WD 7 - 3000 – 150/19 (21. Oktober 2019) © 2019 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Anknüpfend an den vom Fachbereich Europa erstellten Sachstand PE 6 - 3000 - 089/19 zu unionsrechtlichen Vorgaben im Vergaberecht, soll nachfolgend ein kurzer Überblick über die wichtigsten in der Bundesrepublik Deutschland geltenden gesetzlichen Ausnahmen vom Anwendungsbereich der Vergaberegeln (im Oberschwellenbereich) gegeben werden. Die der Harmonisierung des mitgliedstaatlichen Vergaberechts zugrundeliegenden europäischen Richtlinien (insbesondere 2014/23/EU, 2014/24/EU und 2014/25/EU) sind gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet sind, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich und daher in jedem Mitgliedsstaat zwingend in nationales Recht umzusetzen. Nationale gesetzliche Ausnahmen der Mitgliedstaaten sind nur im Rahmen der von den vorstehend genannten Richtlinien nicht umfassten Anwendungsbereichen möglich (vgl. etwa Calliess/Ruffert , Rn. 23). In der Bundesrepublik Deutschland finden sich Ausnahmetatbestände insbesondere in den §§ 107 ff., 116 f., 137 ff. und 144 ff. GWB. Das EU-Kartellrecht findet daher nach § 107 Abs. 1 GWB insbesondere keine Anwendung bei der Bestellung von Schiedsgerichts- und Schlichtungsleistungen ; bei Immobiliengeschäften; bei Arbeitsverträgen sowie hinsichtlich einzelner Dienstleistungen des Katastrophenschutzes, des Zivilschutzes und der Gefahrenabwehr. § 107 Abs. 2 GWB schließt im Anwendungsbereich der VSVgV zudem bestimmte Aufträge für Militärprodukte vom Anwendungsbereich des GWB aus. Daneben ergeben sich einzelfallbezogen weitere, von der jeweiligen Auftragsart abhängige, Ausnahmen. Dies betrifft insbesondere bestimmte Rechts-, Forschungs - und Entwicklungsleistungen (§ 116 Abs. 1 Nr. 1 und 2 GWB), Rundfunk- und Mediendienste (§ 116 Abs. 1 Nr. 3 GWB) sowie Finanzierungsverträge (§ 116 Abs. 1 Nr. 4 und 5 GWB). Zudem bestehen Ausnahmen für einzelne Vergabebereiche, die sog. Bereichsausnahmen (vgl. Pünder/Schellenberg, Rn. 6). Diese betreffen insbesondere den Bereich der verteidigungsspezifischen Vergaben (§ 107 Abs. 2 GWB), den Bereich internationaler Organisationen (§ 109 GWB) sowie die Telekommunikation in ihrem Kern (§ 116 Abs. 2 GWB). Vor dem Hintergrund des zentralen Ziels des europäischen Vergaberechts, welches darin besteht das öffentliche Auftragswesen für den unionsweiten und unverfälschten Wettbewerb zu öffnen, sind die Ausnahmetatbestände restriktiv auszulegen. Eine analoge Anwendung auf andere Fälle Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Zu gesetzlichen Ausnahmetatbeständen im Vergaberecht Kurzinformation Zu gesetzlichen Ausnahmetatbeständen im Vergaberecht Wissenschaftliche Dienste Seite 2 Fachbereich WD 7 (Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau und Stadtentwicklung) ist daher ausgeschlossen (vgl. etwa Ziekow/Völlink, Rn. 5). Eine über die Ausnahmetatbestände hinausgehende Erweiterung durch den nationalen Gesetzgeber wäre mithin unzulässig (BGH). Sofern die Voraussetzungen eines Ausnahmetatbestandes vorliegen, sind die Vergaberichtlinien sowie Teil 4 des GWB insgesamt unanwendbar (OLG Düsseldorf). Gleichwohl kann in diesen Fällen nicht auf jeglichen Wettbewerb verzichtet werden. Vielmehr sollen insbesondere die primärrechtlich garantierten Grundfreiheiten Beachtung finden und dazu führen, dass auch bei solchen Vergabeverfahren, in denen ein Ausnahmetatbestand eingreift, grundsätzlich eine transparente und diskriminierungsfreie Auswahlentscheidung darüber getroffen werden muss, wer den Zuschlag erhält (vgl. Ziekow/Völlink, Rn. 9). Ob im jeweiligen Einzelfall die Voraussetzungen vorliegen, die einen Ausnahmetatbestand rechtfertigen , haben die zuständigen Nachprüfungsinstanzen unabhängig zu untersuchen. Insbesondere ist insoweit irrelevant, ob sich der öffentliche Auftraggeber auf das Vorliegen eines solchen Ausnahmetatbestands beruft (OLG Düsseldorf). Sofern die Vergabe von öffentlichen Aufträgen oder Konzessionen unter einen der Ausnahmetatbestände fällt, können diese Entscheidungen im Nachprüfungsverfahren nicht überprüft werden. Sofern sich ein Bieter darauf beruft, dass die Ausnahmevoraussetzungen nicht vorlägen, ist der Rechtsschutz des Bieters darauf beschränkt, ob der öffentliche Auftraggeber die einzelnen Merkmale des Ausnahmetatbestandes zutreffend angenommen hat. Sofern das nicht der Fall ist, hat der Nachprüfungsantrag Erfolg (vgl. Ziekow /Völlink, Rn. 4). Quellen: - AEUV: Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der Fassung der Bekanntmachung vom 09.05.2008 (ABl. Nr. C 115 S. 47) zuletzt geändert durch Art. 2 des Änderungsbeschlusses 2012/419/EU vom 11.07.2012 (ABl. Nr. L 204 S. 131). - Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der Fassung der Bekanntmachung vom 26.06.2013 (BGBl. I S. 1750, ber. S. 3245) zuletzt geändert durch Art. 10 des Gesetzes zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage vom 12.7.2018 (BGBl. I S. 1151). - VSVgV: Vergabeverordnung für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit zur Umsetzung der Richtlinie 2009/81/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.07.2009 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe bestimmter Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit und zur Änderung der Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG vom 12. Juli 2012 (BGBl. I S. 1509) zuletzt geändert durch Art. 2 der Verordnung zur Änderung der Vergabeverordnung und der Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit vom 12.07.2019 (BGBl. I S. 1081). - Bundesgerichtshof: Beschluss vom 08.02.2011, Az.: X ZB 4/10, BeckRS 2011, 3845, Rn. 16. - OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.07.2010, Az.: VII-Verg 27/10, NZBau 2010, 778. - OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.08.2012, Az.: VII-Verg 10/12, NZBau 2012, 785. - Ruffert: Calliess/Ruffert, EUV, AEUV, 5. Auflage 2016, Kommentierung zur Art. 288 AEUV. - Antweiler: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 3. Auflage 2018, Kommentierung zu § 107 GWB. - Schellenberg: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 3. Auflage 2019, Kommentierung zu § 107 GWB. ***