© 2017 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 161/17 Regelungssystematik der §§ 218, 218a StGB Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Einleitung Im Zuge der Diskussion um die Abschaffung des Werbeverbots für ärztliche Schwangerschaftsabbrüche (§ 219a StGB1) sind die strafrechtlichen Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch insgesamt wieder vermehrt in den gesellschaftspolitischen Fokus gerückt. Vor diesem Hintergrund liegt dem vorliegenden Sachstand die Frage nach der Regelungssystematik der §§ 218, 218a StGB zu Grunde. Das Anliegen richtet sich insbesondere auf die begriffliche Differenzierung des § 218a StGB zwischen „nicht verwirklicht“, „nicht rechtswidrig“ und „nicht strafbar“. Ferner wird gefragt , ob § 218a Abs. 1 StGB durch die Vorlagepflicht des Beratungsscheins eine Umkehr der Beweislast zu Lasten der Schwangeren enthält. 2. Gesetzliche Grundlagen Ausgangsnorm der strafrechtlichen Bestimmungen zum Schwangerschaftsabbruch ist § 218 StGB. Gem. § 218 Abs. 1 Satz 1 StGB wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer eine Schwangerschaft abbricht. Insofern bestimmt Satz 2, dass Handlungen, deren Wirkung vor Abschluss der Einnistung des befruchteten Eies in der Gebärmutter eintritt, nicht als Schwangerschaftsabbruch gelten. Abs. 2 enthält straferhöhende Regelbeispiele. Für die Schwangere selbst legt Abs. 3 eine geringere Strafandrohung fest; sie wird nach Abs. 4 zudem nicht wegen Versuchs bestraft. In § 218a StGB werden zu dieser grundsätzlichen Strafbarkeit „Ausnahmen“ festgelegt: So sieht Abs. 1 vor, dass der Tatbestand des Schwangerschaftsabbruchs nicht verwirklicht ist, wenn die Schwangere den Schwangerschaftsabbruch verlangt und dem Arzt durch eine Bescheinigung nach § 219 Abs. 2 Satz 2 nachgewiesen hat, dass sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen, der Schwangerschaftsabbruch von einem Arzt vorgenommen wird und seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind. Abs. 2 bestimmt, dass der ärztliche Schwangerschaftsabbruch nicht rechtswidrig ist, wenn der Abbruch unter Berücksichtigung der Lebensverhältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden , und die Gefahr nicht auf andere zumutbare Weise abgewendet werden kann. Abs. 3 legt fest, dass die Tat auch in bestimmten Fällen des sexuellen Missbrauchs nicht rechtswidrig ist, wenn dringende Gründe für die Annahme sprechen, dass die Schwangerschaft auf dem Missbrauch beruht, und seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind. Abs. 4 Satz 1 sieht vor, dass die Schwangere nicht wegen Schwangerschaftsabbruchs strafbar ist, wenn der Schwangerschaftsabbruch nach Beratung von einem Arzt vorgenommen worden ist und seit der Empfängnis nicht mehr als zweiundzwanzig Wochen verstrichen sind. Das Gericht 1 Strafgesetzbuch (StGB), in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), zuletzt geändert durch Art. 1 G zur Neuregelung des Schutzes von Geheimnissen bei der Mitwirkung Dritter an der Berufsausübung schweigepflichtiger Personen vom 30.10.2017 (BGBl. I S. 3618). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 161/17 Seite 5 kann zudem nach Satz 2 von der Bestrafung des Schwangerschaftsabbruchs absehen, wenn die Schwangere sich zur Zeit des Eingriffs in besonderer Bedrängnis befunden hat. 3. Rechtsgeschichtlicher Hintergrund Die Systematik der §§ 218, 218a StGB in ihrer heutigen Fassung erschließt sich nur bei einem Blick auf die rechtshistorische Entwicklung der Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch. Maßgeblich sind insofern zwei grundlegende Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG)2. Ihnen liegen folgende Erwägungen zu Grunde: Den verfassungsrechtlichen Ausgangspunkt bildet zunächst die Tatsache, dass die Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG auch den ungeborenen Menschen schützt. Er hat ein Recht auf Leben aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Insofern obliegt es dem Staat, sich schützend vor ihn zu stellen und die rechtlichen Voraussetzungen seiner Entfaltung zu gewährleisten. Schutz gebührt dem Ungeborenen auch gegenüber seiner Mutter, so dass ein Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich gesetzlich zu verbieten ist; dem korrespondiert auf Seiten der Mutter eine grundsätzliche Pflicht zur Austragung des Kindes.3 Aus diesen Parametern folgert das BVerfG, dass ein Schwangerschaftsabbruch für die gesamte Dauer der Schwangerschaft grundsätzlich als Unrecht zu werten ist. Die Grundrechtsposition der Mutter führt allerdings dazu, dass in Ausnahmefällen ein Schwangerschaftsabbruch zulässig sein kann, so dass sie von der Austragungspflicht entbunden wird. Eine Regelung, nach der ein Schwangerschaftsabbruch aus beliebigen Gründen innerhalb einer bestimmten Frist stets gerechtfertigt ist, kann demnach nicht im Einklang mit der Verfassung stehen. 4. Regelungssystematik Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber den Schwangerschaftsabbruch in § 218 StGB grundsätzlich unter Strafe gestellt. Das Strafrecht unterscheidet klassisch zwischen drei Ebenen der Strafbarkeit: Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld. Nur dort, wo alle drei Elemente vorliegen, kann die Tat mit Strafe geahndet werden. Es genügt mithin nicht, dass eine Handlung einem spezifischen Tatbestand einer Norm unterfällt, im Einzelfall muss sie vielmehr auch rechtswidrig gewesen und vom Täter schuldhaft herbeigeführt worden sein. Vereinzelt sieht das StGB zudem persönliche Strafausschließungsgründe vor; sie dürfen für eine Strafbarkeit im Einzelfall nicht vorliegen. 2 BVerfGE 39, 1, Urteil vom 25.02.1975 = NJW 1975, S. 573 und BVerfGE 88, 203, Urteil vom 28.05.1993 = NJW 1993, S. 1751. 3 So grundlegend BVerfG NJW 1975, S. 573, LS und 574 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 161/17 Seite 6 Ausgehend von diesen Grundlagen beinhaltet § 218a StGB insgesamt – untechnisch gesprochen – „Ausnahmen von der Strafbarkeit“.4 Sie setzen jeweils auf unterschiedlichen Ebenen an: 4.1. § 218a Abs. 1 StGB – „nicht verwirklicht“ In § 218a Abs. 1 StGB formuliert der Gesetzgeber zur grundsätzlichen Strafbarkeit des § 218 StGB eine Ausnahme auf der Ebene des Tatbestandes. Schwangerschaftsabbrüche nach § 218a Abs. 1 StGB sind mithin nicht gem. § 218 StGB zu bestrafen.5 Dem liegt die gesetzgeberische Entscheidung zu Grunde, den ärztlichen Schwangerschaftsabbruch nach vorheriger Beratung bis zur 12. Woche vom Anwendungsbereich des § 218 StGB auszunehmen; er wurde bewusst aus dem strafrechtlich vertypten Unrecht herausgenommen.6 Dem Gesetzgeber kommt im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben, wie sie durch die oben genannte Rechtsprechung des BVerfG konkretisiert wurden, ein weiter gestalterischer Ermessensspielraum zu. Diesen hat sich der Gesetzgeber zu Eigen gemacht indem er zum Schutz des ungeborenen Lebens anstatt auf eine Strafbarkeit auf ein Beratungsmodell setzt, durch das die Schwangere zur Austragung des Kindes ermutigt werden soll.7 Ursprünglich war diese „Fristenlösung mit Beratungsmodell“ als Rechtfertigungsgrund ausgestaltet worden.8 Jedoch urteilte das BVerfG im Jahr 1993, dass die Einordnung als Rechtfertigungsgrund die staatliche Schutzpflicht zugunsten des ungeborenen Lebens verletzt und mithin verfassungswidrig ist.9 Der Gesetzgeber ist in Folge dessen dazu übergegangen, die Regelung als tatbestandliche Ausnahme zu formulieren, um den verfassungsrechtlichen Vorgaben des BVerfG zu entsprechen.10 Zugleich bringt der Gesetzgeber so zum Ausdruck, dass der Schwangerschaftsabbruch innerhalb der Frist nach Beratung zwar nicht strafbar, aber dennoch verwerflich und rechtswidrig ist.11 4 Vgl. den systematischen Überblick bei Gropp in: Münchener Kommentar, StGB, 3. Auflage, München 2017, § 218a, Rn. 2. 5 Zu Einordnung als Tatbestandsausnahme vgl. Gropp in: Münchener Kommentar, StGB, 3. Auflage, München 2017, § 218a, Rn. 3 mwN. 6 Vgl. BT-Drucks. 13/1850, S. 25. 7 Zum Beratungsmodell vgl. Rogall/Rudolphi in: SK-StGB, 8. Auflage, Köln 2012, Vor §§ 218 ff., Rn. 31. 8 Vgl. das Schwangeren- und Familienhilfegesetz (SFHG) vom 27.07. 1992, BGBl. I, S. 1402. 9 BVerfG NJW 1993, S. 1751, 1764. 10 So genannte „nicht-rechtfertigende Fristenregelung mit Beratungspflicht“, siehe hierzu BT-Drucks. 13/1850, S. 25. 11 Vgl. zur Bewertung als rechtswidrig Rogall/Rudolphi in: SK-StGB, 8. Auflage, Köln 2012, § 218a, Rn. 2 und kritisch insofern Rn. 3 mwN. in Fn. 22. Siehe auch den Diskussionsstand bei Gropp in: Münchener Kommentar, StGB, 3. Auflage, München 2017, § 218a, Rn. 3 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 161/17 Seite 7 4.2. § 218a Abs. 2, Abs. 3 StGB – „nicht rechtswidrig“ In § 218a Abs. 2 und Abs. 3 StGB hat der Gesetzgeber besondere Rechtfertigungsgründe als Spezialfall der Notstandslage aufgenommen.12 Der Schwangerschaftsabbruch ist gem. § 218a Abs. 2 StGB nicht rechtswidrig, wenn er zur Abwendung einer schweren körperlichen oder seelischen Gefahr für Leib und Leben der Schwangeren vorgenommen wird und die Gefahr nicht auf andere Weise abgewehrt werden kann. Eine ähnliche Notsituation beschreibt § 218a Abs. 3 StGB, der bei sexuellem Missbrauch unter gewissen Umständen ebenfalls von der fehlenden Rechtswidrigkeit des Schwangerschaftsabbruchs ausgeht. Die Einordnung als Rechtfertigung beruht jeweils auf der Tatsache, dass es sich um eine Situation handelt, in der die Fortsetzung der Schwangerschaft eine für die Schwangere unzumutbare Belastung darstellen würde.13 Obwohl das ungeborene Leben auch hier grundsätzlich zu schützen ist, wird von einer Austragungspflicht der Schwangeren abgesehen.14 Hierdurch bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass der Schwangerschaftsabbruch in diesem Fall nicht im Widerspruch zur Rechtsordnung steht, sondern von ihr unter Abwägung aller Rechtspositionen ausnahmsweise toleriert wird. 4.3. § 218a Abs. 4 StGB – „nicht strafbar“ Schließlich beinhaltet § 218a Abs. 4 StGB einen persönlichen Strafausschließungsgrund. So ist die Schwangere im Falle der ärztlichen Spätabtreibung bis zur 22. Woche nach vorheriger Beratung selbst nicht strafbar. Auch in diesem Fall bleibt die Tat mithin rechtswidrig.15 Diese Regelungsmethode hat wiederum zur Folge, dass die Strafbarkeit anderer Beteiligter unberührt bleibt.16 5. Vorlagepflicht des § 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB Die Schwangere muss gem. § 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB dem Arzt durch eine Bescheinigung nach § 219 Abs. 2 Satz 2 nachweisen, dass sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen. Da sich der Gesetzgeber bis zur 12. Schwangerschaftswoche unter Wahrung der Voraussetzungen des § 218a Abs. 1 StGB gegen eine Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs entschieden hat, verbleibt zum Schutz des ungeborenen Lebens allein die in § 219 StGB vorgesehene Beratung der 12 Eschelbach in: BeckOK-StGB, 36. Edition, Stand: 01.11.2017, § 218a, Rn. 12. 13 So ausdrücklich BT-Drucks. 13/1850, S. 25. 14 BT-Drucks. 13/1850, S. 25. 15 Gropp in: Münchener Kommentar, StGB, 3. Auflage, München 2017, § 218a, Rn. 2. 16 Eschelbach in: BeckOK-StGB, 36. Edition, Stand: 01.11.2017, § 218a, Rn. 31. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 161/17 Seite 8 Schwangeren.17 Durch Rat und Hilfe für die Schwangere unter Achtung des vorgeburtlichen Lebens wie auch der Eigenverantwortung der Frau, soll durch die Beratung eine verantwortungsbewusste Gewissensentscheidung ermöglicht werden.18 Die Vorlagepflicht des § 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB sichert mithin das Beratungsmodell zum Schutz des ungeborenen Lebens ab. Eine Umkehr der Beweislast wird hiermit nicht bezweckt. Gem. § 160 Abs. 2 StPO ist die Staatsanwaltschaft gehalten, sowohl belastende als auch entlastende Umstände zu ermitteln. Sie allein trägt die Beweislast und muss in jedem Fall beweisen, ob die Vorlage der Bescheinigung erfolgte oder nicht. 6. Fazit Die Ausgestaltung der §§ 218, 218a StGB vermag auf den ersten Blick befremdlich erscheinen. Der Sachstand schließt indes mit dem Fazit, dass sich der Gesetzgeber hier gezielt zur Wahrung der verfassungsrechtlichen Vorgaben einer differenzierten Regelungssystematik bedient hat. 17 Rogall/Rudolphi in: SK-StGB, 8. Auflage, Köln 2012, Vor §§ 218, Rn. 24. 18 Ebendort.