Herabsetzung der Geschäftsführervergütung - Welche Änderungen bringt das VorstAG?, NZG 2009, 1121 (1123) – m.w.N. zur herrschenden Lehre. Die Autoren verkennen jedoch, dass das Kriterium der Planwidrigkeit einer Regelungslücke nicht erfüllt ist. Weder gibt es ein Regelungsbedürfnis, noch hat der Gesetzgeber planwidrig eine Anwendung bei GmbHs abgelehnt. Im Gegenteil: Der Gesetzgeber hat dies in planvoller Absicht getan. Hat eine Analogie zudem auch kaum wesentliche Auswirkungen, entfällt ihre Notwendigkeit und verfassungsrechtliche Rechtfertigung. Daher ist hier eine Analogie unzulässig, eine vergleichbare Interessenlage allein ist unzureichend. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 167/09 Seite 10 nach in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben des Vorstandsmitglieds und zur Lage der eG stehen. Eine schlechte wirtschaftliche Lage einer eG verlange jedoch nicht immer die Festsetzung eines unterdurchschnittlichen Gehalts. Sie könne im Gegenteil eine besonders hohe Vergütung rechtfertigen, wenn beispielsweise die Sanierung der eG erforderlich ist.23 Ob und inwieweit nunmehr die aktuellen Änderungen des Aktienrechts durch das VorstAG in Angemessenheitsprüfungen einfließen, ist stark einzelfallabhängig und kann mangels entsprechender Rechtsprechung zu Vorstandsbezügen bei Genossenschaften nicht näher bestimmt werden . Der Grundsatz der Privatautonomie im Zivilrecht und das Erfordernis einer Anspruchsgrundlage für Klagen gegen Organe einer eG lassen in der Praxis Rechtmäßigkeitskontrollen durch die Gerichte nur selten zu. Vielmehr überwiegt der Fall, dass (ehemalige) Vorstandsmitglieder gegen die eG vorgehen. Es im im Einzelfall dennoch durchaus möglich, das nunmehr in § 87 Abs. 1 Satz 1 AktG verankerte Merkmal der Üblichkeit bei Festsetzung der Vergütungshöhe nicht unberücksichtigt zu lassen . Dabei ist jedoch fraglich, ob sich aus dem Tatbestandsmerkmal der „Üblichkeit“ tatsächlich das Erfordernis einer Vergleichbarkeit in horizontaler (als Branchen-, Größen- und Landesüblichkeit ) und vertikaler (als Lohn- und Gehaltsgefüge im Unternehmen) Hinsicht ergibt.24 Die Ausrichtung variabler Vergütungen an nachhaltiger Entwicklung und langfristigen Erfolgen in § 87 Abs. 1 Satz 2 AktG gilt jedoch ausdrücklich allein für börsennotierte AGs. Eine Übertragung des Satzes 2 auf nichtbörsennotierte AGs ist vom Gesetzgeber ebenso wenig gewollt, wie eine Übertragung auf GmbHs oder gar eGs. Sie könnten daher bei eGs nur ansatzweise als Kriterium in eine Angemessenheitsprüfung von Genossenschaftsvorstandsbezügen einfließen. 23 Fandrich, in: Pöhlmann/Fandrich/Bloehs, Genossenschaftsgesetz, Kommentar, 3. Aufl. 2007, § 24 Rn. 37; Schaffland in: Lang/Weidmüller, Genossenschaftsgesetz, Kommentar, 36. Aufl. 2008, § 24, Rn. 51. 24 So die Absicht des Gesetzgebers, vgl. Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 16/13433, S. 10.