WD 7 - 3000 – 146/19 (08. Oktober 2019) © 2019 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Es stellt sich die Frage, ob ein laufendes Vergabeverfahren durch den öffentlichen Auftraggeber ausgesetzt oder unterbrochen werden kann. Einzig die Aussetzung des Vergabeverfahrens aufgrund eines andauernden Nachprüfungsantrags ist gesetzlich geregelt. Diese richtet sich (im Oberschwellenbereich) nach § 169 GWB. Danach darf der Auftraggeber, im Falle einer Nachprüfung, vor einer Entscheidung der Vergabekammer und dem Ablauf der Beschwerdefrist den Zuschlag grundsätzlich nicht erteilen. Das Zuschlagsverbot dient insbesondere dem Ziel, etwaige Vergaberechtsfehler zu korrigieren und unterlegene Bieter während des Nachprüfungsverfahrens vor der irreversiblen Zuschlagserteilung zu schützen (vgl. Pünder/Schellenberg, § 169 GWB, Rn. 4). Darüber hinaus ist die Aussetzung / Unterbrechung des Vergabeverfahrens gesetzlich nicht vorgesehen. Gleichwohl ist der öffentliche Auftraggeber als Herr des Vergabeverfahrens gegenüber dem Bieter nicht zum Vertragsabschluss, sondern lediglich zur Durchführung eines vergaberechtskonformen Verfahrens verpflichtet (BGH). Auf unvorhergesehene Verzögerungen oder Ereignisse während des Vergabeverfahrens kann der öffentliche Auftraggeber daher insbesondere mit der Verlängerung der im jeweiligen Vergabeverfahren einschlägigen Fristen (insb. Teilnahme-, Angebots-, Zuschlags - und Bindefristen) reagieren bzw. das Vergabeverfahren auch vollständig aufheben. Die nachträgliche Verlängerung von vergaberechtlichen Fristen ist grundsätzlich möglich, kann jedoch nicht beliebig erfolgen, sondern bedarf einer sachlichen Rechtfertigung (vgl. Dreher /Motzke, § 10 VOB/A, Rn. 95). Wann eine sachliche Rechtfertigung gegeben ist, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab und ist insbesondere durch die Art des gewählten Vergabeverfahrens, den Verfahrensstand und die Art der zu verlängernden Frist bedingt (vgl. etwa zur Verlängerung der Zuschlags- und Bindefrist im Vergabeverfahren für Bauleistungen: Dreher/Motzke, § 10 VOB/A, Rn. 94 ff.). Sofern es sich um Fristen handelt, die zuvor durch die Bieter mit ihren Angeboten selbst erklärt wurden, ist zudem zwingend deren Zustimmung zu jeder Fristverlängerung erforderlich . So kann etwa die Verlängerung der Bindefrist, anders als z.B. bei der Teilnahme- oder Angebotsfrist, nicht einseitig durch den öffentlichen Auftraggeber vorgenommen werden, da dies mit dem ausdrücklichen Wortlaut von § 148 BGB unvereinbar ist. Danach kann die Annahme eines Angebots – und hierum handelt es sich bei der vom jeweiligen Bieter im Vergabeverfahren abgegebenen Erklärung – Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Zur Möglichkeit der Aussetzung / Unterbrechung des Vergabeverfahrens Kurzinformation Zur Möglichkeit der Aussetzung / Unterbrechung des Vergabeverfahrens Fachbereich WD 7 (Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau und Stadtentwicklung) Wissenschaftliche Dienste Seite 2 nur innerhalb der vom öffentlichen Auftraggeber zuvor genannten Frist erfolgen (Kapellmann /Messerschmidt, Rn. 19). Zwar ist es auch nach dem Ablauf der Bindefrist noch möglich, den Zuschlag zu erteilen. Allerdings ist insoweit sowohl für den öffentlichen Auftraggeber als auch für die Bieter zu beachten, dass die Bieter nach Ablauf der Bindefrist nicht mehr an ihr Angebot gebunden sind (§§ 145, 148 BGB). Die Zuschlagserteilung ist dann nach § 150 Abs. 1 BGB stets als ein neues Angebot des öffentlichen Auftraggebers an den betreffenden Bieter zu sehen (Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal, § 20 VgV, Rn. 70). Zudem kann ein später erteilter Zuschlag ins Leere laufen, weil Bieter ihr zeitlich auf die Bindefrist beschränktes Angebot zurückziehen oder zumindest inhaltlich modifizieren (Pünder/Schellenberg, § 10 VOB/A, Rn. 31). Selbst die vollständige Aufhebung eines Vergabeverfahrens kann grundsätzlich während aller Verfahrensschritte erfolgen. Die Voraussetzungen einer rechtmäßigen Aufhebung eines Vergabeverfahrens sind in § 63 VgV normiert. Nach § 63 Abs. 1 S. 1 VgV kann ein Vergabeverfahren nur dann rechtmäßig durch einen öffentlichen Auftraggeber aufgehoben werden, wenn 1. kein Angebot eingegangen ist, das den Bedingungen entspricht; 2. sich die Grundlage des Vergabeverfahrens wesentlich geändert hat; 3. kein wirtschaftliches Ergebnis erzielt wurde; oder 4. andere schwerwiegende Gründe bestehen. Eine von § 63 Abs. 1 S. 1 VgV nicht gedeckte Aufhebung ist rechtswidrig und kann Schadensersatzansprüche der Teilnehmer des Vergabeverfahrens gegen den öffentlichen Auftraggeber zur Folge haben. Zu den Voraussetzungen der Aufhebung von Vergabeverfahren sowie zu etwaigen Schadensersatzpflichten im Fall rechtswidriger Aufhebung, wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen auf den Sachstand WD7 - 3000 - 157/18, Aufhebung von Vergabeverfahren, - Anlage 1 -. Zur Vergabe eines Auftrages während eines noch laufenden Gerichtsverfahrens, insbesondere zum Einfluss möglicher rechtlicher Ungewissheiten auf ein Vergabeverfahren, wird verwiesen auf den Sachstand WD7 - 3000 - 109/19, Fragen zum Vergabeverfahren, - Anlage 2 -. Quellen: - GWB: Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der Fassung der Bekanntmachung vom 26.06.2013 (BGBl. I S. 1750), zuletzt geändert durch Artikel 10 des Gesetzes zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage vom 12. Juli 2018 (BGBl. I S. 1151). - BGB: Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom. 02.01.2002 (BGBl. I S. 42 und 2003 I S. 738), zuletzt geändert durch Artikel 7 des Gesetzes zur Förderung der Freizügigkeit von EU-Bürgerinnen und Bürgern sowie zur Neuregelung verschiedener Aspekte des Internationalen Adoptionsrechts vom 31.01.2019 (BGBl. I S. 54). - VgV: Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge vom 12.04.2016 (BGBl. I S. 624), zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung zur Änderung der Vergabeverordnung und der Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit vom 12.07.2019 (BGBl. I S. 1081). - BGH: Bundesgerichtshof, Urteil vom 26.04.2018 – VII ZR 81/17, NJW 2018, 2561, 2563. - Nowak/Franzius/Ruhland: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 3. Auflage 2019, Kommentierung zu § 169 GWB, § 10 VOB/A und § 63 VgV. - Planker: Kapellmann/Messerschmidt VOB-Kommentar, 6. Auflage 2018, Kommentierung zu § 10 VOB/A. - Reidt: Dreher/Motzke, Beck'scher Vergaberechtskommentar, 2. Auflage 2013, Kommentierung zu § 10 VOB/A. - Wagner-Cardenal: Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal, VgV/UVgO, 2. Auflage 2019, Kommentierung zu § 20 VgV.