Deutscher Bundestag Fremdnützige genetische Forschung an Nicht-Einwilligungsfähigen – Rechtliche Rahmenbedingungen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste © 2009 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 146/09 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 146/09 Seite 2 Fremdnützige genetische Forschung an Nicht-Einwilligungsfähigen – Rechtliche Rahmenbedingungen Verfasser: Ausarbeitung: WD 7 - 3000 - 146/09 Abschluss der Arbeit: 19. Oktober 2009 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 146/09 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Genetische Forschung an Menschen 4 2.1. Anwendbarkeit von Spezialregelungen 4 2.1.1. Gendiagnostikgesetz 4 2.1.2. Arzneimittelgesetz 4 2.1.2.1. Direkte Anwendbarkeit 4 2.1.2.2. Analoge Anwendbarkeit 5 2.1.2.3. Ergebnis 6 2.2. Allgemeiner Rechtsrahmen 6 2.2.1. Körperliche Eingriffe zu Forschungszwecken 6 2.2.2. Nutzung vorhandener Körpersubstanzen zu Forschungszwecken 7 2.2.3. Erhebung und Speicherung von Daten zu Forschungszwecken 7 2.2.3.1. Nicht personenbezogene Daten 8 2.2.3.2. Überwiegen anderer Güter 8 2.2.3.3. Spezialregelungen für Forschungsvorhaben 8 2.2.3.3.1. Erleichterte Zweckänderung (§ 28 Abs. 2 Nr. 3 BDSG) 8 2.2.3.3.2. Frühestmögliche Anonymisierung (§ 40 BDSG) 9 3. Forschung an Nicht-Einwilligungsfähigen 9 3.1. Dauerhaft nicht einwilligungsfähige Erwachsene 9 3.2. Akut nicht einwilligungsfähige Erwachsene 10 3.3. Nicht einwilligungsfähige Minderjährige 11 4. Fremdnützige Forschung 11 4.1. 1. Ansicht: Unter keinen Umständen zulässig 11 4.2. 2. Ansicht: Abwägung entscheidend 11 5. Zusammenfassung 12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 146/09 Seite 4 1. Einleitung Gegenstand der vorliegenden Ausarbeitung ist ein summarischer Aufriss rechtlicher Rahmenbedingungen für die fremdnützige genetische Forschung an Nicht-Einwilligungsfähigen. Unter einer fremdnützigen Forschung wird hierbei eine solche verstanden, die demjenigen, an dem oder mit dessen Körpermaterial die Forschung durchgeführt wird (Proband), keinen unmittelbaren Nutzen bringt bzw. bei dem sie medizinisch nicht indiziert ist.1 Unter genetischer Forschung wird in Anlehnung an die Begrifflichkeiten des Gendiagnostikgesetzes (GenDG)2 im vorliegenden Kontext jene Forschung verstanden, die sich genetischer Analysen bedient. Dies sind gemäß § 3 Nr. 2 GenDG Analysen der Zahl und der Struktur der Chromosomen (zytogenetische Analyse), der molekularen Struktur der Desoxyribonukleinsäure oder der Ribonukleinsäure (molekulargenetische Analyse) oder der Produkte der Nukleinsäuren (Genproduktanalyse). 2. Genetische Forschung an Menschen 2.1. Anwendbarkeit von Spezialregelungen Die rechtliche Beurteilung genetischer Forschung am Menschen richtet sich in erster Linie nach entsprechenden Spezialgesetzen, soweit solche anwendbar sind. 2.1.1. Gendiagnostikgesetz In Betracht kommt dabei das Gendiagnostikgesetz als jenes Gesetz, dass sich spezifisch mit genetischen Analysen, den mit ihnen einhergehenden Eingriffen und den aus ihnen gewonnen Erkenntnissen befasst. Das Gendiagnostikgesetz wird allerdings auch nach seinem Inkrafttreten am 1. Februar 2010 nicht auf genetische Forschung anwendbar sein: Nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 GenDG gilt das Gesetz nicht für genetische Untersuchungen und Analysen und den Umgang mit genetischen Proben und Daten zu Forschungszwecken. 2.1.2. Arzneimittelgesetz 2.1.2.1. Direkte Anwendbarkeit In Betracht kommt weiterhin die Anwendbarkeit des Arzneimittelgesetzes (AMG)3, das in seinen §§ 40-42 detaillierte Bestimmungen für die klinische Prüfung am Menschen enthält. Klinische Prüfung in diesem Sinne ist gem. § 4 Abs. 23 Satz 1 AMG „jede am Menschen durchgeführte Untersuchung, die dazu bestimmt ist, klinische oder pharmakologische Wirkungen von Arzneimitteln zu erforschen oder nachzuweisen oder Nebenwirkungen festzustellen oder die Resorption, die Verteilung, den Stoffwechsel oder die Ausscheidung zu untersuchen, mit dem 1 Vgl. Spranger, Fremdnützige Forschung an Einwilligungsunfähigen, Bioethik und klinische Arzneimittelprüfung , in: Medizinrecht (MedR) 2001, S. 238. 2 Gesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen vom 31. Juli 2009, BGBl. I, S. 2529, Inkrafttreten im Wesentlichen am 1. Februar 2010. 3 Arzneimittelgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3394), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 17. Juli 2009 (BGBl. I S. 1990) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 146/09 Seite 5 Ziel, sich von der Unbedenklichkeit oder Wirksamkeit der Arzneimittel zu überzeugen“. Das Vorliegen einer klinischen Prüfung im Sinne von § 4 Abs. 23 AMG setzt zum einen stets voraus, dass die Untersuchung auf einem Prüfplan basiert; wird eine wissenschaftliche Analyse „bei Gelegenheit “ einer individuellen medizinischen Behandlung durchgeführt („nicht-interventionelle Prüfung “), die ausschließlich der ärztlichen Praxis folgt, liegt deshalb keine klinische Prüfung vor (vgl. § 4 Abs. 23 Satz 2 AMG). Zum anderen ist stets Voraussetzung der Anwendbarkeit des Arzneimittelgesetzes , dass es sich gerade um die Untersuchung der Wirkungen von Arzneimitteln im Sinne des § 2 AMG handelt. Die Vornahme genetischer Analysen weist als solche keine notwendige Verbindung zum Einsatz von Arzneimitteln auf. Zwar ist sicherlich auch eine Kombination von genetischen Analysen mit dem Einsatz von Arzneimitteln möglich, ebenso wie der Einsatz von genetischen Analysen im Rahmen von klinischen Prüfungen stattfinden kann; genetische Analysen als solche sind jedoch vollkommen unabhängig von Arzneimitteln durchführbar und werden sicherlich auch häufig solchermaßen „autark“ praktiziert. Diese „Reinform“ der genetischen Forschung aber ist alleiniger Gegenstand der vorliegenden Betrachtung. Das Arzneimittelgesetz ist insofern nicht direkt anwendbar. 2.1.2.2. Analoge Anwendbarkeit In der Literatur wird zum Teil die Auffassung vertreten, dass die im Arzneimittelgesetz enthaltenen Regelungen zur klinischen Forschung mit Arzneimitteln auch in anderen Forschungsfeldern mitunter „dem Grundgedanken nach anwendbar“4 sind, da aus ihnen „allgemeine Regeln“ zu „ziehen“ seien.5 Dieser Ansatz ist juristisch problematisch. Eine Anwendbarkeit von Gesetzen „dem Grundgedanken nach“ ist keine juristische Kategorie; Gesetze sind entweder einschlägig und damit anwendbar , oder nicht. Sollte mit der Anwendbarkeit dem Grundgedanken nach eine Analogie gemeint sein6, so scheiterte eine solche unabhängig von der methodischen Frage, ob eine Analogie überhaupt die Anwendbarkeit von ganzen Gesetzen begründen kann, im Fall der nicht arzneimittelbezogenen Forschung am Menschen jedenfalls daran, dass keine planwidrige Regelungslücke7 vorliegt – ganz zu schweigen davon, dass das Arzneimittelgesetz im Kontext klinischer Prüfungen auch empfindliche strafrechtliche Sanktionen8 vorsieht, bei denen sich eine Analogie ohnehin verböte. Das „Ziehen“ von allgemeinen Regeln schließlich aus einem in seinem Anwendungsbereich klar definierten Spezialgesetz wie dem Arzneimittelgesetz verkehrt das Verhältnis 4 Deutsch/Spickhoff , Medizinrecht: Arztrecht, Arzneimittelrecht, Medizinprodukterecht und Transfusionsrecht , 6. Aufl. 2008, Rdn. 941. 5 Deutsch/Spickhoff (o. Fußn. 4), Rdn. 943 m.w.N. 6 Dies klingt an bei Deutsch/Spickhoff (o. Fußn. 4), Rdn. 932. 7 Vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 373. Von Lücken eines Gesetzes kann ohnehin nur dann gesprochen werden, wenn es für einen bestimmten Bereich eine einigermaßen vollständige Regelung anstrebt, vgl. Larenz a.a.O. S. 371. 8 Vgl. etwa § 96 AMG: „Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer (…) 10. entgegen § 40 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2, 2a Buchstabe a, Nr. 3, 4, 5, 6 oder 8, jeweils auch in Verbindung mit Abs. 4 oder § 41 die klinische Prüfung eines Arzneimittels durchführt, 11. entgegen § 40 Abs. 1 Satz 2 die klinische Prüfung eines Arzneimittels beginnt (…)“. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 146/09 Seite 6 von allgemeinen und speziellen Regelungen unzulässig. Allenfalls könnte argumentiert werden, dass das Arzneimittelgesetz seinerseits bestimmte allgemeine, etwa aus Art. 1, 2 GG abzuleitenden Regeln widerspiegelt oder konkretisiert und insofern ein Indiz dafür sein kann, wie eben jene allgemeinen Regelungen auch außerhalb des Anwendungsbereichs des Arzneimittelgesetzes gewahrt werden können. 2.1.2.3. Ergebnis Eine nicht im Rahmen einer klinischen Prüfung im Sinne des Arzneimittelgesetzes erfolgende genetische Forschung unterfällt nicht dem Arzneimittelgesetz. 2.2. Allgemeiner Rechtsrahmen In Ermangelung spezialgesetzlicher Regelungen richtet sich die rechtliche Beurteilung genetischer Forschung damit nach den allgemeinen für die Forschung an Menschen einschlägigen gesetzlichen Regelungen.9 Danach gelten im Wesentlichen die nachfolgenden Grundsätze. 2.2.1. Körperliche Eingriffe zu Forschungszwecken Jedem Menschen steht es aufgrund des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG10) sowie des Rechts auf körperliche Integrität (Art. 2 Abs. 2 GG) grundsätzlich frei, ob und in welchem Umfang er sich bzw. seinen Körper zu Forschungszwecken zur Verfügung stellen will.11 Jede invasive Maßnahme am Menschen bedarf deshalb seiner Einwilligung.12 In Bezug auf körperliche Eingriffe kommt dies auch strafrechtlich zum Ausdruck: Die bei einem Eingriff tatbestandsmäßig vorliegende Körperverletzung (§ 223 StGB13) wird erst durch die vorliegende Einwilligung des Probanden (§ 228 StGB) gerechtfertigt.14 Voraussetzung einer wirksamen Einwilligung des Probanden ist dessen Einwilligungsfähigkeit15 sowie die vorherige umfassende Aufklärung16 über Art und Weise sowie Zweck des geplanten Eingriffs. 9 So denn auch Deutsch/Spickhoff (o. Fußn. 4), Rdn. 932; Kern, Zivilrechtliche Aspekte der Humangenetik, in: Hillenkamp (Hrsg.), Medizinrechtliche Probleme der Humangenetik, 2002, S. 25. 10 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das durch das Gesetz vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2248) geändert worden ist. 11 Söns, Biobanken im Spannungsfeld von Persönlichkeitsrecht und Forschungsfreiheit, Diss. 2008, S. 193. 12 Söns (o. Fußn. 11), S. 191 m.w.N. bei Fn. 388; Nationaler Ethikrat, Biobanken für die Forschung, 2004, S. 51. 13 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 2. Oktober 2009 (BGBl. I S. 3214) geändert worden ist. 14 Quaas/Zuck, Medizinrecht,2. Aufl. 2008, § 72 Rdn. 2. 15 Söns (o. Fußn. 11), S. 197. 16 Söns (o. Fußn. 11), S. 206 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 146/09 Seite 7 2.2.2. Nutzung vorhandener Körpersubstanzen zu Forschungszwecken Ob für die Durchführung von Forschungsaktivitäten an bereits vorhandenen, etwa im Rahmen eines Heileingriffs rechtmäßig gewonnenen Körpersubstanzen stets die Einwilligung des Probanden erforderlich ist, wird nicht einheitlich beurteilt. Während dies teilweise bejaht wird17, wird überwiegend die Ansicht vertreten, eine solche Einwilligung sei bei Körpersubstanzen, an denen der Proband kein Interesse und keinen Besitzwillen mehr habe, nicht immer erforderlich; vielmehr könnten diese Proben in bestimmten Fällen auch ohne Einwilligung des Spenders zu Forschungszwecken verwendet werden.18 Ausschlaggebend für die herrschende Meinung ist, dass sich nach ihrer Auffassung das primär persönlichkeitsrechtliche und grundrechtsbezogene Recht des Betroffenen am eigenen Körper mit dem endgültigen Abtrennen von Körperbestandteilen in Sacheigentum an jenen umwandelt.19 Da das Eigentum allerdings weiterhin vom Persönlichkeitsrecht des Betroffenen überlagert werden kann, ist bei der Beurteilung des Einwilligungserfordernisses eine auf den jeweiligen Einzelfall bezogene Abwägung zwischen Forschungsziel und Belangen des Betroffenen erforderlich. 2.2.3. Erhebung und Speicherung von Daten zu Forschungszwecken In der Regel ebenfalls erforderlich ist die Einwilligung des Probanden in die Speicherung und Nutzung seiner personenbezogenen Daten: Nach § 4a BDSG20 ist die Verwendung von personenbezogenen Daten zulässig, wenn der Betroffene wirksam zugestimmt hat. Nach geltendem Datenschutzrecht kann es jedoch auch ohne eine explizite Zustimmung des Betroffenen zulässige Datennutzungen – insbesondere auch zu Forschungszwecken – geben. 17 Vgl. Spickhoff, Forschung an nicht-einwilligungsfähigen Notfallpatienten, MedR 2006, S. 714 f.; Söns (o. Fußn. 11), S. 254; Freund/Weiss, Zur Zulässigkeit der Verwendung menschlichen Körpermaterials für Forschungs- und andere Zwecke, in: MedR 2004, S. 315, 317; von Freier, Getrennte Körperteile in der Forschung zwischen leiblicher Selbstverfügung und Gemeinbesitz, in: MedR 2005, 321, 325; Lippert, Forschung an und mit Körpersubstanzen – wann ist die Einwilligung des ehemaligen Trägers erforderlich? In: MedR 2001, S. 409 f. 18 Vgl. Söns (o. Fußn. 11), S. 250 ff.; Nationaler Ethikrat (o. Fußn 12), S. 55 f.; Bundesgerichtshof, Urteil vom 9. November 1993, Az. VI ZR 62/93, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1994, S. 128; Nationaler Ethikrat, (o. Fußn 12), S. 32; Damm, Persönlichkeitsschutz und medizintechnische Entwicklung, in: Juristenzeitung (JZ) 1998, S. 933; Freund/Weiss (o. Fußn 17), S. 316; Taupitz, Privatrechtliche Rechtspositionen um die Genomanalyse: Eigentum, Persönlichkeit, Leistung, in: JZ 1992, S. 1093; ders., Wem gebührt der Schatz im menschlichen Körper? In: Archiv für die civilistische Praxis 191 (1991), S. 209; ders., Der deliktsrechtliche Schutz des menschlichen Körpers und seiner Teile, in: NJW 1995, S. 747 ff.; Brohm, Forum: Humanbiotechnik, Eigentum und Menschenwürde, in: Juristische Schulung 1998, S. 199; Schünemann, Die Rechte am menschlichen Körper, 1985, S. 86 ff.; Nitz/Dierks, Nochmals: Forschung an und mit Körpersubstanzen – wann ist die Einwilligung des ehemaligen Trägers erforderlich? In: MedR 2002, S. 401 f.; Laufs/Reiling, Schmerzensgeld wegen schuldhafter Vernichtung deponierten Spermas? In: NJW 1994, S. 775 f. 19 Vgl. Söns (o. Fußn. 11), S. 247 m.w.N. bei Fn. 543. 20 Bundesdatenschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Januar 2003 (BGBl. I S. 66), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 14. August 2009 (BGBl. I S. 2814) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 146/09 Seite 8 2.2.3.1. Nicht personenbezogene Daten Datenschutzrechtlich ist stets dann keine Einwilligung des Probanden erforderlich, wenn es sich bereits gar nicht um personenbezogene Daten handelt – da das Bundesdatenschutzgesetz nur auf solche anwendbar ist.21 Personenbezogene Daten im Sinne des Bundesdatenschutzgesetzes sind Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person (§ 3 Abs. 1 BDSG). Kein Personenbezug liegt mithin vor, wenn vorhandene Daten von der speichernden Stelle keiner konkreten Person zugeordnet sind und auch nicht zugeordnet werden können, wenn es sich also dem allgemeinen Sprachgebrauch nach um „anonyme “ Daten handelt.22 Datenschutzrechtlich besteht insofern die Besonderheit, dass nicht nur solche Daten anonyme Daten sind, die sich überhaupt nicht mehr einer Person zuordnen lassen, sondern auch bereits solche, die sich nur „mit einem unverhältnismäßig großen Aufwand an Zeit, Kosten und Arbeitskraft einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person“ zuordnen lassen (§ 3 Abs. 6 BDSG).23 2.2.3.2. Überwiegen anderer Güter Weiterhin kann eine Forschung auch mit personenbezogenen Daten unabhängig von einer Einwilligung des Betroffenen dann zulässig sein, wenn eine Güterabwägung ergibt, dass das öffentliche Interesse das private Datenschutzinteresse überwiegt.24 2.2.3.3. Spezialregelungen für Forschungsvorhaben Schließlich enthält das Bundesdatenschutzgesetz verschiedene Regelungen speziell für die Datenverwendung im Rahmen von Forschungsvorhaben. 2.2.3.3.1. Erleichterte Zweckänderung (§ 28 Abs. 2 Nr. 3 BDSG) § 28 Abs. 2 Nr. 3 BDSG gestattet privaten Institutionen unter bestimmten Umständen ausdrücklich , einmal erhobene Daten im Rahmen einer Zweckänderung zu Forschungszwecken zu nutzen: „(2) Die Übermittlung oder Nutzung für einen anderen Zweck ist zulässig 3. wenn es im Interesse einer Forschungseinrichtung zur Durchführung wissenschaftlicher Forschung erforderlich ist, das wissenschaftliche Interesse an der Durchführung des Forschungsvorhabens das Interesse des Betroffenen an dem Ausschluss der Zweckänderung erheblich überwiegt und der Zweck der Forschung auf andere Weise nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand erreicht werden kann.“ 21 Gola in Gola/Schomerus, Bundesdatenschutzgesetz, 9. Aufl. 2007, § 3 Rdn. 43. 22 Gola (o. Fußn. 21), § 3 Rdn. 10. 23 Gola (o. Fußn. 21), § 3 Rdn. 44. 24 Deutsch/Spickhoff (o. Fußn. 4), Rdn. 621 f.; Pestalozza, Public Health Genetics, Grundrechtliche Aspekte , in: Bundesgesundheitsblatt 2009, S. 686 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 146/09 Seite 9 2.2.3.3.2. Frühestmögliche Anonymisierung (§ 40 BDSG) Weitere Regelungen zur Nutzung von personenbezogenen Daten im Rahmen von Forschungsvorhaben enthält § 40 BDSG: § 40 Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten durch Forschungseinrichtungen (1) Für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung erhobene oder gespeicherte personenbezogene Daten dürfen nur für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung verarbeitet oder genutzt werden. (2) Die personenbezogenen Daten sind zu anonymisieren, sobald dies nach dem Forschungszweck möglich ist. Bis dahin sind die Merkmale gesondert zu speichern, mit denen Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren Person zugeordnet werden können. Sie dürfen mit den Einzelangaben nur zusammengeführt werden, soweit der Forschungszweck dies erfordert. (3) Die wissenschaftliche Forschung betreibenden Stellen dürfen personenbezogene Daten nur veröffentlichen , wenn 1. der Betroffene eingewilligt hat oder 2. dies für die Darstellung von Forschungsergebnissen über Ereignisse der Zeitgeschichte unerlässlich ist. In der Literatur wird darauf hingewiesen, dass gerade im Bereich genetischer Analysen eine unbedingte Anonymisierung nicht immer im Interesse des Betroffenen liegen muss, sondern dass ihm unter Umständen mit einer Pseudonymisierung besser geholfen ist, da sie bei relevanten Erkenntnissen die Möglichkeit eröffnet, Kontakt zum Betroffenen herzustellen.25 3. Forschung an Nicht-Einwilligungsfähigen Bei der Forschung an Nicht-Einwilligungsfähigen besteht das Dilemma, dass die grundsätzlich erforderliche26 Einwilligung des Probanden von diesem nicht erteilt werden kann.27 Gleichwohl ist allgemeine Meinung, dass Eingriffe auch bei Nicht-Einwilligungsfähigen zu Forschungszwecken zulässig sein können, wenn damit ein Nutzen für den Betroffenen einhergeht („therapeutischer Versuch“).28 Es lassen sich hierbei verschiedene Fallkonstellationen unterscheiden. 3.1. Dauerhaft nicht einwilligungsfähige Erwachsene Ist ein Erwachsener dauerhaft nicht in der Lage, Gesundheitsbelange und Fragen der eigenen körperlichen Integrität hinreichend zu erfassen und zu beurteilen, wird für diesen Aufgabenkreis ein Betreuer zu bestellen sein (§§ 1896 ff. BGB).29 Ein solcher Betreuer ist bei seinen Entscheidungen dem Wohl des Betreuten verpflichtet und hat dessen Wünschen zu entsprechen, soweit dies dessen Wohl nicht zuwiderläuft und dem Betreuer 25 Ronellenfitsch, Genanalysen und Datenschutz, in: NJW 2006, S. 324 f. 26 Siehe oben Gliederungspunkt 2.2.1. 27 Vgl. Rittner, Ein Modell für die Forschung am einwilligungsunfähigen (bewusstlosen) Notfallpatienten, in: MedR 2007, S. 314. 28 Spranger (o. Fußn. 1), S. 242; 29 Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 6. Aufl. 2009, Rdn. 101. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 146/09 Seite 10 zuzumuten ist (§ 1901 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 BGB). Dies gilt auch für Wünsche, die der Betreute vor der Bestellung des Betreuers geäußert hat, es sei denn, dass er an diesen Wünschen erkennbar nicht festhalten will (§ 1901 Abs. 3 Satz 2 BGB). Was Untersuchungen des Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder andere ärztliche Eingriffe anbelangt, so hat der Betreuer zu prüfen, ob für diesen Fall vom Betreuten vor seiner Einwilligungsunfähigkeit getroffene Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen (Patientenverfügung, § 1901a BGB). Ist dies der Fall, hat der Betreuer dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen (§ 1901a Abs. 1 Satz 2 BGB). Liegt keine Patientenverfügung vor oder treffen die Festlegungen einer Patientenverfügung nicht auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zu, hat der Betreuer die Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen Willen des Betreuten festzustellen und auf dieser Grundlage zu entscheiden, ob er in eine ärztliche Maßnahme nach Absatz 1 einwilligt oder sie untersagt (§ 1901a Abs. 2 Satz 1 BGB). Zu berücksichtigen sind hierbei insbesondere frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen des Betreuten (§ 1901a Abs. 2 Satz 3 BGB). Für besonders gefährliche Eingriffe oder Untersuchungen bestimmt § 1904 BGB ergänzend, dass grundsätzlich die Genehmigung des Betreuungsgerichts einzuholen ist – wobei auch hier der Wille des Betreuten maßgeblich ist (§ 1904 Abs. 3, Abs. 4 BGB). 3.2. Akut nicht einwilligungsfähige Erwachsene Grundsätzlich gelten die im vorstehenden Absatz dargelegten Regelungen auch für lediglich vorübergehend bzw. akut nicht einwilligungsfähige Erwachsene. Insbesondere kann das Gericht in Eilfällen im Wege einer einstweiligen Anordnung einen vorläufigen Betreuer bestellen, wenn dringende Gründe für die Annahme bestehen, dass die Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts gegeben sind und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht (§§ 300 ff. FamFG30).31 Denkbar sind allerdings auch Konstellationen, in denen eine bestimmte Forschung nur an Patienten in einer unmittelbaren Notfallsituation möglich ist – hier dürfte regelmäßig noch kein Betreuer bestellt sein.32 Maßgeblich ist in diesen Fällen der mutmaßliche Wille des einwilligungsunfähigen Patienten.33 Auf die Tätigkeit des Arztes oder Forschers finden dann die Grundsätze der Geschäftsführung ohne Auftrag (§ 677 i.V.m. § 683 BGB) Anwendung.34 30 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2586, 2587), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 31. Juli 2009 (BGBl. I S. 2512) geändert worden ist. 31 Müller, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), Beck'scher Online-Kommentar BGB, Edition 14, Stand 1. September 2009, § 1896 Rdn. 53. 32 Habermann/Lasch/Gödicke, Therapeutische Prüfungen an Nicht-Einwilligungsfähigen im Eilfall – ethisch geboten und rechtlich zulässig? In: NJW 2000, S. 3393. 33 Laufs in Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl. 2002, § 64 Rdn. 11 f.; Deutsch/Spickhoff (o. Fußn. 4), Rdn. 941. 34 Rittner (o. Fußn. 27), S. 342, 344; Laufs (o. Fußn. 33), § 64 Rdn. 11 f.; Deutsch/Spickhoff (o. Fußn. 4), Rdn. 941. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 146/09 Seite 11 3.3. Nicht einwilligungsfähige Minderjährige Spezielle Regelungen zur Forschung an Minderjährigen enthält das Arzneimittelgesetz (§§ 40, 41 AMG), das allerdings, wie gesehen, auf die reine genetische Forschung nicht anwendbar ist.35 Insofern gelten bei Minderjährigen im Wesentlichen dieselben Grundsätze wie bereits vorstehend dargelegt – wobei statt eines Betreuers in der Regel36 die Eltern dazu berufen sein werden, im Rahmen der elterlichen Sorge (§ 1626 BGB) orientiert am Kindeswohl ihre Zustimmung zur jeweiligen Forschung zu erteilen oder zu versagen.37 4. Fremdnützige Forschung Umstritten ist, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen eine fremdnützige Forschung an Nicht-Einwilligungsfähigen erlaubt sein kann, also eine solche Forschung, die dem betroffenen Probanden keinen unmittelbaren Nutzen bringt.38 Ausdrückliche spezialgesetzliche, im Bereich der genetischen Forschung anwendbare Regelungen bestehen insofern nicht. 4.1. 1. Ansicht: Unter keinen Umständen zulässig Es wird die Auffassung vertreten, dass eine ausschließlich fremdnützige Forschung ohne ausdrückliche Einwilligung stets mit der Menschenwürde unvereinbar sei, weil diese gebiete, dass der Mensch nicht zum Objekt gemacht werde – was aber stets der Fall sei, wenn für außerhalb seiner selbst liegende Zwecke an ihm ohne seine Einwilligung geforscht werde.39 4.2. 2. Ansicht: Abwägung entscheidend Nach anderer Auffassung ist auch im Fall der fremdnützigen Forschung entsprechend den allgemeinen Grundsätzen nach dem mutmaßlichen Willen des Probanden zu entscheiden.40 Zwar dürfte im Regelfall nicht anzunehmen sein, dass hernach eine Einwilligung in rein fremdnützige Forschung angenommen werden kann – von vornherein ausgeschlossen wäre dies jedoch nicht.41 Im Rahmen der Feststellung des mutmaßlichen Willens ist vor allem auch ausschlaggebend, ob und in welchem Maße mit der Forschung irgendwelche Risiken bzw. Nachteile für den Probanden verbunden sind. Wenn keinerlei Nachteile ersichtlich sind, soll die mutmaßliche Einwilligung in der Regel zu vermuten sein.42 35 S.o. Gliederungspunkt 2.1.2. 36 Dies hängt auch von der Einwilligungsreife des Minderjährigen ab, vgl. Peschel-Gutzeit, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2007, § 1626 Rdn. 96. 37 Vgl. Voppel, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2008, Eckpfeiler des Zivilrechts, Familienrecht, Ziff. IV 2 b) ff). 38 Vgl. Spranger (o. Fußn. 1), S. 238. 39 Spranger, Menschenwürde zu Gunsten der Mehrheit verletzt? Rechtliche und ethische Aspekte der klinischen Prüfung nach AMG, in: Sozialrecht + Praxis 2006, S. 751, 759; Rittner (o. Fußn. 27), S. 341. 40 Spickhoff (o. Fußn. 17), S. 714. 41 Spickhoff (wie Fußn. 40). 42 Spickhoff (wie Fußn. 40). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 146/09 Seite 12 Wie genetische Forschung in diesem Zusammenhang zu beurteilen ist, kann nicht pauschal für alle Fälle festgestellt werden. Zu betrachten wäre immer der Einzelfall. Allerdings lassen sich sicherlich beispielhafte Extremfälle bilden, die bei Zugrundelegung der vorliegend vorgestellten Auffassung wohl unterschiedlich zu beurteilen wären: – Wenn etwa das Forschungsvorhaben nur darin bestünde, an bereits vorhandenen überschüssigen Körperproben des Nicht-Einwilligungsfähigen genetische Analysen ohne jeden Personenbezug vorzunehmen, wären irgendwelche Nachteile für den Betroffenen nicht ersichtlich . Erst recht läge in einem solchen Fall kein akut körperlich belastender Eingriff vor, der die Gefahr mit sich brächte, dass der Nicht-Einwilligungsfähige leidet. – Wenn andererseits die Forschung darin bestünde, dass dem Nicht-Einwilligungsfähigen mittels eines nicht unerheblichen körperlichen Eingriffs – etwa einer Blutentnahme – Körpersubstanzen allein zu Forschungszwecken entnommen und diese sodann im Rahmen einer Studie so aufbewahrt und analysiert würden, dass der Personenbezug zu ihm wiederhergestellt werden kann, dann wäre – in Ermangelung besonderer Umstände – eine mutmaßliche Einwilligung des Betroffenen schwer vorstellbar.43 5. Zusammenfassung Ob eine ausschließlich fremdnützige Forschung an Nichteinwilligungsfähigen – und damit wohl auch die genetische Forschung – zulässig sein kann, wird vor dem Hintergrund fehlender spezifischer gesetzlicher Regelungen unterschiedlich beurteilt. Während von einer Seite betont wird, dass eine solche Forschung stets gegen die Menschenwürde der Probanden verstieße, da sie diese zum bloßen Objekt herabwürdigt, kann nach anderer Auffassung die Forschung zulässig sein, wenn keine oder nur geringe Eingriffe in die körperliche Integrität des Probanden erfolgen und die Forschung mit seinem mutmaßlichen Willen übereinstimmt. 43 Zur Frage der Anonymisierbarkeit von genetischen Daten vgl. Goerdeler/Laubach, Im Datendschungel – Zur Notwendigkeit der gesetzlichen Regelung von genetischen Untersuchungen, in: Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP) 2002, S. 117. Zur Erheblichkeit der Rückverfolgbarkeit von Daten vgl. Spickhoff (o. Fußn. 17), S. 715.