© 2019 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 144/19 Rechtslage zu funktionslos gewordenen Bebauungsplänen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Fazit 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 144/19 Seite 4 1. Einleitung Das Bauplanungsrecht (auch Städtebaurecht oder Stadtplanungsrecht genannt)1 regelt als Bundesrecht flächenbezogen die Raumnutzung innerhalb einer Gemeinde2 und ist insbesondere im Baugesetzbuch (BauGB)3 geregelt4. Es legt die Nutzbarkeit des Bodens und seine rechtliche Qualität fest.5 Die Bauleitplanung soll hierbei nach § 1 Abs. 1 BauGB die bauliche und sonstige Nutzung der Grundstücke in der Gemeinde nach Maßgabe des BauGB vorbereiten und leiten. Flächennutzungsplan und Bebauungsplan stellen nach § 1 Abs. 2 BauGB Bauleitpläne dar. Während der Flächennutzungsplan ein vorbereitender Bauleitplan ist (§ 1 Abs. 2 BauGB) und für die gesamte Gemeinde ein „Bodennutzungskonzept“ aufstellt, übernimmt der Bebauungsplan als verbindlicher Bauleitplan (§ 1 Abs. 2 BauGB) die „Feinsteuerung“.6 Der Bebauungsplan ist gem. § 1 Abs. 2 und § 8 Abs. 1 Satz 1 BauGB (außen-)rechtsverbindlich.7 Im seltenen Fall der Funktionslosigkeit des Bebauungsplans ist dieser unwirksam, ohne dass es – zumindest um eine Unwirksamkeit des Bebauungsplans zu erreichen – eines Aufhebungsverfahrens bedarf, was im Folgenden erläutert wird. 2. Bebauungsplan als Rechtsvorschrift Nach § 10 Abs. 1 BauGB wird der Bebauungsplan als Satzung erlassen. Die Länder Berlin und Hamburg bestimmen nach § 246 Abs. 2 S. 1 BauGB, welche Form der Rechtsetzung an Stelle dieser Satzung tritt. Das Land Bremen kann eine solche Bestimmung nach § 246 Abs. 2 Satz 2 BauGB treffen. In Berlin wird der Bebauungsplan als Rechtsverordnung gem. § 246 Abs. 2 Satz 1 BauGB, § 6 Abs. 3 Satz 1 des Gesetzes zur Ausführung des Baugesetzbuchs (AGBauGB)8 festgesetzt . 1 Battis, in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, 14. Auflage 2019, Einleitung Rn 1; Erbguth/Schubert, Öffentliches Baurecht, 6. Auflage 2015, § 1 Rn 2. 2 Battis, in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, 14. Auflage 2019, Einleitung Rn 3. 3 Baugesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. November 2017 (BGBl. I S. 3634), abrufbar unter: http://www.gesetze-im-internet.de/bbaug/BJNR003410960.html, zuletzt abgerufen am 04.10.2019. 4 Battis, in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, 14. Auflage 2019, Einleitung Rn 4. 5 Erbguth/Schubert, Öffentliches Baurecht, 6. Auflage 2015, § 1 Rn 2. 6 Erbguth/Schubert, Öffentliches Baurecht, 6. Auflage 2015, § 1 Rn 4. 7 Erbguth/Schubert, Öffentliches Baurecht, 6. Auflage 2015, § 5 Rn 6. 8 Gesetz zur Ausführung des Baugesetzbuchs in der Fassung vom 7. November 1999, letzte berücksichtigte Änderung : § 30 neu gefasst durch Artikel 1 des Gesetzes vom 06.12.2017 (GVBl. S. 664), abrufbar unter: http://gesetze .berlin.de/jportal/;jsessionid=8226D59D884039B985CB329BC560BF08.jp24?quelle=jlink&query=BauG- BAG+BE&psml=bsbeprod.psml&max=true&aiz=true#jlr-BauGBAGBEV3P6, zuletzt abgerufen am 04.10.2019. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 144/19 Seite 5 Während Rechtsverordnungen von der Exekutive auf Grund einer durch „förmliches Gesetz erteilten Ermächtigung erlassen“ werden, werden Satzungen „von Selbstverwaltungskörperschaften zur Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten erlassen“.9 Für den Erlass der Satzungen sind also Stellen der mittelbaren Staatsverwaltung zuständig.10 Sowohl bei der Satzung als auch der Rechtsverordnung handelt es sich um Rechtsnormen11 und damit um geltendes Recht. 3. Grundsatz der Aufhebung von Bebauungsplänen Die Gemeinde kann einen Bebauungsplan nach § 1 Abs. 8 BauGB nach den Vorschriften über die Aufstellung von Bauleitplänen aufheben. Dieses Aufhebungsverfahren umfasst insbesondere den Aufstellungsbeschluss, der ortsüblich bekannt zu machen ist (§ 2 Abs. 1 Satz 2 BauGB), eine Beteiligung der Behörden und sonstiger Träger öffentlicher Belange, deren Aufgabenbereich durch die Planung berührt werden kann (§ 4 Abs. 1 Satz 1 BauGB), die Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 3 BauGB, bei der nach § 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB auch eine öffentliche Auslegung erfolgen muss, sowie den Satzungsbeschluss nach § 10 Abs. 1 BauGB. Sind Bebauungspläne fehlerhaft zustande gekommen, so können diese Fehler zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans führen. Dies gilt insbesondere, da in Deutschland die Rechtswidrigkeit von Rechtsnormen grundsätzlich zur Nichtigkeit führt.12 Allerdings resultiert lediglich aus den in § 214 Abs. 1-3 BauGB explizit genannten Fehlern eine Unwirksamkeit. Die Geltendmachung gegenüber der Gemeinde ist in bestimmten Fällen nach § 215 Abs. 1 Satz 1 BauGB nur innerhalb eines Jahres seit Bekanntmachung des Bebauungsplans möglich. 4. Funktionslosigkeit von Bebauungsplänen Die Rechtsprechung hat die sogenannte Funktionslosigkeit von Bebauungsplänen anerkannt, bei der trotz des im Grundsatz geltenden Charakters des Bebauungsplans als für alle geltendes verbindliches Recht unter sehr engen Voraussetzungen eine Unwirksamkeit des Bebauungsplans unabhängig von einem Aufhebungsverfahren anzunehmen ist. Das Bundesverwaltungsgericht führt in einer Entscheidung aus dem Jahre 1977 zur Funktionslosigkeit aus: „Eine bauplanerische Festsetzung tritt wegen Funktionslosigkeit außer Kraft, wenn und soweit - erstens - die Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt. 9 https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/gesetze-und-verordnungen/unterschied-zwischen-foermlichen -gesetzen-und-recht.html, letzter Abruf: 02.10.2019. 10 Oberrath, Öffentliches Recht mit Europarecht und Öffentliches Wirtschaftsrecht, 6. Auflage 2017, Rn 728. 11 Bier, in: Gültigkeit von Bebauungsplänen im Hinblick auf die Frage eines „Außer-Kraft-Tretens wegen Funktionslosigkeit “, UPR 9/2004, 335, 336. 12 Bier, in: Gültigkeit von Bebauungsplänen im Hinblick auf die Frage eines „Außer-Kraft-Tretens wegen Funktionslosigkeit “, UPR 9/2004, 335, 337. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 144/19 Seite 6 Zu dieser ersten Voraussetzung ist erläuternd klarzustellen, dass bei der von ihr ausgehenden Prüfung nicht gleichsam isolierend auf einzelne Grundstücke abgestellt, also die Betrachtung darauf beschränkt werden darf, ob die Festsetzung hier und dort noch einen Sinn ergibt. Zu würdigen ist vielmehr grundsätzlich die Festsetzung in ihrer ganzen Reichweite, und zu würdigen ist ferner nicht nur die einzelne Festsetzung, sondern auch die Bedeutung, die sie für den Plan in seiner Gesamtheit hat. Hinzutreten muss aber außerdem als zweite Voraussetzung eine bestimmte Offenkundigkeit des Mangels. Die zur Funktionslosigkeit führende Abweichung zwischen der planerischen Festsetzung und der tatsächlichen Situation muss - zweitens - in ihrer Erkennbarkeit einen Grad erreicht haben, der einem etwa dennoch in die Fortgeltung der Festsetzung gesetzten Vertrauen die Schutzwürdigkeit nimmt.“13 Eine Funktionslosigkeit von Bebauungsplänen wird aufgrund des Charakters als geltendes Recht in Form einer Satzung sowie dem Erfordernis der Rechtssicherheit nur sehr selten angenommen werden können. Die Anforderungen, unter denen die Rechtsprechung eine Funktionslosigkeit annimmt, sind streng.14 Dies ergibt sich auch bereits aus der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts von 1977, in der es ausführt, Recht könne keine Regelung treffen, die „überhaupt keinen sinnvollen Gegenstand oder keinen denkbaren Adressaten hat“ oder die völlig unmöglich ist.15 Das Abweichen vom Bebauungsplan und der Eintritt von Verhältnissen, die den Festsetzungen des Plans nicht entsprechen, reichen für die Annahme einer Funktionslosigkeit nicht aus.16 Die tatsächlichen Verhältnisse müssen vom Bebauungsplan „so massiv und so offenkundig abweichen “, dass er seiner Gestaltungsfunktion nicht mehr gerecht werden kann.17 Dass eine Umsetzung der Plankonzeption „nicht mehr überall im Plangebiet“ möglich ist, ist nicht ausreichend .18 Die hohen Anforderungen, die an eine Funktionslosigkeit zu stellen sind, zeigt auch folgendes Beispiel auf: Bei der baurechtlichen Genehmigungserteilung einer Nutzungsänderung einer Lagerhalle in eine Lackiererei im Jahr 1980, welche in der Folgezeit auch als solche genutzt wurde und die im Geltungsbereich eines Bebauungsplans aus dem Jahre 1970 lag, der ein allgemeines Wohngebiet festsetzte , lehnte das Bundesverwaltungsgericht eine Funktionslosigkeit ab.19 13 BVerwG, Urteil vom 29.04.1977 - IV C 39/75, NJW 1977, 2325, 2326. 14 BVerwG, Urteil vom 03.08.1990 - 7 C 41-43/89, NJW 1991, 310, 312. 15 BVerwG, Urteil vom 29.04.1977 - IV C 39/75, NJW 1977, 2325. 16 BVerwG, Urteil vom 03.08.1990 - 7 C 41-43/89, NJW 1991, 310, 312. 17 BVerwG, Beschluss vom 06.06.1997 - 4 NB 6/97, NVwZ-RR 1998, 415, 416. 18 BVerwG, Beschluss vom 06.06.1997 - 4 NB 6/97, NVwZ-RR 1998, 415, 416. 19 BVerwG, Urteil vom 18.05.1995 - 4 C 20/94, NVwZ 1996, 379, 380. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 144/19 Seite 7 Denn „der von den Festsetzungen des Plans abweichende Zustand“ sei „nicht so verfestigt, dass nicht damit gerechnet werden“ könne, „dass auf dem Grundstück wieder wohnverträgliche Verhältnisse entstehen“.20 Es sei „nicht von vornherein ausgeschlossen, dass z. B. die rechtswidrig erteilte Baugenehmigung zurückgenommen wird oder dass der Betreiber der Lackiererei wegen etwa ihm erteilter Auflagen gem. § 24“ des Bundes-Immissionsschutzgesetztes (BImSchG)21 „es vorzieht, den Betrieb an einen geeigneteren Standort zu verlegen.“22 Eine Funktionslosigkeit wurde dagegen angenommen wenn die vorhandene „weiträumig“ verwirklichte , kleinteilige Wohnbebauung „zwar im allgemeinen Wohngebietsteil“ eines unwirksamen Bebauungsplans, überwiegend aber in einem Gewerbegebietsbereich eines anderen Bebauungsplans liegt.23 5. Einzelaspekte der Funktionslosigkeit von Bebauungsplänen 5.1. Einzelne Festsetzungen Für die Beurteilung der Funktionslosigkeit müssen die einzelnen Festsetzungen in den Blick genommen werden, sodass diese auch für sich genommen unwirksam werden können, während die übrigen Regelungen bestehen bleiben.24 Dies ist bei „der Ausweisung von Außengebietsflächen in einem übergeleiteten Bebauungsplan“ möglich, wenn sie „sich räumlich und funktional aus dem Gesamtbereich des Plans und seinem Regelungszusammenhang abtrennen lassen“.25 In Bezug auf eine Gebietsfestsetzung und die Frage, ob deren Funktionslosigkeit „zur Unwirksamkeit auch der Festsetzung der überbaubaren Grundstücksfläche“ führe, stellt das Bundesverwaltungsgericht darauf ab, „ob der gültige Teil des Bebauungsplans für sich betrachtet noch eine den Anforderungen des § 1 BauGB gerecht werdende, sinnvolle städtebauliche Ordnung bewirken kann und ob die Gemeinde nach ihrem im Planungsverfahren zum Ausdruck gekommenen Willen im Zweifel auch einen Plan dieses eingeschränkten Inhalts beschlossen hätte“.26 20 BVerwG, Urteil vom 18.05.1995 - 4 C 20/94, NVwZ 1996, 379, 380. 21 Bundes-Immissionsschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Mai 2013 (BGBl. I S. 1274), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 8. April 2019 (BGBl. I S. 432) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/bimschg/BJNR007210974.html, zuletzt abgerufen am 04.10.2019. 22 BVerwG, Urteil vom 18.05.1995 - 4 C 20/94, NVwZ 1996, 379, 380. 23 OVG Münster, Beschluss vom 20.01.2015 - 2 A 2327/13, BeckRS 2015, 43306. 24 Külpmann, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Werkstand: 133. Ergänzungslieferung 2019, § 10 Rn 409. 25 Külpmann, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Werkstand: 133. Ergänzungslieferung 2019, § 10 Rn 409. 26 BVerwG, Beschluss vom 29.05.2001 - 4 B 33/01, NVwZ 2001, 1055, 1056. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 144/19 Seite 8 5.2. Rechtliche Hindernisse Auch kann eine Funktionslosigkeit aufgrund eines rechtlichen Hindernisses eintreten, welches die Verwirklichung des Bebauungsplans offensichtlich ausschließt. Es muss „offenkundig“ sein, dass der Bebauungsplan „als Instrument für die Steuerung der städtebaulichen Entwicklung nicht mehr tauglich ist“.27 5.3. Planungsänderung Grundsätzlich können lediglich objektive, tatsächliche Umstände, nicht aber die Planungsänderung eine Funktionslosigkeit herbeiführen.28 Denn die Gemeinde kann den Bebauungsplan jederzeit aufheben oder ändern.29 Eine Funktionslosigkeit wurde in Bezug auf eine Anschlussstelle eines Autobahnkreuzes aber bei einem „endgültigen Verzicht“ durch den Antragsgegner eines Normenkontrollverfahrens „auf den Bau der im Bebauungsplan vorgesehenen Zufahrten und Abfahrten und auf den entsprechenden Ausbau der anschließenden Stadtstraßen“ angenommen, was eine „Abkehr von der planerischen Grundkonzeption“ bedeute.30 Hier erfolgten eindeutige „Erklärungen und Festlegungen gegenüber der Bezirksverordnetenversammlung“ […] „und dem Abgeordnetenhaus “. Weiterhin gab es nach dem Urteil u. a. „Planungen“, „einen Parkplatz auf Teilflächen der Anschlussstelle anzulegen“ und die „für den Bau der Anschlussstelle vorgesehenen Mittel für den Weiterbau“ zu einem naheliegenden Bezirk zu verwenden.31 5.4. Funktionslosigkeit bereits im Erlasszeitpunkt Aufgrund der Tatsache, dass im Bundesverwaltungsgerichtsurteil von 1977 „Verhältnisse […] in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben“ mussten32, ließ sich schließen, dass eine Funktionslosigkeit bereits im Erlasszeitpunkt des Bebauungsplans nicht möglich war. Mittlerweile regelt aber § 1 Abs. 6 Nr. 4 BauGB, dass eine Fortentwicklung vorhandener Ortsteile bei der Aufstellung der Bauleitpläne zu berücksichtigen ist.33 Daher bzw. aufgrund der Vorgängervorschrift hält das Bundesverwaltungsgericht eine anfängliche Funktionslosigkeit für möglich.34 Bei 27 BVerwG, Urteil vom 18.11.2004 - 4 CN 11/03, NVwZ 2005, 442, 444. 28 Stüer, Der Bebauungsplan, 5. Auflage 2015, Rn 756; BVerwG, Beschluss vom 24.04.1998 - 4 B 46/98, NVwZ-RR 1998, 711. 29 VGH Mannheim, Urteil vom 04.12.2003 - 5 S 1746/02, BeckRS 2004, 21052, Rn 33. 30 OVG Berlin, Urteil vom 26.01.1979 – II A 5.77 –, juris, Rn 60. 31 OVG Berlin, Urteil vom 26.01.1979 – II A 5.77 –, juris, Rn 60. 32 BVerwG, Urteil vom 29.04.1977 - IV C 39/75, NJW 1977, 2325, 2326. 33 Külpmann, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Werkstand: 133. Ergänzungslieferung 2019, § 10 Rn 412. 34 BVerwG, Beschluss vom 06.06.1997 - 4 NB 6/97, NVwZ-RR 1998, 415, 416; Külpmann, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Werkstand: 133. Ergänzungslieferung 2019, § 10 Rn 412. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 144/19 Seite 9 der Annahme der anfänglichen Funktionslosigkeit sei aber „zusätzliche Zurückhaltung“ geboten .35 5.5. Zeitablauf Die Tatsache, dass ein langer Zeitraum seit Erlass des Bebauungsplans vergangen ist, ohne dass dessen Umsetzung erfolgte, führt noch nicht zu einer Funktionslosigkeit, sodass weitere Umstände hinzutreten müssen.36 Dies gilt auch bei einem über 100 Jahre alten Bebauungsplan.37 6. Konsequenzen der Funktionslosigkeit Folge der Funktionslosigkeit ist eine Unwirksamkeit, die „inter omnes“ gilt.38 Unabhängig davon, ob sich jemand auf die Unwirksamkeit beruft, tritt diese gegenüber jedermann ein.39 Nach dem Bundesverwaltungsgericht ist die Verwaltung aber „nicht nur befugt, sondern auch gehalten “, den Bebauungsplan nach den Vorschriften über die Aufstellung von Bauleitplänen aufzuheben , „wenn sie die die Nichtigkeit begründenden, behebbaren Fehler nicht beheben will“.40 Zwar urteilte das Bundesverwaltungsgericht in dem zitierten Urteil von 1986 allgemein für den Fall der Ungültigkeit von Bebauungsplänen und zu den damaligen Regelungen des Bundesbaugesetzes . Allerdings spricht viel für eine Übertragung der dortigen Überlegungen. Auch in der Literatur wird unter Verweis auf diese Rechtsprechung vertreten: Wegen Funktionslosigkeit unwirksame Bebauungspläne „sind […] aufzuheben“.41 Das Bundesverwaltungsgericht führte aus, die Rechtssicherheit gebiete die Aufhebung.42 Der gesetzte Rechtsschein sei durch „förmliche Aufhebung zu beseitigen, wenn der Fehler nicht“ geheilt sei oder geheilt werden könne.43 Daher wird die Verwaltung in der Regel im Falle der Funktionslosigkeit eines Bebauungsplans das förmliche Aufhebungsverfahren nach § 1 Abs. 8 BauGB durchführen. 35 BVerwG, Beschluss vom 06.06.1997 - 4 NB 6/97, NVwZ-RR 1998, 415, 416. 36 VGH Mannheim, Urteil vom 04.12.2003 - 5 S 1746/02, BeckRS 2004, 21052, Rn 33; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23.01.1998 – 8 S 2447/97 –, juris, Rn 26. 37 VGH Mannheim, Urteil vom 04.12.2003 - 5 S 1746/02, BeckRS 2004, 21052, Rn 33. 38 Külpmann, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Werkstand: 133. Ergänzungslieferung 2019, § 10 Rn 410. 39 Külpmann, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Werkstand: 133. Ergänzungslieferung 2019, § 10 Rn 410. 40 BVerwG, Urteil vom 21.11.1986 - 4 C 22/83, NJW 1987, 1344, 1345. 41 Stüer, Der Bebauungsplan, 5. Auflage 2015, Rn 757. 42 BVerwG, Urteil vom 21.11.1986 - 4 C 22/83, NJW 1987, 1344, 1345. 43 BVerwG, Urteil vom 21.11.1986 - 4 C 22/83, NJW 1987, 1344, 1345. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 144/19 Seite 10 Hebt die Gemeinde aber einen Bebauungsplan zur Klarstellung nach § 1 Abs. 8 BauGB mit der Begründung auf, dieser sei funktionslos und stellt sich diese Annahme als Fehlvorstellung heraus , hat dies zur Folge, dass ein Abwägungsfehler aufgrund eines Verstoßes gegen das Abwägungsgebot nach § 1 Abs. 7 BauGB aufgrund einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung vorliegt .44 Denn auch eine Bewertung des gesammelten Tatsachenmaterials muss nach § 1 Abs. 8 BauGB und § 2 Abs. 3 BauGB bei der Aufhebung von Bebauungsplänen erfolgen.45 Auch deshalb ist in der Praxis bei der Prüfung der Funktionslosigkeit eines Bebauungsplans Vorsicht geboten. Rechtssicherheit kann grundsätzlich mit der Durchführung eines gerichtlichen Normenkontrollverfahrens gem. § 47 Abs. 1 Nr. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)46 geschaffen werden, in welchem das Gericht den Bebauungsplan für unwirksam erklären kann. Dieses ist auch auf funktionslos gewordene Bebauungspläne anwendbar.47 Praktisch wird dieses allerdings in den allermeisten Fällen gem. § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO unzulässig sein, da der Antrag auf Durchführung des Verfahrens nur innerhalb eines Jahres seit Bekanntmachung des Bebauungsplans möglich ist. Die Anwendung dieser Frist auch auf funktionslos gewordene Bebauungspläne wurde mittlerweile höchstrichterlich durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigt.48 Da die Funktionslosigkeit aber in der Regel nach Ablauf dieser Frist eintreten wird, bleibt für eine Antragstellung innerhalb dieser Frist kaum mehr Raum.49 Wird der Bebauungsplan in dem Normenkontrollverfahren für unwirksam erklärt, ist diese Entscheidung nach § 47 Abs. 5 Satz 2, Halbsatz 2 VwGO allgemeinverbindlich. Die Feststellung der Unwirksamkeit ist allerdings lediglich deklaratorisch .50 7. Fazit Bei der Annahme der Funktionslosigkeit von Bebauungsplänen sind hohe Anforderungen zu beachten . Im Verwaltungsverfahren wird daher nur in seltenen Fällen ohne weiteres von einer Funktionslosigkeit eines Bebauungsplans auszugehen sein. Im Zweifel sollte bei einer möglichen Funktionslosigkeit des Bebauungsplans ein Aufhebungsverfahren durchgeführt werden, um Rechtssicherheit zu schaffen. Ob eine Funktionslosigkeit besteht, wird häufig einzelfallabhängig vom Richter zu entscheiden sein. *** 44 OVG Münster, Urteil vom 20.02.2015 - 7 D 29/13.NE, BeckRS 2015, 44247. 45 OVG Münster, Urteil vom 20.02.2015 - 7 D 29/13.NE, BeckRS 2015, 44247. 46 Verwaltungsgerichtsordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. März 1991 (BGBl. I S. 686), die zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 15. August 2019 (BGBl. I S. 1294) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/vwgo/BJNR000170960.html, zuletzt abgerufen am 04.10.2019. 47 Stüer, Der Bebauungsplan, 5. Auflage 2015, Rn 758. 48 BVerwG, Urteil vom 06.04.2016 - 4 CN 3/15, NVwZ 2016, 1481, 1482 Rn 7. 49 BVerwG, Urteil vom 06.04.2016 - 4 CN 3/15, NVwZ 2016, 1481, 1482 Rn 8. 50 BVerwG, Beschluss vom 06.05.1993 - 4 N 2/92, NVwZ 1994, 273; Stüer, in: Der Bebauungsplan, 5. Auflage 2015, Rn 758.