© 2021 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 145/20 Fragen der straf- und zivilrechtlichen Haftung im Zusammenhang mit dem Klimawandel Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 145/20 Seite 2 Fragen der straf- und zivilrechtlichen Haftung im Zusammenhang mit dem Klimawandel Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 145/20 Abschluss der Arbeit: 13. Januar 2021 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 145/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Wie regulieren die Gesetze die strafrechtliche Haftung für Umweltschäden, Sachverhalte eingeschlossen, die sich auf den Klimawandel auswirken könnten? 4 2. Können juristische Personen (Unternehmen) für derartige Verstöße in Haftung genommen werden? 4 3. Welche Arten von Umweltdelikten sind im Strafrecht vorgesehen? 5 4. Definiert das deutsche Strafrecht die Straftat eines „Ökozids“? 6 5. Wie regulieren die Gesetze die zivilrechtliche Haftung für Umweltschäden, einschließlich derjenigen Sachverhalte, die sich auf den Klimawandel auswirken könnten? 6 6. Gab es straf- oder zivilgerichtliche Verfahren in Bezug auf Handlungen oder Unterlassungen, die eine Auswirkung auf den Klimawandel haben könnten? 7 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 145/20 Seite 4 1. Wie regulieren die Gesetze die strafrechtliche Haftung für Umweltschäden, Sachverhalte eingeschlossen, die sich auf den Klimawandel auswirken könnten? Umweltstrafrechtliche Bestimmungen finden sich im Kernstrafrecht insbesondere in Abschnitt 29 des Strafgesetzbuches (StGB) 1. Außerdem beinhalten einige Strafnormen betreffend gemeingefährliche Straftaten (§§ 309 ff. StGB), wie etwa der Missbrauch ionisierender Strahlung, auch eine umweltschützende Komponente. Daneben umfasst das Umweltstrafrecht Straftatbestände in speziellen Umweltschutzgesetzen (Nebenstrafrecht).2 Hierzu zählen unter anderem das Chemikaliengesetz (ChemG)3, das Abfallverbringungsgesetz (AbfVerbrG)4, das Pflanzenschutzgesetz (PflSchG)5 und das Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG)6. Es existieren keine Straftatbestände, welche explizit auf Sachverhalte Anwendung finden, die sich auf den Klimawandel auswirken könnten. 2. Können juristische Personen (Unternehmen) für derartige Verstöße in Haftung genommen werden? Das deutsche Strafrecht geht nach derzeitiger Rechtslage davon aus, dass juristische Personen nicht fähig sind, persönlich verantwortbare Handlungen vorzunehmen, und aus diesem Grund 1 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 47 des Gesetzes vom 21. Dezember 2020 (BGBl. I S. 3096) geändert worden ist, abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/index.html#BJNR001270871BJNE054203123 (Stand dieser und aller nachfolgenden Internetquellen: 12 Januar.2021; englische Übersetzung, Stand: Die Übersetzung berücksichtigt die Änderung(en) des Gesetzes durch Artikel 2 des Gesetzes vom 19. Juni 2019 (BGBl. I, S. 844), abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/englisch_stgb/index.html. 2 Grohs/ Ullrich in: Umweltbundesamt (Hrsg.) - A Guide to Environmental Administration in Germany, S. 35 (abrufbar unter https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/376/publikationen /190722_uba_lf_environadmin_21x21_bf.pdf). 3 Chemikaliengesetz in der Fassung vom 28. August 2013 (BGBl. I S. 3498, 3991), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 23. Oktober 2020 (BGBl. I S. 2232) geändert worden ist (abrufbar unter https://www.gesetze-iminternet .de/chemg/BJNR017180980.html#BJNR017180980BJNG000105377). 4 Gesetz zur Ausführung der Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 über die Verbringung von Abfällen und des Basler Übereinkommens vom 22. März 1989 über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung (Abfallverbringungsgesetz - AbfVerbrG) vom 19. Juli 2007 (BGBl. I S. 1462), das zuletzt durch Artikel 360 Absatz 1 der Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1328) geändert worden ist (abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet .de/abfverbrg_2007/index.html#BJNR146210007BJNE000100000). 5 Pflanzenschutzgesetz vom 6. Februar 2012 (BGBl. I S. 148, 1281), das zuletzt durch Artikel 278 der Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1328) geändert worden ist (abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet .de/pflschg_2012/BJNR014810012.html#BJNR014810012BJNG000100000). 6 Bundesnaturschutzgesetz in der Fassung vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2542), das zuletzt durch Artikel 290 der Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1328) geändert worden ist (abrufbar unter https://www.gesetze-iminternet .de/bnatschg_2009/BJNR254210009.html#BJNR254210009BJNG000100000). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 145/20 Seite 5 nicht der Strafbarkeit unterliegen.7 Vielmehr kommt ausschließlich die Strafbarkeit natürlicher Personen in Betracht.8 Demgemäß können lediglich die handelnden natürlichen Personen innerhalb einer juristischen Person strafrechtlich belangt werden und nicht das Unternehmen selbst. Die Sanktionierung von Unternehmen für Straftaten der für sie handelnden natürlichen Personen erfolgt über die Verhängung von Verbandsgeldbußen nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht, § 30 OWiG9. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine Strafe im strafrechtlichen Sinn. Zudem liegt die Auferlegung der Geldbuße im Ermessen der zuständigen Behörde (Opportunitätsprinzip) und darf den Betrag von zehn Millionen Euro nicht übersteigen. Daneben besteht die Möglichkeit, das von der juristischen Person durch eine Umweltstraftat Erlangte gemäß den §§ 74 – 76 b StGB auf der Grundlage einer gerichtlichen Anordnung einzuziehen . Die Bundesregierung hat im Jahr 2020 einen Gesetzentwurf10 vorgelegt, der die Einführung einer strafrechtlichen Sanktionierung von juristischen Personen vorsieht. Darüber hinaus soll die Auferlegung einer Sanktion bei Vorliegen einer Straftat eines Unternehmensorgans zwingend erfolgen (Legalitätsprinzip) und nicht mehr im Ermessen der Behörde liegen, wie dies bisher nach § 30 OWiG der Fall ist. 3. Welche Arten von Umweltdelikten sind im Strafrecht vorgesehen? Kategorisieren lassen sich die Umweltdelikte etwa nach kern- und nebenstrafrechtlichen Bestimmungen (siehe oben 1.) und nach den jeweiligen durch die Normen geschützten Umweltmedien (Wasser, Boden, Luft, Tiere und Pflanzen). Die nachfolgende Aufzählung gibt – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – einen Überblick über die Straftatbestände im Einzelnen: - Mißbrauch ionisierender Strahlen (§ 309 StGB) - Vorbereitung eines Explosions- oder Strahlungsverbrechens (§ 310 StGB) - Freisetzen ionisierender Strahlen (§ 311 StGB) - Gewässerverunreinigung (§ 324 StGB) - Bodenverunreinigung (§ 324 a StGB) - Luftverunreinigung (§ 325 StGB) 7 Joecks/Erb, in: Joecks/Miebach (Hrsg.), Münchener Kommentar zum StGB, 4. Auflage 2020, Einleitung Rn. 124. 8 Momsen/Laudien, in: v. Heintschel-Heinegg (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar StGB, 48. Edition, Stand: 01. November 2020, § 14 Rn. 31. 9 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Februar 1987 (BGBl. I S. 602), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 30. November 2020 (BGBl. I S. 2600) geändert worden ist (abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/owig_1968/BJNR004810968.html#BJNR004810968BJNG000011309), englische Übersetzung, Stand: Die Übersetzung berücksichtigt die Änderung(en) des Gesetzes durch Artikel 5 Absatz 15 des Gesetzes vom 21. Juni 2019 (BGBl. I S. 846), (abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet .de/englisch_owig/index.html). 10 Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 16.06.2020 - Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft (abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RegE_Staerkung _Integritaet_Wirtschaft.pdf?__blob=publicationFile&v=2). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 145/20 Seite 6 - Verursachen von Lärm, Erschütterungen und nicht ionisierenden Strahlen (§ 325 a StGB) - Unerlaubter Umgang mit gefährlichen Abfällen (§ 326 StGB) - Unerlaubtes Betreiben von Anlagen (§ 327 StGB) - Unerlaubter Umgang mit radioaktiven Stoffen und anderen gefährlichen Stoffen und Gütern (§ 328 StGB) - Gefährdung schutzbedürftiger Gebiete (§ 329 StGB) - Schwere Gefährdung durch Freisetzen von Giften (§ 330 a StGB) - Widerrechtliches Herstellen, Inverkehrbringen oder das Verwenden gefährlicher Stoffe (§ 27 ChemG) - Illegale Verbringung von gefährlichen Abfällen (§ 18 AbfVerbrG) - Illegales Herstellen, Inverkehrbringen oder Verbringen von Pflanzenschutzmitteln (§ 69 PflSchG) - Vorsätzliches Nachstellen oder Fangen sowie die Verletzung, Störung oder Tötung eines strenggeschützten wildlebenden Tieres oder die Entnahme oder Zerstörung einer streng geschützten Pflanze (§ 69 i.V.m. § 71 BNatSchG) 4. Definiert das deutsche Strafrecht die Straftat eines „Ökozids“? Ein solcher Straftatbestand existiert im deutschen Strafrecht nicht. 5. Wie regulieren die Gesetze die zivilrechtliche Haftung für Umweltschäden, einschließlich derjenigen Sachverhalte, die sich auf den Klimawandel auswirken könnten? Ein Umweltschaden kann zivilrechtlich nur ersetzt werden, wenn individuelle Rechtsgüter verletzt sind. Führt eine schädliche Umwelteinwirkung zu einer Verletzung an Leben, Körper, Gesundheit oder Eigentum von Personen, ist der hieraus entstehende Schaden gemäß § 823 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB)11 zu ersetzen. Die deliktische Haftung greift indessen nur, wenn dem Schädiger ein Verschulden nachgewiesen werden kann. Dieser Verschuldensnachweis erschwert in der Praxis die Durchsetzung der aus Umweltschäden resultierenden Ansprüche gemäß § 823 BGB.12 Außerdem hat der Eigentümer einer Sache gegen denjenigen, der sein Eigentum beeinträchtigt, gemäß § 1004 Absatz 1 BGB einen verschuldensunabhängigen Anspruch auf Beseitigung der Be- 11 Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), das zuletzt durch Artikel 13 des Gesetzes vom 22. Dezember 2020 (BGBl. I S. 3256) geändert worden ist (abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet .de/bgb/BJNR001950896.html#BJNR001950896BJNG000102377); englische Übersetzung, Stand: Die Übersetzung berücksichtigt die Änderung(en) des Gesetzes durch Artikel 4 Abs. 5 des Gesetzes vom 1. Oktober 2013 (BGBl. I S. 3719), (abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/englisch_bgb/index.html). 12 Grohs/ Ullrich in: Umweltbundesamt (Hrsg.) - A Guide to Environmental Administration in Germany, S. 34 (abrufbar unter https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/376/publikationen /190722_uba_lf_environadmin_21x21_bf.pdf). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 145/20 Seite 7 einträchtigung. Mitunter können Umweltschäden eine Beeinträchtigung des Eigentums darstellen . Folglich kann der Eigentümer die Beseitigung von Umweltschäden gemäß § 1004 Absatz 1 BGB verlangen. Des Weiteren sieht das Umwelthaftungsgesetz (UmweltHG)13 eine Gefährdungshaftung für Betreiber von bestimmten Anlagen vor. Verursacht eine von einer Anlage ausgehende Umwelteinwirkung die Tötung, Körper- oder Gesundheitsverletzung einer Person oder die Beschädigung einer Sache, haftet der Betreiber der Anlage gemäß § 1 UmweltHG verschuldensunabhängig auf Ersatz des hieraus entstehenden Schadens. Bisher besteht keine zivilrechtliche Haftung für Umweltschäden, die in einem Zusammenhang mit dem Klimawandel stehen. Es ist jedoch eine Klage anhängig, die sich mit der Zivilhaftung für Klimaschäden befasst (siehe 6.). 6. Gab es straf- oder zivilgerichtliche Verfahren in Bezug auf Handlungen oder Unterlassungen , die eine Auswirkung auf den Klimawandel haben könnten? Derzeit ist eine Klage des peruanischen Landwirtes Saúl Luciano Lliuya aus der Stadt Huaraz (Peru) gegen den Energieversorgungskonzern RWE vor dem Oberlandesgericht (OLG) Hamm anhängig . Der Kläger macht geltend, seine Stadt sei aufgrund schmelzender Gletscher von einer Flutwelle bedroht. Luciano Lliuya bringt vor, RWE sei Mitverursacher des Klimawandels und daher anteilig für das beschleunigte Abschmelzen der Gletscher verantwortlich und müsse deshalb einen finanziellen Beitrag für erforderliche Schutzmaßnahmen leisten.14 *** 13 Umwelthaftungsgesetz vom 10. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2634), das zuletzt durch Artikel 6 des Gesetzes vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2421) geändert worden ist (abrufbar unter http://www.gesetze-im-internet.de/umwelthg /index.html#BJNR126340990BJNE000100308), englische Übersetzung, Stand: Die Übersetzung berücksichtigt die Änderung(en) des Gesetzes durch Artikel 6 des Gesetzes vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2421), (abrufbar unter http://www.gesetze-im-internet.de/englisch_umwelthg/index.html). 14 Columbia University - Sabin Center for Climate Change Law, Climate Change Litigation Databases, Non-U.S. Climate Change Litigation (abrufbar unter http://climatecasechart.com/non-us-case/lliuya-v-rwe-ag/); erstinstanzlich wurde die Klage vom Landgericht (LG), Urteil vom 15. Dezember 2016 - 2 O 285/15 – abgewiesen (abrufbar unter: https://rsw.beck.de/rsw/upload/IR/05_2017_LG_Essen_15122016_2_O_285_15.pdf); zum Berufungsverfahren siehe u. a. OLG Hamm, Hinweis- und Beweisbeschluss vom 30. November 2017 - I-5 U 15/17.