WD 7 - 3000 - 144/20 (4. Januar 2021) © 2021 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Fraglich ist, ob die Anstellung von Mitgliedern des Deutschen Bundestages bei einem Unternehmen den Abschluss eines Insolvenzverfahrens gegen dieses verzögern kann. Das Insolvenzrecht eröffnet verschiedene Möglichkeiten zur Beendigung eines Insolvenzverfahrens , die in der Einstellung der Unternehmenstätigkeit, aber auch in deren Fortführung münden können. Den gesetzlichen Grundfall stellt die Aufhebung des Insolvenzverfahrens nach Vollzug der Schlussverteilung der Insolvenzmasse an die Insolvenzgläubiger dar, §§ 200, 187 ff. InsO, gleichbedeutend mit der Stilllegung des Unternehmens. Ein Beispiel der Verfahrensbeendigung im Sinne der geschäftlichen Kontinuität ist hingegen die vorzeitige Einstellung des Insolvenzverfahrens mit Zustimmung aller Gläubiger, § 213 InsO, etwa aufgrund erfolgreicher Sanierung. Falls Beschäftigungsverhältnisse von Abgeordneten im Rahmen eines Insolvenzverfahrens durch Kündigung beendet werden sollen, etwa um bei einer Umstrukturierung Personalkosten einzusparen oder weil die Geschäftstätigkeit eingestellt werden soll, so kann dies unter Umständen den Ablauf des Insolvenzverfahrens beeinflussen: Die ordentliche Kündigung von Arbeitsverhältnissen von Arbeitnehmern richtet sich im Ausgangspunkt nach dem KSchG, in dessen Anwendungsbereich eine arbeitgeberseitige Kündigung grundsätzlich sozial gerechtfertigt, konkret personen -, verhaltens- oder betriebsbedingt sein muss, § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG. Neben anderen Gruppen wie Betriebsratsmitgliedern oder Schwerbehinderten genießen auch Bundestagsabgeordnete darüber hinaus einen gesondert ausgestalteten Sonderkündigungsschutz. Zum Schutz der freien Mandatsausübung ist eine Kündigung wegen des Erwerbs, der Annahme oder Ausübung des Mandats unzulässig, im Übrigen nur aus wichtigem Grund zulässig, § 2 Abs. 3 Sätze 1 und 2 AbgG in Verbindung mit Art. 48 Abs. 2 Satz 2 GG. Der besondere Kündigungsschutz gilt ein Jahr nach Beendigung des Mandats fort, § 2 Abs. 3 Satz 4 AbgG. Im Insolvenzverfahren erweitert § 113 InsO die Kündigungsmöglichkeiten für den nunmehr für die Unternehmensleitung handelnden Insolvenzverwalter, schafft jedoch keinen zusätzlichen Kündigungsgrund. Stattdessen ist in Bezug auf beschäftigte Bundestagsabgeordnete auch in der Insolvenz deren besonderer Kündigungsschutz zu beachten (Bertram/Künzl). Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Implikationen der Beschäftigung von Bundestagsabgeordneten für den Abschluss eines Unternehmensinsolvenzverfahrens Kurzinformation Implikationen der Beschäftigung von Bundestagsabgeordneten für den Abschluss eines Unternehmensinsolvenzverfahrens Fachbereich WD 7 (Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau und Stadtentwicklung) Wissenschaftliche Dienste Seite 2 Explizite Rechtsprechung zur Frage der Reichweite des Kündigungsschutzes von Bundestagsabgeordneten in der Insolvenz existiert – soweit ersichtlich – nicht. In der rechtswissenschaftlichen Literatur ist allerdings anerkannt, dass jedenfalls bei der vollständigen Einstellung der Unternehmenstätigkeit eine Kündigung auch gegenüber Bundestagsabgeordneten wirksam erfolgen können muss, entsprechend § 2 Abs. 3 Satz 2 AbgG insofern ein wichtiger Grund vorläge (Greiner; Volk – mit jeweils weiteren Nachweisen). Denn in diesen Fällen ergäbe eine Weiterbeschäftigung von vornherein keinen Sinn. Weitere Fragen werden hinsichtlich der näheren Umstände einer solchen Kündigung diskutiert, etwa die dabei einzuhaltende Kündigungsfrist (Werres). Inwiefern darüber hinaus bereits ein wichtiger Grund im Personalabbau zur Unternehmenssanierung läge, wird von einzelnen Literaturstimmen grundsätzlich bejaht (Greiner; Zobel), von anderen im Grundsatz verneint (Weigand). Im Einzelfall dürfte es auf eine Interessenabwägung unter Berücksichtigung der besonderen Einzelfallumstände ankommen. Somit erscheint es zumindest prinzipiell möglich, dass in bestimmten Sachverhaltskonstellationen ein Bundestagsabgeordneter auch im Zuge eines Insolvenzverfahrens nicht wirksam gekündigt werden könnte, beziehungsweise es deswegen zu einem längeren Rechtsstreit zwischen dem Mandatsträger und dem in diesen Fällen zu verklagenden Insolvenzverwalter kommen könnte. Es ist zumindest nicht von vornherein ausgeschlossen, dass solche Situationen in der Praxis zu Verzögerungen des Abschlusses eines Unternehmensinsolvenzverfahrens führen könnten. Definitiv könnte dies jedoch nur im Einzelfall beantwortet werden. Quellen: – AbgG: Abgeordnetengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. Februar 1996 (BGBl. 1996 I S. 326), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 14. November 2020 (BGBl. 2020 I S. 2394) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/abgg/ (letzter Abruf dieser und aller weiteren Internetquellen: 4. Januar 2021). – Bertram/Künzl, in: Gottwald/Haas, Insolvenzrechts-Handbuch, 6. Auflage 2020, § 103, Randnummern 36 und 130. – GG: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 u. 2 Satz 2 des Gesetzes vom 29. September 2020 (BGBl. 2020 I S. 2048) geändert worden ist, abrufbar unter: http://www.gesetze-im-internet.de/gg/. – Greiner, in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 6. Auflage 2021, § 2 AbgG, Randnummer 16. – InsO: Insolvenzordnung vom 5. Oktober 1994 (BGBl. 1994 I S. 2866), die zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 22. November 2020 (BGBl. 2020 I S. 2466) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-iminternet .de/inso/. – KSchG: Kündigungsschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. August 1969 (BGBl. 1969 I S. 1317), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 14. Oktober 2020 (BGBl. 2020 I S. 2112) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/kschg/. – Volk, in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, 4. Auflage 2018, Band 2, § 129, Randnummer 82. – Weigand, in: KR – Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz und zu sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften, 12. Auflage 2019, Kündigungsschutz für Parlamentarier (ParlKSch), Randnummer 47. – Werres, Betriebsstilllegung und Sonderkündigungsschutz, Neue Zeitschrift für Insolvenz- und Sanierungsrecht (NZI) 2009, 24. – Zobel, in: Uhlenbruck, Insolvenzordnung: InsO, 15. Auflage 2019, Band 1, § 113 InsO, Randnummer 64. * * *