© 2018 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 152/17 Gesetzgeberische Handlungsmöglichkeiten zur Einschränkung der Strafaussetzung zur Bewährung, insbesondere bei Intensivtätern Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 152/17 Seite 2 Gesetzgeberische Handlungsmöglichkeiten zur Einschränkung der Strafaussetzung zur Bewährung, insbesondere bei Intensivtätern Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 152/17 Abschluss der Arbeit: 30. Januar 2018 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 152/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 5 2. Das Rechtsinstitut der Strafaussetzung zur Bewährung im Erwachsenenstrafrecht 5 2.1. Einführung in die Norm 6 2.2. Rechtspolitische und verfassungsrechtliche Hintergründe 7 2.3. Aussetzung des Strafrestes bei zeitiger Freiheitsstrafe, § 57 StGB 8 2.4. Die Strafaussetzung zur Bewährung in weiteren Vorschriften und ähnliche Rechtsinstitute 10 3. Die Strafaussetzung zur Bewährung im Jugendstrafrecht 10 3.1. Die Strafaussetzung zur Bewährung nach den §§ 21 ff. JGG 11 3.2. Die Aussetzung des Strafrestes, § 88 JGG 12 3.3. Die Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe, §§ 27-30 JGG 12 3.4. Die Vorbewährung, §§ 57, 61-61b JGG 13 4. Schlussfolgerungen aus den gesetzlichen Regelungen 13 5. Der Begriff des Intensivtäters 14 5.1. Landesrahmenkonzept in Niedersachsen 15 5.2. Die Regelung zur polizeilichen Beobachtung in Berlin 16 5.3. Landesforschungsprojekt des Landeskriminalamts Hessen „Mehrfach- und Intensivtäter in Hessen“ 18 5.4. Bisherige Erkenntnisse zur Beschreibung von Intensivtätern 22 6. Bisheriger Befund 23 7. Legalbewährungsstudie des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz 24 7.1. Rückfallraten nach Sanktionsart der Bezugsentscheidung 25 7.2. Folgeentscheidungen in Abhängigkeit von den Voreintragungen 26 8. Arbeitsauftrag der Wissenschaftlichen Dienste 27 9. Gesetzgeberische Möglichkeiten zur Einschränkung der Strafaussetzung zur Bewährung über eine bundeseinheitliche Legaldefinition des Begriffs „Intensivtäter“ 28 10. Einschränkung der Strafaussetzung zur Bewährung über Regelbeispiele bei erwachsenen Intensivtätern 29 10.1. Einschränkungen für die Annahme einer günstigen Sozialprognose 29 10.2. Ausdehnung des § 56 Abs. 3 StGB 30 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 152/17 Seite 4 10.3. Prüfung, ob auch für das Erwachsenenstrafrecht die Vorbewährung einzuführen ist 30 10.4. Widerruf der Bewährung nach § 56f StGB 31 11. Einschränkung der Strafaussetzung zur Bewährung über Regelbeispiele bei jugendlichen und heranwachsenden Intensivtätern 31 11.1. Möglichkeiten, innerhalb von § 17 JGG die Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung einzuschränken 31 11.2. Widerruf der der Strafaussetzung nach § 26 JGG 32 11.3. Möglichkeiten, über das Institut der Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe, §§ 27-30 JGG, die Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung einzuschränken 32 11.4. Möglichkeiten über das Institut der Vorbewährung, §§ 57, 61-61b JGG, die Strafaussetzung zur Bewährung einzuschränken 33 12. Ansätze für jugendliche und heranwachsende (Intensiv)täter 33 12.1. Walsh, Der Umgang mit jungen „Intensivtätern“ 34 12.2. Holthusen, Kinder und Jugendliche als sogenannte Intensivtäter 34 12.3. Drenkhahn: Hilfe für kindliche und jugendliche Intensivtäter 34 12.4. Die Einführung des Warnschussarrestes nach § 16a JGG 35 12.5. Die Einführung des Fahrverbots als Nebenstrafe 36 12.6. Bericht des Bundeskriminalamts über eine Tagung zu jungen Mehrfach- und Intensivtätern 36 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 152/17 Seite 5 1. Einleitung Der vorliegenden Ausarbeitung liegt folgende Aufgabenstellung zugrunde: Es sollen die gesetzgeberischen Handlungsmöglichkeiten zur Einschränkung der Strafaussetzung zur Bewährung unter besonderer Berücksichtigung sogenannter Intensivtäter erörtert werden. Im Einzelnen sollen auch folgende Aspekte beleuchtet werden: volumenmäßiger Umfang bei dieser Problemstellung, die rechtspolitischen Folgen der erfolgten Strafaussetzung zur Bewährung und der aktuelle Diskussionsstand in der Literatur hinsichtlich der Problematiken der erfolgten häufigen Strafaussetzungen zur Bewährung. Die Thematik gibt Anlass, zunächst das Institut der Strafaussetzung zur Bewährung näher zu beleuchten , anschließend den Begriff des Intensivtäters zu klären, um dann den Raum für gesetzgeberische Handlungsmöglichkeiten hinsichtlich der aufgeworfenen Fragestellung aufzuzeigen. 2. Das Rechtsinstitut der Strafaussetzung zur Bewährung im Erwachsenenstrafrecht Das Strafgesetzbuch (StGB)1 enthält in § 56 die Grundnorm zur Strafaussetzung zur Bewährung, die wie folgt lautet: „Strafgesetzbuch (StGB) § 56 Strafaussetzung (1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind. (2) Das Gericht kann unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen. Bei der Entscheidung ist namentlich auch das Bemühen des Verurteilten, den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen, zu berücksichtigen. 1 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 30. Oktober 2017 (BGBl. I S. 3618), abrufbar unter: http://www.gesetze-iminternet .de/stgb/BJNR001270871.html [letzter Abruf: 27. November 2017]. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 152/17 Seite 6 (3) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wird die Vollstreckung nicht ausgesetzt, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung sie gebietet. (4) Die Strafaussetzung kann nicht auf einen Teil der Strafe beschränkt werden . Sie wird durch eine Anrechnung von Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung nicht ausgeschlossen.“ 2.1. Einführung in die Norm Die Regelung des § 56 StGB geht im Wesentlichen auf die Reform von 1969 zurück. Damals wurde die Strafaussetzung zur Bewährung mit dem Ziel ausgebaut, die Vollstreckung kurzer und mittlerer Freiheitsstrafen möglichst weit zurückzudrängen, um die Resozialisierung des Täters in der Freiheit zu fördern2. In § 47 Abs. 1 StGB hat der Gesetzgeber sogar ausdrücklich festgelegt, dass kurze Freiheitsstrafen – das Gesetz spricht von Freiheitsstrafen unter sechs Monaten - möglichst zu vermeiden sind. Sie sollen nur in absoluten Ausnahmefällen verhängt werden, nämlich dann, wenn sie entweder zur Spezialprävention, also zur Einwirkung auf den Täter, oder zur Verteidigung der Rechtsordnung (§ 56 Abs. 3 StGB) unerlässlich sind. Nach dem Gesetzeswortlaut setzt eine Strafaussetzung zur Bewährung stets eine günstige Sozialprognose, andere sprechen auch von Legalprognose, voraus, § 56 Abs. 1 StGB. Handelt es sich um eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr, so stellt § 56 Abs. 2 StGB weitere Anforderungen, damit die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Darüber hinaus begrenzt § 56 Abs. 2 StGB die Möglichkeit eine zeitige Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen dahingehend, dass nur Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren überhaupt zur Bewährung ausgesetzt werden können. Obwohl § 56 Abs. 2 StGB bei einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren die Aussetzung der Strafvollstreckung als Ausnahme konzipiert, werden in der Praxis Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren in der Regel zur Bewährung ausgesetzt. Stree und Kinzig berichten, dass im Jahre 2011 von allen 126 350 Freiheitsstrafen 88 618 zur Bewährung ausgesetzt worden seien, was einem Anteil von 70 % entspreche: Bei den Freiheitsstrafen unter sechs Monaten Dauer habe der Anteil 73 % betragen , bei denen von sechs bis einschließlich zwölf Monaten 80 % und bei denen von mehr als einem bis zu zwei Jahren wiederum 73 %.3 Für 2013 werden von Groß ähnliche Zahlen genannt. Von den im Jahr 2013 in der Bundesrepublik verhängten 115.880 Freiheitsstrafen seien 80.956, und damit 69,9 %, zur Bewährung ausgesetzt worden. Dabei habe die Aussetzungsquote bei Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr (§ 56 Abs. 1) 76,8 %, bei solchen zwischen einem und zwei Jahren (Abs. 2) 73,3 % betragen.4 2 1. StrRG vom 25.6.1969, BGBl. I, 645. Zur Reform siehe: Stree/Kinzig, in: Schönke-Schröder, Strafgesetzbuch, 29. Auflage, München 2014, § 56 Rn. 1; Groß, in: Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch (MüKoStGB), 3. Auflage, München 2016, Vorbemerkung zu §§ 56 ff. Rn. 1-8 und § 56 Rn. 4. 3 Stree/Kinzig, in: Schönke-Schröder, § 56 Rn. 1 unter Verweis auf die Strafverfolgungsstatistik 11, 152 f. 4 Groß, in: MüKoStGB, § 56 Rn. 4. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 152/17 Seite 7 Von den im Jahr 2013 in der Bundesrepublik verhängten 115.880 Freiheitsstrafen wurden 80.956, das sind 69,9 %, zur Bewährung ausgesetzt. Dabei betrug die Aussetzungsquote bei Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr (§ 56 Abs. 1) 76,8 %, bei solchen zwischen einem und zwei Jahren (Abs. 2) 73,3 %. 2.2. Rechtspolitische und verfassungsrechtliche Hintergründe Wie bereits erwähnt, wird mit der Strafaussetzung zur Bewährung das Ziel verfolgt, kurze Freiheitsstrafen zu vermeiden, um die damit potentiell bestehenden negativen Folgen für den Täter zu vermeiden. Die §§ 56 ff. StGB sind im Dritten Abschnitt des StGB unter „Rechtsfolgen der Tat“ und dort unter einem eigenständigen Titel, dem vierten Titel „Strafaussetzung zur Bewährung“, eingeordnet. Umstritten ist die nähere Rechtsnatur der Strafaussetzung zur Bewährung. Während teilweise in der Strafaussetzung zur Bewährung eine Modifizierung der Strafe und zwar deren Vollstreckung gesehen wird5, wird dies von anderen abgelehnt. Vielmehr soll „es sich bei dem in den §§ 56 ff. StGB geregelten Institut um eine Rechtsfolge besonderer Art [handeln], „um eine neben der zu verbüßenden Strafe und zu vollstreckenden Maßregel – dritte Spur im Strafrecht.“6 Denn es gehe in den §§ 56 ff. StGB nicht darum, die Strafvollstreckung zu modifizieren7, weil eine solche ja gar nicht stattfinde. Auch die Bezeichnung als „Bewährungsstrafe“ sei missverständlich, da die eigentliche Sanktion, die verwirkte Freiheitsstrafe, durch ein anderes Instrument ersetzt werde, nämlich durch die Anordnung der Bewährungsauflagen, die sich zur verhängten Freiheitsstrafe dogmatisch „wie die Geldstrafe zur damit verbundenen Ersatzfreiheitsstrafe“ verhalte8. Unabhängig davon, ob man in der Strafaussetzung eine Modifizierung der Strafe oder eine dritte Spur sieht, ist anerkannt, dass das Institut der Strafaussetzung zur Bewährung eigentlich kein Akt der Strafzumessung ist, denn diese vollzieht sich im Rahmen des § 46 StGB und geht der Entscheidung , ob die verhängte Freiheitsstrafe ausgesetzt wird, zeitlich voraus.9 Deshalb ist auch eine Vermischung von Strafzumessungs- und Aussetzungserwägungen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) unzulässig.10 Allerdings stehen die Kriterien, die im Rahmen des § 56 StGB bedeutsam sind, ihrem Inhalt nach denen des § 46 StGB nahe, nämlich insbesondere die Sozialprognose und Aspekte der Wiedergutmachung. 5 Stree/Kinzig, in: Schönke-Schröder, § 56 Rn. 3 mit weiteren Nachweisen. 6 Schall, in: Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch (SK-StGB), Band II §§ 46-122, Köln, Stand: 8. Auflage , 148. Lieferung, Dezember 2014, § 56 Rn. 3 mit weiteren Nachweisen. 7 Schall, in: SK-StGB, § 56 Rn. 3. 8 Schall, in: SK-StGB, § 56 Rn. 3. 9 So auch Groß, in: MüKoStGB, § 56 Rn. 2; Fischer, Strafgesetzbuch, 64. Auflage, München 2017, § 56, Rn. 3 unter Berufung auf die Rechtsprechung des BGH, a.a.O, Rn. 23. 10 BGH 3. Strafsenat, Urteil vom 23. März 1988, AZ: 3 StR 31/88, juris, Leitsatz und Rn. 5 = Strafverteidiger (StV) 1988, 294 f. = Neue Zeitschrift für Strafrecht (NStZ) 1988, 309; BGH BGH 2. Strafsenat, Urteil vom 17. September 1980, AZ: 2 StR 355/80, juris, Leitsatz und Rn. 11 ff. = BGHSt 29, 319, 321 = Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1981, 692. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 152/17 Seite 8 Dabei ist dem Gesetzestext zu entnehmen, dass es in erster Linie darum geht, den Täter wieder in ein straffreies Leben zu integrieren; er soll vor den möglichen negativen Folgen einer Haft verschont werden. Es geht also zuvörderst um Spezialprävention. Zugunsten dieser wird die Verteidigung der Rechtsordnung zurückgedrängt. Nur in Ausnahmefällen, in denen eine Vollstreckung aus generalpräventiven Gründen geboten ist, entfällt die Aussetzung der Freiheitsstrafe. Der Hintergrund für die Zurückhaltung bei der Strafvollstreckung ist letztlich der verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der sich sowohl aus dem Rechtsstaatsprinzip als auch aus den Grundrechten ableiten lässt11. Selbst wenn aufgrund der Schuld des Täters im konkreten Fall eine Freiheitsstrafe zu verhängen ist, so muss diese nicht vollstreckt werden, wenn dies weder aus spezial- noch aus generalpräventiven Gründen geboten ist12. Denn nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz muss stets das mildere Mittel eingesetzt werden, wenn mit diesem in gleicher Weise der verfolgte Zweck erreicht werden kann. 2.3. Aussetzung des Strafrestes bei zeitiger Freiheitsstrafe, § 57 StGB Die Aussetzung des Strafrestes bei zeitiger Freiheitsstrafe nach § 57 StGB knüpft in einem weiten Bereich an die Regelung des § 56 StGB an. Insbesondere gelten die §§ 56a bis 56g StGB für die Aussetzung des Strafrestes entsprechend. Auf der anderen Seite gibt es zwischen den beiden Strafaussetzungen folgende Unterschiede: Anders als bei § 56 StGB geht es bei der Strafaussetzung nach § 57 StGB allein um spezialpräventive Aspekte. Die Reststrafaussetzung soll den Verurteilten vor den negativen Folgen einer – langen – Strafhaft bewahren. Aspekte der Generalprävention spielen dagegen bei der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer13 über die Aussetzung keine Rolle.14 Außerdem wird die Aussetzung des Strafrestes bei zeitiger Freiheitsstrafe nach § 57 StGB von der h.M. dogmatisch als Modifizierung der Strafe im Rahmen der Strafvollstreckung angesehen15. Diese Einordnung steht im Einklang mit dem Gesetz, wonach die Strafvoll- 11 Dazu: Wienbracke, Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, in: Zeitschrift für das Juristische Studium (ZJS) 2013, 148. 12 So auch ausdrücklich Kinzig/Stree, in: Schönke-Schröder, § 56 Rn. 3. 13 In der Regel ist die Strafvollstreckungskammer für die Entscheidung zuständig, in deren Bezirk die Justizvollzugsanstalt liegt, die den Verurteilten aufgenommen hat, § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO. Das Gericht des ersten Rechtszuges ist nach § 462a Abs. 2 StPO dagegen befasst, wenn die Strafvollstreckungskammer nicht oder noch nicht mit der Sache befasst war, vgl. dazu Fischer, § 57 Rn. 32. 14 BGH, Dünkel, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, 5. Auflage, München 2017, § 57 Rn. 1; Stree/Kinzig, in: Schönke-Schröder, § 57 Rn. 1. 15 Dünkel, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, § 57 Rn. 4; Groß, in: MüKoStGB, § 57, Rn. 1; Stree/Kinzig, in: Schönke-Schröder, § 57 Rn. 2. Siehe auch die Aufgabenbeschreibung und die damit einhergehende Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer, BGH 2. Strafsenat, Beschluss vom 2. Dezember 1977, AZ: 2 ARs 366/77. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 152/17 Seite 9 streckungskammern über die Reststrafaussetzung entscheiden, § 462a Abs. 1 Satz 1 Strafprozessordnung (StPO)16. Im Gegensatz zur anfänglichen Strafaussetzung nach § 56 StGB wird in den Bewährungsauflagen keine verselbständigte ambulante Alternative gesehen (also keine dritte Spur).17 Schließlich unterscheiden sich die Aussetzungsentscheidungen auch in der Umsetzung durch die Praxis. Für § 56 StGB hatte sich ergeben, dass das erkennende Gericht auch bei Freiheitsstrafen von über einem Jahr in mehr als 70 % der Fälle zu einer Aussetzung kommt, also von einer positiven Sozialprognose ausgeht, obwohl die Aussetzung nach der Formulierung des § 56 Abs. 2 StGB eher als Ausnahme konzipiert ist. In der breiten Öffentlichkeit wird auch für § 57 StGB angenommen, dass die Strafvollstreckungskammer nach Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Strafe den Rest in der Regel zur Bewährung aussetzt. Die Zahlen zeigen jedoch deutlich, dass dem nicht so ist. Vielmehr werden nach § 57 Abs. 1 StGB, also Verbüßung von zwei Dritteln der Freiheitsstrafe, lediglich 14,6 % zur Bewährung ausgesetzt; bei der nach § 57 Abs. 2 StGB möglichen Halbstrafenaussetzung sind es sogar nur 2 %.18 Die Reststrafenaussetzung setzt nach § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB die Einwilligung des Verurteilten voraus; eine solche Einwilligung ist im Rahmen des § 56 StGB nicht erforderlich . Die Regelung des § 57 StGB ist ebenso wie die in § 56 StGB mit einer verfassungsrechtlichen Komponente hinterlegt. Auch im Rahmen des § 57 StGB gilt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der hier aber von dem durch Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG)19 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG garantierten Anspruch auf Resozialisierung20 überlagert wird.21 16 Strafprozeßordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 30. Oktober 2017 (BGBl. I S. 3618), abrufbar unter: https://www.gesetze -im-internet.de/stpo/BJNR006290950.html [letzter Abruf: 29. November 2017]. 17 Auf diese Möglichkeit weist Dünkel hin, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, § 57 Rn. 4. 18 So Schall, in: SK-StGB, § 57 Rn. 2, der sich auf die Angaben des Statistischen Bundesamtes aus den Jahren 2000-2010 stützt, Fachserie 10, Reihe 4.2, Tabelle 1.3. Ebenso: Groß, in: MüKoStGB, § 57 Rn. 6. Ähnlich auch Fischer, der im Rahmen des § 57 StGB eine Aussetzungsquote von 30 % nennt und für die Halbstrafenaussetzung von einer Quote ausgeht, die unter 2 % liegt, § 57 Rn. 1. 19 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100- 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 13. Juli 2017 (BGBl. I S. 2347), abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/gg/BJNR000010949.html [letzter Abruf: 29. November 2017]. 20 BVerfG 1. Senat, Urteil vom 5. Juni 1973, AZ: 1 BvR 536/72, Lebach-Urteil, juris Rn. 72 = BVerfGE 35, 202 ff.; BVerfG 2. Senat, Beschluss vom 28. Juni 1983, AZ: 2 BvR 539/80, 2 BvR 612/80, juris, 2. Orientierungssatz und Rn. 52, 54 = BVerfGE 64, 261 ff. 21 Auf den Anspruch auf Resozialisierung im Rahmen von § 57 StGB weist hin: Heintschel von Heinegg, in: Beck’scher Online-Kommentar zum StGB (BeckOK StGB), 35. Edition, Stand: 1. August 2017, § 57 Rn. 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 152/17 Seite 10 2.4. Die Strafaussetzung zur Bewährung in weiteren Vorschriften und ähnliche Rechtsinstitute Neben den vorgestellten Grundnormen der Strafaussetzung zur Bewährung gibt es weitere Regelungen . Genannt werden sollen hier die Aussetzung des Strafrestes bei lebenslanger Freiheitsstrafe in § 57a StGB sowie die Regelung des § 14 Wehrstrafgesetz (WStG)22. § 35 Betäubungsmittelgesetz (BtMG)23 sieht eine Zurückstellung der Vollstreckung vor und ergänzt damit die Strafaussetzung zur Bewährung und der Unterbringung. Ziel der Zurückstellung nach § 35 BtMG ist es, bei schlechter Prognose oder hoher Strafe eine Drogentherapie zu ermöglichen . § 35 BtMG greift also in Situationen, in denen eine Strafaussetzung zur Bewährung wegen der schlechten Sozialprognose gerade nicht in Betracht kommt. Daraus ergibt sich, dass in den Fällen, in denen eine positive Sozialprognose vorliegt, die Strafaussetzung zur Bewährung nach den §§ 56, 57 StGB mit entsprechender Therapieauflage Vorrang vor der Zurückstellung nach § 35 BtMG hat.24 3. Die Strafaussetzung zur Bewährung im Jugendstrafrecht Im Jugendgerichtgesetz (JGG)25 sind folgende Instrumente zu unterscheiden: die Strafaussetzung zur Bewährung nach den §§ 21 ff. JGG, die Aussetzung des Strafrestes nach § 88 JGG, die Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe zur Bewährung, §§ 27-30 JGG, sowie die sogenannte „Vorbewährung“ nach den §§ 57 ff. JGG. Während die Strafaussetzung zur Bewährung und die Aussetzung der Reststrafe aus dem allgemeinen Strafrecht bekannt sind, handelt es sich bei der Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe zur Bewährung und der Vorbewährung um zwei weitere Instrumente, die helfen sollen, 22 Wehrstrafgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 24. Mai 1974 (BGBl. I S. 1213), zuletzt geändert durch Artikel 10 Absatz 8 des Gesetzes vom 30. Oktober 2017 (BGBl. I S. 3618); abrufbar unter: https://www.gesetzeim -internet.de/wstrg/BJNR002980957.html [letzter Abruf: 29. November 2017]. 23 Betäubungsmittelgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. März 1994 (BGBl. I S. 358), zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 16. Juni 2017 (BGBl. I S. 1670), abrufbar unter: https://www.gesetze-iminternet .de/btmg_1981/BJNR106810981.html [letzter Abruf: 29. November 2017]. 24 Ganter, in: Beck’scher Online-Kommentar zur StPO mit RiStBV und MiStra (BeckOK StPO), 28. Edition, München , Stand: 1. Juli 2017, § 35 BtMG Rn. Kornprobst, in: Münchener Kommentar zum StGB (MüKoStGB), Band 6, 2. Auflage, München 2013, § 35 BtMG Rn. 8. 25 Jugendgerichtsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. Dezember 1974 (BGBl. I S. 3427), zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 27. August 2017 (BGBl. I S. 3295), abrufbar unter: https://www.gesetze -im-internet.de/jgg/BJNR007510953.html [letzter Abruf: 29. November 2017]. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 152/17 Seite 11 dem Erziehungsgedanken des Jugendstrafrechts Rechnung zu tragen und dem Jugendlichen die schädlichen Auswirkungen der Haft zu ersparen. Für die fortlaufende Bearbeitung ist zu beachten, dass die Vorschriften über die Strafaussetzung zur Bewährung bei Jugendlichen, §§ 21 ff. StGB, für Heranwachsende entsprechend gelten, wenn auf sie materielles Jugendstrafrecht angewandt wird (§§ 105 Abs. 1, 112 S 1, 2, 104 Abs. 1 Nr. 1 JGG26), insbesondere also wenn die Heranwachsenden zur Zeit der Tat nach ihrer sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstehen, oder es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung handelt. 3.1. Die Strafaussetzung zur Bewährung nach den §§ 21 ff. JGG Ebenso wie im Erwachsenenrecht ist auch die Strafaussetzung zur Bewährung im Jugendstrafrecht nach den §§ 21 ff. StGB eine Frage der Strafvollstreckung. Die Strafzumessung geht der Entscheidung , ob eine Aussetzung in Frage kommt, voraus. Deshalb ist die Jugendstrafe unabhängig davon zu bemessen, ob das Gericht die Strafe zur Bewährung aussetzt oder nicht. Gleichwohl soll anders als im allgemeinen Strafrecht keine Verletzung des Gesetzes vorliegen, wenn die Strafbemessung unter Berücksichtigung der Voraussetzungen der Aussetzung erfolgt. Dies wird mit der Regelung in § 18 Abs. 2 JGG begründet, wonach die Jugendstrafe so zu bemessen ist, dass die erforderliche erzieherische Einwirkung möglich ist.27 Wurde eine Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen gemäß § § 17 Abs. 2, Altern 1 JGG verhängt , so können gleichwohl die Voraussetzungen der Aussetzung nach § 21 gegeben sein.28 Vergleicht man die Voraussetzungen in § 21 JGG mit denen in § 56 StGB, lässt sich Folgendes feststellen: Auch § 21 Abs. 1 JGG stellt für die Aussetzung darauf ab, dass eine Jugendstrafe von nicht mehr als einem Jahr verhängt worden ist. Bei einer Jugendstrafe von nicht mehr als zwei Jahren ist eine Aussetzung nach § 21 Abs. 2 JGG möglich, sofern nicht die Entwicklung des Jugendlichen entgegensteht. Sowohl bei § 21 Abs. 1 JGG als auch bei § 21 Abs. 2 JGG ist jeweils eine günstige Sozialprognose für die Aussetzung erforderlich. Dagegen gibt keine dem § 56 Abs. 3 StGB entsprechende Regelung, wonach von der Aussetzung abgesehen werden kann, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung gebietet. Für solche generalpräventiven Aspekte gibt es im Jugendstrafrecht keinen Raum; hier spielt der Erziehungsgedanke die entscheidende Rolle mit der Folge, dass ausschließlich spezialpräventive Gesichtspunkte für die Entscheidung über die Aussetzung herangezogen werden. In der Praxis lässt sich feststellen, dass zum einen die Verurteilungen zu Jugendstrafen angestiegen sind. Aber auch die Entscheidungen, die Jugendstrafe zur Bewährung auszusetzen , sind stetig angestiegen. Eisenberg beschreibt in seinem Kommentar zum JGG die 26 Eisenberg, Jugendgerichtsgesetz, 19. Auflage, München 2017, § 21 Rn. 2. 27 Dazu siehe Eisenberg, JGG, § 21 Rn. 4. 28 Eisenberg, JGG § 21 Rn. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 152/17 Seite 12 statistische Entwicklung wie folgt: Im Jahre 1976 sei die Vollstreckung ausgesetzt worden bei der Jugendstrafe „von sechs Monaten in 81,9 %, bei der Jugendstrafe von mehr als sechs Monaten bis zu neun Monaten in 78,9 %, bei der Jugendstrafe von mehr als neun Monaten bis zu einem Jahr in 73,6 % und bei der Jugendstrafe von mehr als einem Jahr bis zu zwei Jahren in 20,5 % der Fälle“. Im „Jahre 1996 lauteten die entsprechenden Anteile 83,7 %, 81,0 %, 72,5 % und 56,4 %, und im Jahre 2006 81,4 %, 80,0 %, 72,7 % und 55,3 % (gemäß StBA jeweils in den „alten“ Bundesländern); für das Jahr 2014 (Deutschland insgesamt ) betrugen die Anteile 86,81 %, 84,07 %, 76,35 % und 57,95 %“.29 Eisenberg stellt angesichts dieser Entwicklung die Frage, ob nicht bereits die Verhängung der Jugendstrafe reduziert werden müsse. Dies gelte insbesondere für die Verhängung der Jugendstrafe wegen „schädlicher Neigungen“. In diesen Fällen sei zu überlegen, ob nicht bereits die Verhängung der Jugendstrafe zur Bewährung hätte ausgesetzt werden müssen.30 3.2. Die Aussetzung des Strafrestes, § 88 JGG Auch das Jugendstrafrecht kennt mit § 88 JGG die Aussetzung des Strafrestes, wie sie im allgemeinen Strafrecht in § 57 StGB vorgesehen ist, wobei nach § 88 JGG bei Jugendstrafen über einem Jahr lediglich ein Drittel der verhängten Jugendstrafe verbüßt werden muss.31 3.3. Die Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe, §§ 27-30 JGG Das dem allgemeinen Strafrecht fremde Instrument der Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe nach den §§ 27–30 JGG sieht vor, dass das Gericht den jugendlichen Angeklagten lediglich schuldig sprechen kann und die Entscheidung über die Verhängung einer Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen für eine Bewährungszeit zurückstellt. § 27 JGG setzt voraus, dass eine Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen in Betracht kommt, das Vorliegen ihrer Voraussetzungen aber nicht mit Sicherheit festgestellt werden kann. Es bleibt also offen, ob eine Jugendstrafe überhaupt verordnet wird. Auch hier wird eine Bewährungszeit festgelegt, um zu klären, ob die Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen anzuordnen war oder nicht. Ist dies zu bejahen, so wird die Jugendstrafe nachträglich verhängt, § 30 Abs. 1 JG, anderenfalls wird der Schuldspruch getilgt, § 30 Abs. 2 JGG. Das Verfahren wird in der Praxis wenig angenommen32. Möglichweise erfordert es zu aufwendige Ermittlungen durch das Gericht.33 29 Eisenberg, JGG, § 21 Rn. 9 mit Hinweis jeweils auf: Statistisches Bundesamt Wiesbaden (Hrsg.): Rechtspflege, Fachserie 10, Reihe 3, Strafverfolgung Tab 4.1. 30 Eisenberg, JGG, § 21 Rn. 9a. 31 Böttcher/Schütrumpf, in: Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung (MAH Strafverteidigung), 2. Auflage München 2014, § 53 Jugendstrafverfahren, Rn. 81. 32 Böttcher/Schütrumpf, in: MAH Strafverteidigung, § 53 Jugendstrafverfahren, Rn. 91. Eisenberg hat die Zahlen im Einzelnen aufgelistet, JGG, § 27 Rn. 16. 33 Eisenberg, JGG, § 27 Rn. 14, 15. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 152/17 Seite 13 3.4. Die Vorbewährung, §§ 57, 61-61b JGG Von der Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung und der Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe ist die sogenannte Vorbewährung34 zu unterscheiden. Dieses Rechtsinstitut war zunächst von der Praxis entwickelt worden, wurde jedoch in den §§ 57, 61-61b JGG gesetzlich verankert . Von einer Vorbewährung spricht man, wenn das Gericht die Entscheidung über die Aussetzung der Jugendstrafe einem nachträglichen Beschluss vorbehält. Zu einer solchen Entscheidung wird das Gericht dann kommen, wenn eine positive Prognose bei der Entscheidung über die Aussetzung noch nicht getroffen werden kann, aber denkbar ist, dass in Zukunft der jugendliche Straftäter die entsprechenden Voraussetzungen erfüllen wird, § 61 Abs. 1 und 2 JGG. Gemäß § 61a Abs. 1 Satz 1 JGG muss die vorbehaltene Entscheidung grundsätzlich innerhalb von 6 Monaten getroffen werden. Ebenso wie in der „normalen Bewährungszeit“ kann die Vorbewährungszeit mit Auflagen und Weisungen verbunden sowie der jugendliche Straftäter einem Bewährungshelfer unterstellt werden, § 61b Abs. 1 JGG. Für die Zeit der Vorbewährung kann gemäß § 61 Abs. 3 Satz 1 JGG auch ein Warnschussarrest, § 16a JGG, ausgesprochen werden. Der Jugendliche ist jeweils umfänglich über die Vorbewährung zu belehren, § 61 Abs. 3 Satz 3 JGG. Ist die Vorbewährungszeit abgelaufen, so ist in dem dann anstehenden Beschluss festzustellen, ob nunmehr die Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann oder ob sie zu vollstrecken ist. 4. Schlussfolgerungen aus den gesetzlichen Regelungen Die Darstellung der gesetzlichen Regelungen zur Strafaussetzung zur Bewährung mag verdeutlicht haben, dass Kern- und Angelpunkt der Entscheidung über die Aussetzung jeweils die Sozialprognose für den Täter ist. Alle Regelungen wollen dem Täter die Vollzugsfolgen der Haft ersparen . Dieses Ziel ist letztlich Ausfluss der verfassungsrechtlichen Vorgaben, wonach die Einschränkung eines Grundrechts, hier das Recht auf Freiheit der Person, Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, stets dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen muss. Hinzu kommt, dass das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. Art. 1 Abs. 1 GG ein Recht des Verurteilten auf Resozialisierung35 anerkennt. Bisher wird davon ausgegangen, dass diese Resozialisierung besser außerhalb der Haft gelingt.36 Vor diesem Hintergrund ist es denn auch nicht verwunderlich, wenn die Praxis versucht, möglichst zu einer Aussetzungsentscheidung zu kommen und zwar auch dann, wenn, wie z.B. bei § 56 Abs. 2 JGG, im Gesetzestext die Aussetzung eher als Ausnahme denn als Regel formuliert ist. Der Resozialisierungsgedanke spielt im Jugendstrafrecht eine noch größere Rolle. Dort hat der Gesetzgeber sogar zwei weitere Institute geschaffen, die Vorbewährung und die Aussetzung der Ver- 34 Zur Vorbewährung siehe Böttcher/Schütrumpf, in: MAH Strafverteidigung, § 53 Jugendstrafverfahren, Rn. 87 f. 35 BVerfG 1. Senat, Urteil vom 5. Juni 1973, AZ: 1 BvR 536/72, Lebach-Urteil, juris Rn. 72 = BVerfGE 35, 202 ff.; BVerfG 2. Senat, Beschluss vom 28. Juni 1983, AZ: 2 BvR 539/80, 2 BvR 612/80, juris, 2. Orientierungssatz und Rn. 52, 54 = BVerfGE 64, 261 ff. 36 Groß, in: MüKoStGB, Vorbemerkungen zu § 56 ff. Rn. 1-8 und § 56 Rn. 3-5; Stree/Kinzig, in: Schönke-Schröder, § 56 Rn. 1 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 152/17 Seite 14 hängung der Jugendstrafe, um den Jugendlichen vor der Vollstreckung der Jugendstrafe zu bewahren . Zuvor sollen alle Erziehungsmittel erschöpft werden, bevor eine Jugendstrafe verhängt wird. Wird sie verhängt, so wird alles daran gesetzt, deren Vollstreckung möglichst zu vermeiden . Vor diesem Befund stellt sich die Frage, warum dann der Gesetzgeber Wege beschreiten sollte, die Aussetzung der Bewährung einzuschränken. Da dies jedoch ausdrücklich nur für Intensivtäter erfolgen soll, taucht auf der anderen Seite das Problem auf, wie Intensivtäter überhaupt in den Genuss einer Strafaussetzung zur Bewährung kommen können. Denn der Begriff Intensivtäter legt semantisch die Vorstellung nahe, es handele sich um einen Täter, der schwerwiegend und häufiger gegen das Strafgesetzbuch verstoßen habe mit der Folge, dass von einer positiven Sozialprognose nicht ausgegangen werden kann. Insoweit scheint der Intensivtäter sich zunächst nicht ohne weiteres in das Institut der Strafaussetzung zur Bewährung einzufügen. Ob dies so ist, hängt im Wesentlichen davon ab, was man unter dem Begriff des Intensivtäters versteht. 5. Der Begriff des Intensivtäters Der Begriff des Intensivtäters ist legal nicht definiert. Im Erwachsenenstrafrecht wird dieser Begriff im Zusammenhang mit der Sicherungsverwahrung genannt, allerdings nicht in den gesetzlichen Regelungen, sondern in den jeweiligen Kommentierungen der Normen. Die Regelung des § 66 StGB spricht von einem Hang des Täters, wodurch der Begriff „Hangtäter“ entstanden ist. Für diesen wird aber häufig von Serien- oder auch von „Intensivtätern“ gesprochen.37 Darunter versteht man „solche Mehrfachtäter, die aufgrund von Art, Schwere und Häufigkeit des Rückfalls eine besonders hohe Sozialgefährlichkeit aufweisen “.38 Diese Umschreibung des Intensivtäters und deren Verortung in § 66 StGB, wo es um die Sicherungsverwahrung geht, sprechen dagegen, dass es sich bei solchen Intensivtätern um Verurteilte handelt, denen eine günstige Sozialprognose bescheinigt werden könnte. Denn bei den Intensivtätern in § 66 StGB sieht die Sozialprognose der Gestalt aus, dass eine Sicherungsverwahrung , also gerade keine Haftverschonung, für angemessen erachtet wird. Allerdings ist der Begriff „Intensivtäter“ mehrdeutig. Auffällig ist, dass der Begriff weniger bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften eine Rolle als vielmehr bei der Polizei. Aber weder die Polizeien der Länder noch des Bundes haben bisher zu einer einheitlichen Definition gefunden. Vielmehr sind teilweise gravierende Unterschiede feststellbar, was unter einem Intensivtäter zu verstehen ist. 37 Dessecker, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, 5. Auflage, München 2017, § 66 Rn. 14. 38 Dessecker, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, § 66 Rn. 14, 53 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 152/17 Seite 15 5.1. Landesrahmenkonzept in Niedersachsen So gibt es beispielsweise in Niedersachsen ein Landesrahmenkonzept zur Bekämpfung von erwachsenen Intensivtäterinnen und Intensivtätern.39 Dort heißt es, kriminologische Erkenntnisse und Einzelfalluntersuchungen belegten, dass ein relativ großer Teil von Straftaten (insbesondere aus dem Bereich der Massenkriminalität) von einem relativ kleinen Täterkreis (sog. Intensivtäterinnen und Intensivtäter) begangen würden. Der betroffene Personenkreis wird wie folgt in der Richtlinie, in der das Landesrahmenkonzept festgelegt ist, umschrieben: „Das Landesrahmenkonzept bezieht sich grundsätzlich auf Personen ab dem vollendeten 21. Lebensjahr, — die bereits eine Reihe voneinander unabhängiger nicht unerheblicher Straftaten begangen haben oder — die eine besondere kriminelle Energie und/oder eine erhöhte Gewaltbereitschaft gezeigt haben, bei denen eine starke negative Wiederholungsprognose indiziert ist, und die in der Regel bereits einmal zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden sind oder — die mit Erreichen des 21. Lebensjahres bereits als junge Schwellen- und Intensivtäterinnen und Schwellen- und Intensivtäter (juSIT) erfasst sind und bei denen das Erfordernis der Berücksichtigung als erwachsene Intensivtäterinnen oder Intensivtäter weiter fortbesteht.“40 Mit dieser Eingruppierung will Niedersachsen insbesondere eine Straffung und Koordinierung bei der Bekämpfung dieser Tätergruppe erreichen, wobei auch die Zusammenarbeit mit der Justiz gestärkt werden soll. In dem Rahmenkonzept heißt es dazu: „Wesentliches Ziel des Landesrahmenkonzepts ist die Intensivierung — der überörtlichen Koordinierung der Intensivtäterbekämpfung sowohl innerhalb der Polizei als auch bei der Zusammenarbeit mit der Justiz, — der Schwerpunktsetzung und Konzentration der Ressourcen von Polizei und Justiz bei Präferenz von dezentralen, einzelfallbezogenen und täterorientierten Ermittlungen, — der konsequenten Verfolgung von Intensivtäterinnen und Intensivtätern durch einvernehmliche Einstufung der infrage kommenden Klientel durch frühzeitige Abstimmung von Polizei und Justiz, — der Bündelung täterbezogener Informationen und der Koordination gezielter Maßnahmen gegen den relevanten Personenkreis, — der deliktsübergreifenden und täterorientierten Ermittlungen mit ganzheitlichem Bekämpfungsansatz und 39 Landesrahmenkonzept zur Bekämpfung von erwachsenen Intensivtäterinnen und Intensivtätern, Gem. RdErl. d. MI u. d. MJ v. 29. 12. 2014 — 23.11-12334/30-2 — , in: Nds. MBl. 2015, 38, Nds. Rpfl. 2015, 91, abrufbar unter: http://www.nds-voris.de/jportal/?quelle=jlink&psml=bsvorisprod.psml&feed=bsvoris-vv&docid=VVND- VVND000035071 [letzter Abruf: 19. Dezember 2017]. 40 Landesrahmenkonzept Niedersachsen, siehe Gliederungspunkt 2.2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 152/17 Seite 16 — der frühzeitigen Prüfung der Beantragung von Haftbefehlen, soweit die gesetzlichen Voraussetzungen (§§ 112 ff. StPO) vorliegen.“41 An diesem Rahmenkonzept wird zweierlei deutlich: Zum einen zeigt der Täterkreis, dass es sich in der Regel um Straftäter mit großer krimineller Energie und Gewaltbereitschaft handelt, die bereits im Jugendalter straffällig werden und auch grundsätzlich bereits zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden sind. Zum anderen zeigt die Zielsetzung, dass es darum geht, diesen Täterkreis konsequent einer effektiven Strafverfolgung zuzuführen. Denn mit einer solchen konsequenten Verfolgung der Intensivtäter könnte es gelingen, einem großen Anteil der Kriminalität insgesamt zu bekämpfen, weil durch verschiedene Untersuchungen bekannt ist, dass der Kreis der Intensivtäter klein, deren kriminelle Aktivitäten jedoch groß sind.42 Auch in anderen Bundesländern gibt es Rahmenprogramme zur Bekämpfung von Intensivtätern. Diese werden von Schwind in seiner Masterarbeit „Intensivtäter und Intensivtäterprogramme der Polizei – bezogen auf Gewalttätigkeiten junger männlicher Rechtsbrecher – Eine kriminalistisch / kriminologische Studie“ vorgestellt.43 Schwind kommt zu dem Ergebnis, dass die Zielsetzungen der Landesprogramme zwar ähnlich seien, die Einzelheiten und Voraussetzungen aber erheblich voneinander abwichen. Er beklagt insbesondere, dass es noch nicht einmal eine bundeseinheitliche Definition des Gewaltintensivtäters gebe, so dass auch die Statistiken, die in den einzelnen Bundesländern geführt werden, nicht miteinander zu vergleichen seien.44 5.2. Die Regelung zur polizeilichen Beobachtung in Berlin Eine gesetzliche Regelung, in der Intensivtäter ausdrücklich als solche benannt werden, findet sich – soweit ersichtlich – nur in § 27 Abs. 2 Nr. 1 des Allgemeinen Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin (ASOG Bln)45. Danach ist die Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung zulässig, wenn die betroffene Person auf Grund einer Gesamtwürdigung und ihrer bisherigen Straftaten als gefährlicher Intensivtäter anzusehen und zu erwarten ist, dass sie auch künftig Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird. 41 Landesrahmenkonzept Niedersachsen, Gliederungspunkt 2.1. 42 Landesrahmenkonzept Niedersachsen, Gliederungspunkt 1. 43 Schwind, Intensivtäter und Intensivtäterprogramme der Polizei – bezogen auf Gewalttätigkeiten junger männlicher Rechtsbrecher, Eine kriminalistisch / kriminologische Studie, Ruhr-Universität Bochum 2012; die verschiedenen Intensivtäterprogramme sind dargestellt auf den Seiten 26 bis 61. Die Masterarbeit ist abrufbar unter: http://weihmann.info/images/Schwind%20Masterarbeit.pdf [letzter Abruf: 10. Januar 2018]. 44 Schwind, S. 87 f. 45 Allgemeines Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin (Allgemeines Sicherheitsund Ordnungsgesetz - ASOG Bln) in der Fassung vom 11. Oktober 2006, GVBl. 2006, 930, letzte berücksichtigte Änderung: Anlage Nr. 6 geändert durch § 3 des Gesetzes vom 06.12.2017 (GVBl. S. 650), abrufbar unter: http://gesetze.berlin.de/jportal/portal/t/jo0/page/bsbeprod.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase =1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=jlr- ASOGBE2006V22P27#focuspoint [letzter Abruf: 20. Dezember 2017]. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 152/17 Seite 17 Auch hier wird auf die bisherigen Straftaten und auf eine Gesamtwürdigung abgestellt, wobei im Vergleich zur niedersächsischen Regelung weniger konkrete Angaben erforderlich sind, um jemanden als Intensivtäter einzuschätzen. Aber wie in Niedersachsen betrifft es auch Personen, die mehrfach schwere Straftaten begehen und die deshalb als gefährlich eingestuft werden. In Niedersachsen ging es darum, die Intensivtäter einer konsequenten Strafverfolgung zuzuführen . Bei der Regelung in Berlin, wonach bei Intensivtätern eine polizeiliche Beobachtung ermöglicht wird, geht es um ein besonderes Personenfahndungsinstrument für konkrete einzelne Personen . Wird für eine Person die polizeiliche Beobachtung angeordnet, dann erfolgt ein entsprechender Eintrag in das bundesweit vernetzte elektronische Informationssystem der Polizei (IN- POL). Ziel der polizeilichen Beobachtung ist es, möglichst ein Bewegungsprofil von dem Täter zu erstellen und zu ermitteln, mit welchen Personen er möglicherweise in krimineller Weise zusammenarbeitet . Eine dem § 27 Abs. 2 Nr. 1 ASOG Bln entsprechende Regelung findet sich auch in den Polizeigesetzen anderer Bundesländer. Dort werden ähnliche Voraussetzungen genannt, allerdings ohne die betroffenen Täter als Intensivtäter einzuordnen.46 Die polizeiliche Beobachtung in den Polizeigesetzen hat eine präventive Funktion; sie soll der Polizei dazu verhelfen, bestimmte Personen , von denen erhebliche Straftaten zu erwarten sind, zu erforschen, um auf diese Weise weitere Straftaten zu verhindern. In § 163e StPO ist dagegen die Möglichkeit vorgesehen, dass die polizeiliche Beobachtung repressiv eingesetzt werden kann, um einen Beschuldigten aufzuspüren oder ihn der von ihm begangenen Straftaten zu überführen. 46 Vgl. beispielsweise: 36 des Gesetzes über die Aufgaben und Befugnisse der Bayerischen Staatlichen Polizei (Polizeiaufgabengesetz – PAG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. September 1990, GVBl. S. 397, BayRS 2012-1-1-I, zuletzt geändert durch § 1 des Gesetzes vom 24. Juli 2017,GVBl. S. 388. § 17 des Hessische Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Januar 2005, GVBl. I S. 14, zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 4. Mai 2017, GVBl. S. 66. § 32 des Polizei- und Ordnungsbehördengesetz (POG) von Rheinland-Pfalz in der Fassung vom 10. November 1993, letzte berücksichtigte Änderung: mehrfach geändert Artikel 1 des Gesetzes vom 22. September 2017, GVBl. S. 237. § 36 des Gesetzes über die Aufgaben und Befugnisse der Polizei im Land Brandenburg, Brandenburgisches Polizeigesetz – (BbgPolG) vom 19. März 1996, zuletzt geändert durch Gesetz vom 19. Dezember 2000, GVBl. I, S. 179. § 38 des Polizeigesetzes des Freistaates Sachsen in der Fassung vom 13. August 1999, SächsGVBl. S. 466, zuletzt geändert am 17. Dezember 2013, SächsGVBl. S. 890. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 152/17 Seite 18 5.3. Landesforschungsprojekt des Landeskriminalamts Hessen „Mehrfach- und Intensivtäter in Hessen“ In Hessen hat man schon sehr früh damit begonnen, sogenannte kriminelle Karrieren zu untersuchen und Erkenntnisse zu sammeln, um den Einsatz repressiver Mittel zu beschleunigen und präventive Handlungsmöglichkeiten zu erkennen47. Diese Bestrebungen führten 2002 zu „Gemeinsamen Richtlinien zur Strafverfolgung von Mehrfach- und Intensivtäterinnen und Mehrfachund Intensivtätern insbesondere im Bereich der Massen-Straßenkriminalität“ (im Folgenden: Gemeinsame Richtlinien)48. Die Gemeinsame Richtlinien umschreiben Mehr- und Intensivtäter (sog. MIT) in § 2 Abs. 2 bis 4 wie folgt: „(2) Im Sinne der Richtlinien sind daher MIT Personen, die 1.in der Regel wiederholt deliktsübergreifend in der Eigentums-/Vermögenskriminalität , bei Körperverletzungsdelikten oder Raubstraftaten in Erscheinung getreten sind (kriminelles Vorleben) und 2. bei denen unter Berücksichtigung ihres kriminellen Vorlebens und der offensichtlichen Wirkungslosigkeit bisheriger Straf- und Resozialisierungsmaßnahmen bzw. Erziehungsmaßnahmen damit gerechnet werden muss, dass sie erneut Straftaten begehen (Negativprognose). (3) Zur Bewertung des jeweiligen Einzelfalles sind grundsätzlich folgende Indikatoren heranzuziehen: 1. Personen mit mehr als zehn Straftaten innerhalb der letzten zwei Jahre registriert , 2. aufgewendete kriminelle Energie, zum Beispiel im Hinblick auf besondere Gewaltanwendung, Rücksichtslosigkeit, Opferauswahl und Schadenshöhe, 3. rasche zeitliche Abfolge der Straftaten, 4. Straftaten während oder nach Bewährung, Haftverschonung, Urlaub, Freigang , während des offenen Vollzuges pp., 5. Mangel an Einsichtsfähigkeit und Resozialisierungsbereitschaft. 47 Hessisches Landeskriminalamt (Hrsg.), Koch-Arzberger, Bott, Kerner, Reich, Mehrfach- und Intensivtäter in Hessen – Basisbericht -, Band 1, Wiesbaden, 1. Auflage 2008. (im Folgenden: Basisbericht), S. 19. Der Basisbericht ist abrufbar unter: https://www.polizei.hessen.de/icc/internetzentral/nav/2a6/binarywriterservlet ?imgUid=2c7639b5-ac5b-8214-13bd-512109241c24&uBasVariant=11111111-1111-1111-1111-111111111111 [letzter Abruf: 25. Januar 2018]. 48 Veröffentlicht im Staatsanzeiger für das Land Hessen Nr. 34, 26. August 2002, S. 3176 f. Aktuelle Fassung: „Gemeinsame Richtlinien zur täterorientierten Prävention und Intervention für minderjährige und heranwachsende Besonders Auffällige Straftäterinnen und Straftäter unter 21 Jahren (BASU21) sowie zur Strafverfolgung von Mehrfach-/Intensivtäterinnen und Mehrfach-/Intensivtätern“, Runderlass des Ministeriums der Justiz vom 21. Oktober 2015 – 4110 – III/A – 2 – 2013/805, JMBl. 2016, S. 2, ber. S. 52. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 152/17 Seite 19 (4) In Betracht kommen auch Personen, von denen aufgrund ihrer aktuellen Entwicklung und der belegbaren erheblichen kriminellen Energie – unabhängig von der Erfüllung o.a. Indikatoren – erwartet werden kann, dass sie zeitnah weitere Straftaten begehen werden.“ Für jugendliche und heranwachsende MIT ist in § 2 Abs. 5 eine gesonderte Bearbeitung vorgesehen : „(5) Eine besondere Aufmerksamkeit verdienen jugendliche und heranwachsende MIT. Jugendstrafsachen müssen gesondert behandelt werden. In diesen Fällen sind die Bestimmungen des JGG und der PDV 382 (Bearbeitung von Jugendsachen) zu berücksichtigen. Bei jugendlichen und heranwachsenden Delinquenten ist frühzeitiges Handeln geboten. Für eine Einstufung in das MIT-Strafverfolgungskonzept sind insbesondere die aktuelle Entwicklung , die belegbare erhebliche kriminelle Energie und die Erwartung zeitnaher weiterer Straftaten von Bedeutung.“ Außerdem regelt § 2 Abs. 6, dass die MIT in einem gemeinsamen Konzept erfasst sind, aus dem sie nur unter besonderen Voraussetzungen wieder entlassen werden: „(6) Eine Entlassung aus dem gemeinsamen Konzept kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die Person in einem Zeitraum von zwei Jahren nicht mehr straffällig oder sonst auffällig geworden ist oder durch Wegzug, Ausreise oder Abschiebung die Voraussetzungen entfallen.“ Da die MIT nach den Erkenntnissen in Hessen zu einem immer größer werdenden Problem wurden , es andererseits aber an Erkenntnissen über die MIT fehlte, entschloss man sich in Hessen, zu der Studie „Mehrfach- und Intensivtäter in Hessen“49, um herauszufinden, welche Möglichkeiten der Vorbeugung es gibt, um den kriminellen Karrieren von MIT möglichst rasch ein Ende zu setzen. Denn nach der allgemeinen Erkenntnis, dass der Abbruch einer kriminellen Karriere mit zunehmender Dauer deutlich unwahrscheinlicher werde, sei diese Aufgabe von herausragender Bedeutung.50 49 Hessisches Landeskriminalamt (Hrsg.), Koch-Arzberger, Bott, Kerner, Reich, Mehrfach- und Intensivtäter in Hessen – Basisbericht -, Band 1, Wiesbaden, 1. Auflage 2008. (im Folgenden: Basisbericht), abrufbar unter: https://www.polizei.hessen.de/icc/internetzentral/nav/2a6/binarywriterservlet?imgUid=2c7639b5-ac5b-8214- 13bd-512109241c24&uBasVariant=11111111-1111-1111-1111-111111111111 [letzter Abruf: 25. Januar 2018]. Hessisches Landeskriminalamt (Hrsg.), Koch-Arzberger, Bott, Kerner, Reich, Vester, Mehrfach- und Intensivtäter in Hessen – Abschlussbericht -, Band 2, Wiesbaden, 1. Auflage 2010, abrufbar unter: https://www.polizei.hessen .de/icc/internetzentral/nav/2a6/binarywriterservlet?imgUid=bb7639b5-ac5b-8214-13bd- 512109241c24&uBasVariant=11111111-1111-1111-1111-111111111111 [letzter Abruf: 25. Januar 2018]. Hessisches Landeskriminalamt (Hrsg.), Koch-Arzberger, Bott, Kerner, Reich, Vester, Mehrfach- und Intensivtäter in Hessen, Kurzdarstellung des Abschlussberichts anlässlich der Führungskräftetagung am 02.04.2009 in Wiesbaden , Wiesbaden (im Folgenden: Abschlussbericht – Kurzfassung), abrufbar unter: https://www.polizei.hessen .de/icc/internetzentral/nav/2a6/binarywriterservlet?imgUid=4b7639b5-ac5b-8214-13bd- 512109241c24&uBasVariant=11111111-1111-1111-1111-111111111111 [letzter Abruf: 25. Januar 2018]. 50 Basisbericht, S. 17 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 152/17 Seite 20 Die Studie führte zu folgenden Erkenntnissen:51 Zu den Tätern und MIT-Typenbildung: Auch in Hessen sind Intensivtäter in der Regel Männer (92,8 %).52 Etwa die Hälfte der MIT haben einen Migrationshintergrund, wobei 70 % davon in Deutschland aufgewachsen sind.53 Die MIT bilden eine heterogene Personengruppe: problematische Kindheit, schlechtes Bildungs - und Ausbildungsniveau, belastende partnerschaftliche Beziehungen, teilweise Drogenabhängigkeit .54 Bei den MIT sind vier Typen zu unterscheiden:55 o Die Spezialisierten begehen überwiegend Eigentums-, Vermögens- und Fälschungsdelikte und sind älter als der Durchschnitt der MIT. o Die Gewalttätigen haben häufig einen Migrationshintergrund. Sie sind bei ihrer ersten Tat jünger als der Durchschnitt der MIT, begehen zahlenmäßig weniger Delikte, diese aber in der Regel aus Gruppen heraus. o Die Extensiven beginnen ihre kriminelle Karriere ebenfalls früh. Bei ihnen ist die größte Deliktsbandbreite festzustellen. Diese MIT sind stark durch familiäre Belastungen geprägt und es finden sich unter ihnen überdurchschnittlich viele Frauen und Drogenabhängige. o Die Volatilen (Veränderlichen) haben ebenfalls ein breites Deliktsspektrum, begehen im Durchschnitt weniger Delikte. Für 1328 MIT wurden 93.460 Delikte verzeichnet, mit jeweils großer Bandbreite. Im Durchschnitt kamen auf jeden MIT 70 Straftaten.56 Zur Tatbegehung:57 Etwa ein Drittel der Straftaten wird gemeinschaftlich begangen. Bei fast jeder zehnten Tat gibt es einen körperlich Verletzten. Außerdem wurden häufig Waffen oder ähnliche Gegenstände benutzt und sei es nur zum Zweck der Drohung. MIT begehen ihre Straftaten häufig im öffentlichen Raum (Straßen, Plätze). Feststellbar waren zwei unterschiedliche Handlungsweisen: Bei Beschaffungs- und Gewaltkriminalität werden die Taten oft spontan verübt; beim geplanten Handeln werden in der Regel Eigentumsdelikte in einem größeren Umkreis begangen. 51 Die Ergebnisse der Studie werden in der vorliegenden Ausarbeitung auch in ihrem Wortlaut überwiegend unverändert wiedergegeben, um sie nicht zu verfälschen. 52 Abschlussbericht – Kurzfassung, S. 2. 53 Abschlussbericht – Kurzfassung, S. 2. 54 Abschlussbericht – Kurzfassung, S. 3. 55 Abschlussbericht – Kurzfassung, S. 7. 56 Abschlussbericht – Kurzfassung, S. 3. 57 Abschlussbericht – Kurzfassung, S. 4. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 152/17 Seite 21 Zur Tatmotivation:58 Finanzielle Gründe sind ausschlaggebend für die Straftaten, wenn die MIT einen aufwändigen Lebensstil oder Drogenkonsum finanzieren wollen. Teilweise führen kulturell geprägte Wert- und Normvorstellungen bei ethnisch geprägten MIT zu den Straftaten. Das soziale Umfeld kann sowohl Straftaten auslösen und zur Verfestigung einer kriminellen Karriere beitragen. Teilweise sollen mit den Straftaten andere Probleme (psychische Belastungen, kritische Lebensereignisse ) gelöst werden. Zum Dunkelfeld:59 Von den MIT wird ein großes Dunkelfeld angenommen. Die hessische Studie kam zu dem Ergebnis , dass nur 5 bis 10% ins Hellfeld gelangen. Zu den Karriereverläufen:60 Kriminelle Karriere beginnt bereits im Kindes- und Jugendalter mit leichteren Delikten. Bis zum Ende der Jugendphase sind bereits 74,8 % der MIT polizeilich registriert. Etwa 3 Monate nach der Ersttat wird bereits die nächste Tatbegangen, so dass etwa die Hälfte der MIT nach bereits einem Jahr fünf Straftaten begangen hat. Die Deliktstruktur verändert sich im Laufe der Zeit deutlich: Der Anteil der schwereren Delikte steigt. Allerdings nehmen die Rohheitsdelikte ab. Vermögens- und Fälschungsdelikte steigen. Nach der Studie könnte daraus auf eine zunehmende Professionalisierung bei den Delikten geschlossen werden. Zu den Sanktionen:61 Die Sanktionen sind ungleichmäßig verteilt: 56,8 % der MIT haben „nur“ 10 Sanktionen erhalten , während es bei 17,3 %der Mit 30 Sanktionen sind. Bei 40 % der MIT lässt sich eine laufend ansteigende Schwere der Sanktion feststellen. So haben etwa 70 % der MIT als schwerste Strafe eine unbedingte Jugend- oder Freiheitsstrafe. 24 % der MIT haben immerhin eine zur Bewährung ausgesetzte Jugend- oder Freiheitsstrafe erhalten. Die Studie konnte insgesamt keine Sanktionseskalation feststellen. Vielmehr zeigte sich, nachdem die Täter als MIT eingeordnet wurden, eher ein leichter Rückgang der Sanktionsschwere . Die Studie schlussfolgert daraus, dass die MIT zumindest teilweise ihre kriminelle Karriere unterbrechen (z.B. auch durch Haftzeiten) oder sogar beenden. 58 Abschlussbericht – Kurzfassung, S. 4 f. 59 Abschlussbericht – Kurzfassung, S. 5. 60 Abschlussbericht – Kurzfassung, S. 5. 61 Abschlussbericht – Kurzfassung, S. 6. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 152/17 Seite 22 Zum Kontakt mit den Behörden:62 Zunächst wirkt der Kontakt auf die jugendlichen MIT noch einschüchternd; später werden die jugendlichen MIT gegenüber Polizei und Behörden gleichgültig bis feindlich. Allerdings verändert sich die Sichtweise der zunehmend erwachsen werdenden MIT, je länger und häufiger der Kontakt besteht. Die ablehnende Haltung wird langsam aufgegeben und die Rolle der Polizei wird differenzierter gesehen, was zur Akzeptanz der eigenen Strafverfolgung beiträgt. Ablehnende Haltungen bleiben bei MIT aufgrund von negativen Erfahrungen bestehen. Dies gilt aber nicht gegen die Behörden, sondern gegen Einzelpersonen. Gesamtschau:63 Die Studie hebt die große Bedeutung der Kriminalprävention hervor. Es gelte der Grundsatz: „Je früher ein Mensch, der am Beginn einer kriminellen Karriere steht, den Behörden auffällt, desto höher sind die Chancen, ihn durch vernetztes Handeln aller beteiligten staatlichen Institutionen sowie der Sozialisationsagenten bei einem Abbruch dieser Karriere zu unterstützen. Besonders bei den Jugendlichen und Heranwachsenden besteht die Hoffnung, noch frühzeitig reagieren zu können, bevor sich die kriminelle Karriere verfestigt. Konzepte wie BASU21 („Besonders auffällige Straftäter unter 21 Jahren) sind in diesem Zusammenhang richtungsweisend.“ 5.4. Bisherige Erkenntnisse zur Beschreibung von Intensivtätern Die bisherigen Ausführungen haben ergeben, dass es zwar keine einheitliche Definition von Intensivtätern gibt.64 Gemeinsam ist allen Umschreibungen aber, dass die Täter wiederholt Straftaten begehen und dass es sich dabei teilweise auch um schwerwiegende Straftaten handelt. In der Regel sind die Täter männlich und jung. Darüber hinaus sind von ihnen weitere Straftaten zu erwarten . Deutlich wird auch immer wieder, dass es sich bei den Intensivtätern um eine kleine Tätergruppe handelt, die einen großen Anteil der Kriminalität begeht.65. Dabei sei zu beobachten, dass 62 Abschlussbericht – Kurzfassung, S. 6. 63 Abschlussbericht – Kurzfassung, S. 8. 64 Dazu vgl. auch Walsh, Der Umgang mit jungen „Intensivtätern“, Ein Review zu kriminalpräventiven Projekten in Deutschland unter Wirksamkeitsgesichtspunkte, Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe (ZJJ) 2017, 28. 65 Holthusen, Kinder und Jugendliche als sogenannte Intensivtäter, Familie, Partnerschaft, Recht (FÜR) 2013, 417. So auch der Abschlussbericht – Kurzfassung der hessischen Studie „Mehrfach- und Intensivtäter in Hessen“, S. 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 152/17 Seite 23 der größte Teil in jugendlichem Alter bereits auffällig geworden sei. Zu beobachten seien außerdem : defizitäre familiäre Bindung, fehlende Ausbildung und berufliche Integration sowie Alkoholkonsum - und Drogenkonsum.66 Die Reaktionen auf dieses Täterprofil erfolgen vor allem aus polizeilicher Sicht. Mit Programmen und besonderen Ermittlungsmethoden wird versucht, die Strafverfolgung effektiv zu gestalten und präventiv tätig zu werden. 6. Bisheriger Befund Die bisherigen Ausführungen geben folgenden Befund ab: Auf der einen Seite wird – insbesondere im Bereich der Jugendkriminalität – versucht, eine Freiheitsstrafe möglichst zur Bewährung auszusetzen, um dem Täter, vor allem dem jugendlichen Straftäter, die negativen Folgen der Haft zu ersparen. Im Jugendbereich hat der Gesetzgeber auch neue Instrumente eingeführt, um dieses Ziel zu erreichen: die Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe zur Bewährung, §§ 27-30 JGG sowie die Vorbewährung, §§ 57, 61-61b JGG. Diese Institute beruhen auf dem Erziehungsgedanken , der das gesamte Jugendstrafrecht begleitet. Auf der anderen Seite gibt es die Erkenntnisse zu den – in der Regel jungen – Intensivtätern, von denen jeweils – jedenfalls aus polizeilicher Sicht – neue Straftaten zu erwarten sind. Sind aber weitere Straftaten zu erwarten, so ist eigentlich kein Raum für eine günstige Sozialprognose, wie sie Voraussetzung für die Strafaussetzung zur Bewährung ist. Oben waren die verschiedenen Arten der Strafaussetzung zur Bewährung vorgestellt worden. Die bisherigen Ausführungen, insbesondere der Umstand, dass von Seiten der Polizei und der Staatsanwaltschaften versucht wird, Intensivtäter konsequent einer Bestrafung zuzuführen, machen deutlich, dass es um die eigentliche Strafaussetzung zur Bewährung und weniger um die Reststrafenaussetzung geht. Man fürchtet, dass die Täter durch „Kettenbewährungen“67 erst viel zu spät in ihrer kriminellen Karriere gestoppt werden, weil sie die Bewährungsstrafe nicht als Strafe akzeptieren, sondern meinen, sie seien „ungeschoren“ davongekommen. Festzuhalten ist, dass es keine – zumindest keine verlässlichen - Zahlen darüber gibt, wie oft bei Intensivtätern eine Strafe zur Bewährung ausgesetzt wird oder nicht. Dies ist bereits eine Konsequenz daraus, dass es an einer allgemein gültigen Definition fehlt, was unter einem Intensivtäter zu verstehen ist. Hinzu kommt, dass die Problematik der Intensivtäter überwiegend aus dem polizeilichen Bereich beleuchtet wird. Entsprechende Äußerungen seitens der urteilenden Gerichte liegen – soweit ersichtlich – nicht vor. Es gibt zwar insoweit eine Zusammenarbeit zwischen der Polizei und der Justiz, als über die oben vorgestellten Landesprogramme zu den Intensivtätern versucht wird, die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Staatsanwaltschaften zu verbessern. Damit wird aber nur 66 Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, StGB § 66 Rn. 16. 67 Dazu siehe Schwind, S. 84. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 152/17 Seite 24 der Verfolgung koordiniert, dagegen weniger der Bereich der eigentlichen Bestrafung, der in die Kompetenz der Gerichte fällt. 7. Legalbewährungsstudie des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz Bevor aufgezeigt wird, an welchen Vorschriften regelungstechnisch angesetzt werden könnte, um die Bewährungsstrafen für Intensivtäter einzuschränken, soll noch ein Blick auf die Legalbewährungsstudie des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) geworfen werden . Es handelt sich um eine bundesweite Untersuchung zur Rückfallquote, also zur Legalbewährung , die vom BMJV in Auftrag gegeben68 und in drei Erhebungswellen vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht durchgeführt wurde 69. Die Studie besteht aus drei jeweils dreijährigen Beobachtungszeiträumen; Bezugsjahre waren 2004, 2007 und 2010. Während dieser drei Phasen wurde das Rückfallverhalten untersucht. Diese Beobachtungszeiträume konnten so miteinander verknüpft werden, dass ein neunjähriger Beobachtungszeitraum möglich wurde. Die Studie bezieht sich zwar nicht auf Intensivtäter. Sie ist jedoch auch für die dieser Ausarbeitung zugrundeliegende Frage relevant, inwieweit eine Bewährungsstrafe bei bestimmten Tätergruppen Sinn macht. Dabei sind insbesondere die Ergebnisse im Teil C der Studie unter den 68 Die Ergebnisse der Studie werden in der vorliegenden Ausarbeitung auch in ihrem Wortlaut überwiegend unverändert wiedergegeben, um sie nicht zu verfälschen. Zur genaueren Analyse wird jeweils auf die Diagramme zu den verschiedenen Punkten verwiesen. 69 Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (Hrsg.), Jörg-Martin Jehle, Hans-Jörg Albrecht, Sabine Hohmann-Fricke und Carina Tetal in Kooperation mit dem Bundesamt für Justiz, Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen Eine bundesweite Rückfalluntersuchung 2010 bis 2013 und 2004 bis 2013, Berlin 2016 (im Folgenden: BMJV, Legalbewährungsstudie). Die Studie ist abrufbar unter: http://www.bmjv.de/Shared- Docs/Downloads/DE/StudienUntersuchungenFachbuecher/Legalbewaehrung_nach_strafrechtlichen_Sanktionen _2010_2013.pdf?__blob=publicationFile&v=1 [letzter Abruf: 24. Januar 2018]. Die Teile der Erhebungswellen sind auf der Internetseite des BMJV abrufbar. Es handelt sich um folgende Teilstudien : Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Jörg-Martin Jehle, Hans-Jörg Albrecht, Sabine Hohmann-Fricke und Carina Tetal in Kooperation mit dem Bundesamt für Justiz, Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen Eine bundesweite Rückfalluntersuchung 2007 bis 2010 und 2004 bis 2010, Berlin 2013. Die Studie ist abrufbar unter: http://www.bmjv.de/SharedDocs/Archiv/Downloads/Legalbwaehrung_nach_strafrechtlichen_Sanktionen _2007_2010_u_2004_2010.pdf?__blob=publicationFile&v=3 [letzter Abruf: 24. Januar 2018]. Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Jörg-Martin Jehle, Hans-Jörg Albrecht, Sabine Hohmann-Fricke und Carina Tetal in Kooperation mit dem Bundesamt für Justiz, Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen Eine bundesweite Rückfalluntersuchung 2004 bis 2007, Berlin 2010. Die Studie ist abrufbar unter: http://www.bmjv.de/SharedDocs/Archiv/Downloads/Legalbewaehrung_nach_strafrechtlichen_sanktionen _2004_2007.pdf?__blob=publicationFile&v=3 [letzter Abruf: 24. Januar 2018]. Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), JÖRG-MARTIN JEHLE, WOLFGANG HEINZ UND PETER SUTTERER unter Mitarbeit von Sabine Hohmann, Martin Kirchner und Gerhard Spiess in Kooperation mit dem Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof -Dienststelle Bundeszentralregister-, dem Statistischen Bundesamt und der Kriminologischen Zentralstell, Berlin 2003. Die Studie ist abrufbar unter: http://www.bmjv.de/SharedDocs/Archiv /Downloads/Legalbewaehrung_strafrechtliche_Sanktionen_kommentierte_Rueckfallstatistik .pdf?__blob=publicationFile&v=2 [letzter Abruf: 24. Januar 2018]. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 152/17 Seite 25 Gliederungspunkten 470 und 571 interessant. Im Folgenden werden dabei die Ergebnisse vorgestellt , die sich aus dem neunjährigen Beobachtungszeitraum ergeben. 7.1. Rückfallraten nach Sanktionsart der Bezugsentscheidung Im Gliederungspunkt C 4 geht es um die Rückfallraten nach Sanktionsart der Bezugsentscheidung . Dort heißt es zum Zusammenhang zwischen Dauer der freiheitsentziehenden Sanktionen und den Entlassenen nach dem Vollzug einer Freiheitsstrafe:72 „Kurze Freiheitsstrafen weisen deutlich höhere Rückfallraten auf als lange (vgl. auch Abschnitt C 4.2.1)73. Nach Strafvollzug werden hier mehr als 2/3 aller Personen in den nächsten 9 Jahren erneut strafrechtlich erfasst, während die Rückfallraten nach über zweijährigen Freiheitsstrafen ca. 50 % beträgt . Personen, bei denen eine Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird, weisen niedrigere Rückfallraten auf, als diejenigen, die eine Freiheitsstrafe verbüßt haben. Langfristig ergeben sich bei den bis einschl. zweijährigen Freiheitsstrafen keine und bei den über zweijährigen Freiheitsstrafen nur geringfügige Unterschiede in den allgemeinen Rückfallraten von Personen mit und ohne Strafrestaussetzung ; freilich ist die Wiederkehrrate bei Strafrestaussetzungen deutlich geringer.“ Für straf(rest)ausgesetzte Jugendstrafen hat die Studie folgende Zusammenhänge festgestellt:74 Für Rückfallraten nach Haftentlassungen aus der Vollstreckung einer über zweijährigen Jugendstrafe bei Strafrestaussetzung (81 %) und Vollverbüßung (79 %) ergeben sich anders als bei den Freiheitsstrafen keine Unterschiede. „Die meisten Rückfälle nach Jugendstrafe passieren auch hier in den ersten drei Jahren des Beobachtungszeitraums; zwischen dem 4. und 6. Jahr des Beobachtungszeitraums steigen die Rückfallraten bei Personen mit Jugendstrafe – beinahe unabhängig davon, ob diese Strafe tatsächlich vollstreckt wurde, um 9 bis 13 Prozentpunkte und zwischen dem 5. und 9. Jahr des Beobachtungszeitraums um weitere 2 bis 3 Prozentpunkte an.“ [Die] vierteljährlichen Rückfallraten nach zur Bewährung ausgesetzten und vollstreckten Jugendstrafen bis zu 2 Jahren [liegen] vom ersten Jahr des Beobachtungszeitraums an in 70 BMJV, Legalbewährungsstudie, Gliederungspunkt C 4, S. 196 ff. 71 BMJV, Legalbewährungsstudie, Gliederungspunkt C 5, S. 224 ff. 72 BMJV, Legalbewährungsstudie, Gliederungspunkt C 4, S. 202. 73 Es handelt sich um die Tabelle auf S. 199 der Legalbewährungsstudie. 74 BMJV, Legalbewährungsstudie, Gliederungspunkt C 4, S. 212 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 152/17 Seite 26 etwa gleich auf. Bei über zweijährigen Jugendstrafen (vgl. Abb. C 4.2.3.1.3)75 ergeben sich ebenfalls sehr geringfügige Unterschiede der vierteljährlichen Rückfallraten in Abhängigkeit davon, ob eine Strafrestaussetzung erfolgte oder die Strafe vollverbüßt wurde.“ 7.2. Folgeentscheidungen in Abhängigkeit von den Voreintragungen Im Gliederungspunkt C 5 der Studie geht es um Folgeentscheidungen in Abhängigkeit von den Voreintragungen im Bundeszentralregister. Es erfolgt also – ausgehend von der Bezugsentscheidung - kein Blick in die Zukunft. Vielmehr wird von der Bezugsentscheidung in die Vergangenheit geblickt, nämlich welche Voreintragungen der Bezugsentscheidung vorausgegangen sind. Die Studie hat sich zwar nicht mit dem Phänomen der Intensivtäter beschäftigt. Der Zusammenhang zwischen der zu Entscheidung anstehenden Bezugsentscheidung und den Voreintragungen ist allerdings besonders bei der Intensivtätergruppe interessant, weil diese mehrfach strafrechtlich in Erscheinung treten. Für die Anzahl und Art der Voreintragungen bei Erwachsenen hatte sich Folgendes ergeben:76 Auch für Erwachsene hatte die Studie festgestellt, dass mit zunehmender Anzahl an Voreintragungen die Wahrscheinlichkeit für eine Folgeentscheidung zunimmt, wenn auch auf geringerem Niveau als bei den Jugendlichen und Heranwachsenden. Bei Erwachsenen ohne Voreintragung ergab sich innerhalb des neunjährigen Beobachtungszeitraums eine Legalbewährung von 73 %, dagegen bei Erwachsenen mit fünf oder mehr Voreintragungen lediglich eine Legalbewährung von 24 %. Die meisten Rückfälle erfolgen im Abschnitt des Beobachtungszeitraums, also innerhalb der ersten drei Jahre, danach nahm die Quote der Rückfälle kontinuierlich ab. Je mehr Vorstrafen ein Erwachsener hatte, desto höher liegen zumindest im ersten Abschnitt des Beobachtungszeitraums die Rückfallquoten. Auch nach vier Jahren waren die Rückfallquoten für vorbestrafte Erwachsene immer noch höher als für solche ohne Vorstrafe . Nach etwa sieben Jahren waren die Rückfallquoten allerdings annähernd gleich. Die Rückfallquoten sind bei den freiheitsentziehenden Vorstrafen etwas höher als bei der Gesamtheit der Bezugsentscheidungen mit Freiheits- und Jugendstrafen.“ Dies erklärt sich damit, dass hier mit den Erwachsenen eine Gruppe mit erhöhtem Rückfallrisiko betrachtet wird, aus der zusätzlich besonders stark belastete „Wiederholungstäter“, d.h. Verurteilte mit mindestens einer Vorstrafe und einer weiteren Entscheidung (Bezugsentscheidung) ausgewählt wurden.“ Die Quoten für die Rückfälligen nach Art der Sanktion entsprechen im Wesentlichen den Quoten für die Rückfallraten. Stellt man auf den gesamten Beobachtungszeitraum ab, so lässt sich für „Erwachsene, die bereits mit einer Freiheits- und Jugendstrafe ohne Bewährung vorbestraft sind, […] eine leichte zunehmende Sanktionsschwere feststellen: Wiederverurteilungen zu stationären Folgesanktionen steigen etwas höher an als solche ausgesetzter Freiheits- und Jugend- 75 Es handelt sich um die untere Tabelle auf S. 214 der Legalbewährungsstudie. 76 BMJV, Legalbewährungsstudie, Gliederungspunkt C 5, S. 224 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 152/17 Seite 27 strafe oder sonstigen ambulanten Folgeentscheidungen. Bei mit Freiheits- und Jugendstrafen mit Bewährung sowie Geldstrafen Vorbestraften sind dagegen nur sehr geringfügige Unterschiede zu finden. Im Bereich der Diversionsentscheidungen gem. §§ 45, 47 JGG lassen sich dagegen die deutlichsten Anstiege bei sonstigen ambulanten Folgeentscheidungen ausmachen.“ Für die Anzahl und Art der Voreintragungen bei Jugendlichen und Heranwachsenden hatte sich Folgendes ergeben:77 Die „Rückfallgeschwindigkeit ist bei rückfälligen Jugendlichen und Heranwachsenden umso höher, je größer die Anzahl ihrer Vorstrafen ist“. Stellt man auf den gesamten Beobachtungszeitraum ab, so nimmt in der Gruppe der nicht vorbestraften Jugendlichen und Heranwachsenden „in erster Linie der Anteil erneuter Verurteilungen mit ambulanten Sanktionen zu (8 Prozentpunkte), während es auch im zweiten und dritten Abschnitt des Beobachtungszeitraums kaum zu stationären Wiederverurteilungen kommt (3 Prozentpunkte). In den Gruppen vorbestrafter Jugendlicher und Heranwachsender dagegen nimmt der Anteil stationärer Wiederverurteilungen kontinuierlich zu (4 bis 12 Prozentpunkte). In allen Gruppen geht wiederum der Anteil von erneuten Registrierungen mit einer Entscheidung gem. §§ 45, 47 JGG im zweiten und dritten Teil des Beobachtungszeitraums zurück. Dies ist ein Indiz dafür, dass nicht selten mehrere Rückfälle pro Person z.T. mit ansteigender Sanktionsschwere zu verzeichnen sind.“ Stellt man auf die schwerste Voreintragung ab, lässt sich beobachten, dass die Rückfallraten bei den freiheitsentziehenden Vorstrafen sogar etwas „höher sind als bei Gesamtheit der Bezugsentscheidungen mit Freiheits- und Jugendstrafen (vgl. C 2.3.4)78. Dies erklärt sich damit, dass hier mit den Jugendlichen und Heranwachsenden eine Gruppe mit erhöhtem Rückfallrisiko betrachtet wird, aus der zusätzlich besonders stark belastete „Wiederholungstäter “, d.h. Verurteilte mit mindestens einer Vorstrafe und einer weiteren Entscheidung (Bezugsentscheidung) ausgewählt wurden.“ Auf den gesamten Beobachtungszeitraum betrachtet, ergibt sich: „Für alle Arten von Vorentscheidungen nimmt der Anteil von stationären Folgesanktionen zu. Am stärksten betrifft dies die Jugendstrafen mit und ohne Bewährung; hier beträgt der Anstieg 11 bzw. 14 Prozentpunkte. Sehr deutlich wird der Anstieg der Sanktionsschwere daran, dass der Anteil von Diversionsentscheidungen bei allen Sanktionsarten von Vorstrafen mehr oder weniger deutlich zurückgeht. Nicht selten werden demnach mehrere Rückfälle pro Person z.T. mit ansteigender Sanktionsschwere registriert.“ 8. Arbeitsauftrag der Wissenschaftlichen Dienste Gemäß der Anfrage soll mit dieser Ausarbeitung geklärt werden, welche Möglichkeiten es gibt, die Bewährungsstrafen für Intensivtäter einzuschränken. 77 BMJV, Legalbewährungsstudie, Gliederungspunkt C 5, S. 231 ff 78 Es handelt sich um die Tabelle auf S. 182 der Legalbewährungsstudie. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 152/17 Seite 28 Wie die Ausführungen bisher gezeigt haben, gibt es weder eine einheitliche Definition des Intensivtäters noch eine belastbare Statistik darüber, wie oft die Strafen bei Intensivtätern zur Bewährung ausgesetzt werden. Erst recht gibt es keine Zahlen darüber, ob tatsächlich Bewährungsstrafen bei Intensivtätern über Gebühr verhängt werden. Aus diesem Grund muss für die nachfolgende Darstellung auf Folgendes hingewiesen werden: Ob es kriminalpolitisch sinnvoll ist, solche Einschränkungen bei der Strafaussetzung zur Bewährung vorzunehmen, kann von den Wissenschaftlichen Diensten nicht beurteilt werden. Die folgenden Ausführungen zeigen daher nur Regelungstechniken auf, enthalten aber keine Stellungnahme dazu, inwieweit solche Einschränkungen sinnvoll sind oder nicht79. 9. Gesetzgeberische Möglichkeiten zur Einschränkung der Strafaussetzung zur Bewährung über eine bundeseinheitliche Legaldefinition des Begriffs „Intensivtäter“ Eine Variante, die Strafaussetzung zur Bewährung einzuschränken, bestünde darin, eine gesetzliche Regelung zu schaffen, wonach für Intensivtäter die Strafaussetzung nur unter bestimmten Voraussetzungen in Betracht kommt. Wie gesehen, gibt es keine einheitliche und schon gar keine bundeseinheitliche Definition darüber , was unter einem Intensivtäter zu verstehen ist. Da es sich bei dem StGB und dem JGG aber um Bundesgesetze handelt, müsste eine bundeseinheitliche Definition des „Intensivtäters“ vorliegen , um über die Definition des Intensivtäters eine Einschränkung zu erreichen. Dann könnten die Vorschriften über die Strafaussetzung zur Bewährung in der Weise ergänzt werden, dass eine Strafaussetzung zur Bewährung für Intensivtäter gesetzlich ganz oder teilweise unterbunden würde. Denkbar wäre es, einen sowohl für erwachsene als auch für jugendliche und heranwachsende Täter einheitlichen Intensivtäterbegriff zu entwickeln. Eine andere Variante wäre die, gesonderte Definitionen für Erwachsene und Jugendliche/Heranwachsende aufzustellen, um so der unterschiedlichen Lage besser gerecht werden zu können und auch bei jugendlichen/heranwachsenden Intensivtätern den Erziehungsgedanken besser verfolgen zu können. Ob es dem Bundesgesetzgeber gelingt, eine bzw. entsprechende Definitionen aufzustellen, kann von hier aus nicht entschieden werden. Auch wenn die bisherigen Erfahrungen u.a. auch mit den Länderprogrammen eher gegen eine solche Vereinheitlichung sprechen, läge es in der Kompetenz des Bundesgesetzgebers, eine bzw. entsprechende Definitionen zu schaffen. Hier steht dem Gesetzgeber ein weiter Entscheidungsfreiraum offen. Je nachdem, wie eine solche Definition abgefasst ist, kann dann unter bestimmten Voraussetzungen eine Strafaussetzung unterbunden werden. Aus verfassungsrechtlicher Sicht, wonach auch die Resozialisierung Teil eines humanen Strafprozesses ist, könnte wohl nur bei einer sehr engen Definition des Intensivtäters, wo also von einem Intensivtäter nur dann gesprochen wird, wenn 79 Die Wissenschaftlichen Dienste sind zur politischen Neutralität verpflichtet, Leitfaden für die Unterabteilung Wissenschaftliche Dienste, Stand: Februar 2016, Gliederungspunkt 1.4. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 152/17 Seite 29 er eine große Anzahl schwerwiegender Straftaten verübt hat, die Bewährung ganz ausgeschlossen werden. Ob ein völliger Ausschluss der Bewährung verfassungsrechtlich haltbar ist, hängt somit letztlich von der Definition des Intensivtäters ab. Da dem Gesetzgeber hinsichtlich der Ausgestaltung der gesetzlichen Regelungen ein weiter Entscheidungsfreiraum zusteht, lässt sich von Seiten der Wissenschaftlichen Dienste zurzeit keine abschließende Beurteilung darüber treffen, welche Definition noch den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt. 10. Einschränkung der Strafaussetzung zur Bewährung über Regelbeispiele bei erwachsenen Intensivtätern Eine andere Möglichkeit, die Strafaussetzung zur Bewährung für Intensivtäter einzuschränken, bestünde darin, die Strafaussetzung für bestimmte Regelbeispiele auszusetzen. Für erwachsene Intensivtäter ließen sich folgende Wege skizzieren, um die Strafaussetzung zur Bewährung einschränken zu können: 10.1. Einschränkungen für die Annahme einer günstigen Sozialprognose Der Gesetzgeber könnte Regelungen treffen, um die Strafaussetzung zur Bewährung für Intensivtäter zu erschweren. Ansatzpunkt für eine solche Regelung müsste die Frage sein, inwieweit bei dem jeweiligen Täter von einer günstigen Sozialprognose ausgegangen werden kann. Es könnte festgelegt werden, dass von einer günstigen Sozialprognose nicht mehr ausgegangen werden kann, wenn der Täter bereits mit folgenden Verurteilungen belastet ist …, der Täter innerhalb von ein oder zwei Jahren bereits eine ähnliche Straftat begangen hat, die Tat eine bestimmte Gewaltbereitschaft des Täters erkennen lässt; eine solche Gewaltbereitschaft ist insbesondere bei folgenden Delikten anzunehmen … der Täter dazu neigt, mit mehreren gemeinsam Straftaten zu begehen. Je nachdem, wie die konkrete Formulierung ausfällt, lässt sich der Entscheidungsfreiraum, der den Gerichten bleibt, mehr oder weniger einschränken. So bestünde zum Beispiel für das Gericht ein noch engerer Entscheidungsspielraum, wenn vor den oben genannten Beispielen eine Formulierung eingefügt würde, dass von einer günstigen Sozialprognose nur in Ausnahmefällen ausgegangen werden kann, wenn die unter den Spiegelstrichen genannten Voraussetzungen vorliegen. Dagegen bliebe den Gerichten ein weiterer Entscheidungsfreiraum, wenn die in den Spiegelstrichen genannten Voraussetzungen als Regelbeispiele konzipiert würden. Ob der Gesetzgeber sich entschließt, eine solche einschränkende Regelungen in eine der bereits vorhandenen Vorschriften einzufügen, etwa in § 56 StGB, oder eine eigenständige Ausnahmevorschrift zu schaffen, liegt in seinem Ermessen. Den Entscheidungsfreiraum der Gerichte ganz zu unterbinden, erscheint indessen nicht angemessen . Denn die Frage, ob eine Strafe zur Bewährung auszusetzen ist, setzt unmittelbar beim einzelnen Täter an. Für den jeweils einzelnen Täter muss geprüft werden, ob die Vollstreckung erforderlich ist, um auf ihn einzuwirken. Dies ist jedoch nach dem jeweiligen Einzelfall zu entscheiden , wobei auch die konkreten Fallumstände und Lebensverhältnisse des Täters zu berücksichtigen sind. Eine solche Entscheidung setzt aber einen gewissen Entscheidungsspielraum voraus. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 152/17 Seite 30 10.2. Ausdehnung des § 56 Abs. 3 StGB Nach § 56 Abs. 3 StGB 3 wird bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten die Vollstreckung nicht ausgesetzt, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung sie gebietet. Auch an diese Regelung könnte angeknüpft werden, wenn die Strafaussetzung zur Bewährung für Intensivtäter begrenzt werden soll. Kennzeichen der Regelung in § 56 Abs. 3 StGB ist, dass trotz einer günstigen Sozialprognose die Verteidigung der Rechtsordnung eine Vollstreckung der verhängten Strafe gebietet. Denn die Ausschlussvorschrift des § 56 Abs. 3 StGB „geht gerade davon aus, dass dann, wenn die Gefahr, die der Erhaltung der Rechtstreue der Bevölkerung droht, übermächtig wird, die rein täterbezogenen, für die Aussetzung sprechenden Umstände, denen regelmäßig der Vorrang zukommt, ausnahmsweise zurückzutreten haben“.80 Die Rechtsprechung hat beispielsweise in folgenden Fällen angenommen, dass eine Vollstreckung zur Verteidigung der Rechtsordnung geboten ist: Trunkenheitsfahrt mit schweren Unfallfolgen81, grobe und rücksichtslose Verkehrsverstöße mit besonders schweren Folgen82, Kindesmisshandlung83, Gewaltdelikt mit besonders brutaler Vorgehensweise gegen Unbeteiligte84. Es ließen sich in einer gesetzlichen Regelung weitere Delikte nennen, wie Vergewaltigung, schwerer Raub oder Raub mit Todesfolge, schwere Körperverletzung oder Körperverletzung mit Todesfolge. Alle diese genannten Delikte könnten, wenn der Täter wiederholt entsprechend auffällig geworden ist, geeignet sein, ihn im Rahmen einer neu zu planenden Regelung als Intensivtäter einzuordnen und anzunehmen, dass – selbst wenn von einer günstigen Sozialprognose ausgegangen werden kann – die Verteidigung der Rechtsordnung eine Vollstreckung der Strafe gebietet. 10.3. Prüfung, ob auch für das Erwachsenenstrafrecht die Vorbewährung einzuführen ist Zu prüfen wäre auch, inwieweit es Sinn machen würde, im Erwachsenenstrafrecht für Intensivtäter das vorgestellte Rechtsinstitut der sogenannten Vorbewährung, wie sie in den §§ 57, 61-61b JGG für das Jugendstrafrecht geregelt ist, einzuführen. Das wirft dann die Frage auf, ob sich Intensivtäter tatsächlich auf Auflagen und Weisungen einlassen, um sich zu bewähren, damit eine günstigere Sozialprognose möglich wird. 80 BGH 4. Strafsenat, Beschluss vom 21. Januar 1971, Az: 4 StR 238/70, juris, Rn. 24 =; BGHSt 24, 64 (69); Schall, in: SK, § 56 Rn. 32. 81 BGH 4. Strafsenat, Beschluss vom 21. Januar 1971, Az: 4 StR 238/70, juris, Rn. 24 =; BGHSt 24, 64 (69). 82 OLG Karlsruhe, Urteil vom 18. Februar 2003 – 1 Ss 82/02 –, juris Orientierungssatz und Rn. 9 = Neue Zeitschrift für Strafrecht - -Rechtsprechungs-Report (NStZ-RR) 2003, 246, 248. 83 OLG Koblenz, Goltdammer's Archiv für Strafrecht (GA) 1975, 12. 84 Bayerisches Oberstes Landesgericht, Urteil vom 03. Juli 2003 – 5St RR 95/03 –, juris Orientierungssatz und Rn. 46 = NStZ-RR 2004, 42, 43. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 152/17 Seite 31 10.4. Widerruf der Bewährung nach § 56f StGB Grundsätzlich hat das Gericht nach § 56f Abs.1 StGB die Strafaussetzung zu widerrufen, wenn die Person in der Bewährungszeit Straftaten begeht und dadurch zeigt, dass die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, sich nicht erfüllt hat. Von einem solchen Widerruf der Bewährung kann das Gericht jedoch nach § 56f Abs. 2 StGB unter bestimmten Voraussetzungen absehen . Teilweise wird beklagt, dass es auf diese Weise in der Praxis zu sogenannten „Kettenbewährungen “ kommt, wo eine Bewährungsstrafe der nächsten folgt. Will man diesen Mechanismus für Intensivtäter durchbrechen, so könnte im Wege einer verfassungskonformen Regelung gesetzlich bestimmt werden, unter welchen Voraussetzungen Täter die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, auf jeden Fall nicht erfüllt haben, wenn sie innerhalb der Bewährungszeit in einer gesetzlich genau definierten Form wieder straffällig werden . Auf diese Weise ließen sich „Kettenbewährungen“ vermeiden oder zumindest einschränken. 11. Einschränkung der Strafaussetzung zur Bewährung über Regelbeispiele bei jugendlichen und heranwachsenden Intensivtätern Wie gesehen, handelt es sich bei den Intensivtätern in der Regel um junge Männer, die schon früh kriminelle Erfahrungen gesammelt haben, in ungeordneten Verhältnissen leben, teilweise auch in Gruppen straffällig werden und teilweise auch unter Alkohol- und Drogenkonsum leiden . Zunächst können die Ansätze, die für das Erwachsenenstrafrecht zur Einschränkung der Strafaussetzungen zur Bewährung auf das Jugendstrafrecht übertragen werden. 11.1. Möglichkeiten, innerhalb von § 17 JGG die Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung einzuschränken Oben wurde festgestellt, dass sowohl bei § 21 Abs. 1 JGG als auch bei § 21 Abs. 2 JGG jeweils eine günstige Sozialprognose für die Aussetzung erforderlich ist. Deshalb kann auch hier, wie bereits für Erwachsene vorgeschlagen, eine ähnliche Regelung für Jugendliche geschaffen werden, in der festgelegt wird, unter welchen Umständen von einer günstigen Sozialprognose nicht oder nur in Ausnahmefällen ausgegangen werden kann. Auch im Jugendstrafrecht sind ähnliche Varianten denkbar wie im Erwachsenenstrafrecht. Will der Gesetzgeber den Entscheidungsfreiraum für die Gerichte offen halten, kann er die einschränkenden Voraussetzungen als Regelbeispiele konzipieren. Er hat aber auch die Möglichkeit, durch geeignete Formulierungen den Entscheidungsfreiraum der Gerichte einzuschränken. Anders als im Erwachsenenstrafrecht gibt es im Jugendstrafrecht keine dem § 56 Abs. 3 StGB entsprechende Regelung, wonach von der Aussetzung abgesehen werden kann, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung gebietet. Solche generalpräventiven Aspekte haben im Jugendstrafrecht keinen Raum. Hier spielt der Erziehungsgedanke die entscheidende Rolle mit der Folge, dass ausschließlich spezialpräventive Gesichtspunkte für die Entscheidung über die Aussetzung herangezogen werden. Will man von diesem Grundsatz für Intensivtäter, insbesondere für heranwachsende Intensivtäter, abweichen, vor allem dort, wo es um schwerwiegendere Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 152/17 Seite 32 Delikte geht, könnte sich die Frage stellen, ob allein spezialpräventive Gründe bei der Aussetzung eine Rolle spielen sollen oder ob in diesen Bereich nicht auch generalpräventive Gesichtspunkte mitherangezogen werden sollen. 11.2. Widerruf der Strafaussetzung nach § 26 JGG Ebenso wie im Erwachsenenstrafrecht ist auch im Jugendstrafrecht grundsätzlich die Strafaussetzung zu widerrufen, wenn der Jugendliche innerhalb der Bewährungszeit entweder wieder straffällig wird oder gegen die Bewährungsauflagen verstößt, § 26 Abs. 1 JGG. Das Gericht sieht jedoch wie im Erwachsenenstrafrecht von einem Widerruf unter bestimmten Umständen ab, § 26 Abs. 2 JGG. Auch hier kann es daher zu „Kettenbewährungen“ kommen. Will man solche „Kettenbewährungen“ im Jugendstrafrecht verhindern oder einschränken, so ließen sich ähnlich, wie im Erwachsenenstrafrecht vorgeschlagen, für jugendliche Intensivtäter Regelungen einführen, wonach nicht von einem Widerruf abgesehen werden kann, wenn der Jugendliche in bestimmter Weise wieder straffällig geworden ist. 11.3. Möglichkeiten, über das Institut der Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe, §§ 27-30 JGG, die Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung einzuschränken Wie gesehen, eröffnen die §§ 27-30 JGG dem Gericht die Möglichkeit, den jugendlichen Angeklagten lediglich schuldig zu sprechen und die Entscheidung darüber, ob eine Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen verhängt wird, für eine Bewährungszeit zurückzustellen. Im Hinblick darauf, dass § 27 JGG voraussetzt, dass eine Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen in Betracht kommt, könnte man gerade in dem Rechtsinstitut der Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung ein Instrument sehen, dass auf Intensivtäter passt und ausbaufähig wäre. Denn schädliche Neigungen liegen in der Regel vor, wenn folgende drei Merkmale erfüllt sind: das Vorliegen von erheblichen Persönlichkeitsmängeln, prognostisch die Gefahr weiterer erheblicher Straftaten des Täters sowie die Notwendigkeit einer längerdauernden Gesamterziehung.85 Diese Umschreibung deckt sich zumindest teilweise mit derjenigen des Intensivtäters. Andererseits ist zu Folgendes zu berücksichtigen: Der Begriff der schädlichen Neigungen ist in der Literatur äußerst umstritten. Teilweise wird er für verfassungswidrig gehalten, weil es ihm an der erforderlichen Bestimmtheit i.S.d. Art. 103 Abs. 2 GG fehle.86 Ob es daher Sinn macht, eine neue Regelung an diesen alten umstrittenen Begriff anzuknüpfen, erscheint zweifelhaft. Das Institut der Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung setzt voraus, dass nicht feststeht , ob bei dem jugendlichen Straftäter schädliche Neigungen vorliegen oder nicht. Ob dies der Fall ist, soll sich erst in der Bewährungszeit erweisen. Folglich wäre das Institut der Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung nur für diejenigen Täter erweiterbar, bei denen noch nicht klar ist, ob sie letztlich zu den Intensivtätern zählen. Das Verfahren nach den §§ 27-30 JGG wird in der Praxis kaum angenommen. 85 Radtke, in. MüKoStGB, Band 6, JGG und andere, 3. Auflage, München 2017, § 17 Rn. 29 f. 86 Umfassend zur Kritik an dem Begriff siehe die Darstellung bei Radtke, in: MüKoStGB, JGG, § 17 Rn. 26-30. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 152/17 Seite 33 Diese Aspekte sprechen dagegen, in dem Verfahren nach den §§ 27-30 JGG ein Instrument zu sehen , mit dem erfolgreich gegen jugendliche Intensivtäter vorgegangen werden könnte. Etwas anderes ist nur dann vorstellbar, wenn das Verfahren insgesamt – möglicherweise ganz auf jugendliche und heranwachsende Intensivtäter – zugeschnitten würde. Mit einer solchen Reform ließe sich möglichweise auch der Begriff der schädlichen Neigungen durch eindeutig umschriebene Tatbestandsmerkmale ersetzen. 11.4. Möglichkeiten über das Institut der Vorbewährung, §§ 57, 61-61b JGG, die Strafaussetzung zur Bewährung einzuschränken Anders als im Rahmen der §§ 27-30 JGG wird bei der Vorbewährung nicht die Verhängung der Jugendstrafe ausgesetzt, sondern die Vollstreckung. Im Unterschied zu einer „normalen“ Strafaussetzung zur Bewährung wird die Strafe aber nicht bereits beim Schuldspruch zur Bewährung ausgesetzt. Vielmehr wird die Entscheidung darüber, ob eine Bewährungsstrafe erfolgt, auf einen späteren Zeitpunkt verschoben, weil das Gericht eine positive Prognose noch nicht abgeben kann, aber denkbar ist, dass der jugendliche Straftäter in naher Zukunft die entsprechenden Voraussetzungen für eine Strafaussetzung zur Bewährung erfüllt. Ob bei einem Intensivtäter davon ausgegangen werden kann, er werde in naher Zukunft die Voraussetzungen für die Strafaussetzung zur Bewährung erfüllen, dass ihm also eine positive Sozialprognose bescheinigt werden kann, erscheint zwar eher zweifelhaft. Möglicherweise lässt sich die Vorbewährung aber in den Anfängen einer Intensivtäterkarriere sinnvoll einsetzen. Denn für die Zeit der Vorbewährung kann gemäß § 61 Abs. 3 Satz 1 JGG auch ein Warnschussarrest, § 16a JGG, ausgesprochen werden, der ihn möglicherweise davon abhält, weitere Straftaten zu begehen. 12. Ansätze für jugendliche und heranwachsende (Intensiv)täter Im Gliederungspunkt 8 war bereits darauf hingewiesen worden, dass von den Wissenschaftlichen Diensten nicht geklärt werden kann, inwieweit es kriminalpolitisch sinnvoll ist, bei Intensivtäter, insbesondere bei jugendlichen und heranwachsenden Intensivtätern, die Bewährungsstrafen einzuschränken . Zu konstatieren ist allerdings, dass sich in den verschiedenen Untersuchungen zu diesem Thema und Stellungnahmen in der Literatur kein solcher Befund findet.87 Vielmehr werden andere Vorschläge gemacht, um dem Phänomen von jugendlichen und heranwachsenden Intensivtätern zu begegnen. Dazu zählen neben den Instrumentarien des Jugendstrafrechts insbe- 87 Zu Wiederholungstätern ist allerdings eine Petition an den Deutschen Bundestag eingereicht worden: „Strafrecht – Abschaffung der Strafaussetzung zur Bewährung für Wiederholungstäter, mit der Forderung, dass Straftäter , egal um welche Strafe es sich handelt, nach der dritten Straftat für mindestens ein Jahr ohne Bewährung in Haft müssen und nach der fünften Straftat für mindestens drei Jahre in Haft ohne Bewährung. Es handelt sich um eine Online-Petition, die allerdings nicht das Quorum erfüllt hat, Petition 69965. Vgl. dazu: https://epetitionen .bundestag.de/petitionen/_2017/_02/_09/Petition_69965.mitzeichnen.registrieren.html [letzter Abruf: 29. Januar 2018]. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 152/17 Seite 34 sondere auch Maßnahmen der Jugendhilfe. Zu beobachten ist dabei eine Vernetzung der Hilfeleistung von verschiedenen staatlichen Behörden, also zum Beispiel zwischen den Jugendämtern und der Polizei. Einige dieser Ansätze sollen hier kurz vorgestellt werden: 12.1. Walsh, Der Umgang mit jungen „Intensivtätern“ Walsh gibt in ihrem Review88 einen Überblick über die Projekte und Untersuchungen, die bisher zur Kriminalprävention gegen junge Intensivtäter eingesetzt wurden. Das Review zeigt, die polizeilichen Maßnahmen, die sozialen Trainingskurse, die Anti-Aggressivitäts-, Anti-Gewalt- und Coolness Trainings, die Intensivbetreuung, die beschleunigten Verfahren und sonstige Maßnahmen auf, die zur Behandlung von jungen Intensivtätern eingesetzt werden. Dabei zeigen alle diese Maßnahmen, dass bisher versucht worden ist, präventiv auf die jungen Intensivtäter einzuwirken , um deren kriminelle Karrieren zu beenden. 12.2. Holthusen, Kinder und Jugendliche als sogenannte Intensivtäter Holthusen, der Leiter der Fachgruppe Angebote und Adressaten in der Kinder- und Jugendhilfe im Deutschen Jugendinstitut ist, beklagt in seinem Beitrag89, dass jugendliche Intensivtäter nur aus polizeilicher und justizieller Perspektive gesehen würden. Auch bei dieser Tätergruppe dürfe die fachliche Überzeugung, dass in Bezug auf Delinquenz im Kindes- und Jugendalter vorrangig mit erzieherischen und pädagogischen Strategien reagiert werden müssen, nicht vernachlässigt werden. Darüber hinaus warnt er vor einer ausufernden Vorverlagerung der Einstufung als Intensivtäter . Aufgrund des großen Legitimationsdrucks, dem vor allem die Polizei in der Öffentlichkeit ausgesetzt sei, diese nicht vor jungen Intensivtätern schützen zu können, werde bestimmten Jugendlichen immer früher eine erhöhte behördliche und polizeiliche Aufmerksamkeit zuteil. Hintergrund für diese Vorverlagerung sei die Absicht, Maßnahmen gegen die entsprechenden Jugendlichen zu ergreifen, bevor diese zu Intensivtätern werden.90 12.3. Drenkhahn: Hilfe für kindliche und jugendliche Intensivtäter Drenkhahn zeigt in ihrem Beitrag vor allem die Hilfen auf, die vom Jugendamt gegeben werden können, um junge Intensivtäter vor weiteren Straftaten zu bewahren. Dabei geht sie auch auf die Zusammenarbeit der unterschiedlichen staatlichen Stellen ein, die erforderlich ist, um ein Auffangnetz für die betroffenen Kinder und Jugendlichen zu knüpfen.91 88 Walsh, ZJJ 2017, 28 ff. 89 Holthusen, Kinder und Jugendliche als so genannte Intensivtäter, Familie Partnerschaft Recht (FPR) 2013, 417 f. 90 Holthusen, FÜR 2013, 420. 91 Drenkhahn, Hilfe für kindliche und jugendliche Intensivtäter, FÜR 2007, 24 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 152/17 Seite 35 12.4. Die Einführung des Warnschussarrestes nach § 16a JGG Mit dem Gesetz zur Erweiterung der jugendgerichtlichen Handlungsmöglichkeiten92 wurde 2012 der § 16a JGG geschaffen. Dieser sieht vor, dass auch dann, wenn die Verhängung oder die Vollstreckung der Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird, abweichend von § 13 Absatz 1 neben der Bewährungsstrafe auch Jugendarrest verhängt werden kann. Dieser umgangssprachlich als „Warnschussarrest“ bezeichnete Jugendarrest wurde vom Gesetzgeber geschaffen, um neben der zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe dem Jugendlichen nachdrücklich das Unrecht und die Konsequenzen zu verdeutlichen und gegebenenfalls einen Impuls zur Verhaltensänderung bei dem Jugendlichen zu setzen. Der Jugendliche sollte die Jugendstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wird, nicht als Freispruch empfinden.93 Darüber hinaus wollte der Gesetzgeber mit dem Warnschussarrest erreichen, dass der Betroffene für eine Übergangszeit aus seinem schädlichen Umfeld herausgenommen wird und die Bewährungszeit gezielt vorbereitet wird. Unter Umständen sollte der Warnschussarrest die Aussetzung der Jugendstrafe sogar ermöglichen.94 Das BMJV hat diesen Warnschussarrest in einer Studie evaluieren lassen95. Der Warnschussarrest96 nach § 16a JGG ist nicht auf Intensivtäter ausgerichtet. Gleichwohl geht es um Täter, für die immerhin schon die Jugendstrafe in Betracht kommt. Dass der Gesetzgeber sich für den Warnschussarrest entschieden hat und damit für ein Instrument, das den Jugendlichen durch einen kurzen Arrest vor weiterer Freiheitsentziehung warnen will, macht deutlich, dass die Aussetzung der Verhängung oder Vollstreckung der Jugendstrafe zur Bewährung nicht zur Debatte steht. Vielmehr wollte auch der Gesetzgeber daran festhalten, dass dem jugendlichen Straftäter, auch wenn gegen ihn schon eine Jugendstrafe verhängt wird, nicht deren Vollstreckung erleiden muss. 92 Gesetz zur Erweiterung der jugendlichen Handlungsmöglichkeiten vom 4. September 2012, BGBl. I, S. 1854. 93 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP vom 24. April 2012, Entwurf eines Gesetzes zur Erweiterung der jugendgerichtlichen Handlungsmöglichkeiten, BT-Drs. 17/9389, S. 7. 94 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP vom 24. April 2012, Entwurf eines Gesetzes zur Erweiterung der jugendgerichtlichen Handlungsmöglichkeiten, BT-Drs. 17/9389, S. 7. 95 Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Klatt, Ernst, Höynck, Baier, Treskow, Bliesener, Pfeiffer , Evaluation des neu eingeführten Jugendarrests neben zur Bewährung ausgesetzter Jugendstrafe (§ 16a JGG), Berlin 2016, abrufbar unter: http://www.bmjv.de/DE/Ministerium/ForschungUndWissenschaft/JGG/JGG_Evaluation _Abschlussbericht.pdf;jsessionid=4918B8BCB87ADDAEF00A2FAC2EB10FE7.1_cid289?__blob=publication File&v=1 [letzter Abruf: 25. Januar 2018]. 96 Zu den kriminalpolitischen Fragen zum Warnschussarrest vgl. auch: Müller-Piepenkötter/Kubink, „Warn(schuss)arrest“ als neue Sanktion – rationale Perspektiven für eine ewige Kontroverse“, Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP) 2008, 176 ff. Kritisch zum Warnschussarrest: Dünkel/Flügge, Lösch/Pörksen, Plädoyer für verantwortungsbewusste und rationale Reformen des strafrechtlichen Sanktionensystems und des Strafvollzugs – Thesen des Ziethener Kreises, ZRP 2017, 175, 177. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 152/17 Seite 36 12.5. Die Einführung des Fahrverbots als Nebenstrafe Auch durch die am Ende der vergangenen Legislaturperiode versuchte Einführung eines Fahrverbots als Nebenstrafe wollte der Gesetzgeber97 den Gerichten ein zusätzliches Mittel an die Hand geben, zielgenau, spürbar und schuldangemessen auf den Täter einzuwirken und dabei zugleich kurze Freiheitsstrafen vermeiden.98 Auch dieser Ansatz zielt in eine andere Richtung als die, Bewährungsstrafen einzuschränken. 12.6. Bericht des Bundeskriminalamts über eine Tagung zu jungen Mehrfach- und Intensivtätern Das Bundeskriminalamt hat anlässlich im November 2010 eine Tagung zu der Thematik „Junge Mehrfach- und Intensivtäter: Gelingt der Austausch zwischen kriminologischer Forschung und polizeilicher Praxis?“ einen Bericht herausgegeben, auf den hier hingewiesen wird.99 *** 97 Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 22. Februar 2017, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs , des Jugendgerichtsgesetzes, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetze, BT-Drs. 18/11272, S. 1. Der Entwurf wurde nur bis zu 2. Lesung beraten. 98 Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 22. Februar 2017, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs , des Jugendgerichtsgesetzes, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetze, BT-Drs. 18/11272, S. 1. 99 Bundeskriminalamt (Hrsg,) Junge Mehrfach- und Intensivtäter – Gelingt der Wissenstransfer zwischen kriminologischer Forschung und polizeilicher Praxis? Tagung am 17. November 2010, im Bundeskriminalamt Wiesbaden , Zusammenstellung der Vorträge, Wiesbaden 2010. Der Bericht ist abrufbar unter: https://www.bka.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/Publikationsreihen/Forschungsergebnisse /2010TagungJungeMehrfachUndIntensivtaeter.html [letzter Abruf: 24. Januar 2018].