Das Erschleichen von öffentlichen Leistungen Die Reichweite der Instrumente der Strafjustiz hinsichtlich der Leistungsempfänger sowie der Amtsträger - Ausarbeitung - © 2006 Deutscher Bundestag WD 7 - 156/06 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Das Erschleichen von öffentlichen Leistungen - Reichweite der Instrumente der Strafjustiz hinsichtlich der Leistungsempfänger und der mitwirkenden Vergabestellen - Ausarbeitung WD 7 - 156/06 Abschluss der Arbeit: 6. Juli 2006 Fachbereich WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. Inhalt 1. Einleitung 4 2. Erschleichen von öffentlichen Leistungen als Betrug 5 2.1. Dogmatische Einordnung in den Betrugstatbestand 5 2.2. Erscheinungsformen 5 2.2.1. Arbeitslosengeld II 6 2.2.2. BAföG 8 3. Voraussetzungen der Strafbarkeit von Mitarbeitern 9 3.1. Betrug? 9 3.1.1. Strafbarkeit als Mittäter? 9 3.1.2. Strafbarkeit wegen Anstiftung oder Beihilfe? 9 3.2. Untreue? 10 3.3. Rechtsbeugung? 11 4. Rechtsfolgen und Strafverfolgung 11 4.1. Rechtsfolgen 12 4.1.1. Strafmaß und Strafzumessung 12 4.1.2. Abschöpfung des rechtswidrigen Vermögenszuwachses 12 4.2. Aufklärung von Sozialleistungsbetrug und Strafverfolgung 13 5. Beamten- und arbeitsrechtliche Maßnahmen 14 6. Möglichkeiten zur Vorbeugung gegen Sozialleistungsbetrug und gegen die fehlerhafte Gewährung von ALG II 14 7. Untersuchungen zum Sozialleistungsbetrug und zu dessen Rechtsfolgen 16 - 4 - 1. Einleitung Der Bundesrechnungshof hat in einem Bericht an den Haushaltsausschuss und an den Ausschuss für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages zur Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende1 mitgeteilt, dass in beinahe jedem zehnten geprüften Fall das zwingende Merkmal der Erwerbsfähigkeit eines Hilfebedürftigen nicht überzeugend festgestellt wurde. Die Vermögensverhältnisse eines Antragstellers waren – so der Bundesrechnungshof – in sieben von zehn Fällen nicht oder nicht ausreichend geprüft worden. Daneben werden noch weitere Mängel dargestellt, die ihre Ursache zum Teil in einer unzureichenden Bearbeitung und zum Teil im Fehlen einheitlicher Vorgaben haben. Ziel der vorliegenden Ausarbeitung ist es, die strafrechtliche Relevanz des Erschleichens öffentlicher Leistungen darzustellen. Hierbei geht es zum einen um eine mögliche Strafbarkeit von Leistungsempfängern. Zum anderen wird untersucht, unter welchen Voraussetzungen sich die Bearbeiter bei den Grundsicherungsstellen – etwa durch Anstiftung oder Beihilfe zum Betrug – strafbar machen können. In diesem Zusammenhang wird auch aufgezeigt, welche weiteren Sanktionen (z. B. disziplinarrechtliche oder arbeitsrechtliche Maßnahmen) neben dem Strafrecht in Frage kommen und welche Sanktionsmöglichkeiten für die Zukunft diskutiert werden. Da das Erschleichen öffentlicher Leistungen in der Vergangenheit immer wieder anhand des Beispiels von Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) in der Fachliteratur diskutiert worden ist, wird im Rahmen der folgenden Darstellung auch die Situation beim BAföG behandelt. Das Erschleichen von öffentlichen Leistungen wird auch unter dem Stichwort Sozialleistungsbetrug behandelt.2 Diese Bezeichnung wird allerdings gelegentlich auch für den Straftatbestand des § 266a Strafgesetzbuch (StGB)3 gebraucht, der das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt unter Strafe stellt und somit keinen Bezug zum vorliegenden Thema hat. Auch das in § 265a StGB geregelte Erschleichen von Leistungen (Automatenmissbrauch, Missbrauch von Telekommunikationseinrichtungen, Beförderungserschleichung ) steht in keinem Zusammenhang zum vorliegenden Thema. 1 Bericht nach § 88 Abs. 2 BHO vom 19. Mai 2006, Haushaltsausschuss – Ausschussdrucksache 16/1253 2 Rau/Zschieschack: Betrug durch missbräuchliche Inanspruchnahme von BAföG-Leistungen, StV 04, S. 669. 3 In der Fassung vom 13.11.98 (BGBl. 98 I, 3322), zuletzt geändert am 19.4.06 (BGBl. 06 I, 866). - 5 - 2. Erschleichen von öffentlichen Leistungen als Betrug Das Erschleichen von öffentlichen Leistungen z. B. durch falsche Angaben über die Erwerbsfähigkeit oder über die Vermögensverhältnisse bei der Beantragung von Arbeitslosengeld II (ALG II) fällt grundsätzlich in den Bereich des Betrugstatbestandes gemäß § 263 Strafgesetzbuch (StGB).4 2.1. Dogmatische Einordnung in den Betrugstatbestand Betrug nach § 263 StGB ist die durch Täuschung verursachte Vermögensschädigung eines anderen in Bereicherungsabsicht. Geschütztes Rechtsgut ist das Vermögen, und zwar sowohl das private als auch das Vermögen der öffentlichen Hand.5 Ist die Vergabe von öffentlichen Mitteln an bestimmte Voraussetzungen geknüpft, so liegt nach allgemeiner Auffassung ein Vermögensschaden der öffentlichen Hand im Sinne des § 263 StGB vor, wenn die Leistung erbracht wird, ohne dass die Anspruchsvoraussetzungen für die Sozialleistung (z.B. ALG II) erfüllt sind. Für das Vorliegen des Betrugstatbestandes ist darüber hinaus erforderlich, dass der Leistungsempfänger die Behörde über das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen getäuscht und damit einen Irrtum über anspruchserhebliche Tatsachen erregt hat.6 Dies setzt in subjektiver Hinsicht einen Vorsatz voraus, im Rahmen dessen der Täter in Kenntnis der erforderlichen Voraussetzungen eines Anspruchs handeln muss7, sowie eine Bereicherungsabsicht. Letztere besteht bei einem zielgerichteten Willen auf Erlangung eines rechtswidrigen Vermögensvorteils, d.h. jeder günstigeren Gestaltung der Vermögenslage bzw. jeder Erhöhung des Vermögenswertes.8 Wer in Kenntnis seiner mangelnden Berechtigung Leistungen bezieht, erfüllt dieses Erfordernis. Die Kenntnis der Voraussetzungen eines Anspruchs erlangt der Antragsteller aus den von ihm auszufüllenden Antragsformularen. Die strafbare Täuschung über das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen wird am Beispiel von Fallgruppen im Folgenden erläutert. 2.2. Erscheinungsformen Das Erschleichen von Sozialleistungen tritt hautsächlich durch folgende Missbrauchsformen seitens der Leistungsempfänger in Erscheinung: 4 Schönke/Schröder/Cramer/Perron: StGB-Kommentar, 27. Auflage 2006, § 263 Rn 104a. 5 Schönke/Schröder/Cramer/Perron: StGB-Kommentar, 27. Auflage 2006, § 263 Rn 1/2. 6 BGHSt 19, S. 37 (44f.); Rau/Zschieschack: Betrug durch missbräuchliche Inanspruchnahme von BAföG-Leistungen, StV 04, S. 669 (671). 7 Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben: StGB-Kommentar, 27. Auflage 2006, § 15 Rn 9 . 8 Schönke/Schröder/Cramer/Perron: StGB-Kommentar, 27. Auflage 2006, § 263 Rn 167ff. . - 6 - • Offene oder verdeckte Arbeitsverweigerung • Verschweigen von Vermögen • Verschweigen von Erwerbs- und sonstigen Einkommen • Manipulation von Unterkunftskosten • Mehrfachbezug von Sozialleistungen • Missbrauch von Krankenscheinen • Verweigerung von Auskünften.9 Mögliche Schwerpunkte des Sozialleistungsbetrugs bilden die Fallgruppen des Erschleichens von Arbeitslosengeld II gemäß § 19 des Zweiten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB II)10, und der Ausbildungsförderung gemäß § 1 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG)11. 2.2.1. Arbeitslosengeld II Das Arbeitslosengeld II (ALG II) gemäß § 19 SGB II ist eine Leistungsart der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II. Die Anspruchsvoraussetzungen für das ALG II sind in den §§ 7 bis 12 SGB II geregelt. Träger der Grundsicherung nach SGB II sind gemäß § 6 SGB II die Bundesagentur für Arbeit (Bundesagentur) sowie die Agenturen für Arbeit für die Kommunen. Nach außen handeln für die Agenturen für Arbeit Arbeitsgemeinschaften nach § 44b SGB II, die im eigenen Namen Widerspruchs - und Leistungsbescheide erlassen. Die Aufwendungen für die Grundsicherung für Arbeitsuchende sowie die Verwaltungskosten trägt gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 SGB II der Bund. Die Bewilligung von ALG II erfolgt nur gegenüber Berechtigten im Sinne des § 7 SGB II. Nach § 7 Abs. 1 SGB II sind nur erwerbsfähige hilfebedürftige Personen berechtigt, ALG II zu empfangen. Erwerbsfähig ist nach § 8 Abs. 1 SGB II, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Zudem können Ausländer gemäß Absatz 2 nur erwerbstätig sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte, vgl. § 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG)12. 9 Roland Klinger: Maßnahmepaket gegen das Ärgernis „Sozialhilfemissbrauch“, NDV 2000, S. 73. 10 In der Fassung vom 24.12.03 (BGBl. 03 I, 2954), zuletzt geändert am 24.3.06 (BGBl. 06 I, 558). 11 In der Fassung vom 6.6.83 (BGBl. 83 I, 645), zuletzt geändert am 22.9.05 (BGBl. 05 I, 2809). 12 In der Fassung vom 30.7.04 (BGBl. 04 I, 1950), zuletzt geändert am 25.10.05 (BGBl. 05 I, 3620). - 7 - Gemäß § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer • seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit oder aus dem zu berücksichtigenden Einkommen, sichern kann und • die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind nach § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Die Zumutbarkeit der aufzunehmenden Arbeit wird in § 10 SGB II widerlegbar vermutet , wobei den Antragsteller die Beweislast für die zu widerlegenden Tatsachen trifft. Das erhebliche Einkommen wird in § 11 SGB II seiner Art und dem Umfang nach näher bestimmt. Das zu berücksichtigende Vermögen wird in § 12 SGB II festgelegt. So ist z.B. nach § 12 SGB II das Vermögen des Arbeitslosen und seines Partners zu berücksichtigen , soweit es verwertbar ist und sein Wert 13 000 Euro übersteigt. § 60 Abs. 1 SGB I13 regelt die Verpflichtung der Antragsteller bzw. Leistungsempfänger , alle für die Leistungsbewilligung relevanten Tatsachen anzugeben sowie entsprechende Änderungen in den Verhältnissen unverzüglich mitzuteilen. Diese Pflicht ist auch einem gesetzesunkundigen Antragsteller insofern bekannt, als die entsprechenden Antragsformulare hierauf gerichtete Fragen gemäß § 60 Abs. 2 SGB I enthalten und auf die Wahrheitspflicht hinsichtlich dieser Angaben hinweisen.14 Der Tatbestand des Betrugs gemäß § 263 Abs. 1 StGB ist erfüllt, wenn der Antragsteller falsche Angaben macht, um die Bewilligung einer Leistung nach § 19 SGB II zu erschleichen .15 Ebenso macht sich des Betrugs strafbar, wer als Leistungsempfänger die Anzeige der Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind, oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, nicht mitteilt, um damit den Wegfall von Leistungen zu verhindern.16 13 In der Fassung vom 11.12.75 (BGBl. 75 I, 3015), zuletzt geändert am 24.4.06 (BGBl. 06 I, 926). 14 Antrag auf Arbeitslosengeld II, Musterformular, S.6, abrufbar unter http://arbeitslosengeld2.arbeitsagentur.de/pdf/v_alg2_antrag_musterantrag.pdf . 15 Schönke/Schröder/Cramer/Perron: StGB-Kommentar, 27. Auflage 2006, § 263 Rn 104a. 16 Hanseatisches OLG, wistra 2004, S. 151ff. . - 8 - Für den letztgenannten Fall – Anzeige von Änderungen in den Verhältnissen – existiert auch ein Bußgeldtatbestand: Nach § 63 Abs. 1 Nr. 6 SGB II handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB I eine Änderung in den Verhältnissen, die für einen Anspruch auf eine laufende Leistung erheblich ist, nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig mitteilt. Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu 5.000 Euro geahndet werden (§ 63 Abs. 2 SGB II). Ist im Einzelfall ein Betrug nicht nachweisbar, so kommt eine Ahndung als Ordnungswidrigkeit nach dieser Vorschrift in Betracht. 2.2.2. BAföG Im Bereich der Ausbildungsförderung erfolgt die Beurteilung der strafrechtlichen Relevanz des Verhaltens der Antragsteller bzw. Leistungsempfänger nach dem gleichen Prinzip. Da Ausbildungsförderung eine Sozialleistung darstellt, findet auch hierauf § 60 SGB I Anwendung. Grundsätzlich gilt: Wer Leistungen nach dem BAföG durch falsche Angaben zu seinen Vermögensverhältnissen erlangt, macht sich wegen Betrugs nach § 263 StGB strafbar.17 Gemäß § 46 Abs. 3 BAföG hat der Antragsteller auf einem Formblatt alle zur Feststellung seiner Bedürftigkeit erforderlichen Tatsachen anzugeben.18 Dazu zählen nach §§ 21, 27 BAföG seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse. Dabei bleibt nach § 29 BAföG ein Betrag von 5.200 Euro von dem Vermögen des Auszubildenden anrechnungsfrei (Freibetrag). Somit bedeutet ein Verschweigen von allen darüber hinausgehenden Vermögenswerten eine Täuschung der BAföG-Ämter über eine für die Berechnung des Anspruchs maßgebliche Tatsache, aufgrund derer Ausbildungsförderung bewilligt wird. Mit der Leistungserbringung entsteht ein Vermögensschaden im Sinne des § 263 StGB und der Tatbestand des Betrugs ist verwirklicht. 19 Des Weiteren liegt gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 1 BAföG eine Ordnungswidrigkeit vor, wenn der Auszubildende seinen Auskunftspflichten aus § 60 Abs. 1 SGB I nicht nachkommt. Hierfür bedarf es lediglich der fahrlässigen oder vorsätzlichen Pflichtverletzung seitens des Auszubildenden. Die Ordnungswidrigkeit kommt nach § 21 Abs. 1 Satz 1 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG)20 jedoch nur in Betracht, soweit der Behörde kein Vermögensschaden entstanden ist und somit noch kein Betrug verwirklicht wurde.21 17 BayOLG, NJW 05, S. 309ff. . 18 Antrag auf Ausbildungsförderung nach dem BAföG, Musterformblatt, abrufbar unter http://www.das-neue-bafoeg.de/pdf/Fbl1_07_04.pdf . 19 Rau/Zschieschack: Betrug durch missbräuchliche Inanspruchnahme von BAföG-Leistungen, StV 04, S. 669, 670. 20 In der Fassung vom 19.2.87 (BGBl. 87 I, 602), zuletzt geändert am 12.8.05 (BGBl. 05 I, 2354). 21 BayOLG, NJW 05, S. 309ff. ; a. A. Bohnert, NJW 03, S. 3611f. . - 9 - 3. Voraussetzungen der Strafbarkeit von Mitarbeitern Bei den Bearbeitern von ALG II-Anträgen stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine fehlerhafte Bearbeitung und damit eine ungerechtfertigte Leistungsgewährung strafrechtliche Relevanz (Betrug, Untreue oder Rechtsbeugung) haben kann. Wie bereits eingangs erwähnt, wurden nach den Feststellungen des Bundesrechnungshofs z. B. in sieben von zehn Fällen die Vermögensverhältnisse der Antragsteller nicht zutreffend geprüft. Unter anderem wurden keine vollständigen Erklärungen über die Vermögensverhältnisse von Angehörigen, die mit den Antragstellern im selben Haushalt leben bzw. unterhaltspflichtig wären, eingefordert.22 3.1. Betrug? 3.1.1. Strafbarkeit als Mittäter? Nach § 263 Abs. 3 Nr. 4 StGB liegt ein besonders schwerer Fall des Betrugs in der Regel vor, wenn der Täter seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger missbraucht . Eine fehlerhafte Antragsbearbeitung allein führt jedoch weder zur Erfüllung des Betrugstatbestandes des § 263 Abs. 1 StGB noch zu einem besonders schweren Fall. Insoweit fehlt es regelmäßig an einem Tätervorsatz bezüglich des Betrugs und des Missbrauchs des Amtes zugunsten eines nichtberechtigten Leistungsempfängers.23 Zumindest wird einem Amtsträger ein solcher Vorsatz häufig nicht nachgewiesen werden können. 3.1.2. Strafbarkeit wegen Anstiftung oder Beihilfe? Nach § 26 StGB wird als Anstifter gleich einem Täter bestraft, wer vorsätzlich einen anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat bestimmt hat. Eine Anstiftung zum Betrug käme beispielsweise in Betracht, wenn ein Mitarbeiter, der den Antrag nicht selbst bearbeitet, im Rahmen einer Beratung einem Antragsteller nahe legte, falsche Angaben über die Vermögensverhältnisse zu machen. Eine solche Konstellation dürfte jedoch nur selten nachweisbar sein. Nach § 27 Abs. 1 StGB wird als Gehilfe bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat. Dies erfordert einen Vorsatz in Bezug auf den vom Leistungsempfänger selbst angestrebten Betrug.24 Die Annahme einer Beihilfe durch Unterlassen scheitert am Fehlen der erforderlichen Garantenstellung . Nach § 13 StGB wird das Unterlassen der Abwendung eines tatbestandsmäßigen Erfolgs dem aktiven Begehungsdelikt nur gleichgestellt, wenn der Täter 22 BRH – Bericht aaO, S. 21. 23 Kindhäuser / Neumann / Paeffgen: StGB, Kommentar, 2. Auflage 2005, § 263 Rn 398. 24 Schönke/Schröder/Cramer/Heine: StGB-Kommentar, 27. Auflage 2006, § 27 Rn 19. - 10 - (im Falle der Beihilfe der Gehilfe) rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt.25 Zwar können sich gesetzliche Pflichtenstellungen auch aus öffentlichrechtlichen Pflichten ergeben. Allerdings begründet nicht jede öffentlich-rechtliche Handlungspflicht eine Garantenstellung; vielmehr besteht eine solche nur innerhalb der Zuständigkeit des Amtsträgers.26 Sachbearbeiter haben jedoch grundsätzlich nicht rechtlich dafür einzustehen, dass die Antragsteller wahrheitsgemäße Angaben machen. 3.2. Untreue? Wegen Untreue wird nach § 266 Abs. 1 StGB bestraft, wer die ihm durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, missbraucht oder die ihm kraft Gesetzes , behördlichen Auftrags, Rechtsgeschäfts oder eines Treueverhältnisses obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat, Nachteil zufügt. Sowohl für den Missbrauchstatbestand (1. Alternative) als auch für den Treubruchtatbestand (2. Alternative) gilt – als gemeinsamer Kern für beide Alternativen des § 266 Abs. 1 StGB – die Pflicht zur fremdnützigen Vermögensbetreuung.27 Eine solche Vermögensbetreuungsbetreuungspflicht ist für öffentlich Bedienstete gegenüber dem Träger öffentlicher Haushalte hinsichtlich der Verwendung öffentlicher Mittel von der Rechtsprechung grundsätzlich bejaht worden.28 Soweit bei der sog. Haushaltsuntreue die Amtsstellung vermögensrechtliche Aufgaben, z. B. bei der Planung , Auftragsvergabe, Kontrolle von Fremdleistungen und allgemein bei der Verwendung öffentlicher Mittel umfasst, können sowohl Missbrauchs- als auch Treubruchhandlungen vorliegen. Hierbei spielen bei der zweckwidrigen, jedoch nicht eigennützigen Verwendung öffentlicher Mittel auch Gesichtspunkte der Verfälschung des Staatswillens eine Rolle. Bezüglich der Tathandlung wird nicht das Gesamtergebnis einer Wirtschaftsperiode (Haushaltsjahr) betrachtet, sondern die einzelne vermögensmindernde Verfügung.29 Als Tathandlung kommt somit eine einzelne Leistungsbewilligung von ALG II in Betracht. Ein Nachteil i. S. d. § 266 Abs. 1 StGB liegt auch vor, wenn ein sog. Gefährdungsschaden eintritt.30 Ein Verstoß gegen haushaltsrechtliche Grundsätze (z. B. Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit) reicht beim pflichtwidrigen Einsatz von Haushaltsmitteln durch öffentlich Bedienstete nur dann zur Tatbestandserfüllung aus, wenn für das zu betreuende öffentliche Vermögen ein Schaden entsteht. Die 25 Schönke/Schröder/Cramer/Heine: StGB-Kommentar, 27. Auflage 2006, § 263 Rn 19, § 13 Rn 4. 26 BGHSt 38, 390. 27 Herbert Tröndle/Thomas Fischer, Kommentar zum Strafgesetzbuch, 53. Aufl., 2006, § 266 Rn 6. 28 Tröndle/Fischer, a. a. O. § 266 Rn 36 29 Tröndle/Fischer, a. a. O. § 266 Rn 47 30 Tröndle/Fischer, a. a. O. § 266 Rn 61 - 11 - allgemeine Dispositionsbefugnis des Treugebers (Staat) ist nicht durch § 266 Abs. 1 StGB strafrechtlich geschützt.31 Bereichert sich ein Bediensteter persönlich oder wendet er einem Dritten unberechtigterweise etwas zu, so ist der Tatbestand der Untreue ohne Weiteres erfüllt.32 Ebenso wie beim Betrug wird einem öffentlich Bediensteten häufig der Vorsatz einer Untreue nicht nachweisbar sein. Dies gilt umso mehr als nach ständiger Rechtsprechung im Hinblick auf die Weite des objektiven Tatbestandes der Untreue an den Nachweis des subjektiven Tatbestandes strenge Anforderungen zu stellen sind.33 Demgegenüber dürfte sich der Vorsatz in den Fällen, in denen ein eigennütziges Handeln vorliegt, eher nachweisen lassen. Nach § 266 Abs. 2 i. V. m. § 263 Abs. 3 StGB liegt ein besonders schwerer Fall der Untreue in der Regel u. a. dann vor, wenn der Täter seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger missbraucht.34 3.3. Rechtsbeugung? Nach § 339 StGB wird ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter, welcher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht, mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft. Als Täter kommen grundsätzlich auch Verwaltungsangehörige in Betracht, wenn sie in einem förmlichen Verfahren eine ihrem Wesen nach richterliche Tätigkeit ausüben. Dies gilt aber dann nicht, wenn sie nach den Regeln des Verwaltungsrechts Recht anwenden.35 Die Anwendung der Regelungen des SGB II auf einen Antrag auf Gewährung von ALG II gehört hierzu, so dass eine Strafbarkeit wegen Rechtsbeugung nicht in Betracht kommt. 4. Rechtsfolgen und Strafverfolgung Der Erfolg von Maßnahmen zur Ahndung von Sozialleistungsbetrug hängt von der Kooperation zwischen den Behörden und auch von den existierenden gesetzlichen Regelungen u. a. in der Strafprozessordnung (StPO)36 sowie im StGB ab. 31 Tröndle/Fischer, a. a. O. § 266 Rn 64 32 Tröndle/Fischer, a. a. O. § 266 Rn 65 33 Tröndle/Fischer, a. a. O. § 266 Rn 78 34 Näher hierzu: Tröndle/Fischer, a. a. O. § 266 Rn 83a 35 Tröndle/Fischer, a. a. O. § 339 Rn 8a 36 In der Fassung vom 7.4.87 (BGBl. 87 I, 1074, ber. 1319), zuletzt geändert am 12.8.05 (BGBl. 05 I, 2360). - 12 - Im Jahr 2005 wurden bundesweit 21.448 Fälle des Sozialleistungsbetrugs kriminalpolizeilich erfasst. Die Zahl nahm gegenüber 2004 absolut um 1.704 Fälle zu, was einer Steigerungsrate von 8,6% entspricht. Bei den im Jahre 2005 erfassten Fällen betrug die Aufklärungsrate 99,0%. Ein Auszug aus der Polizeilichen Kriminalstatistik 2005 ist als - Anlage 1 - beigefügt. 37 Im Folgenden werden die Rechtsfolgen der relevanten Straftaten – Strafmaß, Strafzumessung und Vermögensabschöpfung durch Anordnung des Verfalls – und die Grundlagen der Strafverfolgung dargestellt. 4.1. Rechtsfolgen 4.1.1. Strafmaß und Strafzumessung Der Betrug wird nach § 263 Abs. 1 StGB mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. In besonders schweren Fällen – also z. B. beim Missbrauch der Befugnisse oder der Stellung als Amtsträger – ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren (§ 263 Abs. 3 StGB). Die Untreue wird – ebenso wie der Betrug – mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Für besonders schwere Fälle der Untreue gilt dasselbe Strafmaß wie bei besonders schweren Fällen des Betrugs. Hierbei ist zu bedenken, dass die Mitarbeiter der Grundsicherungsstellen eine Untreue fast immer unter Missbrauch ihrer Befugnisse oder ihrer Stellung als Amtsträger begehen werden.38 Im Falle einer Verurteilung des Täters wägt das Gericht bei der Zumessung des Strafumfangs in Befolgung des § 46 Abs. 2 StGB Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei wird sein Bemühen, den Schaden wieder gut zu machen sowie einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen, besonders berücksichtigt. Eine freiwillige Bemühung um die Erstattung der erschlichenen Leistung wirkt sich daher stets strafmildernd aus. Erzwungenes Verhalten, wenn also der Leistungsträger mit Strafanzeige gedroht hat, lässt keinen günstigen Schluss auf die Einstellung des Täters zu seiner Tat zu.39 4.1.2. Abschöpfung des rechtswidrigen Vermögenszuwachses Neben einer Bestrafung besteht die Möglichkeit der Abschöpfung des durch den Betrug erlangten Vermögensvorteils im Wege des Verfalls nach §§ 73 ff. StGB. Dieser umfasst 37 Polizeiliche Kriminalstatistik 2005, Kurzbericht, abrufbar unter http://www.bka.de/pks/pks2005/pks2005_kurzbericht_imk.pdf . 38 Zu dieser Problematik vgl. Tröndle/Fischer, StGB-Kommentar, 53. Aufl., 2006, § 266 Rn 83a 39 Schönke/Schröder/Cramer/Stree: StGB-Kommentar, 27. Auflage 2006, § 46 Rn 40. - 13 - u. a. die Bereicherung aus Betrug40 und aus Untreue. Umgesetzt wird diese Maßnahme gemäß §§ 111b StPO. Nach § 111b StPO können vom Verfall betroffene Gegenstände durch Beschlagnahme im Sinne des § 111c StPO sichergestellt werden. Der Verfall darf gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB jedoch nicht angeordnet werden, soweit dem Täter aus der Tat ein Anspruch erwachsen ist, dessen Erfüllung dem Täter den Wert des aus der Tat Erlangten entziehen würde. Solche Ansprüche bestehen regelmäßig . Grundsätzlich hat die Behörde einen Anspruch auf Rückzahlung gegen den Empfänger aus unerlaubter Handlung gemäß § 823 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)41 in Verbindung mit § 263 StGB. Das geltende Recht der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung hat sich nach Einschätzung der Bundesregierung dennoch in der Praxis grundsätzlich bewährt und lässt weitgehend eine effektive Abschöpfung der aus einer Straftat erlangten wirtschaftlichen Vorteile zu.42 Hierzu gibt es keine statistischen Erhebungen, die die Häufigkeit der Anordnung des Verfalls bezogen auf Fälle des Sozialleistungsbetrugs darstellen. Die Vermögensabschöpfung steht aufgrund von Reformvorhaben im Blickpunkt des rechtspolitischen Geschehens.43 4.2. Aufklärung von Sozialleistungsbetrug und Strafverfolgung Zur Aufklärung von Fällen des Erschleichens von öffentlichen Mitteln trägt die Kooperation von Behörden essentiell bei. So übermittelt das Bundesamt für Finanzen seit 2001 gemäß § 45d Abs. 3 Einkommensteuergesetz (EStG)44 den BAföG-Ämtern im Wege des Datenabgleichs Erkenntnisse über freigestellte Kapitalbeträge der Auszubildenden. Hierbei sind tausende Fälle des BAföG-Betrugs bekannt geworden.45 Auch die Träger von Leistungen nach dem SGB II haben Befugnisse zum Datenabgleich und zur Datenübermittlung . Diese sind in den §§ 50 bis 52 SGB II geregelt. Soweit nach der Feststellung eines Sozialleistungsbetrugs dieser zur Anzeige gebracht wird, ist die Staatsanwaltschaft entsprechend dem Legalitätsgrundsatz aus § 152 Abs. 2 StPO verpflichtet einzuschreiten. Statistische Erhebungen über die Quote 40 Elske Fehl: Monetäre Sanktionen im deutschen Rechtssystem, Europäische Hochschulschriften, 2002, S. 92. 41 In der Fassung vom 2.1.02 (BGBl. 02 I, 42, ber. 2909, o3 I, 738), zuletzt geändert am 19.4.06 (BGBl. 06 I S. 866). 42 Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten vom 21.2.06, Bundestagsdrucksache 16/700, S. 1. 43 Thomas Rönnau: Vermögensabschöpfung im Wandel, ZRP 04, S. 191 ff. . 44 In der Fassung vom 19.10.02 (BGBl. 02 I, 4210, ber. BGBl. 03 I, S. 179), zuletzt geändert am 28.4.06 (BGBl. 06 I, 1095). 45 Rau/Zschieschack: Betrug durch missbräuchliche Inanspruchnahme von BAföG-Leistungen, StV 04, S. 669, 669. - 14 - der Anzeigeerstattung bzw. Erhebung der öffentlichen Klage bei aufgedeckten Fällen existieren nicht.46 Die Staatsanwaltschaft kann gemäß § 153a Abs. 1 Nr. 1 StPO mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts vorläufig von der Erhebung der öffentlichen Klage absehen und zugleich dem Beschuldigten Auflagen und Weisungen erteilen, wenn diese geeignet sind, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen, und die Schwere der Schuld nicht entgegensteht. Als Auflage oder Weisung kommt insbesondere eine zur Wiedergutmachung des durch die Tat verursachten Schadens bestimmte Leistung, hier also die Rückzahlung des unberechtigt empfangenen Betrags, in Betracht. Statistische Erhebungen hierzu liegen nicht vor. 5. Beamten- und arbeitsrechtliche Maßnahmen Neben einer strafrechtlichen Sanktionierung von Sozialleistungsbetrug kommen auch beamtenrechtliche Disziplinarmaßnahmen oder entsprechende arbeitsrechtliche Maßnahmen in Betracht. Ein Katalog der disziplinarrechtlichen Sanktionen für Beamte findet sich in den §§ 5 bis 16 Bundesdisziplinargesetz (BDG).47 Darüber hinaus hat ein Beamter dem Dienstherrn den aus einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzung resultierenden Schaden zu ersetzen (§ 78 Abs. 1 Satz 1 Bundesbeamtengesetz - BBG).48 Arbeitnehmer (also nicht beamtete Mitarbeiter einer Grundsicherungsstelle) haften dem Arbeitgeber in vollem Umfang bei vorsätzlicher Herbeiführung eines Schadens und grundsätzlich auch bei grober Fahrlässigkeit, wobei bei gesteigertem Betriebsrisiko die Haftung gemildert wird; bei mittlerer Fahrlässigkeit erfolgt eine geteilte Haftung unter Abwägung von Arbeitnehmerverschulden und Arbeitgeberbetriebsrisiko und bei leichtester Fahrlässigkeit erfolgt keine Haftung des Arbeitnehmers.49 In der Praxis kommt es eher selten zu Regressforderungen des Dienstherrn bzw. Arbeitgebers. 6. Möglichkeiten zur Vorbeugung gegen Sozialleistungsbetrug und gegen die fehlerhafte Gewährung von ALG II Der Bund der Steuerzahler fordert die Einführung des Straftatbestandes der Amtsuntreue . Im Zusammenhang damit soll die Institution eines Amtsanklägers eingeführt 46 Beim BAföG-Betrug werden in Niedersachsen alle Fälle an die Staatsanwaltschaft weiter geleitet (Rau/Zschieschack: Betrug durch missbräuchliche Inanspruchnahme von BAföG-Leistungen, StV 04, S. 669, 669). 47 In der Fassung vom 9.7.01 (BGBl. 01 I, 1510), zuletzt geändert am 22. 4.05 (BGBl. 05 I S. 1106). 48 In der Fassung vom 31.3.99 (BGBl. 99 I, 675), zuletzt geändert am 19.2.06 (BGBl. 06 I S. 334). 49 Peter Hanau/Klaus Adomeit, Arbeitsrecht, 13. Aufl., 2005, S. 210f. - 15 - werden. Bei einer Pressekonferenz zur Vorstellung des sog. Schwarzbuches 2005 am 27. September 2005 erklärte der Präsident des Bundes der Steuerzahler, dass derjenige, der die in den Haushaltsgesetzen festgelegten Grundsätze der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit missachte, genauso zur Rechenschaft gezogen werden müsse wie jemand, der Steuern hinterziehe. Ziel müsse es sein, Steuergeldverschwendung erfolgreich zu sanktionieren.50 Zur Vorbeugung gegen die Bewilligung von Sozialleistungen an Unberechtigte wurde im Rahmen des am 1. Juni 2006 vom Bundestag in zweiter und dritter Lesung beschlossenen Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende eine Reihe von Maßnahmen beschlossen.51 Hierbei soll ein automatisierter Datenabgleich mit aufgrund der sog. Zinsinformationsverordnung gespeicherten Daten ermöglicht werden, um in anderen Staaten der Europäischen Union vorhandenes Vermögen (Konten und Depots) von Antragstellern und Leistungsbeziehern aufzudecken. Darüber hinaus soll ein automatisierter Datenabgleich auch mit Leistungsdaten der Bundesagentur für Arbeit als Träger der Arbeitsförderung ermöglicht werden. Bei der Umsetzung der Vorschriften über die Rückgewinnungshilfe beim Verfall und beim Verfall von Wertersatz (§§ 111b bis 111l StPO i. V. m. §§ 73, 73a StGB) haben sich in der Praxis nach Auffassung der Bundesregierung einzelne Regelungsdefizite gezeigt, die Änderungen oder Ergänzungen des geltenden Prozessrechts erforderlich machen. So kann nach geltendem Recht letztlich nicht ausgeschlossen werden, dass der durch eine Straftat erlangte Vermögensvorteil wieder an den Täter zurückfällt: Dies kann der Fall sein, wenn Verfall oder Verfall von Wertersatz nur deshalb nicht angeordnet werden können, weil dem Verletzten aus der Tat ein Anspruch erwachsen ist, dessen Erfüllung dem Täter oder Teilnehmer den Wert des aus der Tat Erlangten gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB entziehen würde, die Verletzten aber unbekannt sind oder ihre Ansprüche nicht geltend machen.52 Mit dem am 29. Juni 2006 vom Bundestag beschlossenen Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten53 soll unter anderem für den Sechsmonatszeitraum, währenddessen Sicherstellungsmaßnahmen ohne das Vorliegen dringender Gründe für die Annahme der Ver- 50 Statement des Präsidenten des Bundes der Steuerzahler, Dr. Karl Heinz Däke, vom 27. September 2006 (im Internet abrufbar unter http://schwarzbuch.steuerzahler.de/); vgl. auch Dokumentation der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages „Einzelfragen zur Verschwendung von Steuergeldern durch Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes“ vom 14. November 2005 (2. WF VII G 198/05) 51 Bundestagsdrucksache 16/1410 vom 9. Mai 2006; Beschlussempfehlung und Bericht: Bundestagsdrucksache 16/1696 vom 31. Mai 2006 52 Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten vom 21.2.06, Bundestagsdrucksache 16/700, S. 1. 53 Bundestagsdrucksachen 16/700 und 16/2021 - 16 - fallsvoraussetzungen aufrechterhalten werden können, nicht mehr wie bisher eine bloß drei-, sondern eine sechsmonatige Verlängerungsfrist eingeführt werden. Denn die bisherige Verlängerungsmöglichkeit hat sich häufig als zu kurz erwiesen. Um die Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahme weiterhin sicherzustellen, wird diese erweiterte Verlängerungsmöglichkeit von der weiteren Voraussetzung abhängig gemacht, dass der Tatverdacht zumindest auf dem Vorliegen bestimmter Tatsachen beruht (§ 111b Abs. 3 StPO-E).54 7. Untersuchungen zum Sozialleistungsbetrug und zu dessen Rechtsfolgen Die nachfolgend genannten wissenschaftlichen Studien befassen sich näher mit der vorliegenden Thematik: - Sebastian Berger: Der Schutz öffentlichen Vermögens durch § 263 StGB – Zur Anwendbarkeit des § 263 StGB und zum Vorliegen eines Vermögensschadens bei Angriffen auf inländisches öffentliches Vermögen sowie auf Vermögen der Europäischen Gemeinschaften, Dissertation 1999 Das Inhaltsverzeichnis ist als - Anlage 2 - beigefügt. - Meinrad Betschart: Grundfragen der strafrechtlichen Erfassung betrügerischen Verhaltens gegenüber dem Staat, Dissertation Bern 1991 Die Darstellung beruht auf der Rechtslage in der Schweiz. - Elske Fehl: Monetäre Sanktionen im deutschen Rechtssystem, Dissertation 2002. Neben der Geldstrafe werden weitere monetäre Sanktionen wie Geldauflagen, Gewinnabschöpfung u. a. durch Einziehung, Geldbuße nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht sowie disziplinar-, berufs- und zivilrechtliche Sanktionen beschrieben . - Thomas Rönnau: Vermögensabschöpfung in der Praxis, 2003. Das Inhaltsverzeichnis ist als - Anlage 3 - beigefügt. 54 Bundestagsdrucksache 16/700, S. 8.