© 2016 Deutscher Bundestag WD 7- 3000 - 152/16 Anerkennung und Vollstreckung von Titeln innerhalb der EU Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7- 3000 - 152/16 Seite 2 Anerkennung und Vollstreckung von Titeln innerhalb der EU Aktenzeichen: WD 7- 3000 - 152/16 Abschluss der Arbeit: Datum 17.10. 2016 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7- 3000 - 152/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Anerkennung und Vollstreckung 4 2.1. Anerkennung 5 2.2. Erforderlichkeit einer Vollstreckbarerklärung 5 2.3. Voraussetzungen der Vollstreckung nach der Brüssel Ia-VO 5 3. Rechtsbehelfe und Verfahrenshindernisse 5 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7- 3000 - 152/16 Seite 4 1. Einleitung Gegenstand dieses Sachstands ist die Frage nach der Vollstreckung nationaler Gerichtsentscheidungen im Wege der Lohnpfändung in einem anderen EU-Mitgliedstaat am Beispiel Polens. Eine Geldforderung kann gemäß § 829 ZPO1 durch Pfändung vollstreckt werden. Voraussetzung einer solchen Zwangsvollstreckung ist dabei zunächst ein vollstreckbarer Titel. Vollstreckbar sind nach § 704 ZPO vornehmlich rechtskräftige oder für vorläufig vollstreckbar erklärte Endurteile , darüber hinaus jedoch auch die in § 794 ZPO aufgezählten weiteren Vollstreckungstitel, wie etwa Gerichtsvergleiche oder Vollstreckungsbescheide. Soll nun eine Gerichtsentscheidung eines deutschen Gerichts in einem anderen EU-Mitgliedstaat im Wege der Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden, ist zunächst zwischen der Anerkennung der Entscheidung und der Vollstreckung derselben zu unterscheiden. 2. Anerkennung und Vollstreckung Die wichtigsten Regelungen über die Anerkennung und Vollstreckung von Titeln innerhalb der Europäischen Union enthält die Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – EuGVVO2, oder auch Brüssel Ia-VO- des europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012. Daneben existieren verschiedene Bestimmungen für Titel, welche aus spezialgesetzlich normierten Verfahren hervorgegangen sind. So regelt die EuMVVO3 das europäische Mahnverfahren und die Vollstreckung daraus resultierender europäischer Zahlungsbefehle und die EuGFVO4 das europäische Verfahren zur Geltendmachung geringfügiger Forderungen. Schließlich enthält die EuVTVO5 Bestimmungen über Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen, wie etwa aus Säumnisentscheidungen. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3202, ber. 2006 I S. 431 und 2007 I S. 1781). Zuletzt geändert durch Art. 1 G zur Änd. des Sachverständigenrechts und zur weiteren Änd. des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit sowie zur Änd. weiterer Gesetze vom 11. 10. 2016 (BGBl. I S. 2222). 2 Verordnung Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und Rates vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in zivil- und Handelssachen, Neufassung (Amtsblatt Nr. L 351 vom 20.12.2012, S.1). In Kraft getreten am 10.01.2015, abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32012R1215&from=DE. 3 Verordnung Nr. 1896/2006 des europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines europäischen Mahnverfahrens (Amtsblatt Nr. L 399 vom 30. Dezember 2006, S. 1), abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32006R1896&from=DE. 4 Verordnung Nr. 861/2007 des europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen (Amtsblatt Nr. L 199 vom 31. Juli 2007, S. 1), abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2007:199:0001:0022:DE:PDF. 5 Verordnung Nr. 805/2004 des europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen (Amtsblatt Nr. L 143 vom 30. April 2004, S. 15), abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2004:143:0015:0039:DE:PDF. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7- 3000 - 152/16 Seite 5 2.1. Anerkennung Gemäß Art. 36 Abs. 1 der Brüssel Ia-VO werden die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf. Eine Überprüfung der Entscheidung im ersuchten Mitgliedsstaat findet dabei in der Sache nicht statt. 2.2. Erforderlichkeit einer Vollstreckbarerklärung Nachdem es auf EU-Ebene lange Zeit neben dem vollstreckbaren Titel noch einer Vollstreckbarerklärung bedurfte, ehe eine Entscheidung aus einem anderen Mitgliedstaat vollstreckt werden konnte, wurde dieses Exequaturverfahren mit Inkrafttreten der Brüssel Ia-VO abgeschafft, vgl. Art. 39 Brüssel Ia-VO. Grundlage für die Vollstreckung im Vollstreckungsstaat ist damit seit dem 10. Januar 20156 nicht mehr die Vollstreckbarerklärung, sondern unmittelbar der ausländische Titel.7 Dieser soll unter den gleichen Bedingungen vollstreckt werden können, wie eine dort vollstreckbar gewordene Entscheidung. Daher richtet sich nach Art. 41 Brüssel Ia-VO auch die Durchführung der Zwangsvollstreckung grundsätzlich nach dem Recht des Vollstreckungsstaates. Allerdings wird der Vollstreckungsstaat nach Art. 54 Brüssel Ia-VO ausdrücklich zur Anpassung ihm nicht bekannter Maßnahmen oder Anordnungen aus dem Ursprungsstaat verpflichtet. 2.3. Voraussetzungen der Vollstreckung nach der Brüssel Ia-VO Zur Vollstreckung einer zumindest für vorläufig vollstreckbar erklärten Entscheidung ist es nunmehr nach Art. 42 und 53 Brüssel Ia-VO erforderlich, dass der Gläubiger der zuständigen Behörde im Vollstreckungsstaat eine Ausfertigung der Entscheidung sowie eine im Ursprungsland zu fertigende Bescheinigung vorlegt. Beides ist gegebenenfalls zu übersetzen. Die Bescheinigung soll unter Verwendung des Formblatts in Anhang 1 der Brüssel Ia-VO8 ausgestellt werden und enthält wesentliche Angaben zu angefallenen Kosten sowie verschiedene Daten der Entscheidung , wie der Zustellung und der Vollstreckbarkeit. Hervorzuheben ist, dass dem Schuldner nach Art. 43 Brüssel Ia-VO neben der zu vollstreckenden Entscheidung auch die Bescheinigung noch vor der ersten Vollstreckungsmaßnahme zugestellt werden muss. 3. Rechtsbehelfe und Verfahrenshindernisse Zwar sieht die Brüssel Ia-VO kein Vollstreckbarerklärungsverfahren im Vollstreckungsstaat mehr vor. Nichts desto weniger ist der Schuldnerschutz wie auch in der Vorgängerverordnung (Brüssel I-VO) noch stark ausgeprägt. So wird dem Schuldner die Möglichkeit eingeräumt, im Vollstreckungsstaat einen Verstoß der ausländischen Entscheidung gegen den ordre-public geltend zu 6 Vgl. Art. 66 Abs. I Brüssel Ia-VO. 7 Wagner, Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche gegen Schuldner mit Wohnsitz im EU-Ausland, in: Europäisches wirtschafts- und Steuerrecht (EWS) 2016, 79 (83). 8 Anhang 1 zur Verordnung Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und Rates vom 12.12.2012 (Amtsblatt Nr. L 351 vom 20.12.2012, S.22). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7- 3000 - 152/16 Seite 6 machen oder einen Verstoß gegen das Gebot zur Wahrung des rechtlichen Gehörs zu rügen, soweit er sich nicht auf das Verfahren eingelassen hat und ihm das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt wurde, dass er sich hätte verteidigen können .9 Schließlich kann eine Vollstreckung auch dann unterbunden werden, wenn die in der Brüssel Ia-VO enthaltenen Zuständigkeitsregelungen zugunsten von Versicherungsnehmern, Verbrauchern oder Arbeitnehmern verletzt worden sind. So sehen Art. 24 und 25 Brüssel Ia-VO für bestimmte Verfahrensgegenstände eine ausschließliche Zuständigkeit eines Mitgliedstaates vor, wohingegen bei Sachverhalten in Versicherungs- (Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO), Verbraucher- (Art.17 ff. Brüssel Ia-VO) und Arbeitssachen (Art. 20 ff. Brüssel Ia-VO) regelmäßig ein Gerichtsstand am Wohnsitz des Beklagten vorgesehen ist. Darüber hinaus kommt insbesondere Verbrauchern und Versicherungsnehmern das Privileg zu, die andere Partei nicht nur an deren ausländischem Wohnsitz, sondern alternativ auch im Inland verklagen zu können. -Ende der Bearbeitung- 9 Wagner, Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche gegen Schuldner mit Wohnsitz im EU-Ausland, in: Europäisches wirtschafts- und Steuerrecht (EWS) 2016, 79 (84).