© 2016 Deutscher Bundestag WD 7 – 3000 – 161/16 Strafverfolgungsrisiken gemäß § 266a Absatz 1 StGB und das Bestimmtheitsgebot des Artikels 103 Absatz 2 GG Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 161/16WD 7 – 3000 – 161/16 Seite 2 Strafverfolgungsrisiken gemäß § 266a Absatz 1 StGB und das Bestimmtheitsgebot des Artikels 103 Absatz 2 GG Aktenzeichen: WD 7 – 3000 – 161/16 Abschluss der Arbeit: 11. November 2016 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf-, und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 161/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Strafverfolgungsrisiken gemäß § 266a Absatz 1 StGB 4 2. Konformität des Straftatbestands § 266a Absatz 1 StGB mit Artikel 103 Absatz 2 GG 6 2.1. Anforderungen des Artikel 103 Absatz 2 GG an den Strafgesetzgeber 6 2.2. § 266a Absatz 1 StGB im Lichte des Artikels 103 Absatz 2 GG 7 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 161/16 Seite 4 1. Strafverfolgungsrisiken gemäß § 266a Absatz 1 StGB Nach § 266a Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB)1 ist das Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung durch den Arbeitgeber oder einer nach § 266 Abs. 5 StGB gleichgestellten Person unter Strafe gestellt. Der Arbeitgeberbegriff ist anders als beispielsweise die in § 11 StGB aufgeführten Personenund Sachbegriffe nicht strafrechtlich definiert und wird deshalb sozialversicherungsrechtlich bestimmt. Maßgeblich ist dabei die Verpflichtung zur Abführung von Beitragsteilen zur Sozialversicherung nach § 28e Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV)2. Diese Verpflichtung setzt das Bestehen eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV voraus, der seinerseits an das zivilrechtliche Dienst- und Arbeitsrecht anknüpft. Danach wird für die Zugehörigkeit zum Täterkreis gemeinhin auf den nach §§ 611 ff. BGB3 Dienstberechtigten abgestellt.4 Auf dieser Grundlage wird die Arbeitgebereigenschaft im jeweiligen Einzelfall mittels der spiegelbildlichen Prüfung festgestellt, ob es sich bei dem Beschäftigten um einen Arbeitnehmer handelt.5 Der Bundesgerichtshof (BGH) in Strafsachen legt dabei derzeit in sich verstetigender Rechtsprechung folgenden Maßstab zugrunde: „Ob eine Person Arbeitgeber ist, richtet sich nach dem Sozialversicherungsrecht, das wiederum auf das Arbeitsrecht Bezug nimmt. Arbeitgeber ist danach derjenige, dem der Arbeitnehmer nicht selbstständige Dienste gegen Entgelt leistet und zu dem er in einem Verhältnis persönlicher Abhängigkeit steht, wobei besondere Bedeutung dem Weisungsrecht sowie der Eingliederung in den Betrieb des Arbeitgebers zukommt. Entscheidend sind hierbei allein die tatsächlichen Gegebenheiten. Grundsätzlich ist der Wille der Vertragsparteien zwar ausschlaggebend, eine nach den tatsächlichen Verhältnissen beste- 1 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 11. Oktober 2016 (BGBl. I S. 2226). 2 Das Vierte Buch Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. November 2009 (BGBl. I S. 3710, 3973; 2011 I S. 363), zuletzt geändert durch Artikel 28 des Gesetzes vom 20. November 2015 (BGBl. I S. 2010). 3 Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 24. Mai 2016 (BGBl. I S. 1190). 4 Wittig, in: v. Heintschel-Heinegg u.a. (Hrsg.), Beck'scher Online Kommentar StGB, 32. Edition (Stand: 1.9.2016), § 266a Rn. 9. 5 Wittig, in: v. Heintschel-Heinegg u.a. (Hrsg.), Beck'scher Online Kommentar StGB, 32. Edition (Stand: 1.9.2016), § 266a Rn. 11. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 161/16 Seite 5 hende Sozialversicherungspflicht können die Beteiligten jedoch nicht durch abweichende Vertragsgestaltung umgehen. Maßgeblich ist eine abwägende Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände“.6 Mit der Anwendung dieses Maßstabes befindet sich der BGH in Übereinstimmung mit den anderen Obergerichten (Bundesarbeitsgericht, Bundessozialgericht, Bundesfinanzhof), deren im Rahmen ihrer jeweiligen Rechtsprechungszuständigkeit zur Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft herangezogene Kriterienkataloge sich weitgehend decken. Dabei werden die Akzente unterschiedlich gesetzt, weshalb die Gerichte im Einzelfall zu unterschiedlichen Bewertungen kommen. Einigkeit besteht aber darin, dass der persönlichen Abhängigkeit des Beschäftigten vom Vertragspartner zwar besondere Bedeutung zukommt, in jedem Fall aber nicht ein einzelnes Kriterium ausschlaggebend, sondern eine Gesamtwürdigung vorzunehmen ist.7 Im Regelfall des § 266a Abs. 1 StGB ist die Arbeitgeberstellung des Täters offenkundig und von keiner Seite bezweifelt, weil sich der Arbeitgeber durch die ordnungsgemäße Meldung nach § 28a SGB IV als solcher zu erkennen gegeben hat.8 Darüber hinaus hat sich vor dem Hintergrund der mit der Bezeichnung „Scheinselbständigkeit“ verbundenen Konstellation, dass trotz der vertraglichen Vereinbarung einer Leistungserbringung durch einen Selbständigen in Wahrheit abhängige Beschäftigung bzw. ein Arbeitsverhältnis gegeben ist9, die Auffassung durchgesetzt, dass § 266a Abs. 1 GG auch anzuwenden ist, „wenn wegen vorgeblicher Selbständigkeit eines Leistungserbringers keine Anmeldung erfolgt ist und dem Leistungsempfänger die Arbeitgeberstellung noch nachgewiesen werden muss“10. Dergestalt ist auch derjenige einem Strafverfolgungsrisiko nach § 266a Abs. 1 StGB ausgesetzt, der beispielsweise aufgrund eigener abwägenden Gesamtbewertung der tatsächlichen Umstände oder entsprechender Beratung durch seinen Rechtsanwalt oder Steuerberater der Fehlvorstellung unterlegen ist, werk- oder dienstvertragliche Leistungen von einem Dritten im 6 Vgl. BGH NStZ 2015, S. 648; BGH NStZ 2016, S. 348; zuvor in gleicher Weise ohne ausdrückliche Bezugnahme auf den Willen der Vertragsparteien BGH NStZ-RR 2013, S. 278; BGH NStZ 2013, S. 587; BGH NJW 2014, S. 1975; BGH NStZ 2014, S. 321. 7 So der Befund bei LG Karlsruhe, StV 2010, S. 309 (310); siehe auch Mette, Brennpunkt Scheinselbständigkeit , in: NZS 2015, S. 721. Vgl. im Übrigen die Analysen bei Kudlich, (Schein-)Selbständigkeit von „Busfahrern ohne eigenen Bus“ und Fragen des § 266a Abs. 1 StGB, in: ZIS 2011, S. 482 (484 ff.) und Bürger, Der Arbeitgeberbegriff in § 266a StGB – ein komplexes normatives Tatbestandsmerkmal, in: wistra 2016, S. 169 (171 f.). 8 Lanzinner, Scheinselbständigkeit als Straftat, 2014, S. 43. 9 Lanzinner, Scheinselbständigkeit als Straftat, 2014, S. 20. 10 Lanzinner, Scheinselbständigkeit als Straftat, 2014, S. 43 unter Hinweis auf BGH NStZ 2010, S. 337 und mit weiteren Nachweisen für das Schrifttum. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 161/16 Seite 6 Rahmen einer nicht sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit erbracht zu bekommen, die nach materiellem Recht als sozialversicherungspflichtig zu bewerten wäre.11 Vor diesem Hintergrund ist die Frage nach der verfassungsrechtlichen Konformität von § 266a Abs. 1 StGB mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz (GG) aufgeworfen worden, die Gegenstand der nachfolgenden Ausführungen ist. 2. Konformität des Straftatbestands § 266a Absatz 1 StGB mit Artikel 103 Absatz 2 GG 2.1. Anforderungen des Artikel 103 Absatz 2 GG an den Strafgesetzgeber Art. 103 Abs. 2 GG gewährleistet, dass eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Seine Bedeutung erschöpft sich nicht im Verbot der gewohnheitsrechtlichen oder rückwirkenden Strafbegründung, sondern enthält für die Gesetzgebung ein striktes Bestimmtheitsgebot sowie ein damit korrespondierendes , an die Rechtsprechung gerichtetes Verbot strafbegründender Analogie12. Diese Garantien dienen dem doppelten Zweck, einerseits sicherzustellen, dass der Gesetzgeber selbst abstrakt -generell über die Strafbarkeit entscheidet, andererseits dem rechtsstaatlichen Schutz des Normadressaten, der vorhersehen können soll, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist.13 Für den Gesetzgeber enthält Art. 103 Abs. 2 GG in seiner Funktion als Bestimmtheitsgebot demgemäß die Verpflichtung, wesentliche Fragen der Strafwürdigkeit oder Straffreiheit im demokratisch -parlamentarischen Willensbildungsprozess zu klären und die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen14. Das Bestimmtheitsgebot verlangt demnach, den Wortlaut von Strafnormen so zu fassen, dass die Normadressaten im Regelfall bereits anhand des Wortlauts der gesetzlichen Vorschrift voraussehen können, ob ein Verhalten strafbar ist oder nicht15. Allerdings ist es wegen der gebotenen Allgemeinheit und der damit zwangsläufig verbundenen Abstraktheit von Strafnormen unvermeidlich, dass in Einzelfällen zweifelhaft sein kann, ob ein Verhalten noch unter den gesetzlichen Tatbestand fällt oder nicht. Deshalb zwingt das 11 Vgl. dazu beispielsweise den Fall, der Gegenstand der Entscheidung des LG Karlsruhe, StV 2010, S. 209 war. 12 BVerfGE 14, 174 (185); 73, 206 (234); 75, 329 (340); 126, 170 (195). 13 BVerfGE 126, 170 (194). 14 BVerfGE 75, 329 (340 f.) ); 126, 170 (195). 15 BVerfGE 48, 48 (56 f.); 92, 1 (12). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 161/16 Seite 7 Bestimmtheitsgebot den Gesetzgeber nicht, sämtliche Straftatbestände ausschließlich mit unmittelbar in ihrer Bedeutung für jedermann erschließbaren deskriptiven Tatbestandsmerkmalen zu umschreiben. Es schließt die Verwendung wertausfüllungsbedürftiger Begriffe bis hin zu Generalklauseln im Strafrecht nicht von vornherein aus.16 Zudem kann der Gesetzgeber Tatbestände auch so ausgestalten, dass zu ihrer Auslegung auf außerstrafrechtliche Vorschriften zurückgegriffen werden muss. Dies führt nicht dazu, dass auch die betreffenden außerstrafrechtlichen Vorschriften am Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG zu messen wären.17 Das Bundesverfassungsgericht hat den Rahmen zulässiger Straftatbestandsgestaltung weiter dahingehend konkretisiert, dass es in Grenzfällen wegen der Unvermeidbarkeit von Unschärfen ausnahmsweise genügen lässt, wenn lediglich das Risiko einer Bestrafung erkennbar ist.18 Zudem können verfassungsrechtliche Bedenken, die die Weite eines Tatbestands oder einzelnen Tatbestandsmerkmals bei isolierter Betrachtung auslösen müssten, durch weitgehende Einigkeit über einen engeren Bedeutungsinhalt, insbesondere durch eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung, entkräftet werden.19 Auch die Tatsache allein, dass ein Gesetz bei extensiver, den möglichen Wortlaut ausschöpfender Auslegung auch Fälle erfassen würde, die der parlamentarische Gesetzgeber nicht bestraft wissen wollte, macht das Gesetz nicht verfassungswidrig, wenn und soweit eine restriktive , präzisierende Auslegung möglich ist.20 2.2. § 266a Absatz 1 StGB im Lichte des Artikels 103 Absatz 2 GG § 266a Abs. 1 StGB ist mit dem Zweiten Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vom 15. Mai 198621 in das Strafgesetzbuch eingeführt worden. Die darin getroffene Regelung ersetzt die zuvor in mehreren Sozialgesetzen aufgenommenen Strafvorschriften über das Vorenthalten von Beiträgen zur Sozialversicherung und zur Bundesanstalt für Arbeit. Mit der Vereinheitlichung der Vorschriften und der Einstellung als allgemeiner Tatbestand in das Strafgesetzbuch verknüpfte der Gesetzgeber die Erwartung, dass dadurch die präventive Wirkung des Strafschutzes verbessert werde, weil damit der fälschlichen Einschätzung, es handle sich nur um ein säumiges, ordnungswidriges Verhalten, vorgebeugt werde. Den Kern des strafbaren Unrechts sah er in Übereinstimmung mit dem damals geltenden Recht weiterhin darin, dass der Arbeitgeber treuhänderisch einbehaltene Vertragsteile bestimmungswidrig verwende. 16 Vgl. BVerfGE 48, 48 <56 f.>; 92, 1 <12>; ferner BVerfGE 75, 329 (341 f.). 17 Vgl. BVerfGE 78, 205 (213). 18 Vgl. BVerfGE 48, 48 (56 f.); 92, 1 (12); 126, 170 (196) . 19 Vgl. BVerfGE 26, 41 (43); 87, 209 (226 f.); 92, 1 (18); 126, 170 (197). 20 Vgl. BVerfGE 87, 399 (411); 126, 170 (197). 21 BGBl. I S. 721. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 161/16 Seite 8 Durch die Beitragsvorenthaltung werde das Aufkommen der Sozialversicherung gefährdet und letztlich die Solidargemeinschaft der Versicherten geschädigt.22 Die vom Gesetzgeber hierzu gewählte Formulierung des gesetzlichen Tatbestands war bislang nicht Gegenstand verfassungsgerichtlicher Überprüfung auf dessen Vereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG.23 Dieser Umstand ist nachvollziehbar, da die Vorschrift im Lichte des soeben beschriebenen weiten Gestaltungsrahmens, den das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber einräumt, dazu augenscheinlich keine Veranlassung bietet: Im Deliktstatbestand werden durch Benennung von Täterkreis („Arbeitgeber“), Tatgegenstand („Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung“) und Tathandlung („Vorenthalten dieser Beiträge durch den Täter gegenüber der Einzugsstelle “) die Voraussetzungen der Strafbarkeit umfassend kenntlich gemacht. Ein ausfüllungsbedürftiges Tatbestandsmerkmal wie „Arbeitgeber“ ist der Auslegung durch die Gerichte zugänglich , sein Bedeutungsgehalt zudem durch höchstrichterliche Rechtsprechung gefestigt. Da Täter nur der Arbeitgeber oder eine der in Absatz 5 ausdrücklich genannten Personen sowie ihre Vertreter gemäß § 14 StGB sein kann, stellt § 266a Absatz 1 StGB ein echtes Sonderdelikt dar; die Beschreibung der Tathandlung kennzeichnet den Tatbestand als echtes Unterlassungsdelikt . Dergestalt liefert § 266a Absatz 1 StGB bereits eine abgeschlossene, vollständige Umschreibung des tatbestandlichen Unrechts.24 Einwände gegen die Unbedenklichkeit der Vorschrift im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG könnten sich indessen aus dem Umstand herleiten lassen, dass die materielle Sozialversicherungsbeitragsschuld des Arbeitnehmers, welche die notwendige Voraussetzung einer Strafbarkeit des Arbeitgebers nach § 266a Abs. 1 StGB ist, an das Vorliegen eines sozialrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses geknüpft ist, dessen rechtliche Grundlage, namentlich § 7 Abs. 1 SGB IV, ihrerseits den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gesetzesbestimmtheit nicht entspreche, weil die Entscheidung über das Vorliegen unselbständiger Arbeit oder selbständiger Tätigkeit im Wege einer Gesamtbetrachtung einzelfallabhängig getroffen werde und deshalb für die dem Strafverfolgungsrisiko nach § 266a Abs. 1 StGB ausgesetzte nicht voraussehbar sei. Abgesehen von dem Umstand, dass es sich bei § 7 Abs. 1 SGB IV weder um ein Strafgesetz noch um eine Norm handelt, die zur Ausfüllung eines strafrechtlichen Blanketts bestimmt ist, und deshalb den nur für Strafgesetze geltenden Anforderungen der Art. 103 Abs. 2, 104 Abs. 1 22 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Zeiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (2. WIKG), Bundestagsdrucksache 10/318, S. 12 sowie S. 25 f. 23 BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 30. 9. 2002 - 2 BvR 562/02, NJW 2003, S. 961, mit dem das Gericht eine gesetzliche Differenzierung nach der Gewinnerzielungsabsicht bei der Bestimmung des Begriffs „Arbeitgeber ” in § 266a StGB verwarf, betraf eine Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des Art. 3 GG. 24 Vgl, Kudlich, (Schein-)Selbständigkeit von „Busfahrern ohne eigenen Bus“ und Fragen des § 266a Abs. 1 StGB, in: ZIS 2011, S. 482 (488); Popp, Pflichtenakzessorietät und Irrtumslehre – Die neuere Rechtsprechung des BGH zu § 266a Abs. 1 StGB, in: Steinberg/Valerius/Popp (Hrsg.), Das Wirtschaftsrecht des StGB – Analysen zur aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung, 2011, S. 113 (126 f.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 161/16 Seite 9 GG nicht zu entsprechen braucht25, ist das Bundesverfassungsgericht den angesprochenen Bedenken 26 mit folgenden Erwägungen entgegengetreten: „Für § 7 Abs 1 SGB IV, der sozialversicherungs- und beitragspflichtige Beschäftigung als ‚nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis‘ definiert, lässt sich eine verfassungsrechtlich bedenkliche Unbestimmtheit nicht feststellen. Zwar ist bei der Auslegung und Anwendung dieser Bestimmung insbesondere in den zahlreichen Zwischenstufen zwischen versicherten Arbeitnehmern und sog. nicht versicherungspflichtigen freien Arbeitnehmern oder zwischen versicherten Tätigkeiten aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses und Tätigkeiten, die auf sonstigen in der Regel ‚unversicherten Rechtsgründen‘ beruhen, eine eindeutige Vorhersehbarkeit des Ergebnisses ausgeschlossen; jedoch bedient sich das Gesetz der - in diesem Zusammenhang zulässigen und sinnvollen - Rechtsfigur des Typus.“27 Demnach dürfte sich gegen die Möglichkeit strafrechtlicher Verfolgung nach § 266a Abs. 1 StGB im Zusammenhang mit den oben angesprochenen Sachverhalten, in denen die Nichtzahlung geschuldeter Sozialversicherungsbeiträge auf rechtlichen Fehlvorstellungen des Arbeitgebers beruht, eine mangelnde Vereinbarkeit der Vorschrift mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG nicht in Stellung bringen lassen. In solchen Fällen, in denen die Parteien eine Leistungserbringung im Rahmen eines Werk-, Geschäftsbesorgungs- oder Dienstvertrages geregelt haben, wird sich der Auftraggeber auch darauf berufen, dass er nach seinen Vorstellungen gerade nicht von seiner mit einem Arbeitsverhältnis verbundenen Arbeitgeberstellung und der daraus resultierenden Beitragsabführungspflicht ausgegangen ist und es ihm deshalb am erforderlichen Vorsatz fehle.28 Die vorlie- 25 Vgl. BVerfGE 78, 205 (213). Siehe dazu auch Schlegel: Wen soll das Sozialrecht schützen? - Zur Zukunft des Arbeitnehmer- und Beschäftigtenbegriffs im Sozialrecht, in: NZS 2000, 421 (423). 26 Siehe Papier/Möller, § 7 SGB IV in der Anwendung durch die Rechtsprechung und das grundgesetzliche Bestimmtheitsgebot, in: VSSR 1996, S. 243 (269): „Sowohl § 7 Abs. 1 SGB IV als auch die zu ihm ergangene Rechtsprechung (mit Ausnahme der Rechtsprechung zu den Geschäftsführern, die über ihren Gesellschaftsanteil einen bestimmenden Einfluss ausüben) verstoßen insoweit gegen das Bestimmtheitsgebot, als in allen Fällen, in denen das Ergebnis nicht wegen idealtypischer Verwirklichung des Selbständigen- oder Beschäftigtenbildes von vornherein klar ist, die Entscheidung der Rechtsprechung für den Rechtsunterworfenen schlechthin nicht vorhersehbar ist. Dies stellt eine nicht zu rechtfertigende Verletzung von Art.12 Abs. 1 GG, jedenfalls aber von Art. 2 Abs. 1 GG dar. Soweit Urteile hierauf beruhen, sind sie als verfassungswidrig aufzuheben. Gesetzgebung und Rechtsprechung sind von Verfassungs wegen anzuhalten, dem Bestimmtheitsgebot durch Schaffung eindeutiger, präziserer Kriterien für das Beschäftigungsverhältnis Genüge zu tun.“ 27 BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 20. Mai 1996 – 1 BvR 21/96, juris (Orientierungssatz). 28 Vgl. Powietzka/Bölz, Scheinselbstständigkeit von Honorarärzten in Kliniken, KV 2012, 137 (141) am Beispiel der Honorararzttätigkeit im Rahmen eines Dienstvertrages. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 161/16 Seite 10 gend nicht zu behandelnde Frage, inwieweit diese Einschätzung unter strafrechtsdogmatischen Gesichtspunkten zutrifft, ist in Wissenschaft und Rechtsprechung allerdings umstritten .29 Ende der Bearbeitung 29 Zum Streitstand siehe aus der jüngeren Literatur: Bürger, Der Arbeitgeberbegriff in § 266a StGB – ein komplexes normatives Tatbestandsmerkmal, in: wistra 2016, S. 169; Marco Mayer, Zur inneren Tatseite bei § 266a StGB, in: NZWiSt 2015, S. 169; Schulz, Neues bei § 266a StGB – Methodendisziplin als Strafbarkeitsrisiko ?, in: ZIS 2014, S. 572 (575); (172).