Deutscher Bundestag Gefährdung durch Photovoltaikanlagen im Brandfall Erfordernis von Gleichstromabschaltern Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 7 – 3000 – 159/11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 159/11 Seite 2 Gefährdung durch Photovoltaikanlagen im Brandfall Erfordernis von Gleichstromabschaltern Verfasser: Aktenzeichen: WD 7 – 3000 – 159/11 Abschluss der Arbeit: 16. September 2011 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 159/11 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 4 2. Fragestellung 4 3. Genehmigung von Photovoltaikanlagen 5 4. Praxis der Brandbekämpfung im Bereich von Photovoltaikanlagen 6 4.1 Standpunkt der Feuerwehr 6 4.2. Standpunkt der Solarindustrie 7 5. Neue VDE-Anwendungsregel in Vorbereitung 7 6. Resümee 9 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 159/11 Seite 4 1. Einführung Sollen Brandfallabschaltungssysteme beim Betrieb von Photovoltaikanlagen vom Gesetzgeber vorgeschrieben werden, um die Sicherheit von Einsatzkräften im Brandfalle zu erhöhen? Bevor dieser Frage nachgegangen wird, soll zum besseren Verständnis kurz skizziert werden, welche Energiespannungen1 in den Photovoltaikelementen entstehen und wie eine Photovoltaikanlage funktioniert. In jedem Photovoltaikelement wird Lichtenergie mittels Solarzellen in elektrische Energie in Form von Gleichstrom gewandelt. Die in Solarmodulen zusammengefassten Solarzellen erzeugen Strom von nur wenigen Volt. Durch die Reihenschaltung der Solarmodule entstehen jedoch Ströme im Niederspannungsbereich bis 1000 Volt. Die Stromleitungen eines Photovoltaikmodulfeldes werden in einen Elektroanschlusskasten und von dort zu einem Wechselrichter geführt, der den Gleichstrom in Wechselstrom wandelt, diesen , wie es anschaulich heißt, in Wechselstrom „zerhackt“. Der gewonnene und in Wechselstrom gewandelte Strom fließt über den Elektro-Hausanschluss zum örtlichen Netzbetreiber und wird diesem verkauft. Sicherheitstechnisch sinnvoll wäre die Unterbringung des Wechselrichters in unmittelbarer Nähe zu den Photovoltaikmodulen. Aufgrund der Anforderungen gute Zugänglichkeit, trockene, staubgeschützte und kühle Umgebung ist dies aber nicht möglich. Da durch das „Zerhacken“ des Stroms neben einem leichten Brummen als Betriebsgeräusch auch Wärme entsteht, wird der Wechselrichter in Einfamilienhäusern bevorzugt im Hausanschlussraum installiert. 2. Fragestellung Zwischen beiden Komponenten, dem Wechselrichter im Keller oder Erdgeschoss eines Hauses und den Solarmodulen auf dem Dach, verlaufen gutisolierte Gleichstromleitungen mit einer Spannung von bis zu 1000 V. Die Ummantelungen, in der Regel doppelte Isolierungen, sind brennbar und bieten insofern im Falle eines Brandes keinen ausreichenden Schutz vor Stromschlaggefahr . Ursächlich führen diese Verbindungen im durchaus lebensgefährlichen Niederspannungsbereich zu der lebhaften Diskussion um die Genehmigungsnotwendigkeit und die Sicherheit von Rettungskräften . Gleichstromfreischalter, aufgrund der englischen Bezeichnung für Gleichstrom („Direct Current“) auch DC-Schalter genannt, sind heute bereits direkt vor den Wechselrichtern eingebaut. Sie können umgelegt werden, um an den Wechselrichtern spannungsfrei arbeiten zu können, insbesondere dann, wenn sie ausgetauscht werden müssen. Um bei Rettungseinsätzen brennende Häuser mit Photovoltaikanlagen ohne Gefährdung für Leib und Leben durch niederspannungsführende Leitungen betreten zu können, werden Freischalter 1 SI-Einheit der elektrischen Spannung ist Volt (V), SI = Système International d'unités, V = W/A = m2 kg/s3 A. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 159/11 Seite 5 bisweilen in unmittelbarer Nähe der Photovoltaikmodule auf oder direkt unterhalb des Daches mit der Möglichkeit der Fernauslösung gefordert. Zur Beurteilung des Sachverhalts wurde neben Recherchen im Internet die Bundesgeschäftsstelle des Deutscher Feuerwehrverband e. V. (DFV), der Bundesverband Solarwirtschaft e.V. (BSW) und der Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V. (VDE) befragt. 3. Genehmigung von Photovoltaikanlagen Wie es sich mit der Genehmigungsnotwendigkeit von Photovoltaikanlagen verhält, wird in der Broschüre „Genehmigung von Photovoltaikanlagen/ Ein Leitfaden zum Baurecht“ - Anlage 1 - im Detail beschrieben. Vgl. insbesondere den Überblick zum Genehmigungserfordernis von Photovoltaikanlagen in den einzelnen Bundesländern. Die Verantwortung für den Betrieb einer Photovoltaikanlage liegt unabhängig von der Erfordernis einer Genehmigung beim Betreiber der Anlage, häufig dem Hauseigentümer. Letztendlich haftet dieser für die Sicherheit. Da Photovoltaikanlagen bauliche Anlagen im Sinne des Baurechts sind, müssen bei deren Errichtung alle bauplanungs- und ordnungsrechtlichen Vorschriften beachtet werden. Genehmigungsfreiheit bedeutet, dass für die Einhaltung aller baurechtlichen Vorschriften ausschließlich der Bauherr zuständig ist und die Behörde zunächst einmal keine gesonderte Prüfung durchführt. Andrerseits kann der Bauherr ohne Verzögerung, wie diese durch das Einholen einer Genehmigung entstehen würde, mit dem Bauen beginnen. Im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG)2 regelt § 49 Absatz 1, dass Energieanlagen so zu errichten und zu betreiben sind, dass die technische Sicherheit gewährleistet ist. Dabei sind vorbehaltlich sonstiger Rechtsvorschriften die allgemein anerkannten Regeln der Technik zu beachten. Solaranlagen mit ihren Komponenten Photovoltaikmodule, Wechselrichter und Verbindungsleitungen zählen nach § 3 Absatz 15 EnWG zu den Energieanlagen und müssen alle verbindlichen Sicherheitsnormen und Richtlinien wie zum Beispiel die brandtechnologischen Anforderungen an Photovoltaik -Module der Norm IEC 61730 der International Electrotechnical Commission(IEC) erfüllen .3 2 Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (Energiewirtschaftsgesetz - EnWG) vom 7. Juli 2005 (BGBl. I S. 1970, 3621), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 28. Juli 2011 (BGBl. I S. 1690). 3 Vgl. TÜV Rheinland, Brandtechnologische Anforderungen an Photovoltaik-Module nach IEC 61730-2. IEC, Februar 2011 < http://www.tuv.com/media/germany/10_industrialservices/downloadsi06/Feuertest_Info.pdf> Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 159/11 Seite 6 4. Praxis der Brandbekämpfung im Bereich von Photovoltaikanlagen 4.1 Standpunkt der Feuerwehr Während die Stromfreischaltung bei Wohnhäusern ohne Photovoltaikanlagen durch das Umlegen des Hauptschalters erfolgt, lässt sich die Stromfreischaltung bei Häusern mit Photovoltaikanlagen nicht im gleichen Umfang erreichen. Photovoltaikmodule und Verbindungsleitungen bis zum Wechselrichter bleiben unter Strom. Hieran kann auch eine zu Hilfe gerufene Fachkraft nichts ändern. Insofern ist der Feuerwehr an Verbesserungsmöglichkeiten gelegen. Ein nicht beherrschbares Gefährdungspotential ist allerdings nicht gegeben, da Niederspannungsanlagen in anderen Zusammenhängen häufiger anzutreffen sind. Vgl. die Stellungnahme des LandesFeuerwehrVerbandes Bayern vom 12. August 2010 - Anlage 2 -. Beim Vorgehen am Einsatzort geschieht die Brandlöschung im Bereich von Niederspannungsanlagen auf Grundlage von Vorgaben zur Brandbekämpfung bei elektrischen Anlagen gemäß DIN VDE 01324. In der genannten Industrienorm sind Mindestabstände genannt, die beim Löschen einzuhalten sind. Unter Beachtung dieser Vorgaben kann eine Gefährdung durch Strom im Zusammenhang mit Photovoltaikanlagen weitestgehend ausgeschlossen werden. Das eigentliche Problem scheint ein Informationsdefizit gewesen zu sein. Den Einsatzkräften war nicht bekannt, wie vorgegangen werden soll. Für den Einsatz an Photovoltaikanlagen wurden im Oktober 2010 Handlungsempfehlungen für Feuerwehren und Hilfsdienste, - Anlage 3.1 - auch in Form einer Checkliste, - Anlage 3.2 - erarbeitet. Im Einsatzfall ist es für die Feuerwehr sehr wichtig, vor Ort sofort zu erkennen, dass sich am Gebäude eine Photovoltaikanlage befindet. Hierzu wurde vom Verband der Solarindustrie in Zusammenarbeit mit der Feuerwehr ein Schild - Anlage 4 - entworfen, welches am Gebäude auf das Vorhandensein einer Photovoltaikanlage hinweisen soll. Neben diesem werden am Objekt hinterlegte Übersichtspläne - Anlage 5 - 4 Brandbekämpfung im Bereich elektrischer Anlagen DIN VDE 0132 von August 2008 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 159/11 Seite 7 für Einsatzkräfte empfohlen, die einen schnellen Überblick über spannungsführende Komponenten geben sollen. Das Schild ebenso wie dazu passende Handlungsempfehlungen für Feuerwehreinsatzkräfte sind im Internet5 verfügbar. 4.2. Standpunkt der Solarindustrie Der Bundesverband Solarwirtschaft (BSW) rät Interessierten ausdrücklich, bei der Anschaffung von Photovoltaikanlagen den Sicherheitsanforderungen mit besonderer Aufmerksamkeit zu begegnen . Der BSW hat sich der Frage der Brandvorbeugung und -bekämpfung mit Unterstützung u.a. der Bundesvereinigung der Fachplaner und Sachverständigen im vorbeugenden Brandschutz e.V. (BFSB) angenommen und einen mit der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren in Deutschland (AGBF Bund) abgestimmten Leitfaden zur brandschutzgerechten Planung, Errichtung und Instandhaltung von Photovoltaikanlagen - Anlage 6 - zusammengestellt, der im Februar 2011 vorgelegt wurde. In diesem wird empfohlen, nicht freischaltbare DC-Leitungen im Gebäude entsprechend der Norm MLAR 20056 unter Putz bzw. feuerwiderstandsfähig eingekleidet oder außerhalb des Gebäudes zu verlegen. Auch DC-Freischalter können eingesetzt werden. Diese sollten dann allerdings auf dem Dach in direkter Nähe zu den Photovoltaikmodulen eingebaut werden. Im angesprochenen Leitfaden wird ein, anders als bisher auf manchen Dächern installiert, umlaufender Sicherheitsbereich um die PV-Module und die Wechselrichter empfohlen. Werden diese Sicherheitsempfehlungen befolgt, wird der Gefährdung durch Niederspannungsströme wirkungsvoll begegnet. 5. Neue VDE-Anwendungsregel in Vorbereitung Der im Leitfaden „Brandschutzgerechte Planung, Errichtung und Instandhaltung von PV- Anlagen“ empfohlene Umgang mit DC-Leitungen im Niederspannungsbereich findet sich in dem vom Verband der Elektrotechnik (VDE) erstellten Entwurf für eine Anwendungsregel „Mindestanforderungen an den DC-Bereich einer PV-Anlage im Falle einer Brandbekämpfung oder technischen Hilfeleistung“ (VDE-AR-E 2100-712) (im folgenden VDE-AR-Entwurf) - Anlage 7 - 5 http://www.bsw-solar-shop.de/ 6 Muster-Richtlinie über brandschutztechnische Anforderungen an Leitungsanlagen, (Muster-Leitungsanlagen-Richtlinie MLAR) http://www.bauordnungen.de/MLAR.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 159/11 Seite 8 wieder, der im August 2011 der Öffentlichkeit zur Prüfung und Stellungnahme vorgelegt wurde. Einsprüche werden bis zum 22. Oktober 2011 entgegengenommen.7 Der VDE-AR-Entwurf gilt für die Planung und Errichtung von Photovoltaik-Systemen an oder auf Gebäuden und fasst die Festlegungen mit Empfehlungen zusammen, um gefährliche Berührungsspannungen beim Versagen der Schutzmaßnahme „Doppelte oder verstärkte Isolierung“ unter anderem im Brandfall verhindern zu können. Demgemäß wird in den allgemeinen Grundsätzen unter Ziffer 4 des VDE-AR-Entwurfs festgehalten : „Durch die Installation von Photovoltaikanlagen dürfen im Gebäude gefährliche berührbare DC-Spannungen nicht auftreten, so dass die Brandbekämpfung oder technische Hilfeleistung in elektrischen Anlagen sicher durchgeführt werden kann. Dies kann durch technische, bauliche oder organisatorische Maßnahmen umgesetzt werden.“ Zur Umsetzung dieses Schutzziels sieht der VDE-AR-Entwurf im Hinblick auf bauliche und organisatorische Installationsmaßnahmen unter Ziffer 6.1 vor: „Gibt es eine durch die Landesbauordnung geforderte Feuerwiderstandsklasse nicht, muss die PV-DC-Leitungsanlage mindestens feuerhemmend geschützt und als PV- Leitungsanlage mit Feuerwiderstand gekennzeichnet sein.“ Zudem sieht der VDE-AR-Entwurf unter Ziffer 7 detaillierte Anforderungen für die Anwendung von Freischaltvorrichtungen im DC-Bereich einer Photovoltaikanlage vor. Insbesondere wird unter Ziffer 7.1.1. für deren Grundfunktion u.a. folgendes gefordert: „Bei Abschaltung der Wechselrichter oder Wegfall der Netzspannung muss die Einrichtung zum Schalten, Trennen oder Kurzschließen außerhalb des Gebäudes bzw. vor dem zu schützenden Bereich in Richtung Wechselrichter automatisch erfolgen.“ Dem im VDE-AR-Entwurf niedergelegten Maßnahmenkatalog wird, sobald die beabsichtigte Anwendungsregel das öffentliche Einspruchsverfahren durchlaufen und in abschließender Gestalt verabschiedet worden ist, eine besondere Bedeutung für die Erfüllung der im EnWG aufgestellten Anforderungen an Errichtung und Betrieb von Photovoltaikanlagen (s.o. unter 3.) bekommen, da gemäß § 49 Absatz 2 EnWG von der erforderlichen Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik ausgegangen werden kann, wenn bei Anlagen zur Erzeugung, Fortleitung und Abgabe von Elektrizität die technischen Regeln des VDE eingehalten wurden. 7 Zuständig für die Erarbeitung der Anwendungsregel ist das Unterkomitee (UK) 221.1 „Schutz gegen elektrischen Schlag“ der DKE (Deutsche Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik im DIN und VDE). Weitere Informationen unter www.dke.de. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 159/11 Seite 9 6. Resümee Nach allem lässt sich festhalten, dass mit den im VDE-AR-Entwurf von August 2011 zusammengefassten Maßnahmen den von Seiten der Feuerwehren und der Solarindustrie formulierten erhöhten Anforderungen an den Betrieb von Photovoltaikanlagen zum Schutz und zur Sicherheit von Einsatzkräften im Brandfall in einer Weise Rechnung getragen und Verbindlichkeit verschafft wird, die eine gesetzliche Regelung, mit der Brandfallabschaltungssysteme beim Betrieb von Photovoltaikanlagen vorgeschrieben werden, sei es bauordnungsrechtlicher Natur nach Landesrecht , sei es energiewirtschaftsrechtlicher Natur nach Bundesrecht, nicht erforderlich erscheinen lässt.