© 2017 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 144/17 Europäischer Haftbefehl und Europäisches Auslieferungsübereinkommen Politische Straftat und Verfolgung aufgrund politischer Überzeugungen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Politische Straftat 9 3.2.2. Verfolgung aufgrund politischer Überzeugungen 9 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 144/17 Seite 4 1. Einleitung Das Recht der Auslieferung ist Teil der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen, das heißt der Unterstützung eines Staates durch einen anderen Staates bei der Strafverfolgung und Strafvollstreckung .1 Unter Auslieferung ist dabei die Überstellung einer im ersuchenden Staat verfolgten Person an diesen durch den ersuchten Staat zu Zwecken der Strafverfolgung oder Strafvollstreckung zu verstehen.2 Die einschlägigen Regelungen finden sich im innerstaatlichen Recht (in Deutschland im Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG)), in bi- und multilateralen Abkommen und in Rechtsakten der Europäischen Union (EU).3 Für den europäischen Bereich außerhalb der EU ist wesentliche Rechtsgrundlage das multilaterale Europäische Auslieferungsübereinkommen von 1957 (EurAuslÜbk)4.5 Zwischen den EU-Mitgliedstaaten hat das Rechtsinstitut des Europäischen Haftbefehls die Auslieferung nach dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen ersetzt. Dessen Grundlage ist der Rahmenbeschluss des Rates der Europäischen Union über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (RbEuHb)6. Vor diesem Hintergrund wurden die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages um Auskunft gebeten, ob zwischen den EU-Mitgliedstaaten die Übergabe einer Person auf Grundlage eines Europäischen Haftbefehls auch wegen einer politischen Straftat erfolgen dürfe. 2. Europäisches Auslieferungsübereinkommen von 1957 Das Europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 gilt als die „Mutterkonvention “ für das europäische vertragliche Auslieferungsrecht.7 Es ist das älteste vom Europarat erarbeitete strafrechtliche Übereinkommen und wird nach wie vor in seinen Grundzügen als 1 Böse, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, 5. Aufl. 2017, Vorb. zu §§ 3 ff., Rn. 6. 2 Vogel, in: Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., IRG, Vor § 1, Rn. 2. 3 Böse, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, 5. Aufl. 2017, Vorb. zu §§ 3 ff., Rn. 6. 4 Europäisches Auslieferungsübereinkommen des Europarates vom 13. Dezember 1957 (BGBl. 1964 II 1369, 1976 II 1778, 1982 I 2071, 1994 II 299). 5 Weigend, JuS 2000, 105, 106. 6 Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. 2002, L 190, S. 1) in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 (ABl. 2009, L 81, S. 24) geänderten Fassung. 7 Schomburg, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl. 2012, II A Vorb., Rn. 1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 144/17 Seite 5 richtungsweisend für den Auslieferungsverkehr der internationalen Staatengemeinschaft betrachtet .8 Zusammen mit den hierzu ergangenen Zusatzprotokollen und deliktsbezogenen Begleitregelungen , wie das Europäische Terrorismusübereinkommen, gilt es für die überwiegende Anzahl von Europaratsstaaten9, die nicht Mitglied der EU sind, grundsätzlich fort.10 2.1. Auslieferungsverpflichtung Laut Art. 1 EurAuslÜbk verpflichten sich die Vertragsstaaten, gemäß den Vorschriften und Bedingungen des Übereinkommens einander die Personen auszuliefern, die von den Justizbehörden des ersuchenden Staates wegen einer strafbaren Handlung verfolgt oder zur Vollstreckung einer Strafe oder einer Maßregel der Sicherung und Besserung gesucht werden. Zu den Voraussetzungen für die Auslieferungsfähigkeit einer Straftat gehören beispielsweise die beiderseitige Strafbarkeit sowie eine Mindeststrafandrohung beziehungsweise im Falle der Strafvollstreckung eine Mindeststrafe (Art. 2 EurAuslÜbk). Der Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit verlangt, dass die Tat, die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegt, auch nach dem Recht des ersuchten Staates strafbar ist.11 2.2. Auslieferungshindernisse Die grundsätzliche Auslieferungsverpflichtung wird jedoch unter anderem durch zwingende und fakultative Ablehnungsgründe nach dem Übereinkommen sowie durch die Rechtsprechung der nationalen Gerichte unter Rückgriff auf das innerstaatliche Recht eingeschränkt.12 2.2.1. Politische Straftat Ein Auslieferungsersuchen ist demnach beispielsweise zwingend abzulehnen, wenn die strafbare Handlung, derentwegen sie begehrt wird, vom ersuchten Staat als eine politische oder als eine 8 Grotz, in: Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., Europäisches Auslieferungsübereinkommen , Vorb., Rn. 2. 9 Sowie Israel, Korea und Südafrika. Zu beachten ist ferner das Übereinkommen vom 28.06.2006 zwischen der Europäischen Union und der Republik Island und dem Königreich Norwegen über das Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und Island und Norwegen (ABl. L 292 vom 21.10.2006, S. 2). 10 Bubnoff, Der Europäische Haftbefehl, 2005, S. 5. 11 Grotz, in: Grützner/Pötz/Kreß, , Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., Europäisches Auslieferungsübereinkommen , Vorb., Rn. 7. 12 Grotz, in: Grützner/Pötz/Kreß, , Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., Europäisches Auslieferungsübereinkommen , Vorb., Rn. 10. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 144/17 Seite 6 mit einer solchen zusammenhängende strafbare Handlung angesehen wird (Art. 3 Abs. 1 EurAuslÜbk). Das Übereinkommen selbst enthält keine Definition der politischen Straftat oder der Zusammenhangstat . Auch sonst gibt es keine einheitliche Definition.13 Vielmehr entscheidet in der Regel der ersuchte Staat nach Maßgabe seines innerstaatlichen Rechts und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, ob eine politische Straftat vorliegt.14 Nach herrschender Meinung in Deutschland liegt eine politische Straftat zudem auch vor, wenn sie vom ersuchenden Staat als solche betrachtet wird.15 Zu den „klassischen“ politischen Delikten gehören Straftaten, die sich unmittelbar gegen die politische Ordnung eines Landes richten, unter anderem insbesondere gegen die innere oder äußere Sicherheit, den Bestand, die politische Organisation oder Verfassung eines Staates oder gegen die amtierenden Machthaber. Solche Taten unterfallen in der Regel dem Staatsschutzstrafrecht; zu ihnen zählen beispielsweise Hochverrat, Aufwiegelung oder Spionage.16 2.2.2. Verfolgung aufgrund politischer Anschauungen Eine Auslieferung ist ferner zwingend abzulehnen, wenn der ersuchte Staat ernstliche Gründe hat anzunehmen, dass das Auslieferungsersuchen wegen einer nach allgemeinem Recht strafbaren Handlung gestellt worden ist, um eine Person aus rassischen, religiösen, nationalen oder auf politischen Anschauungen beruhenden Erwägungen zu verfolgen oder zu bestrafen, oder dass die Person der Gefahr einer Erschwerung ihrer Lage aus einem dieser Gründe ausgesetzt wäre (Art. 3 Abs. 2 EurAuslÜbk). Dabei ist beispielsweise nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsrechts eine Strafverfolgung dann grundsätzlich keine politische Verfolgung, wenn ein Staat Straftaten verfolgt, die sich gegen Rechtsgüter seiner Bürger richten, auch wenn die Taten politisch motiviert sind. Die Verfolgung kriminellen Unrechts in diesem Sinne sei keine „politische“ Verfolgung. Jedoch könne die Verfolgung von Straftaten in politische Verfolgung umschlagen, wenn objektive Umstände darauf schließen ließen, dass der Betroffene gleichwohl wegen eines asylerheblichen Merkmals, zum Beispiel seiner politischen Überzeugung, verfolgt werde. Das sei insbesondere dann zu anzunehmen , wenn er eine Behandlung erleide, die härter ist als die sonst zur Verfolgung ähnlicher - nicht politischer - Straftaten von vergleichbarer Gefährlichkeit im Verfolgerstaat übliche.17 13 Vogel, in: Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., IRG, § 6, Rn. 31 ff. 14 Grotz, in: Grützner/Pötz/Kreß, , Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., Europäisches Auslieferungsübereinkommen , Vorb., Rn. 11. 15 Schomburg/Hackner, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtsh "politische straftat" staatsschutzilfe in Strafsachen, 5. Aufl. 2012, IRG, § 6, Rn. 22a mwN. 16 Vogel, in: Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., IRG, § 6, Rn. 37 ff. 17 BVerfG, Beschluss v. 10.07.1989 - 2 BvR 502/86, Rn. 51 ff. (juris). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 144/17 Seite 7 3. Europäischer Haftbefehl Der Europäische Haftbefehl stellt keinen speziellen Haftbefehl auf europäischer Ebene dar. Vielmehr handelt es sich gemäß Art. 1 Abs. 1 RbEuHb „um eine justizielle Entscheidung, die in einem Mitgliedstaat ergangen ist und die Festnahme und Übergabe einer gesuchten Person durch einen anderen Mitgliedstaat zur Strafverfolgung oder zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung bezweckt.“ Mit der Einführung des Europäischen Haftbefehls sollten die Verfahren zur Übergabe von verfolgten Personen zwischen den EU-Mitgliedstaaten vereinfacht und beschleunigt werden. Das bisherige multilaterale Auslieferungssystem, das auf dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen von 1957 des Europarates beruhte, sollte durch ein auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung fußendes System der Übergabe verdächtiger oder verurteilter Personen zwischen Justizbehörden zur Strafverfolgung oder zur Vollstreckung von Urteilen ersetzt werden.18 Der Rahmenbeschluss setzt folglich die Übergabe aufgrund eines Europäischen Haftbefehls an die Stelle der bisherigen Auslieferung. Nunmehr stellt ein Mitgliedstaat einen Europäischen Haftbefehl aus (Ausstellungsstaat) aus, der von einem anderen Mitgliedstaat vollstreckt werden soll (Vollstreckungsstaat).19 Der Rahmenbeschluss bedurfte der Umsetzung durch die EU-Mitgliedstaaten in das jeweilige nationale Recht.20 Die entsprechenden Regelungen finden sich im deutschen Recht im achten Teil des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG). 3.1. Verpflichtung zur Vollstreckung Nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, der den „Eckstein“ der justiziellen Zusammenarbeit bildet,21 sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, einen Europäischen Haftbefehl zu vollstrecken (Art. 1 Abs. 2 RbEuHb). Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung besagt, dass jeder Mitgliedstaat gerichtliche Urteile oder Entscheidungen jedes anderen Mitgliedstaates als solche anerkennt und die Hilfe leistet, die zur Vollstreckung des Urteils oder der Entscheidung erforderlich ist.22 18 EuGH, Urt. v. 10.11.2016, Rs. C-477/16 PPU, Rn. 25 (juris). 19 Böse, in: Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., IRG, Vor § 78, Rn. 13. 20 Bergmann, Handlexikon der Europäischen Union, 5. Aufl. 2015, Haftbefehl, Europäischer. 21 EuGH, Urt. vom 10.11.2016, Rs. C-477/16 PPU, Rn. 28 (juris). 22 Vogel/Eisele, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 62. EL Juli 2017, AEUV Art. 82, Rn. 23. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 144/17 Seite 8 Dementsprechend wurden die Anzahl und der Umfang der Zulässigkeitskriterien für die Übergabe von strafrechtlich verfolgten Personen im Vergleich zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen von 1957 erheblich vermindert.23 Eine wesentliche Neuerung ist beispielsweise die Abkehr vom Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit für einen umfassenden Katalog von Straftaten (Art. 2 Abs. 2 RbEuHb).24 Auch die Ablehnungsgründe wurden stark eingeschränkt. Die Mitgliedstaaten sind jedoch nicht verpflichtet, einen Europäischen Haftbefehl zu vollstrecken, wenn dies zu Menschenrechtverletzungen führen kann (Art. 1 Abs. 3 RbEuHb).25 3.2. Ablehnungsgründe Teil der Bestrebungen zur Vereinfachung und Beschleunigung der Übergabe von Personen zur Strafverfolgung oder Strafvollstreckung auf Grundlage des Europäischen Haftbefehls sind die Aufhebung traditioneller Auslieferungshindernisse. Nach Rechtsprechung des EuGH ist Grundlage für den Mechanismus des Europäischen Haftbefehls ein hohes Maß an Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten.26 Der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens, namentlich in Bezug auf den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, verlange von jedem Mitgliedstaat, dass er, abgesehen von außergewöhnlichen Umständen, davon ausgehe, dass alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die dort anerkannten Grundrechte beachten.27 Die Ablehnung der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls durch die vollstreckenden Justizbehörden ist daher nach der Rechtsprechung des EuGH grundsätzlich nur in den abschließend in den Art. 3, 4 und 4a des RbEuHb aufgezählten Fällen möglich. Zudem kann die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls nur an eine der in Art. 5 des RbEuHb erschöpfend aufgezählten Bedingungen geknüpft werden.28 23 Ahlbrecht, StV 2005, 40, 41. 24 Ahlbrecht, StV 2005, 40, 41. 25 Graf, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 7. Aufl. 2013, Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften Neunter Abschnitt. Verhaftung und vorläufige Festnahme Vorbemerkungen, Rn. 25c. 26 EuGH, Urt. v. 10.11.2016, Rs. C-477/16 PPU, Rn. 26 (juris). 27 EuGH, Urt. v. 10.11.2016, Rs. C-477/16 PPU, Rn. 27 (juris). 28 EuGH, Urt. v. 10.11.2016, Rs. C-477/16 PPU, Rn. 28 (juris). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 144/17 Seite 9 3.2.1. Politische Straftat Das traditionelle Auslieferungsverbot für politische Straftaten bleibt in den Ausnahmebestimmungen hingegen unerwähnt. Die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls darf folglich nicht deshalb verweigert werden, weil Gegenstand des Ersuchens eine politische Tat ist.29 Auch im deutschen Recht bestimmt § 82 i.V.m. § 6 Abs. 1 IRG dementsprechend, dass das Auslieferungsverbot für politische Delikte im Auslieferungsverkehr zwischen den EU-Mitgliedstaaten keine Anwendung findet. 3.2.2. Verfolgung aufgrund politischer Überzeugungen Von den politischen Delikten ist die strafrechtliche Verfolgung aufgrund politischer Anschauungen einer Person zu unterscheiden. Zwar sehen die Art. 3 bis 5 EuRbHb kein explizites Auslieferungsverbot bei drohender politischer Verfolgung vor. Jedoch darf gemäß Erwägungsgrund 12 keine Bestimmung des Rahmenbeschlusses so ausgelegt werden, dass ein Mitgliedstaat daran gehindert ist, die Übergabe einer Person abzulehnen, wenn objektive Hinweise vorliegen, dass der Haftbefehl zum Zweck der Verfolgung oder Bestrafung einer Person aus Gründen ihres Geschlechts, ihrer Rasse, Religion, ethnischen Herkunft, Staatsangehörigkeit , Sprache oder politischen Überzeugung oder sexuellen Ausrichtung erlassen wurde oder dass die Stellung dieser Person aus einem dieser Gründe beeinträchtigt werden kann. Der EuRbHb lässt damit nach Ansicht der Literatur grundsätzlich eine innerstaatliche Regelung zu, nach der die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls in den im Erwägungsgrund 12 aufgezählten Fällen abgelehnt wird. In derartigen Fällen verstieße eine Überstellung gegen die nach Art. 6 Abs. 2 EU garantierten Grundrechte des Verfolgten.30 Dementsprechend bleibt beispielsweise im deutschen Recht das Auslieferungshindernis bei drohender politischen Verfolgung auch im Rahmen des Europäischen Haftbefehls bestehen (§6 Abs. 2 IRG i.V.m. Erwägungsgrund 12 des EuRbHb). Allerdings ist diese Einschränkung der grundsätzlichen Vollstreckungspflicht eines Europäischen Haftbefehls rahmenbeschlusskonform beziehungsweise unionrechtskonform auszulegen.31 Unter welchen Umständen eine Auslieferung aufgrund des Erwägungsgrundes 12 verweigert werden kann, wurde bislang vom EuGH noch nicht entschieden. 29 Böse, in: Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., IRG, § 82, Rn. 3. 30 Böse, in: Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., IRG, § 82, Rn. 4. 31 Böse, in: Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., IRG, § 82, Rn. 4. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 144/17 Seite 10 Grundsätzlich ist jedoch darauf hinzuweisen, dass Personen, deren Auslieferung wegen einer politischen Tat begehrt wird, nicht notwendig auch die politische Verfolgung droht, sofern die strafrechtliche Verfolgung unter Beachtung rechtsstaatlicher Grundsätze erfolgt.32 *** 32 Vogel, in: Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., IRG, § 6, Rn. 1.