© 2018 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 155/18 Flächendeckende Einführung von verkehrsberuhigten Zonen in der Schweiz Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 155/18 Seite 2 Flächendeckende Einführung von verkehrsberuhigten Zonen in der Schweiz Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 155/18 Abschluss der Arbeit: 25. Juli 2018 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 155/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Sukzessive Einführung von verkehrsberuhigten Zonen in der Schweiz 4 3. Die rechtliche Situation 5 3.1. Rechtliche Voraussetzungen in der Schweiz 6 3.2. Rechtliche Voraussetzungen in Deutschland 6 4. Fazit 7 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 155/18 Seite 4 1. Einleitung Spätestens seit dem Vorschlag des Umweltbundesamtes im März vergangenen Jahres, die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften für alle Kraftfahrzeuge auf 30 statt 50 Kilometer pro Stunde (km/h) herabzusetzen, wird die Frage um die vermehrte Umwandlung von Tempo-50- in Tempo-30-Zonen in Deutschland fortwährend diskutiert.1 Zu einem ähnlichen Vorstoß kam es im Oktober 1997 auch in der Schweiz. Hier startete der Verkehrsclub der Schweiz (VCS) die Volksinitiative „Strassen für alle“.2 Maßgebend für die flächendeckende Einführung von verkehrsberuhigten Zonen war letztlich aber die am 1. Januar 2002 in Kraft getretene Neuregelung der SSV3. Vor diesem Hintergrund soll zunächst die Entwicklung der flächendeckenden Einführung von verkehrsberuhigten Zonen in der Schweiz veranschaulicht werden (Ziffer 2). Sodann wird auf die rechtliche Situation insoweit eingegangen, als dass die bestehenden Voraussetzungen für die Umwandlung von Straßenabschnitten in verkehrsberuhigte Zonen in der Schweiz und in Deutschland dargelegt und im Wesentlichen miteinander verglichen werden (Ziffer 3). Schließlich folgt ein Fazit, in dem Erfahrungswerte hinsichtlich der Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit wiedergegeben werden (Ziffer 4). 2. Sukzessive Einführung von verkehrsberuhigten Zonen in der Schweiz Mit der bereits erwähnten Neuregelung der SSV begann auf siedlungsorientierten Straßen im Innerortsbereich in der Schweiz die sukzessive Ausweitung verkehrsberuhigter Zonen. Neben der Umwandlung von ursprünglich als Tempo-50-Zone ausgewiesenen Straßenabschnitten in Tempo-30-Zonen, kam es insbesondere zur Einführung der bis dahin unbekannten sogenannten Begegnungszone, in der das Befahren zwar zulässig, die Fußgänger jedoch Vortritt haben. Die zugelassene Höchstgeschwindigkeit beschränkt sich an diesen Stellen auf maximal 20 km/h. Eine verbindliche Angabe darüber, wie viele Straßenabschnitte insgesamt im Zuge der bundesweiten Geschwindigkeitssenkungen bis zum heutigen Zeitpunkt in verkehrsberuhigte Zonen umgewandelt wurden beziehungsweise wie viele Straßenkilometer hiervon betroffen sind, kann mangels einer aktuellen abschließenden Statistik nicht erfolgen. 1 Umweltbundesamt, Fachbroschüre „Die Stadt für Morgen“, Mai 2007, S. 28 f., zuletzt abgerufen am 10.07.2018: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/421/publikationen/20170505_stadt_von_morgen _2_auflage_web.pdf. 2 Diese wurde im März 1999 der Bundeskanzlei vorgelegt, wobei die flächendeckende Einführung von Tempo-30- Zonen innerhalb geschlossener Ortschaften verlangt wurde. Bei der sodann am 4. März 2001 stattgefundenen Volksabstimmung wurde die oben genannte Volksinitiative mit 79 % Nein- Stimmen jedoch abgelehnt, vgl. hierzu Egli/ Jäger, Langsamfahrzonen: Erfahrungen und Empfehlungen (1. April 2004), in: Kantonspolizei Zürich – Verkehrstechnische Abteilung, S. 3, zuletzt abgerufen am 10.07.2018: http://amcpacer.free.fr/mobilitant /etudezh.pdf. 3 Schweizerische Signalisationsverordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. September 1979, zuletzt abgerufen am 10.07.2018: https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19790235/index.html#. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 155/18 Seite 5 Eine letzte Bestandsaufnahme stammt aus dem Jahr 2008.4 Hiernach wurden bis zum Ende des Jahres 2006 insgesamt 2057 Tempo-30-Zonen bewilligt und zum gleichen Zeitraum 208 umgestaltete verkehrsorientierte Straßen eingerichtet. Die betroffenen Straßenabschnitte weisen hierbei aber jeweils nur eine sehr geringe Fläche von bis zu 0,14 Quadratkilometer auf. Dieser Umstand sei darauf zurückzuführen, dass die Gemeinden bei der Umgestaltung einvernehmlich darin bestrebt gewesen seien, die neuen Tempo-30-Zonen möglichst kostengünstig einzurichten. Bezüglich der weiteren Entwicklung hingegen muss auf lokale Medienberichte zurückgegriffen werden. Eine aktuelle bundesweite Gesamtzahl ist diesen jedoch ebenso wenig zu entnehmen, da ihre Angaben sich lediglich auf einzelne auserwählte Kantone beschränken. Im Kanton St. Gallen etwa, ohne die Hauptstadt, gebe es hiernach 92 Tempo-30-Zonen, wovon 72 in den vergangenen zehn Jahren bewilligt worden seien. In Freiburg seien es 172, während sich die Anzahl der Tempo-30-Zonen im Jahr 2007 noch auf 56 beschränkt habe. Im Kanton Luzern – ohne seine drei größten Gemeinden Luzern, Emmen und Kriens - seien seit dem Jahr 2007 234 und in Bern zwischen den Jahren 2007 und 2017 insgesamt 356 Tempo-30-Zonen bewilligt worden . Die aktuelle Zahl der entsprechenden Straßenabschnitte liege hier bei 493.5 Ferner habe es in Winterthur seit 2007 46 (142 Kilometer) und in Bern 189 Bewilligungen gegeben , während in Basel bereits auf 56 Prozent des innerstädtischen Straßennetzes mit einer Länge von insgesamt 294 Kilometern Tempo-30 gelte.6 3. Die rechtliche Situation Unter der Begrifflichkeit der verkehrsberuhigten Zone versteht man in der Schweiz, im Gegensatz zu Deutschland, nach Art. 22a-c SSV grundsätzlich alle Fußgängerzonen, Begegnungszonen und Tempo-30-Zonen. Der Begriff der Begegnungszone (früher Wohnstraße) stellt hierbei neben der grundlegenden Vereinfachung der Anordnungsmöglichkeit von Tempo-30-Zonen nach der Neuregelung der SSV im Januar 2001 die Besonderheit im schweizerischen Recht dar. 4 Scaramuzza, Gianantonio, „Prozess-Evaluation des bfu-Modells Tempo 50/30 innerorts - Umsetzung, Einstellungen und Kenntnis“, Bern 2008, in: bfu-Report 60, S. 14-15, zuletzt abgerufen am 11.07.2018: https://www.bfu.ch/sites/assets/Shop/bfu_2.031.01_bfu-Report%20Nr.%2060%20%E2%80%93%20Prozess- Evaluation%20des%20bfu-Modells%20Tempo%205030%20innerorts.pdf. 5 Vgl. hierzu Schlittler, Thomas, „Tempo 30 ist auf der Überholspur“, Blick- Zeitung vom 17.03.2018, zuletzt abgerufen am 11.07.2018: https://www.blick.ch/news/schweiz/allein-im-kanton-bern-356-langsamfahrzonenmehr -als-2007-tempo-30-ist-auf-der-ueberholspur-id8130459.html. 6 Vgl. hierzu Gerny, Daniel, „Tempo 30 wird zur Norm“, Neue Zürcher Zeitung vom 30.03.2018, zuletzt abgerufen am 11.07.2018: https://www.nzz.ch/schweiz/tempo-30-wird-zur-norm-ld.1370229. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 155/18 Seite 6 3.1. Rechtliche Voraussetzungen in der Schweiz Gesetzlich geregelt ist die sog. Begegnungszone in Art. 22b SSV. Hiernach handelt es sich um eine Straße in einem Wohn- oder Geschäftsbereich, auf der die Fußgänger und Benutzer von fahrzeugähnlichen Geräten die gesamte Verkehrsfläche benutzen dürfen und den Fahrzeugen gegenüber vortrittsberechtigt sind. Bei der Tempo-30-Zone hingegen handelt es sich gemäß Art. 22a SSV um eine Straße in Quartieren oder Siedlungsbereichen, in denen besonders vorsichtig und rücksichtsvoll gefahren werden muss und eine Höchstgeschwindigkeit von maximal 30 km/h zugelassen ist. Hinsichtlich seiner Anordnungsmöglichkeit ist der Art. 108 SSV zu beachten. Hiernach kann die jeweils zuständige Behörde oder das Bundesamt für Straßen für bestimmte Straßenstrecken eine Abweichung von den allgemeinen Höchstgeschwindigkeiten (Art. 4a VRV7) anordnen, wenn dies zur Vermeidung oder Verminderung besonderer Gefahren im Straßenverkehr, zur Reduzierung einer übermäßigen Umweltbelastung oder zur Verbesserung des Verkehrsablaufs nötig erscheint . Ist hierfür die Herabsetzung der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit für eine bestimmte Straßenstrecke beabsichtigt, so muss zusätzlich geprüft werden, ob mindestens eine der in Art. 108 Satz 2 SSV genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Die allgemeinen Höchstgeschwindigkeiten können hiernach nur dann herabgesetzt werden, wenn: – eine Gefahr nur schwer oder nicht rechtzeitig erkennbar und nicht anderweitig zu beheben ist – oder bestimmte Straßenbenutzer eines besonderen, nicht anders zu erreichenden Schutzes bedürfen – oder auf Strecken mit großer Verkehrsbelastung der Verkehrsablauf verbessert werden kann – oder dadurch eine im Sinne der Umweltschutzgesetzgebung übermäßige Umweltbelastung (Lärm, Schadstoffe) vermindert werden kann, wobei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren ist. Für eine entsprechende Anordnung kommen in erster Linie nur siedlungsorientierte Straßen (Erschließungs - und Sammelstraßen) in Frage. Ausnahmsweise können aber auch Hauptstraßen gemäß Art. 2a SSV bei besonderen örtlichen Gegebenheiten mit einbezogen werden. Hierfür ist jedoch in jedem Einzelfall eine fundierte Begründung notwendig. 3.2. Rechtliche Voraussetzungen in Deutschland In Deutschland versteht man unter einer verkehrsberuhigten Zone bzw. einem verkehrsberuhigten Bereich eine mit dem Verkehrszeichen 325.1 in der Anlage 2 zur Straßenverkehrsordnung 7 Schweizerische Verkehrsregelnverordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1962, zuletzt abgerufen am 12.07.2018: https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19620246/index.html. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 155/18 Seite 7 (StVO)8 beschilderte Straße oder Verkehrsfläche. Im weiteren Sinne fallen unter diesem Begriff jedoch auch die als Tempo-30-Zone ausgewiesenen Bereiche des öffentlichen Straßenverkehrs. Deren Anordnung richtet sich nach §§ 45 Abs. 1, Abs. 9 Satz 1 und Satz 4 Ziffer 3 in Verbindung mit 45 Abs. 1c StVO. Die Anordnung einer Tempo-30-Zone innerhalb geschlossener Ortschaften, insbesondere in Wohngebieten und Gebieten mit hoher Fußgänger- und Fahrradverkehrsdichte sowie hohem Querungsbedarf, erfolgt durch die Straßenverkehrsbehörden als untere Verwaltungsbehörden im Einvernehmen mit der jeweiligen Gemeinde (vgl. § 45 Abs. 1c Satz 1 StVO). Neben weiteren Voraussetzungen darf sich eine Tempo-30-Zone grundsätzlich weder auf Straßen des überörtlichen Verkehrs (Bundes-, Landes- und Kreisstraßen) noch auf weitere Vorfahrtstraßen (Zeichen 306 der Anlage 2 zur StVO) erstrecken. 4. Fazit Sämtliche Studien bestätigen eine deutliche Erhöhung der Verkehrssicherheit in der Schweiz nach der Neuregelung der SSV im Jahre 2001 und der damit einhergehenden flächendeckenden Einführung von verkehrsberuhigten Zonen. Die Schweizerische Beratungsstelle für Unfallverhütung etwa schätzte im Jahr 2008 den Rückgang der Anzahl der verkehrsunfallbedingten Todesfälle nach der flächendeckender Einführung von Tempo 30 auf Haupt- und Nebenstraßen innerorts auf 45 bis 60 %. Bei baulicher Unterstützung des Geschwindigkeitsregimes habe der Rückgang der tödlich Verunglückten sogar bei 60 bis 70 % gelegen.9 *** 8 Straßenverkehrs-Ordnung in der Fassung vom 6. März 2013 (BGBl. I S. 367), die zuletzt durch Artikel 1 der Verordnung vom 6. Oktober 2017 (BGBl. I S. 3549) geändert worden ist, zuletzt abgerufen am 12.07.2018: https://www.gesetze-im-internet.de/stvo_2013/BJNR036710013.html. 9 Scaramuzza, Gianantonio, „Prozess-Evaluation des bfu-Modells Tempo 50/30 innerorts - Umsetzung, Einstellungen und Kenntnis“, Bern 2008, in: bfu-Report 60, S. 45.