© 2016 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 155/16 Arbeitspflicht für Strafgefangene – geltende Rechtslage in Deutschland, Frankreich und Spanien Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 155/16 Seite 2 Arbeitspflicht für Strafgefangene – geltende Rechtslage in Deutschland, Frankreich und Spanien Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 155/16 Abschluss der Arbeit: 21. Oktober 2016 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 155/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Verfassungsrechtliche Grundlagen 4 2.1. Begriff der Zwangsarbeit im Sinne von Artikel 12 Absatz 3 GG 4 2.2. Inhaltliche Vorgaben und Grenzen einer zulässigen Arbeitspflicht für Strafgefangene 5 3. Einfachgesetzliche Regelungen des Bundes und der Länder zur Zwangsarbeit für Strafgefangene 5 3.1. Strafvollzugsgesetz des Bundes 5 3.2. Straf- und Justizvollzugsgesetze der Länder 6 4. Zur Rechtslage in Frankreich und Spanien 6 5. Fazit 7 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 155/16 Seite 4 1. Einleitung Gegenstand des vorliegenden Sachstands ist die summarische Darstellung der Rechtslage zur Arbeitspflicht für Strafgefangene in Deutschland, Frankreich und Spanien. 2. Verfassungsrechtliche Grundlagen Artikel 12 Absatz 2 GG1 bestimmt allgemein, dass außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen , für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht niemand zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden darf. Artikel 12 Absatz 3 GG jedoch legt ausdrücklich fest, dass bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung „Zwangsarbeit“ zulässig ist. 2.1. Begriff der Zwangsarbeit im Sinne von Artikel 12 Absatz 3 GG Eine einheitliche und allgemeingültige Definition des verfassungsrechtlichen Begriffs der Zwangsarbeit existiert nicht.2 Insbesondere ist eine Abgrenzung zum in Artikel 12 Absatz 2 GG genannten Begriff des Arbeitszwangs schwierig, weshalb das BVerfG in beiden Absätzen 2 und 3 ein einheitliches Grundrecht sieht.3 Eine Unterscheidung der beiden Begriffe ist jedoch insofern von Bedeutung, als dass „Zwangsarbeit “ im Gegensatz zum Arbeitszwang nur unter der Voraussetzung einer richterlich angeordneten Freiheitsentziehung möglich ist (vgl. Artikel 12 Absätze 2 und 3 GG). In der Literatur wird der Begriff der Zwangsarbeit teilweise definiert als die allgemeine und gegenständlich unbegrenzte Inanspruchnahme von Arbeitskraft gegen den Willen des Betroffenen.4 Entscheidend für die Zwangsarbeit sei insbesondere die unfreiwillige Zurverfügungstellung der gesamten Arbeitskraft des Betroffenen.5 1 Grundgesetz (GG) für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 23. Dezember 2014 (BGBl. I S. 2438). 2 Ruffert, in: Beck'scher Online-Kommentar Grundgesetz, Epping/Hillgruber (Hrsg.), Stand: 01.03.2016, Art. 12, Rn. 146. 3 Vgl. Ruffert, in: Beck'scher Online-Kommentar Grundgesetz, Epping/Hillgruber (Hrsg.), Stand: 01.03.2016, Art. 12, Rn. 139, mit Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG und die teilweise Zustimmung in der Literatur , wenngleich er selbst eine Abgrenzung zwischen Arbeitszwang und Zwangsarbeit für möglich hält. 4 Ruffert, in: Beck'scher Online-Kommentar Grundgesetz, Epping/Hillgruber (Hrsg.), Stand: 01.03.2016, Art. 12, Rn. 146. 5 Ruffert, in: Beck'scher Online-Kommentar Grundgesetz, Epping/Hillgruber (Hrsg.), Stand: 01.03.2016, Art. 12, Rn. 146. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 155/16 Seite 5 2.2. Inhaltliche Vorgaben und Grenzen einer zulässigen Arbeitspflicht für Strafgefangene Die inhaltlichen Vorgaben und Grenzen einer zulässigen Arbeitspflicht für Strafgefangene wurden durch verfassungsgerichtliche Entscheidungen konkretisiert.6 Dem Bundesverfassungsgericht zufolge werde der Inhalt der verfassungsrechtlichen Vorschriften des Artikel 12 Absatz 2 und Absatz 3 GG maßgeblich bestimmt von den Begriffen „Zwang zu einer bestimmten Arbeit“ und „Zwangsarbeit“. Deren normative Bedeutung und Tragweite lasse sich jedoch nicht allein vom gängigen Wortsinn her erfassen. Sie zu ergründen verlange vielmehr einen Blick auf das rechtliche und historische Umfeld der Entstehung der Verfassungsnormen sowie auf ihre Zielrichtung. Erst aufgrund einer solchen Gesamtbetrachtung lasse sich der Sinngehalt der Verfassungsbestimmungen darstellen.7 Im Rahmen der vorgenannten Entscheidungen betonte das BVerfG an verschiedenen Stellen, dass nach der Entstehungsgeschichte des Artikel 12 Absatz 2 und Absatz 3 GG und nach dem erklärten Ziel des Verfassungsgebers die Zwangsarbeit dort ihre Grenzen findet, wo eine Herabwürdigung der Person durch Anwendung bestimmter Methoden des Arbeitseinsatzes stattfände, wie sie in totalitär beherrschten Staaten üblich sind.8 In einer weiteren Entscheidung führte das BVerfG aus, dass Zwangs- und Pflichtarbeit nur als Mittel der verfassungsrechtlich gebotenen Resozialisierung angeordnet werden dürften und diese angeordnete Arbeit nur dann ein wirksames Resozialisierungsmittel darstelle, wenn die geleistete Arbeit angemessene Anerkennung finde.9 Außerdem beschränke Artikel 12 Absatz 3 GG die zulässige Zwangsarbeit auf Einrichtungen oder Verrichtungen, bei denen die Vollzugsbehörden die öffentlich-rechtliche Verantwortung für die ihnen anvertrauten Gefangenen behalten.10 3. Einfachgesetzliche Regelungen des Bundes und der Länder zur Zwangsarbeit für Strafgefangene 3.1. Strafvollzugsgesetz des Bundes Die verfassungsrechtlich zulässige „Zwangsarbeit“ wurde nach der Einführung des Strafvollzugsgesetzes 11 in § 41 StVollzG („Arbeitspflicht“) geregelt. Danach ist der Gefangene verpflichtet, eine 6 Insbesondere durch die folgenden Entscheidungen des BVerfG: BVerfG, Beschluss vom 13. Januar 1987 – 2 BvR 209/84, in: NJW 1988, S. 45 ff.; BVerfG, Urteil vom 1. Juli 1998 – 2 BvR 441-90, in: NJW 1998, S. 3337 ff. 7 BVerfG, NJW 1988, S. 45; in dieser Entscheidung finden sich weitere Ausführungen zur Entstehungsgeschichte des Art. 12 Abs. 2 und Abs. 3 GG. 8 Vgl. BVerfG, NJW 1988, S. 45 und S. 46. 9 Vgl. BVerfG, NJW 1998, S. 3337. 10 Vgl. BVerfG, NJW 1998, S. 3337. 11 Strafvollzugsgesetz (StVollzG) vom 16. März 1976 (BGBl. I S. 581, 2088; 1977 I S. 436), zuletzt geändert durch Artikel 152 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 155/16 Seite 6 ihm zugewiesene, seinen körperlichen Fähigkeiten angemessene Arbeit, arbeitstherapeutische oder sonstige Beschäftigung auszuüben, zu deren Verrichtung er auf Grund seines körperlichen Zustandes in der Lage ist. Er kann jährlich bis zu drei Monate zu Hilfstätigkeiten in der Anstalt verpflichtet werden, mit seiner Zustimmung auch darüber hinaus. Dies gilt jedoch nicht für Gefangene , die über 65 Jahre alt sind und nicht für werdende und stillende Mütter, soweit gesetzliche Beschäftigungsverbote bestehen. Die Verpflichtung des Gefangen zur Arbeit gem. § 41 StVollzG wurde vom BVerfG als mit dem Grundgesetz vereinbar beurteilt.12 3.2. Straf- und Justizvollzugsgesetze der Länder Mit der Föderalismusreform I ging die Zuständigkeit zur Regelung des Strafvollzuges und damit auch zur Regelung der Arbeitspflicht für Gefangene zum 1. September 2006 auf die Länder über. Von dieser Kompetenz haben alle Bundesländer Gebrauch gemacht. Die entsprechenden landesrechtlichen Regelungen sehen auch die prinzipielle Arbeitspflicht für Strafgefangene vor, wobei sie sich teilweise nur sprachlich von § 41 StVollzG unterscheiden.13 Lediglich in den Ländern Brandenburg und Rheinland-Pfalz ist abweichend hiervon festgelegt, dass Gefangenen Arbeit nur auf Antrag oder mit ihrer Zustimmung zugewiesen werden soll.14 4. Zur Rechtslage in Frankreich und Spanien In Frankreich ist keine Arbeitspflicht für Strafgefangene vorgesehen.15 Gemäß Artikel 717-3 Absatz 2 des Code de procedure pénale soll nur jenen Strafgefangenen, die dies wünschen, eine Beschäftigungsmöglichkeit gegeben werden.16 Auch in Spanien ist eine Arbeitspflicht für Strafgefangene nicht vorgesehen. Im Gegenteil bestimmt bereits Artikel 25 Nr. 2 der spanischen Verfassung, dass Zwangsarbeit kein Bestandteil des Vollzugs einer Freiheitsstrafe sein darf.17 Einfachgesetzlich sieht das spanische Strafvollzugsrecht zwar in vermeintlichem Widerspruch hierzu vor, dass Strafgefangene neben dem Recht auf 12 BVerfG, NJW 1998, S. 3337. 13 Vgl. etwa § 47 JVollzGB Baden-Württemberg, Art. 43 StVollzG Bayern, § 24 StVollzG Berlin, § 38 StVollzG Hamburg, § 27 Abs. 2 StVollzG Hessen, § 22 StVollzG Mecklenburg-Vorpommern, § 38 JVollzG Niedersachsen, § 22 StVollzG Saarland, §22 StVollzG Sachsen, § 29 JVollzGB Sachsen-Anhalt, § 29 JVollGB Thüringen. 14 Vgl. § 30 JVollzG Brandenburg, § 29 JVollzG Rheinland-Phalz. 15 Vgl. hierzu LE TRAVAIL DES DÉTENUS, LES DOCUMENTS DE TRAVAIL DU SÉNAT, Série LÉGISLATION COMPARÉE, n° LC 104, 2002, abrufbar unter https://www.senat.fr/lc/lc104/lc104.pdf . 16 Gesetzestext abrufbar unter https://www.legifrance.gouv.fr/affichCodeArticle.do;jsessionid =42AC51D24C31C034FE5404EE10535685.tpdila17v_2?idArticle=LEGIARTI000021330077&cidTexte=LE- GITEXT000006071154&dateTexte=20161021. 17 Wortlaut abrufbar unter https://www.boe.es/legislacion/documentos/ConstitucionCASTELLANO.pdf (englische Übersetzung abrufbar unter http://www.congreso.es/portal/page/portal/Congreso/Congreso/Hist_Normas /Norm/const_espa_texto_ingles_0.pdf). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 155/16 Seite 7 Arbeit auch eine Pflicht zur Arbeit haben.18 Unter Arbeit in diesem Sinne werden jedoch in einem weiteren Sinne unter anderem auch Bildungsaktivitäten, intellektuelle Beschäftigung, künstlerische Tätigkeiten und Beschäftigungsformen im Rahmen von Therapien verstanden.19 5. Fazit Eine Arbeitspflicht ist für Strafgefangene nach deutschem Verfassungsrecht grundsätzlich zulässig und dem entsprechend im einfachgesetzlichen Strafvollzugsrecht der Länder – mit Ausnahme der Bundesländer Brandenburg und Rheinland-Pfalz – normiert. Sowohl in Frankreich als auch in Spanien besteht keine Arbeitspflicht für Strafgefangene. Ende der Bearbeitung. 18 Artikel 26 Absatz 1 des Gesetzes 1/1979 vom 26. September, vgl. hierzu LE TRAVAIL DES DÉTENUS, LES DOCUMENTS DE TRAVAIL DU SÉNAT, Série LÉGISLATION COMPARÉE, n° LC 104, 2002 (oben Fußn. 14), S. 21 ff. 19 Artikel 27 Nr. 1 des Gesetzes 1/1979 vom 26. September, vgl. hierzu LE TRAVAIL DES DÉTENUS, LES DOCUMENTS DE TRAVAIL DU SÉNAT, Série LÉGISLATION COMPARÉE, n° LC 104, 2002 (oben Fußn. 14), S. 22.